In der Falle

Text
Autor:
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
In der Falle
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa


Jan Eik

In der Falle

Kappes 15. Fall

Kriminalroman

Jaron Verlag

Jan Eik, geboren 1940 in Berlin als Helmut Eikermann, ist seit 1987 freiberuflicher Autor und Publizist. Er schrieb zahlreiche Kriminalromane und -erzählungen sowie Hör- und Fernsehspiele. Zu seinen Veröffentlichungen gehören u. a. «Der siebente Winter» (1989), «Der Geist des Hauses» (Ein Friedrichstadtpalastkrimi, 1998) und «Trügerische Feste» (2006). Im Jaron Verlag erschienen von ihm «Schaurige Geschichten aus Berlin» (2007), «Der Berliner Jargon» (2008) und «DDR-Deutsch» (2010); für die Reihe «Es geschah in Berlin …» verfasste er «Der Ehrenmord» (2007), «Nach Verdun» (2008, mit Horst Bosetzky) und «Goldmacher» (2010), für die «Berliner Mauerkrimis» «Am Tag, als Walter Ulbricht starb» (2010, mit Horst Bosetzky).

Originalausgabe

1. Auflage 2011

© 2011 Jaron Verlag GmbH, Berlin

1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin

ISBN 9783955520144

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelseite

Impressum

DER GROSSE COUP

ALTE FREUNDE UND BEKANNTE

NEUE FEINDE

DER ERSTE TOTE

WEISSE OSTERN

MORD AN DER HUNDEKEHLE

SOKO AUTOFALLEN

KATASTROPHEN

EINE SCHWERE ENTSCHEIDUNG

SCHIESS ENDLICH!

HORA INCERTA

HIRSCHGARTEN

SPUR 94

DAS LEBEN IST KURZ

BESINNLICHER ABEND

FETTE BEUTE

FROHES FEST

KLEINMACHTNIX

HEIMSUCHUNG

EIN HORST MEHR

KOPP WECH! WIR BRECHEN AB!

ZEICHEN UND WUNDER

DIE REINE WAHRHEIT

ZEUGE OLDENBURG

WAS FÜR EINE UNIFORM

SIPPENHAFT

DER FALSCHE WILLI

KARFREITAG

HABT IHR ETWA …

DER PROZESS

LEX GÖTZE

NACHBEMERKUNG

Es geschah in Berlin …

DER GROSSE COUP

DA IST PLÖTZLICH ein sägendes Geräusch, das den tuckernden Motor übertönt. Der Fahrer des Milchautos der Norddeutschen Molkerei kennt die Chaussee im Schlaf, und gegen den kämpft er an. Hinter ihm liegt ein langer Arbeitstag, mit den Gedanken ist er längst zu Hause in der warmen Stube. Jetzt horcht er auf. Das fehlt ihm noch - eine Panne in dunkler Januarnacht, mitten in diesem gottverlassenen Wald!

Die Landstraße schlängelt sich, in einigem Abstand dem Lauf der Spree folgend, von Fürstenwalde nach Hangelsberg. Hinter dem Dorf dehnt sich eine weite Linkskurve, dann geht es schnurgerade fünf Kilometer durch den dichten Kiefernwald der Hinterheide.

Gerade will er die Scheibe herunterkurbeln, um festzustellen, ob das Geräusch von draußen kommt, da geschieht direkt vor seinen Augen etwas Unglaubliches. Vom Waldrand her sinkt ein dicker Baum auf die Fahrbahn und schlägt federnd auf den Asphalt.

Der Fahrer ahnt, was das zu bedeuten hat. Er glaubt an keinen Zufall. In Kraftfahrerkreisen sind die dreisten Überfälle auf den Chausseen rund um Berlin ein tägliches Gesprächsthema, und dass nichts mehr darüber in den Zeitungen steht, wertet man eher als ein schlechtes Zeichen.

Nun hat es ihn also erwischt. Ihm wird eiskalt, und daran ist nicht die Außentemperatur an diesem Januarabend schuld. Zum Bremsen ist es ohnehin zu spät. Rechts sieht es aus, als käme er durch, stünde da nicht im gleichen Augenblick eine dunkel gekleidete Gestalt mit einer kreisenden Taschenlampe, in deren Schein eine Waffe glänzt.

Egal, denkt der Chauffeur, drauf - und drüber, wenn es sein muss! Schon holpert und scharrt er durch das Geäst der Baumkrone. Wo der Mann mit der Pistole und der Lampe geblieben ist, kann er nicht erkennen. Es ist ihm auch egal.

Hinter ihm knallt es zweimal, er hört die metallischen Schläge irgendwo am Fahrgestell und tritt das Gaspedal durch. Wenn die Karre doch nur ein bisschen schneller wäre!

«Scheißkerl!», zischt der Mann an der Baumfalle, der im letzten Augenblick zur Seite gesprungen ist, und sieht dem knatternden Lieferwagen voller Wut hinterher.

Von der Kurve her nähert sich eine zweite, größere Gestalt, ebenso dunkel gekleidet und maskiert wie der Pistolenmann. Hinter ihm wird das Licht von Autoscheinwerfern heller. «Wir müssen sofort abhauen!», ruft der Größere und nestelt an seiner Maske. Beide haben Damenstrümpfe mit Augenschlitzen über den Kopf gezogen.

«Immer mit de Ruhe, und denn mit ’n Ruck», erwidert ungerührt der Kleinere. «Erst nehm’ wir den noch mit.»

Er meint den Opel, der sich aus Richtung Hangelsberg genähert hat und angesichts der Blinksignale die Fahrt verlangsamt. Unmittelbar vor dem gefällten Baum kommt er zum Stehen.

Unmissverständlich klopft der Kleine mit der Pistole gegen die Seitenscheibe und leuchtet in den Wagen. Ein Mann im Ledermantel sitzt neben einer jungen Frau. Ergeben dreht der Mann die Scheibe runter und reicht seine Brieftasche raus.

Der Kleine durchblättert sie flüchtig und schnauzt: «Nich bloß Papier! Portemonnaie her!»

Auch das erweist sich als unergiebig. Nur ein paar Münzen drin, die der Räuber verächtlich verschmäht. «Arme Leute, wat?», knurrt er und wirft dem Lederbemantelten die Börse in den Schoß.

Die junge Dame lächelt. «Vielleicht kann ich aushelfen …»

«Danke. Von Damen nehm’ wa nischt!», entgegnet der Große.

Der Kleine schiebt ihn ärgerlich zur Seite. «Fahr da rein!», fordert er den Opelfahrer auf und weist auf die Lücke, die der Lieferwagen gerissen hat. «Da bleibste stehen! Sonst …» Drohend hebt er die Pistole.

Folgsam rumpelt der Opel über die Baumkrone.

«Nischt wie weg hier!», zischt der Große. «Da kommt schon die Polente!»

Tatsächlich nähert sich aus östlicher Richtung ein weiteres Fahrzeug.

«Seit wann kann die Polente fliegen?», fragt der Kleine seelenruhig zurück. «Woll’n mal sehen, was das für ’n Vogel ist.»

Der Vogel ist der Lieferwagen einer Bäckerei. Appetitlich duften die Schrippen. Also fährt der erst Ware aus und hat noch kein Geld bei sich.

«Is ja wie abgeschnitten heute!», flucht der Kleine und steckt ganze fünf Mark ein, während der Große erneut mahnt: «Los, bloß weg hier! Der Milchfritze hat längst die Bullen alarmiert.»

Der Kleine ist nicht aus der Ruhe zu bringen. «Na wenn schon. Fuffzich Meter rin in den Wald, und kein Aas findet uns.» Aus Richtung Berlin nähert sich ein weiterer Lieferwagen mit einem Pkw im Schlepp. Auch diesem Fahrer schwant, was ihm blüht, und er versucht, dem Hindernis links auszuweichen. Der geschleppte Wagen bleibt hängen, das Seil reißt.

 

Der um fünf Mark erleichterte Bäcker nutzt die Gelegenheit. Mit aufheulendem Motor bricht er eine Bresche durch den Baumwipfel und rast in Richtung Hangelsberg davon.

Der Große versucht zu schießen, doch die Waffe streikt.

Jetzt wird es eng. Bis zum Dorf sind es kaum anderthalb Kilometer.

Die beiden aus dem Schleppzug sind ausgestiegen und nähern sich drohend.

«Hände hoch!», verlangt der Große. Hoffentlich haben die den Versager nicht mitgekriegt.

Haben sie anscheinend nicht, denn sie heben brav die Hände und leeren anschließend ebenso brav ihre Taschen. Geld haben sie angeblich nicht bei sich.

«Durchsuch die Wagen!», fordert der Kleine barsch. Widerstrebend fügt sich der Große.

Aus Fürstenwalde rasselt bereits ein weiterer Wagen heran. Ein Lastzug der Schultheiss-Patzenhofer-Brauerei. Der kann die Sperre beim besten Willen nicht durchbrechen.

Der Kleine hat die beiden Fahrer in das geschleppte Fahrzeug dirigiert und bedroht jetzt die Bierkutscher, die nur zögernd aussteigen.

Der Beifahrer hat die lederne Geldtasche umgehängt und sieht sich suchend um. Der dunkle Waldrand ist nur ein paar Meter entfernt.

«Mach dir nich unglücklich, Fritze», mahnt sein Kollege.

«Denk an Frau und Kinder.» In der Tasche sind 228 Mark.

«Einsteigen und nich vom Fleck rührn!», befiehlt der Kleine. Vom Dorf her nähert sich ein weiteres Auto.

«Nischt wie weg hier!», fleht ihn der Große an. «Meine Knarre klemmt!»

«Meine ooch!», erwidert der andere kaltblütig und steigt über das Geäst, um die Neuankömmlinge ins Visier zu nehmen.

In dem Wagen rührt sich nichts. Vorsichtig schleichen sich die beiden in einem Bogen von hinten an. «Hände hoch!», ertönt scharf das Kommando.

Im Gegenlicht des Brauereiwagens sehen sie, dass der Befehl von den Pkw-Insassen ausgeführt wird. Vier Männer sitzen darin.

«Pass uff! Det is ’ne Falle!», zischt der Große.

Doch der Kleine lässt sich nicht aufhalten und reißt die Wagentür auf. «Moneten her, oder es knallt!», schnauzt er. «Los, los!» Die vier kramen ihre Brieftaschen hervor. Der Fahrer trägt ein goldenes Parteiabzeichen am Revers. Von hinten spricht ihn einer mit «Kreisleiter» an, als er seine Geldbörse nach vorn reicht. Auf der anderen Seite steckt der Große zwei Portemonnaies ein.

«Türen zu, Fenster hoch und keinen Mucks, verstanden!», herrscht der Kleine die vier Insassen noch einmal an und hastet davon.

Gerade ist der siebente Wagen zwanzig Meter vor der Sperre zum Stehen gekommen. Der Fahrer will zurückstoßen und wenden. Zu spät.

Der Kleine steht schon neben ihm und reißt die Tür auf.

Nur zwanzig Mark hat der ältere Herr aus sichtbar besseren Kreisen bei sich. «Brieftasche!», fordert der Räuber gebieterisch.

Die wird ihm gereicht, enthält jedoch nur Papiere. Der Kleine beleuchtet sie mit der Taschenlampe und stutzt. «Nischt für unjut, Herr Oberstleutnant!», sagt er und deutet vor dem Kommandeur des 4. Reiterregiments ein Hackenzusammenschlagen an.

Als er sich umdreht, muss er unwillkürlich lächeln. Sieben Autos stehen da kreuz und quer mit eingeschalteten Schweinwerfern um den gefällten Baum herum. Sein Kumpan ist schon in den Wald abgetaucht. Er jedoch steht im Scheinwerferlicht und brüllt: «Wer durchkommt, darf weiterfahren!» Dann ist auch er im Gehölz verschwunden.

Niemand versucht, ihn zu verfolgen. Alle sind damit beschäftigt, sich aus der Falle zu befreien. Blech knirscht, Glas splittert, lautes Gezänk hebt an. Als das Brauereifahrzeug durch die Sperre bricht, schiebt es einen Pkw in den Straßengraben.

Zehn Minuten später trifft endlich die Polizei ein. Es vergeht mindestens eine weitere Stunde, bis die Beamten die Streithähne beruhigt und sich einen groben Überblick über das Geschehen verschafft haben. Dass sich unter den Überfallenen ein SS-Oberführer, ein NSDAP-Kreisleiter, ein Gauamtsleiter, ein Regimentskommandeur und der Oberstleutnant befinden, macht die Sache nicht leichter für sie.

ALTE FREUNDE UND BEKANNTE

HERMANN KAPPE, seit Kaisers Zeiten Kriminalkommissar im Berliner Polizeipräsidium, ja schon Oberkommissar gewesen und 1933 mit einer Maßregelung davongekommen, ist den ganzen Tag unterwegs gewesen. In einem vom Schwamm angefressenen Haus in der Joachimstraße am Rosenthaler Tor sind drei Personen ermordet worden, zwei Männer und eine junge Frau, und wenn man ihn fragt, ist der Fall eigentlich sonnenklar. Dennoch sind allerhand Auskünfte einzuholen, Nachbarn und Geschäftsleute zu befragen, eben der übliche Kleinkram, um den von Anfang an Verdächtigen zu überführen. Oder zu entlasten. Doch dafür hat Kappe keine Anhaltspunkte gefunden.

Als er aus der Joachimstraße in die schmale Gipsstraße einbiegt, bläst ihm der eisige Januarwind ins Gesicht. Bis zum U-Bahnhof Weinmeisterstraße sind es nur zweihundert Meter. Eilig taucht Kappe dort ab in den warmen Mief, der ihm aus dem Untergrund entgegenweht. Manchmal ist die U-Bahn ganz nützlich. Wenn er am Alex in die Linie E umsteigt, statt im Präsidium zwei, drei weitere Überstunden - selbstverständlich unbezahlt, er ist Beamter - zu den ungezählten bisherigen hinzuzufügen, kann er in zehn Minuten zu Hause sein. Fast eine halbe Stunde vor Feierabend. Doch das widerstrebt ihm. Hat eine der Frauen in der Joachimstraße nicht davon gesprochen, der verdächtige Ehemann der Ermordeten treibe sich gerne in den Kneipen rund um den Moritzplatz herum?

Kappe hat ein Bild des Verdächtigten in der Tasche. Da kann er auch zum Moritzplatz fahren, irgendwo einen heißen Grog trinken und ein bisschen herumhorchen. Es ist schließlich seine alte Gegend. Sein Freund und ehemaliger Nachbar wohnt noch immer in der Waldemarstraße, wo Kappe sein erstes möbliertes Zimmer hatte. Und dieser Theodor Trampe ist es eigentlich auch, den Hermann Kappe im Kopf hat, als er statt einer nun drei Stationen mit der U-Bahn fährt und am rautenförmigen Moritzplatz wieder in den schneidenden Ostwind tritt. Ein Grog kann wirklich nicht schaden.

Eine gute Stunde später und um zwei Grog, einen Tee und ein paar nichtssagende Auskünfte schwerer spürt Kappe den scharfen Wind kaum noch. Am Oranienplatz biegt er zum Elisabethufer ab, das seit jüngstem in Hoffmann- und Schröderdamm unterteilt ist, benannt nach zwei SA-Helden. Vor 23 Jahren hat er hier am Luisenstädtischen Kanal den Mord an einem sechzehnjährigen Mädchen aufgeklärt. Der Täter war damals entkommen. Der Kanal ist längst zugeschüttet, nur die Waldemarstraße sieht aus wie eh und je, und die Kanalbrücke ist wie versehentlich erhalten geblieben.

Kappe hofft, Theodor Trampe zu Hause anzutreffen. In letzter Zeit verspürt er häufiger den Wunsch, mal ein paar Worte mit dem alten Freund zu wechseln. Jeder Mensch braucht hin und wieder einen, mit dem sich offen und unverstellt reden lässt, und da kann Kappe sich weit und breit in seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft umgucken - von den Kollegen ganz zu schweigen –, außer Trampe fällt ihm keiner ein, dem er vertrauen darf. Klara, seine Frau, mit ihrem Hitlerfimmel kann er mit seinen Sorgen nicht behelligen. Außerdem fürchtet er, dass sie irgendwo mal eine Bemerkung fallenlassen könnte, die in diesen Zeiten fatale Folgen hätte.

Seinen ältesten Sohn Hartmut möchte Kappe erst recht nicht in irgendwelche Konflikte mit dem bringen, was ihm täglich in der Schule und bei der HJ eingetrichtert wird. Der Siebzehnjährige ist gewitzt und hat selber seine Zweifel. Im nächsten Jahr werden sie ihn zur Wehrmacht einziehen, doch daran will Kappe lieber nicht denken. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg, haben die Kommunisten 1932 verkündet, und sowenig Kappe sonst von den Moskautreuen gehalten hat - diesmal sieht es aus, als würden sie recht behalten. Deutschland ist wieder eine Militärmacht, stärker und moderner als zu Kaisers Zeiten. Das besetzte Rheinland ist befreit, die Wehrpflicht eingeführt, in Spanien fallen deutsche Bomben, und um Österreich wird gestänkert. Heißt der Feind bald wieder Frankreich?

Kaum ist der letzte Ton der Klingel verhallt, öffnet Theodor Trampe hastig die Wohnungstür. Für einen Augenblick scheint er erschrocken. Oder kommt es Kappe im schwachen Licht der Treppenbeleuchtung nur so vor?

«Mensch, Hermann, wo kommst du denn her?», fragt Trampe sichtlich überrascht.

«Von drauß’ vom Walde, da komm ich her», spottet Kappe und wischt sich ein paar Schneegriesel vom Mantel. «Ist mein Besuch ungelegen?»

Trampe beeilt sich, ihn hereinzubitten. «Nicht doch, Hermann! Du kommst immer gelegen.» Er nimmt Kappe Hut und Mantel ab.

«Solange du uns privat besuchst», setzt er leise hinzu.

Kappe grient ein bisschen verklemmt. «Wieso? Hast du jemanden umgebracht?»

«Noch nicht», entgegnet Trampe viel zu ernst. «Aber am liebsten würde ich …»

Wen er gerne umbringen würde, braucht er nicht zu erläutern. Und Kappe weiß, wie gefährlich solche Äußerungen sind - nicht nur für Trampe selbst, sondern auch für Kappe, der sie hört und nicht widerspricht.

«Sei bloß vorsichtig, Theo!», rät er dem Freund. «Solche harmlosen Sprüche können KZ bedeuten.»

Trampe nickt. «Und wie gefährlich ist es für dich, einen ollen Sozialdemokraten einfach so zu besuchen?»

Hermann Kappe, ins Wohnzimmer gebeten, entgegnet ruhig: «Das lass man meine Sorge sein.» Seine Sorge ist es wirklich. Denn wenn ihn einer hier sieht, wo ihn mancher noch von früher kennt, und meldet, er hätte den Trampe besucht …

«’N Korn?», fragt Trampe und hat schon Flasche und Gläser in der Hand.

Kappe denkt an die beiden Grog, die er intus hat, will andererseits aber den Freund nicht vergrätzen. «Wirklich nur ’n kleinen», sagt er. Der Freund macht so einen seltsam angespannten Eindruck. Nicht mal zum Trinken setzt er sich.

Sie stoßen an. «Auf bessere Zeiten!», sagt Kappe. Trampe nickt ihm zu.

«Du bist so unruhig … Ist deine Frau nicht zu Hause?»

«Die ist bei ihrer Schwester in Heinersdorf. Da wird sie wohl auch übernachten. Sie traut sich abends kaum noch auf die Straße.»

«Das lass besser nicht meine Vorgesetzten hören. Die Sicherheit in der Reichshauptstadt hat prozentual stark zugenommen.» Trampe nickt. «Zeitung lese ich selber. Morgen ist ja der Ehrentag der Polizei, wie ich höre. Und vorgestern haben sich gleich dreie abgemurkst.»

Kappe hebt die Schultern. «Familiendramen wird es immer geben. Dagegen kann weder die Partei noch der Reichs-Heini was machen. Nicht mal wir vom Morddezernat. Ich gebe dir Brief und Siegel - in zwei Tagen haben wir das Geständnis des Täters.»

«Bei den Methoden heutzutage gesteht doch jeder!»

Kappe sieht ihn lange an. «Wir sind nicht die Gestapo», sagt er leise.

Trampe ist seinem Blick nicht ausgewichen. «Ich hoffe für dich, dass es bei dem Unterschied bleibt, Hermann.» Er füllt die Gläser noch einmal.

Im Korridor ertönt die Klingel, und sofort ist Trampe an der Wohnungstür.

Er hat jemand anderen erwartet als mich, denkt Kappe. Eine Frau? Das würde nicht zu Theodor passen, aber man weiß ja nie.

Eine Männerstimme fragt: «Du hast Besuch?»

«Ein alter Freund und Nachbar», antwortet Trampe und öffnet einladend die Zimmertür. Einen Augenblick messen sich Kappe und der Neuankömmling mit Blicken. Der Mann, den Mantel noch in der Hand, verharrt sichtlich erschrocken in der Tür und macht Anstalten, wieder zu gehen.

«Hermann Kappe», stellt Trampe vor. «Und das ist …»

«Willy Eschborn», sagt der Hinzugekommene gepresst. «Der Herr Oberkommissar kann sich sicherlich erinnern.»

Das kann Kappe in der Tat. Vor fünf Jahren hat er mit dem widerspenstigem Zeugen Eschborn zu tun gehabt, dessen Hinweis schließlich geholfen hatte, einen weiteren Mord zu verhindern. Das ahnt Eschborn sicherlich nicht einmal.

«Kommissar», sagt Kappe gemütlich. «Wir sind uns in einem vorigen Leben mal begegnet. Sommer 1932, wenn ich mich recht erinnere. Haben Sie Ihren schönen Garten hinter der Glaubenskirche noch?»

Eschborn bleibt misstrauisch. «Wir müssen wahrscheinlich bald runter», erklärt er schmallippig. «Sie wollen Neubauten hinsetzen.»

«Na, eine schöne Neubauwohnung wäre doch was für Sie», sagt Kappe. Er erinnert sich dunkel, dass von einer ebenerdigen Kochstube die Rede war, in der Eschborn mit seiner Familie haust.

«Sie haben eine niedliche Tochter …»

«Und seit neuestem einen Sohn dazu», ergänzt Trampe eifrig.

 

«Gratuliere», sagt Kappe zu Eschborn. Der nickt dankend.

Trampe scheint ein wenig beunruhigt, dass die beiden sich kennen und dass Eschborn so zurückhaltend reagiert. «Nun setz dich endlich, Willy!», fordert er den zweiten Gast auf. «Hermann war mal mein Nachbar. Er ist ganz zufällig vorbeigekommen. Einfach so, aus alter Anhänglichkeit …»

«Und weil so schönes Wetter ist», meint Eschborn ein bisschen gallig. Er traut dem Frieden nicht. In seiner Welt kommen Kriminalbeamte nicht zufällig irgendwo vorbei.

«Hermann ist immer noch beim Morddezernat», erläutert Trampe, der die Stimmung ein wenig auflockern möchte. «Wie geht’s denn dem dicken Gennat?»

«Nicht besonders gut», sagt Kappe. Das geht die beiden eigentlich gar nichts an, aber er möchte keinen schlechten Eindruck auf Eschborn machen. Was der wohl mit seinem alten Freund zu tun hat? Ihm wird ganz heiß, als er über die Möglichkeiten nachdenkt. Wenn die beiden was Konkretes im Schilde führen oder an irgendwelchen Aktionen beteiligt sind - und Kappe kann sich das durchaus vorstellen, die Stimmung hat etwas Verschwörerisches an sich –, wird man sie früher oder später schnappen und durch die Mangel drehen. Wo, wann, warum und mit wem? Ein Kriminalkommissar war zufällig anwesend? Wie hieß der Kerl, und was habt ihr mit ihm bekaspert?

Hermann Kappe steht auf. «Ich werd mal besser gehen. Der Fall in der Joachimstraße macht uns ’ne ganze Menge Arbeit. Komm doch gelegentlich mal vorbei, Theodor! Klara würde sich freuen.» Er reicht Willy Eschborn die Hand. «Ich bin wirklich zufällig hier», sagt er freundlicher, als es sonst seine Art ist. «Sie brauchen keine Angst zu haben.»

Eschborn sieht ihm offen ins Gesicht. «Ich habe keine Angst.» Kappe glaubt es ihm. Es gibt solche Leute. Im Flur zieht er seinen Mantel über. Trampe hat keinen Versuch gemacht, ihn zurückzuhalten.

Eschborn steht in der offenen Zimmertür. «Darf ich Sie was fragen?»

«Selbstverständlich.»

«Weshalb steht eigentlich über den großen Überfall bei Hangelsberg nichts in der Zeitung?»

Kappe ist überrascht, lässt es sich jedoch nicht anmerken. «Das wüsste ich auch gerne», erwidert er ruhig. «So was wird heutzutage weiter oben entschieden. Wahrscheinlich will man die Bevölkerung nicht beunruhigen.»

«Was ist denn in Hangelsberg passiert?», erkundigt sich Trampe.

Kappe sieht Eschborn an, und der erwidert seinen Blick.

«Die Bande, die schon im vorigen Jahr etliche Autos überfallen hat, scheint wieder zugeschlagen zu haben», sagt Eschborn schließlich.

Kappe belässt es dabei. Er wird sich hüten, den Mann zu berichtigen. Die Ganoven, nach denen mit Hochdruck gefahndet wird, sind seit November 1934 aktiv.

«Nicht mal vor der Olympiade habt ihr die gekriegt?», fragt Trampe ein wenig spöttisch. «Scheinen ja dolle Burschen zu sein.»

«Scheint so», meint Kappe einsilbig, und an Eschborn gewandt: «Woher wissen Sie denn davon?»

Wird Willy Eschborn tatsächlich erst in diesem Augenblick klar, dass er sich da voreilig auf eine unangenehme Geschichte eingelassen hat?

«Hat ein Kollege bei Ambi erzählt», sagt er. «Der kam auf seinem Fahrrad aus Erkner dazu.» Ambi, das sind die großen Ambi-Budd Presswerke in Schöneweide, wo Autokarosserien gefertigt werden.

Kappe setzt seinen Hut auf und greift zur Klinke der Wohnungstür. «Dann werden ihn meine Kollegen ja als Zeugen vernommen haben», sagt er abschließend nur.