John Maynard Keynes

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Aus der Reihe: Kluge Köpfe
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John Maynard Keynes
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Jürgen Kromphardt

Die größten Ökonomen: John Maynard Keynes


utb-Nr. 3794

Umschlagabbildung: © shutterstock

2. Auflage 2020

1. Auflage 2012

© UVK Verlag 2020

– ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-8252-5279-3 (Print)

ISBN 978-3-8463-5279-3 (ePub)

Inhalt

  Vorwort zur 2. Auflage

  Vorwort zur 1. Auflage

 Ein Quereinsteiger in die ÖkonomieElternhaus und SchulzeitStudium der Mathematik, Philosophie und GeschichteEintritt in den Staatsdienst und Rückkehr an die UniversitätKunstliebhaber, Mäzen, Finanzmanager

 Ein streitbarer Politökonom (Vom 1. Weltkrieg bis zur Weltwirtschaftskrise)Berater und Repräsentant des SchatzamtesDie wirtschaftlichen Folgen des FriedensvertragesKampf für eine preisniveaustabilisierende WährungspolitikUnterstützung der „Liberalen Partei“ bei ihrer programmatischen Erneuerung

 Erster Versuch einer makroökonomischen Fundierung der wirtschaftspolitischen ForderungenKernelemente der „Abhandlung vom Gelde“ (1930/1932)Widersprüche und ungelöste ProblemeDie stillschweigende Annahme der VollbeschäftigungÜbereinstimmung von Sparen und Investieren: Definition oder Gleichgewicht?Wodurch werden die Ersparnisse bestimmt?

  Der Schock der Weltwirtschaftskrise und die Reaktion von Keynes Zum Ausmaß der Weltwirtschaftskrise Keynes’ Kampf für seine wirtschaftspolitischen Überzeugungen Ausbruch aus den Fesseln der herrschenden Theorie

 Die Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des GeldesAnspruch und Ziel der „Allgemeinen Theorie“Das Prinzip der effektiven NachfrageBestimmung der KonsumgüternachfrageBestimmungsgründe der InvestitionenDas kurzfristige Gleichgewicht auf dem GütermarktBestimmungsgründe für das ZinsniveauBestimmung von Einkommen und Zinssatz durch Güter- und GeldmarktFlexibles Lohnniveau und GesamtnachfrageWirtschaftspolitische Forderungen im Anschluss an die „Allgemeine Theorie“

 Frühe Reaktionen auf die „Allgemeine Theorie“Hohe Erwartungen – gegensätzliche ReaktionenDie Unsicherheit der Zukunft„Liquiditätstheorie des Zinses“ versus „Theorie der ausleihbaren Fonds“Zum IS/LM-Modell von Hicks

 Problemlösungen für die Kriegs- und NachkriegszeitKriegsfinanzierung ohne InflationVorfinanzierung kriegswichtiger Importe (Lend Lease)Finanzielle Förderung der KünsteFür eine neue Weltwährungsordnung (Bretton Woods / IMF)Vorschlag einer „International Clearing Union“Die Vereinbarungen von Bretton WoodsÜberlegungen zur Fiskalpolitik und zur Beschäftigungsentwicklung in der NachkriegszeitSorgen um Großbritanniens Zahlungsbilanz nach KriegsendeZähe Verhandlungen um einen Dollarkredit der USA

 Auseinandersetzungen mit der Theorie von Keynes nach 1946Von der Uminterpretation zur AblehnungNeoklassische Vereinnahmung von Keynes’ Theorie (neoklassische Synthese)Monetaristische GegenrevolutionAngebotsökonomie und „Washington Consensus“Die Neue keynesianische Ökonomie (NKE)Die ablehnende Position der OrdoliberalenRückbesinnung der Keynesianer auf KeynesNach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008ff: Weiterer Streit um die Wirtschaftspolitik

  ✷ Biographie

  ✷ Glossarium

  ✷ Übersicht der Kästen

  ✷ Die vier wichtigsten Werke

  ✷ Hilfreiche Links

  ✷ Literatur zur Vertiefung

  ✷ Hinweise zur Zitierweise

  ✷ Zitierte Literatur

  ✷ Stichwörter und Personen

Vorwort zur 2. Auflage

Es freut mich sehr, dass mir die 2. Auflage dieses Bucher über John Maynard Keynes erstens die Möglichkeit gab, an vielen Stellen die Darstellung zu präzisieren und verständlicher zu machen.

Zweitens habe ich in dem Kapitel über die Problemlösung für die Kriegs- und Nachkriegszeit den Abschnitt über den Anti-Inflationsplan von Keynes umgeschrieben, auch um deutlicher hervorzuheben, dass Keynes es vehement ablehnte, gesamtwirtschaftliche Probleme durch Zulassen oder gar Beförderung von Inflation zu lösen.

Drittens habe ich im Kapitel über die Auseinandersetzungen mit der Theorie von Keynes nach 1946 dem in Deutschland stark vertretenen Ordoliberalismus einen eigenen Abschnitt gewidmet.

Viertens ist der letzte Abschnitt dieses Kapitels, der sich mit den Auswirkungen der tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008ff auf die Akzeptanz der Lehren von Keynes befasst, völlig neu gefasst. Schließlich habe ich die Hinweise auf Literatur zur Vertiefung aktualisiert.

Meinem Kollegen Harald Hagemann danke ich für eine kritische Durchsicht des Manuskripts und der Studentin Megana Kodhelaj für die unermüdliche Bewältigung meiner Änderungs- und Ergänzungswünsche.

Berlin, im März 2020

Vorwort zur 1. Auflage

John Maynard Keynes (1883–1946) ist vor oder neben Joseph Schumpeter der bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts. Er veröffentlichte sein Hauptwerk, die „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ im Jahre 1936 unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise 1929–1932. In diesem Werk brach er mit der dominierenden und tief verwurzelten Tradition der Nationalökonomie, sich bei der Analyse des Wirtschaftsystems und seines Wirkens an Modellen von Geldwirtschaften zu orientieren, in denen das Geld nur einen Schleier bildet, der die realen Zusammenhänge umhüllt und verhüllt, ohne sie zu beeinflussen. In derartigen Modellen stellt sich auf Dauer stets Vollbeschäftigung aller verfügbaren Ressourcen an Arbeit und Sachkapital ein.

Keynes war ein außergewöhnlich schneller Leser, Denker und Schreiber und machte von diesen Fähigkeiten ausgiebig Gebrauch. Daher füllen allein seine auf die Ökonomie bezogenen Texte (Veröffentlichungen, Memoranden und Briefe) 30 Bände seiner „Collected Writings“, die seit 1971 von der britischen Royal Economic Society herausgegeben worden sind.

Keynes führte ein sehr aktives und vielseitiges gesellschaftliches und privates Leben. Er verwaltete und vermehrte das Vermögen mehrerer öffentlicher und privater Institutionen und baute sein eigenes auf. In den beiden wichtigsten Biographien (MoggridgeMoggridge, 1992) und SkidelskySkidelsky (1983/1992/2000 – 3 Bände) beanspruchen Leben und Werk 940 bzw. rund 1800 Seiten. Diese beiden Biographien sind die Quellen für alle von mir außerhalb der Ökonomie berichteten Ereignisse.

 

Wenn man sich auf Wunsch des Herausgebers dieser Reihe darauf einlässt, ein Buch über das Leben und das Werk von John Maynard Keynes mit begrenzter Seitenzahl zu schreiben, sieht man sich der schwierigen Aufgabe gegenüber, aus den umfangreichen Schriften dieses britischen Ökonomen und der Vielseitigkeit seiner wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Aktivitäten das Wichtigste auszuwählen und zu präsentieren.

Deswegen musste ich auf sehr viele Details seines gesellschaftlichen und privaten Lebens sowie seiner Aktivitäten auf den Finanzmärkten verzichten. Auch bei seinen ökonomischen Schriften musste ich auswählen und ausschließen. So habe ich nur gelegentlich Keynes’ Erörterungen über die deutschen Reparationszahlungen nach dem 1. Weltkrieg und über ihr Ende angesprochen, die in den „Collected Writings“ den Band. 18 beanspruchen. Ebenso wenig bin ich auf Keynes’ zahlreiche Memoranden und andere Texte zu Fragen der Strukturpolitik in GroßbritannienGroßbritannien eingegangen, die einen beträchtlichen Teil des Doppelbandes 19 der „Collected Writings“ ausmachen.

Für ihre kritische Lektüre des Manuskripts und ihre konstruktiven Anregungen danke ich Frau Dr. Camille Logeay, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Außerdem danke ich Frau Yvonne Sivapragasam, Studentin des Studiengangs „Economics“ an der TU Berlin, für ihr unermüdliches und geduldiges Herstellen immer neuer Manuskriptfassungen.

Berlin im Dezember 2012

Jürgen Kromphardt

Ein Quereinsteiger in die Ökonomie
Elternhaus und Schulzeit

Am 5. Juni 1883 wurde John Maynard Keynes in Cambridge (England) als ältester Sohn in ein großbürgerliches Elternhaus geboren. Sein Vater, John Neville KeynesJohn Neville Keynes, war ein bekannter Nationalökonom, der überwiegend in Cambridge Politische Ökonomie und Logik lehrte und später in die Universitätsverwaltung hinüberwechselte (als Leiter des Universitätssekretariats – eventuell dem Kanzler einer deutschen Universität vergleichbar). Seine Mutter engagierte sich für Sozialreformen (insbesondere für die Rechte von Frauen), war auf kommunaler Ebene politisch aktiv und bekleidete verschiedene leitende Positionen in der städtischen Verwaltung von Cambridge.

Keynes´ Eltern führten ein offenes Haus, sodass Keynes schon früh bedeutende Gelehrte aus vielen Fachgebieten kennenlernte. Standesgemäß ging der hochbegabte Schüler John Maynard mit 14 Jahren an die renommierteste aller britischen Schulen, nach EtonEton, wo er besonders in klassischer Literatur, in Mathematik und als Mitglied der schulischen Debattierclubs brillierte. Mit 19 Jahren schloss er die Schule mit großem Erfolg ab.

Hinter dieser Erfolgsstory stand jedoch kein angepasster Streber; vielmehr machte sich sein Vater häufig Sorgen, sein Sohn verzettele sich in zu vielen Aktivitäten, zu denen auch Sport und Theateraufführungen der Schüler gehörten.

Studium der Mathematik, Philosophie und Geschichte

Nach dem Abschluss der Schulzeit in EtonEton begann Keynes 1902 in Cambridge Mathematik, Philosophie und Geschichte sowie etwas Ökonomie (als Teil des Mathematikcurriculums) zu studieren. Aufgrund seines sehr guten Schulabschlusses enthielt er ein Stipendium des King‘s CollegeKing‘s College, dem er sein Leben lang verbunden blieb.

Die Ausbildung in Ökonomie war damals in Cambridge rudimentär. Der einzige Professor für Nationalökonomie war Alfred MarshallMarshall, der unbestritten bedeutendste Ökonom seiner Zeit. Ihm war es nach jahrelangem Kampf gerade erst gelungen, für die Ökonomie eine eigene Abschlussprüfung durchzusetzen. Vorher war Ökonomie ein Teil der Prüfung in Mathematik und in Geschichte. Außer Marshall wurde Ökonomie von einigen Universitäts- oder College-Dozenten gelehrt. Es gab aber noch kein verbindliches Curriculum, kaum Lehrbücher (außer Marshalls „Principles of Economics“) und nur wenige Studenten.

Kasten 1: Auf Umwegen an die Universität und ins Schatzamt


1905 Abschluss des Mathematik-Studiums am King’s College in Cambridge, anschließend vertieftes Studium der Ökonomie bei Marshall und Pigou
1906 Aufnahmeprüfung für den Staatsdienst. Als zweitbester Absolvent kommt Keynes nicht ins Schatzamt, sondern ins „India Office“
1908 Keynes scheidet aus dem India Office aus und wird bezahlter Dozent am King’s College
1911 Marshall bindet Keynes an die Wissenschaft, indem er ihn zum Herausgeber des „Economic Journal“ macht
1915 Im 1. Weltkrieg wird Keynes Berater des Schatzamts
1919 Keynes nimmt als Vertreter des Schatzamtes an den Friedensverhandlungen in Versailles teil

Auch in Cambridge war Keynes Mitglied diverser studentischer Debattierclubs. Der für Keynes wichtigste von ihnen, der von manchen Biographien als Geheimgesellschaft bezeichnet wird, war die elitäre Gesellschaft der „ApostelApostel“, in die er wegen seines rhetorischen Talents aufgenommen wurde. Mehrere Mitglieder der „Apostel“ übten auf Keynes einen prägenden Einfluss aus, so der spätere Kunstkritiker und Biograph Lytton Strachey, der angehende Schriftsteller und Verleger Leonard WoolfWoolf sowie der Philosoph GeorgeGeorge Moore.

Die „ApostelApostel“ lehnten alle Konventionen der prüden viktorianischen Zeit in GroßbritannienGroßbritannien ab. Dies galt auch für die Normen sexuellen Verhaltens. Laut Skidelsky (1983, S. 128) war für die Apostel die Liebe zu jungen Männern eine höhere Form der Liebe. Daran orientierten sich einige der Apostel, darunter auch Keynes, obwohl Homosexualität in Großbritannien unter Strafe stand.

Die Kunstfreunde unter den Aposteln stärkten Keynes Begeisterung für die schönen Künste, deren Förderung ihm Zeit seines Lebens am Herzen lag.

1905 schloss Keynes sein Studium mit der Prüfung in Mathematik ab, und zwar als Zwölftbester seines Jahrgangs.

Eintritt in den Staatsdienst und Rückkehr an die Universität

Keynes beschloss in den Staatsdienst zu gehen. Er bereitete sich an der Universität Cambridge auf die Aufnahmeprüfung vor, die auch Ökonomie und Mathematik umfasste. Am meisten reizte ihn das Finanzministerium (TreasuryTreasury), aber er bekam die einzige dort zu besetzende Stelle nicht, da er die Prüfung „nur“ als Zweitbester von 104 Teilnehmern abschloss. Er musste daher ins „Indian Office“ gehen. In dieser Behörde hatte er – da er ein sehr schneller Denker und Schreiber war – viel Zeit, die er nutzte, um eine Dissertation über WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie zu schreiben, mit der er sich 1907 am King‘s CollegeKing‘s College in Cambridge um eine (durch ein mehrjähriges Stipendium finanzierte) Dozentenstelle (Fellowship) bewerben wollte. Er wurde aber am College nicht genommen, denn die Annahme seiner Dissertation wurde zurückgestellt.

Daraufhin bot ihm MarshallMarshall, der das überragende Talent seines früheren Studenten erkannt hatte, einen von ihm und Keynes’ Vater privat finanzierten Lehrauftrag als „Lecturer“ an, den Keynes annahm. Der junge Dozent (25 Jahre alt) konzentrierte sich auf GeldtheorieGeldtheorie und GeldpolitikGeldpolitik und überarbeitete seine Dissertation, die 1909 angenommen wurde. Daraufhin kündigte er seine Stelle im Indian Office. Seine Dissertation über WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie überarbeitete er weiterhin, musste sie dann wegen seiner Tätigkeit für das Schatzamt Schatzamtwährend des 1. Weltkrieges liegen lassen. Gedruckt erschien sie erst 1921 (Kasten 2).

Kasten 2: Keynes und Wahrscheinlichkeit

In seiner voluminösen Untersuchung zur WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie „Treatise on Probability“ (1921) untersucht Keynes, wie man aus Beobachtungen über die Realität allgemeine Sätze ableiten kann; denn selbst wenn man tausendmal nur schwarze Raben gesehen hat, lässt sich daraus nicht logisch ableiten, alle Raben seien schwarz. Keynes fragt nun: Lässt sich wenigstens eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit treffen, dass alle künftig auftauchenden Raben schwarz sein werden? Keynes argumentiert, diese Wahrscheinlichkeit sei nicht rein subjektiv, sondern sei das Ergebnis einer rational fundierten Überzeugung und daher eine logische Relation, die für alle rationalen Individuen gleich ist.

1926 kritisiert der geniale Mathematiker und Philosoph Frank RamseyRamsey (der schon mit 26 Jahren an den Folgen einer Leberoperation starb) diese Theorie und stellt ihr eine subjektive WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie gegenüber, wonach rationale Individuen unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten vermuten.

In einem biographischen Artikel über RamseyRamsey stimmt Keynes (1931) dieser Kritik zu, meint aber, Ramseys Theorie weise noch Schwächen auf. Donald Gillies, auf dessen Artikel „Keynes and Probability“ (2006) ich mich stütze, verweist auf die Erwartungsbildung in der „General Theory“, wo Keynes individuellen Eigenschaften und gruppendynamischen Prozessen eine gewichtige Rolle zuweist. Am deutlichsten wird dies an einer Stelle in dem wichtigen Artikel von Keynes (1937, S. 214), die Gillies zitiert und die in meiner Übersetzung lautet: „Da wir wissen, dass unsere individuelle Beurteilung wertlos ist, sind wir bestrebt, auf die Beurteilung des Restes der Welt zurückzugreifen, der vielleicht besser informiert ist. Wir bemühen uns also, mit dem Verhalten der Mehrheit oder des Durchschnitts konform zu gehen. Die Psychologie einer Gesellschaft von Individuen, von denen jeder bemüht ist, die anderen zu kopieren, führt zu etwas, das wir strenggenommen als konventionelle Beurteilung bezeichnen können.“

Außerdem schrieb er sein erstes Buch über „Indian Currency and Finance“, in dem er seine Kenntnisse und Erfahrungen aus der Zeit im Indian Office verarbeitete (erschienen 1913). Kurz vorher war Keynes in die „Royal Commission“ berufen worden, die sich mit diesem Thema befasste.

MarshallMarshall band Keynes noch enger an die Nationalökonomie, indem er dafür sorgte, dass Keynes 1911 – nach Ausscheiden des bekannten Ökonomen EdgeworthEdgeworth – Herausgeber der damals führenden ökonomischen Fachzeitschrift, nämlich des „Economic Journal“, wurde. Keynes las, verstand und beurteilte die eingereichten Artikel mit außergewöhnlicher Schnelligkeit und Bestimmtheit.

1913 wurde er zusätzlich Sekretär der „Royal Economic SocietyRoyal Economic Society“ und bestimmte damit weitgehend die Aktivitäten dieser wissenschaftlichen Gesellschaft. Beide Positionen behielt Keynes bis kurz vor seinem Lebensende bei.

Kunstliebhaber, Mäzen, Finanzmanager

Keynes setzte die engen Kontakte zu den Freigeistern, Künstlern und Philosophen, die er in der Studienzeit geknüpft hatte, trotz der beschriebenen Aufgaben weiterhin fort. Er fand genügend selbstbestimmte Zeit, um drei Tage in der Woche in London zu verbringen, wo er viel mit seinen Freunden der „Bloomsbury Group“ (benannt nach dem Londoner Stadtteil) zusammen sein konnte. Zu dieser Gruppe gehörten außer den drei oben genannten „Aposteln“ die Schriftstellerin Virginia WoolfWoolf, der Maler Duncan GrantGrantGrant (mit dem Keynes zwei Jahre lang zusammen lebte), die Malerinnen Vanessa BellBell und Dora CarringtonCarrington, der Philosoph Bertrand RussellRussell und einige andere. Hier konnte Keynes seiner Vorliebe für Philosophie, Literatur und andere schöne Künste nachgehen.

 

Keynes war zwar kein aktiver Künstler, aber seine Liebe zur Kunst bestimmte sein Leben in mehrfacher Hinsicht: Er kaufte und sammelte Bilder und alte Bücher; er lernte über die Bloomsbury Group die emigrierte Ballerina Lydia LopokovaLopokova kennen, die er 1925 heiratete, und er engagierte sich in der Förderung von Künstlern. So gründete er 1925 zusammen mit einem befreundeten Kunstsammler und Industriellen (Courtauld) die „London Artists Association“, die jüngeren Künstlern als Agentur diente, ihnen ein bescheidenes regelmäßiges Einkommen zahlte und Ausstellungen organisierte.

Nach seiner Hochzeit mit Lydia LopokovaLopokova (1925) pachtete er ein Landhaus in Tilton, wohl auch deswegen, weil die meisten Mitglieder der Bloomsbury Group seine Heirat ablehnten (vermutlich als Verbürgerlichung) und versucht hatten, ihn davon abzuhalten.

Um seinen aufwändigen Lebensstil zu finanzieren und aus Neigung, fing er schon vor dem 1. Weltkrieg an, an der Börse zu spekulieren. Langfristig war er dabei sehr erfolgreich, 1920 aber fast pleite. Auf Grund seiner Bekanntschaft mit verschiedenen Größen der BankenBanken- und Börsenwelt wurde er 1919 Mitglied des „Board“ einer Lebensversicherung (National Mutual Life Insurance CompanyNational Mutual Life Insurance Company), 1921 dessen Vorsitzender. 1924 wird er zusätzlich Vorsitzender des Independent Investment TrustIndependent Investment Trust. Er managte erfolgreich deren Finanzanlagen, wobei er sehr häufig auf kurzfristige Wechselkursänderungen spekulierte. Auf Grund seines Interesse und seines Geschicks beim Finanzmanagement und bei Börsengeschäften wurde ihm bald die Verantwortung für die Finanzen des King‘s CollegeKing‘s College übertragen.

Eine weitere Einnahmequelle waren die vielen Aufsätze, die er in Zeitschriften und (Wochen-)Zeitungen gegen gutes Honorar veröffentlichte (im Jahre 1923 nicht weniger als 51 Aufsätze).