Fünf ungleiche Reiter

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Fünf ungleiche Reiter
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Fünf ungleiche Reiter

Die erste Feuerprobe

Jannis B. Ihrig

FÜNF UNGLEICHE REITER

DIE ERSTE FEUERPROBE

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2012

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Titelgrafik von Sami Seyfert

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

ISBN 9783954882724

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelseite

Impressum

Prolog

1. Kapitel – Fall von Erlin

2. Kapitel – Dämonenpulver

3. Kapitel – GKR–3443

4. Kapitel – Erbarmungslose Wüste

5. Kapitel – Der Elf und der Ork

6. Kapitel – Prüfung des Dschungelgottes

7. Kapitel – Der Zwerg mit dem steinernen Gesicht

8. Kapitel – Eine neue Seele erwacht

9. Kapitel – Das braune Ei

10. Kapitel – Das freche Ei

11. Kapitel – Fleisch und Metall

12. Kapitel – Janoks Vision

13. Kapitel – Schattentänzer

14. Kapitel – Der Rüben fressende Drache

15. Kapitel – Die Wüstenkönigin

16. Kapitel – Der große Rachekrieg

17. Kapitel – Die Silberne Natter

18. Kapitel – Der erste zwergische Drachenreiter

19. Kapitel – Der Zusammenstoß zweier Erzfeinde

20. Kapitel – Der Flammende Prinz

21. Kapitel – Partner wider Willen

22. Kapitel – Die Wassermagierinnen

23. Kapitel – Flüchtlinge

24. Kapitel – Die Prophezeiung

25. Kapitel – Der Schatten im Berge

26. Kapitel – Verrat

27. Kapitel – Die Hölle

28. Kapitel – Die kleinen Grünen

29. Kapitel – Der Zwielichtmensch

30. Kapitel – Das Treffen

31. Kapitel – Nuala

32. Kapitel – Die Prüfung

33. Kapitel – Die Goblins

34. Kapitel – Die verschwundene Zivilisation

35. Kapitel – Der Gang in die Tiefe

36. Kapitel – Noch ist der Kampf nicht verloren

37. Kapitel - Der Vorbote der Finsternis

38. Kapitel – Licht und Schatten vereint

39. Kapitel – Nicht alles, was finster ist, ist böse

40. Kapitel – Der Kampf beginnt

41. Kapitel – Die Hölle kommt ins Rollen

42. Kapitel – Hölle, Hölle, Hölle

43. Kapitel - Die Hölle kocht über

44. Kapitel – Alles Eisige kommt von oben

45. Kapitel – Das Licht stirbt zuletzt

Epilog

Personenliste

Prolog

Vor langer Zeit herrschte auf dem Kontinent Locondia Frieden. Alle Völker waren unter einer Flagge vereint und wurden von einem gewählten Rat geführt. Man nannte diese Vereinigung „Bund der Fünfe“, denn es gab fünf Hauptvölker.

Da waren zum einen die Elfen, die im Inneren von Locondia herrschten. Sie nannten ihr Land „Grüne Ebene“, was daran lag, dass das Innere des Kontinents flach und von prächtigen Wäldern bewachsen war. Von den anderen Völkern wurde es schlicht Elfenland oder Zentrum genannt. Im hohen Norden lebten die Zwerge, die in den eiskalten Gegenden der Berge wertvolle Rohstoffe für ganz Locondia ans Tageslicht brachten.

Im Westen herrschten die grünhäutigen Orks. Diese kriegerischen Wesen waren stets rätselhaft. Sie lebten schon von Anbeginn der Zeit in ihren Mooren. und unternahmen nur ab und zu kleine Raubzüge in die Grenzstädte der Elfen und Zwerge, ohne hierbei zu einer ernsthaften Bedrohung zu werden. Diese Überfälle waren auch die einzigen Kontakte, sodass man kaum etwas über die Orks wusste. Deshalb kursierten die unglaublichsten Gerüchte: Der eine behauptete, sie wären die Geschöpfe eines wahnsinnigen Magiers, der andere sagte, sie wären Moorgeister und der Dritte glaubte wiederum, dass sie so etwas wie riesige Ameisen wären, überhaupt kein Bewusstsein hätten und nur nach den Befehlen einer riesigen Orkkönigin handeln würden. Als der Bund gegründet wurde, hörten die Überfälle auf. Niemand aber wollte in die Moore gehen, um nach dem Rechten zu sehen. Die Gerüchte über schreckliche Moormonster schreckten jeden ab. Es war aber auch unnötig: Eines Tages erschien ein orkischer Diplomat am Hof des Königs, welcher die Kontinentalsprache beherrschte. Zwar mit einem schrecklichen Dialekt, der jeden einzelnen der Elfen, die diese Sprache für alle Völker des Bundes entwickelt hatten, fast in den Wahnsinn treiben konnte. Man war sich nicht sicher, ob es an der Form des Orkkiefers oder an mangelnder Intelligenz lag. Der König und seine Berater kamen gar nicht mehr aus dem Staunen heraus, als der Ork die Bitte seines Volkes vortrug: Die Orks wollten dem Bund beitreten. Sieben Tage lang beriet sich der König mit seinen Beratern. Am achten Tag gab er seinen Segen und hieß die Orks im Bund willkommen. Nach dem Eintritt wagten sich auch Abenteurer und Entdecker in die Moore. So konnte man etwas mehr über die Orks erfahren. Trotzdem gehörten die Orks zu den Völkern, die noch viele Geheimnisse hatten.

Im Süden des Kontinents befanden sich gewaltige Urwälder, die Heimatstätte der Tarborianer, aufrechtgehender Echsen. Ein Volk, das sehr stark mit dem Dschungelgott zusammenhing, der angeblich im Inneren der Urwälder lebte. Einen Beweis für seine Existenz gab es nicht, allerdings war es eine glaubwürdige Erklärung für die gewaltigen Kräfte der tarborianischen Schamanen. Sie konnten nicht nur hervorragend mit Heilkräutern und -pflanzen umgehen, sondern auch die Fauna und Flora für ihre Zwecke manipulieren. Einer Legende nach hatte ein Schamane vor langer Zeit eine Flutwelle aufgehalten, indem er Bäume eines Waldes dazu brachte, sich zu einem Damm aufzutürmen. Zwar hatten andere Schamanen so etwas nicht geschafft, dennoch sind sie hoch angesehen in der tarborianischen Gesellschaft.

 

Im Osten lebten die wohl seltsamsten Wesen ganz Locondias: die Menschen. Sie tauchten vor langer Zeit einfach in der Wüste des Ostens auf und besaßen Technologien, von denen die Zwerge mit ihrer praktischen Runenmagie nur träumen konnten. Viel wusste man nicht über sie, denn die Menschen ließen keine Nichtmenschen in ihr Land hinein und die Diplomaten waren die einzigen Menschen, denen man außerhalb des Menschengebietes, begegnen konnte. Berichten zufolge, trugen diese Diplomaten seltsame Kleidung: Sie wäre glatt und schwarz und würde von den Diplomaten schlicht Smoking genannt werden. Diese Kleidung sei ohne Schmuck, außer einem blau-grünen Kreis auf der linken Seite der Brust. Auf Nachfragen soll einer der Diplomaten geantwortet haben, dies sei eine Abbildung seiner Heimatwelt. Diese Antwort warf aber nur weitere Fragen auf, auf welche der Diplomat keine Antwort geben wollte. Auch wenn sich die Menschen völlig isolierten, schafften es einige über die schwer bewachte Grenze und konnten davon berichten: Die Menschen würden metallische Dämonen erschaffen, die innen hohl seien, denn sie hätten mit eigenen Augen gesehen, wie sie aus den Dämonen ein- und ausstiegen. Ein anderer wiederum behauptete steif und fest, die Menschen würden Kanäle mit Hilfe von Dämonen auf Rädern, die ein riesiges Maul besäßen, erschaffen. Das wäre eine Erklärung gewesen, wie die Menschen in der gnadenlosen Wüste überleben konnten, die sich über ihr ganzes Land erstreckte. Dann gab es noch das Gerücht von Feuer speienden Armbrüsten und Schwertern. Was wahr oder nur kompletter Unsinn war, wusste aber niemand. Weil die Menschen aber nie Krieg gegen die anderen Völker führten und sogar großzügige Geschenke in Form von Rohstoffen verteilten, interessierte sich auch niemand dafür.

Als die Elfen und die Zwerge den Bund gegründet hatten, beschlossen sie, ihre gemeinsame Zeitrechnung von Null neu anzufangen. Das übernahmen auch die drei anderen Völker, die in kurzer Zeit in den Bund eintraten. Der Bund und mit ihm der Frieden währte über zweihundert Jahre. Das Bundsystem war folgendermaßen aufgebaut: Jedes der fünf Reiche verwaltete sich selbst. Wie sein Staatssystem aufgebaut war, entschied jedes Reich für sich. Das Zwergenreich zum Beispiel unterteilte sich in mehrere kleine Gebiete, von denen jedes von einem Clan verwaltet wurde. Jeder Clan schwor dem Zwergenkönig, der das ganze Reich regierte, die Treue. Der Königstitel wurde im mächtigsten Clan aller Clane, dem Goldener-Hammer-Clan, weitervererbt. Der König erbte auch von seinem Vorgänger den Goldenen Hammer, welchem der Clan seinen Namen verdankte.

Das Reich der Orks soll so ähnlich aufgebaut gewesen sein: Anstelle der Clans herrschten hier die Stämme. Jeder Stamm hatte einen Häuptling, den stärksten Ork des ganzen Stammes, welcher mit den anderen Häuptlingen den Rat der Häuptlinge bildete. Sie regelten zusammen Angelegenheiten, die die gesamte Orkheit betrafen.

Die Elfen besaßen einen König, der nicht nur die gesamte Grüne Ebene beherrschte, sondern auch den Bund führte.

Die Tarborianer überließen ihrem Gott das Herrschen und waren zugegebenermaßen recht gut damit verfahren.

Von den Menschen wusste man es nicht. Gerüchte sagten, sie nannten ihre Staatsform Demokratie. Darunter konnte sich aber keiner etwas vorstellen.

Der Bund selbst wurde von einem Rat aus den fünf Vertretern der Völker verwaltet. Die Orks und die Tarborianer entsandten jeweils einen Schamanen, die Zwerge einen Runenmagier und die Elfen wurden von ihrem König vertreten, da der Sitz des Rates sich in Erlin befand. Die Menschen sandten einen Diplomaten.

Wie jede glorreiche Zeit ging auch diese einmal zu Ende. Im Jahr 213 der neuen Zeitrechnung begann der Zerfall. Lange Zeit wusste man überhaupt nicht, was genau geschehen war. Man wusste nur, dass auf einmal in ganz Locondia Konflikte ausbrachen.

Im Elfenreich gewann eine anfangs kleine Sekte, die sich mit dunkler Magie und durch Bündnisse mit Dämonen Macht erworben hatte, an Einfluss, sodass sie mehrere Städte kontrollierten. Doch das reichte ihnen nicht. Es kam zum Krieg. Es war ein Krieg, der das Elfenland in zwei Reiche teilte: das Reich der Elfen und das Reich der Schattenelfen. Die Schattenelfen waren kaum noch Elfen: Sie sahen zwar noch wie solche aus, jedoch hatte die dunkle Magie und die Dämonen sie verdorben. Die Schattenelfen besaßen zwar Spitzohren und glatte Haut, jedoch war diese rabenschwarz und die Augen glühten rot. Auch wenn es unter den Schattenelfen viele Schönheiten gab, erkannte man sofort das Böse in ihnen, wenn man einen von ihnen sah.

Der Bürgerkrieg erreichte seinen Höhepunkt, als die Schattenelfen im Jahr 307 Erlin, die Hauptstadt in der Mitte des Elfenreiches, belagerten. Die Hauptstadt konnte zwar gerade noch so verteidigt werden, jedoch verlangte der Sieg einen hohen Preis: Einer Gruppe Meuchelmörder der Schattenelfen war es gelungen, während der letzen Schlacht um Erlin die gesamte Königsfamilie bis auf die beiden Prinzen Maximilian und Monarchius auszulöschen. Nach diesem Kampf verlor der Krieg an Härte, denn beide Seiten hatten großen Mengen an Soldaten und Material verloren. So herrschten am Ende die Lichtelfen, wie sie von nun an genannt wurden, im Westen, während den Verrätern der Osten gehörte. Die Stadt Erlin lag genau auf der Grenze beider Reiche.

Im Zwergenreich verschwand der Goldene Hammer. Daraufhin wollten viele der Clans den Verlust an Ansehen des Goldenen-Hammer-Clans ausnutzen, um selber zu herrschen. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen, bis am Ende das Reich in vier Teile zerfiel. Diese vier recht großen Reiche stellten Anspruch auf den Thron, was auch ihre Namen zeigten. Im Norden befand sich das Reich des Bronzenen, im Westen das des Heiligen, im Osten das des Himmlischen und schließlich im Süden das des Silbernen Hammers. Nach mehreren blutigen Jahren endeten die Kämpfe, doch das Zwergenreich war zerfallen und eine Neuvereinigung war nicht in Sichtweite, vor allem weil der Goldener-Hammer-Clan während des Krieges ausgelöscht wurde.

Als dritter großer Konflikt in der kurzen Zeit entflammte der Krieg zwischen Orks und Tarborianern: Die Orks fielen plötzlich in den Dschungel der Tarborianer ein, was zu blutigen Kämpfe führte. Große Teile des Dschungels im Nordwesten wurden von den Orks vollständig abgebrannt, um leichter Nachschub an die Frontlinie bringen zu können. Dieses Gebiet nannte man später die „Große Einöde“. Die Tarborianer konnten mit Hilfe der Magie ihrer Schamanen den Vormarsch der Orks aufhalten. Nach dem Krieg errichteten die größten Schamanen einen unüberwindbaren Steinwall um den verbliebenen Dschungel, welcher das Tarborianerreich vom Rest der Welt abschotten sollte.

Was im Reich der Menschen geschah, weiß man nicht. Es musste aber katastrophale Ausmaße gehabt haben, denn die Menschen isolierten sich komplett vom Rest der Welt. Die Grenzen wurden verstärkt und jedes Wesen, dass sich auf hundert Schritt der Grenze näherte, wurde ohne Ausnahme getötet.

Im Jahr 321 beruhigte sich die Lage nach dem hundertjährigen Kontinentalkrieg: Die Elfen und Schattenelfen schlossen einen Waffenstillstand, nachdem beide Seiten sich so sehr in diesem Krieg aufgerieben hatten, dass ihre Existenz in Gefahr war.

Die vier Zwergenreiche schlossen sich zu einem lockeren Staatenbund zusammen. Jedoch gab es keine Vergebung unter den Zwergen und es herrschten immer noch Terror und Hass in den Bergen des Nordens. Ein zweiter Bürgerkrieg schien nicht unwahrscheinlich.

Die Tarborianer wagten sich wieder heraus aus ihrer Isolation und bauten mächtige und schwer bewachte Tore in den Steinwall, um den Handel zu ermöglichen.

Die Orks im Westen waren nach wie vor offen für Besucher der anderen Reiche, doch wehe ein Tarborianer näherte sich einem Orkdorf. Er würde nicht lange leben.

Die Menschen blieben weiterhin isoliert.

Es herrschte zwar ein brüchiger Frieden, doch der alte Glanz des Bundes wurde nicht wiederhergestellt.

Doch endet unsere Geschichte nicht hier.

Sie fängt erst an.

1. Kapitel – Fall von Erlin

Übungsraum des Lichtmeisters

Akademie für Lichtmagie

Erlin

Frühsommer 323

„Konzentriere dich, Erwin! Lass die Macht des Lichts deinem Geist Kraft geben!“ Leanus, Mitglied im Rat der Weisen, betrachtete gespannt seinen Schüler. Dieser saß im Lotussitz auf dem Boden des Raumes, den sie immer für Übungen nutzen. Leanus war sich nicht ganz sicher, ob sein Schüler in der Lage war, das Verlangte zu vollbringen. Seine Kraft war zwar mächtig, aber unausgebildet, und das Erschaffen eines Lichtgolems war alles andere als eine einfache Aufgabe für jemanden wie Erwin, der erst vor drei Monaten seine Ausbildung begonnen hatte. Diese Aufgabe wurde normalerweise erst nach zwei Lehrjahren von normalen Schülern verlangt. Doch war Erwin eine Klasse für sich: Er war mit sechzehn Jahren für elfische Verhältnisse noch ein Kind, doch war seine Fähigkeit, das Licht zu nutzen, jetzt schon besser als die von vielen älteren Schülern. Der hoch gewachsene, schlanke Elf war mit einer besonderen Gabe ausgestattet: das Anziehen und Speichern von Licht. Während andere sich schon damit abschuften mussten, Licht für eine kleine, leuchtende Kugel, welche generell schnell erlosch, zu sammeln, musste Erwin überhaupt nichts machen, um an Lichtenergie zu kommen. Die Kehrseite der Medaille bestand darin, dass Erwins Körper Licht zum Leben brauchte. Ohne Licht erging es seinem Körper so schlecht, dass sogar der Tod nicht unwahrscheinlich war. Leanus betrachtete sich in einem der lebensgroßen Spiegel, welche die Wände des Raums bildeten. Er selbst war schon über vierhundert Jahre alt, ein Alter, mit dem er die Lebenserwartung eines Elfen von dreihundert Jahren längst überschritten hatte, und sein Gesicht war schon lange vom Alter vernarbt und sein Haar und Bart waren schon seit einhundertfünfzig Jahren weiß. Doch so sehr sein Körper auch vom Alter gezeichnet war, loderten Wille und Kraft in seinen Augen, sodass es niemand für falsch hielt, dass er den Posten als Lichtmeister der Akademie bekleidete. Er blickte wieder zu Erwin: Auf der Stirn des Lehrlings befanden sich Schweißtropfen und sein Haar fing an von hellbraun zu blond zu wechseln, ein Zeichen dafür, dass Erwins Körper Licht aufsaugte. Die Kerzen im Raum, die Leanus für Erwin und nicht wegen des Lichts, es war ja Tag, angezündet hatte, fingen an zu flackern und in dem kleinen Granitblock, der in der Mitte des Raumes stand, zeigten sich die ersten, leuchtenden Risse. Leanus versank wieder in seinen Gedanken und erinnerte sich zurück, wie er und Erwin sich vor fünf Monaten kennenlernten.

„Es war einer der wildesten und dunkelsten Winter, die ich in meinem ganzen Leben erlebt habe, und das soll bei meinem Alter was heißen. Den ganzen Winter lang hatte es geschneit und die wärmende, leuchtende Sonne kam kaum hervor. Und dieser Winter hätte Erwin fast das Leben gekostet. Nie werde ich das verzweifelte Gesicht seines Vaters Iarus, eines talentierten Künstlers, vergessen, als er in meinen Saal, den ich für den Empfang von Bittstellern benutze, hereingelassen wurde und sich auf dem Boden hinkniete und mich um Hilfe für seinen Sohn anflehte. Andere Lichtmagier hatten sich seinen kranken Sohn angesehen, konnten jedoch nicht helfen. Auch wenn ich nicht glaubte, dass ich das Heilmittel finden würde, machte ich mich auf und begleitete Iarus zu seinem Haus, dass er mit Erwin bewohnte. Später sollte ich erfahren, dass Erwin der einzige nahe Verwandte war, der Iarus geblieben war. Die Mutter war irgendwann verschwunden und andere lebende Verwandte hatten sie nicht. Kein Wunder, dass er so verzweifelt war. Nun ja, da trat ich ins Haus und spürte plötzlich etwas. „Iarus, spüren Sie das?“

„Nein, Herr, ich spüre gar nichts.“ An dieser Stelle keimten eine Ahnung und eine Hoffnung in mir auf. Sollte ich wirklich einen … ? Das Gefühl ließ keinen anderen Schluss zu. Es fühlte sich so an, als würde jemand das Licht aus mir saugen. Weil das Gefühl schwach war, ließ ich es gewähren. Je mehr ich mich Erwins Schlafzimmer näherte umso stärker wurde das Gefühl. Als ich eintrat, sah ich, dass ich Recht hatte. Da lag Erwin: Schweiß überströmt, bleich, der Atem rasend und mit schwach leuchtendem Haar. „Sein Haar! Sein Haar!!“ Iarus war kurz vor einer Krise, bis ich ihn beruhigen konnte: „Keine Sorge, Iarus! Das Leuchten ist ein Zeichen dafür, dass meine Vermutung stimmt und dass ich deinem Sohn helfen kann.“ So trat ich ans Krankenbett und legte meine Hand auf Erwins Brust. Das darauf Folgende war schon ein kleines Wunder: Der ganze Raum war plötzlich mit strahlendem Licht gefüllt, sodass ich meine Augen zukniff und Iarus schreiend nach hinten fiel. Mich erfasste plötzlich ein kräftiger Sog, der von Erwin ausging. Zum Glück konnte ich mich dagegen stemmen. So plötzlich das Licht kam, so schnell verschwand es auch. Zurück blieben ein verschreckter Iarus, ich völlig ausgelaugt und ein in Sekunden genesener Erwin. Seine Haut war noch hell, wirkte jedoch viel gesünder, sein Atem hatte sich beruhigt und sein Haar nahm langsam einen Braunton an. „Ein Wunder! Ihr habt ein Wunder vollbracht, Meister!“ Iarus war außer sich vor Freude und nannte mich eine Legende. „Ihr dankt mir zu sehr. Dein Sohn hat sich selbst gerettet. Er brauchte nur jemanden, der ihm Licht gab.“ Als ich Iarus’ ratloses Gesicht sah, musste ich lachen und ihm erklären, was es mit seinem Sohn auf sich hatte. Als dann der Frühling anbrach und die Sonne wieder hervorkam, nahm ich Erwin an der Akademie des Lichts als meinen Schüler auf. Und seitdem hat er eine Menge gelernt.“

 

Leanus blickte wieder zu seinem Schüler. Inzwischen war der Granitblock nur so von Rissen überzogen. Dann geschah es: Anfangs war es nur ein leises Knirschen, das immer lauter wurde. Danach krachte es und der Block teilte sich in mehrere Brocken, die sich zu zwei Beinen, dann einem Oberkörper mit Kopf und letztendlich in Arme mit plumpen Händen formten. Die Lücken zwischen den Steinen waren mit hell leuchtendem Licht gefüllt. Als Letztes leuchteten zwei Augen im Kopf des Golems auf, ein Zeichen dafür, dass der Golem erwacht war. Der Golem sah sich um, während seine Brust sich hob und senkte. Der Steinerne atmete das Licht, das er von seinem Meister, Erwin, erhielt. Leannus zählte mit. Der Golem wollte sich bewegen, doch als er den ersten Schritt tat, fiel er zusammen und die Kerzen erloschen. „Gut gemacht Erwin. 30 Atemzüge. Nicht schlecht für einen Anfänger.“ Erwin musste erst wieder seinen Atem beruhigen, dann antwortete er mit selbstbewusster Stimme: „Ich danke für Euer Lob, Meister. Ich könnte es gleich noch mal versuchen.“ Doch in diesem Moment klingelte die Glocke, die zum Mittagessen rief. „Geh ruhig Erwin, nach so einer anstrengenden Aufgabe kannst du etwas zum Essen ganz gut vertragen.“ Erwin verbeugte sich, was mit seinem langen, weißen Schülergewand gar nicht so einfach war. Dann ging er und ließ den Meister allein.

Erwins Magen knurrte und jetzt erst wurde ihm bewusst, wie sehr ihn die Übung von seinem Hunger abgelenkt hatte. Er wandelte durch einen Korridor, dessen Wände mit Marmor geschmückt waren und wo das Licht durch mehrere Fenster einfiel. Prächtige Säulen standen in Zehnerschritten auseinander, völlig aus Gold. Kurz gesagt, wie im Still der gesamten Akademie. Viele hatten darüber gewitzelt, dass Diebe, die ursprünglich die wertvollen Bücher aus der umfassenden Bibliothek der Akademie stehlen wollten, mit Gold und Marmorplatten verschwunden waren. Die Akademie des Lichts gilt aber trotzdem mehr wegen des Wissens, dass hier gehütet wurde, als wertvollstes Gebäude von ganz Erlin.

Erwin freute sich schon auf das Essen mit seinen Mitschülern und ahnte noch nichts von der üblen Laune des Schicksals, die gleich sein ganzes Leben ändern würde. Kurz bevor Erwin die Tür zum Essensaal erreichte, bebte auf einmal der Boden. Erwin verlor das Gleichgewicht und fiel hin. Als er sich wieder aufrappelte, fühlte er leichtere Nachbeben und hörte Schreie, das Zerbrechen von Holz, das Splittern von Steinen, das Prasseln von Feuer und die Einstürze mehrerer Gebäude. Erwin eilte zum Fenster: Was er sah, ließ ihn das Blut in seinen Adern gefrieren. Von hier aus konnte er die anderen Stadtteile von Erlin sehen, weil die hohen Mauern, die die Akademie umgaben, zerstört waren. Überall sah er Feuer und zerstörte Häuser und es war sehr dunkel, und das obwohl es erst um die Mittagzeit war. Erwin blickte nach unten und konnte einen der Gärten der Akademie einsehen. Der Garten war verwüstet und in dessen Mitte befand sich ein seltsames, schwarzes Gebilde: Es sah aus wie zwei Pyramiden, die man an den Grundflächen zusammengefügt hatte. Die untere Spitze war zum Teil im Erdboden verschwunden. Eine Truppe Wächter in weißer Rüstung mit Schwert und Schild standen, mit einigem Abstand um das Gebilde und sahen es misstrauisch an. Da öffnete sich plötzlich ein Spalt im Gebilde und seltsame Wesen stiegen aus. Diese sahen aus wie Ritter in schwarzer Rüstung. Nur gab es ganz markante Unterschiede: Ihre Rüstung schien aus einem Guss und ihre Helme hatten statt eines Visiers nur ganz enge Schlitze. Zudem trug jeder dieser seltsamen Gestalten ein großes und langes Gebilde, aus dem vorne sechs graue Röhren herausragten.

Einer der schwarzen Ritter blickte in den Kreis der Wächter, die ihn und seine fünf Kumpanen umzingelt hatten. Dann richtete er das Gebilde in seinen Händen auf die Wächter und es knallte mehrmals schnell hintereinander. Einer der Wächter kippte kreischend nach hinten. Seine Rüstung war an mehreren Stellen geschmolzen. Erwin traute seinen Augen nicht, als es wieder knallte. Aus den Röhren des Gebildes, die nun zu rotieren begonnen hatten, kam blaues Feuer und weitere Soldaten fielen um, denn die vier anderen schwarzen Ritter hatten nun ebenfalls das Feuer eröffnet. Nachdem die Wächter den ersten Schock überwunden hatten, versuchten sie, den Feind anzugreifen, doch sie hatten keine Chance, auch nur in die Nähe der schwarzen Ritter zu kommen. Die Ritter mähten sie nieder, doch aus der Akademie kamen immer mehr Wächter, die in den sicheren Tod rannten. Der Garten wurde von Leichen und Blut überschwemmt. Plötzlich fingen die tödlichen Gebilde der Ritter an zu qualmen und das Feuer erstarb. Mit einem Triumphschrei warfen sich die Wächter mit neuem Mut auf die Feinde. Jedoch zogen die schwarzen Ritter schwertähnliche, silberne Gebilde und erwarteten die Elfen mit gezückten Klingen. Erwin sah, wie einem Wächter der Oberkörper vom Rumpf abgetrennt wurde. Es flogen weitere Körperteile herum, während die Treffer der Wächter scheinbar ohne Wirkung an den Rüstungen der Ritter abprallten. Erwin ertrug diesen Anblick nicht mehr länger und er blickte nach oben. Der Himmel war vollkommen von einer weißen, metallenen Fläche verdeckt. Mehrere quadratische Erhebungen stachen aus der Fläche hervor und ständig öffneten sich Löcher, aus denen weitere Gebilde, in denen vermutlich ebenfalls schwarze Ritter steckten, zum Erdboden fielen. Es war kein Wunder, dass es dunkel war. Erwin wusste, dass er besser sofort zu Leanus zurückkehren sollte. Natürlich war der alte Magier zwar mit seiner Lichtmagie stärker als die Wächter, jedoch sagte ein mulmiges Gefühl im Erwins Magenbereich, dass auch Leanus es nicht mit einen der schwarzen Ritter aufnehmen konnte. Erwin drehte sich um …

… und starrte direkt in den Helm eines schwarzen Ritters. Das Visier blickte kalt zurück. Dann schlug der Ritter zu, während Erwin vor Schreck noch ganz starr war. Der Elf flog quer durch den Korridor, bis er an einer Wand abprallte. Er hatte Glück, dass er nicht durch eines der Fenster geflogen war, denn den Sturz in den Garten hätte er nicht überlebt. Erwin versuchte aufzustehen, doch ihm tat jeder seiner Knochen weh, sodass er sofort wieder auf die Knie fiel. Erst in diesem Moment dachte er an den anderen. Der stand noch immer dort. Erwin und er starrten sich an. Dann hob der Ritter seine Waffe, die wie eine metallische Armbrust ohne Bogen aussah, und wollte anscheinend jeden Moment schießen. Erwin reagierte sofort: Er bildete und warf einen Lichtblitz direkt auf den Kopf des Gegners. Ein schriller Schrei durchschnitt die Luft und die Waffe zuckte ganz nach oben, sodass der Schuss ein Loch in die Decke brannte. Scheinbar hatte Erwins Blitz den Ritter geblendet. Wie der Elf aber feststellen musste, hatte sein Angriff keine bleibenden Schäden an der Rüstung hinterlassen. Während Erwin sich über die Unwirksamkeit seines Angriffes wunderte, war er unachtsam und bekam die Waffe in den Magen geworfen. Während er nach hinten taumelte, machte sein Gegner einen gewaltigen Satz nach vorne und packte ihn mit seiner rechten, schwarzen Hand am Hals, hob ihn hoch und schmetterte ihn nach hinten gegen die Wand. Erwin verlor für einen Moment das Bewusstsein. Dann aber wehrte er sich gegen den Griff, trat mit den Füßen um sich und schlug mit seiner freien Linken gegen den Kopf, doch ohne Erfolg. Der Griff lockerte sich nicht und der Ritter zeigte keine Reaktion. Erwin versuchte noch einmal einen Lichtblitz zu formen, doch erkannte der Ritter seine Absicht und schmetterte die andere Faust gegen Erwins Kopf, sodass dieser vor lauter Kopfschmerzen sich nicht mehr genug konzentrieren konnte. Erwin ging die Luft aus und seine Sicht wurde dunkel, der Tod griff mit seinen eiskalten Fingern nach ihm. Jetzt würde er Frieden finden, da war er sich sicher. Plötzlich vernahm er wieder einen schrillen Schrei, der ihm weit entfernt vorkam. Der Griff lockerte sich und Erwin fiel zu Boden. Erwin schnappte sofort wieder nach Luft, bis ein schweres Gewicht auf ihn viel. Er konnte noch erkennen, dass es der Ritter war, dann wurde er bewusstlos.

„Erwin! Erwin! Wach auf, Erwin! Du schwebst in großer Gefahr!“ Erwin spürte auf einmal einen brennenden Schmerz und wachte auf. Vor ihm war das besorgte Gesicht seines Meisters Leanus. Soweit Erwin es sah, befand er sich in einem weißen Saal. Durch die Fenster konnte er die Abenddämmerung sehen. Der Saal musste sich weit oben befinden. „Leanus, was ist geschehen? Der Ritter … „

„ … ist beschäftigt. Ich habe ihn kurz außer Gefecht gesetzt, bevor du erstickst. Doch wir haben keine Zeit. Wir müssen das Ritual sofort beginnen.“

„Was für ein Ritual? Wo sind wir überhaupt?“, fragte Erwin. „ Wir sind im Magierturm, der höchste Turm der Akademie. Hör zu Erwin, die unbekannten Angreifer haben ganz Erlin überrannt. Die Akademie ist voll von denen und sie versuchen gerade hier einzudringen. Ich kann sie nicht aufhalten. Meine Güte, ich hatte schon Schwierigkeiten mit dem Ritter, der sich dich vorgeknöpft hatte. Deshalb muss ich die Eier sofort in Sicherheit bringen. Und dich noch dazu“, antwortete Leanus rasch. „Aber was ist mit den anderen? Und was für Eier?“

„Die anderen sind entweder tot oder gefangen. Wir sind die Letzten. Und wegen den Eiern … ich habe keine Zeit für längere Erklärungen. Stell dich sofort in das Pentagramm!“ Erwin wollte protestieren, doch das Gesicht seines Meisters machte ihm klar, dass Widerspruch nicht geduldet wurde. Also ging Erwin in die Mitte des Saals, wo das Pentagramm aufgemalt war. An jeder der fünf Ecken befand sich ein Ständer, der ein Ei trug. Jedes hatte eine eigene Farbe: rot, blau, grün, grau und braun. Als Erwin in der Mitte stand, begann Leanus Lichtenergie in das Pentagramm zu speisen. Die Linien des Pentagramms fingen an weiß zu leuchten, und plötzlich bildete sich ein Wirbel, der Erwin in die Lüfte erhob. Auch die Eier wurden erfasst und nun kreisten diese um Erwin. Leanus beachtete das alles nicht und sprach ruhig weiter. Plötzlich splitterte das Tor, brach auf und schwarze Ritter drangen ein. Einer hob den Arm. Erwin schrie eine Warnung. Die nächste Minuten verliefen wie in Zeitlupe: Der Schuss, das Aufleuchten von Leanus’ Körpers, welcher keinen Schrei von sich gab, sondern stattdessen weiter Lichtenergie an das Pentagramm leidete, auch als er zu Boden sackte. „Nein!“ Erwin schrie vor Schmerz. Inzwischen wählte der Ritter sein nächstes Ziel aus: Erwin. Erwin sah das Aufleuchten der unheimlichen Waffe, doch er spürte den Treffer nicht. Es wurde alles blau vor seinen Augen und es fühlte sich an, als würde sich sein Körper in tausend winzige Bruchstücke teilen. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

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