Christus oder Mohammed

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Christus oder Mohammed
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KARL MAY
CHRISTUS ODER MOHAMMED

REISEERZÄHLUNG AUS DEM ORIENT

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 10

„SAND DES VERDERBENS“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1302-0

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

CHRISTUS ODER MOHAMMED

1. In Marseille

2. Eine stürmische Überfahrt

3. Unerwartete Begegnung

4. Vater unser, der du bist im Himmel

CHRISTUS ODER MOHAMMED
1. In Marseille

Wenn der Bürger von Marseille Gelegenheit findet, über die Vorzüge und Schönheiten seiner Vaterstadt zu sprechen, so pflegt er zu sagen: ,Wenn Paris eine Gannebiere hätte, so wäre es ein kleines Marseille.‘ Dieser Vergleich ist übertrieben, doch gewiss nicht ohne Berechtigung. Die Gannebiere ist die größte und, wenigstens früher, schönste Straße von Marseille: Sie durchschneidet die ganze Stadt und mündet auf den Hafen. Und der Bewohner dieser größten Stadt Südfrankreichs besitzt auch sonst ein volles Recht, auf seine Heimat stolz zu sein. Marseille hat milde, herrliche Witterungsverhältnisse, ägyptisch klare Nächte und trotz der südlichen Lage eine Luft von ewig gleicher Frische. Hier strömen alle Völker der Erde zusammen, der zugeknöpfte, steife Engländer, der feurige Italiener, der smarte Yankee, der listige Grieche, der verschmitzte Armenier, der schwerblütige Türke, der wortkarge Araber, der schmächtige Hindu, der Zopf tragende Chinese und der in allen Farben vom schmutzigen Dunkelbraun bis zum tiefsten Schwarz spiegelnde Bewohner Innerafrikas.

In dem bunten Gemisch von Rassen, Farben, Trachten und Sprachen herrscht hier das östliche Gepräge vor; es erteilt Marseille jenen asiatisch-afrikanischen Einschlag, den man in einer anderen Hafenstadt Frankreichs vergebens suchen würde. Wer hinüber nach Algier oder Tunis will, der findet hier die beste Gelegenheit, sein Auge auf die Farben und sein Ohr auf die Klänge des Schwarzen Erdteils vorzubereiten.

Was mich betrifft, so hatte ich noch vor kurzem nicht geahnt, dass ich mich so bald am Mittelmeer befinden würde. Mein Freund, der Kapitän Frick Turnerstick, der vielen meiner Leser als tüchtiger Seemann und Beherrscher vieler Sprachen bekannt sein wird[1], hatte mich durch folgendes aus Harwich an mich gerichtete Schreiben aus meiner häuslichen Ruhe gestört:

„Liewer Charley! Hier liegge ich vor Anker und werde heut übber quinze jours to weigh anchor, um nach Antwerpen zu seggeln und Euch dort bey Grootvader Leidekker abzuhohlen. Ich faahre übber Marseille ins Thunis und würdte Euch rundum verachten, wenn Ihr at home bliept und nicht would be willing, als meyn Gasst an Bord zu mounten. Lebt wohl und kommt! Ich expect Euch mit Security.

Your old Frick Turnerstick.”

Was sollte ich tun? Daheim bleiben und mich ,rundum verachten‘ lassen? Nein! Es war mir Herzensbedürfnis, den braven Gefährten wieder zu sehen, und eine Fahrt nach Tunis und vielleicht noch weiter versprach obendrein allerlei Abenteuer. Ich beschloss also der Einladung zu folgen, packte meine Sachen und traf noch vor der angegebenen Zeit in Antwerpen ein. Dort brauchte ich zwei Tage, um den ,Grootvader Leidekker‘ zu erfragen. Er wohnte im nahen Burgerhout und war der Besitzer eines kleinen, aber berühmten Gasthauses, in dem meist nur Seekapitäne zu verkehren pflegten. Am dritten Tag traf Turnerstick dort ein. Seine Freude darüber, dass ich seinen Wunsch erfüllt hatte, war aufrichtig. Es wurde in Eile ein Willkomm getrunken und dann zog er mich fort, um mir sein neues Barkschiff ,The Courser‘ zu zeigen. Er hatte es sich nach seinen eigenen Angaben bauen lassen und floss des Lobes über, indem er es als den schnellsten Segler der Handelsflotten aller Völker bezeichnete. Die Ladung bestand in Waffen und englischen Web- und Eisenwaren, mit denen er in Tunis ein gutes Geschäft zu machen gedachte. In Antwerpen wollte er noch Spitzen, Zwirn und Gold- und Silbertressen aufnehmen, Gegenstände, die von den Mauren und Berbern stets gesucht werden. In Marseille sollten Seidenzeuge, Gerberei- und Kurzwaren, Geschmeide, Seifen und Kerzen hinzukommen. Die schon vorher bestellte Fracht war bald an Bord genommen, und dann ging es die Westerschelde hinab, in die Nordsee hinein und dem Kanal entgegen.

Turnerstick hatte seinen ,Courser‘ mit Recht gelobt. Die Bark war im Verhältnis von 1 zu 8 gebaut und zeigte Linien, die die Bewunderung jedes Sachverständigen erregen mussten. Der Bau des Schiffes bekundete die Geschicklichkeit des Baumeisters, und die Ausrüstung und Einrichtung waren bei aller Zweckmäßigkeit so nett, so gefällig, dass der Kapitän wohl stolz darauf sein konnte, der geistige Schöpfer zu sein. Wir hatten ununterbrochen guten Wind, machten eine außergewöhnlich schnelle Fahrt und legten zwei volle Tage früher, als Turnerstick vorhergesagt hatte, am Port de la Joliette von Marseille an.

Während sich der Kapitän hier zunächst seinen Pflichten widmen musste, wanderte ich in der Stadt umher, um die Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen, die neue, prächtige Kathedrale, die gotische Michaeliskirche, das Hotel-Dieu und vor allen Dingen die reichhaltige Bücherei, die sich in dem herrlichen Gebäude der École des Beaux Arts befindet. Dann, als Turnerstick Zeit gewonnen hatte, besuchten wir miteinander den Ort, der ihn am meisten ansprach, nämlich den Zoologischen Garten, der hinter dem stattlichsten Bauwerk Marseilles, dem Château d’Eau oder Palais de Longchamp, liegt.

Als wir den Zoo in seiner ganzen Länge und Breite durchschritten und alle Abteilungen in Augenschein genommen hatten, fühlten wir uns ermüdet und rasteten deshalb auf einer Bank. Sie stand unter einer Platane, an der schmalen Zunge eines dichten, länglichen Gesträuchs. An der anderen Seite erhob sich über den Zweigen des niedrigen Gebüsches ein hölzernes Kruzifix. Eine Inschrift darauf besagte, dass an dieser Stelle einer der Wärter von einem ausgebrochenen Panther zerrissen worden sei; hieran war die Bitte geschlossen, für den Verunglückten zu beten.

Da wir Wochentag hatten, kam nur selten jemand an dieser abgelegenen Stelle vorüber. Turnerstick erzählte mir seine neueren Erlebnisse und wir zündeten uns dazu eine Zigarre an.

Da vernahmen wir deutlich die Schritte zweier Leute, die sich hinter dem Gebüsch näherten und bei dem Kreuz stehen blieben.

„Allah vernichte dieses Land!“, hörte ich den einen in arabischer Sprache sagen. „Überall stehen diese Götzenbilder, die dem wahren Gläubigen ein Gräuel sind und vor denen diese Christenhunde die Würde ihrer Häupter entweihen.“

„Vergiss nicht, dass auch ich ein Christ bin!“, antwortete der andere ebenfalls in arabischer Sprache, aber so gebrochen, dass zu vermuten stand, er sei wohl eher gewohnt, sich des Französischen zu bedienen.

„Oh“, lautete die Entgegnung, „du bist klug genug, um diese Abgötterei als verderblich zu erkennen. Du bist ein Rumi[2] und magst von dem Baba[3] nichts wissen, der in Rom auf seinem falschen Thron sitzt. Die Lehre des Propheten ist die allein richtige. Er hat alles Bildwerk verboten, und wohin der Islam gedrungen ist, hat er die Bildnisse verbrannt und ausgerottet. Kannst du mir sagen, was auf diesem Kreuz zu lesen steht?“

„Ja. Ein Panther ist aus dem Käfig gebrochen und hat an dieser Stelle einen Beamten des Gartens zerrissen. Nun hat man dieses Kreuz errichtet, damit der Vorübergehende für den Toten beten soll.“

Der Sprecher hatte diese Erklärung in lachendem Ton gegeben. Der Muslim meinte verächtlich:

„O Allah, was für Dummköpfe diese Christen sind! Sie verdienen, angespien zu werden. Hat euer Christus den Mann retten können? Nein! Und nachdem er zerrissen ist, setzt man ein Kreuz hierher. Das Gebet kommt zu spät. Was kann es nützen!“

„Es ist für das Heil seiner Seele.“

„Lass dich nicht auslachen! Für die Seele eines toten Christen gibt es kein Heil, denn alle Anhänger dieser Götzendienerei müssen in die Hölle wandern. Wäre ich an der Stelle des Getöteten gewesen, so hätte ich den Namen des Propheten angerufen und der Panther wäre voller Schreck entwichen. Vor dem Gebet eines Christen aber fürchtet sich keine Katze. Wie machtlos euer Jesus samt euern Kreuzen ist, werde ich dir sofort zeigen.“

Dabei hörte ich ein Prasseln und Knacken, sodass ich annahm, er werde das Kreuz umstürzen. Ich wollte aufspringen, um ihn zu hindern. Aber Turnerstick, der die Worte nicht verstanden hatte, hielt mich zurück, um eine leise Erklärung zu erhalten. Ich gab sie ihm kurz und schnell und erhob mich dann, aber zu spät. Der in der Erde steckende Teil des Schaftes war angefault; er zerbrach und das Kreuz stürzte derart nach unserer Seite herüber, dass es den Kapitän am Kopf traf. Turnerstick sprang auf und folgte mir schnell um die Ecke des Buschwerks nach der anderen Seite, wo die beiden Männer standen.

In dem einen erkannte ich infolge seiner Gesichtsbildung sofort den Armenier. Er trug eine Schaffellmütze, kurze Jacke, weite Hosen und hohe Schaftstiefel; im Gürtel steckte ein Messer. Der andere war ein Beduine. Ich schätzte sein Alter auf etwa fünfzig Jahre. Die lange, starkknochige Gestalt war in einen weißen Burnus gehüllt. Auf dem Kopf saß der rote Fez, um den ein Turbantuch von der gleichen Farbe gewickelt war. Das hagere Gesicht war das eines blindgläubigen Mohammedaners. Er zeigte sich über unser Erscheinen nicht etwa erschrocken, sondern blickte uns mit seinen dunklen, stechenden Augen beinahe höhnisch entgegen.

 

„Was fällt euch ein!“, rief der zornige Kapitän in seinem amerikanischen Englisch. „Wie könnt ihr es wagen, dieses Kreuz umzustürzen und auf mich zu werfen!“

„Was will dieser Mann?“, fragte der Muslim, indem er sich an seinen Begleiter wandte, den er wohl als Dolmetscher bei sich hatte. An seiner Stelle antwortete ich:

„Du hast soeben etwas getan, was hierzulande streng bestraft wird. Du hast das Bild des Gekreuzigten geschändet, und wenn wir dich bei der Obrigkeit anklagen, wird man dich ins Gefängnis werfen.“

Er maß mich mit einem vernichtenden Blick und fragte:

„Wer bist du, dass du es wagst, in dieser Weise mit mir zu sprechen?“

„Ein Christ bin ich, und als solcher habe ich die Verpflichtung, dich anzuzeigen.“

„Ein Christ bist du? Und doch sprichst du die Sprache der Gläubigen wie ein echter Muslim? Dann gleichst du der Schlange, deren Zunge zwei Spitzen hat und giftig ist. Du kennst mich nicht und wirst auch nie die Gnade erfahren, dass mein Name an deine Ohren klingt. Aber ich sage dir so viel, dass ich ein Mann bin, der gewohnt ist, verächtlich auszuspucken, wenn ein räudiger Christenhund ihn anbellt.“

Und wirklich spuckte er dreimal vor mir aus, und zwar so, dass er mich beim dritten Mal traf. Nun, ich bin ein ruhiger Mensch und pflege mich nicht vom Zorn fortreißen zu lassen. Hier aber dachte ich nicht an Abwehr in zierlich gesetzten Worten. Kaum hatte sein Geifer meinen Rock berührt, so saß ihm meine Faust im Gesicht und er stürzte zu Boden. Er raffte sich schnell auf und griff nach mir. Doch schnell hatte Turnerstick ihn beim Nacken, drückte ihn wieder nieder und rief mir zu:

„Charley, holt Polizei! Ich beschlagseisinge indessen dem Kerl die Segel so fest, dass er binnen einer Stunde nicht um einen halben Zoll vorwärts kommen soll.“

Der Dolmetscher war so bestürzt, dass er sich nicht rührte. Ich zauderte, der Mahnung des Kapitäns Folge zu leisten. Vielleicht hätte ich den Muslim mit der bisherigen Lehre entkommen lassen. Aber da näherte sich, gerade wie gerufen, ein Gartenaufseher, der, als er die ungewöhnliche Gruppe bemerkte, rasch herbeikam und fragte, was hier vorgehe. Während Turnerstick mit seinen Seemannsfäusten den Übeltäter noch immer fest am Boden hielt, erzählte ich, was geschehen war. Der Dolmetscher versuchte zu beschönigen, hatte aber angesichts des umgestürzten Kreuzes keinen Erfolg. Das Ergebnis war, dass wir dem Beamten zum Direktor folgen mussten. Dieser nahm meine und des Kapitäns Aussage entgegen und entließ uns dankend. Die beiden anderen behielt er bei sich, um sie, wie er sagte, streng bestrafen zu lassen.

Wir befanden uns in der Nähe des Gartenausgangs, wo sich eine Gaststätte befand. Dort setzten wir uns im Freien an einen leeren Tisch, um ein Glas Wein zu trinken. Nach ungefähr einer Viertelstunde sahen wir zu unserem Erstaunen die beiden Schuldigen kommen mit dem Ausdruck der Befriedigung in den Gesichtern. Sie erblickten uns. Der Araber kam herbei, blieb, allerdings in vorsichtiger Entfernung, vor mir stehen und zischte mich grimmig an:

„Zwanzig Franken Strafe, die schenke ich Frankreich gern; dir aber ist nichts geschenkt! Du hast einen Muslim geschlagen, und kein christliches Kreuz soll dich vor meiner Rache schützen!“

Ich beachtete ihn einfach nicht und er entfernte sich in stolzer Haltung und mit so würdevollen Schritten, als sei er als Sieger aus dem Streit hervorgegangen. Als ich Turnerstick die Drohung übersetzt hatte, meinte er:

„Hätte er das mir gesagt, so hätte ich ihn auf der Stelle niedergesegelt. Nun dampft er, stolz wie ein Panzerschiff, von dannen und meint wohl gar, wir fürchteten uns vor ihm.“

„Nun, Furcht fühle ich nicht, aber vorsichtig müssen wir sein. Wir sind hier zwar nicht in einem arabischen Duar[4], doch einem solchen Beduinen ist es zuzutrauen, dass er in seinem Grimm darauf keine Rücksicht nimmt. Nach seiner Anschauung ist ein Faustschlag ins Gesicht nur mit Blut abzuwaschen.“

Nach kurzer Zeit brachen wir auf, um uns nach dem Hafen und auf das Schiff zu begeben. Unterwegs erblickten wir unsere beiden Feinde in einem Durchgang. Sie ließen uns vorüber und folgten uns dann. Wir machten verschiedene Umwege, doch es gelang uns nicht, sie von unserer Spur abzubringen. Schließlich schlug Turnerstick vor, nach Schloss If zu rudern. Er hatte den ,Grafen von Monte Christo‘ von Dumas gelesen und wollte nun das unterirdische Gefängnis des Helden dieses Romans besichtigen. Es befindet sich auf Schloss If und wird jedermann gegen ein geringes Entgelt gezeigt. Ich mag Dumas’ Romane nicht, aber da sich dort auch das Zimmer befindet, in dem Mirabeau im Jahre 1774 gefangen saß, so willigte ich ein. Wir nahmen also ein kleines Boot, um den Vorschlag des Kapitäns auszuführen und dadurch die beiden Verfolger von uns abzubringen.

Turnerstick zeigte solche Teilnahme für seinen unmöglichen Grafen, dass er nur schwer aus dem angeblichen Kerker fortzubringen war. Und der Mann, der uns das Loch zeigte, wusste so viel zu erzählen, dass es fast dunkel geworden war, als wir wieder von der Ile du château d’If abstießen.

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