Resilienz

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Ilse Wellershoff-Schuur

Resilienz

Innere Balance

durch Nebenübungen

und das neue Beichtsakrament


Für den Säulenheiligen

Inhalt

Am Anfang

Die Nebenübungen

Das erneuerte Beichtsakrament

1. Brief – Gedanken zum neuen Alltag Von der Bedeutung des Übens

2. Brief Erste Übung: Gedankenkontrolle

3. Brief Zweite Übung: Willenskontrolle

4. Brief Dritte Übung: Gefühlsgelassenheit

5. Brief Vierte Übung: Positivität

6. Brief Fünfte Übung: Vorurteilslosigkeit

7. Brief Sechste Übung: Innere Harmonie

8. Brief Soziale Auswirkungen der Übungen

9. Brief Soziale Wirkungen des Beichtsakraments

10. Brief Tagesrückschau und Beichtgespräch

11. Brief Kommunion und Erkenntnis

12. Brief Gesundheit durch Entwicklung

Anhang

Häufige Fragen an die Briefschreiberin

Fragen für ein Übungsjournal

Verwendete und weiterführende Literatur

Über die Autorin

Am Anfang

Die Briefe, aus denen dieses kleine Buch im Wesentlichen besteht, entstanden in der Zeit von März bis Juni 2020, von der wir als der »Corona-Zeit« sprechen, und waren an die Menschen aus dem Umfeld der Überlinger Gemeinde gerichtet. Die ersten Gemeindebriefe wurden in der Passionszeit im März geschrieben, der letzte zu Johanni im Juni. Unsere Online-Gemeindemitteilungen erschienen in diesen Monaten wöchentlich, weil man sich wegen der Kontaktbzw. Ausgangsbeschränkungen und der anfänglichen Gottesdienstverbote nicht oft sehen konnte, Mut und Stärkung aber aufgrund der heftigen Verunsicherungen überall umso mehr gefordert waren. Allmählich wurde dann wieder mehr Begegnung möglich, und ab Anfang Mai durften die öffentlichen Gottesdienste und andere gut organisierte Treffen in der Gemeinde vorsichtig wieder aufgenommen werden, sodass die Frequenz der Briefe abnahm. Die Serie zu den Nebenübungen und zum Beichtsakrament wurde aber in größeren Abständen noch bis Johanni fortgeführt.

Ich schrieb dieses Vorwort zur Buchausgabe noch im Juni 2020 und ahnte weder, wie lange diese besonderen Zeiten noch anhalten, noch, in welcher Weise sie unser Leben dauerhaft beeinflussen würden. Auch nach vielen Monaten des »neuen Normalzustandes« ist die Verunsicherung, die Erschütterung, die Disruption bei vielen Menschen groß, was zu sehr unterschiedlichen Reaktionen führt. Immer wieder erstaunt es mich, wer große und ungeplante Veränderungen in seinem Leben ganz locker und geschmeidig wegsteckt – und wer andererseits in von außen gesehen völlig irrationaler Weise mit großen Ängsten reagiert. Und damit meine ich weniger die Angst, am Virus zu erkranken, die es selbstverständlich mitunter auch gibt, als vielmehr die diffusen Ängste vor dem inneren und äußeren Umsturz alles Gewohnten. Merkwürdige Erklärungversuche haben um sich gegriffen und werden wahrscheinlich auch wieder vergehen … Die damit verbundenen Gruppenbildungen haben die Tendenz, die Menschen gegeneinander aufzubringen. Manche soziale Schieflage entsteht, Konflikte, die sich nur daran entzünden, dass andere ihre Krise anders bewältigen als ich.

Vielleicht haben wir – um in Seuchenbildern zu bleiben – die Wahl zwischen Pest und Cholera. Aber wenn wir uns für die Cholera entscheiden, heißt das nicht, dass wir sie lieben … Am bequemsten wäre es wohl für jeden, wenn sich alles nur als ein böser Traum herausstellen würde und wir gar nicht wählen müssten, wie wir uns zu den Veränderungen stellen wollen. Solches Verdrängen ist auch ein Weg – allerdings einer, der eher nicht zu einer wirklichen Bewältigung der Herausforderung führt und daher neue Probleme mit sich bringt.

Die Disruptionen unseres Zeitalters werden uns immer öfter vor solche schwierigen und unser Leben auf den Kopf stellenden Entscheidungen stellen. Es muss nicht immer eine Pandemie sein, auch beispielsweise der Klima-Wandel und die großen Migrationsbewegungen, die uns mit dem Elend in anderen Teilen der Welt mehr oder weniger unmittelbar in Berührung bringen, haben seit einigen Jahren das Potenzial, uns existentiell zu erschüttern, wenn auch so allmählich und zunächst oft hintergründig, dass wir die an sich gesunden Seelenbewegungen, die mit ihnen verbunden sind, scheinbar leichter verdrängen können. Immer wieder und meist andernorts sind es aber dieser Tage auch Naturkatastrophen, Kriege, Gewalt, Hungersnöte, die die Menschen aus dem scheinbaren Gleichgewicht katapultieren – und all diese Faktoren sind in gewisser Weise miteinander verbunden.

In unserer neu definierten Wirklichkeit tauchen Fragen auf, die zwar nicht völlig neu sind, die aber plötzlich mit einer anderen Dringlichkeit vor uns stehen:

 Haben wir den Mut, uns mit dem zu konfrontieren, was unser Leben solcherart durcheinanderbringt?

 Sind wir in der Lage, offen auf das hinzuschauen, was die Zeit von uns fordert?

 Wie können wir gesund im Leben stehen, wenn uns der Boden unter den Füßen wegzurutschen droht?

Dass unsere Gesundheit mit der einigermaßen erfolgreichen Bewältigung all dieser Krisen in unserer Seele zusammenhängt, ist eine Erkenntnis, die brandaktuell, aber nicht ganz neu ist. Unser Immunsystem, das darüber entscheidet, ob letztlich sogar unser Körper Krankheitsantworten auf die seelischen Herausforderungen gibt, ist auch in der medizinischen Wissenschaft erst sehr anfänglich erforscht.

Schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde deutlich, dass die Resilienz des Menschen mit seinen inneren Haltungen, Gesinnungen, seelischen Gestimmtheiten zusammenhängt. In seinem Konzept der Salutogenese schaute der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky auf die Entstehung von Gesundheit und fügte damit dem noch heute vorherrschenden Paradigma einer Medizin, die der Heilung von Krankheiten dient, eine neue Orientierung hinzu, die in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Plausibilität gewann: Die Salutogenese will in erster Linie gesund erhalten, also Krankheiten vorbeugen, statt Schäden zu reparieren. Gesundheit entsteht aus einer offenen Anpassungsfähigkeit an die Umstände des Lebens, die gespeist wird durch ein Gefühl der Kohärenz: Ich kann das Leben verstehen, ich kann etwas tun im Leben, mein Leben hat einen Sinn …

Nur wenn wir auf die Fragen nach Zusammenhang, Eigeninitiative und Bedeutung befriedigende Antworten geben können, leben wir in einem inneren Gleichgewicht, das unser Immunsystem so stark macht, dass wir größere Chancen haben, nicht nur psychisch, sondern auch physisch gesund zu bleiben oder wenigstens leichter mit Krankheitsanfechtungen fertig zu werden. Selbst den schwersten Schicksalssituationen und Krankheiten können wir dann hoffentlich noch einen Sinn abringen, der unser inneres Gleichgewicht und damit das Gefühl der menschlichen Würde stärkt.

Antonovsky erforschte die psychischen Zustände von Überlebenden der Vernichtungslager in der NS-Zeit. Zu ähnlichen Erkenntnissen wie er kam der österreichische Psychiater Viktor Frankl, der selbst ein Überlebender der Vernichtungsmaschinerie der Nazis war und gewissermaßen im Selbstversuch und um sich eine innere Aufgabe zu geben, in der unvorstellbaren Grausamkeit der Lager Beobachtungen machte, die in die von ihm begründete Logotherapie (»Sinn-Therapie«) mündeten1. Seine Frage lautete: Wie kann der Mensch es schaffen, im schwersten Leiden seelisch möglichst gesund zu bleiben und damit auch späteren psychischen und psychosomatischen Erkrankungen vorzubeugen?

Die Nebenübungen

Als Rudolf Steiner am Anfang des letzten Jahrhunderts, in der Zeit noch vor dem Ersten Weltkrieg, immer wieder die sogenannten Nebenübungen beschrieb, war die Welt noch eine völlig andere als die, in der Frankl und Antonovsky ihre Erkenntnisse fruchtbar machten. Trotzdem richtete er sich an Menschen, die gewissermaßen an »Abgründen« standen und sich mit einer zu erwartenden Orientierungslosigkeit konfrontieren wollten – meist ohne selbst so genau einschätzen zu können, wie diese sich gestalten würde.

 

Rudolf Steiner war nicht Arzt oder Psychologe, seine Rolle war die eines Lehrers in geistig-seelischer Schulung. Er sprach zu Interessenten seiner geistigen Forschungen, die sich selbst auf einen inneren Weg begeben wollten, der sie dazu führen sollte, Wahrnehmungen in den Bereichen des Daseins zu machen, die sich unseren normalen Sinnen in der Regel nicht von selbst erschließen. Sie strebten nach einem »Schwellenübertritt« in übersinnliche Gefilde, als Erkenntnissucher, die ihr Weltbild vervollständigen und die Wirklichkeit umfassender kennenlernen wollten.

In dieser Zeit begann sich bei wissenschaftlich denkenden Menschen das Bewusstsein zu entwickeln, dass die Naturwissenschaft allein nicht zu einem ganzheitlichen Bild des Menschen, des Lebens, der Erde führen kann. Eine Erweiterung der sinnlichen Wahrnehmung erschien als Silberstreif am Horizont einer zweigeteilten Welt, in der das naturwissenschaftliche Dogma das kirchliche abzulösen begann – ohne zu einem wirklich integrativen Bewusstsein zu führen, in dem auch eine Welt ihren Platz hat, die über die Begrenztheiten der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit hinauszugehen vermag.

Man darf sich die in den theosophisch-anthroposophischen Kreisen angestrebte Bewusstseinserweiterung nicht vorstellen wie eine Art Vordringen in eine abgetrennte, irgendwie psychedelische Region des Daseins, das man aus einer Neugier heraus erkunden wollte. Vielmehr brachten unterschiedliche Entwicklungen zu Beginn des 20. Jahrhundert es mit sich, dass eine erste Offenheit dafür entstand, das nicht mit den bekannten Sinnen Fassbare als immer und überall anwesend in der sinnlichen Welt zu empfinden, nur eben nicht als so ohne Weiteres wahrnehmbar. Das Erschließen dieser Gebiete der Wirklichkeit war von demselben Erkenntnisdrang getragen wie die Suche nach naturwissenschaftlichem Wissen.

Tatsächlich sind wir hundert Jahre später mehr oder weniger alle in einer vergleichbaren Lage, denn wir haben es heute mit einer Menschheit zu tun, die mit viel größerer Selbstverständlichkeit mit den Phänomenen jenseits dieser »Schwelle« umgeht, auch wenn das alltägliche Leben eher von den Ergebnissen der Erkenntnisarbeit der mess- und wägbaren Naturwissenschaft, der Berechenbarkeit und auch von entsprechend materialistischen Kosten-Nutzen-Abwägungen geprägt ist:

Wir sprechen von Gedanken, die den Phänomenen zugrunde liegen, von Naturgesetzen, die in ihnen wirksam sind, von den wenig berechenbaren Grundlagen des lebendigen Lebens (zum Beispiel in den Human- und Lebenswissenschaften Medizin oder Biologie), die nicht nur physikalisch-chemisch erklärbar sind, von Stimmungen und Gefühlslagen, auch von Kommunikation jenseits des sinnlich Erfassbaren, von den realen Wirkungen der Zuwendung, des Interesses oder auch der negativen Gedanken und sogar von Erlebnissen mit Verstorbenen, Ungeborenen, Engeln und Schutzgeistern. All das ist sinnlich nicht verifizierbar, aber es umgibt uns und hat seine Wirkungen, obwohl wir in dieser Welt noch relativ desorientiert umherirren.

Insofern sind wir heute alle »Einzuweihende«, »Mysterienschüler«, Wahrheitssucher in einem höheren Sinne. Gerade weil wir geprägt sind von der Suche nach einer vollständigeren und objektiveren Erkenntnis, wie sie dem alltäglichen Leben mit den Naturwissenschaften im besten Sinne immanent, aber wenig bewusst ist, können wir uns nicht damit zufriedengeben, einfach zu denken »Das ist halt so« und »Wir wissen es nicht, und wir werden es auch nicht wissen können« – »Ignoramus et ignorabimus«, wie der Physiologe Emil du Bois-Reymond es schon zu Rudolf Steiners Zeiten ausdrückte. Tatsächlich werden wir auf diese Weise nicht zu eindeutigen Antworten gelangen, zu letztgültigen Zielen, aber die Fragen auf dem Wege, die zu immer neuen Fragen führen, helfen uns, in unserer Entwicklung weiterzukommen und uns damit einigen Wahrheiten immer mehr anzunähern.

Rudolf Steiner hat den Menschen, die erste Schritte auf diesem unbekannten Terrain machten, dringlichst angeraten, zunächst dafür zu sorgen, in diesem Suchen nicht den Kontakt mit der Wirklichkeit und damit die seelische Gesundheit zu verlieren. Die Übungen, die er dafür gab, hatten nicht die übersinnliche Erkenntnis selbst zum Ziel. Daher nannte er sie »Nebenübungen«, obwohl sie eigentlich der zentrale Punkt in einer Schulung der Seele sein sollten. Ihr Ziel war und ist das Erlangen des Gleichgewichts in der Seele, ohne das jeder andere Schritt wertlos oder im schlimmsten Falle schädlich wirken muss. Denn so wie wir im sinnlichen Leben sehr unterschiedlich auf die Realität schauen und dabei zu ganz verschiedenen Schlüssen kommen, gilt dies erst recht in einer weniger dreidimensional geordneten Wirklichkeit. Die Gefahr ist groß, auf diesem Felde zu verzerrten Wahrnehmungen zu kommen und diese vorschnell für Erkenntnisse zu halten, obwohl sie nur eine individuelle Sicht auf die Phänomene enthalten. Jeder schaut durch seine Brille – und die ist vielleicht dunkel getönt oder rosarot, hat eine verzerrende Sehkorrektur oder einen Schriftzug am unteren Bildrand auf dem »Katholische Kirche«, »Karl Marx«, »Tierschutz«, »Meine Eltern haben mich nicht genug geliebt« oder auch »Rudolf Steiner hat gesagt« steht, je nach Vorlieben … Und dann sehen wir auf alles, was uns unter die Augen kommt, mit dieser Prägung (die auch noch spiegelverkehrt erscheint …). Wie kommen wir zu einer etwas unverzerrteren, objektiveren Wahrnehmung der Welt?

In der gegenwärtigen Lage könnten wir uns auch fragen: Wie bleiben wir bescheiden in Bezug auf unsere persönlichen Erkenntnisse über das große Ganze und das kleine Detail? Wie lernen wir wegzukommen von der Anmaßung, die Wahrheit zu kennen, weil wir aus unserer eigenen Perspektive einen kleinen, vielleicht nur für uns selbst bedeutsamen Ausschnitt sehen? Denn das erweist sich als Voraussetzung für eine auch im Sozialen gesund wirkende Gesinnung.

Das erneuerte Beichtsakrament

Etwa zwanzig Jahre nachdem er die Nebenübungen zuerst beschrieben hatte, war Rudolf Steiner zum Inaugurator zahlreicher lebenspraktischer Bewegungen geworden, die den anthroposophischen Impuls in die Welt trugen und dabei aus den Erkenntnissen heraus wirkten, die in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in der Bewegung veranlagt worden waren. Spirituell offene Menschen suchten in seinem Umfeld individuelle Wege zu einer neuen Geisterkenntnis, die der Welt dabei helfen sollte, die Verhältnisse in der Nachkriegszeit zu heilen. Die Waldorfpädagogik, die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die anthroposophisch erweiterte Medizin, eine Heilpädagogik und Sozialtherapie auf der Grundlage eines Menschenbildes, das Geist, Seele und Leib umfassen sollte, sowie allerlei künstlerische Impulse begannen ihre Arbeit. Sie entwickelten sich in den folgenden Jahrzehnten zunächst in Mitteleuropa und wurden insbesondere in den letzten fünfzig Jahren in vielen Teilen der Welt fruchtbar.

In dieser Zeit entstand auch die als »Bewegung für religiöse Erneuerung« bekannte Christengemeinschaft als eine Art überkonfessionelle, von den bestehenden Kirchen unabhängige und den Sakramenten in neuer Form verpflichtete Gemeinschaft des religiösen Lebens. Im Zentrum stand und steht die erneuerte Messe, und um sie herum begannen die sechs anderen Sakramente als lebensbegleitende »Verwandlungstaten« in der Biografie der Menschen bei unterschiedlichen Anlässen zu wirken: Taufe, Konfirmation, Beichte, Letzte Ölung, Trauung und Priesterweihe.

Die Beichte – in ihrer katholischen Geschichte oft schwer belastet und daher mitunter als unzeitgemäß empfunden – nimmt dabei eine Sonderstellung ein. Anders als die anderen Sakramente ist sie in ihrer Übung nicht etwas mehr oder weniger Einmaliges, sondern kann ganz ausdrücklich lebensbegleitend sein in ähnlichem Sinne wie die Messe, die in der Christengemeinschaft die »Menschenweihehandlung« genannt wird. Zwar muss der religiös handelnde Mensch sie nicht in sein Leben integrieren und schon gar nicht regelmäßig empfangen. Die Verbindung mit diesem Sakrament ist von völliger Freiwilligkeit geprägt. Sie ist aber darauf angelegt, dass sie bei Bedarf immer wieder – gewissermaßen biografiebegleitend – geübt werden kann. Sie dient nicht einer konkreten »Sündenvergebung«, der Beichtende bekommt nicht etwa eine Absolution für sein bisheriges Tun. Deshalb muss er natürlich auch keine Sünden oder Verfehlungen bekennen. Diese werden schlicht als Grundtatsache des Menschseins vorausgesetzt, bis in den Text der Messe hinein, sind aber nicht der eigentliche Anlass dafür, ein Beichtgespräch zu suchen. Vielmehr geht es darum, den roten Faden des Lebens zu suchen, immer mal wieder, und dabei genauer anzuschauen, was mich gerade jetzt weiterbringen kann auf meinem individuellen Weg.

Der Vollzug ist denkbar einfach. Es wird ein Gesprächstermin vereinbart, meist in einem ruhigen Raum, immer vor einem Christusbild und einer Kerze. Das Gespräch führt der Zelebrierende meist zunächst in Zivil. Es kann aber auch das Ornat gewählt werden, denn manchmal erleichtert das eine gewisse Objektivität. In anderen Fällen stört es eher. Die Rolle des Priesters ist eine hörende. Gefragt ist kein Therapeut, kein Coach, kein Ratgeber, sondern die oder der Beichtende spricht sich vor dem Christus aus, der durch die Ohren des Zelebranten, der Zelebrantin zuhört.

Am Schluss werden die Gewänder angelegt und es wird ein Spruch, Gebet, Segen gesprochen, dessen Wortlaut wie alle Rituale der Christengemeinschaft durch Rudolf Steiner vermittelt wurde. Es sind sieben Zeilen, die mündlich aufgenommen werden sollen und deshalb hier nicht wortgetreu wiedergegeben werden. Man kann sie aber durch gutes Hinhören meist bald auswendig, wenn man das Beichtsakrament ein paar Mal erlebt hat. Das allerdings geht nur im eigenen Üben – niemand Drittes ist dabei, kein Ministrant, kein Zeuge – außer dem Zelebranten, der Zelebrantin. Am Ende geht der oder die Beichtende gestärkt durch den Zuspruch des Christus, der im Wortlaut des Sakramentes aufleuchtet, und durch die folgende Individualkommunion hoffentlich gesünder in sein Leben. Insofern ist das Beichtsakrament – wie auch die Nebenübungen – dem Gedanken der Salutogenese, der harmonischen Lebenshaltung, der geistig-seelischen Gesundheit verpflichtet.

Dass die Gedankenfolge im Wortlaut des Beichtsakramentes in eigentümlicher Weise mit den Übungen verwandt ist, die Rudolf Steiner seinen Geistesschülern viele Jahre vorher als Begleitung des meditativen Lebens empfahl, ist zunächst nicht offensichtlich. Die Nebenübungen kenne ich seit etwa vierzig Jahren und habe sie die meiste Zeit davon auch mehr oder weniger – wenn auch meist eher periodisch – intensiv geübt. Das Beichtsakrament pflege ich als Beichtende seit fast dreißig Jahren. Die letzten zwanzig Jahre habe ich als Priesterin auch zahlreiche Beichten hören und mit dem Spruch abschließen, das heißt zelebrieren dürfen. Aber erst in der Corona-Zeit, in der erneuten verstärkten Arbeit an den Nebenübungen, die mir jetzt geboten erschien, tauchte das Thema der Verwandtschaft zum Beichtspruch auf. Diese kleine Entdeckung, die ich bestimmt nicht als Erste machen durfte, die für mich aber so überraschend wie erhellend war, hat dazu geführt, dass meine Gemeinde-Briefe zu den Nebenübungen entsprechend um Betrachtungen zum Beichtsakrament erweitert wurden.

In etwas ausführlichere Form gebracht, können sie nun auf vielfachen Wunsch als kleines Vademecum für die Bewältigung verschiedenster Herausforderungen des Lebens herausgegeben werden.

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