Das Hohelied

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Das Hohelied
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Das Hohelied

Gedanken über das Hohelied Salomos

Hudson Taylor


Impressum

© 1. Auflage 2021 ceBooks.de im Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Hudson Taylor

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-272-2

Verlags-Seite und Shop: www.ceBooks.de

Kontakt: info@ceBooks.de

Die Bibelstellen sind nach der im R. Brockhaus Verlag Wuppertal erschienenen „Elberfelder-Übersetzung“ in nicht revidierter Fassung angeführt.

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Inhalt

Titelblatt

Impressum

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Vorwort

Einleitung

Das Hohelied Salomos

Das unbefriedigte Leben und sein Heilmittel

Die Gemeinschaft ist unterbrochen. Wiederherstellung

Die Freude der ununterbrochenen Gemeinschaft

Die Gemeinschaft wieder unterbrochen. Wiederherstellung

Früchte der anerkannten Vereinigung und Gemeinschaft

Unbeschränkte Gemeinschaft

Die Töchter Jerusalems

Letzte Seite

Vorwort

Dieses Buch möchte zum Forschen nach verborgenen Schätzen in der Schrift anregen. Noch immer ist Hunger und Durst vorhanden nach tieferen Segnungen und tieferem Verständnis der Geheimnisse der innigen Gemeinschaft mit dem wahrhaftigen Bräutigam der Seele.

Trotz des Brüllens des Löwen geht das Werk des Herrn ständig voran. Bald wird die Zahl voll sein, und die Fülle der Heiden darf eingehen. Darauf warten der Geist und die Braut und sprechen: Komm! Darauf warten die, deren Ohren für diese Geistesstimme aufgetan sind und rufen auch:

Komm! (Offb. 22,20).

Dieses kostbare Buch wurde von der Allianz-China-Mission übernommen, um sie neu der Gemeinde Jesu zugänglich zu machen.

Einleitung

Im 15. Kapitel des 1.Korintherbriefes finden wir die Offenbarung des großen Zieles, zu welchem das planmäßige Wirken unseres Gottes hinleitet:

„… auf dass Gott alles in allem sei.“ (Vers 28).

Damit stimmt die Lehre unseres Herrn in Joh. 17,3 überein: „Dies aber ist das ewige Leben (das Wesen des ewigen Lebens), dass sie dich, den allein wahren Gott, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“ Werden wir dar um nicht weise handeln, wenn wir dies in unserem täglichen Leben und bei der Betrachtung des heiligen Wortes Gottes immer im Auge behalten? „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze …“ (2.Tim. 3,16) –, darum kann auch kein Teil derselben ohne Schaden vernachlässigt werden.

Wenige Abschnitte der Heiligen Schrift helfen dem demütigen Forscher mehr in dem Trachten nach dieser überaus wichtigen Gotteserkenntnis, als das zu sehr vernachlässigte Hohelied. Wie andere Teile des Wortes Gottes hat dieses Buch seine Schwierigkeiten, aber so ist es mit allen Werken Gottes. Ist nicht gerade die Tatsache, dass sie unser hilfloses Fassungs- und Untersuchungsvermögen übersteigen, ein Siegel dafür, dass es Gottes Werke sind?

Kann der schwache Mensch sich göttliche Macht anmaßen, oder vermag er die Werke und die Vorsehung des Allweisen zu verstehen und zu erklären? Und wenn nicht, ist es da überraschend, dass zur Erklärung seines Wortes übermenschliche Weisheit nötig ist?

Dem Herrn sei Dank! Die Erleuchtung des Heiligen Geistes ist allen verheißen, die darum bitten. Was könnten wir Besseres wünschen?

Lies ohne den Schlüssel, und dieses Buch ist besonders unverständlich, aber jener Schlüssel ist leicht gefunden in den klaren Lehren des Neuen Testamentes. Das fleischgewordene Wort ist der wahre Schlüssel für das geschriebene Wort. Aber auch ehe das Wort Fleisch wurde, konnte der Forscher des Alten Testamentes viel Hilfe für das Verständnis der heiligen Geheimnisse dieses Buches in den prophetischen Schriften finden, denn dort wurde Israel unterwiesen:

„Denn der dich gemacht hat, ist dein Mann“ (Jes. 54,5). Johannes der Täufer, der letzte der Propheten, erkannte den Bräutigam in der Person Christi und sagte:

„Der die Braut hat, ist der Bräutigam; der Freund des Bräutigams aber, der dastehet und ihn hört, ist hoch erfreut über die Stimme des Bräutigams; diese meine Freude nun ist erfüllt“ (Joh. 3,29). Paulus geht im 5. Kapitel des Epheserbriefes noch weiter und lehrt, dass die Vereinigung Christi mit seiner Gemeinde und ihr untertäniges Verhältnis ihm gegenüber dasselbe ist, wie in der Ehe, und diese innige Gemeinschaft gibt uns ein Muster für jede göttliche Verbindung.

In Salomo, dem königlichen Bräutigam und Sänger dieses Liedes, haben wir ein Bild unseres Herrn, des wahrhaftigen Friedefürsten, in seinem kommenden Reiche. Wenn er kommt, wird nicht nur seine Braut, die Gemeinde, sondern auch ein williges Volk, seine Untertanen, über die er in Herrlichkeit regieren wird, gefunden werden; dann werden ferne Fürsten ihren Reichtum bringen und die Herrlichkeit des Königs auf seinem Thron erblicken. Sie werden ihm schwere Fragen vorlegen, wie einst die Königin von Saba dem Salomo, und die, welchen dieses Vorrecht gewährt wird, werden Gesegnete sein. (Ps.72,10.11; 110,3; Jes.11;24,23; 60) Ein kurzer Glanz wird sie für ihre Lebenszeit befriedigen; aber was wird die königliche Würde und Herrlichkeit der auferstandenen und erhöhten Braut sein! Für immer bei ihrem Herrn! Für immer wie ihr Herr!

Für immer sich bewusst, dass sein Verlangen nach ihr steht, wird sie gleicherweise sein Herz besitzen und seinen Thron mit ihm teilen. Kann es ein nützlicheres Studium geben, als das dieses Buches, das uns hilft, diese Geheimnisse der Gnade und Liebe zu verstehen?

Beachtenswert ist der große Gegensatz zwischen diesem Buche und dem vorhergehenden. Der Prediger Salomo lehrt klar und bestimmt die Wahrheit: „Eitelkeit der Eitelkeiten! Alles ist Eitelkeit!“ (Pred.1.2), und dies ist die notwendige Einführung zu dem Hohenlied, welches zeigt, wie und wo wahrhaft bleibender Segen und volles Genüge zu erlangen ist. In gleich packender Weise zeigt der Herr Jesus (Joh.4) in einem Worte, wie die irdischen Dinge nicht einmal eine zeitliche Befriedigung gewähren können. Diesem Mangel stellt er den Segensstrom gegenüber, welcher sich da offenbart, wo der Gegenwart des Heiligen Geistes Raum gelassen wird. (Das Werk des Heiligen Geistes ist nicht, sich selbst zu verklären, sondern Christum als den Bräutigam der See le). „Jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wiederum dürsten; wer irgend aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde, den wird nicht dürsten in Ewigkeit; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt“ (Vers 13,14).

Wir werden es sehr praktisch finden, das Buch in sechs Abschnitten zu betrachten.

I. Das unbefriedigte Leben und sein Heilmittel (Kap. 1,2-2,7)

II. Die Gemeinschaft ist unterbrochen. Wiederherstellung (Kap. 2,8-3,5)

III. Ununterbrochene Gemeinschaft (Kap. 3,6-5,1)

IV. Die Gemeinschaft ist wieder unterbrochen. Wiederherstellung (Kap. 5,2-6,10)

V. Früchte der anerkannten Vereinigung und Gemeinschaft (Kap. 6,11-8,4)

VI. Unbeschränkte Gemeinschaft (Kap. 8,5-14)

In jedem dieser Abschnitte werden wir als Sprecher die Braut, den Bräutigam und die Töchter Jerusalems finden.

In der Regel ist es nicht schwierig, den Sprecher herauszufinden, nur in einzelnen Punkten stimmen die Anschauungen darüber nicht ganz überein.

Es ist noch zu beachten, dass die Braut der Hauptsprecher ist in Abschnitt I und II, und zwar ist sie sehr mit sich selbst beschäftigt. Dagegen in Abschnitt III, wo die Gemeinschaft nicht unterbrochen ist, hat sie wenig zu sagen, und erscheint als Zuhörerin. Die Töchter Jerusalems haben eine lange Ansprache und der Bräutigam die längste. In diesem Abschnitt nennt er sie zum ersten Mal seine Braut und reizt sie zur Gemeinschaft im Dienste. In Abschnitt IV ist die Braut wieder die Hauptsprecherin, aber nachdem die Gemeinschaft wieder hergestellt ist, spricht der Bräutigam am längsten und er tadelt sie nicht.

 

In Abschnitt V wird die Braut nicht mehr „die schönste unter den Frauen“ genannt, sondern sie wird als die königliche Braut anerkannt und erhebt auch selbst Anspruch darauf, es zu sein.

In Abschnitt VI macht der Bräutigam seinen Anspruch auf sie deutlich, nicht nur von der Verlobung an, sondern sogar von ihrer Geburt an, ebenso wie Gott der Herr auf Israel Anspruch erhebt (Hesekiel 16).

Ein Geheimnis! Tief verborgen

Bietet Zuflucht sich beim Herrn!

Jauchzend nimmt sie meine Seele,

Lernt zu Jesu Füßen gern.

Sorgen müssen weiterziehen,

Und die Drangsal wird besiegt.

Ja, der Satan selbst muss fliehen,

Weil mein Herz an ihn sich schmiegt.

Das Hohelied Salomos

Der Titel

Wahrlich, dieses Buch verdient den Titel „Das Hohelied“, oder wie es eigentlich übersetzt werden sollte: Das Lied der Lieder! Es gibt keinen Gesang, kein Lied, das ihm gleich kommt. Lies es in der rechten Weise, und es bringt dem Herzen eine Wonne, so hoch erhaben über alle Erdenfreu den, als der Himmel höher ist wie die Erde. Mit Recht ist es gesagt worden, dass Gnade dieses Lied allein lehren und Erfahrung es allein lernen kann. Als unser Meister von der Verbindung der Rebe mit dem Weinstock sprach, fügte er hinzu: „Dies habe ich zu euch geredet, auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude völlig werde“ (Joh. 15,11). Und der geliebte Jünger, der von ihm schreibt: „Was von Anfang war, …welches bei dem Vater war und uns geoffenbart worden ist“ (1.Joh.1,1-2), sagt auch, damit wir teilhaftig würden der Gemeinschaft, daran er selbst sich erfreute: „Und dies schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei“(1.Joh.1,4). Was gewährt uns nicht alles die Gemeinschaft mit Christo und das Bleiben in ihm!? Frieden, vollkommenen Frieden; Ruhe, beständige Ruhe; Erhörung all’ unserer Gebete! Sieg über alle unsere Feinde, reines, heiliges Leben, eine stets zunehmende Fruchtbarkeit! Alles, alles dies ist das herrliche Ergebnis des Bleibens in Christo! Die Verbindung mit ihm zu vertiefen, dieses Bleiben beständiger zu machen, das ist der praktische Nutzen dieses Buches.

Das unbefriedigte Leben und sein Heilmittel

Hohelied 1,2-2,7

In den Versen 2-7 erkennt man ohne Schwierigkeit die Braut als Sprecherin.

Das sind nicht Worte eines Menschen, tot in Sünden und Übertretungen, welchem der Herr noch ist wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich, ohne Gestalt noch Schöne. Die Sprecherin hat geöffnete Augen, um seine Schönheit zu er blicken und begehrt einen völligeren, tieferen Genuss seiner Liebe.

„Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes, denn deine Liebe ist besser als Wein.“ (Hohelied 1,2)

Wohl dem, dessen Stellung schon eine solche ist; es bezeichnet eine bestimmte Stufe in der Entwicklung des Lebens der Gnade in der Seele. Und diese erwähnte Erfahrung gibt eine gewisse göttliche Vollmacht für den Wunsch nach fühlbaren Offenbarungen seiner Gegenwart fühlbarer Liebesgemeinschaft mit ihm.

Nicht immer stand es so mit der Seele. Einst fand sie ihr Genüge fern von ihm; andere Gesellschaft, andere Beschäftigungen befriedigten sie; aber jetzt ist das nicht mehr möglich. Die Welt kann ihr nie mehr das sein und werden, was sie ihr war; die verlobte Braut hat gelernt, ihren Herrn zu lieben, und keine andere, als seine Gesellschaft kann sie befriedigen. Seine Besuche mögen gelegentlich und viel leicht kurz sein, aber es sind köstliche Zeiten der Wonne.

In den Pausen erquickt sie der Gedanke an ihn, und sehnsüchtig schaut sie aus nach Wiederholung seiner Besuche. Für sie gibt es nun keine wirkliche Befriedigung in seiner Abwesenheit mehr – und dennoch! – Er ist nicht immer bei ihr; er kommt und geht.

Schon ist ihre Freude in ihm ein Himmel auf Erden; aber wieder und wieder sehnt sie sich vergeblich nach seiner Gegenwart. Ihre Erfahrung gleicht der immer wechseln den Flut, welche steigt und fällt; es kann sogar so sein, dass Unruhe Regel und wirkliche Befriedigung Ausnahme ist. Gibt es da keine Hilfe? Muss es immer so fortgehen?

Hat er, oder kann er dieses unauslöschliche Sehnen geschaffen haben, um es nie zu stillen? Will er sie quälen?

Seltsam in der Tat, wenn es so wäre! – Und doch, gibt es nicht viele Kinder Gottes, deren gewöhnliche Erfahrung mit der ihrigen übereinstimmt? Sie kennen noch nicht die Ruhe, die Freude des Bleibens in Christo, und sie wissen nicht, wie sie dazu gelangen sollen, noch, warum sie es noch nicht er langt haben. Gibt es nicht viele, die zurückblicken auf die köstliche erste Zeit ihrer Verbindung mit dem Herrn, welche, weit entfernt, größeren Reichtum in Christo zu finden, als sie damals hatten, sogar das Bewusstsein in sich tragen, dass sie die erste Liebe verlassen haben, und ihre Erfahrung ausdrücken möchten in der traurigen Klage:

„O, wohin ist sie geschwunden,

Jene erste Segenszeit,

Als den Frieden ich gefunden

Bei dem Herrn der Herrlichkeit?“

Andere dagegen, die nicht ihre erste Liebe verlassen haben, mögen dennoch fühlen, dass die gelegentlichen Unterbrechungen der Gemeinschaft um so unerträglicher werden, als die Welt ihnen weniger, und er ihnen mehr wird. Seine Abwesenheit wird ihr zu einer immer mehr zu nehmenden Qual.

„O, dass ich wüsste, wo ich ihn finden könnte! er küsse mich mit den Küssen seines Mundes; denn deine Liebe ist besser als Wein.“

Wäre doch seine Liebe stark und beständig wie die meinige, und entzöge er mir doch nie das Licht seines Angesichtes! Arme, du irrst dich! Da ist eine Liebe weit stärker als dein Warten und Sehnen nach Befriedigung. Der Bräutigam wartet auf dich die ganze Zeit. Du hinderst ihn mit deinem Tun allein, sich dir zu nähern. Nimm die rechte Stellung ihm gegenüber ein, und er ist mehr als bereit und sehr froh, dein tiefstes Sehnen zu stillen und dir die Wünsche deines Herzens zu geben. Was würden wir von einer Braut denken, deren Dünkel und Eigenwille nicht nur die Vollendung ihrer eigenen Freude, sondern auch die ihres Verlobten hindert, der ihr doch sein ganzes Herz gegeben hatte?

Obschon niemals ruhig, wenn er nicht da, kann sie ihm doch nicht völlig vertrauen; es liegt ihr nicht daran, ihren Namen, ihre Rechte, ihren Besitz, ihren Willen aufzugeben und sich dem zu übergeben, der ihr für ihr Glück notwendig geworden ist. Vergeblich würde sie völlig Anspruch auf ihn hegen, ohne ganze persönliche Hingabe; es kann eben niemals sein; solange sie ihren Namen behält, kann sie den seinigen nicht tragen. Sie kann nicht versprechen, zu lieben und zu ehren, wenn sie nicht auch versprechen will, zu gehorchen. Bis ihre Liebe diesen Punkt der Hingabe erreicht, muss sie eine unbefriedigte Liebende bleiben –sie kann nicht wie eine glückliche Braut im Heim ihres Mannes Ruhe finden. Während sie ihren eigenen Willen und die Verwaltung ihres eigenen Besitzes für sich behält, hat sie kein Recht, von ihm unterhalten zu werden, sondern muss aus ihren eigenen Mitteln leben. Gibt es wohl einen noch traurigeren Beweis der Ausdehnung und Wirklichkeit unsers Falles, als dies tiefsitzende Misstrauen gegen unsern liebenden Herrn und Meister, welches uns zögern lässt, uns gänzlich ihm hinzugeben und uns fürchten macht, er möchte etwas verlangen, das über unsere Kräfte geht, oder etwas fordern, das wir nicht willig sein könnten zu geben oder zu tun?

Das wirkliche Geheimnis eines unbefriedigten Lebens liegt zu oft in einem nicht übergebenen Willen. Und wie töricht und auch wie verkehrt ist das! Bilden wir uns ein, klüger und weiser zu sein als er, oder dass unsere Liebe zu uns selber zarter und stärker sei als die seine, oder dass wir uns selbst besser kennten als er? Wie muss unser Misstrauen das zarte Herz dessen bekümmern und aufs Neue verwunden, der für uns der Mann der Schmerzen war! Was würde ein irdischer Bräutigam sagen, wenn er entdeckte, dass seiner Braut angst sei, ihn zu heiraten, weil sie fürchtete, er würde, sobald er die Macht dazu hätte, ihr Leben unerträglich machen? Und dennoch, wie viele der Erlösten des Herrn behandeln ihn gerade so! Kein Wunder, dass sie weder glücklich noch befriedigt sind! Für wahre Liebe gibt es keinen Stillstand; entweder sie muss abnehmen oder zunehmen. Lassen wir alle die unwürdigen Befürchtungen unserer armen Herzen fahren, so wird die göttliche Liebe siegen; sie hat die Bestimmung, zu siegen. Die Braut ruft aus:

„Lieblich an Geruch sind deine Salben, ein ausgegossenes Salböl ist dein Name; darum lieben dich die Jungfrauen“ (Kap. 1,3).

Es gab sonst kein solches Salböl als das, mit welchem der Hohepriester gesalbt wurde. Unser Bräutigam ist ebenso wohl Hohepriester als König.

Die zitternde Braut kann nicht gänzlich ihre Befürchtungen fallen lassen; aber die Unruhe und das Sehnen werden unerträglich; sie entschließt sich, ihm alles zu übergeben, und es ist ihr um Gründlichkeit zu tun. Ihr eigenes Ich, Herz und Hand, Einfluss und Besitztümer, alles will sie ihm übergeben; nichts kann so unerträglich sein, wie seine Abwesenheit. Möge er sie nach einem zweiten Morijah, oder selbst nach Golgatha führen, sie will ihm folgen.

„Ziehe mich: wir werden dir nachlaufen.“ Aber ach, was folgt! Eine wunderbare, köstliche Überraschung. Kein Morijah, kein Golgatha, im Gegenteil: ein König! Wenn das Herz sich unterwirft, dann regiert Jesus. Und wenn Jesus regiert, dann ist Ruhe. Und wohin leitet er seine Braut?

„Der König hat mich in seine Gemächer geführt.“ Nicht erst zum Hause des Festes – das wird kommen zu seiner Zeit –sondern zuerst in seine Gemächer, allein zu sein mit ihm. O, welche Tiefe des Verständnisses für uns! Könnten wir befriedigt werden, einen Geliebten nur in öffentlicher Gesellschaft zu haben? Nein, wir nehmen ihn gerne beiseite, um ihn ganz für uns zu haben. So ist es mit unserm Herrn. Er nimmt seine, nun ihm völlig hingegebene Braut beiseite, damit sie die innigen Geheimnisse seiner wunderbaren Liebe koste und genieße. Der Bräutigam seiner Gemeinde sehnt sich nach Gemeinschaft mit ihr, mehr als sie begehrt nach Gemeinschaft mit ihm, und oftmals muss er rufen: „Lass mich deine Gestalt sehen, lass mich deine Stimme hören; denn deine Stimme ist süß und deine Gestallt ist anmutig.“ (Kap. 2,14)

Liegt es uns nicht allen im Allgemeinen viel näher, ihn um unserer Bedürfnisse willen zu suchen, als um seiner Freude und seines Wohlgefallens willen? So sollte es aber nicht sein. Wir bewundern selbstsüchtige Kinder durchaus nicht, welche nur daran denken, was sie von den Eltern erlangen können und keinen Sinn dafür haben, dass sie den Eltern auch Freude machen und einen Dienst leisten könnten. Aber sind wir nicht in Gefahr, zu vergessen, dass: „Gott gefallen“ bedeutet: „Gott Freude machen“? Einige von uns blicken auf die Zeit, wo die Worte „Gott gefallen“ nichts weiter bedeuteten, als „nicht gegen ihn sündigen“, „ihn nicht betrüben“; aber würde die Liebe der irdischen Eltern befriedigt werden, wenn ihre Kinder nur nicht ungehorsam wären? Oder würde ein Bräutigam Wohlgefallen an einer Braut haben, die nur um ihre eigenen Bedürfnisse besorgt wäre? Hier möchte ein Wort für die Morgenstunde nicht am verkehrten Platze sein. Keine Zeit kann so nützlich verwendet werden als die Frühstunde, wenn sie dem Herrn Jesus ausschließlich gegeben wird. Schenken wir dieser Stunde genügende Aufmerksamkeit? Wenn irgend möglich, so sollte sie dafür freigemacht werden, nichts kann sie ersetzen. Wir müssen Zeit haben, heilig zu sein! Ein anderer Gedanke: Wenn wir dem Herrn unsere Fragen bringen, gehen wir da nicht manchmal zu irgendeiner anderen Bitte über, oder verlassen wir das Kämmerlein, bevor wir die Antwort Gottes haben? Geht nicht daraus hervor, dass wir kaum ei ne Antwort erwarten, und in Wirklichkeit wenig Verlangen danach haben? Würden wir gerne so behandelt werden? Ruhiges Warten vor dem Herrn würde vor manchem Fehler und vor mancher Sorge bewahren.

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