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Am Stillen Ozean

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Am Stillen Ozean
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Der Ehri

Potomba

Ein heiterer, wolkenloser Himmel breitete sich über uns aus; aber das strahlende Licht der Sonne vermochte die finstern Schatten nicht zu verscheuchen, welche auf den Zügen der wackern Seeleute lagen, die mit mir um das lodernde Feuer saßen, an welchem wir unser Mittagsmahl bereiteten.

Vor uns lag der niedrige Strand, von drei scharfen, gefährlichen Korallenringen umgeben, außerhalb deren die See ihre weiten, glänzenden Wogen wälzte, während zwischen ihnen und der Küste das Wasser so unbewegt lag, als habe nie ein Sturm in diesen sonnendurchglühten Breiten getobt. Hinter uns stieg das Land zur Höhe, hier und da von grünen Eucalyptussträuchern, dichten Melaleuceen (Theebäumen) und Gruppen von Callitrisconiferen bestanden, unter und zwischen denen zahlreiche Akazia – und andere feinstielige Leguminosen-Arten eine dichte Bodenbekleidung bildeten. Auf dem höchsten Punkte der Insel stand Bob, der Zimmermann, denn an ihm war die Reihe, mit dem Fernrohre unausgesetzt den Horizont abzusuchen nach irgend einer Art von Segel, welches uns Befreiung aus unserer nichts weniger als angenehmen Lage bringen konnte.

Wir hatten mit unserm guten Dreimaster »Poseidon« vor nunmehr sechs Wochen Valparaiso verlassen, um nach Hongkong zu segeln, in kurzer Zeit die sehr befahrenen Linien nach Callao, Guayaquill, Panama und Acapulco durchschnitten und waren dann in schneller, glücklicher Fahrt vor einem steifen Südostpassat immer scharf nach West gegangen, bis auf der ungefähren Höhe von Ducir und Elisabeth der Passat in einen Orkan umschlug, wie ich ihn von solcher Stärke und Unwiderstehlichkeit während meiner vielen Fahrten noch niemals erlebt hatte.

Wir waren gezwungen gewesen, alle Leinwand, außer dem Sturmsegel, einzuziehen, und dennoch hatte der »Poseidon« einen Spielball der empörten Wogen gebildet, der durch keine menschliche Einsicht, Kraft und Geschicklichkeit zu regieren gewesen war. Jetzt lag unser Dreimaster gestrandet draußen zwischen den verräterischen Korallenklippen; der Kutter war über Bord gerissen worden; die Schaluppe hatte bei unserer Landung ein unheilbares Leck bekommen, und das Langboot stak auf einem spitzen, haarscharfen Riff, welches sich wie ein malayischer Dolch in seinen Bug gebohrt hatte.

Die Brandung draußen riß Planke um Planke von dem Schiff, welches unrettbar verloren war, und wir hatten zwei Tage lang unter Anstrengung aller Kräfte arbeiten müssen, um von der Fracht und dem Proviante so viel zu bergen, als wir der gefräßigen See zu entreißen vermochten.

Nun war es mit der schweren Arbeit zu Ende, und wir saßen, wie bereits gesagt, zwischen großen Warenballen und Fässern um das Feuer und bemühten uns, einer den andern an Düsterheit der Mienen zu übertreffen.

Seitwärts stand Kapitän Roberts und war bemüht, die Länge und Breite zu berechnen. Wir hatten seit früh wieder freien Himmel, und es konnte ihm also jetzt, da sämtliche astronomische und nautische Instrumente gerettet worden waren, nicht schwer werden, seine Aufgabe genau zu lösen.

»Nun, Kapt’n, seid Ihr fertig?« fragte der Steuermann, indem er ein mächtiges Stück Salzfleisch vom Feuer nahm, um die Bratschärfe zu prüfen, die es erlangt hatte.

»Aye, aye, Maat; bin fertig!« lautete die Antwort.

»Wo sind wir?«

»Wir sitzen anderthalb Grad nördlich vom Steinbock auf dem zweihundertneununddreißigsten Grad östlich von Ferro.«

»Wollte, wir säßen daheim in Hobokken bei Mutter Grys und hätten einen festen Stuhl oder Schemel unter uns und ein Glas Steifen vor der Nase. Was meint Ihr wohl zu dieser Insel, Kapt’n? Wird ihr Name ausfindig zu machen sein?«

Der Kapitän neigte bedenklich den Kopf.

»Hier giebt es mehr Inseln als Pockennarben in Euerem Gesichte, und das ist ziemlich viel gesagt, wie Ihr wohl wißt, Maat. Habt Ihr für jede Narbe gleich den richtigen Namen bei der Hand?«

Der Steuermann bemühte sich, das Kompliment, welches der Vergleich für ihn enthielt, mit einem allerdings sehr sauren Lächeln zu erwidern.

»Habe noch nie daran gedacht, meine ehrliche Physiognomie zu benamsen, Kapt’n. Aber wenn dieses unglückselige Stück Koralle hier noch keinen Namen hat, so sind wir wahrhaftig gezwungen, ihm einen zu geben. Ich schlage vor, wir heißen das Eiland Maatepockeninsel!«

Er schien seinen Witz für außerordentlich geistreich zu halten, denn die Gesichtssäure verschwand, und neben dem riesigen Stücke Kautabaks, welches er im Munde hatte, drängte sich ein Lachen hervor, das nicht kräftiger und herzlicher gedacht werden konnte.

Die Schiffsdisziplin ist eine außerordentlich exakte, und selbst der »unbefahrenste« Seejunge weiß, daß alle einstimmen müssen, wenn der Kapitän oder der Maat so gnädig ist, zu lachen; nur muß der eine sich leiser und der andere lauter beteiligen, je nach dem Range, den er auf der Schiffsliste einnimmt. Daher öffneten jetzt alle Mannen vom Hochbootsmann an bis herab zum Kajütenhelp die Lippen, um ihre Lachmuskeln pflichtschuldigst in Bewegung zu setzen. Sogar der Kapitän verzog den Mund, als wolle er ein beistimmendes Lächeln versuchen, und meinte dann:

»Ich denke, wir befinden uns so zwischen Holt und Miloradowitsch auf einem weit nach West vorgeschobenen Platze. Was meint Ihr, Master Charley?«

Ich war auf dem Schiffe der einzige Passagier gewesen, mit dem sich der sonst sehr schweigsame Kapitän unterhalten hatte; es war mir vorgekommen, als ob ich mich seiner Zuneigung rühmen dürfe, und er hatte wirklich die Gewohnheit angenommen, mich mehr zu Rate zu ziehen, als es sonst von einem Seemanne einem Laien gegenüber zu geschehen pflegt. Daher kam es, daß die Mannschaft einen gewissen Respekt vor mir hegte, der mir in manchen Fällen sehr zu statten kam und sehr oft eine kleine Bevorzugung oder Erleichterung zur Folge hatte.

»Meine Berechnung vorhin stimmt ganz mit der Eurigen, Sir,« antwortete ich. »Zwar bin ich in diesen Gegenden noch nie gewesen, aber ich habe mich über sie sehr genau unterrichtet. Sicher ist es jedenfalls, daß wir uns auf einer der Pomatu-Inseln befinden, obgleich dieses Eiland eine andere Form zeigt, als man bei den andern gesehen hat.«

»Ich war auch noch nicht hier,« gestand der Kapitän. »Wollt Ihr mir wohl sagen, wie die Pomatu-Inseln gebaut sind?«

»Sie sind korallischen Ursprunges, meist rundlich gebaut und nicht viel höher als das Niveau des Meeres. Sie haben in ihrer Mitte meist einen kleinen See und tragen gewöhnlich auf dem harten Korallengrund eine fruchtbare Humusdecke. Der Archipel wurde zuerst von dem Spanier Quiros im Jahre 16o6 entdeckt und zerfällt in mehr als sechzig Gruppen.«

»Wie weit rechnet Ihr von hier bis nach den Gesellschafts-Inseln?«

»Sie liegen, wie Ihr wohl wißt, in der Richtung von Südost nach Nordwest zwischen dem zehnten bis achtzehnten Grad südlicher Breite und dem zweiundzwanzigsten Grad zu zweihundert östlicher Länge; wir haben also, wenn wir erst genau West nehmen und dann grad nach Nord umlegen, sechzehn Grade, und wenn wir die Meridiane und Breitenlinien im Diagonal nach Nordwest schneiden, vierzehn Grade zu durchmessen.«

Roberts sah mich bei dieser Auseinandersetzung etwas von der Seite an. Der gute Kapitän war nämlich auf den ihm gewohnten Kursen ein ganz braver Schiffsführer, schien aber in andern Lagen etwas unsicher zu sein.

»Vierzehn Grade; das ist ein langer Weg, besonders wenn man festsitzt und kein Schiff unter den Füßen hat!« brummte er.

»Hm! Ich gab Euch ja den Rat, so viel Holz wie möglich zu bergen, um ein Fahrzeug zu bauen. Wir haben doch den Zimmermann und konnten alle mit Hand anlegen. Auch aus der Schaluppe, wenn wir sie nicht fahren ließen, und dem Kutter hätte sich vielleicht etwas machen lassen. Ihr aber habt das Gut gerettet, und nun sitzen wir fest, wie Ihr ja selbst sagt.«

»Well, Sir, das ist Eure Meinung,« antwortete er unmutig. »Ihr wißt aber, daß in solchen Dingen nur die Ansicht des Kapitäns zu gelten hat. Das Gut ist mir anvertraut, und ich muß es zu retten suchen!«

Das Schiff und das Leben seiner Mannen war ihm ebenso anvertraut, und er hätte die Verpflichtung gehabt, daran zu denken, daß wir, wenn sich kein Schiff zeigte, ohne Fahrzeug hier so viel wie verloren waren. Das Menschenleben ist höher anzuschlagen, als Geld und Gut. Doch ich schwieg, denn meine Erinnerung hatte ihn mürrisch gemacht, und es konnte nicht meine Absicht sein, ihn ernstlich zu erzürnen und mir sein Wohlwollen zu verscherzen oder gar mir seine Feindschaft zuzuziehen.

»Zum Essen!« kommandierte jetzt der Maat, und alles rückte näher, um sich an den dicken Erbsen mit Salzfleisch zu vergnügen. Ich hatte keinen Appetit zu dieser derben Seemannskost und nahm mein Gewehr, um am Strande hinzuschlendern, an welchem ich ganze Scharen Seevögel bemerkt hatte, die hier auf den Pomatu-Inseln[1], sehr zahlreich vorkommen. Ich kehrte wirklich auch schon nach einer Viertelstunde mit reicher Beute zurück und wurde mit einem fröhlichen Hallo empfangen. Die Vögel waren die Feindschaft des Menschen nicht gewohnt, darum hatten meine Schrote mächtig unter ihnen aufgeräumt. Sie wurden schleunigst gerupft und gebraten und lieferten einen Nachtisch, dessen Schmackhaftigkeit den Kapitän wieder in seine gute Laune versetzte.

»Ihr seid ein famoser Kerl, Charley,« meinte er. »Ich könnte so ein Schießinstrument hinhalten, wo ich wollte, ich würde nichts treffen, davon bin ich überzeugt. Ein Ruder führen, ja das bringt man fertig trotz einem, aber einen Braten schießen, hm, das ist doch noch etwas Anderes. Sagt einmal, Charley, ob es hier an Back oder Steuerbord wohl Menschen giebt?«

 

»Ich denke es!«

»Von welcher Sorte?«

»Malayen natürlich. Ihr wißt doch, daß viele der Pomatu-Inseln bewohnt sind!«

»Das weiß ich; aber ob es in der Nachbarschaft Leute giebt, das ist ja für uns die Hauptsache.«

»Möglich wäre es. Wenigstens sollte ich meinen, daß Holt und Miloradowitsch, zwischen denen wir uns wahrscheinlich befinden, Bewohner haben.«

»Ist’s ein gefährliches Volk?«

»Sie sind meist noch Wilde, und man erzählt sich sogar, daß es unter ihnen noch Menschenfresser geben soll.«

»Sehr angenehm, Charley! Wir freilich haben von solchen Leuten nichts zu befürchten, aber ich glaube, wir könnten mit ihnen gar nicht einmal verhandeln; wenigstens kenne ich keinen unter uns, der ihre Sprache versteht.«

Der Steuermann schob sich ein kolossales Stück Salzfleisch zwischen die Zähne und meinte kaltblütig:

»Ich bin es, der sie versteht, Kapt’n.«

»Ihr? Wie? Woher wollt Ihr das gelernt haben?«

»Mit Menschenfressern spricht man nur mit diesem da!«

Er hob das Messer in die Höhe, zog die fürchterlichste Miene, die ihm möglich war, und machte eine Bewegung mit dem Arme, als wolle er jemand erstechen.

»Ihr verstehet doch nicht etwa malayisch, Charley?« fragte der Kapitän.

Ich mußte lächeln. Charley war stets der Mann, von dem der gute Roberts glaubte, daß er alles verstehen müsse.

»Die Wahrheit ist, Kapt’n, daß ich während meines Aufenthaltes auf Sumatra und Malacca mir das eigentliche Malayisch, welches durch den ganzen australischen Archipel Verkehrssprache ist, ein wenig angeeignet habe. Das Kawi, die malayische Priester – und Schriftsprache, verstehe ich nicht; dafür glaube ich, daß ich mich den Bewohnern der Tahiti – und Marquesas-Inseln auch in ihrem Dialekte verständlich machen kann.«

»Dann seid Ihr ja gar kein Deutscher mehr, sondern ein richtiger Polynesier!«

»Die Sache ist sehr einfach die, daß man sich leichter in eine fremde Sprache findet, wenn man während seiner Schülerzeit einen guten philologischen Grund gelegt hat. Bei der Bekehrung der westmalayischen Volksstämme zum Mohammedanismus hat ihre Sprache viel von dem Arabischen angenommen und wird noch jetzt mit wesentlich arabischen Buchstaben geschrieben. Da ich nun das Arabische verstehe, so ist leicht einzusehen, daß mir eine Orientierung im Malayischen nicht viel Mühe gemacht hat.«

»Dann müßt Ihr uns als Dolmetscher dienen, wenn wir mit Polynesiern zusammentreffen sollten.«

»Ahoi-i-i-i-i-h!« erscholl es da von der Anhöhe herab.

Bob mußte etwas Auffälliges bemerkt haben und gab dies mit dem gewöhnlichen Seemannsrufe zu verstehen.

»Ahoi-i-i-i-i-h!« antwortete der Kapitän. »Was ist’s, Zimmermann?«

»Ein Segel in Sicht!«

»Wo aus?«

»Süd nahe bei Ost!«

»Was für eins?«

»Kein Schiff, sondern ein Fahrzeug!«

Der Seemann ist gewohnt, bloß Dreimaster Schiffe zu nennen. Bob hob das Rohr wieder an die Augen und blickte nochmals aufmerksam hindurch. Dann berichtete er, sich wieder zu uns drehend:

»Es ist ein Boot oder so etwas, mit einem Segel, wie ich es in dieser Form noch nicht gesehen habe!«

»Es müßte eine malayische Prawe sein,« meinte ich. »Laßt uns hinaufgehen, um uns zu überzeugen, Kapt’n!«

Die andern mußten zurückbleiben, und wir beide eilten empor. Als wir oben anlangten, war das Segel bereits mit dem bloßen Auge zu erkennen. Ich nahm Bob das Fernrohr ab, blickte hindurch und gab es dann dem Kapitän.

»Da, seht einmal, Kapt’n! Es ist ein Boot von der Art, wie man es auf den Gesellschaftsinseln hat. Seht Ihr den Ausleger an der Seite desselben? Er soll das Kentern (Umwerfen) verhüten, welches sonst leicht möglich wäre, da diese langen, scharfen Fahrzeuge bloß für einen Mann breit genug sind und einen runden Boden haben.«

»Ich gebe Euch recht, Charley! Aber da schaut: eins, zwei, vier, fünf, sieben, acht, zehn, zwölf, dreizehn, vierzehn Segel hinter ihm!« zählte Roberts. »Sie liegen ganz draußen am Horizonte und sind nicht größer als ein Dollar zu sehen. Hier, nehmt das Rohr!«

Ich überzeugte mich, daß er richtig gesehen hatte. Die meisten Punkte wurden größer; wir hatten es mit fünfzehn Fahrzeugen zu thun, welche, wie sich nach ihrem Baue vermuten ließ, je mit einem Manne besetzt waren.

»Tretet hinter dieses Riff!« meinte ich. »Wir wissen nicht, in welcher Absicht sie kommen, und haben also keine Ursache, uns sofort sehen zu lassen.«

»Wird uns der Mann da vorn nicht bereits gesehen haben?« fragte der Zimmermann.

»Nein,« antwortete Roberts. »Wir stehen zwar hoch gegen den Horizont zu seinem Auge, aber bevor wir nicht seinen Bord genau erkennen, kann er auch uns nicht bemerken. Uebrigens muß er ein sehr gewandter und kräftiger Bursche sein. Schaut, Charley, wie geschickt er den Wind und mit den Rudern jede Woge benutzt! Er kommt wahrhaftig wie mit Dampfkraft näher und arbeitet, meiner Treu, als ob er verfolgt würde.«

»Das scheint auch wirklich der Fall zu sein, Kapt’n. Ich kann ihn mit dem Rohre sehr deutlich erkennen und sehe, daß er sich zuweilen erhebt, um zurückzublicken.«

»Was thun wir, Charley?«

»Wir müssen die Sache untersuchen, ehe die andern in Augenweite kommen. Sie mögen ihn verfolgen oder nicht, sie mögen uns freundlich oder feindlich gesinnt sein: wir müssen uns so vorbereiten, als hätten wir einen Angriff zu erwarten.«

»Hm, ja, Ihr habt ganz recht. Aber hm! Werde ich an Bord angegriffen, so weiß ich, was ich zu thun habe; hier zu Lande jedoch hm! Ist es nicht am besten, wenn wir unsere Leute alle hier oben postieren? Wir wären dann gedeckt und könnten das ganze untere Terrain bestreichen.«

»Sehr richtig! Aber ist es nicht besser, sie zwischen zwei Feuer zu nehmen?«

»Wie so?«

»Wir teilen uns. Während wir bei unsern Effekten für alle Fälle eine Wache zurücklassen, nimmt die eine Hälfte hier oben Position, die andere aber geht längs des Strandes vor, um auf jener Klippenreihe da links den Korallenring zu gewinnen. Sind sie dort angelangt, legen sie sich, um nicht bemerkt zu werden, platt zur Erde und eilen, wenn es wirklich zum Kampfe kommen sollte, auf ein Zeichen längs des Ringes bis zu der Stelle da grad vor uns, wo die Korallen die Bucht umschließen, in welche die Malayen allem Anscheine nach eindringen werden. Auf diese Weise sind sie eingeschlossen und müssen sich ergeben, wenn sie nicht sterben wollen.«

»Richtig, ja, das ist das beste, Charley! Aber wie erfahren wir, was diese Leute herbeiführt und welche Gesinnung sie gegen uns haben werden?«

»Ich werde den Mann empfangen und mit ihm sprechen.«

»Wirklich, das wollt Ihr? Wenn er Euch nun tötet?«

»Das wird er nicht thun, Kapt’n; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Diese Leute sind entweder nach alter Weise mit Schleudern, Keulen, Pfeilen und Bogen, Lanzen und Wurfspießen bewaffnet und also einer guten Büchse gegenüber vollständig ungefährlich, oder sie besitzen Schießgewehre, und dann sind dies sicherlich nur alte Musketen und Steinschloßflinten von Anno Tobak her, welche gegen unsere Armatur nicht aufzukommen vermögen. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mit Bob gleich hier bleiben; ich werde das Nötigste anordnen.«

»Thut es, Charley! Ich weiß, daß Ihr sicherlich das Richtige treffen werdet.«

Ich eilte hinab.

»Was habt Ihr gesehen, Sir?« fragte mich der Steuermann, als ich unten anlangte.

»Fünfzehn Wilde, welche in ebensoviel Booten nach der Südbucht kommen.«

»Well, das ist gut, denn dann können wir ja gleich erfahren, welchen Namen diese verwünschte Insel hat. Ihr kommt doch, um uns zu sagen, daß wir uns bewaffnen sollen?«

»Allerdings. Jim und Classen mögen hier bei den Sachen bleiben; Ihr, Maat, geht mit der Hälfte der Leute da hinaus auf den Ring und bewegt Euch auf demselben vorsichtig vorwärts, bis Ihr die Bucht in die Augen bekommt. Da legt Ihr Euch platt nieder, damit Ihr nicht von den Feinden bemerkt werdet. Kommt es zum Kampfe, so erhebt Ihr Euch beim ersten Schusse oder auf ein Zeichen von mir und dem Kapitän und lauft vorwärts, um die Bucht zu umschließen. Habt Ihr mich verstanden?«

»Aye, aye, Sir!«

»Dann vorwärts! Es ist keine Zeit zu verlieren!«

Der Steuermann verteilte schnell Waffen und Munition unter seine Leute und eilte mit ihnen davon.

»Ihr andern geht hinauf zum Kapitän. Nehmt seinen Schiffssäbel und seine Flinte mit, auch für den Zimmermann ein Gewehr.«

Sie hatten sich bereits bewaffnet und schritten der Anhöhe zu. Ich selbst steckte das Messer und den Revolver bei, griff zum Stutzen und eilte längs des Hanges hin, um dem Inhaber des ersten Bootes entgegen zu gehen. Die Insel war nicht groß: ich bekam ihn bereits nach zehn Minuten zu Gesicht. Er näherte sich schon dem Korallenringe, welcher eine nur so breite Durchfahrt frei ließ, daß man sie mit einem guten Anlaufe überspringen konnte. Sein Segel war jetzt gerefft, und er bediente sich bloß der Ruder, um die keineswegs unschwierige Passage zu überwinden.

Es gelang ihm. Die Brandung trieb ihn durch den engen Kanal in das ruhige Wasser der Bucht. Hier erhob er sich hart hinter den Korallen. Er hatte die Ruder weggelegt und zu Pfeil und Bogen gegriffen. Nach der Insel gewandt, legte er den Pfeil auf den Bogen und schoß ab. Der Pfeil erreichte das Land an einer Stelle, welche etwa zwanzig Schritte von der Küste innerwärts lag.

Jetzt war ich gewiß, daß er von den andern verfolgt wurde. Jedenfalls beabsichtigte er, vom Lande aus die Durchfahrt zu verteidigen, und hatte erproben wollen, ob ihm dies mit dem Pfeile möglich sei. Jetzt griff er wieder zum Ruder und kam herbei.

Diese Seite der Insel zeigte eine dichtere Vegetation als die nördliche, auf welcher wir unser Lager aufgeschlagen hatten; es gab hier sehr hohen, breitwedeligen Farn, der ein unbemerktes Anschleichen außerordentlich begünstigte. Ich pirschte mich so schnell wie möglich näher.

Jetzt stieß sein Boot an das Land. Er zog es halb aus dem Wasser, hing sich den Köcher über, nahm den Bogen zur Hand und griff dann auch nach einer Flinte, deren Riemen er über die Schulter legte. Nach der Stelle schreitend, an welcher sein Pfeil lag, hob er denselben auf und marschierte dann in gleich großen Schritten und gerader Linie landeinwärts. Jedenfalls wollte er sich die Distanz abmessen für den Fall, daß seine Verfolger in die Bucht drangen und zu landen versuchten. Sein Benehmen war ganz das eines kühnen und dabei doch vorsichtigen Mannes, der keinen Umstand, welcher ihm nützlich sein kann, unberücksichtigt läßt. Er näherte sich mir dabei so, daß ich ihn deutlich seine Schritte zählen hörte.

»Satu, dua, tiga, ampat, lima, anam, tudschuh, dalapan, sambilan, sapuluh,« zählte er von eins bis zehn und fuhr dann fort: »Sapuluh-satu, sapuluh-dua, sapuluh-tiga – «

»Rorri – halt!« gebot ich da, mich aus dem Farn erhebend und ihm die Hand auf die Schulter legend. »Was thust du hier?«

Er erschrak allerdings über mein so plötzliches Erscheinen, hatte sich bereits im nächsten Augenblicke gefaßt und zog das Messer aus dem Gürtel. Jetzt erkannte er, daß ich kein Eingeborener sei, und ließ den zum Stoße bereits erhobenen Arm wieder sinken.

»Inglo?«

»Nein, ich bin kein Engländer.«

»Franko?«

»Ja,« antwortete ich, denn ich nahm an, daß er mit dem Worte nicht einen Franzosen bezeichne, sondern dasselbe in dem weiteren Sinne gebrauche, mit dem alle Abendländer gemeint sind.

»0, das ist gut! Bist du allein, Sahib?«

War er in Indien gewesen, daß er mir diesen Titel gab? Ich zog es vor, ihn noch nicht aufzuklären, und fragte:

»Was suchst du hier?«

»Rettung.« Er wandte sich zurück und deutete mit der Hand auf die Boote, welche jetzt so nahe waren, daß man ihre Borde deutlich erkennen konnte. »Sie verfolgen mich und wollen mich töten.«

»Weshalb?«

»Ich bin reich und ein Christ.«

»Und sie sind Heiden?«

Er nickte bejahend.

»Einige sind noch Heiden, und einige haben sich von dem Inglo-Mitonare taufen lassen.«

Mitonare heißt Missionar, und mit diesem Worte bezeichnet das in seiner Sprache sehr einfache Inselvolk auch alles, was mit der Religion der Christen in Verbindung steht, wie z. B. Kirche, Prediger, Altar, Kreuz, Predigt, Bibel, selig, heilig, fromm u. s. w. immer nur Mitonare oder mitonare genannt wird. Hier war jedenfalls ein protestantischer Missionär der Engländer gemeint.

»So sind diese von dem Inglo-Mitonare Getaufte also dennoch Christen?«

»Eita – nein. Sie glauben noch immer an Atua, den guten Gott, und an Oro, den Gott alles Bösen, aber sie haben sich taufen lassen, weil sie dann mit den Ingli handeln dürfen und schöne Sachen bekommen.«

 

»Wie heißt du?«

»Potomba.«

»Von welcher Insel bist du?«

»Ich wohne in Papetee, der Hauptstadt von Tahiti. Ich bin ein Ehri, ein Fürst des Landes, und werde alle meine Feinde töten!«

Er blickte zurück. Soeben versuchte das erste Boot seiner Verfolger die Einfahrt durch den engen Kanal. Er sprang zurück bis an den Ort, an welchem sein Pfeil niedergefallen war, spannte den Bogen und zielte. Der Pfeil schwirrte von der Sehne, er hätte den Mann sicher getroffen, aber eine sich hereindrängende Woge hob den Kahn empor, und das spitze Geschoß bohrte sich in das Holz desselben. Unwillkürlich hatte der Insaße des Bootes aus Furcht vor dem Pfeil sich niedergebückt und dabei die Ruder außer Thätigkeit gesetzt; dieselbe Woge, welche ihn hereingetrieben hatte, erfaßte im Niedergange sein Fahrzeug und riß dasselbe wieder aus der Einfahrt zurück.

»Hallo-o-oh!« rief es da von den Korallenringe aus, und als ich mich seitwärts wandte, sah ich den Steuermann mit den Seinen – herbeispringen.

Der Maate hatte den Pfeilschuß fälschlicherweise für das Signal gehalten und machte jetzt meinen ganzen Plan zunichte. Die Verfolger hatten mich zwar bereits gesehen, ohne deshalb von ihrem Vorhaben abzulassen; als sie aber erkannten, daß die Insel von einer ganzen Truppe europäisch gekleideter Männer besetzt sei, beschlossen sie den Rückzug, zogen schleunigst die Segel wieder auf und ruderten von dannen.

Ich schritt jetzt nach dem Strande, wo Potomba auf die Kniee gesunken war.

»Bapa kami iang ada de surga, kuduslah kiranja namamu«[2] hörte ich ihn beten nach dem Wortlaute, den die von der Mission Bekehrten anzuwenden pflegen. Dann sprang er freudig auf und rief. »Ich bin gerettet! Sie fliehen, und ich brauche keinen zu töten. Bald hätte mein Pfeil Anoui, den falschen Priester, getötet, der doch der Vater meines Weibes ist!«

Nur die Not hatte ihn also zur Gegenwehr genötigt, und ich erkannte in seinem jetzigen Ausrufe und dem vorgehenden Dankgebete eine fromme, wahrhaft christliche Gesinnung, welche unter den Bekehrten in dieser Herzensaufrichtigkeit nicht sehr häufig angetroffen wird und dem jungen Manne sofort mein Wohlwollen erwarb. Jedenfalls war er nicht aus Berechnung, sondern aus wirklicher Ueberzeugung Christ geworden.

»Wer ist Anoui?« fragte ich ihn.

»Der Priester von Tamai.«

Ich besann mich.

»Liegt Tamai nicht auf Eimeo, der Nachbarinsel von Tahiti?«

»Ja, Sahib. Tamai liegt nicht weit von der Bai von Opoauho. Pareyma, mein Weib, ist die Tochter des Priesters, denn ich bin ein Ehri, und ein Ehri nimmt sich nur die Tochter eines Fürsten oder Priesters zur Frau. So lange Tahiti steht, hat noch niemals ein Ehri die Tochter eines Meduah (Vasallen) oder eines Towha und Rattirha (geringere Lehnsleute) in sein Haus geholt, und die Töchter der Mahanunen (Bauern) und Tautau (Diener und Sklaven) kennt er nicht.«

»Und warum ist jetzt Anoui dein Feind?«

»Weil ich Christ geworden bin. Er hat mir Pareyma, die Perle meines Lebens, abverlangt, aber ich gab sie ihm nicht. Da verklagte er mich bei den Ingli, welche nicht an die mitonare (heilige) Jungfrau Marrya glauben, und sie halfen ihm; ich aber ging zu den Franki, welche viele mitonare Männer und Frauen im Himmel des guten Bapa haben, und sie halfen mir; ich durfte Pareyma in meinem Hause behalten, obgleich sie mir nicht der Mitonare, sondern unser Priester gegeben hat, als ich noch ein Heide war. Dann mußte ich fort nach den Tub[u] ai-Inseln, um Kleider, Waffen und Perlen umzutauschen; denn seit die Europäer zu uns gekommen sind, ist alles anders und böser geworden, und selbst wer früher Fürst war, muß durch Arbeit oder Handel Geld verdienen. Anoui wußte, wohin ich ging, und folgte mir mit seinen Leuten nach. Als ich die Inseln von Tubuai verließ, lauerte er mir auf, um mich zu töten und mir den Reichtum zu nehmen, den ich bei mir führte.«

»Getötet hat er dich nicht, wie ich sehe; aber deine Habe – hast du sie hier im Boote?«

»Nein. Er bekam beides nicht, mein Leben und mein Eigentum, denn meine Hand ist stärker als die seine, und sein Verstand ist dunkler als der Verstand eines Ehri. Als ich ihn mit seinen Booten nahen sah, fuhr ich ihm entgegen und sandte meine Diener mit den Kähnen, auf denen sich meine Habe befand, auf einem Umwege nach Papetee. Ich aber lockte ihn bis hierher, wo ich ihn hätte töten müssen, wenn er nicht geflohen wäre.«

Sein Auge leuchtete, und seine dunkle Wange brannte vor Erregung; er war noch sehr jung und wirklich schön, als er so drohend vor mir stand: auf den langen, schwarzen Flechten den federgeschmückten Turban, zwei wertvolle Perlen an jedem Ohre, und die gelbseidene Marra als Gürtel um die rot und weiß gestreifte Tebuta geschlungen, welche in reichen Falten von seiner Schulter bis zum Knie reichte und das Ebenmaß seiner schlanken, kräftigen Gestalt vorteilhaft hervorhob.

»Was wirst du jetzt beginnen?« fragte ich ihn.

»Frage zuvor, war ihr mit mir beginnen werdet, Sahib!« antwortete er, nach der Höhe deutend, von welcher sich der Kapitän mit den Seinen näherte.

»Ich bin dein Freund, und du hast von uns nichts zu befürchten. Du kannst thun, was dir beliebt. Doch bitte ich dich, daß du auch unser Freund werdest!«

»Ich bin es, Sahib! Sage mir deinen Befehl, und ich werde ihn vollbringen, denn ich sehe es an deinem Auge, daß du nichts Böses von mir fordern wirst!«

»Wir bitten dich um Hilfe.«

Er blickte mich einigermaßen erstaunt an, und ich selbst konnte mich eines leisen Lächelns nicht erwehren. Von ganz anderer Figur als er, war ich einen vollen Kopf höher als er; der Turban mit Schleier, den ich trug, der dichte Vollbart, welcher mir Wangen und Kinn umrahmte, meine Waffen, die aus den Trachten aller Zonen zusammengesetzte abenteuerliche Kleidung, welche sich nach unten in einem Paare riesiger Seemannsstiefeln verlief: das alles mochte wohl den Eindruck mache, als sei ich gewohnt, nur auf meine eigene Kraft zu vertrauen, und sei fremder Hilfe und Unterstützung nicht leicht bedürftig.

»Wer bist du, und was thust du hier?« fragte er.

»Ich bin vom Volke der Germani, und die andern gehören zum Volke der Yanki.«

»Die Germani sind gut; ich habe ihre Schiffe gesehen auf den Inseln von Samoa; was sie verkaufen, ist ehrliche Ware, und was sie sagen, das gilt als ein Schwur. Aber die Yanki sind anders; ihre Zunge ist glatt und untreu, und ihre Waren glänzen und haben den Betrug in sich. Wie kommst du zu ihnen und auf diese Insel, die noch nicht einmal einen Namen hat?«

»Ich fuhr mit ihnen, weil ich in das Land der Chinesen wollte, aber das Wetter trieb uns an dies Eiland, so daß unser Schiff zerbrach und unsere Boote zerschellten. Nun können wir nicht fort und müssen warten, bis ein anderes Schiff kommt, welches uns von dannen holt. Du kehrst nach Papetee zurück?«

»Ja. Mich verlangt, zu Pareyma, meinem Weibe, und zu meiner Mutter zu kommen, die mir lieber sind, als alle meine Habe und mein Leben. Die Stimme meines Herzens sagt mir, daß ihnen Gefahr droht von Anoui, meinem Feinde.«

»Auf Tahiti findet man immer Schiffe der Ingli, Franki, Yanki und der Hollandi; vielleicht ist auch eines der Hispani oder gar der Germani da. Willst du sie aufsuchen, wenn du nach Papetee kommst, und eines von ihnen senden, daß es uns von hier erlöse?«

»Das will ich, Sahib! Aber sie möchten mir nicht glauben, und daher ist es besser, wenn ihr mir einen eurer Männer mitgebt, der selbst für euch reden und bitten kann.«

»Faßt dein Boot zwei Männer?«

»Wenn ein anderer rudert, nein; aber wenn ihr einen mutigen Mann wählt, welcher das Wasser nicht fürchtet, so werde ich ihn glücklich nach Tahiti bringen, denn keiner nimmt es im Fahren mit Potomba, dem Ehri, auf.«

In diesem Augenblicke hatte uns der Kapitän erreicht.

»Nun? Wer ist dieser Mann, Charley?«

»Ein Ehri von Tahiti.«

»Ein Ehri? Was ist das?«

»Ein Fürst, Kapt’n.«

»Pshaw! Diese Art von Fürsten kennt man! Der Bursche wird uns sein Boot überlassen müssen, damit wir uns von einer der benachbarten Inseln Hilfe holen.«

»Das wird er nicht thun.«

»Nicht? Ah! Und wenn ich es ihm gebiete?«

»Auch dann nicht, Sir.«

»Warum nicht, wenn ich fragen darf, he?«

»Weil ich ihm bereits das Gegenteil geraten habe, Kapt’n.«

»Ihr? Ah so, das ist etwas anderes! Ihr habt doch jedenfalls eine gute Meinung dabei gehabt, die auf unsern Vorteil bedacht ist?«

1Dieselben werden auch »Flache Inseln, gefährliche Inseln, niedrige Inseln und Perleninseln« genannt.
2Wörtlich: »Vater unser, welcher ist im Himmel, heilig möge sein Name dein.«