Innen wachsen – außen wirken

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Innen wachsen – außen wirken
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Julia Buchebner / Stefan Stockinger

Innen wachsen –

außen wirken

Eine nachhaltige Zukunft

beginnt in uns selbst

ENNSTHALER VERLAG STEYR

Erklärung

Die in diesem Buch angeführten Vorstellungen, Vorschläge und Therapiemethoden sind nicht als Ersatz für eine professionelle medizinische oder therapeutische Behandlung gedacht. Jede Anwendung der in diesem Buch angeführten Ratschläge geschieht nach alleinigem Gutdünken des Lesers. Autor, Verlag, Berater, Vertreiber, Händler und alle anderen Personen, die mit diesem Buch in Zusammenhang stehen, können weder Haftung noch Verantwortung für eventuelle Folgen übernehmen, die direkt oder indirekt aus den in diesem Buch gegebenen Informationen resultieren oder resultieren sollten.

Mit dem Kauf dieses Buchs unterstützt du Klimaschutzprojekte der BOKU (Universität für Bodenkultur Wien), die in Ländern des Globalen Südens Treibhausgasemissionen einsparen und einen Beitrag zur Erfüllung der SDGs (Sustainable Development Goals, Ziele für nachhaltige Entwicklung) leisten.

www.ennsthaler.at

ISBN 978-3-7095-0142-9

Julia Buchebner/Stefan Stockinger · Innen wachsen – außen wirken

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2021 by Ennsthaler Verlag, Steyr

Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Austria

Grafiken: Stockinger/Buchebner

Covergestaltung: © Ernst Miesgang, www.ernstmiesgang.com

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Praktische Hinweise

TEIL I: Die Reise beginnt

1. Willkommen in der westlichen Welt

1.1 Die Geschichte der äußeren Zerstörung

1.2 Der globale Zustand als Spiegel unserer selbst

1.3 Die Vision eines umfassenden Wandels

2. Warum wir den Blick nach innen richten müssen

2.1 Über den Wert innerer Reife

2.2 Der innere Schweinehund

2.3 Die innere Dimension der Nachhaltigkeit

TEIL II: Aufgeklärtes Wertebewusstsein

3. Werte als Richtungsweiser

3.1 Wie Werte unser Verhalten beeinflussen

3.2 Der Mensch, ein Herdentier

3.3 Wie Werte die Nachhaltigkeit bremsen

4. Wie der Wertewandel gelingen kann

4.1 Kenne deine Werte und handle danach

4.2 Wähle dein soziales Umfeld bewusst

4.3 Wir sind der Wandel

5. Neue Werte für das 21. Jahrhundert

5.1 Lebensqualität durch Lebenssinn

5.2 Neue Freiheit

5.3 Selbstwirksamkeit

5.4 Solidarische Kooperation

5.5 Offenheit für Neues

TEIL III: Emotionale Kompetenz

6. Die Macht der Gefühle

6.1 Der Schatten und seine Strategie

6.2 Die Angst vor dem Fühlen

6.3 Ängste und ihr Bezug zur Nachhaltigkeit

6.4 Das ewige Spiel von Gut und Böse

7. Emotional erwachsen werden

7.1 Gefühle wahrnehmen und verstehen

7.2 Mit dem Herz durch den Schmerz

7.3 Liebe deinen Schatten wie dich selbst

8. Die emotionskompetente Gesellschaft

8.1 Mit-Gefühl in die Zukunft

8.2 Im Dialog mit Andersdenkenden

8.3 Das befreite Potenzial

TEIL IV: Weltbild der Verbundenheit

9. Die spirituelle Krise der Menschheit

9.1 Die Illusion der Trennung

9.2 Der Mensch als Krone der Schöpfung

9.3 Sinnverlust und kollektive Identitätskrisen

10. Das Weltbild der Verbundenheit

10.1 Die Natur als Ausdruck von Verbundenheit

10.2 Das systemische Denken in der Wissenschaft

10.3 Das Erwachen des Ökologischen Selbst

11. Wege zu neuer Bewusstheit

11.1 Nachhaltig leben mit Achtsamkeit

11.2 Komm in Kontakt mit deiner Natur

 

11.3 Dem Weltschmerz begegnen

11.4 Zeitgemäße Spiritualität

TEIL V: Die Quintessenz

12. Wenn die Ethik des Herzens erwacht

13. Dein Beitrag in der Welt

14. Utopische Ideen für eine bewusste Gesellschaft

Schlussworte

Danksagung

Endnoten / Literaturverzeichnis

Über die Autoren

Vorwort

Jeden Tag erblicken rund um den Globus mehr als 200.000 Babys das Licht der Welt, mit einem lauten JA zum Leben. Und doch gehen zunehmend mehr Menschen mit einem inneren NEIN durchs Leben. Jeden Tag erhöht sich unser Wissen zur Errichtung einer nachhaltigen Zukunft. Und dennoch schreiten die ökologischen Zerstörungen wie Klimawandel, Artensterben oder die Verschmutzung der Ozeane immer rascher voran. Ist das nicht paradox? Und während der Klimawandel schon jetzt ganze Erdteile unbewohnbar zu machen droht, hat sich die nächste Krisenwelle bereits in Stellung gebracht: Gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird Depression schon 2030 die weltweit größte Krankheitslast mit sich bringen.

Die Welt brennt und die Menschen brennen aus – Zufall? Keineswegs. Denn der gemeinsame Nenner all dessen, von Klimawandel und Burn-out-Epidemie lautet Ausbeutung. Die Ausbeutung von Natur und Menschen zur Maximierung von Profit in einer zutiefst konkurrenzorientierten, neoliberalen Hegemonie. Eine Hegemonie, die schon seit vielen Jahrzehnten aufrechterhalten wird. Durch globale Propaganda, eine ständige Präsenz negativer Schlagzeilen, die zunehmende Isolation der Menschen zueinander und durch die scheinbare Freiheit andauernder Erreichbarkeit, die längst zum Gefängnis geworden ist.

Während die Folgen unserer aktuellen Wirtschaftspraxis auf die Natur weitgehend bekannt sind, ist dies bei den psychologischen und seelischen Auswirkungen noch nicht ganz der Fall. Doch auch diese sind hoch riskant für uns als Gesellschaft. So hat etwa unser ständiges Multitasking oft fatale Folgen für unser Gehirn. Denn dabei werden all unsere negativen Erinnerungen in den Arbeitsspeicher des Gehirns hochgeladen und wir kommen in einen getriebenen Zustand mit erhöhter Stressaktivierung. So fangen wir vieles an, machen wenig fertig und haben dadurch kaum reale Erfolgserlebnisse. Die Frage »Wofür habe ich heute meine Energie verwendet?« ist deshalb Normalität geworden. Die Folgen für unsere Psyche sind eine Mischung aus Angst, Isolation und einem ausufernden Konsumverhalten als Ersatzbefriedigung für fehlende Erfolgserlebnisse und mangelnden Sinn des eigenen Tuns.

Menschen in diesem psychischen Zustand befinden sich oftmals in den sogenannten Bullshit-Jobs, wählen signifikant häufiger autoritäre und unsoziale Parteien und interessieren sich nicht für den Zustand unserer Welt. Zu all dem gesellen sich evolutionär bedingte Fehlannahmen des menschlichen Geistes. Dieser denkt nämlich linear und kann komplexe Systeme intuitiv nicht verstehen. Wenn etwas gut ist, muss mehr davon besser sein, so der Glaube. Doch stimmt dies in komplexen Systemen nie, und irgendwann wird mehr vom Guten dann schlechter. Mehr Kommunikation, mehr Besitz, mehr Konsum führen nicht zu einer besseren, freudvolleren und gesünderen (Innen-)Welt, sondern ins genaue Gegenteil.

In dieser Situation schließt das Buch von Julia Buchebner und Stefan Stockinger eine wichtige Lücke. Denn eine nachhaltige Entwicklung der Welt beginnt nicht durch politische Ankündigungen für das Jahr 2050, sondern vor allem beginnt sie in den Köpfen und Herzen von uns Menschen. Vom Zustand des Planeten als Spiegel unserer eigenen Befindlichkeit hin zur Vision eines umfassenden Wandels spannen sie dabei einen breiten Bogen. Sie führen uns in Gefilde, mit denen man beim Thema Nachhaltigkeit oft nicht in Berührung kommt. Wird doch nachhaltige Entwicklung zumeist anhand von Veränderungen der äußeren Welt gemessen – CO2- Reduktion, Plastikverbot, nachhaltige Landwirtschaft und vieles mehr. Julia und Stefan hingegen spüren den Entstehungsbedingungen und der Entfaltung nachhaltiger Entwicklung im Innen nach.

Es mag zwar durchaus vorkommen, dass Veränderungen im Außen eine innere Veränderung nach sich ziehen. Doch auch äußere Entwicklungen wie Gesetze und Vorschriften haben letztlich immer ihren Ausgang in den Gedanken, Gefühlen und Haltungen von Aktivisten, Politikern oder anderen Menschen in entsprechender Vorbildfunktion. Wir landen also wieder im Innen.

Welche Werte werden uns in einer Gesellschaft vermittelt, in der sich alles um Äußerlichkeiten dreht? Wie wirkt sich das auf unsere emotionale Kompetenz, Empathie und Kooperationsfähigkeit aus? Welche Weltsicht erlangen wir, wenn wir bereits in der Schule möglichst alles auswendig lernen sollen und somit unauffällig an das hierarchische System angepasst werden?

Wird uns in den meisten Universitäten, Ausbildungszentren und Unternehmen nicht von vornherein abtrainiert, was echte Offenheit und Neugier überhaupt bedeuten? Und können wir als Gesellschaft in solch einem Umfeld überhaupt jemals wahrhaft erwachsen werden, unser Selbst herausbilden, ein selbstständiges Denken entwickeln und somit unsere soziale und ökologische Verantwortung übernehmen?

Diese und viele andere Fragen werden Julia und Stefan aufgreifen und von verschiedenen Seiten beleuchten. Die Autoren beschreiten mit uns einen systematischen Weg, der ganz unverfänglich beginnt, ehe er uns über unsere tiefsten Tiefen schließlich zu unseren höchsten Höhen führt und so – möchte man sagen – den Kreis gar nicht schließt, sodass wir dann wieder am Anfang stünden, sondern uns viel eher als Absprungrampe dient. Als Absprungrampe zur inneren Entwicklung und zur wirklichen Entfaltung dessen, was in uns steckt. In vollem Vertrauen darauf, dass sich in jedem von uns letztlich etwas Gutes entfalten möchte.

Am Beginn dieser Reise werden wir neugierig gemacht, unsere Wertehaltungen zu reflektieren und die Frage zu stellen, welche Werte im eigenen Verhalten zum Ausdruck kommen. Das ist wichtig, stellt doch das Bewusstsein über die eigenen Werte den ersten Baustein innerer Entwicklung dar.

Doch mit der Betrachtung von Werten gibt sich dieses Buch nicht zufrieden – danach geht es erst richtig los! In wahrer Ehrlichkeit vor uns selbst lernen wir auch unsere Schatten kennen und widmen uns unseren Verdrängungs- und Verleugnungsmechanismen. Angst vor Mangel, Angst vor Wertlosigkeit, vor Verletzt-Werden, vor Ausgrenzung, vor dem Scheitern. Nur wer seine Schatten kennt und umarmen lernt, kann emotional reifen, muss nicht mehr vor ihnen davonlaufen oder sie auf andere projizieren, sondern kann sie in sein Selbst integrieren. Und das schafft gleichsam die Basis für echte Empathie und eine Kultur der Menschlichkeit und des Miteinanders.

Nach dem Tal der Schatten sind wir schließlich bereit, mit Julia und Stefan in Höhen vorzudringen, die wir am Beginn des Buches noch gar nicht geahnt hätten. Geht es doch letztlich darum, zu erkennen, dass nichts unabhängig existiert. Wir sind zutiefst verbunden mit den Menschen in unserem Leben, mit dem, was uns unmittelbar umgibt, mit der Natur, mit allen Lebewesen und mit der allumfassenden Existenz allen Seins. Vorsicht an dieser Stelle vor »aufgeladenen« Worten wie »Schöpfung« oder »Spiritualität«. Sind sie doch nur Versuche, uns dem ewigen Rätsel unserer Existenz anzunähern, das wir doch niemals lösen können. Denn unser Leben, in dem alles, was wir wahrnehmen, nur in uns selbst passiert, in dem ständig wir selbst im Mittelpunkt stehen, kann uns auf wundersame Weise doch nur dann wirkliche Erfüllung und Geborgenheit geben, wenn wir unsere Verbindung mit allem anderen anerkennen, pflegen und verantwortungsvoll gestalten.

So zeigen uns Julia Buchebner und Stefan Stockinger in diesem wunderbaren Buch, wie wir zum Kern unseres Wesens vordringen können, um dann unsere Welt zu verändern. Und dies im Vertrauen darauf, dass das Beste in uns immer schon da ist.

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lalouschek

Facharzt für Neurologie, Biologe, Systemischer Coach, Buchautor, Lehrstuhl für Psychosomatik an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien, Gründer der Initiative planetYES für nachhaltige Entwicklung – www.planetyes.com

Wien, im März 2021

Praktische Hinweise

Wir Autoren sind seit 15 Jahren im Bereich der Nachhaltigkeit aktiv. In dieser Zeit ist uns eine Sache klar geworden: Die Welt von morgen braucht mehr als nur neue Technologien oder Gesetze. Sie braucht einen generellen Werte- und Bewusstseinswandel – und dieser beginnt zuallererst in uns selbst!

Da solch eine ganzheitliche Verwandlung aber nicht allein im Kopf stattfinden kann, haben wir in diesem Buch auch Elemente für das Herz und den Körper mit eingebaut. In jedem Kapitel findest du also Übungen (Ü) mit Fragen zur Selbstreflexion, Meditationsanleitungen und andere Körperübungen. Wir laden dich ein, diese Übungen in Ruhe durchzuführen, um den größten Nutzen aus diesem Buch zu ziehen und deiner eigenen Tiefe noch ein Stück näherzukommen. Wir haben die Übungen in vielfacher Weise sowohl mit Seminarteilnehmern als auch bei uns selbst angewandt und freuen uns, sie nun mit dir teilen zu dürfen.

Weiters möchten wir erwähnen, dass wir uns nach langen Überlegungen gegen eine geschlechterspezifische Differenzierung entschieden haben. Eine politisch korrekte Ansprache aller Geschlechter hätte viele Textstellen sehr sperrig klingen lassen und den Lesefluss unterbrochen. Wenn wir also von Pionieren sprechen, sind auch immer die Pionierinnen gemeint. Reden wir von Bürgern, so reden wir natürlich auch von den Bürgerinnen. Wir hoffen, dass du unserer Entscheidung für das generische Maskulinum Verständnis entgegenbringen kannst und dich auch als Frau oder als Mensch mit anderer Geschlechtsidentität in all unseren Texten angesprochen fühlst!

Nun wünschen wir dir eine spannende Lektüre. Solltest du im Anschluss unseres Buchs an der praktischen Vertiefung der Inhalte interessiert sein und uns zu einem Vortrag oder Seminar einladen wollen, so freuen wir uns über eine Kontaktaufnahme über den Verlag oder unsere Webseite www.zukunftsalchemie.at.

Für Mutter Erde und all ihre wundervollen Geschöpfe.

Für die Menschen und die Liebe in ihren Herzen.

Für alles, was unser Leben so schön und lebenswert macht.

Mögen wir mutig neue Wege gehen

und gemeinsam eine neue Zeit auf Erden einläuten.

TEIL I

1. Willkommen in der westlichen Welt

Hello, Hola, Bonjour – willkommen in der westlichen Welt!

Freu dich, du wurdest an einem der besten Orte in einer der besten Zeiten unserer gesamten Menschheitsgeschichte geboren. Kaum zuvor lebten so viele Menschen in einer so sicheren Umgebung mit beinahe endlosen Möglichkeiten und zudem genügend Zeit und Geld, diese auch nutzen zu können.

Wer fremde Länder besuchen will, steigt einfach ins Flugzeug und fliegt hin. Will man es dabei noch gemütlich haben, bucht man First Class. Braucht es diese Vielfalt auch im eigenen Zuhause, besorgt man sich Möbel, Kleider, Obst und Gemüse aus allen möglichen Weltregionen zum Spottpreis im Einkaufscenter um die Ecke. Und wem diese reale Welt noch immer nicht genügt, der steigt über die Virtual Reality in einen gänzlich neuen Erfahrungsraum jenseits aller Grenzen ein.

 

Uns geht es gut, zumindest gesamt gesehen. Und selbst wenn es uns nicht gut ginge, würden wir es wohl kaum merken. Denn wir haben gelernt, uns immer und überall zu vergleichen. Und solange es uns besser geht als irgendwelchen anderen, geht es uns irgendwie auch gut, oder?

Um auf Nummer sicher zu gehen, haben wir noch entsprechende Gradmesser entwickelt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ein solcher. Ist es gestiegen, geht es uns gut. Liegt das Wirtschaftswachstum höher als woanders, geht es uns gut. Haben wir ein neues Auto, Handy, Spiel oder Fitnessgerät, geht es uns gut. Sind diese Dinge dann noch eine Spur teurer, exklusiver oder auch preiswerter als die von jemand anderem, geht es uns manchmal sogar noch besser. Und weil sein Auto exklusiver war als ihr Auto, gleichzeitig das ihre aber preiswerter als das seine, sind alle zufrieden. Eine klassische Win-win-Situation, irgendwie jedenfalls.

Viele von uns leben also in dem Glauben, die bestmögliche Welt bereits erschaffen zu haben. Und weil uns dieser Glaube so viel wert ist, sind wir auch bereit, ihn um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Doch dieser Preis wird immer höher. Für die Erhaltung unserer Wirtschaft bezahlen wir mit unserem Sozialsystem. Für den Luxus Tausender Konsumgüter bezahlen wir mit ständigen Umweltkatastrophen. Und für unsere Gesundheit bezahlen wir seit Corona sogar mit einer drastischen Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit. Die Rechnung wird immer länger und unser Budget immer geringer, doch das scheint uns nicht zu stören. Selbst wenn uns immer mehr dämmert, dass unser westliches System womöglich doch nicht so genial ist wie angenommen, erscheint es uns noch immer besser als alle anderen Systeme. Und somit muss es auch erhalten bleiben, koste es, was es wolle!

Gefangen in diesem Glauben würden wir am liebsten ewig so weitermachen, und alles wäre »in Ordnung«. Wenn da nicht noch diese andere Welt wäre, die nicht-westliche. Trotz unseres Empfindens, es gehe uns besser als anderen, begreifen wir, dass es manch anderen gerade deshalb schlecht geht, weil es uns so gut geht. Keine neue Information, schon klar. Spätestens seit Social Media ist auch den Letzten unter uns bewusst geworden, dass unser westlicher Lebensstandard an anderen Orten oft zu verheerenden Problemen führt. Doch auch hierauf hatten wir lange Zeit die Antwort, dass wir unseren Lebensstil, unsere Werte und Güter einfach nur in die gesamte Welt exportieren sollten, und irgendwann würde es allen Menschen ebenso gut gehen wie uns im Westen. Schon wieder eine Win-win-Situation. Herrlich, zumindest in der Theorie.

1.1 Die Geschichte der äußeren Zerstörung

Die Praxis jedoch erzählt eine andere Geschichte, als oben beschrieben. Denn unser Planet, der als Grundlage für all diese Überlegungen dient, ist kein endloses Rohstofflager. Und damit er »funktioniert« und seine Leben spendenden Aufgaben überhaupt für uns übernehmen kann, braucht er ganz spezielle Bedingungen und auch jede Menge Platz und Zeit. Für unseren »Masterplan« – siehe oben – bedeutet dies wiederum das Aus. Ein ewiges »Weitermachen wie bisher« ist also nicht möglich. Denn egal, wie gewieft das manche Ökonomen auch durchrechnen mögen, die Natur wird dabei nicht mitspielen. Unsere Ressourcen sind eine Limited Edition, Ende der Geschichte.

Beispiel Plastikverschmutzung

Um zu sehen, dass diese Geschichte langsam wirklich ihr Ende nimmt, braucht man nicht sonderlich weitsichtig zu sein. Nehmen wir als erstes Beispiel die seit Jahren heftig diskutierte Verschmutzung durch Plastik zur Hand. Vom Kleinkind bis zur Oma und vom Punk bis zur Konzernerbin sind sich quasi alle einig: Dieses künstliche Material schafft massive Probleme und wir müssen es in den Griff bekommen oder am besten durch Alternativen ersetzen.

Solch eine schöne Einigkeit hat man selten im Umweltbereich. Ein Grund dafür ist wohl, dass wir das Plastikproblem eher weit in der Ferne sehen und uns somit nicht so leicht gegenseitig die Schuld zuschieben können beziehungsweise müssen. Die Bilder in den Medien zeigen vor allem die verschmutzten Meere und Flüsse in Asien. Und jeder, der schon einmal in Indien am Ganges entlangging oder in Bali zur falschen Zeit bei der falschen Strömung das Meer besucht hat, weiß, dass die Bilder nicht lügen. Auch vor der pazifischen Küste der USA tummelt sich ein riesiger Müllstrudel. Der sogenannte Great Pacific Garbage Patch ist der größte seiner Art und hat mittlerweile eine Fläche erreicht, die 19 Mal so groß ist wie Österreich.1 Wer sich zuvor noch gefragt hat, warum wir vom »Ende der Geschichte« sprechen, der hat hier eine erste Antwort.

Apropos Österreich. In der schönen Alpenrepublik haben wir das Plastikproblem ja im Griff, oder? Obwohl wir uns gerne als Recycling-Weltmeister bezeichnen, fällt die Bilanz dann leider doch nicht so gut aus. Im Jahr 2015 benötigte die Herstellung von Kunststoffen mehr als 1,1 Millionen Tonnen Rohstoff. 96 Prozent davon wurden über Erdöl gedeckt. Gerade einmal vier Prozent kamen von recyceltem Regranulat bzw. erneuerbaren Alternativen.2 Bedenkt man, dass wir seit mehreren Jahrzehnten brav unseren Müll trennen und entsorgen, kommt man zu dem Schluss, dass unser derzeitiges Recycling seine Grenzen hat und nur einen geringen Teil zur Lösung des Problems beitragen kann. Und wen wundert’s: Plastik ist nicht nur Bestandteil von Tragetaschen oder Getränkeflaschen, es ist überall! Kaum ein Elektrogerät, Haushaltsartikel oder Baustoff kommt ohne Plastik aus. Mehr als 60 Prozent aller Textilien bestehen teilweise oder gänzlich aus Polyester. All unsere Lebensmittel sind in Kunststoff verpackt, und selbst die meisten Kosmetika enthalten mittlerweile Mikroplastik. Kurz gesagt, wir schmieren uns Erdöl auf die Haut und finden das obendrein noch sexy. Und auch wenn das allein schon verrückt klingen mag, ist es in diesem Fall nicht das eigentliche Problem. Das entsteht erst später. Denn irgendwann waschen wir das Zeug wieder vom Körper ab, wodurch es in den Kanal gelangt, der wiederum in einen Fluss mündet, und somit landet das Mikroplastik schließlich nach langer Reise im Meer. Laut Schätzungen kommt allein im Mittelmeer bereits auf zwei Plankton-Lebewesen ein Teilchen Mikroplastik.3

Und hier im Meer wird es so richtig spannend, denn auf unserer Erde läuft alles in Kreisläufen ab. Anders ausgedrückt: »All you ever do is coming back to you« (Man bekommt im Leben alles zurück). Wenn Meereslebewesen wie Fische oder Muscheln das Mikroplastik in sich aufnehmen und wir sie daraufhin verspeisen, schließt sich der Kreislauf wieder und das Mikroplastik kommt zurück zum Verursacher, dem Menschen. Dieses Mal allerdings nicht auf der Haut über Kosmetika oder Kleidung, sondern gleich direkt in den Körper. Klingt alarmierend, oder? Doch obwohl wir pro Woche im globalen Durchschnitt fünf Gramm Mikroplastik über das Trinkwasser, die Luft und die Nahrung zu uns nehmen, gibt es offenbar keinen Grund zur Sorge.4

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2019 verkündet, dass Mikroplastik im Körper derzeit kein Problem darstelle.5 Und hört man den ausführenden Organen bei ihren Reden zu, so beschleicht einen das Gefühl, dass selbst die Plastikverschmutzung zum Teil des großen Plans gehören muss. Denn solange es sich ökonomisch rechnet, nehmen wir die Verschmutzung von Natur und Körper offenbar gern in Kauf. Wir können beides ja wieder säubern, sobald sich auch das ökonomisch rechnet. Streng genommen muss es sich also auch hier wieder um eine Win-win-Situation handeln. Wenn mit der Verschmutzung wie auch mit der anschließenden Säuberung etwas verdient werden kann, ist alles in Ordnung.

Wir scheinen nämlich immer noch einem mechanistischen Weltbild zu folgen, wonach auf unserem Planeten alle Vorgänge wiederholbar und reversibel sind. Was auch immer wir zerstören, kann auch wieder repariert werden, so der Glaube. Und diese Sichtweise prägt nicht nur unsere politischen Gremien und Organisationen, auch in weiten Teilen der Bevölkerung hält sie sich nach wie vor. In diesem Denken ist die Natur wie eine Maschine, unbelebt und beliebig steuerbar, frei nach den Wünschen jener Spezies, die sich diese Weltsicht ausgedacht hat. Und so fahren wir – völlig entspannt – gegen eine Wand und wissen dies sogar. Glauben jedoch, diese Wand kurz vor dem Aufprall noch aus dem Weg räumen zu können. Das heißt, sofern es sich ökonomisch rechnet …

Beispiel Artensterben

Ein weiteres großes Thema, das in den vergangenen Jahren mächtig für Schlagzeilen gesorgt hat und selbst hartgesottene Sitzenbleiber vom Sessel heben könnte, ist der Verlust der Biodiversität. Alle zehn Minuten stirbt auf unserer Erde eine Art aus!6 Wir befinden uns somit bereits im sechsten Massensterben in der Geschichte unseres Planeten. Entgegen dem letzten Massensterben können wir diesmal aber keinen Meteoriten als Verantwortlichen heranziehen, sondern müssen uns selbst an der Nase nehmen. Und bevor wir wieder in die Ferne schweifen und dem Artensterben im Amazonas unsere Aufmerksamkeit schenken, sollten wir lieber bei uns zu Hause beginnen. In Deutschland etwa fanden Hobbyforscher heraus, dass der Insektenbestand in den letzten dreißig Jahren um achtzig Prozent zurückgegangen ist. In Österreich sind alle Reptilien- und Amphibienarten entweder auf der Roten Liste oder auf einer Vorwarnstufe dazu. Und auch die Schweiz zählt mehr als 4900 bedrohte Tierarten.7 Mechanistisch gesehen kann man diesen Zahlen natürlich entgegnen, dass das Aussterben der Rumpelstilzchen-Zwergheuschrecke keine Bedrohung für uns Menschen darstellt. Deshalb lassen wir diese stampfende Zwergheuschrecke mal außer Acht und beginnen mit einer altbekannten Artgenossin, der Biene.

»Stirbt die Biene aus, so haben wir Menschen nur noch fünf bis zehn Jahre zu leben.« Immer wieder erschüttern uns Wissenschaftler mit solch haarsträubenden Thesen. Auch wenn wir Autoren dieser Drastik nicht ganz zustimmen, ist uns das Thema sehr wichtig, denn auch wir wollen in Zukunft nicht nur Brot mit Kartoffeln und Reis essen. So ähnlich könnten nämlich unsere Mahlzeiten in einer Zukunft ohne Bienen aussehen. Immerhin sind die bestäubenden Insekten, allen voran die Biene, für etwa ein Drittel all unserer Ernteerträge verantwortlich. Ohne Bienen gäbe es also kaum noch Äpfel, Birnen, Erdbeeren, Zwetschgen, Melonen, Kaffee, Kürbisse, Karotten, Zwiebeln oder auch Bohnen. Dies würde zudem unsere Versorgung mit Proteinen, Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen, wie etwa Eisen, massiv beeinträchtigen. Außerdem würden die Blühpflanzen verschwinden und unsere Landschaft würde noch ein Stück kahler werden, als sie es ohnehin bereits ist.

Anhand der Biene sieht man also schon sehr gut, wie sehr wir Menschen von der Natur abhängig sind. Bedenkt man nun, dass neben der Varroamilbe die Pestizide, vor allem die Klasse der Neonicotinoide, stark zum Bienensterben beitragen, wird die Kehrseite unserer wechselseitigen Abhängigkeit sichtbar. Und auch wenn die Pestizidhersteller ihre Verantwortung gern herabspielen, ist vielen Menschen langsam klar geworden, dass sich in unserem Umgang mit der Natur etwas ändern muss. Das Bienensterben hat uns hierbei ungewollt geholfen, weil es direkt vor unserer Haustür stattfindet und somit einen größeren Einfluss zu haben scheint als andere Umweltprobleme: Wenn der Imker oder die Imkerin aus der Nachbarschaft ihre Völker verlieren, brennt sich das in unseren Köpfen ein – und zwar stärker, als wenn ein Fisch in den Weiten des Mittelmeers an Plastik zugrunde geht.

Beispiel Klimawandel

Ein weiteres globales Thema, das uns wohl wie kein anderes im 21. Jahrhundert prägen wird, ist der Klimawandel. Solltest du womöglich gedacht haben, wir könnten zur Nische jener gehören, die den Klimawandel ablehnen oder gar leugnen, müssen wir dich enttäuschen. Wir sind seit über einem Jahrzehnt im Bereich der Nachhaltigkeit tätig und deshalb kommt für uns die Leugnung des Klimawandels in etwa dem Glauben gleich, die Erde wäre eine Scheibe. Abgesehen von ein paar Astronauten kann niemand wirklich sagen, dass unsere Erde rund ist, dennoch erscheint alles andere de facto unmöglich und alle Forschungsergebnisse und Bilder sprechen dieselbe Sprache. Somit gibt es bei diesem Thema schon lange eine breite Einigkeit: Die Erde ist keine Scheibe, Punkt. Auch beim Klimawandel gibt es – glücklicherweise – eine ebensolche Einigkeit. Dass sich das Klima auf unserer Erde über die Zeit hinweg immer verändert hat, wissen wir schon lange. Dass dies derzeit ungewöhnlich schnell passiert und durch uns Menschen verursacht wird, wurde dann im 20. Jahrhundert entdeckt.

In den 1950er-Jahren konnten die Klimaberechnungen erstmals mit Computern unterstützt werden, und seit den späten 1960er-Jahren fließen die Messungen von Satelliten in die Klimatologie mit ein. Eine breite Forschung, auch seitens der Ölkonzerne, gab es in den 70er- und 80er-Jahren. 1988 wurde schließlich das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) – der Weltklimarat – gegründet. Dies war zugleich der Zeitpunkt, als die Klimaproblematik auf breiter Ebene erkannt wurde und die Ölfirmen begannen, im großen Stil ihre eigenen Forschungsergebnisse zu leugnen und viele Millionen für Desinformationskampagnen auszugeben.8 Dazu mehr in einem späteren Kapitel.

Neu ist das Phänomen Klimawandel also schon lange nicht mehr und wir können bei seiner Beschreibung auf weit über fünfzig Jahre Forschungsergebnisse zurückgreifen. Mithilfe von Eisbohrkernen können wir heute genaue Informationen über das Klima der vergangenen Jahrtausende gewinnen. Abbildung 1 zeigt uns dazu, wie sich die Konzentration von Kohlendioxid in der Erdatmosphäre im Lauf der Zeit verändert hat. Demzufolge gab es die aktuelle CO2- Konzentration in den vergangenen 800.000 Jahren, ja wahrscheinlich sogar drei Millionen Jahren, nicht!


Abb. 1: Der CO2-Gehalt unserer Atmosphäre in den vergangenen 800.000 Jahren.9

Der starke Anstieg anthropogener Treibhausgasemissionen, hauptsächlich angetrieben durch das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum seit Beginn der Industriellen Revolution, hat in weiterer Folge auch zu einem Anstieg der globalen Erdtemperatur geführt. So wissen wir heute, dass die Temperatur im globalen Mittel um etwa 1 °C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau angestiegen ist. Für Europa war das Jahr 2018 mit einem Anstieg um 1,78 °C das bisher heißeste in der Messgeschichte.10 Auf unserem Kontinent haben wir mittlerweile vier Jahre in Folge die Ein-Grad-Grenze überschritten11, und seit den 1970er-Jahren war jedes Jahrzehnt wärmer als das vorherige12. Generell war es noch nie während der letzten 2000 Jahre – und sehr wahrscheinlich auch noch nie im Lauf der menschlichen Zivilisation – so warm wie heute.13