Der Herrgottsengel

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Der Herrgottsengel
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KARL MAY
DER HERRGOTTSENGEL

ERZGEBIRGISCHE

DORFGESCHICHTE

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 44

„DER WALDSCHWARZE“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1339-6

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

DER HERRGOTTSENGEL

Beim Schmuggelgruhl

Beim ‚Herrgottle‘

Beim Hobuschguster

Beim Klapperbein

DER HERRGOTTSENGEL
Beim Schmuggelgruhl

Der Abend begann zu dämmern. Das Mädchen, das dem auf halber Bergeshöhe liegenden Kirchhof zuschritt, sputete sich. Der Ort, nach dem es seine Schritte lenkte, gehörte zu denen, die man nicht gern in der Dunkelheit aufzusuchen pflegt. Noch glänzte der Himmel im Licht des scheidenden Tages, aber das Tal hüllte sich bereits in tiefe Schatten und die alten, rissigen Mauern des Gottesackers blickten beinah gespenstisch aus dem sich schwärzenden Grün der hoch emporsteigenden Halden hernieder.

Das breite, rostige Gittertor knarrte in den Angeln. Der Mann, der hervortrat, trug Hacke und Spaten über der Schulter und schickte sich eben an, den Eingang wieder zu verschließen, als er die Nahende bemerkte.

„Wünsch guten Abend, Jungfer Selma!“, grüßte er. „Kommst heut ja recht spät! Soll ich vielleicht warten und dich nachher bis ins Dorf geleiten? Die Nacht ist da und der Fußsteig geht schlimm abschüssig.“

„Ich danke, Hans“, beantwortete sie die vertraulich höflichen Worte. „Geh nur immer heim; der Weg ist mir gewohnt und ich werd ihn schon gut finden. Hast wohl Arbeit hier drin gehabt?“

„Ja, ein Grab.“

„Ein Grab? Ist denn jemand gestorben? Da müsst ich doch auch etwas davon gehört haben!“

„Gestorben ist niemand, aber der Klapperbein kam letzte Mitternacht an mein Fenster und hat mir die Arbeit anbefohlen. Du weißt ja, dass er die Leich immer schon im vorher kennt. Ich bin neugierig, für wen ich die Grube bereitet hab. Leb wohl!“

Er stieg langsam den Berg hinab. Sie trat durch das Tor und schritt zwischen den Gräbern einem kleinen, niedrigen Häuschen zu, das sich gebrechlich an die hintere Kirchhofsmauer lehnte. Sie ging an seiner Tür vorüber, bog um die Ecke, räusperte sich und blieb dann horchend stehen.

„Wer kommt?“, fragte eine tiefe Stimme aus dem wirren Gesträuch, das den Winkel bogenförmig umschloss.

„Ich bin’s!“, erwiderte sie. „Ich bring die Speis für den Tag.“

„Die Selma? Wart, ich komm sogleich!“

Die Zweige wurden raschelnd auseinandergebogen und eine ungewöhnlich lange und dabei äußerst dürre Gestalt kam auf das Mädchen zu.

„Bist ja heut beinah zur tiefen Nacht erst hier! Hast keine Furcht vor mir und vor den Toten?“

„Warum vor dir? Hast mir ja noch niemals was zu Leid getan! Und vor den Toten fürcht ich mich schon auch nicht, mein Gang ist ja nötig. Nur wer aus Übermut zum Gottesacker geht, darf denken, dass ein Geist hervorsteigen und ihm begegnen könnt!“

„Es steigt keiner heraus, Selma. Was der Tod einmal genommen hat, das gibt er nimmer wieder frei – ich hab’s erfahren!“

Die letzten drei Worte erklangen langsam und hohl. Sie kamen so schwer zwischen den Lippen hervor, als hänge das Gewicht eines ganzen vertrauerten und verlorenen Lebens an ihnen. Es dauerte geraume Zeit, ehe er fortfuhr:

„Ich hab auf einen gewartet und geharrt viele, viele Jahr, aber er hat nicht kommen können, der Hügel liegt zu hoch und fest auf ihm. Und Geister – – ja, was ist ein Geist? Wenn wir sterben, so begräbt man uns und unser Leib verwest, über der Erd aber bleibt nur unsere Tat zurück und lebt in ihren Folgen fort, wenn längst kein Staub von uns mehr übrig ist. Kann diese Folge Gestalt annehmen und nachher als Geist erscheinen? – Gib mir den Korb!“

Er nahm ihn ihr aus der Hand und trat ins Haus. Nach wenigen Augenblicken kehrte er wieder und gab ihn geleert zurück. Dann beugte er sich zu ihr nieder und legte ihr die beiden kalten, dürren Hände aufs Haupt.

„Der einzige Geist, der hier wandeln geht, der bin ich, Selma. Ich bin tot schon lange, lange Zeit; ich bekomm nur dich und den Leichenhans zu sehen; sonst aber bin ich bereits abgeschieden, obgleich du mich noch greifen kannst. Die aber, die sie damals begraben haben dort in die Eck, die lebt noch unten im Dorf und mancher hat’s erfahren, ganz ohne dass er es weiß. Ich bin in ihr gestorben, sie ist in mir leben geblieben, und die Lieb ist schuld an beidem, an meinem Tod und an ihrem Weiterleben. Hast du sie auch schon empfunden, die Lieb, Selma?“

Sie verstand die seltsamen Worte nicht, die wie unlösbare Rätsel hier an dem Ort erklangen, der das letzte und größte Rätsel des menschlichen Seins mit seinen Hügeln und Kreuzen deckte. Sie bebte unter der Berührung seiner Hände und konnte seine Frage nur mit einem tiefen, seufzenden Atemzug beantworten.

„Hast sie also auch schon kennengelernt und sie will dir ihre freundliche Seit nicht zeigen? Halt aus, Selma, halt aus! Du siehst der Elsa, deiner Tant, so ähnlich, wie aus dem Aug geschnitten, darum hab ich dich lieb und darum sollst du glücklich sein. Sie nennen mich den Klapperbein, weil ich tot bin für die Welt und weil der Gram mich bis aufs Geripp verzehrt und abgejammert hat. Sie reden von mir wie von einem, auf den niemand mehr rechnen darf, aber der Klapperbein hat dennoch Trost und Hilf für dich, wenn du einmal eines mächtigen Beistandes bedarfst. Geh jetzt, Selma! Ich will dich bis an die Pfort begleiten.“

Er schritt ihr bis zum Gittertor voran. Sie folgte ihm mit leisen Schritten, als dürfe sie die Ruhe und Stille des Todes nicht verletzen, dem er nach seiner eigenen Versicherung anheim gefallen war. Seit einer ganzen Reihe von Jahren hatte sie ihm täglich zur Zeit der Dämmerung das Essen gebracht und dabei nur selten ein Wort aus seinem Mund vernommen. War etwas zu erwähnen gewesen, so hatte er meist nur einen Zettel in den Korb gelegt. Heut war es zum ersten Mal, dass er länger zu ihr gesprochen hatte; sie kannte seine trübe, öde Vergangenheit, aber seine Rede vermochte sie nicht zu verstehen. Nur eins fühlte sie: Er war ihr freundlich gesinnt, und das gab ihr den Mut zu einer mädchenhaft neugierigen Frage:

„Hast heut ein Grab machen lassen, und doch ist niemand tot. Sag, wer wird sterben?“

„Der Schmuggelgruhl“, antwortete er einfach. Er konnte in der Dunkelheit die Wirkung nicht erkennen, die diese Auskunft auf das Mädchen hervorbrachte. Und während er das Tor verriegelte, fügte er hinzu: „Sag dem Vater, die Zeit ist wieder um. Gut Nacht, Selma!“

„Gut Nacht!“, erwiderte sie leise und stieg dann langsamen Schrittes und in tiefem Sinnen die Höhe hinab.

Zu Haus fand sie die Heimgenossen beim Abendbrot versammelt. Nur der Vater fehlte. Er saß in der Nebenstube am Schreibpult und darum wurde die Unterhaltung nur leise geführt, denn jeder wusste, dass man den Herrn Ortsrichter bei der Arbeit nicht stören konnte, ohne ihn in großen Zorn zu bringen. Und vor diesem Zorn hüteten sich alle. Der Richterbauer war ein gefürchteter Mann.

Sie setzte sich mit an den Tisch.

„Hast schon mit dem Ludwig gesprochen, Selma?“, fragte eine der Mägde.

„Nein, er ist ja fast die ganze Woche nicht da gewesen, weil er jetzt in der Gärtnerei gar viel zu schaffen hat.“

„Er ist vorgestern droben beim Herrgott gewesen.“

„Beim Herrgott? Woher weißt du das und was hat er dort gewollt?“

„Das kann ich nicht sagen. Ich hab’s von dem Meinigen, der ist ihm begegnet und dann hat am Herrgottkreuzle fast eine ganze Stund lang die Latern gebrannt.“

Der interessante Gesprächsstoff wäre vielleicht weiter verfolgt worden, wenn sich nicht in diesem Augenblick nach kurzem Klopfen die Tür geöffnet hätte. Eine alte Frau, die sich auf zwei Krücken stützte, trat ein.

„Ist der Richter daheim?“, fragte sie nach dem üblichen Gruß.

Da die Tür zum Nebenzimmer nur angelehnt war, so hatte der Genannte die laute Frage vernommen. Er erhob sich rasch von seinem Stuhl und trat näher. Auf seinem Angesicht war die Röte des Zorns deutlich zu erkennen.

„Das ist ja wieder die Botengundel! Hab ich Ihr denn nicht schon dreimal gesagt, dass Sie mir mit Ihrem Gejammer vom Hals bleiben soll? Morgen ist der Termin, und wenn Sie die Steuer nicht schafft, so wird Sie ausgepfändet. Davon helfen Ihre schönen Wort Ihr nimmer los. Hätt’ Sie Ihre Schnapsdreier gespart, so könnte Sie Ihrer Pflicht nachkommen. Marsch fort! Ich hab mehr zu tun, als Ihr Geschrei anzuhören!“

„Und doch wird der Herr Richterbauer anhören, was ich Ihn zu fragen hab, dafür ist Er da und dafür bekommt Er Seinen Lohn. Ich will Ihn gar nicht wieder mit Klag und Bitt belästigen, ich hab nun doch zur Genüg erfahren, dass das bei Ihm nichts hilft. Und was die Schnapsdreier betrifft, die Er mir zum Vorwurf macht, so mach doch Er einmal in Sturm und Schnee, in Frost und Wetter den Botenweg über das Gebirg und sehe Er, ob Er es ohne den Tropfen fertig bringt, der den alten Leib erwärmt. Freilich, Wein kann ich nicht haben, von dem Seine Nas so schön zinnobrig geworden ist, auch ohne dass Er sie erfroren hat wie ich die meinige!“

„Was will Sie mir das sagen?“, schnaubte der Richter sie an. „Soll ich Sie etwa einstecken lassen?“

 

„Dazu hat Er die Gewalt, aber nicht das Recht. Wer mir den notwendigen Trunk vorhält, der mich wöchentlich zwei Dreier gekostet hat, dem darf ich auch seinen Wein vorwerfen, der doch viel teurer ist. Aber ich bin nicht gekommen, um mich mit Ihm zu zanken, sondern wegen der rückständigen Gemeindeabgaben. Hier ist das Geld!“

„Ah“, lachte der Richterbauer, „sieht Sie, wie Sie bezahlen kann? Ich kenn schon meine Leut. Das Pack hat nimmer eher Geld, als bis ihm das Messer an die Kehl gesetzt wird. Ich will Sie mit Ihrer Bitt an die Gemeind schon heimleuchten.“

„Ja, das tut Er gern, das weiß das ganze Dorf! Aber wenn bei Ihm kein Erbarmen zu finden ist, so gibt’s noch Hilf beim lieben Gott. Er hat mir die Steuer geschickt und auch noch mehr dazu.“

„Der liebe Gott? Das mach Sie mir doch nur nicht weis! Sie hat Ihren Sparpfennig herausgeholt, so ist die Sach!“

„Den Sparpfennig hat die Krankheit schon längst aufgezehrt. Ich hab das Reißen bekommen und meine Beschäftigung aufgeben müssen, die Not ist dann bald eingetreten, und als ich gar zum Krückzeug greifen musst, hat Er meine Bitt um Nachsicht abgelehnt, anstatt mich zu unterstützen, wie es doch Seine Pflicht gewesen wär. Da hab ich mir einen Brief schreiben lassen, wo alles drin gestanden hat, und ihn gestern Abend hinauf zum Herrgott getragen, das Licht für seine Latern hab ich mir beim Krämer geborgt; in meiner Tasch war kein armer Heller mehr zu finden. Vorhin nun, vor wenigen Augenblicken, klopft es an den Laden, ich raff mich empor, geh aus der Stub und schieb die Haustür auf. Da hängt ein Leinwandbeutel an der Klink, aber kein Mensch ist rings zu sehn. Ich frag und ruf, aber es antwortet niemand, und so geh ich wieder in die Stub zurück und brenn die Lamp an, um zu sehn, was in dem Beutel ist. Was meint ihr wohl, ihr Leut, was ich gefunden hab!? Dreißig Taler sind’s gewesen, dreißig harte, blanke Taler, und dabei hat ein Zettel gelegen, drauf stand geschrieben: ,Der Botengundel vom Herrgott geschickt‘. Der Herrgottsengel hat mir das Geld gebracht und so bin ich gleich hergelaufen, um die Steuern zu bezahlen, damit Er mir morgen mein armseliges bisschen Hab und Gut nicht wegnimmt. Aber geb Er wohl Achtung, dass Er sich nicht noch einmal an das Herrgottle wenden muss! Es ist nicht aller Tage Abend, und Er ist auch erst nur ein armer Totengräber gewesen und für ein paar Kreuzer auf den Schleichhandel gelaufen, ehe ihn der Klapperbein zum reichen Richterbauer gemacht hat!“

Sie legte das bereits abgezählte Geld auf den Tisch. Der Richter fand vor Grimm über die mutige Rede der Frau keine Worte. Seine Augen sprühten Feuer, seine Hände ballten sich. Er machte Miene, sich auf die Botengundel zu stürzen, besann sich aber noch rechtzeitig, dass ihm aus einem Angriff auf die gebrechliche Alte wohl wenig Ehre erwachsen werde. Sein Zorn musste einen anderen Gegenstand haben, sich an ihm abzukühlen.

„Wer hat den Brief geschrieben?“, fragte er. „Denn Sie ist doch zu dumm, sich so ein Schreiben selber aufzusetzen!“

„Ja, so klug und gescheit wie der Herr Richterbauer bin ich freilich nicht, aber der ihn geschrieben hat, bringt’s schon auch noch fertig. Des Schmuggelgruhls Ludwig ist’s gewesen.“

„Der? – So also lohnt er meine Lieb und Güt, die ich ihm erwiesen hab, der Liedrian? Da werd ich bald ein Wort mit ihm reden, das ihm gewaltig in die Ohren klingen soll! Er wird genau erfahren, was es heißt, euer Herrgottle gegen die Obrigkeit zu hetzen!“

Die Botenfrau hatte eine weitere scharfe Entgegnung auf den Lippen, konnte sie aber nicht aussprechen, denn es klopfte rasch und scharf. Auf das grollende „Herein!“ des Richters trat ein junger Mann in die Stube, dem eine ungewöhnliche Erregung anzusehen war. Der Hausherr ließ ihm keine Zeit zum Gruß.

„Da ist er ja gleich, der Botengundel ihr Geheimschreiber, der so schöne Bettelbrief an den Herrgottsengel fertig bringt! Kommst grad zur rechten Zeit, Bursch, um zu hören, was solch eine Schreiberei einbringen kann!“

„Lasst das jetzt, Herr Richter“, fiel der Angekommene schnell ein. „Der Vater ist am Sterben; es hat ihn über alle Maßen schnell gepackt und er lässt Euch bitten, doch rasch zu ihm zu kommen. Er hat mit Euch zu sprechen!“

Er trat an den Tisch und reichte Selma die Hand. Der Zorn des Richters schien mit einem Mal von ihm gewichen. Es blitzte hell und freudig über sein Gesicht, doch nur für einen kurzen Augenblick. In der nächsten Sekunde hatte seine Miene den Ausdruck der Teilnahme angenommen.

„Sterben will er?“, rief er wie bestürzt. „Es wird wieder nur ein kurzer Überfall sein, den das Fieber macht. Die Zehrkrankheit hat so diese Mode.“

„Nein, es ist jetzt gewiss der richtige Ernst; der Tod steht ihm ganz deutlich im Gesicht. Bitte, Herr Richter, macht rasch, sonst kommt Ihr zu spät!“

Hastig ging er wieder fort. Der Bauer schrieb eine Quittung für die Botenfrau, die sich schnell entfernte, und suchte dann angelegentlich in den Fächern seines Schreibpults herum. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass die Tür zur Wohnstube verschlossen war, zog er ein unausgefülltes Wechselformular hervor. Er betrachtete es mit finsterem Blick und stieß einige scharfe, unverständliche Laute hervor.

„Endlich ist’s aus mit ihm! Der Gedanke, dass er mich verraten werd, hat mich gequält bei Tag und Nacht und mir wie ein Berg stets auf der Seel gelegen. Das Zahlen hört nun auf; ich hab es längst schon satt und werd mir jetzt alles wieder holen, was er mir abgezwungen hat, nun werd ich auch den Ludwig los, den Habenichts, den ich nur aus Sorg vor seinem Vater gelitten hab. Aber klug muss ich es anfangen mit dem Wechsel. Er hat schon lange Jahr im Kasten gelegen und auf den Tag gewartet, der heut gekommen ist. Der Alte muss ihn von Ludwig unterzeichnen lassen, sie haben alle beid noch keinen Wechsel gesehen und wissen nicht, wie man ihn schreiben muss. So komm ich wieder zu dem Meinigen und schaff zugleich die Liebelei aus dem Haus.“

Er machte sich zum Ausgehen fertig. Als er durch die Stube ging, war das Abendessen beendet und das Gesinde hatte sich in Haus und Hof zerstreut.

„Elsa!“, rief einer der Knechte draußen im Flur, und als die Magd, die er suchte, nicht antwortete, wiederholte er seinen Ruf.

„Was hat denn der Lümmel hier zu schreien, dass einem das Ohr platzen möcht?“, fuhr ihn der Bauer wütend an. Seine Züge waren verzerrt, als habe ein fürchterlicher Schreck sie verzogen; sein Auge glühte zwischen Angst und Zorn und aus dem Gesicht war die Farbe vollständig gewichen. „Sagst du den Namen nur noch ein einziges Mal, so schlag ich dich zu Boden und werf dich dann zur Tür hinaus!“

Der Knecht schlich sich lautlos von dannen. Er hatte nicht daran gedacht, dass der Richter den Namen Elsa nicht hören konnte, ohne in die äußerste Wut zu geraten. Noch eine ganze Weile stand der Bauer mit gezückten Armen still. Es war, als habe er ein Gespenst gesehen oder den Schlag selbst erhalten, den er dem unachtsamen Dienstboten gegeben hatte. Dann verließ er langsamen Schrittes den Hof.

Nicht weit vom Richtergut stand inmitten eines gut gepflegten Gärtchens ein kleines Haus. Er stieß die unverschlossene Pforte des Gartens auf. Ludwig hatte ihn erwartet und empfing ihn hier.

„Geht grad hinein in die Stub, Herr Richter! Der Vater ist allein. Er hat befohlen, die Mutter und ich sollen hinausgehn, um euch nicht zu stören.“

Als der Richterbauer den Wohnraum betrat, blieb er fast erschrocken unter dem Eingang stehen. Das Gesicht, das ihm vom Lager her entgegenblickte, war ihm zeit seines Lebens bekannt gewesen; jetzt aber schaute es ihn an wie ein vollständig fremdes und die einst so vertrauten Züge waren wie unter einer starren, unheimlichen Larve verborgen. Die Augen lagen tief in ihren ausgetrockneten Höhlen, die Wangen waren eingefallen, die Schläfen eingesunken, der Tod hatte seine kalte, unerbittliche Hand auf das Haupt des Schmuggelgruhls gelegt und ihm nur noch kurze Frist gegeben; das war dem Leidenden deutlich anzusehn.

„Kommst endlich, Hobuschguster?“, ertönte eine matte, klanglose und hüstelnde Stimme. Gruhl hatte den stolzen Mann niemals anders als bei seinem früheren Namen gerufen. „Setz dich ganz her zu mir! Ich hab mit dir zu reden, was niemand weiter zu hören und zu wissen braucht.“

Hobusch folgte der Weisung. Der Anblick des einst so rüstigen Jugendgefährten ließ ihn verstummen.

„Pass auf, Guster, was ich dir sag! Viel Wort kann ich nicht machen, denn es kostet mich jedes eine Stunde vom Leben. Ich will Abrechnung halten mit dir.“

„So sprich!“ Mehr vermochte der Richter nicht zu sagen. Er fühlte, dass er sich sammeln müsse.

„Ich steh am Ziel; die Ewigkeit braust mir schon um die Ohren und ich weiß nicht, wohin mit meiner Schuld und Sündenhaftigkeit. Anklagen hab ich mich nicht wollen; ich hab den Mut dazu nicht mehr und darf auch keine Schand über mein Weib und mein braves, einziges Kind bringen. Die Reu hat mich zerfressen wie der Rost das Eisen, und als ich zuletzt nimmer aushalten konnt, hab ich einen Brief ans Herrgottle geschickt und gefragt, ob ich auch ohne Beicht selig werden kann, wenn ich eine Sünd bereu, die nicht mehr aufzubessern ist. Gestern Abend ist die Antwort kommen: Wenn die Beicht wirklich niemandem nichts helfen kann, so soll ich ruhig sterben. Der liebe Gott werd mir auch ohne sie vergeben. Was tu ich nun, Hobuschguster?“

Der Bauer schwieg. Der Kranke fuhr nach einer Pause der Erholung fort:

„Du bist mein böser Geist gewesen und hast mich vom guten Weg auf den schlimmen gebracht. Die Folg war für dich der Richterhof und für mich die Zehrsucht. Drauf hast gemeint, du brauchst mich nicht mehr, und bist mir fleißig aus dem Weg gegangen; aber ich hab dich festgehalten und kann dich noch heut vom Hof und Amt fortbringen. Soll ich’s tun, Hobuschguster?“

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