Kuba - Maske und Realität -

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Kuba - Maske und Realität -
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Johannes A. Binzberger

Kuba

Maske und Realität

Reiseaufzeichnungen mit Einblicken in Hintergründe

und

nützlichen Informationen für Individualreisende

Copyright: © 2013 Dr. Johannes A. Binzberger, Friedrichshafen, Email: johannes@binzberger.de

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN: 978-3-8442-5386-3

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung liegen ausschließlich beim Autor. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert, oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Vorwort

Dieses Buch soll weder ein Reiseführer noch eine Beschreibung von Sehenswürdigkeiten sein, sondern ist eine Sammlung originärer Begebenheiten kubanischen Lebens mit all seinen Bedingungen. Sie basieren auf meinen umfangreichen Aufzeichnungen, die in den vergangenen Jahren sehr zeitnah bereits während der Reisen entstanden sind. Stets interessiert, was die Menschen antreibt, was sie denken und fühlen und warum sie so handeln wie sie es tun, bin ich den nachfolgenden Fragen – mit dem Blickwinkel eines interessierten Touristen – nachgegangen, weshalb kein Anspruch auf Universalität erhoben wird:

Wie funktioniert das Wirtschaften in Kuba?

Wie meistern die Kubaner ihren Alltag; wie gelangen sie durch die Woche?

Wie ist die Haltung der Kubaner zu ihrem Staat und zur Revolution?

Welche Sehnsüchte, Ideen, Lebenspläne haben die Kubaner?

Welche Einstellungen haben Kubaner zu den Touristen?

Wie verhalten sie sich ihnen gegenüber?

Welche Hinweise lassen sich daraus für Individualreisende ableiten?

Neben diesen Fragen haben mich als ausgebildeten Ökonomen und Sozialpsychologen die Überwindung der Nahtstellen interessiert zwischen der Oberfläche, der Scheinwelt, die in Kuba den Touristen gezeigt wird, die einen All-Inclusive-Urlaub oder eine geführte Reise mit einem staatlichen Reiseunternehmen buchen und dem real erlebten Kuba der Leute, die nicht zur Oberschicht gehören. Kurz: Wie kann es gelingen, die Erfahrungswelt der einfachen Leute, derjenigen, die die privilegierten Positionen des Führungskaders nicht erreicht haben, zu erfahren. So wurden gezielt, wo immer es möglich war, Eindrücke aus einem Kuba, das im Verborgenen liegt, gesammelt und aufgenommen, durch die Schilderungen der Kubaner betreffend ihres Landes unter den dort vorherrschenden Bedingungen. Dabei werden keinerlei Wertungen vorgenommen, besonders nicht politisch motivierte, wohl wissend, dass real verschiedene Gesellschaftsformen mit unterschiedlichen Werthaltungen existieren können.

Um keine Rückschlüsse auf die beteiligten Personen in Kuba zuzulassen, wurden, wenn überhaupt, nur Vornamen angegeben und diese, in Abwandlung des internationalen Buchstabieralphabetes mit „Alfa“ beginnend, vergeben. So und durch die nachfolgend beschriebenen Veränderungen wird deren Anonymität gewahrt. Dort, wo es dennoch auf Grund anderer Angaben, möglich sein könnte, Rückschlüsse auf die Betroffenen zu ziehen, wurden deren Berufsbezeichnungen beziehungsweise -Angaben neutralisiert und verändert. Markante Örtlichkeiten wurden dann nicht mit ihrem Namen bezeichnet und/oder deren herausstechende Merkmale weggelassen, wenn durch deren Preisgabe Personen, die mit dieser Lokalität eng verbunden sind, identifiziert werden könnten. Begebenheiten wurden geografisch verlegt und zeitlich verschoben, wenn dies geboten schien, um Personen zu schützen. Durch diese Vorgehensweise können die Erlebnisse authentisch widergegeben werden, ohne deren Gehalt zu verwässern. Sich ergänzende Begebenheiten wurden erzählerisch zusammengefasst und einer fingierten Kontaktperson zugeordnet. Auf Grund dieser Bearbeitung der Originalaufzeichnungen sind, und dies soll an dieser Stelle ausdrücklich hervorgehoben werden, von den hier abgedruckten Schilderungen ausgehend, Schlüsse auf lebende Personen nicht möglich. Beobachtbare Ähnlichkeiten sind reine Zufälligkeiten.

Dank

gebührt an vorderster Stelle all jenen, die ich getroffen habe und die mir Einblicke in ihre andersartige und für Mitteleuropäer schwerlich vorstellbare Lebenssituation gegeben haben. Besonderer Dank gilt denjenigen, die mir die Umstände, die Hintergründe in ihrem Land und die Beweggründe ihres Handelns geschildert und erläutert haben. Es mag erstaunen, weshalb eine Vielzahl von Kontakten zu Frauen entstanden ist. Über sie läuft in vielen Fällen der Zugang zu den Ausländern, wie ich erfahren und gelernt habe und schildern werde. Ich fühle mich besonders denjenigen eng verbunden, allen voran Sierra, die mir durch ihre ehrliche Offenheit Einblick gewährt haben in ihren vielschichtigen Kampf um die Organisation ihres täglichen Lebens und in ihre Vision eines besseren Daseins, allen Widrigkeiten zum Trotz. Ihnen habe ich dieses Buch gewidmet.

Den Lehrerinnen gilt mein Dank, weil sie mich in der klangvollen Sprache Spanisch unterrichtet haben. Besonders Amparo de Carmen Esgas hat mich häufig mit Temperament und Engagement gefördert.

Meiner Freundin Sonja danke ich für die Bereitschaft, das Skript durchgesehen zu haben. Durch ihre Anregungen konnten Lücken geschlossen und – wie ich hoffe – der Faden des Verständnisses für den Leser deutlicher hervorgehoben werden.

Herzlicher Dank gebührt in besonderem Maße Claudia. Als meine Frau bringt sie viel Verständnis für meine weitschweifenden Ideen auf und lässt mich ziehen, um auf vielfältige Weise Begegnungen zu erleben und Erfahrungen zu sammeln, die mir ein reichhaltiges Leben bescheren. Als Germanistin hat sie ein besonderes Auge auf Diktion und Details geworfen.

Zum 50jährigen Triumph der Revolution
Auf dem Weg der Revolution von Santiago nach La Habana
Anreise nach Holguin: Freitag, 28. November

Wie schnell man heutzutage auf die andere Seite der Welt gelangt, nicht nur klimatisch ...

Abflug von Friedrichshafen morgens bei -7°C; Ankunft in Holguin nach 13 Uhr bei + 26°C. Beim Überflug, bereits beim Landeanflug nach Kuba, erheben sich die mitreisenden Kubaner und veranstalten singend und klatschend ein Bordfest, eine unglaubliche Lebensfreude!

Dann, nach der Einreise, das Geldwechseln in CUC (andere Bezeichnungen sind: Peso Convertible, Devisa, Dolares) und CUP, die nationale Grundwährung in der die Löhne der Einheimischen bezahlt werden (andere Bezeichnungen: Moneda Nacional, Pesos Cubanos), bei dem gleich 12% Geldwechselsteuer vom Gesamtbetrag einbehalten werden. Dies ist der Einstieg in den währungs-gespaltenen Wirtschaftskreislauf. (Zur Umrechnung: EUR 0,8 = CUC 1 = CUP 25)

Vom Flughafen soll ein Bus („guagua“) in die Stadt fahren – ihn gibt es nicht. Der Taxist will CUC 10. Ich suche Leute, die mit mir das Taxi teilen wollen; doch alle wollen als Pauschaltouristen in irgendwelche Strandhotels. Mit Hilfe einer Kubanerin kann ich einen Van auftreiben, der nun aus Gefälligkeit einen kleinen Umweg durch die Stadt fährt und mich dort aussteigen lässt, für insgesamt CUC 4. Ich bin ihr sehr dankbar und verabschiede mich.

Auf dem Weg dorthin fallen die vielen Revolutionsparolen auf, die an die Wände aufgemalt wurden. Wir kommen an verfallenen, verrosteten Industriegebäuden vorbei. Pferdefuhrwerke und viele Fahrräder mischen sich in den Verkehr. Fahrradtaxis mit großen Sonnenschirmen fahren durch die Stadt oder warten am zentralen Platz. Alle Autos scheinen klapprige Schlitten aus alten US-Beständen zu sein.

In der untergehenden Sonne treffe ich zufällig auf eine Casa Particular, ein Privathaus, in dem Zimmer vermietet werden. Es wird von einem Ehepaar bewohnt, ungefähr 45 bis 50 Jahre alt. Er ist Arzt, sie Architektin, die sich auf die Maestro-Prüfung vorbereitet (Das Expo umfasst 112 Seiten, die ich lesen darf). Sie haben zwei Söhne. Nach Eintrag in die vielen Formulare werden CUC 15 ohne Frühstück, ohne Abendessen fällig. Sie haben Email-Anschluss, doch keine Möglichkeit, Internetseiten anzusehen. Man sagt mir, ich könne ausgehen und zurückkommen, wie ich möchte, doch wenn ich eine Frau mitbringen würde, dann müsse diese in ein Formular eingetragen werden. Ich bin etwas konsterniert, verneine diese Absicht und zeige meine mitgebrachten Familienbilder.

Es dauert ein wenig, bis ich ein Restaurant für Kubaner mit CUP-Abrechnung gefunden habe. Alle hübschen Servicedamen sind adrett im Minirock gekleidet. Es gibt Hähnchen mit Reis, Käse, Säfte und Bier (CUP 42,50 + Trinkgeld = CUP 50, das entspricht CUC 2 oder € 1,80).

Holguin: Samstag, 29. November

Augenfällig ist zunächst, dass es keine Werbung gibt, oder fast keine. Selbst die Beschilderung der Läden und Restaurants ist verschwindend klein und höchst zurückhaltend. Doch häufig sieht man auf die Mauern gepinselte revolutionäre Sprüche, die stolz Ermutigung und Ansporn ausstrahlen.

Es ist wenig Verkehrsaufkommen für eine derart große Stadt mit 200000 Einwohnern beobachtbar. Dieses setzt sich zusammen aus Fahrrädern, mit denen viele Kubaner unterwegs sind, Autos und Laster, meist über 50 Jahre alt, und daneben Fahrradtaxis mit aufgespannten Sonnenschirmen für Fahrer und Passagier sowie Pferdedroschken, das billigste Transportmittel in der Stadt.

 

In der Kernstadt trifft man auf viel marode Bausubstanz und stehende Baustellen, auf denen sich nichts zu bewegen scheint. Einzelne Häuser sehen wie Ruinen aus, aber Slums sind nicht vorhanden, und es scheint mir auch kein unkontrolliertes Bauen zu geben.

Bis auf gezählte Einzelfälle gibt es auch keine Bettler, kein Volk, das auf der Straße wohnt. Es geht geordnet und geregelt zu, ins Trostlose weggebrochene Schichten der Bevölkerung scheint es nicht zu geben.

Das Warenangebot ist knapp oder besser: spärlich. In den wenigen Läden, die für kubanische Peseten verkaufen, wird kaum Ware angeboten und auf diejenige, die in den Regalen liegt, warten vor den Läden lange Schlangen. Als der Konditor die Tür öffnet, ist er ruck-zuck ausverkauft. Ein simples Paar Schuhe kostet den halben Monatslohn, für einen wirklich einfachen Leder- oder Sportschuh muss man im Laden, der nur in CUC abrechnet, CUC 15 bezahlen, der Basismonatslohn für viele. Ich finde weder Bananen noch Brot zu kaufen. Auch einen Lebensmittelmarkt finde ich nicht. Vor den Restaurants haben sich Schlangen gebildet.

Viele Gebäude um die öffentlichen Plätze herum sind Ausstellungen oder parteifunktionalen Ereignissen oder –zwecken gewidmet. Soweit ich dies beurteilen kann, sind die Inhalte eher mager und wenig voluminös, jedoch immer mit Parolen, Nationalfahnen und Bildern der Helden versehen; Dekoration schlägt Inhalt. Reichhaltig sind die kulturellen Angebote: Bibliothek, Verkaufsstand für gebrauchte Bücher, Theater-, Musik- und Kulturhaus, Tanzlokal, Galerie.

Die Grundbedürfnisse werden sehr preisgünstig und sehr geregelt gedeckt, gegen die Nationalwährung (CUP). Ein Brötchen mit geschmackloser Beilage kostet weniger als CUP 1 (etwa 0,03 €); dasjenige mit gebratenem Schweinefleisch kostet CUP 3 (ungefähr 0,10 €). Wasser aus dem Wasserhahn ist gratis. Im CUP-Restaurant erhält man ein Menü mit Getränken für CUP 50 (etwa 2 €). Doch geht der Wunsch über diese magere Basis hinaus, so muss in CUC (Devisen) bezahlt werden und der Preis schnellt nach oben. Eine Flasche Wasser mit 1,5 Liter Inhalt kostet CUC 1 (etwa € 0,80). Die Tasse Kaffee kostet CUC 1,80. So ist vom Staat das Angebot streng vorgegeben und die Kubaner, denen es in aller Regel verboten ist, sich selbst, privatwirtschaftlich zu engagieren, werden findig, ebenso wie der Staat, um dem Touristen die Devisen (CUC) abzujagen – bei mitunter abenteuerlich anmutenden Einfällen.

Santiago: Sonntag, 30. November

Alfine sprach mich gestern auf dem Marktplatz an und wir kamen ins Gespräch. Sie wohnt in einem Dorf nahe bei Holguin mit fast dreijähriger Tochter und Großmutter. Wir haben uns für heute verabredet, denn ich habe sie eingeladen, mit mir im Bus nach Santiago zu fahren. Wie beinahe alle Kubanerinnen trägt sie ein enges, eine Spur zu knappes Oberteil, das das großzügige Dekolletee unterstreicht. Knapp und tiefsitzende Jeans, hauteng – versteht sich – und hohe Schuhe betonen die schmale Hüfte. Sie sagt, sie sei 28 Jahre alt, doch in Wahrheit ist sie, wie ich später erfahren werde, gerade über die 40 gegangen. Ich vermute, sie kann mich unterstützen und mir schneller begreiflich machen, wie Kuba funktioniert, Zugang zum kubanischen Leben verschaffen; jedoch wird diese Hoffnung nicht in Erfüllung gehen.

Wie sie mir schildert, kümmert sich der Vater ihres Kindes um nichts mehr, er ist mit einer anderen Frau zusammen, so dass sie das Kind allein und ohne Einkommen bei ihrer Großmutter aufzieht. Die Großmutter erhält CUP 220 (= € 8) Alterssalär. Mit den Küchenresten werden hinter dem Haus Ferkel gemästet, bis sie etwa 85 – 90 kg wiegen. Auf dem Kleinanbietermarkt erhält sie hierfür CUP 850 (= € 30), also CUP 10/kg (circa € 0,40/kg). Immer wieder sagt sie mir, Geld sei nicht alles, doch wenn ein Paar Schuhe CUC 15/Paar und mehr kosten, wenn beinahe alles in CUC fakturiert ist, kann sie sich weder ein Telefongespräch noch ein Bier in der Kneipe, auch nicht in der billigsten, leisten. Eigentlich sucht sie einen Mann, am besten einen Ausländer, der sie heiratet, der sie unterstützt, der sie mit ins Ausland nimmt ... der Traum vieler Kubanerinnen, wie ich erfahren werde. Deshalb ist sie nach Holguin gefahren, um ihr Glück auf dem Marktplatz zu machen, um jemanden zu treffen, der einen finanziellen Beitrag zu den Lebenshaltungskosten leistet. Wie ich im Laufe meiner Reise lernen werde, ist diese typische Lebenssituation vieler Kubanerinnen der eigentliche Grund, weshalb männliche Ausländer vor allem von Frauen angesprochen werden. Aber es gibt auch andere Motive und Ursachen; die ich erfahren werde.

Für Alfine bin ich im Grunde der Falsche, denn ich bin verheiratet, doch sie lässt sich einladen für zwei Tage nach Santiago mitzufahren. Ich bezahle ihr Hin- und Rückfahrt und auch die Verpflegung. Die Puppe für ihre Tochter, die am kommenden Dienstag Geburtstag haben wird und die sie in einem Schaufenster sieht, schenke ich ihr gerne (CUC 3,90). Ein gelber Rosenstrauß als Liebesbeweis, den sie in eine Vase stellen wird, wie sie mir sagt und ein Foto dazu von mir: das sind ihre Wünsche, neben ein wenig Parfum aus Europa - denn in Kuba gibt es keines - Kaugummi und ein Bier. Ob wir uns schreiben können? Ich zweifle, denn die Post dauert sechs Wochen und kostet viele Briefmarken, die ich natürlich im Voraus bezahlen müsste. Zugang zum Internet hat sie nicht; sie müsste jedes Mal nach Holguin reisen und 6 CUC/h für den Emailzugang bei der staatlichen Telekomgesellschaft ausgeben, was angesichts der Finanzlage unmöglich erscheint. Also: Aus der Traum mit diesem Europäer.

In Santiago bemerke ich, wie Alfine – ein bisschen naiv-gutgläubig - mit der Situation in dieser Stadt, den Schlepperangeboten, dem Verhandlungsrepertoire der diversen Anbieter völlig überfordert ist. Die Schlepper wollen sie gewinnen, um gemeinsam mit ihr mich, den Touristen, auszunehmen. Ich erkläre ihr das Schleppersystem und es dauert, bis sie versteht. In Handlungen umsetzen kann sie es aber nicht, bleibt jedoch eine ehrliche Haut, die mir die Entscheidungen überlässt, aber ansonsten zwischen dem, was ihr die Schlepper ins Ohr einsagen und dem, was ich ihr erkläre, unschlüssig ist, wem sie glauben soll.

In der im Führer empfohlenen Unterkunft mit reichhaltigem, gediegenem Mobiliar der 30er Jahre nebst Aquarium mit bunten Fischen, Waschraum mit Waschbecken, WC und warmer Dusche scheinen Alfine die Augen überzugehen. Sie erkundigt sich zunächst nach der Gefährlichkeit und der Strenge der Polizei bei der Senora des Hauses, was ich nicht einordnen kann. Sie wird beruhigt, doch genau wie bei mir, wird in einem Buch zur Dokumentation des Aufenthaltes in diesem Haus der Ausweis abgeschrieben. Ich bin noch zu frisch in Kuba, so weiß ich diese Beobachtungen nicht richtig zu deuten.

Wir genießen den Abend beim Essen in einem privaten Lokal, das von einem Schlepper vermittelt wird. Uns werden überhöhte Preise berechnet; der Schlepper erhält, wie ich beobachten kann, eine Flasche Öl, die er in einem Beutel versteckt. Danach bietet er uns weitere Dienste an. Mein halbes Hähnchen, das mir wenig bedeutet, wird von Alfine für die Tochter eingepackt.

Neben unserer Unterkunft gibt es Musik und Dosenbier. Wir haben einen lustigen Abend mit einem deutsch-französischen Ehepaar zusammen. Er endet vergnügt, nachdem ich sie zum Tanz aufgefordert habe und die Franzosen mitmachen.

Santiago: Montag, 01. Dezember

Nach dem Frühstück mit Ei, Milchkaffee, Saft, Brot und Honig will ich Geld abheben. Doch meine Karte funktioniert nicht. Jetzt wird das Bargeld knapp. Ein Telefonat nach Deutschland kostet CUC 10 und die sind bereits in der Telefon-Warteschleife meiner heimischen Bank verbraucht. Essen und Trinken, auch ein Taxi kann ich mir nicht mehr leisten. Eine Email an die Bank in Deutschland, sozusagen als Hilferuf, kann ich gerade noch mit meinem letzten Bargeld absetzen. Und dann beginnt der Run gegen die Zeit: Ich muss eine Bank finden, bei der ich CUC bekomme. Endlich, nach Stunden gelingt es, bei der außerhalb gelegenen Banco Financiero Geld abzuheben. Da Alfine, ohne wirklich nützlich zu sein, mich die ganze Zeit über begleitet hat, gehen wir eine Kleinigkeit essen.

Da ich ein wenig Spanisch spreche, glaubt sie fest, ich sei schon einmal in Kuba gewesen und fragt mich immer wieder, weshalb ich nicht wisse, wie Kuba „funktioniert“. Sie scheint anzunehmen, ich mache ihr irgendetwas vor, spiele irgendein falsches Spiel. Ich hingegen verstehe nicht, weshalb sie mich immer und immer wieder nach finanziellen Zuwendungen fragt und danach, ob ich Sie mit nach Europa nehme. Das, was sie mir sagt, kann ich nicht einordnen. Wir finden trotz meiner Bemühungen keine tragfähige Verständigungsebene. So will sie sich von mir trennen. Ich bringe sie zum Busterminal, wo sie während der Wartezeit versucht, letzte Vorteile durch die Bekanntschaft zu mir, zu realisieren: ein Erfrischungsgetränk, ein Kaugummi...

Als sie in den Bus einsteigt, winken wir uns noch zu. Gesehen habe ich Alfine nie mehr. Doch am Ende meiner Reise, in La Habana, als ich ein wenig mehr über Kuba gelernt haben werde, werde ich an ihre Adresse aus Sicherheitsgründen in zwei getrennten Umschlägen, an zwei verschiedenen Tagen zur Post gebracht meine restlichen Banknoten zusenden. Und zwei Monate später werde ich zu Hause einen handschriftlich verfassten, vierseitigen Dankesbrief erhalten, der aber so unleserlich geschrieben ist, dass ich außer dem „Danke“ nichts werde entziffert haben können.

In der Abenddämmerung gehe ich zu Fuß zur Kernstadt zurück und stoße zufällig auf Bravia, die im Wartesaal des Busterminal sitzt. Sie ist Zapoteka aus Mexiko, aus der Gegend von Oaxaca, Wir begrüßen uns und beschließen, am nächsten Tag zum Vorteil beider, einen gemeinsamen Ausflug mit dem Taxi zu unternehmen und diesen hälftig zu finanzieren.

Santiago: Dienstag, 02. Dezember



Der Besitzer der Casa Particular mit Vermietungsrecht eines Zimmers an Ausländer rechnet mir vor, was dieses Recht ihn monatlich fix kostet.

Werden die Gäste zusätzlich mit Essen bewirtet, wird auch zusätzlich verdient, weshalb Essensgäste so beliebt sind.

Den Vormittag über besuche ich einige Museen. Sie heißen zwar so, lohnen aber im Grunde den Aufwand und den Eintritt nicht, da es weder Erklärungen für die Gegenstände, noch einen didaktischen Aufbau oder Hintergrundinformation gibt, um die Exponate in das Zeitgeschehen einzuordnen. In zunehmendem Maße bemerke ich, wie mein Museums-Führer jeder noch so kleinen Winzigkeit positive Worte abgewinnen kann. Eine Ausnahme in diesem Museumsreigen stellt das Museum des Untergrundkampfes dar. In einer respektabel hergerichteten Villa zeigen Dokumente und Fotos aus der Zeit des Aufruhrs und des revolutionären Beginns die jungen Männer um Fidel und Raul Castro sowie Ernesto Guevara, genannt „Che“. Wie überall werden die Geschichten um die Revolution und ihre Führer heroisch überhöht dargestellt, und die Waffen der Helden sind beinahe schon „geweihte“ Symbole.

Nach kurzem Blick von einer Aussichtsterrasse auf das Hafenviertel beeile ich mich, um mich, wie verabredet, mit Bravia zu treffen, damit der gemeinsame Ausflug mit dem Taxi gelingen kann. Ich berichte Bravia vom Angestelltengehalt der Saalaufsicht im Museum: CUP 265 / Monat (was CUC 11 oder € 10 entspricht) für die Arbeitszeit von 09.00h bis 17.00h. (Davon kann man ungefähr 7 Liter Benzin kaufen). Alle zwei Wochen hat das Aufsichtspersonal drei Tage frei, macht sieben freie Tage pro Monat. Darüber hinaus gibt es 4 Wochen Ferien, wovon zwei Wochen bezahlt werden.

Bravia genießt den Vorteil ihrer dunklen Haut, wegen der sie oft als Kubanerin angesehen wird, günstiger essen geht und auch sonst oft die Preise der Kubaner und nicht die der Touristen erhält. Doch in Begleitung eines Touristen (wie ich einer bin) schlägt dies ins Gegenteil um, denn dann geht es oft darum, den Touristen mit der vermeintlichen Kubanerin auszunehmen. Nachdem wir beide dies gelernt haben, gelingt es mir, mich beim Einkauf von Brötchen geschickt im Hintergrund zu halten und so kann Bravia zwei „Bocadillos“ zu Spottpreisen erwerben. Beim Taxifahrer funktioniert dies jedoch nicht: mir scheint, Bravia hat vielleicht auch zu wenig Verhandlungsgeschick und Durchsetzungskraft. Schließlich gelingt es uns, einen Rentner mit uraltem Peugeot für unseren Ausflug statt für CUC 45 für CUC 30 zu engagieren.

 

Das Bollwerk Castillo del Morro zur Sicherung der Einfahrt in die Bucht von Santiago ist ganz eindrucksvoll; das mit Dinosaurierfiguren aus Zement ausgefüllte „prähistorische Tal“ ähnelt Disney-World, und am Strand werde ich durch einen Gauner, der sich für eine Strandwache ausgibt, mit einer Strafe von CUC 25 überzogen, weil angeblich das Baden ohne Hose verboten sei. Doch dieses falsche Spiel durchschaue ich leider erst später.

Zurück in Santiago essen wir an der Einfallstraße in einem wirklich netten Restaurant. Zu Fuß geht es in die Kernstadt zurück. Wir vergleichen die Reisepläne und unsere Absichten. Nachdem mein Dueno der Casa Particular Bravias Aufenthalt in der Eingangszone seines Hauses nur für wenige Minuten gestattet, da er sie vermutlich für eine Kubanerin hält, suchen wir eine Eckbar mit dezenter Musik auf, um uns besser verständigen zu können. Dort beschließen wir, uns am Folgetag um 08.30h zu treffen, um dann nach bewährtem Muster einen gemeinsamen Taxi-Ausflug zu unternehmen, um die Gran Piedra und eine Hazienda, die jetzt Kaffee-Museum ist, zu besuchen.