Der Geist des Llano Estacado

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Der Geist des Llano Estacado
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KARL MAY
DER GEIST DES LLANO ESTACADO

ERZÄHLUNG AUS DEM WILDEN WESTEN

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 35

„UNTER GEIERN“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1317-4

Die Erzählung spielt Mitte der 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts.

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

DER GEIST DES LLANO ESTACADO

1. Bloody-Fox

2. Der Schuss in die Stirn

3. Wüstengeier

4. Eisenherz

5. Ein Spion

6. Geisterstunde

7. Argwohn

8. Das Singende Tal

9. Die Maske fällt

DER GEIST DES LLANO ESTACADO
1. Bloody-Fox

Zwei Männer kamen am Wasser dahergeritten, ein Weißer und ein Neger. Der Weiße war recht eigentümlich gekleidet. Er trug indianische Schuhe und Lederhosen, dazu einen einst dunkelblau gewesenen, jetzt aber arg verschossenen Frack mit Patten, hohen Achselpuffen und blank geputzten Messingknöpfen. Die langen Schöße hingen wie Flügel rechts und links an den Seiten des Pferdes herab. Auf dem Kopf saß ein riesiger, schwarzer Amazonenhut, den eine gelb gefärbte, unechte Straußenfeder schmückte. Bewaffnet war der kleine, schmächtige Mann mit einer Doppelbüchse, die über seiner Schulter hing, mit einem Messer und zwei Revolvern, die er im Gürtel trug. An dem Gürtel bemerkte man außerdem noch mehrere Beutel, wohl zur Aufnahme der Munition und allerhand notwendiger Kleinigkeiten bestimmt. Jetzt aber schienen sie ziemlich leer zu sein.

Der Schwarze war groß und breitschultrig. Auch er trug Mokassins und dazu helle Kalikohosen. Zu dieser Bekleidung des Unterkörpers wollte allerdings die des Oberkörpers nicht recht passen, denn sie bestand aus dem Waffenrock eines französischen Dragoneroffiziers. Dieses Kleidungsstück war gewiss beim französischen Einbruch nach Mexiko gekommen und hatte sich dann auf unbekannten Umwegen auf den Leib des Schwarzen verirrt. Der Rock war dem riesigen Neger viel zu kurz und viel zu eng. Er ließ sich nicht zuknöpfen und so konnte man die breite, nackte Brust des Reiters sehen, der wohl deshalb kein Hemd trug, weil es im Westen keine Wäscherinnen und Plätterinnen gibt. Dafür aber hatte er ein großes, rot und weiß gewürfeltes Tuch um seinen Hals gebunden und vorn zu einer riesigen Schleife zusammengezipfelt. Der Kopf war unbedeckt, damit man die unzähligen kleinen, fettglänzenden Löckchen, die er sich zurechtgemacht hatte, bewundern könne. Bewaffnet war der Mann ebenfalls mit einem Doppelgewehr, außerdem mit einem Messer, einem irgendwo entdeckten Bajonett und einer Reiterpistole, deren Geburtsjahr jedenfalls auf Anno Tobak anzusetzen war.

Beritten waren beide gut. Es war den Pferden anzusehen, dass heute ein weiter Weg hinter ihnen lag, und doch schritten sie noch so munter und kräftig aus, als hätten sie ihre Reiter kaum stundenlang getragen.

Die Ufer des Baches waren grün bewachsen, doch nur in einer gewissen Breite. Darüber hinaus gab es lediglich dürre Yuccas, fleischige Agaven und Büffelgras, dessen Blätter und Stängel auch allerhand Dürre zu widerstehen vermögen.

„Schlechte Gegend!“, meinte der Weiße. „Im Norden hatten wir es besser. Nicht wahr, Bob?“

„Yes“, bestätigte der Gefragte. „Massa Frank haben Recht. Hier es Masser Bob nicht sehr gefallen. Wenn nur bald an Helmers’ Home kommen, denn Masser Bob haben Hunger wie Walfisch, der Haus verschlingt.“

„Der Walfisch kann kein Haus verschlingen“, erklärte Frank dem Schwarzen. „Dazu ist seine Gurgel denn doch zu eng.“

„Mag Gurgel aufmachen, wie Masser Bob sie aufmacht, wenn er isst! Wie weit es noch sein bis Helmers’ Home?“

„Das weiß ich nicht genau. Nach der Beschreibung, die uns heute früh gemacht wurde, müssen wir bald am Ziel sein. Schau, kommt dort nicht ein Reiter?“

Frank deutete nach rechts über das Wasser hinüber. Bob hielt sein Pferd an, legte die Hand über die Augen, um sie gegen die im Westen tief stehende Sonne zu beschatten, öffnete nach seiner Weise weit den Mund, als könnte er so noch besser sehen, und antwortete nach einer Weile: „Ja, es sein ein Reiter, ein kleiner Mann auf großem Pferd. Er kommen hierher zu Masser Bob und Massa Frank.“

Der Reiter, von dem die Rede war, kam in scharfem Trab herbei, hielt aber nicht auf die beiden zu, sondern schien vor ihnen ihren Weg kreuzen zu wollen. Er tat gar nicht so, als sehe er sie.

„Sonderbarer Kerl!“, brummte Frank. „Hier im Wilden Westen ist man doch froh, auf einen Menschen zu treffen. Dem da scheint aber gar nichts an unserer Begegnung zu liegen. Entweder ist er ein Menschenfeind oder er hat kein gutes Gewissen.“

„Soll Masser Bob ihn einmal anrufen?“

„Ja, rufe ihn an! Deine Elefantentrompete wird er eher hören als mein Zephyrsäuseln.“

Bob hielt beide Hände hohl an den Mund und schrie aus vollem Hals: „Hallo, hallo! Halt, warten! Warum ausreißen vor Masser Bob?“

Der Neger hatte allerdings eine Stimme, die geeignet war, einen Scheintoten ins Leben zurückzubringen. Der Reiter zügelte sein Pferd. Die beiden beeilten sich, zu ihm aufzuholen.

Als sie in seine Nähe gelangten, erkannten sie, dass sie nicht etwa einen Mann von kleinem Wuchs, sondern einen kaum dem Knabenalter entwachsenen Jüngling vor sich hatten. Er war wie die kalifornischen Cowboys ganz in Büffelkuhleder gekleidet, und zwar in der Weise, dass alle Nähte mit Fransen versehen waren. Auf dem Kopf trug er einen breitkrempigen Sombrero. Eine rotwollene Schärpe umschlang statt des Gürtels seine Hüften und hing an der linken Seite herab. In dieser Schärpe steckten ein Bowiemesser und zwei mit Silber ausgelegte Pistolen. Quer vor sich auf den Knien hielt er eine schwere, doppelläufige Kentuckybüchse und vorn zu beiden Seiten des Sattels waren nach mexikanischer Weise Schutzleder angebracht, um die Beine gegen Pfeilschüsse oder Lanzenstöße zu decken.

Sein Gesicht war von der Sonne tief gebräunt und trotz seiner Jugend von Wind und Wetter gegerbt. Von der linken Seite der Stirn ging ihm eine blutrote, zwei Finger breite Wulst quer bis auf das rechte Auge herab. Das gab ihm ein äußerst kriegerisches Aussehen. Überhaupt machte er keineswegs den Eindruck eines jungen, unerfahrenen Menschen. Die schwere Büchse leicht in der Hand, als sei sie ein Federkiel, das dunkle Auge groß und voll auf die beiden gerichtet, saß er stolz und fest wie ein Alter auf dem Pferd.

„Good day, my boy!“, grüßte Frank. „Seid Ihr in dieser Gegend bekannt?“

„Rather – ziemlich“, erwiderte der Reiter, indem er ein leises, ironisches Lächeln sehen ließ, wohl darüber, dass der Frager ihn Knabe genannt hatte.

„Kennt Ihr Helmers’ Home?“

„Yes!“

„Wie lange reitet man noch bis dahin?“

„Je langsamer, desto länger.“

„Zounds! Ihr seid kurz angebunden, mein Junge!“

„Weil ich kein Mormonenpfarrer bin.“

„Ach so! Dann entschuldigt! Ihr zürnt mir wohl, dass ich Euch Boy genannt habe?“

„Fällt mir nicht ein. Mit der Anrede mag es ein jeder halten, wie er will, nur muss er sich dann auch meine Antwort gefallen lassen.“

„Schön! Wir sind also einig. Ihr gefallt mir. Hier ist meine Hand, aber antwortet mir nun, wie es sich schickt und gehört! Ich bin hier fremd und muss nach Helmers’ Home. Hoffentlich zeigt Ihr mir nicht einen falschen Weg.“

Frank reichte dem Jüngling die Hand hinüber. Der junge Mann drückte sie ihm, überflog Frack und Amazonenhut mit einem lächelnden Blick und erwiderte: „Ein Schuft, wer andere in die Irre führt! Ich reite soeben nach Helmers’ Home. Wenn ihr mir folgen wollt, so kommt!“

Damit setzte er sein Pferd wieder in Bewegung und die beiden folgten ihm, vom Bach abbiegend, sodass der Ritt nunmehr nach Süden ging. „Wir wollten dem Wasser nachreiten“, bemerkte Frank.

„Es hätte euch auch zu dem alten Helmers geführt“, erklärte der Knabe, „aber in einem sehr weiten Bogen. Anstatt in einer Dreiviertelstunde wärt ihr in zwei Stunden bei ihm angekommen.“

„So ist es ein Glück, dass wir Euch getroffen haben. Kennt Ihr den Besitzer dieses Settlements?“

„Sogar sehr gut.“

„Was für ein Mensch ist er?“

Die beiden Reiter hatten den Jüngling in die Mitte genommen. Er warf einen forschenden Blick auf sie und erklärte: „Helmers hat ein scharfes Auge für jede Schuftigkeit und hält streng auf ein reines Haus.“

„Das gefällt mir an ihm. Wir haben also nichts von ihm zu fürchten?“

„Wenn ihr brave Männer seid, nein. Dann ist er im Gegenteil zu jedem Dienst erbötig.“

„Ich höre, dass er einen Store hat?“

„Ja, aber nicht des Gewinns halber, sondern nur um den Westmännern, die bei ihm verkehren, gefällig zu sein. Er führt in seinem Laden alles, was ein Jäger braucht, und verkauft es zum möglichst billigen Preis. Doch einer, der ihm nicht gefällt, wird selbst für teures Geld nichts von ihm erhalten.“

 

„So ist er ein Sonderling?“

„Nein, aber er bemüht sich jederzeit, jenes Gelichter unbedingt von sich fern zu halten, das den Westen unsicher macht. Ihr werdet ihn ja kennenlernen. Nur eins will ich noch von ihm sagen, was Ihr freilich nicht verstehen und worüber Ihr wohl sogar lachen werdet: Er ist ein Deutscher von echtem Schrot und Korn. Damit ist alles gesagt.“

Frank stand in den Bügeln auf und rief: „Was? Das soll ich nicht verstehen? Darüber soll ich sogar lachen? Was fällt Euch ein! Ich freue mich sogar königlich darüber, hier am Rand des Llano Estacado einen Landsmann zu finden.“

Das Gesicht des Führers war ausgesprochen ernst. Selbst sein zweimaliges Lächeln war so gewesen, als verstehe er wirklich gar nicht zu lachen. Jetzt blickte er freundlich zu Frank hinüber und fragte: „Wie? Ein Deutscher seid Ihr?“

„Natürlich! Seht Ihr mir denn das nicht sofort an?“

„Nein! Ihr sprecht das Englische nicht wie ein Deutscher und habt ganz das Aussehen eines Yankee-Onkels, der von seinen sämtlichen Neffen zum Fenster hinausgeworfen wurde.“

„Heavens! Was fällt Euch ein! Ich bin ein Deutscher durch und durch, und wer das nicht glaubt, dem renne ich das Schießeisen durch den Leib!“

„Dazu genügt das Messer auch. Aber wenn es so ist, wird sich der alte Helmers freuen, denn er stammt auch von drüben und hält gar große Stücke auf sein Vaterland und seine Muttersprache.“

„Das glaube ich. Ein Deutscher kann beide nie vergessen. Nun freue ich mich doppelt, nach Helmers’ Home zu kommen. Eigentlich konnte ich mir denken, dass er ein Deutscher ist. Ein Yankee hätte sein Settlement Helmers’ Ranch oder so ähnlich genannt. Aber Helmers’ Home! Dieses Namens wird sich nur ein Deutscher bedienen. Wohnt Ihr in seiner Nähe?“

„Nein. Ich habe weder eine Ranch noch ein Home als Eigentum. Ich bin wie der Vogel in der Luft oder wie das Tier im Wald.“

„Trotz Eurer Jugend? Habt Ihr keine Eltern?“

„Keinen einzigen Verwandten.“

„Hm. Wie heißt Ihr denn?“

„Man nennt mich Bloody-Fox.“

„Bloody-Fox? Das deutet auf ein blutiges Ereignis hin.“

„Ja, meine Eltern wurden samt der ganzen Familie und allen Begleitern ermordet, drin im Llano Estacado. Nur ich allein bin übrig geblieben. Man fand mich mit klaffendem Schädel. Ich war damals ungefähr acht Jahre alt.“

„Herrgott! Dann seid Ihr wirklich ein armer Teufel! Man überfiel euch, um euch auszurauben?“

„Ja.“

„So ist Euch nichts als das Leben, der Name und die schreckliche Erinnerung geblieben!“

„Nicht einmal das. Helmers fand mich im Sand liegend, nahm mich aufs Pferd und brachte mich heim zu sich. Ich habe monatelang im Fieber gelegen, und als ich erwachte, wusste ich nichts mehr, gar nichts mehr. Selbst meinen Namen hatte ich vergessen und kann mich auch heute noch nicht darauf besinnen. Nur der Augenblick des Überfalls ist mir klar im Gedächtnis geblieben. Ich wäre glücklicher, wenn auch das mir entschwunden wäre, denn dann würde nicht das heiße Verlangen nach Rache mich wieder und immer wieder durch die schreckliche Wüste peitschen.“

„Und warum hat man Euch den Namen Bloody-Fox gegeben?“

„Weil ich über und über mit Blut bedeckt war und in meinen Fieberfantasien oft das Wort Fuchs gebraucht habe. Man glaubte daraus schließen zu müssen, dass es mein Name sei.“

„So wären Eure Eltern Deutsche gewesen?“

„Jedenfalls. Denn ich sprach, als ich wieder zu mir kam, Englisch und Deutsch, das Deutsch aber viel geläufiger. Helmers ist mir wie ein Vater gewesen. Doch es hat mich nicht bei ihm gelitten. Ich habe hinaus gemusst in die Wildnis wie der Falke, dem die Geier die Alten zerrissen haben und der nun um die blutige Stätte kreisen muss, bis es ihm gelingt, auf die Mörder zu stoßen.“ Fox knirschte hörbar mit den Zähnen und nahm sein Pferd so scharf in die Zügel, dass es aufbäumte.

„So habt Ihr die Schmarre auf der Stirn von damals her?“, fragte Frank.

„Ja“, bestätigte der Jüngling finster. „Doch sprechen wir nicht weiter davon! Es regt mich auf und dann müsst ihr gewärtig sein, ich stürme von euch fort und lasse euch allein nach Helmers’ Home reiten.“

„Ja, reden wir lieber von dem Besitzer dieser Niederlassung! Was war er denn drüben im alten Land?“

„Forstbeamter.“

„Wie – wa – wa – was?“, rief Frank. „Ich auch!“

Bloody-Fox machte eine Bewegung der Überraschung, betrachtete sich den Sprecher abermals genau und sagte dann: „Ihr auch? Das ist ja ein erfreuliches Zusammentreffen!“

„Ja. Aber wenn er den schönen Beruf eines Forstmanns gehabt hat, warum hat er ihn dann aufgegeben?“

„Aus Ärger. Er war Oberförster. Die betreffende Waldung befand sich in Privatbesitz und sein Herr war ein stolzer, rücksichtsloser und jähzorniger Mann. Beide sind an- und auseinander geraten und Helmers hat ein schlechtes Zeugnis erhalten, sodass er keine Anstellung mehr fand. Da ist er denn so weit wie möglich fortgegangen. Seht Ihr da drüben das Rot- und Schwarzeichengehölz?“

„Ja“, nickte Frank, indem er in die angegebene Richtung blickte.

„Dort treffen wir wieder auf den Bach und hinter dem Wald beginnen Helmers’ Felder. Bisher habt Ihr mich ausgefragt. Nun will einmal ich einige Erkundigungen aussprechen. Wird nicht dieser brave Neger Sliding-Bob genannt?“

Da tat Bob im Sattel einen Sprung, als wollte er sich vom Pferd schnellen. „Ah! Oh!“, rief er. „Warum schimpfen Massa Bloody-Fox gut, brav Masser Bob?“

„Nicht schimpfen und nicht beleidigen will ich dich“, beschwichtigte der Jüngling. „Ich glaube, ich bin ein Freund von dir.“

„Warum da nennen Masser Bob so, wie haben Indian ihn genannt, weil Masser Bob damals immer rutschen von Pferd herab? Jetzt aber Masser Bob reiten wie ein Teufel!“ Um zu zeigen, dass er die Wahrheit gesagt habe, gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon, auf das erwähnte Gehölz zu.

Auch Frank war über die Frage des jungen Mannes erstaunt. „Ihr kennt Bob?“, meinte er. „Das ist doch beinahe unmöglich!“

„O nein! Ich kenne auch Euch.“

„Das wäre! Wie heiße ich denn?“

„Hobble-Frank.“

„Good luck! Das ist richtig! Aber, Boy, wer hat Euch das erzählt? Ich bin doch all mein Lebtag noch nicht hier in dieser Gegend gewesen.“

„Oh“, lächelte der Jüngling, „man wird doch einen so berühmten Westmann kennen.“

Frank blies sich auf, dass ihm der Frack zu eng werden wollte, und sagte: „Ich? Berühmt? Auch das wisst Ihr schon? Wer hat Euch von mir berichtet?“

„Ein Bekannter von mir, Jakob Pfefferkorn, der gewöhnlich nur der Dicke Jemmy genannt wird.“

„Behold! Mein guter Freund! Wo habt Ihr ihn gesprochen?“

„Vor einigen Tagen oben am Washita River. Er erzählte mir, dass ihr euch verabredet habt, euch hier in Helmers’ Home zu treffen.“

„Das ist richtig. Kommt er denn?“

„Ja. Ich bin eher aufgebrochen als er und komme geradeswegs von oben herunter. Er wird jedenfalls bald nachfolgen.“

„Das ist herrlich, das ist prächtig! Also er hat zu Euch von uns gesprochen?“

„Er hat mir euern Zug zum Yellowstone berichtet. Als Ihr mir vorhin sagtet, dass Ihr auch Forstmann gewesen seid, wusste ich sogleich, wen ich vor mir habe.“

„So werdet Ihr mir nun glauben, dass ich ein guter Deutscher bin?“

„Nicht nur das, sondern ein guter, herzensbraver Kerl überhaupt“, lächelte der junge Mann.

„Also hat der Dicke mich nicht schlecht gemacht?“

„Ist ihm nicht eingefallen. Wie könnte er auch den braven Frank verleumden!“

„Ja, wisst Ihr, wir haben uns zuweilen über Dinge gestritten, die zu begreifen eine Gymnasialbildung nicht ganz hinreichend ist. Er hat aber glücklicherweise eingesehen, dass wir einander überlegen sind, und so kann es nun auf der ganzen Welt keine besseren Freunde als uns geben. – Aber da ist Bob und da ist das Gehölz. Wie nun weiter?“

„Über den Bach hinüber und zwischen den Bäumen hindurch! Das ist die gerade Richtung. Reiter, wie Bob einer ist, brauchen doch keinen gebahnten Weg.“

„Ja richtig!“, stimmte der Neger stolz bei. „Massa Bloody-Fox haben sehen, dass Masser Bob reiten wie ein Indian. Masser Bob machen mit durch dick und dünn.“

Sie setzten über das Wasser, ritten durch das Wäldchen, woran kein Unterholz sie hinderte, und kamen dann zwischen eingezäunten Mais-, Hafer- und Kartoffelfeldern hindurch. Hier gab es stellenweise den fruchtbaren schwarzen Sandboden des texanischen Hügellandes, der reiche Ernten liefert. Das Wasser des Baches erhöhte den Wert der Ansiedlung und floss ganz nahe am Wohnhaus vorüber, hinter dem sich die Stallungen und Wirtschaftsgebäude befanden.

Das Haus war aus Stein gebaut, lang, tief und ohne Oberstock, doch enthielten die Giebelseiten je zwei kleine Dachstuben. Vor der Tür standen vier riesige, weit schattende Eichen, worunter mehrere einfache Tische und Bänke angebracht waren. Man sah sogleich, dass rechts vom Eingang der Wohnraum und links der von Bloody-Fox erwähnte Laden lag.

An einem der Tische saß ein ältlicher Mann, die Tabakspfeife im Mund, der den drei Ankömmlingen forschend entgegenblickte. Er war von hoher, derber Gestalt und wetterhart im Gesicht, das ein dichter Vollbart umrahmte, ein echter Westmann, dessen Händen es anzumerken war, dass sie viel geschafft und gearbeitet hatten.

Als er den Führer der beiden Fremden erkannte, stand er auf und rief ihm bereits von weitem entgegen: „Welcome, Bloody-Fox! Lässt du dich endlich wieder einmal sehen? Es gibt Neuigkeiten.“

„Von woher?“, fragte der Jüngling.

„Von da drüben.“ Der Mann deutete mit der Hand nach Süden.

„Was für welche? Gute?“

„Leider nicht. Es sind wahrscheinlich wieder einmal Geier in den Plains aufgetaucht.“

Der Llano Estacado wird nämlich von dem Englisch sprechenden Amerikaner Staked Plain genannt. Beide Bezeichnungen haben wörtlich den gleichen Sinn: abgesteckte Ebene.

Diese Nachricht schien Bloody-Fox förmlich zu elektrisieren. Er schwang sich aus dem Sattel, trat schnell auf den Mann zu und sagte: „Das musst du mir sofort genauer erzählen!“

„Es ist wenig genug, was ich weiß, und lässt sich bald sagen. Vorher aber wirst du doch so höflich sein, diesen beiden Gentlemen mitzuteilen, wer ich bin.“

„Das ist ebenso bald gesagt. Du bist Mister Helmers, der Besitzer dieser Farm, und diese Herren sind Mister Hobble-Frank und Masser Sliding-Bob, die dich aufsuchen wollen, um vielleicht etwas von dir zu kaufen.“

Helmers betrachtete die beiden Genannten und bemerkte: „Will sie erst kennenlernen, ehe ich mit ihnen handle. Habe sie noch nie gesehen.“

„Du kannst sie ruhig bei dir aufnehmen. Sie sind meine Freunde.“

„Nun, dann sind sie mir willkommen.“ Helmers streckte Frank und auch dem Schwarzen die Hand entgegen und lud sie ein, sich niederzusetzen.

„Erst die Pferde, Sir“, sagte Frank. „Ihr wisst ja, was die erste Pflicht eines Westmanns ist.“

„Wohl! Aus eurer Sorge für die Tiere ersehe ich, dass ihr brave Männer seid. Wann wollt ihr wieder fort?“

„Wir sind vielleicht gezwungen, einige Tage hier zu bleiben, da wir gute Kameraden erwarten.“

„So führt die Pferde hinter das Haus und ruft nach Herkules, dem Neger! Der wird euch in allem zu Diensten sein.“

Die beiden folgten dieser Aufforderung. Helmers blickte ihnen kopfschüttelnd nach und sagte zu Bloody-Fox.: „Sonderbare Kerle hast du mir da gebracht! Einen französischen Rittmeister mit schwarzer Haut und einen Gentleman von vor fünfzig Jahren mit ostrich-feather-hat[1]. Das fällt selbst hier im fernen Westen auf.“

„Lass dich nicht irre machen, Alter! Ich will dir nur einen einzigen Namen nennen, dann wirst du ihnen trauen. Sie sind gute Bekannte von Old Shatterhand, den sie hier erwarten.“

„Was sagst du?“, rief der Farmer. „Old Shatterhand will nach Helmers’ Home kommen? Von wem hast du das? Von den beiden?“

„Nein, vom Dicken Jemmy.“

„Auch den hast du getroffen? Im bin ihm nur zweimal begegnet und möchte ihn gern einmal wieder sehen.“

„Dazu wirst du bald Gelegenheit haben. Er und der Lange Davy gehören zu der Gesellschaft, die die beiden bei dir erwarten.“

Helmers zog schnell einigemale an seiner Pfeife, die ihm ausgehen wollte. Dann rief er, indem sein Gesicht vor Freude glänzte: „Welch eine Freudennachricht! Ich muss gleich zu meinem alten Bärbchen laufen, um ihr mitzuteilen, dass...“

 

„Halt!“, unterbrach Bloody-Fox den Farmer und hielt ihn am Arm fest. „Erst will ich hören, was sich dort auf den Plains begeben hat!“

„Ein Verbrechen natürlich“, entgegnete Helmers, indem er sich wieder zu ihm wandte. „Wie lange warst du nicht bei mir?“

„Fast zwei Wochen.“

„So hast du auch die vier Familien nicht bei mir gesehen, die über den Llano wollten. Sie sind seit über einer Woche fort von hier, sind aber drüben nicht angekommen. Wallace, der Trader, ist von drüben herüber. Sie müssten ihm begegnet sein.“

„Waren die Pfähle in Ordnung?“

„Eben nicht. Hätte er die Wüste nicht seit zwanzig Jahren so genau kennengelernt, so wäre er verloren gewesen.“

„Wo ist er hin?“

„Er liegt oben in der kleinen Stube, um sich auszuruhen. War bei seiner Ankunft halb verschmachtet, hat aber trotzdem nichts genossen, um nur gleich schlafen zu können.“

„Ich muss zu ihm und ihn trotz seiner Müdigkeit wecken. Er muss mir erzählen!“

Der junge Mann eilte erregt fort und verschwand im Eingang des Hauses. Der Farmer setzte sich wieder und rauchte seine Pfeife weiter. Mit der Verwunderung über die große Eile des Jünglings fand er sich durch ein leichtes Kopfschütteln ab. Dann nahm seine Miene den Ausdruck behaglicher Genugtuung an. Der Grund hierzu war leicht aus den Worten zu erkennen, die er vor sich hin murmelte: „Der Dicke Jemmy! Hmm! Und gar Old Shatterhand! Hmm! Und solche Männer bringen nur tüchtige Kerle mit! Hmm! – Eine ganze Gesellschaft wird kommen! Hmm! Aber ich wollte es doch meinem Bärbchen sagen, dass...“

Helmers sprang auf, um die erfreuliche Neuigkeit seiner Frau mitzuteilen, blieb jedoch abermals stehen, denn soeben kam Frank um die Ecke des Hauses auf ihn zu.

„Nun, Sir, habt Ihr den Neger gefunden?“, fragte ihn Helmers.

„Ja“, entgegnete Frank. „Bob ist bei ihm und so kann ich ihnen die Pferde überlassen. Ich muss vor allen Dingen wieder zu Euch, um Euch zu sagen, wie sehr ich mich freue, einen Kollegen gefunden zu haben.“ Er sprach Englisch, wie überhaupt bisher alles in englischer Sprache gesagt worden war.

„Einen Kollegen?“, fragte der Farmer. „Wo denn?“

„Hier! Euch meine ich! Bloody-Fox hat mir erzählt, dass Ihr Oberförster gewesen seid.“

„Das ist richtig.“ „Also sind wir Kollegen, denn auch ich war ein Jünger der Forstwissenschaft.“

„Ah! Wo denn, mein Lieber?“

„In Deutschland, in Sachsen sogar.“

„Was? In Sachsen? So sind Sie ein Deutscher? Warum sprechen Sie da Englisch? Bedienen Sie sich doch Ihrer schönen Muttersprache!“

Das sagte Helmers auf Deutsch und sofort fiel Hobble-Frank ein: „Mit größtem Vergnügen, Herr Oberförschter! Wenn es sich um meine angestammte Muttersprache handelt, dann gehe ich off der Stelle druff ein. Mit Stolz sage ich Ihnen: Ich war Forschtgehilfe in Moritzburg bei Dresden, wissen Sie, wo sich das Schloss mit den berühmten Karpfenteichen befindet.“

Helmers war über die Ausdrucksweise des kleinen Sachsen zunächst etwas verdutzt. Er drückte dem Herrn Kollegen die freundlich dargebotene Hand, lud ihn ein, sich niederzusetzen, und versuchte, dadurch Zeit zu gewinnen, dass er sich ins Haus begab, um eine Erfrischung herbeizuholen. Als er zurückkehrte, hatte er zwei Flaschen und zwei Biergläser in der Hand.

„Sapperment, das is günstig!“, rief Frank. „Bier! Ja, das lass ich mir gefallen! Beim edlen Gerstenstoff öffnen sich am leichtesten die Schleusen männlicher Beredsamkeit. Wird denn hier in Texas ooch schon Bier gebraut?“

„Sehr viel sogar. Sie müssen wissen, dass es in Texas über vierzigtausend Deutsche gibt, und wo der Deutsche hinkommt, da wird sicherlich gebraut.“

„Ja, Hopfen und Malz, Gott erhalt’s! Brauen Sie die liebe Gottesgabe selber?“

„Nein! Ich lasse mir, so oft es passt, einen Vorrat aus Coleman City kommen. Prosit, Herr Frank!“

Helmers hatte die Gläser gefüllt und stieß mit Frank an. Der aber meinte: „Bitte, Herr Oberförschter, zieren und fürchten Sie sich nicht. Ich bin ein höchst leutseliger Mensch. Darum brauchen Sie mich nich Herr Frank zu titulieren. Sagen Sie ganz einfach Herr Kollege! Da kommen wir beide gleich am besten weg.“

„Ganz recht!“, nickte Helmers lachend. „Sie sind der Mann, der mir recht gefallen kann.“

„Natürlich! Aber wo steckt denn eigentlich unser guter Bloody-Fox?“

„Er ist zu einem Gast gegangen, um eine Erkundigung einzuziehen. Wo haben Sie ihn getroffen?“

„Draußen am Bach, ungefähr eine Stunde von hier.“

„Ich dachte, Sie wären längere Zeit beisammen gewesen.“

„Das ist nich im Mindesten nötig. Ich habe so etwas anziehend Sympathetisches an mir, dass ich immer schnell mit aller Welt befreundet werde. Der junge Mann hat mir bereits seinen ganzen Lebenslauf off das Geheimnisvollste anvertraut. Wissen Sie nischt Näheres über ihn?“

„Wenn er ihnen seinen ganzen Lebenslauf erzählt hat, nein.“

„Wovon lebt Fox denn eigentlich?“

„Hm! Er bringt mir zuweilen einige Nuggets. Daraus schließe ich, dass er irgendwo einen kleinen Goldfund gemacht hat.“

„Das will ich ihm gönnen, zumal er ein Deutscher zu sein scheint. Es muss schrecklich sein, nich zu wissen, unter dem wie vielten Äquator die erschte Lebenswiege der betreffenden Persönlichkeit gestanden hat.“

In diesem Augenblick trat Bloody-Fox wieder aus dem Haus und kam auf die beiden zu. Er sah noch ernster aus als vorher und wandte sich an Helmers: „Das ist ja schrecklich, was mir da Wallace berichtet! Ich kann jetzt nur an die armen Menschen denken, die im Llano Estacado ermordet wurden.“

„Menschen sind ermordet worden?“, fragte der gutmütige Hobble-Frank voller Mitleid. „Im Llano? Wann denn?“

„Das weiß man nicht. Sie sind vor über acht Tagen von hier fort, aber nicht jenseits der Wüste angekommen. Folglich sind sie zu Grunde gegangen.“

„Vielleicht doch nicht. Sie werden wohl in anderer Richtung geritten sein, als sie ursprünglich beabsichtigten.“

„Gerade das ist es ja, was ich befürchte. Von hier aus ist es nur in einer einzigen Richtung möglich, über die Plains zu gelangen. Diese Strecke ist ebenso gefährlich wie zum Beispiel die Sahara oder die Wüste Gobi. Es gibt im Llano Estacado keine Brunnen, keine Oasen und auch keine Reitkamele, die viele Tage lang zu dürsten vermögen. Das macht diese Strecke so fürchterlich, obgleich sie kleiner ist als die große afrikanische oder asiatische Wüste. Es gibt keinen gebahnten Weg. Deshalb hat man die Richtung, wohin der Ritt allein möglich ist, mit Pfählen abgesteckt, wovon die Wüste ihren Namen hat. Wer über diese Pfähle hinaus gerät, der ist verloren. Er muss den Tod des Verschmachtens sterben. Hitze und Durst verzehren ihm das Hirn. Er verliert die Fähigkeit des Denkens und reitet so lange im Kreis herum, bis sein Pferd unter ihm zusammenbricht und er nicht weiter kann. Es gibt nur sehr wenige, die den Llano so genau kennen, dass sie sich auch ohne Pfähle zurechtzufinden vermögen. Aber wie nun, wenn von Mordbuben die Pfähle falsch gesteckt werden?“

„Das wäre ja teuflisch!“, fuhr Frank entsetzt auf.

„Gewiss“, fiel Helmers ein, „und dennoch kommt es vor. Es gibt Verbrecherbanden, deren Mitglieder die Pfähle aus der Erde ziehen und in falscher Richtung wieder befestigen. Wer ihnen nun folgt, ist verloren. Die Pfähle hören plötzlich auf und der Reiter sieht sich inmitten des Verderbens und kann keine Rettung mehr finden.“

„So reitet er längs der Pfähle zurück!“

„Dazu ist’s zu spät, denn er ist bereits so tief im Estacado, dass er das Grasland nicht mehr zu erreichen vermag. Die Räuber brauchen ihn gar nicht zu töten. Sie warten einfach, bis er verschmachtet ist, und rauben dann seinen Leichnam aus. So ist es bereits oft geschehen.“

„Aber kann man die Kerle denn nicht unschädlich machen?“

Als Helmers gerade antworten wollte, wurde seine Aufmerksamkeit durch einen Mann in Anspruch genommen, der soeben langsam um die Ecke des Hauses kam. Er war ganz in schwarzes Tuch gekleidet und trug ein kleines Bündel in der Hand. Seine lange Gestalt war schmal und engbrüstig, sein Gesicht hager und spitz. Der hohe Klapphut, der ihm tief im Nacken saß, gab ihm, zumal er eine Brille trug, im Verein mit dem dunklen Anzug das Aussehen eines Geistlichen.

Er trat mit eigentümlich schleichenden Schritten näher, griff leicht an den Rand seines Hutes und grüßte: „Good day, Mesch’schurs[2]! Komme ich hier richtig zu John Helmers Esquire?“

Helmers betrachtete den Mann mit einem Blick, aus dem zu ersehen war, dass er kein großes Wohlgefallen an ihm fand, und antwortete: „Helmers heiße ich, ja, aber den Esquire könnt Ihr getrost weglassen. Ich bin weder Friedensrichter, noch liebe ich überhaupt dergleichen Bemerkungen. Das sind doch nur faule Äpfel, mit denen sich ein Gentleman nicht gern bewerfen lässt. Da Ihr meinen Namen kennt, darf ich vielleicht auch den Eurigen erfahren?“