Göttliches Feuer, menschlicher Rauch

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Josef Imbach

Göttliches Feuer menschlicher Rauch

Josef Imbach

Göttliches Feuer
menschlicher Rauch

Vom Heiligen und Unheiligen in der Kirche


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2013 Echter Verlag, Würzburg

www.echter-verlag.de Lektorat: Michael Lauble, Düsseldorf Gestaltung und Satz: Ursula Altenhoff, Düsseldorf Umschlagabbildung: Fotolia Druck und Bindung: Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg ISBN 978-3-429-03608-9 ISBN 978-3-429-04734-4 (PDF) ISBN 978-3-429-06148-7 (ePub)

INHALT

Vorwort

Von langen Würsten und abgeschnittenen Zöpfen

Lahme Predigt? Auftreten, nicht leisetreten!

Straßennamen, Ortsnamen, in Gottes Namen

Kirchenkritik von ganz oben

Wir sind nun einmal kein Konzern!

Miteinander sprechen statt übereinander reden

Kirchengeschichte ist Krisengeschichte. Und Glaubensgeschichte

Bravo, bravo, bravissimo!

Heimweh nach der verlorenen Zeit

Lauter Verbote – aus Angst vor dem Neuen?

Gott zum Narren halten?

Wo Jesus auch gegenwärtig ist

Befreiungstheologie im 16. Jahrhundert

»Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne ...«

Die SBB regen zum Denken an

»Man hat uns für dumm verkauft.«

Freimut vor allem

Ein Lausebengel als Religionspädagoge

Wenn der Papst vom Thron steigt

Wie Franziskus doch noch Papst wurde

VORWORT

Angesichts der Tatsache, dass es in den christlichen Kirchen so viel Zaghaftigkeit und Versagen, so viel Ängstlichkeit und auch so viel Sünde gibt, erhebt sich der Einwand, ob wir den Satz des Glaubensbekenntnisses von der »heiligen Kirche« noch guten Gewissens bejahen können. Selbst Kurzsichtigen – handle es sich nun um Kirchenfromme oder um Glaubensferne – muss ja auffallen, dass aus dem göttlichen Feuer, das Jesus entfacht hat (vgl. Lukas 12,49), immer auch viel garstiger menschlicher Rauch aufsteigt.

»Heilige Kirche« – ganz gleich, welche der christlichen Glaubensgemeinschaften damit gemeint ist – für jede von ihnen bedeutet das, dass sie, wie immer sie sich darstellen, von Gott geheiligt sind und dass die Getauften aufgefordert sind, diese Berufung zu verwirklichen: Heiligung als Gabe, Heiligkeit als Aufgabe!

Weil aber immer eine Differenz bestehen wird zwischen Heiligung und Heiligkeit, heißt es sehr richtig in einem in der römischen Kirche gebräuchlichen Hochgebet: »Barmherziger Gott, mache die Kirche zu einem Ort der Wahrheit und Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens, damit die Menschen neue Hoffnung schöpfen.« Also nicht: Die Kirche ist ein solcher Ort. Sondern: Mache sie zu einem solchen Ort! Dies wiederum impliziert: Nicht mit irgendeiner christlichen Kirche, auch nicht mit dem Papst und schon gar nicht mit irgendwelchen Gottes- oder Schriftgelehrten, sondern einzig mit Christus und insofern mit den von ihm gewollten Glaubensgemeinschaften können und sollen sich die Christgläubigen vollumfänglich identifizieren. Und diese Identifikation bildet dann zugleich das kritische Korrektiv gegenüber den je konkreten Erscheinungsformen der realen, durch die Zeiten hinkenden Kirchen, die allesamt ständig der Umkehr und Erneuerung bedürfen.

VON LANGEN WÜRSTEN
UND ABGESCHNITTENEN ZÖPFEN

Was sie denn morgen Abend kochen solle, fragt Helen ihren Friedel. »Eigentlich hätte ich wieder einmal Lust auf eine Waadtländer Saucisson, mit Kartoffeln und Lauch«, sagt der. Und fügt hinzu: »Sag mal, warum schneidest du eigentlich immer an beiden Enden ein kleines Stück ab, bevor du die Wurst ins heiße Wasser legst?« »Das hat schon meine Mutter so gemacht.« Die kommt ein paar Tage später zu Besuch (was jeweils eher nach einer Visitation als nach einer Visite aussieht). Bei dieser Gelegenheit fällt Friedel die Sache mit der Wurst wieder ein. Also fragt er die Schwiegermutter, weshalb sie die beiden Wurstenden vor dem Sieden jeweils abgeschnitten habe. »Das habe ich von meiner Mutter übernommen.« Jetzt interessiert sich plötzlich auch Helen, welche das Ganze mitgekriegt hat, für die Sache. Als sie ihre Oma ein paar Tage später im Altenheim aufsucht, erkundigt sie sich bei ihr, was es mit den abgeschnittenen Wurstenden eigentlich auf sich habe. »Ach«, sagt die alte Frau, »habt ihr ihn denn noch immer, diesen viel zu kleinen Topf?«

Diese Geschichte erinnert an die Haltung mancher Gläubigen, die nur das als richtig erachten, was angeblich seit jeher praktiziert wurde. Und die deshalb neueren Entwicklungen von vornherein ablehnend gegenüberstehen. In diesem Zusammenhang wird oft bedauert, dass viele alte Traditionen einfach verschwunden seien. Dabei sollte man nicht übersehen, dass gewisse zeitweise aus der Übung gekommene Bräuche heute wiederum vermehrt gepflegt werden, wie etwa das Palmenbinden vor Beginn der Karwoche. Andere Gepflogenheiten hingegen haben sich verflüchtigt, weil sie fast nur noch musealen Charakter hatten.

Dass eine solche Entwicklung nicht in jedem Fall negativ zu beurteilen ist, haben die Preußen zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf ganz profaner Ebene demonstriert. Damals trugen die Soldaten das Haar lang und offen. Im Zug einer Vereinheitlichung des militärischen Erscheinungsbildes wurde dann die Vorschrift erlassen, die Strähnen zu einem Zopf zu binden. Aber die neue Einheitlichkeit hatte ihren Preis; beim Exerzieren erwies sich der Zopf als hinderlich. Weshalb er irgendwann wieder aus den Kasernen verschwand. Geblieben ist die Redewendung vom »alten Zopf«, der abgeschnitten gehört.

Wer manchen früher verbreiteten Andachtsübungen nachtrauert, verbindet damit vermutlich vor allem Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugendzeit; das Bedauern hätte dann weniger religiöse als vielmehr psychologische Ursachen.

Wenn die Zeiten sich ändern, kann sich die Kirche nicht einfach auf den alten ausgetretenen Wegen bewegen. Schon Jesus mahnte ja die Seinen, die Zeichen der Zeit zu deuten und entsprechend zu handeln (vgl. Lukas 12,56). Die Evangelisten haben das als Erste begriffen. Bekanntlich haben sie Jesu Botschaft nicht einfach protokolliert, sondern sie gleichzeitig im Hinblick auf die Bedürfnisse der Gemeinden, für die sie ihre Schriften verfassten, aktualisiert. Die im Lauf der Jahrhunderte sich herauskristallisierenden Traditionen sind im Grunde nichts anderes als die Fortschritte von vorgestern und gestern. Und die Fortschritte von heute? Werden, falls sie sich durchsetzen, vielleicht einmal zu Traditionen von morgen und übermorgen. Verbindlich aber sind nicht diese einzelnen Traditionen; bindend ist einzig die große apostolische Tradition, welche sich in den verschiedenen zeit- und situationsbedingten Gepflogenheiten jeweils konkretisiert. Die einzelnen geschichtlich gewachsenen Traditionen können sich überleben, und manchmal sind sie sogar der Sache selber hinderlich. Dem Lukasevangelium zufolge ist Jesus »gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen« (11,49). Dieses Feuer gilt es zu schüren – und nicht, die Asche zu hüten.

LAHME PREDIGT? AUFTRETEN,
NICHT LEISETRETEN!

Vom 6. bis zum 25. Oktober 2008 fand in Rom die Zwölfte Vollversammlung der Bischofssynode statt. Thema: »Das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche.« Schon am ersten Tag machten gleich mehrere Teilnehmer darauf aufmerksam, dass es mit der Predigtkultur in der katholischen Kirche nicht zum Besten bestellt sei. Unter anderen äußerte sich der Erzbischof von Québec, Marc Kardinal Ouellet, in seinem zweistündigen Referat über »die Unzufriedenheit vieler Gläubiger angesichts des Dienstes der Verkündigung«. Bischof Gerald Frederick Kicanas von Tucson, Arizona, stellte fest, manche Predigten seien einfach »tödlich langweilig«. Dabei verwies er auf eine Episode aus der Apostelgeschichte. Dort wird berichtet, dass der Apostel Paulus im Hinblick auf seine bevorstehende Abreise meinte, der versammelten Gemeinde von Troas die ganze Lehre nochmals in Erinnerung rufen zu müssen, und deshalb » seine Predigt bis Mitternacht ausdehnte«. Wer hier einen versteckten Vorwurf seitens des Verfassers der Apostelgeschichte heraushört, liegt vermutlich goldrichtig. Bestätigt wird das vom weiteren Verlauf der Dinge: »Ein junger Mann namens Eutychus saß im offenen Fenster und sank während der langen Predigt in tiefen Schlaf. Und er fiel im Schlaf aus dem dritten Stock hinunter und war tot. Paulus lief hinab, umfasste ihn und sagte: Beunruhigt euch nicht: Er lebt! Dann stieg er wieder hinauf, brach das Brot und aß und redete mit ihnen bis zum Morgengrauen. Dann verließ er sie. Den jungen Mann aber führten sie lebend von dort weg« (Apostelgeschichte 20,7-9). Der biblischen Erzählung zufolge wurde Eutychus von Paulus wieder zum Leben erweckt. Zumindest diese letztere Fähigkeit beherrschten viele heutige Prediger nicht mehr, meinte Bischof Kicanas. Das mag vielleicht zutreffen. Sicher hingegen ist, dass der junge Mann während der Predigt des Paulus einnickte! Und dass er nicht durch die Verkündigung des Gotteswortes zum Leben erweckt wurde! Aber gerade darum geht es doch in der Predigt.

 

Gelegentlich sorgen auch die Gläubigen selber dafür, dass die Zuhörerschaft nicht einschläft. Als ich einmal in einer Predigt zum Thema Gewissen die Frage der Wehrdienstverweigerung ansprach, schrie einer dazwischen: »Was Sie da sagen, steht in krassem Widerspruch zur Lehre der Kirche!« Ich habe den Mann eingeladen, ans Mikrophon zu kommen, und seine Ansicht kurz zu begründen. Anschließend habe ich (etwas genüsslich, wie ich zu meiner Beschämung gestehen muss) erklärt, dass es sich bei der von ihm beanstandeten Meinung um ein wörtliches Zitat aus einer päpstlichen Enzyklika handle. Meinen Respekt konnte ich dem Mann allerdings nicht versagen. Die Gläubigen müssen sich in der Predigt wirklich nicht alles bieten lassen. Auch hier gilt: Auftreten, nicht leisetreten! Schließlich sind die mit der Verkündigung Beauftragten nicht die einzigen Pächter und Wächter der Wahrheit. Das Zweite Vatikanische Konzil räumt auch dem »Glaubenssinn der Gläubigen« einen hohen Stellenwert ein. Diesem Glaubenssinn aber eignet nicht bloß ein wahrheitsbezeugender Charakter; er hat auch eine wahrheitsfindende Funktion. Wenn das römische Kirchenrecht den Laien die Predigt während der Eucharistiefeier verbietet, so untersagt es ihnen damit nicht, während der Predigt Fragen zu stellen. Oder eine Predigt in Frage zu stellen.

Dass das nicht nur für mündliche Predigtvorträge gilt, sondern selbst für die autoritativen schriftlichen Ausführungen höherer Chargen zutreffen kann, zeigt eine Episode, die sich in einem deutschen Bistum zugetragen haben soll. Anlässlich der Firmung beschwerten sich mehrere Pfarreiangehörige bei ihrem Bischof über die langweiligen Predigten ihres Pfarrers. Einer von ihnen meinte: »Und wenn der Pfarrer einmal nicht predigt, dann liest er uns so einen langweiligen Hirtenbrief vor.«

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