Soldatis und der König der Schattenalp: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 5)

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Soldatis und der König der Schattenalp: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 5)
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Jork Steffen Negelen








Fünfter Teil:





Soldatis und der König  der Schattenalp





Engelsdorfer Verlag



Leipzig



2016





Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:



Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

 detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de

 abrufbar.



Zweite überarbeitete Auflage



Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig



Alle Rechte beim Autor



Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)





www.engelsdorfer-verlag.de









Der schwarze Kristall





Die Nacht legte sich wie ein riesiger Schatten über das Schlangental. Der eisige Wind fegte durch die Bäume, die den Weg eines Wanderers säumten. Immer wieder blieb dieser Wanderer stehen und er sah zu der Ruine der Schlangenfestung, die sein Ziel war. Vier kräftige Männer folgten ihm. Sie trugen eine schwere Last.



Der Wanderer sah zu den Männern und schüttelte den Kopf. »Setzt die Kiste ab«, befahl er ihnen. »Seid jedoch vorsichtig, sonst zerbrecht ihr das Geschenk. Dämonicon würde euch töten, wenn ihr nicht achtgebt.«



Die Männer setzten die Kiste in den Schnee, der am Tag gefallen war und atmeten erleichtert auf. »Der Weg ist steil, mein König«, sprach einer von ihnen zu dem Wanderer, der ein weiteres Mal zur Ruine sah. »Seitdem wir wieder am Leben sind, haben wir zwar an Kraft gewonnen, doch der Schnee setzt uns trotzdem mächtig zu.«



Ein finsterer Blick des Königs zeigte den Männern, dass solche Worte bei ihm nichts zählten. Hastig trank jeder von ihnen einen Schluck Wein aus einer Flasche, die einer der Männer bei sich hatte. Dann hoben sie die Kiste wieder an und trugen sie auf ihren Schultern weiter zu der Ruine.



Am Fuß dieser Ruine befand sich der Eingang zur Grotte, die Dämonicon als Behausung diente. Von dort sah sich der schwarze Zauberer in aller Ruhe die Schattenalps an, die mit ihrer schweren Kiste nur mühselig vorankamen.



Ein Dutzend Erdtrolle bereitete im hinteren Teil der Grotte eine magische Zeremonie vor. Tantara, ihr Anführer, passte mit strengem Blick auf, dass auch nicht die kleinste Unachtsamkeit geschah. Seine Erdtrolle errichteten einen Sockel aus schwarzem Marmor und stellten dahinter einen steinernen Tisch auf. Als Vagho mit seinen Männern schnaufend die schwere Kiste in die Grotte schleppten, rannten die Erdtrolle zu ihnen und rissen den Schattenalps beinah die Kiste von den Schultern. Es sah schon merkwürdig aus, wie diese Erdtrolle immer wieder ihre Hände zum Laufen benutzten, denn ihre Beine waren zu schwach. Sie trugen die Kiste vorsichtig zu dem Sockel und öffneten sie. Dann umringten sie das hölzerne Ding und staunten.



Dämonicon beugte sich über die Erdtrolle und sah ebenfalls in die Kiste. »Das ist ein schwarzer Kristall aus den tiefen Höhlen des Dämonenreiches. Vagho hat ihn an dem Ort gefunden, an dem ich einst in die Welt trat. Er hat ihn zu mir gebracht, damit er uns dient. Seine Macht ist groß, doch nur ich weiß, wie man ihn beschwört. Mit seiner Hilfe kann ich die Dinge finden, die mir gefährlich werden können …«



»Oder die Dinge, die dir nützen können«, sprach Tantara und verbeugte sich vor Dämonicon.



Der schwarze Zauberer nickte und betrachtete den Kristall. »Ja mein Freund«, sprach er zu Tantara. »Ich kann viele Dinge mit ihm finden, die mir nützlich sind. Doch ich suche etwas Bestimmtes.«



Die Erdtrolle hoben den Kristall aus der Kiste heraus und stellten ihn auf den schwarzen Sockel. Dann zogen sie sich zurück und verbeugten sich immer wieder.



Dämonicon trat lächelnd an den Kristall heran und berührte ihn mit beiden Händen. Sofort zuckten kleine Blitze und glutrote Flammen aus dem Kristall heraus. Sie fuhren in die Hände des schwarzen Zauberers. Doch das störte ihn nicht.



Dämonicon drehte sich zu Vagho und Tantara um und sah sie beide an. »Ihr bildet einen Kreis mit euren Männern und schaut mir zu. Dann werdet ihr sehen, was ich alles von ihm erfahren kann und ihr werdet erkennen, dass die Macht meines Vaters Imperos nicht zu brechen ist.«



Dämonicon stellte sich vor dem Kristall hin, der mit Blitzen und Flammen auf jede seiner Bewegungen reagierte. Die Erdtrolle und die Schattenalps umringten ihn mit gebührendem Abstand. Keiner sprach ein Wort und sie vermieden es, irgendein Geräusch zu machen.



Dämonicon hob beide Arme hoch und ließ sich von den Blitzen und den Flammen einhüllen. Dann sprach er leise immer wieder eine Beschwörung aus. Die Flammen loderten auf und die Blitze schossen in die Decke der Grotte. Sogleich bildeten die Flammen eine Kugel und die Blitze schossen in sie hinein. Leise sprach Dämonicon die feurige Kugel an und streckte seine Hände nach ihr aus. »Komm zu mir, du schönste Hüterin aller Geheimnisse. Ich will, dass du mir etwas zeigst, was für alle Ewigkeiten verborgen bleiben soll.«



Die Feuerkugel schwebte zu Dämonicon und er berührte sie mit seinen Händen. Er hielt sie dicht vor seinem Gesicht und flüsterte ihr leise seinen Wunsch zu. »Zeig mir die drei Kugeln, mit denen ich als Kind bei meinem Vater spielen durfte. Ich nahm sie mit in diese Welt und habe sie im Kampf verloren. Sie sind aus gelben Edelsteinen. In der ersten Kugel ist ein Skorpion, in der zweiten Kugel ist eine Spinne und in der dritten Kugel ist eine Schlange eingeschlossen. Ich will sie wiederhaben, denn sie besitzen eine Macht, die nur mir dienen darf. Zeig mir, wo ich sie finden kann.«



Die Feuerkugel schwebte weg von den Händen des schwarzen Zauberers und wurde schnell größer. In ihr bildeten die Blitze eine Landschaft ab. Dämonicon erkannte schnell, dass die Kugel und die Blitze ihm den Weg verrieten. Sie zeigte ihm zunächst die Stadt Viedana, dann die Sümpfe von Haltara und danach Isagrahl, die zerstörte Hauptstadt der Obinarer. Dann ging es nach Süden zu den Tieflandzwergen und weiter zu den Bergen eines Gebirges. In diesem Gebirge stand auf einem großen Berg eine Stadt. Die Feuerkugel zeigte einen Palast und führte Dämonicons Blick geradewegs in die Schatzkammer des Herrschers dieser Stadt. Dort, in den tiefsten Gewölben stand eine alte Truhe. Ihre Schlösser waren rostig und ihr Holz modrig. Schon lange schenkte niemand mehr dieser Truhe Beachtung.



Die Feuerkugel wurde immer kleiner und verschwand zusammen mit den Blitzen. Triumphierend drehte Dämonicon sich zu Tantara und Vagho um. »Na ihr beiden, was sagt ihr dazu?«



Der Erdhexer und der König waren in der Tat über alle Maßen beeindruckt. Tantara zeigte zu dem schwarzen Kristall und verbeugte sich, wie es schon immer seine Art war. »Dieses wunderbare magische Stück hat uns den Ort verraten, an dem sich die drei Kugeln befinden. Es tat dies auf eine Art, die mich zum Staunen brachte. Sag uns, was wir tun sollen, Herr. Wenn du es wünschst, so brechen wir noch heute auf und bringen dir deine Kugeln.«



Dämonicon verzog sein Gesicht zu einem hässlichen Grinsen und zeigte zu dem Kristall hin. Sofort schossen wieder Blitze und Flammen aus ihm heraus und berührten Dämonicon, ohne ihm etwas anzutun. »Dieser Kristall zeigt uns nur den Weg, doch er kann uns nicht die Gefahren erklären, die auf uns lauern. Nur, wer von euch genau hingesehen hat, der konnte sie erkennen. Habt ihr nicht bemerkt, dass wir keinen einzigen Bewohner in der Stadt gesehen haben?«



Vagho stimmte Dämonicon zu. »Ja mein Herr, du hast recht. Das ist uns bei all der Pracht entgangen. Doch jetzt fällt es auch mir auf.«



Der schwarze Zauberer trat an den König heran und tippte ihn mit seinem Zauberstab auf seine Brust. »Warst du schon einmal in dieser Stadt, mein lieber Vagho?«



Der König nickte zustimmend. »Man nannte diesen Ort einst Saphira, die Perle des Südens. Als ich noch König von Villbass war, habe ich oft daran gedacht, diese Stadt zu plündern. Doch ich habe diesen Gedanken immer wieder verworfen. Es war mir einfach zu gefährlich. Erst viele Jahre später, als ich mein Königreich bereits verloren hatte, erfuhr ich vom Untergang von Saphira. Ein mächtiges Feuer sollte dort alles vernichtet haben. Doch der Kristall hat uns gezeigt, dass dort kein Feuer gewütet haben kann. Es muss eine andere Macht gewesen sein, die alle Bewohner von Saphira vertrieben hat.«



Dämonicon hatte noch immer sein Grinsen im Gesicht, als er Vagho erneut mit seinem Zauberstab auf die Brust tippte. »Du bist ein kluger und umsichtiger Mann, Vagho, König der Schattenalps. Du hast ein großes Heer, das dir bedingungslos ergeben ist. Das brauche ich für die kommende Schlacht. Doch ich will diese Schlacht erst dann wagen, wenn ich eine Waffe habe, die ich gegen die Drachen verwenden kann. Deshalb brauche ich die drei Kugeln. Sie selbst sind nicht weiter wichtig. Doch die Tiere in ihnen sind von großem Wert. Wer auch immer die Kugeln zerstört, der herrscht über diese Tiere und kann sie in die Schlacht führen. Der Skorpion, die Spinne und die Schlange werden zu riesigen Monstern. Sie können nicht fliegen, doch die Spinne kann die Drachen mit ihren Netzen fangen und ihre beiden Freunde können sie mit ihrem Gift töten. Wenn diese drei Tiere ihr Werk getan haben, ist für uns der Weg frei und wir greifen nach der Herrschaft über diese Welt. Niemand wird uns dann noch aufhalten können.«

 



Voller Ungeduld trat Tantara dicht an Dämonicon heran. »Herr, sag uns, was wir tun sollen und es wird geschehen. Wenn du mich schickst, so hole ich dir diese drei Kugeln so schnell ich kann.«



»Das glaube ich dir gern«, erwiderte der schwarze Zauberer. »Doch du wirst eine andere Aufgabe übernehmen.«



Noch einmal tippte Dämonicon Vagho mit seinem Zauberstab gegen die Brust. »Du, mein Freund Vagho, du wirst mir die drei Kugeln holen. Gehe allein und nimm nur mit, was du auch wirklich brauchst. Und vergiss deinen Zauberstab nicht. Du wirst ihn brauchen, wenn du die Stadt erreicht hast. Bringe auch in Erfahrung, was die Bewohner von Saphira in die Flucht trieb. Vielleicht können wir auch diese Macht verwenden.«



Tantara war über Dämonicons Entscheidung nicht sehr erfreut. »Aber Herr, warum lässt du mich nicht nach Saphira ziehen? Ich hole dir bestimmt deine Kugeln und ich erfahre auch, was sich dort zugetragen hat.«



»Nein«, erklärte Dämonicon dem Erdhexer. »Du würdest dort in der Gegend nur auffallen und das will ich nicht. Saphira war einst eine stolze Stadt der Wüstenzwerge. Sie wohnen noch heute in den Bergen des Silbergebirges. Ein einzelner Schattenalp kann mehr bewirken. Besonders wenn er Vagho heißt. Er ist ein Meisterdieb, ein Giftmörder und ein treuer Freund. Niemand kennt sich besser mit den magischen Fallen aus, die die Zwerge in der Schatzkammer von Saphira vor langer Zeit legten. Vagho wird sie alle überwinden und du, mein Freund Tantara, du wirst dich mit Oxan und Uridon zu den Zentauren begeben. Ihr werdet nachschauen, ob alles in ihrem Lager seine Ordnung hat. Wenn der Winter vorbei ist und das Frühjahr erwacht, dann will ich die Schlacht wagen und meine Feinde vernichten.«



Dämonicon drehte sich um und ging zu einem Tisch, auf dem einer der Erdtrolle sein Essen bereitgestellt hatte. Der Geruch von frischem Brot und einem Hirschbraten stieg ihm in die Nase. Doch da war noch etwas anderes. Es lag wie ein feiner Schleier in der Luft. Vagho kam herbei und er roch es ebenfalls. Doch es war so schnell weg, wie es gekommen war und Dämonicon sah sich ratlos um. Der Schattenalp zog seinen Zauberstab und erhellte mit einem Feuerball die Umgebung. Doch es war nichts zu entdecken.



»Lass es gut sein«, sprach der schwarze Zauberer. »Das kommt bestimmt vom Essen. Für einen Augenblick dachte ich, ein fremdes Wesen wäre in die Grotte eingedrungen. Doch es wird wohl der Braten sein, der unsere Nasen in die Irre geführt hat.«



»So wird es sein, mein Herr«, erwiderte der Schattenalp. Er steckte seinen Zauberstab zurück in seinen Gürtel. Vielleicht hatte Dämonicon recht, doch Vagho blieb misstrauisch. Er schaute immer wieder in alle Ecken, doch es war nichts zu sehen. Deshalb ging er ins Freie und schaute sich vor dem Eingang der Grotte um. Die Spuren seiner Männer waren deutlich im Schnee zu erkennen. Auch seine eigenen Stiefelabdrücke fielen ihm auf. Sonst gab es jedoch nichts zu sehen. Vagho schaute in den mit Wolken bedeckten Himmel und er hörte das Rauschen der Bäume. Der Wind trieb hier und da den Schnee in die Höhe und ließ ihn tanzen. Er dachte an die Stadt Saphira und ihm kam ein alter Freund in den Sinn, der schon längst tot und begraben war. Der hatte ihm einst erzählt, dass die Stadt ihren Namen durch einen Zwerg bekam, der einen großen Saphir gefunden hatte. Es sollte ein faustgroßer Edelstein gewesen sein, der einfach so in der Gegend herumlag und in der Sonne funkelte.



Ob diese Geschichte stimmte, wusste Vagho nicht. Doch ihm fiel auch seine Schwester ein. Als sie beide noch Kinder waren, da hatte Irrsande ein Lied gesungen. Vagho hatte noch immer ihre helle Stimme im Ohr und ohne es zu wollen sang er ihr Lied. »Spiel nicht mit Saphiren, die Steine werden dich verführen. Ihr edler Glanz wird dich blenden und du wirst dich hin zum Feuer wenden. Spiel nicht mit Saphiren …«







Der Bettler von Krell





In Krell, der Hauptstadt des Königreiches Avanura, gab es nur noch ein einziges Thema. Alles drehte sich jetzt um den Wintermarkt. Die Kaufleute kamen, um zu handeln, die Gaukler wollten mit ihren Kunststücken das Volk begeistern und die königlichen Steuereintreiber rieben sich schon seit Tagen die Hände. Doch es waren so viele Schaulustige auf dem Wintermarkt, dass niemand in der Stadt auch nur die geringste Übersicht hatte. Alle Wirtshäuser und Herbergen der Stadt waren brechend voll.



König Core von Avanura hatte den Hüter Dankwart von Arewall zum jährlichen Marktherrn ernannt und ihm somit die Oberaufsicht über das bunte Treiben übergegeben. Böse Zungen behaupteten, der König wollte dem Hüter nur so zum Spaß mit dieser Ernennung einen Streich spielen – was natürlich niemand beweisen konnte. Auf jeden Fall musste jeder der vielen Kaufmannsstände von Dankwart selbst gezählt werden.



Vor einem der zahlreichen Stände stand ein Kobold. Er handelte eifrig mit einem Kaufmann, der viele seltene Edelsteine, Muschelschalen und Perlen anbot. Das alles waren Dinge, die von dem Kobold gebraucht wurden. Doch der Preis für eine ganz besondere Perle war einfach zu hoch. Deshalb winkte der Kobold ab, als der Kaufmann ihm noch ein letztes Angebot machte. Dieser Kobold war Soldatis. Er schulterte seine Keule und verließ den Stand des Kaufmanns.



Leise schimpfte er vor sich hin. »So ein gieriger Kerl, der will doch glatt zehn Goldstücke für eine einzige Perle haben. Da gehe ich doch lieber zu den Fischern im Hafen. Die verkaufen mir eine Perle für ein einziges Goldstück und nicht für zehn.«



Soldatis ging zu einem Weinhändler und ließ sich einen Becher mit süßem Wein reichen. Als er den Becher ausgetrunken hatte und ihn zurückgab, da viel sein Blick auf einen Kartenhändler. Der Mann hielt allerlei Weltkarten hoch. Doch der Kobold sah schnell, dass alle Karten sehr ungenau waren und viele Orte nicht darauf standen. Deshalb zog Soldatis weiter. Er sah sich die vielen Stände an. Oftmals wurde er unsanft zur Seite gedrängt und es gelang ihm nur mit Mühe, sich den nötigen Platz zu verschaffen.



Nach einigen Stunden war der Kobold erschöpft und er verließ den Marktplatz. Etwas abseits saß ein alter Bettler. Er hielt eine Schale hoch. Mit flehendem Blick bat er immer wieder um eine Kupfermünze. Soldatis hatte keine Lust mehr, bei den Fischern nach Perlen zu fragen und er warf achtlos drei Goldstücke auf die Schale des Bettlers. Der Alte traute seinen Augen nicht und biss mit seinen letzten beiden Zähnen auf eines der Goldstücke. Dann steckte er sie schnell weg und lief, auf eine Krücke gestützt, dem Kobold nach.



»Halt, mein Freund«, rief er Soldatis nach. Als er den Kobold eingeholt hatte, zog er die drei Goldstücke aus einer Tasche seines zerlumpten Mantels. Er riss sich auch den löchrigen Filzhut vom Kopf und verneigte sich.



Soldatis sah ihn verwundert an und er wusste nicht gleich, was er sagen sollte. Doch der alte Bettler hielt ihm die Goldstücke unter die Nase und sprach mit brüchiger Stimme. »Das ist zu viel Gold, mein Herr Kobold. Soviel kann ich nicht annehmen. Ich gebe es dir zurück, und wenn du willst, so gib mir eine Kupfermünze. Dann erhältst du meinen Dank und ich schließe dich in meine Gebete ein.«



Soldatis schüttelte den Kopf und drückte die ausgestreckte Hand des Bettlers zur Seite. »Ich habe es dir gegeben, also will ich, dass du es nimmst. Kaufe dir dafür neue Kleider und nimm vorher ein Bad. Du riechst etwas streng.«



Beleidigt sah der Bettler mit finsterer Miene den Kobold an. »Na, wenn das so ist, so werde ich die Goldstücke behalten. Doch ich will sie erst ausgeben, wenn ich sie mir verdient habe. Das bedeutet für dich, dass ich vom heutigen Tage an dein Diener bin.«



Der Bettler zeigte mit dem spitzen Zeigefinger seiner rechten Hand zu Soldatis und grinste ihn frech an. »Na, was sagst du nun, du kleiner Kobold?«



Soldatis grinste zurück und zog seine Flugschale. »Du kannst nur mein Diener sein, wenn du mir folgen kannst. Doch da du das nicht schaffen wirst, musst du hier weiter betteln und ich kehre ohne dich und ohne die drei Goldstücke zurück in mein Tal.«



Der Kobold vergrößerte seine Schale, setzte sich auf sie und hüllte sich in eine Decke ein. Dann schwebte er in die Höhe und ließ den Bettler allein am Rande des Marktplatzes zurück. Zufrieden trieb er seine Flugschale zur Eile an. Ihm wurde kalt und er zog die Decke fester um seinen Körper zusammen. Er kam trotz der eisigen Kälte schnell über das brausende Meer. Bei einem der Fischerdörfer landete er und stieg von der Schale.



Soldatis war so durchgefroren, dass er sich am Lagerfeuer eines Fischers aufwärmen musste. Der Fischer gab ihm eine kräftige Suppe und einen guten Schluck Wein. Das half gegen die Kälte und gab neue Kraft.



Als Soldatis genüsslich den Wein trank, saß der Fischer neben ihm und stocherte mit einem Stock im Feuer herum. Ohne den Kobold anzusehen, stellte er ihm eine Frage. »Wieso fliegst du bei dieser Kälte mit einer Schale in der Luft herum? Hast du denn keinen Verstand?«



Soldatis trank den Becher aus und wischte sich den Wein aus seinem Bart, ehe er antwortete. »Als ich gestern nach Krell flog, da war es noch warm. Die Kälte kam erst in der Nacht und ich habe nicht die richtige Decke mitgenommen. Einen dicken Mantel hätte ich mir auch anziehen sollen. Doch nun muss es wohl ohne dem gehen.«



»Ich habe in einer alten Truhe noch Sachen von meinem Sohn«, sprach der Fischer und er sah den Kobold an. »Die kannst du haben, denn der Junge ist zu groß für seinen alten Wintermantel und die Fellmütze. Einen Schal finde ich bestimmt auch noch. Wenn du weiter in den Norden willst, wird es für dich verdammt eisig werden.«



Soldatis bedankte sich und hielt dem Fischer die Goldmünzen entgegen, die er noch hatte. Doch der lehnte ab und stand auf. Er ging zu seiner Hütte und kam nach einer Weile mit einem Bündel Sachen zurück. »Ich will dir die Sachen schenken, weil du einer der Kobolde bist, die für unseren König gekämpft haben. Kein anständiger Mensch würde von dir ein Goldstück annehmen. Das machen nur die gierigen Kaufleute in der Stadt.«



Soldatis steckte sein Gold wieder ein und bedankte sich. Er probierte den Mantel an und setzte sich die Fellmütze auf. In den Taschen des Mantels fand er einen Schal und zwei dicke Handschuhe.



»Das wird mir beim Fliegen helfen!«, rief er erfreut aus. »Schade, dass ich in der Stadt keine Perle gefunden habe. Ich wollte mir so ein strahlend weißes Schmuckstück kaufen.«



Der Fischer sah ihn verwundert an. »Zu welchem Zweck brauchst du denn so eine Perle?«, fragte er.



Soldatis zog ein Stück Pergament aus einer Tasche und hielt es dem Fischer entgegen. »Das hier ist ein Rezept für einen besonderen Trank. Mir fehlt nur eine Perle, die ich zu Pulver zerstoßen und mit den anderen Zutaten vermischen kann. Der Trank hilft bei vielen Krankheiten und er stärkt den Körper.«



Der Fischer hielt dem Kobold drei Perlen unter die Nase und grinste. »Ich gebe dir diese drei Perlen, wenn du mir einen solchen Trank brauen kannst. Meine Frau ist krank und es will keine Medizin helfen.«



Soldatis willigte ein und zog seinen Zauberbeutel von seinem Gürtel ab. Darin befand sich alles, was ein Kobold zum Brauen eines Trankes brauchte. Der Fischer staunte, wie schnell Soldatis seine Kräuter und Wurzeln auf einem Stein zerrieb und eine der drei Perlen zu Pulver zerstampfte. Dann warf der Kobold alles in einen kleinen Kessel und ließ es aufkochen. Danach füllte er den Sud in eine kleine Flasche und gab sie dem Fischer. »Das musst du deiner Frau gleich zu trinken geben. Sie wird sich bestimmt schnell erholen, denn der Trank ist sehr stark.«



Es dauerte eine Weile, doch als der Fischer wieder aus seiner Hütte kam, da war er überglücklich. »Ich glaube, es wirkt schon«, rief er voller Freude. Dann bedankte er sich für die Hilfe und er wünschte dem Kobold einen glücklichen Heimflug.



Nach drei Stunden kam Soldatis erschöpft und müde im dunklen Tal an. Die Nacht war schon hereingebrochen und er lief schnell durch den geheimen Tunnel. Vor dem Baumhaus fand er seine Brüder und die Minitrolle in heller Aufregung vor. Diese Aufregung vergrößerte sich noch beim Anblick von Soldatis.



»Da bist du ja endlich!«, fauchte ihn Barbaron wie eine Raubkatze an. »Wir warten seit Stunden auf dich und du treibst dich weit weg in Krell herum!«



Da hat mein König verdammt recht!«, rief gleich darauf der Hauptmann. »Dein neuer Diener ist viel schneller hier eingetroffen als du. Dir war wohl ein Wirtshaus im Wege, oder war es gar …!«

 



»Halt deinen vorlauten Mund!«, schimpfte Artur los. »Soldatis wird uns sicher gleich erklären, was es mit diesem zerlumpten Diener auf sich hat.«



Hinter Artur stand grinsend der Bettler. Er winkte dem staunenden Soldatis zu. Der zerlumpte Kerl trat dicht an ihn heran und begrüßte ihn überschwänglich. »Einen gesegneten Abend wünsche ich meinem Meister. Womit kann ich dir dienen, mein Herr?«



Soldatis traute für einen Moment weder seinen Augen noch seinen Ohren und erst recht nicht seiner Nase, denn der Bettler stank immer noch entsetzlich nach dem Straßendreck von Krell. Zu allem Übel fiel ihm erst in diesem Augenblick auf, dass sein neuer Diener kein Mensch war. Er hatte die spitzen Ohren eines Elfen. Das hätte er gleich sehen müssen, denn er wusste sehr gut, dass ein Elf niemals betteln würde. Bei diesem Kerl stimmte etwas nicht. Soldatis hob seine Keule und streckte sie dem Bettler entgegen. Sofort machten die anderen Kobolde und die Minitrolle Platz, denn sie wussten, dass die magische Keule von Soldatis einen erheblichen Schaden anrichten konnte.



Der Bettler hob beide Arme und versuchte den Kobold zu beschwichtigen. »Schon gut, du brauchst nicht gleich wütend zu werden. Ich erkläre dir und deinen Freunden alles. Damit bist du doch einverstanden, oder?«



»Was gibt es da zu erklären, du Gauner von einem Bettler?!«, brüllte Soldatis los. »Du brauchst ein warmes Lager für den Winter und ich soll nun für dich den Herrn spielen, damit du bei uns deinen Unterschlupf hast. Das ist dir doch glatt mehr wert als drei lumpige Goldstücke. Doch wie hast du überhaupt hier hergefunden, du bettelnder Elf? Das wirst du uns sofort erzählen, oder ich bearbeite dich mit meiner Keule!«



Der Bettler sah in die Gesichter der Kobolde und der Minitrolle und er erkannte gleich, dass von ihnen nicht so schnell Hilfe zu erwarten war. »Kann ich das alles an einem Ort erzählen, der ein wenig wärmer ist als die verschneite Wiese dieses windigen Tals? Mir ist nämlich entsetzlich kalt.«



Artur beendete die wütende Attacke von Soldatis, indem er sich zwischen dem Bettler und seinem Bruder stellte. »Du gehst in unser Baumhaus und legst deine furchtbare Keule weg, mein lieber Soldatis«, erklärte er recht laut. »Um deinen Diener kümmere ich mich.«



»Da helfen wir dir gern!«, rief Barbaron sofort und er rieb sich die Hände. »Dieser stinkende Kerl erhält erst mal in heißes Bad.«



Der König aller Minitrolle wartete Arturs Antwort erst gar nicht ab und rief sofort seinem Volk den nächsten Befehl zu. »An die Arbeit, meine lieben kleinen Minitrolle! Wir brauchen Feuerholz und den großen alten Kessel! Wir stecken den ganzen Kerl in diesen Kessel hinein und schrubben ihn mal ordentlich ab!«



Artur holte tief Luft, doch er konnte nichts mehr sagen. Die Minitrolle rannten sofort los und jeder hatte plötzlich etwas zu tun.



Barbaron stellte sich vor dem Bettler auf und sah ihn prüfend an. »Obwohl ich Rückenwind habe, kann ich dich riechen. Kein Wunder, dass Soldatis dich nicht zum Diener haben wollte. In deiner Nähe würde er kein Stück Brot essen wollen. Lass dir von Artur nach dem Bad neue Kleider geben. Der kann solche Dinge herbeizaubern.«



Artur verschränkte die Arme und sah den kleinen König aller Minitrolle mit funkelnden Augen grimmig an. »Ich wusste überhaupt nicht, dass du hier das große Sagen hast, Freund Barbaron!«



»Das habe ich absolut nicht, Freund Artur«, konterte der kleine König und zwinkerte mit seinem rechten Auge dem Kobold zu. »Doch ich muss leider feststellen, dass ich dir alten Kobold immer wieder auf die Sprünge helfen muss. Aber ich tu es ja gerne. Und überhaupt – zu was hat man denn Freunde? Sag es nur, wenn du Hilfe brauchst. Wir Minitrolle sind immer für dich da.«



Artur platzte fast vor Empörung, doch er konnte diesem frechen König einfach nicht so richtig böse sein. »Na gut!«, rief er und ging wütend zum Baumhaus. »Dann fertige ich schon mal die neuen Kleider für unseren Gast an. Zu was hat man denn Freunde?!« Mit einem lauten Krachen ließ Artur die Tür des Baumhauses hinter sich zufallen.



»Das hätten wir geschafft«, frohlockte Barbaron und er rieb sich erneut die Hände. Der Bettler beugte sich vor und streckte dem kleinen König seine rechte Hand entgegen. »Danke für deine Hilfe, doch das Bad … äh ich meine … das muss doch nicht sein, oder?«



Barbaron trat einen großen Schritt zurück und wedelte mit den Händen. »Doch das muss sein«, erklärte er. »Wenn du so übel riechend in eine Schlacht ziehen würdest, so würdest du sehr schnell allein auf dem Schlachtfeld stehen. Jeder Feind, der dir zu nah kommt, würde sofort das Weite suchen.«



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