Lindenstadt und sächsischer Kleinkram

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Lindenstadt und sächsischer Kleinkram
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Jens Rübner

Lindenstadt

und sächsischer Kleinkram

Engelsdorfer Verlag

2013

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

Coverfoto: Höfe am Brühl mit den Pusteblumen

zwischen Richard-Wagner-Platz, Brühl,

Richard-Wagner-Straße und

Hallischen Tor in Leipzig, Rübner

Buchrückseite: „Sprechendes Lindenblatt“ ©Sebastian von Zülow,

Der Herrgottschnitzer von Bodenmais, www.herrgottschnitzer.de

1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH

ISBN 978-3-95-488991-4

www.engelsdorfer-verlag.de

„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“

Chinesisches Sprichwort

Lesen ist eine der wenigen Süchte, die weder dick noch dumm machen.

„Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab.“

Marc Aurel

Gehen Sie mit einem guten Buch ins Bett

oder … wenigstens mit jemandem, der kürzlich eines gelesen hat.

„Es ist nicht, was Geld aus uns macht.

Es ist, was kein Geld aus uns macht.“

Unbekannt

Nicht das Grübeln, nicht die Schwermut, sondern das Lachen ist der Freund kraftvollen Nachdenkens.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Zitate

Zwiegespräch

Oma, warum hast du so eine große …?

Er machte Zarah Leander zum Star

Es war einmal – nicht nur Märchen beginnen so!

Eine der größten Flaschen des Jahrhunderts

„Es geschah am hellichten Tag“

„Meine Tante, deine Tante“

„Euch werd ich’s zeigen“

Licht an, Licht aus

Backstage

Für Spaß war gesorgt

Wenn Hollywood im Osten dreht

Wenn Vögel menscheln

Auf der Spur eines rätselhaften Wort-Künstlers

Es war einmal ein schielendes Opossum …

Zamir und die Katze

Träume, Kosmos und ein großer Sohn Leipzigs

Doppel-M, ein Film und fünf Buchstaben

Die Renaissance der Fenster-Frau

ÖL. MACHT. SEXY.

„Im Gleichschritt – Marsch! – Sag nicht, es kann nie wieder geschehen“

Revolutionszeiten in Leipzig

Die Schule der Völkerschlacht

Ready for take-off

Der Fan in uns

Wenn ein Haus Geschichten erzählt

Krieg und Frieden – Erinnerung auf russische Art

„Katharina, die Große“

Buch oder Bier?

Dschungel-Camp

Multi-Kulti-Meile oder Brennpunkt der Stadt?

Schausteller

Das Genie und sein Schatten

Der Fall „Bombus“

„Schwarzer Donnerstag“

Mörderisches Wetter

Bruce – der Boss, der gute Mensch aus Amerika

VINETA – ein Kunstobjekt

Die Eier sterben aus

Die Welten des Panorama-Mannes

Ein Blick hinter die saubere Fassadenwelt

‚Wandzeitung‘ oder Geheime Tipps

Resümee

In eigener Sache

Quellen

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Zwiegespräch

Weihnachten steht vor der Tür und immerzu regnet es, so ein Nieselregen, der gar nicht mehr aufhört.

Leipzig-Reudnitz, Dezember im Jahr 1924, 20 Uhr. Eine junge Frau auf dem Heimweg. Name: Helene Voigt – Alter: 33 Jahre – Beruf: Schriftstellerin.

Guten Abend, Helene. Warum nimmst du die Brille nicht ab bei diesem Regen – sie ist dir doch lästig?

Ich seh dann nicht so gut, das wissen Sie doch. Ich seh dann die Laternen und die Sterne.

Was hast du gegen Sterne?

Es ist besser, ich seh die Lampen. Ich sehe durch die Tropfen, aber ich sehe, dass die Laternen eben Laternen sind und keine Sterne – und das ist gut so!

Stopp! Wir drehen die Zeit ein gutes halbes Jahr zurück. Frühling, es ist angenehm warm. Helene Voigt sitzt am Fenster in ihrem möblierten Zimmer im Haus Nostitzstraße 51 in Leipzig-Reudnitz. Die Vögel zwitschern munter vor sich hin und die angenehme Ruhe wird nur durch Pferdegetrappel einer vorbeifahrenden Droschke unterbrochen. Ansonsten Stille, ihre Gedanken kreisen …

Nach etwa zwei Stunden rapple ich mich auf und schaue auf ihren Schreibtisch. Auf dem Tisch steht eine Vase mit bunten, frischen Wiesenblumen und daneben liegen mehrere Blatt Papier. Darauf steht in feinster sächsischer Mundart eine Hommage an ihre, meine Stadt – Die Lindenstadt.

Lesen Sie selbst, was die hochbegabte Dichterin Lene Voigt zu Papier gebracht hat.

Die Lindenstadt

Schon unsre Dichterferschten briesen

De scheene Stadt am Bleißenstrand

Wo um de Bromenade sprießen

De Linden wie 'ne griene Wand.

An Sommerahmden, wenn de Blieten

So milde duften un so sieß,

will geener mähr sei Stiebchen hieten.

Mit Macht lockt´s Lindenbaradies.

Da ziehn mir Leibzcher dann so gerne

Rings um de Bromenade rum.

Dorch Blätterdächer illern Sterne

Un grißen freindlich ´s Bubbligum.

De Ginstler unter uns behorchen

De Seiseldeene ausm Boom.

In mnacher Linde liecht verborchen

Es neies Dema. Wollnses gloom?

Ich gannde mal e Gombonisten,

där dankte eener e Modiv.

Wenn das de andern Linden wißten,

se guckten wohl e häbbchen schief.

Buchstadt. Bachstadt. Heldenstadt. Sportstadt. Messestadt oder eben Lindenstadt, wie sie historisch auch genannt wird – zu Leipzig passen viele Label. Bis heute finden sich im Stadtgebiet viele dieser Bäume. Lindenhof, Lindenallee, Lindenstraße sind Namen, die ebenfalls darauf verweisen, so dass der Name sicher zu Recht besteht.

 

Weltoffen sind sie, die Leipziger, so sagt man. Aber auch auf eine charmante Art größenwahnsinnig. Schließlich haben sie die historische Wende in Ostdeutschland in den Jahren 1989 und 1990 friedlich eingeleitet und somit wesentlich zur Wiedervereinigung Deutschlands beigetragen, beinahe Olympia nach Deutschland geholt und zuletzt noch die halbe Innenstadt untertunnelt.

Leipzig – der Geburts- und Sterbeort der Lene Voigt hat sich gewaltig verändert. Vieles ist anders geworden in meiner Heimatstadt. Die graue ‚Diva‘ hat sich herausgeputzt. Die Lindenstadt ist heutzutage eine verrückte, bunte, kreative Großstadt und doch manchmal ein Dorf – quasi eine „Weltstadt im Puppenstubenformat“.

Das Schlimmste im Vorwende-Leipzig war der Zustand der Stadt. Dieser permanente Verfall. Nun ist vieles tatsächlich wieder auferstanden, liebevoll restauriert. Die Stadt selbst ist, wie man zugeben muss, lebendiger, aber leider auch gefährlicher und aggressiver geworden. Man braucht eine gewisse Zeit, um wahrzunehmen, was sie von so vielen anderen Handels-, Kultur- und Messestädten der Welt unterscheidet.

Wie soll man die Bilder einer Stadt ohne Geräusche, Geschäfte und vor allem ohne ihre Menschen mit ihren Geschichten beschreiben? Eine praktische Art, eine Stadt kennenzulernen, besteht darin, sich anzuschauen, wie in ihr gearbeitet, geliebt, gelebt und gestorben wird.

Wer Arbeit hat, dem geht’s – wie überall – gut. Dem fehlt lediglich die Zeit zum Leben. Er schwimmt durch die Tage und taucht erst am Wochenende wieder auf. Vor lauter Betriebsamkeit und Geschäftemacherei verlieren die meisten Erwachsenen in ihrem Alltag, in ihren Problemen und Sorgen die Freude über die kleinen Dinge des Lebens. Doch gerade darin liegt der Schlüssel zur Zufriedenheit.

Natürlich haben sie auch Freunde, Frauen/Männer, lieben gutes Essen, das Kino oder das Faulenzen am See. Vernünftigerweise behalten sie diese Vergnügungen dem Wochenende vor und bemühen sich an den Wochentagen Geld zu verdienen.

Eine weitere sinnvolle Art, eine Stadt kennenzulernen, wäre ein Buch darüber zu lesen. Streifen Sie also mit mir durch Leipzigs Straßen – folgen hupenden Autos, dem bunten Treiben auf Straßen, Plätzen und in den Parks. Lauschen den Gesprächen oder der lauten Musik: Geräusche, die von Lebendigkeit und kultureller Vielfalt einer Stadt zeugen. Begeben Sie sich mit mir auf die Spurensuche nach Wissens- und Bewahrenswertem unter den kleinen Dingen des Lebens. Geschichten und Lebensbilder, in denen es nicht um ewige Jugend, Reichtum oder Schönheit geht. Nein, um „sächsischen Kleinkram“, über das Labyrinth der Wörter und die damit verbundene Mischung aus Komik und Tragik.

Das Wissens- und Erhaltenswerte liegt nicht in der großen weiten Welt, sondern beginnt gleich um die Ecke!

Oma, warum hast du so eine große …?

Es gab mal Zeiten, in denen die Vulven (weibliche Scham), alle behaart und nicht nackt rasiert waren. Viele frühe Kulturen haben gar die Vulva verehrt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie in der Kunst ihren magischen Zauber entfalten durfte.

Es ist interessant zu lesen, wie ungeniert und ausgelassen ein als eher steif verschrienes Volk wie die Deutschen in vergangenen Jahrhunderten seine Sexualität ausgelebt hat. Früher waren alle prüde? Von wegen! Lust, Laster, Ekstase, Vergnügungssucht und Pornografie gepaart mit provozierenden und verdorbenen Geschichten gibt es schon seit Menschengedenken.

Früher, ja früher war nicht alles besser, aber anders. Man tuschelt und man munkelt. Neid und Neugier sind die Triebkräfte, die in das Dunkel von Sodom und Gomorrha blicken lassen. Selbst der Theologieprofessor und Reformator Martin Luther betitelte die Messestadt seinerzeit als ein einziges Sodom und Gomorrha.

Es wird behauptet, dass das 18. Jahrhundert das eigentliche Jahrhundert der Prostitution war. Leipzig besaß im Gegensatz zu anderen deutschen Städten keine Bordelle beziehungsweise privilegierte Häuser, aber man gab sich Mühe, in zig öffentlichen Vergnügungsstätten und privaten Wirtschaften aller Art in und um Leipzig diesem Mangel abzuhelfen. Als Hochburgen des Lebensgenusses galten – die Große Funkenburg auch „Tempel der Wollust“ genannt sowie die auch in Goethes „Dichtung und Wahrheit“ genannte Promenade vom Barfuß- bis zum Thomaspförtchen. Somit war Leipzig seinem ganzen Treiben nach ein Miniaturbild von Paris, eine Stätte des Vergnügens. Verdorbenes, Schmutziges und Frivoles waren demzufolge keine Seltenheit, besonders wenn es Nacht wurde, war ‚Klein-Paris‘ eine Stadt, ein Hort der Völlerei, Trunksucht und Unzucht. So waren nicht nur Messegäste und Händler, nein auch Ganoven, Gauner sowie „gemeine Weiber und anderes loses Gesindel“ hier zu Geld gekommen und gaben es meist auch gleich wieder aus.

Skandale haben etwas Anrüchiges, sie sind das Schlüsselloch zu einer Welt, die für die meisten unerreichbar bleibt. Die Menschen gieren seit Bestehen nach Skandalen. Publikationen und einigen Autoren zufolge gab es über die gebürtige Leipzigerin Anita Berber (1899 – 1928) immer etwas zu tuscheln. Sie zickte, zog sich aus und nahm sich Männer, wie sie wollte. Anita Berber – die Schamlose aus Opas Kino. Einschlägige Fachzeitschriften und Lexika beschreiben darin selbst die Künstlerin Madonna und das „It-Girl“, die Erbin des Hilton –Vermögens, Paris Hilton, als Klosterschülerinnen im Vergleich zu ihr.

In Babelsberg spielt sie in den Filmen Anders als die Anderen, (1919), dem ersten Film mit homosexueller Thematik weltweit, der nach Wiedereinführung der Zensur verboten wurde. Es folgen im Jahr 1920 – Nachtgestalten und in Fritz Langs Dr. Mabuse, der Spieler, zwei Jahre später agiert sie als „Tänzerin im Frack“. Hier doubelt sie die Tochter eines norwegischen Politikers, die die Rolle der verruchten Tänzerin Cara Carozza spielt, aber selbst nicht tanzen kann. Ein Auftritt, der unter die Haut geht und letztendlich damit endet, dass die Berber ihren Frack fallen lässt und nichts darunter trägt. Diese Szene wiederholt sie Stunden später nochmals. Doch diesmal nicht vor der Kamera, sondern vor fremden Menschen im Nobelhotel „Adlon“. Ein namensloser Gönner hatte sie eingeladen. Als der Pelzmantel fällt und nichts als nackte Haut zum Vorschein kommt, flüchtet der beleibte Herr ohne die Rechnung zu begleichen.“ (Auszug aus 100 Jahre Babelsberg – Das deutsche Hollywood)

Anita Berber, die ‚Oma‘ mit der großen … wurde am 10. Juni 1899 in Leipzig geboren; ihr Vater war der berühmte Geiger des Leipziger Gewandhausorchesters, Professor Felix Berber; ihre war Mutter die Kabarettistin und Chansonniere Lucie Berber, die unter anderem im Berliner „Chat noir" und im „Linden-Cabaret" Erfolge feierte. Anita Berber, Tänzerin, Schauspielerin und Selbstdarstellerin par excellence. Die wohl gewagteste Frau ihrer Zeit, heute spricht man wohl von einem „It-Girl“! Die Berber war (noch) nicht berühmt, aber schon berüchtigt. Nicht nur durch ihre schlüpfrigen Tänze mit den aufregenden Namen „Morphium“ und „Kokain“. Dass sie Letzteren selbst sehr zugetan ist, bleibt niemandem verborgen. Am Ende war es so schlimm, dass es immer häufiger auch während ihrer Darbietungen zu Tumulten kam. Obszöne Worte flogen durch die Luft, Freier, besoffene Gäste wollten sie anfassen – sie sprang splitternackt von der Bühne … Tische krachten zu Boden, Stühle flogen und wem ihr Spektakel nicht gefiel, bekam schon mal eins auf die Mütze, um nicht deutlicher zu werden, in die Fresse!

Zum Schluss trank die Berber eine Flasche Hochprozentiges und mehr, ihre Nasenflügel waren stark entzündet vom ständigen Kokainkonsum. Das Koksen war in. Kokain wurde zur Modedroge der „wilden Zwanziger“. Er galt als Treibstoff der neuen, schnelllebigen Zeit. Eine, die es zelebrierte, ja bis zum exzessiven Höhepunkt trieb, war Anita Berber; ihre tragische Figur – ein Sinnbild der Exzesse der „stürmischen 20er Jahre“.

Eine Ikone des Berliner Nachtlebens, ein skandalträchtiges Sternchen trat im Alter von nur 29 Jahren am 10. November 1928 von der Bühne des Lebens. Sie „verbrannte“ sich innerlich letztendlich selbst und starb an den Folgen ihrer Tuberkulose. Es war wohl die Quittung für ihr frevelhaftes, lasterhaftes irdisches Tun.

Dutzende von männlichen und weiblichen Geliebten, Verschleiß von drei Ehemännern sowie Verkauf an zig Freier für eine Nacht, wird am Ende in ihrer Vita zu lesen sein.

Er machte Zarah Leander zum Star

Die Rede ist vom Regisseur, Schauspieler und Übersetzer Hans Detlef Sierck (1897 – 1984), der es später unter dem Namen Douglas Sirk zum Meister des Hollywood-Melodrams brachte.

Sein Kurzaufenthalt in der sächsischen Lindenstadt war eine wegweisende und wichtige Station in seinem bewegten Leben. Geradezu ins Schwärmen geraten reifere Bühnenfreunde, wenn vom Alten Theater in Leipzig die Rede ist. Das Alte Theater am Richard-Wagner-Platz war die erste Theaterbühne dieser Stadt. Der Standort, heute schwer auszumachen, war dort, wo sich nahe dem Brühl auf dem Tröndlinring die Schienen der Straßenbahn in die Richtungen Goerdelerring, Ranstädter Steinweg und Pfaffendorfer Straße teilen. Das Gebäude wurde Anfang Dezember 1943 durch einen Luftangriff zerstört. An diesem Theater war Sierck (1929 – 1935) erst als Regisseur tätig, später wird er zum Intendanten berufen, damit ist er zu jener Zeit in Deutschland der jüngste auf solch einem Posten.

Angesicht der vielen Berühmtheiten, die hier wirkten, Hansi Knoteck, Ruth Hellberg, Lina Carstens und Martin Flörchinger, geht der Name Sierck zuweilen unter. Vielleicht, weil er gerade mal sechs Jahre hier arbeitete oder da seine von lebenslanger Dauer anhaltende Bekanntschaft mit der jüdischen Schauspielerin Hilde Jary für Probleme mit den Nazis sorgte.

1930 wird Sierck Mitglied im Leipziger Rotary Club, unter dessen Dach die Eliten der Stadt verkehren, um soziales Engagement von Initiativen in Leipzig und Umgebung zu unterstützen. Ein Jahr später lädt er die Rotarier zum Blick hinter die Kulissen des Alten Theaters ein. Er referiert unter anderem über die Bedeutung der Masken sowie die Auswirkungen der Reichskulturkammer auf das Theaterwesen. Am Nikolaustag 1934 gibt er seinen Austritt bekannt, um den vom Staat geforderten Maßnahmen zur „Judenreinheit“ aller Vereine zuvorzukommen. Die Rotarier wurden schon seit längerer Zeit misstrauisch beargwöhnt und schließlich im Jahr 1937 zur Selbstauflösung gezwungen. Die Zeichen der Zeit erkennend sondiert Sierck bereits intensiv Angebote aus der Theaterlandschaft. Doch letzten Endes kommt ihm, nennen wir es eine Notwendigkeit zugute. Die UFA sucht händeringend nach fähigen Regisseuren und wird auf den jungen Mann aufmerksam. Im Jahr 1934 darf er drei genehmigte billige Kurzfilme drehen und im November 1935 wurde sein Vertrag am Alten Theater gekündigt – Grund: die jüdische Abstammung seiner (zweiten) Ehefrau, der Schauspielerin Hilde Jary; die hatte Sierck vor ihrem Umzug von Bremen nach Leipzig am Schauspielhaus in der Sophienstraße unterbringen können.

Ein Jahr später, 1936, wird sein Film Schlußakkord, ein gekonnt inszeniertes Melodram um einen Dirigenten mit Lil Dagover und Willy Birgel, ein Riesenerfolg. Die Kritik lobt ihn in höchsten Tönen, wie auch seine amüsante Filmoperette das Hofkonzert mit Martha Eggerth und Johannes Heesters, positiven Zuspruch erhält. Im Jahr darauf wird unter seiner Regie eine weitere Berühmtheit am Filmhimmel geboren – die schauspielern und obendrein auch noch eine sinnliche Stimme voller Leidenschaft und Liebe hat.


Standfoto: Zu neuen Ufern

Willi Klitzke, 1937

Das Publikum strömt in Scharen ins Kino – mit den exotischen Melodramen Zu neuen Ufern und La Habanera macht Sierck 1937 die schwedische Schauspielerin und Sängerin Zarah Leander zum Star und zur absoluten Topverdienerin im deutschen Filmgeschäft. Nicht Marlene Dietrich, sondern Sara Stina Hedberg, wie die Leander mit bürgerlichem Namen heißt, ist mit 100.000 Reichsmark der höchstbezahlte weibliche Filmstar des Dritten Reiches.

Trotz allen Erfolgs weiß Sierck, dass der Boden für ihn in Deutschland immer unsicherer wird, da die braune Brut immer mehr an Macht und Einfluss gewinnt. Letztendlich verlässt das Paar 1937 Deutschland und geht zunächst nach Frankreich, um dann in die USA überzusiedeln. So gehörte auch Detlef Sierck, obwohl er kein Jude war, im Gegensatz zu den Filmregisseuren, die einmal Samuel Wilder und Wilhelm Weiller hießen, sich in Amerika aber Billy Wilder und William Wyler nannten – zur Schar jener Theater- und Filmschaffenden, die aufgrund der politischen Verhältnisse in Deutschland ihr Heil in Hollywood suchten.

 

Detlef Sierck, nennt sich in Hollywood Douglas Sirk und versucht sich zunächst als Drehbuchautor. Erst 1943 gab das Filmstudio MGM ihm den ersten Regieauftrag. Sein erster Film in Hollywood war der Anti-Nazi-Film Hitler’s Madman, der von der Ermordung des Reichsprotektors Reinhard Heydrich und dem Massaker von Lidice handelt. Elf Jahre später erfahren seine beiden Filme Die wunderbare Macht und Was der Himmel erlaubt eine wohlwollende Aufnahme seitens der Kritiker. Der Schauspieler Rock Hudson erbringt unter Sirks Regie seine besten darstellerischen Leistungen. Fortan zählt Hudson zu den populärsten und gefragtesten Hollywood-Darstellern.

1960 zieht sich Sirk aus Gesundheitsgründen ins Privatleben nach Lugano in der Schweiz zurück. 1978 erhält er für sein Lebenswerk den Deutschen Filmpreis und 1985 den Bayerischen Filmpreis. Am 14. Januar 1987 sagt eine große Persönlichkeit für immer Adieu … Obwohl das ja nicht ausnahmslos stimmt, seine Filme kann man ja zum Glück noch sehen. Ebenso wie man die große Stimme einer Zarah Leander noch hören kann.

Im Hintergrund höre ich schon einige tuscheln, was soll dieses Wiedersehen mit den erfolgreichen „schön-schaurigen“ Kinoschnulzen aus den 30er/40er Jahren oder das Reinhören in Evergreens aus Omas und Opas Kinozeiten?

Sie haben Recht, der Abstand zwischen damals und heute ist ein großer, unsere Seh- und Fühlweise ist mit Sicherheit auch eine andere geworden. Fakt ist aber, dass man damals wie heute „Schnulzen“ fürs Gemüt und als Balsam für die Seele braucht, um unseren Gedanken und Gefühlen ein zufriedenes Zuhause zu geben, und sei es auch nur für ein paar Stunden. Wir haben heut gut lachen. Doch dies, bitte sehr, war der Geschmack jener Zeit. Filmsprache, Filmstil und Filmtechnik haben sich gewandelt, gottlob. Nur: Sind wir sicher, dass unsere Enkel nicht über manche Lovestory aus der heutigen Zeit kichern werden?