Der neue König von Mallorca

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Der neue König von Mallorca
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Ein satirischer Roman von Jörg Mehrwald

Der neue König

von Mallorca


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 9783943172096

Der Autor:

Jörg Mehrwald lebt in Baden. Er studierte BWL, arbeitete als Redakteur und Journalist für Radio, TV und PR, wurde Gag-Autor bei Rudi Carrells »7 Tage, 7 Köpfe«, schrieb Sitcoms für Pro 7 und arbeitete als Redakteur für Günther Jauch und Thomas Gottschalk. Er schrieb inzwischen mehr als 10 Romane, die teilweise auch als e-books und Hörbücher erschienen sind. Er veröffentlichte als Co-Autor mit Sky Dumont (»Prinz und Paparazzi«) und Dieter Wedel (»Gier«). Er schrieb Hörspiele für SWR und HR, arbeitet als Drehbuchautor und Regisseur für mehrere Sitcom-Projekte (»Bull«, »Störtebeker« u.a.) und ist im Internet als »Deutschlands härtester Bild-Kritiker« mit satirischen Video-Kolumnen zu sehen.

www.joergmehrwald.com/

Originalausgabe 2011

© 2011 MARLON

Ein Imprint der Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Gutenbergstr. 1, 47443 Moers

www.marlon-verlag.de

Autor und Verlag haben dieses Buch sorgfältig geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.

Lektorat: Eckhard Schwettmann, Gernsbach

Korrektorat: Otmar Fischer, Münster

Umschlag: BrendowPrintMedien, Moers

Titelbild: Fotolia

Satz: CDS-TEX

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Kapitel 1 Der Plan

Kapitel 2 Der Flug

Kapitel 3 Die erste Nacht

Kapitel 4 Der erste Tag

Kapitel 5 Der zweite Tag

Kapitel 6 Aktion Schweinebucht

Kapitel 7 Die Nacht der Nächte

Kapitel 8 Der dritte Tag

Kapitel 9 Das große Kampftrinken

Kapitel 10 Letzte Nacht und Abreise

Kapitel 11 Ein Jahr danach

Ebenfalls im Marlon Verlag erschienen

Kapitel 1
Der Plan

Der Tag war wie geschaffen für neue Pläne. Mallorca suchte seinen neuen Superstar. Und einer spürte das, fühlte sich dazu berufen und war angereist, um den regierenden »König von Mallorca« abzulösen.

Ernie Donner, der eigentlich Ernst Friedrich Kramellowitsch hieß, stand vor dem »Café Katzenberger« und staunte. Vor dem Putsch gegen Deutschlands heißesten Exportschlagersänger, Jürgen Drews, wollte er das Milieu studieren. Daniela Katzenberger ließ sich gerade von einer Gruppe sächsischer Schlagerfans fotografieren, als er von einem Kellner einen Platz an Tisch drei zugewiesen bekam, den er sich mit zwei dicken Damen aus dem Ruhrpott teilte.

»Sind bald meine Fans«, dachte Ernie. Diese kleine Blondine hatte doch innerhalb kürzester Zeit tatsächlich geschafft, wovon andere nur träumten. Danielas Laden brummte. Onkel Jürgen war schon da, und Ernie verputzte eine Portion Eis mit Sahne. Dabei sah er dem schnatternden Jungstar von RTL II aufmerksam beim belanglosen, aber quotenstarken Smalltalk zu. Ernie hatte sich bereits die dunklen Haare lang wachsen lassen und trainierte im Fitnessstudio, damit er bald den Body eines echten »Königs von Mallorca« vorweisen konnte.

Sein Manager Hugo Schnaller hatte die geniale Idee gehabt, den neuen »König von Mallorca« zu suchen. Hugo war ein alter Fuchs, ergraut, clever und listig. Er trug mittlerweile ein paar Kilos zu viel herum, denn er aß zu gern alles, was schmeckte. Und das war nicht wenig. Im Lebenslauf ließ er auch mal ein paar Jahre seiner Karriere verschwinden, konzentrierte sich aber immer auf seine vielen Talente: Manager, Gourmet, Party-Veranstalter, Presse-Connecter und Songwriter.

Ja, Hugo schrieb alle Songs für seine Stars. Man hätte auch sagen können, er klaute sie so brutal, dass es schon peinlich war, ihn darauf anzusprechen. Was Hugo nicht davon abhielt, sich in der Yellow Press als eines der verkannten Genies der Schlagerszene feiern zu lassen. Dafür steckte er jedes Jahr ein halbes Vermögen in seine Geburtstagsparty, auf der die gesamte ausgebrannte Elite des Party-Jetsets Wiederauferstehung feierte.

Gerade wollte Ernie Hugos Nummer in sein iPhone eingeben, da setzte sich der übergewichtige Manager an seinen Tisch.

»Hallo Ernie. Ein Gruß an die Damen. Das ist übrigens der neue König von Mallorca. Seine brandheiße Single ›Ich bau dir zwei Schlösser‹ kommt nächste Woche auf den Markt. Sichern Sie sich Karten im ›Oberbayern‹. Wir treten vier Tage hintereinander auf.«

»Sie auch?«, fragte eine der beiden Dicken.

»Ich trete als gemischter Background-Chor auf«, feixte Hugo. Plötzlich stand Frau Katzenberger an ihren Tisch. »Hugo, du hier?«

»Ja, Dani, hallo!«

Die Katzenberger wandte sich an die zwei Dicken, die wie verrückt Fotos von ihr machten, und bat sie, an einem gerade frei gewordenen Tisch Platz zu nehmen. Sie werde später für ein Extra-Foto mit Menowin Fröhlich vorbeikommen, der heute noch einen Absacker bei ihr nehmen wolle.

Die zwei standen verunsichert auf, fügten sich aber in ihr Schicksal. Als sie am anderen Tisch saßen, sagte Ernie: »Die Dani is echt gut.«

»Ich kenne sie seit zehn Minuten. Hat mich ein Fuffi gekostet, den Tisch exklusiv zu bekommen. Dani liebt Geld, sie riecht es. Solche Frauen brauchen nur das richtige Futter. Hat ein lausiges Musikmanagement, die Kleine. Habe ihr einen besseren Deal versprochen. Außerdem könnte ich sie bei Mörtel Lugner für zehn Auftritte in Wien unterbringen. Mörtel steht auf Blondinen. So, jetzt hör mal, Ernie, du musst in die Höhle des Löwen. Hier ist doch nur harmlos Touri, die Luft brennt in der Schinkenstraße am Ballermann. Wenn du Onkel Jürgen packen willst, dann musst du dort überzeugen. Hast du heute schon dein Ballermann-Training absolviert?«

Ernie nickte. »Von 7 Uhr bis 10 Uhr Menowin Fröhlich mit Pfeifkonzert und Buhrufen bei bester Laune ertragen und dabei mit Grinsen und positiven Bemerkungen das Publikum aufgeheitert.«

Hugo schnippte mit dem Finger nach dem Kellner. »Sehr gut, ich will keine Menowin-Parodie auf der Bühne. Dich muss man ernst nehmen. Dem Typen von der BILD habe ich versprochen, er darf ein Gratis-Komasaufen auf einer Yacht mit dir veranstalten. Moët bezahlt, und es gibt Bilder mit nackten Groupies. In zwei Monaten stehen wir auf Nummer eins in der Yellow Press, und dann musst du nur noch das sagen, was ich dir aufgeschrieben habe. Glaub mir, die harten Hunde singen auf Malle, und dann wird kassiert!«

*

In einer kleinen, aber stetig wachsenden Brauerei im Ruhrpott fasste zu dieser Zeit ein anderer Mann einen Entschluss.

»Das will ich mir selber ansehen: ›Bierstraße‹, ›Ballermann 6‹, ›Oberbayern‹ – alles!«, rief Brauerei-Chef Dr. Ernst Stefest begeistert, und seine Faust krachte auf die sorgfältig ausgewählte Schreibtischgarnitur aus Teakholz.

Stefest hatte nie etwas von Aktionen gegen den Gebrauch von Tropenholz in Form von Mobiliar gehalten. Das kam doch von Leuten, die sich so etwas nicht leisten konnten, und ehe sie es riskierten, vor Neid zu platzen, hetzten sie lieber die halbe Welt gegen Tropenholz auf.

Markus Müller fuhr zusammen. Als neuer Marketingleiter der Schippchen-Brauerei kannte er Stefest erst 15 Tage, allerdings waren das die 15 anstrengendsten Tage seines bisherigen Berufslebens gewesen.

»Wie meinen Sie das?«, fragte Müller vorsichtig. Am liebsten hätte er gar nichts gesagt, ihn interessierte nicht einmal im Ansatz, was sein Chef zu sehen gedachte. Denn eins war sicher: »Müller, Sie kommen mit!« war der Satz, den er am wenigsten hören wollte, schon gar nicht an diesem Wochenende. Er hatte Maybritt fest versprochen, das gemeinsam geplante Kulturwochenende mit Museumsbesuch und klassischem Konzert diesmal unter keinen Umständen zu gefährden.

Nun kam die Gefahr direkt aus dem Mund von Dr. Stefest. Der nickte immer noch zustimmend in Richtung Fernsehgerät, als er den für Müller fast schon tragischen Satz formulierte: »Müller, und Sie kommen mit!«

 

Müller malte sich schon die schweren Vorwürfe aus, die Maybritt ihm machen würde. Für sie hörten beim Thema Kultur der Spaß und jegliches Verständnis für berufliche Sachzwänge auf. Als Student hatte er noch die gleichen Ansichten vertreten, aber sein Weltbild war durch 14-Stunden-Arbeitstage schnell relativiert worden. Markus begeisterte sich zwar nach wie vor intellektuell, andererseits aber sehnte er sich in dramatischem Ausmaß nach bloßem Nichtstun. Wenn er Maybritt erneut absagte, stünde seine Partnerschaft vermutlich vor dem Ende. Er rief für sich und alle betroffenen Körperteile vorsorglich den sexuellen Notstand aus.

Müllers Chef brauchte keine privaten Rücksichten zu nehmen. Die Ehe des Brauereibesitzers verlief seit Jahren schon auf nüchternem Niveau, und Frau Stefest verbrachte die meiste Zeit allein in ihrer Villa auf Sylt. Die beiden Söhne zeigten wenig Interesse an den Geschäften der Schippchen-Brauerei. Gelegentlich meldeten sie sich von Partys irgendwo aus der weiten Welt der Schönen und Reichen.

Der Videorecorder warf die DVD aus, und Dr. Stefest drückte sie Markus in die Hand.

»Dieses kleine private El-Arenal-Video hat mich inspiriert, mein lieber Müller.« Stefest nannte jeden »mein Lieber«. Das klang vertraulich, war aber nicht so gemeint. Müller hatte bereits nach wenigen Tagen im Brauereibetrieb des untersetzten, etwas korpulenten, aber wieselflinken Dr. Ernst Stefest mitbekommen, dass es neben »mein Lieber« nur noch eine zweite direkte Anrede gab: »So geht das nicht!« Seitdem gab sich der neue Marketingleiter alle Mühe, mit »mein Lieber« angesprochen zu werden, zumal seine Probezeit noch fünf Monate und zwei Wochen dauerte.

Stefest schoss aus seinem Chefledersessel hoch und baute sich vor der großen Europa-Karte auf, die an der Wand hing. Wenn er nicht so klein gewesen wäre, hätte er seinen Finger direkt auf Mallorca gesetzt. Da aber auf und ab hüpfende Chefs keinen überzeugenden Eindruck bei ihren Angestellten hinterlassen, stellte er nur lapidar fest: »Wir fliegen morgen früh direkt nach Palma, und von dort aus geht’s in ein Hotel nach El Arenal.«

Müller wurde blass. Er versuchte, die Mitteilung zu ignorieren, doch sein Gehirn spielte nicht mit. Es wollte Stefests Ankündigung nicht als Scherz durchgehen lassen.

»Sie meinen, wir besuchen den Ballermann?«

»Was heißt hier besuchen«, pöbelte Stefest stilsicher in Ruhrpottdeutsch zurück, »wir werden uns unter die Trinker mischen, wir werden sie beobachten, mitfeiern und uns ganz genau ansehen, welche Teile der Bier- oder der Schinkenstraße, des Ballermann 6 oder wie sie alle heißen mögen, einen umsatzträchtigen Platz in unserem ›Trink- und Erlebnispark‹ bekommen, in dem wir unsere wunderbaren Produkte ab nächstem Jahr verkaufen; und damit meine ich nicht nur das Bier der Schippchen-Brauerei! Sie müssen eins begreifen: Der Brauerei-Wettbewerb fordert immer mehr Opfer, auf Dauer können wir uns nicht mehr nur auf die gemütlichen Biertrinker verlassen. Die bringen den Grundumsatz, aber mehr nicht. Die Leute wollen unterwegs sein: Ambiente, Erlebnistrinken, Gruppentrinken – das ist der Markt der Zukunft! Da fließen die Hektoliter! In El Arenal leistet man dazu Pionierarbeit. Müller, mir geht’s um die nächsten zehn Jahre der Schippchen-Brauerei. Da darf man nicht zimperlich sein.« Müller suchte nach passenden Formulierungen, um seine Zweifel artikulieren zu können. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren: »Für Maybritt ist jeder ›Ballermann‹ das Ende der Zivilisation … neue Ideen bei besoffenen Deutschen – unmöglich … ich selbst zwischen diesen grölenden und schwitzenden Leibern … alles für den neuen Erlebnispark … Stefest widerspricht man nicht … meine schöne Karriere …«

Plötzlich riss das Gedankenstakkato, und Markus Müller ergänzte den Vorschlag seines Chefs in festem Ton: »Kompliment, Chef, wie immer direkt und brillant, wann fliegen wir?«

»Das kann ich Ihnen gleich sagen.« Stefest setzte sich an den Laptop, um nach Last-Minute-Angeboten zu suchen. Das brauchte seine Zeit, und Müller fand Gelegenheit, in Gedanken schon mal den Koffer zu packen. Stefest schien ihm dabei helfen zu wollen: »Und vergessen Sie nicht Aspirin, Sonnenmilch und Strohhut. Wir müssen auch am Tag trinken. Waren Sie schon mal dort?«

»Neinnn!«, entrüstete sich Müller.

Sein Chef grinste. Er wusste natürlich genau, dass Markus Müller überhaupt nicht der Typ für den Ballermann 6 war.

Dieser etwas steife 35-jährige Norddeutsche hat Stil, sicher, deswegen ist er jetzt auch mein Marketingleiter, grübelte Stefest. Müller besitzt alles, was einen guten Auftritt in der Öffentlichkeit garantiert: eloquent in drei Sprachen, schlank, hochgewachsen, gepflegtes Äußeres, sensibel. Aber eins fehlt ihm wie den meisten Marketing-Heinis: der Kontakt zum ganz normalen Biertrinker, dem sogenannten kleinen Mann. Für diese jungen Werbeschnösel existierte der kleine Mann nur in der Zielgruppen-Statistik, und aus dieser Perspektive ist er deswegen so klein, weil er ganz weit weg ist. Sie wollen zwar sein Geld, aber sie sehen den kleinen Mann samt seiner kleinen Frau lieber aus der Ferne.

Stefest durchsuchte innerhalb weniger Minuten die Last-Minute-Angebote im Internet. Als er die Seiten ausdruckte, beschloss er, dass sein Müller bald nicht nur ganz genau wissen würde, wie der kleine Mann aussieht und was er trinkt, sondern auch wie er riecht – genau!

»Na also, Glück gehabt, morgen wird es noch nichts, aber übermorgen. Hier – drei Plätze, sehr gut. Ein Doppelzimmer, das nehme ich, und ein Einzelzimmer«, murmelte Stefest. Markus Müllers letzter Hoffnungsschimmer: »Niemand bekommt in der Hochsaison von heute auf morgen zwei Plätze in El Arenal«, war geplatzt. Sein Chef bekam sogar drei Plätze.

Stefest war zwar alles andere als ein typischer Ballermann-Kunde, aber er akzeptierte Leute, die wenigstens ehrlich dazu standen, zweimal im Jahr die Sau rauszulassen. Für sie wollte er den großen Erlebnispark der Schippchen-Brauerei aus dem Boden stampfen. Eine Multi-Millionen-Investition, in die er drei Banken verwickelte und sein gesamtes unternehmerisches Potential legte. Seine Gäste würden sich geborgen fühlen im vollklimatisierten überdachten Spaß- und Bierbad mit Erlebnisgelände, Motel und jeder Menge Stimmung. Dr. Ernst Stefest wollte der Erste in Deutschland sein, der ein solches Mega-Mekka für gestresste Hobby-Trinker auf die Beine stellte. Eine Art Promille-Disney-Land für Erwachsene, in dem Vergnügen rund um die Uhr garantiert wurde.

Sogar das Terrain war schon ausgesucht. Günstiges Bauland von einer kleinen Gemeinde, die sich mit einem kompletten Gewerbepark an den Rand des Ruins geplant hatte, bekam Stefest für einen »Appel und ein halbes Ei«, wie ein Vermittler von der Landesregierung den Kaufpreis umschrieb. Stefests Erlebnispark versprach erstklassige Steuereinnahmen und Arbeitsplätze. Stehfest hatte auf einem garantierten 24-stündigen Geschäftsbetrieb bestanden. In der Landesregierung war man froh, dass bald eine Gemeinde weniger am Subventionstropf hängen würde, und schon deswegen stimmte man seiner Bedingung in ungewohnter Eile und mit Hilfe einer schnell konstruierten Ausnahmeregelung zu. Nach dem ersten Betriebsjahr plante Stefest den Gang an die Börse. Die Umwandlung des Parks in eine Aktiengesellschaft sollte nebenbei auch den Vermittler der Landesregierung in den gut dotierten Aufsichtsrat bringen.

*

»Macht eine Erbschaft, dieses Würstchen, und haut einfach ab nach Mallorca. Nach elf Jahren Ehe! Lässt mich allein und gibt mir nichts ab von der dicken Kohle! Ich will Beweise für eine Scheidung, verstehen Sie? Ich will nur Fotos und Fakten. Also Weiber und alles, was vor Gericht zählt. Nicht, dass Sie auf die Idee kommen, mir diesen Mistkerl hier anzuschleppen«, blökte Cornelia Obertier, nach Luft schnappend, Nina Blauvogel von der Detektei Bluebird an.

»Keine Angst Frau Obertier, ich bin Detektivin und keine Kopfgeldjägerin«, versuchte Blauvogel zu beschwichtigen. Nach einer knappen halben Stunde in der verrauchten und vor Kitsch strotzenden Wohnstube der nervigen Frau Obertier vermutete die Detektivin, dass wegen dieser dicken Matrone jeder halbwegs klar denkende Mann fröhlich pfeifend sogar in die Wüste ziehen würde. Sie zog mit spitzen Fingern ihren Standardvertrag aus der Handtasche und legte ihn auf den Tisch. Cornelia Obertier schien gleich zu platzen.

»Nee, nee, ich unterschreibe nichts«, protestierte sie, noch ehe Blauvogel etwas sagen konnte.

Obertier übernahm jetzt das Kommando: »Passen Sie auf! Sie unterschreiben die Quittung, und ich zahle 1500 Euro Vorschuss. Damit können Sie nach Mallorca fliegen und die Fotos machen. Wenn Sie alles bei mir abliefern, bekommen Sie den Rest. Denken Sie daran, es muss für eine Scheidung reichen! Ich will meine Hälfte von dieser verdammten Erbschaft, am besten gleich!« Obertier schubste mit einer Handbewegung den Vertrag wieder zu Blauvogel. Angeekelt drehte sie den Kopf weg: »Verträge unterschreibe ich nicht mehr, Scheißkleingedrucktes da!«

Nina Blauvogel überlegte nur kurz und unterschrieb die Quittung. Als sie das Haus verließ, zählte sie vorsichtshalber noch mal die 1500 Euro nach. Für solche Kunden wollte die 28-Jährige eigentlich gar nicht mehr arbeiten, aber bei Bluebird herrschte mal wieder totale Ebbe in der Kasse. Sie warf den Kopf in den Nacken, atmete durch und steckte die Scheine ein: Immerhin hat Bluebird wieder einen Auftrag. Und das zählt!, dachte sie und beschleunigte ihre Schritte.

Kapitel 2
Der Flug

Zwei Tage später wartete Markus Müller vor der Dienstlimousine seines Chefs und schaute auf das protzige Hauptgebäude, das von den hochmodernen Kesselhäusern und Abfüllstraßen der Schippchen-Brauerei umschlossen wurde. Der gesamte Bau wirkte sehr modern, fast schon futuristisch. Vier riesige glänzende Kessel rahmten das zehn Stockwerke hohe Hauptgebäude ein. Das Ganze wirkte auf unbefangene Betrachter wie eine Mischung aus den Startrampen von Cape Canaveral und dem stillgelegten Raumschiff Enterprise.

Stefest hatte seine Brauerei zu einem Ereignis gemacht. Täglich kamen Touristengruppen und wurden durch das Biermuseum und die Abfüllanlagen geführt. Stefest schien vom Schicksal auserwählt, Chef zu sein und auch so auszusehen. Folgerichtig baute er auch so. Nun aber holte der akademische Trinkerfreund zum ganz großen Schlag aus, nämlich den ultimativen Erlebnispark für alle Freunde von Hopfen und Malz zu schaffen.

Müller erfuhr von diesem Vorhaben erst nach seiner Einstellung. Die Perspektive, dort leitender Manager zu werden, steigerte seinen Ehrgeiz in bislang nicht gekannter Intensität. Für ihn gab es keine bessere Chance, einen Führungsposten zu erklimmen. »Markus Müller, Head of Beer-Park-Development« würde auf seiner Visitenkarte stehen. Nichts durfte dieses Ziel gefährden, das stand fest.

Während er immer noch wartete, übte er einen kleinen Kartentrick, das einzige Hobby, das selbst von Maybritt geduldet wurde. Markus war seit Jahren Hobby-Zauberer, und das so erfolgreich, dass er als »Samson der Magier« ab und an kleinere Auftritte auf Partys befreundeter Kollegen absolvierte. Seine verblüffenden Zaubertricks begeisterten sogar seinen Chef.

Ernst Stefest kam aufgekratzt und lachend mit zwei großen Koffern die Treppen herunter.

»Morgen, Müller!«

»Guten Morgen, Herr Dr. Stefest.«

Stefest wuchtete sein Gepäck in den Kofferraum. Anschließend stellte Müller seinen Koffer hinein.

»Sie werden sich wahrscheinlich seit vorgestern fragen, warum wir schon drei Stunden vor Abflug losfahren?«

Müller druckste griesgrämig herum. Diese Frage hatte ihn die letzten beiden Nächten am allerwenigsten beschäftigt. Maybritt, seine Lebensabschnittspartnerin mit Niveau, sorgte stattdessen für Albträume. Ihr Zitate-geladener Abgang aus der gemeinsamen Wohnung erfüllte den Anspruch einer abendfüllenden Theaterinszenierung. Müller kannte jetzt ein gutes Dutzend Ansichten aus der Weltliteratur zum Thema Vernachlässigung der Frau bei gleichzeitigem Abgleiten in tiefste Kulturlosigkeit. Auslöser für ihren lautstarken Wutausbruch war Müllers größter und dümmster Fehler: Er erwähnte nur beiläufig den Ort El Arenal.

Maybritt schluckte kurz, wenig später traf ihn ein Strahl schlimmster Verachtung aus ihren Augen, und er hatte vorläufig das Recht verwirkt, an ihre Seite zu leben. Es dauerte nur noch wenige Augenblicke, bis die Türen so fürchterlich ins Schloss knallten, dass sich einige Teile des Stucks gleich mit verabschiedeten. Der sexuelle Notstand war damit erst einmal unbefristet verlängert worden. Und nun kam Stefest mit dieser Frage.

 

»Sie werden sich was dabei gedacht haben, Chef«, antwortete Müller, noch seinen Gedanken nachhängend. Beide setzten sich in den Fond des Mercedes.

»Sehr richtig. Fahren Sie in die Stadt, Bräsig«, kommandierte Stefest seinen Fahrer.

»Haben Sie jemals in Ihrem Leben ein Hawaii-Hemd getragen, mein lieber Müller?«, fragte Stefest und schaute schon wieder in ungläubige Augen.

»Nein, natürlich nicht!«, entrüstete sich der Gepeinigte.

»Dann werden Sie sich jetzt, bitte, welche kaufen.«

»Muss das sein?«, protestierte Müller mutig.

»Ja. Drei Stück, und zwar eine Nummer größer, als Sie gewöhnlich Ihre Hemden tragen. Sie werden sehen, ich meine es nur gut mit Ihnen«, lächelte Stefest vielsagend.

Eingekleidet mit bunten und zu großen Hawaii-Hemden, von denen Müller das unauffälligste – es hatte eine Farbe weniger als die anderen – gleich anbehielt, betraten die beiden Dienstreisenden die Abflughalle.

*

»Großer Gott!«, murmelte Müller fassungslos beim Anblick einer Reisegruppe mit dem überdimensionierten Schild »Wir sind vom o.b.-Team. In der Regel immer voll«. Stefest grinste. »Ich wollte Ihnen das T-Shirt ›Saufen, Ficken, Bumsen‹ ersparen. Es würde wahrscheinlich doch nicht ganz Ihrer Vorstellung von einer Dienstreise entsprechen.«

Müller war platt. Dieser Stefest schien mit allen Wassern gewaschen zu sein. Die Reisegruppe bestand zu 90% aus Trägern irgendwelcher Slogans, die allesamt recht eindeutige Aussagen zum Thema »Sex und Alkohol« machten.

»›Saufen, Ficken, Bumsen‹ bringt es eigentlich am besten auf den Punkt«, dachte Markus, nachdem er alle T-Shirts betrachtet hatte, und ertappte sich dabei, wie sein Gesicht rot anlief. Kein Mensch außer mir wird rot bei solchen Gedanken, ärgerte er sich und beschloss, ab sofort etwas in seinem Leben zu ändern. Gleich nach der Dienstreise wollte er damit anfangen. Zunächst mal allein mit einem energischen Auftritt vor dem Spiegel, bekleidet mit so einem merkwürdigen T-Shirt.

Müller schaute kurz zum Rollfeld, als sie die Zollabfertigung durchschritten, und hoffte völlig zu Unrecht: »Irgendwie wird es sich wohl doch in Grenzen halten.«

Die Reisegruppe hinter ihnen war schon bester Laune, denn gerade hatte sich ein dicker Spaßvogel mit Schirmmütze, leuchtend roten Backen und dem T-Shirt »El Arenal – Wir kommen (überall)!« unter dem Gejohle seiner Kegelrunde einen Flachmann aus dem vorderen Teil seiner Hose ziehen lassen. Der Mann vom Zoll grinste notgedrungen, der Rest lachte nicht mehr, sondern brüllte und stand kurz vor einem epileptischen Anfall ob des gelungenen Streichs.

Stefest zog Müller zum Bus, der sie zur Maschine bringen sollte. »Mein lieber Müller, ich glaube, Sie haben jetzt begriffen, was Sie erwartet. Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen Sie sich – wenigstens nach außen hin – etwas gelassener geben. Entschuldigung, aber im Augenblick sehen Sie aus, als ob man Ihnen drei Tage die Windeln nicht gewechselt hätte.«

»Das geht ja noch«, antwortete Müller. »Ich fühle mich so, als ob sie schon seit fünf Tagen voll wären.«

Beide lachten, bevor Stefest noch ein überraschendes Angebot nachschob: »In solchen Gruppen duzen sich alle. Deswegen ist es schlecht, wenn wir uns siezen und Sie mich ständig mit Herr Doktor anreden. Wir sollten – streng dienstlich natürlich – während dieser Reise Du zueinander sagen. Ernst.« Stefest streckte die Hand aus. Müller ließ überrascht seinen Aktenkoffer fallen und schlug ein: »Markus.«

*

Hugo Schnaller testete unterdessen die Gesangskünste seines neuen Königs von Mallorca. Er zog schweren Schrittes mit seinem Jungstar durch die Schinkenstraße. Um diese Zeit war noch nicht viel los, und die Stände um sie herum waren halb leer. Hugo stellte die Gitarre ab, bestellte sich eine Currywurst, verspeiste sie mit wenigen Happen und legte dem Wirt großzügig zehn Euro auf den Tresen.

»So, Ernie. Du gibst jetzt ein Spontankonzert. Ich spiele ›Zwanzig nackte Friseure‹, einer meiner besten Songs der letzten Jahre, und danach geht’s weiter mit einem Medley: ›Schallalla‹, ›Ein Bett im Kornfeld‹, ›Über uns ist nur der Himmel‹ und ›Ich war noch niemals in New York‹. Packst du das? Alles Hits der Woche. Versuch dein Publikum mitzureißen. Der alte König hat auch so angefangen. Da musst du durch.«

Hugo stimmte die Gitarre und legte los. Ernie trällerte wie ein wahrer König, nur blieb er nicht allein. Neben ihm platzierte sich plötzlich ein ziemlich angesoffener junger Mann mit einem Südafrika-WM-Trikot und einem Schland-Hut.

Hugo schwante Böses, er versuchte noch, den ungebetenen Special Guest mit einem beruhigenden Grinsen und verneinenden Kopfbewegungen vom Singen abzuhalten, was ihm jedoch nicht gelang. Der Typ neben ihm sang besser, lauter, kannte den Text exakt, verpasste keinen Einsatz und begeisterte seine feiernden Kumpels.

Da Jubel nun mal Jubel war, ließ Hugo seinem Schützling wenigstens den Beifall als zweite Stimme genießen, bevor er mit Hinweis auf dessen nächsten Auftritt die Darbietung abbrach.

Ein paar Straßen weiter machte er seinem Ärger Luft.

»Mann, Ernie! Da muss man mal ordentlich losbrüllen. Wenn ich dem Typen nicht meine Visitenkarte zugesteckt hätte, würde ich jetzt eins schlechtes Gewissen bekommen. Profi ist Profi, und ich erkenne Talente.«

Als Ernie etwas ernüchtert seinen Manager ansah, lenkte der ein. »Brauchst keine Angst zu haben. Wir haben Vertrag. Ich baue meine Leute immer bis zum Schluss auf.«

Sie trotteten auf der belebten Strandpromenade nebeneinander her.

»Das Gesicht war es, das blöde Gesicht. Der hat kein Stargesicht. Du hast eins«, murmelte Hugo, der insgeheim sehr wohl wusste, dass ihm in den letzten zehn Jahren noch nie ein solches Stimmtalent begegnet war.

»Können wir nicht auch was mit RTL II machen?«, fragte Ernie unvermittelt.

Hugo erregte sich fürchterlich. »Was denn, willste jetzt ein Café aufmachen oder eine Damenboutique? Junge, du sollst singen, schön sein und dummes Zeug erzählen, den Rest übernehme ich. RTL II! Die machen doch auch nur einen auf naive Mucke. Bei der Katzenberger stehen sogar die Eltern in der Küche, weil die Schlunze ihren IQ erst stundenlang aufbauen muss, bevor sie ein Rezept lesen kann. Mann, das Geschäft macht hart. Natürlich ist Dani so, wie ein echter RTL II-Produzent sich seinen Star wünscht. Ich muss mal den Henking anrufen, der macht den Obermotz für die Kochshow. Da könntest du mal deinen dicken Löffel in die Töpfe hängen!«

»Wie meinst du das?«, fragte Ernie entsetzt.

»Du wirst doch noch irgendein blödes Gericht kochen können, das diese dicke Dumpfnudel Calli verschlingt und mit sechs Punkten belohnt. Der frisst sich reich, dieser Zocker. Nicht, dass ich neidisch wäre, aber der wird immer fetter und wird mit Sendungen belohnt. Und ich?«

»Vielleicht sollte ich abnehmen für RTL II«, versuchte Ernie einen echten Alternativvorschlag anzubringen.

Hugo blieb abrupt stehen. »Wer will denn das bitte sehen? Nicht gut, gar nicht gut. Schlagerfans wollen feiern und schlemmen. Umsatz, mein Lieber, Umsatz. Wir müssen ins ›Oberbayern‹.«

Hugo Schnaller tippte die Nummer des Produzenten in sein iPhone ein. Ernie musste in die Kochshow, so viel war für ihn klar. Wenn er dort ganz nebenbei Hugo Schnallers neuste Komposition »Unter der Schürze nackt« singen würde, wäre das schon die halbe Doku-Soap.

*

Ernie Donner öffnete die Apartmenttür und schaute sich um.

»Wo wohnst du?«, fragte er seinen Manager.

»Nebenan.«

»Wo nebenan?«

»Im Hilton Resort.«

Ernie schaute ihn mit großen Augen an. »Und warum wohne ich nicht auch dort, sondern in dieser Bruchbude?«

»Weil deine Fans in solchen Bruchbuden wohnen. Du musst ein Gefühl für deine Fans entwickeln. Verstehst du.«

»Nein, verstehe ich nicht. Ich bin doch der Star.«

Der dicke Hugo schnaufte. Allmählich ging ihm dieses Möchtegern-Sternchen aber gehörig auf die Brieftasche.

»Ernie, ich habe dich entdeckt. Ich bin der Macher. Ich habe die größten Schlagerstars betreut.«

»Tony Marschall während des Entzugs, Bata Illic beim Deutschkurs, Roberto Blanco beim Einbürgerungstest?«, fragte Ernie zurück.

»Ernie, wer schreibt dir die Gags? Ich will mal was klarstellen: Man sieht gleich, dass du keine Ahnung hast. Tony Marschall würde jede Art von Entzug ablehnen, weil er sonst selbst nicht mehr wüsste, wer er ist. Bata muss mit Akzent singen, weil ihn sonst keiner mehr erkennen würde. Roberto kann nicht zum Einbürgerungstest, weil die bei der Behörde anschließend nicht gern Schwangerschaftsvertretungen suchen. Ich bin der Manager, und wir haben Vertrag, wie der gute Poldi sagen würde. Wenn ich im Hilton wohne, hat das auch etwas mit meinen Netzwerken zu tun.«

»Meinst du die Croupiers oder die Nutten?«

»Okay, Ernie …« Hugo atmete tief durch. »Du lernst jetzt erst mal die Texte meiner zwei neuen Mega-Songs auswendig.