Worpsweder Geschichten

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Worpsweder Geschichten
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Worpsweder Geschichte(n)

oder:

Wer über den Weyerberg geht,

betritt bremischen Boden

3. Auflage 2020

Titelillustration: Peter Fischer

© 2020 Edition Temmen e.K.

28209 Bremen – Hohenlohestr. 21

Tel. 0421-34843-0 – Fax 0421-348094

info@edition-temmen.de

www.edition-temmen.de Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung: Edition Temmen Ebook - ISBN 978-3-8378-8056-4 Print - ISBN 978-3-86108-169-2

Inhalt

Wie Worpswede ein Stück Bremen wurde

Die Seeschlacht von Waakhausen

Worpswede tritt auf die weltgeschichtliche Bühne

Woher kommt der Name Worpswede?

Das Lustschloss des Landgrafen

Jürgen Christian Findorff – der »Vater« der Siedler

Die alte Gesche

Ein Vorwort zwischendurch

Der Schwarze Vogt im Teufelsmoor

Lüder und die Nixe

Die Wette mit dem Teufel

Besuch bei Beta Grotheer

Kleine Bildungslücke

Der stärkste Mann von Neu Sankt Jürgen

Als der Strom ins Teufelsmoor kam

Der »Hafen von Kiautschau« lag an der Hamme

Neu-Helgoland

Die Lebensweisheit des Maurers Gartelmann

Die Entdeckung

Verständnislos

Professor »Spargelstecher«

Farbenspiel

Die Münchner störten

Strafarbeit in der Kirche

Unsympathische Katze

Paulas Mutter

Der Barkenhoff

Wie Wilhelm Bartsch zur Malerei gekommen ist

Tetjus Tügel und die Erholungsreise

Große Worte liebte Tetjus Tügel nicht

Der Bremer Bürgermeister residierte in Worpswede

Bremen – nie gehört

Am Rande

Alte Zeit

Ein Spaziergang durch Worpswede

Wie Worpswede ein Stück Bremen wurde

Über den Riesen Hüklüt gibt es viele Geschichten. Eine ist schöner als die andere. Und gelogen sind sie alle.

Aber darum geht es in diesem Falle gar nicht.

Wenn alles Gelogene mit einem Schlag ver­schwän­de, mein Gott, wie langweilig wäre die Welt.

In unserem Falle geht es darum, den Beweis dafür zu erbringen, dass Worpswede – die Worpsweder mögen das verzeihen – eigentlich bremisches Staatsgebiet ist.

Aber nun klappen Sie das Buch doch nicht gleich wieder zu!

Fangen Sie doch einfach mal an zu lesen. Sie müssen immer daran denken, dass das ja alles gar nicht so ernst gemeint ist.

Also, der Riese Hüklüt, der schon sehr lange tot ist – wenn er überhaupt gelebt hat –, war ein schrecklicher Kerl. Der konnte eine Herde von tausend Ochsen in einen Sack stecken und in seine Höhle schleppen, wo er sie dann in aller Ruhe verzehrte.

Als er nun eines Mittags versehentlich einen Menschen gefressen hatte, der ihm zwischen die Zähne geraten war, konnte er sein Glück gar nicht fassen. Menschenfleisch, so stellte er fest, war das Leckerste, das er je in seinem Leben genossen hatte. Fortan wollte er sich keine Ochsen mehr in die Pfanne hauen – er wollte nur noch Menschen.

Hüklüt wohnte irgendwo in Niedersachsen. Man sagt, er habe eine Höhle im Harz besessen. Vielleicht war es die Heimkehle, die mit 1.700 Metern Länge auch heute noch die größte Höhle im Harz ist, denn er war ein riesiger Kerl. Wenn Hüklüt einen Ausflug unternahm, trug er Sieben-Meilen-Stiefel. Da kann man sich ungefähr vorstellen, dass der Weg vom Harz bis an die See für ihn ein Katzensprung gewesen ist.

So kam er auch in die Gegend von Bremen. Dort hatten sich zu jener Zeit – es muss wohl so um die Mitte des 3. Jahrhunderts gewesen sein – die Sachsen niedergelassen, die von Schleswig-Holstein her an die Weser gekommen waren. Und die Sachsen waren skrupellos. Sie übernahmen das Kommando über das Land, und die Oberkommandierenden nannten sich Herzöge.

Für die Chauken, die an der Weser und bis nach Friesland zu Hause waren, wirkte sich das sehr negativ aus. Einige von ihnen mochten unter den Sachsen nicht mehr in ihrer Heimat leben und packten ihre Koffer. Andere duckten sich und blieben, vermischten sich mit den Sachsen – wie das so ist im Leben – und bald sprach kein Mensch mehr von ihnen.

Doch die Chauken, also die, die geblieben waren, standen nicht nur vor dem Problem, sich mit den Sachsen arrangieren zu müssen, sie mussten sich – wie allerdings auch die Sachsen selbst – vor dem Riesen Hüklüt in Acht nehmen.

Beide Völker, Chauken und Sachsen, versuchten gemeinsam, den ekelhaften Riesen loszuwerden, was ihnen aber nicht gelang. Immer wieder unternahm er seine Ausflüge vom Harz an die See, und wer den Mut hatte, dem Riesen ans Leder zu gehen, der wurde verschluckt wie eine Fliege.

Eines Tages nun kam der junge Fischer Dietrich von einer großen Fahrt zurück. Ob er nun Chauke war oder Sachse, spielt für uns keine Rolle. Tatsache ist, dass man ihm am abendlichen Lagerfeuer von dem Unglück erzählte, mit dem das Land und seine Menschen bestraft worden waren.

Dietrich hörte zu und grübelte die ganze Nacht. Am nächsten Morgen wandte er sich dann – wie es sich gehört, mit allem Respekt – an den Sachsenherzog Rugbrok, denn er hatte, wie er sich ausdrückte, einen Kriegsplan mit ihm zu besprechen.

Nach dem Gespräch ließ der Herzog überall im Land verbreiteten, dass er ein großes Fest veranstalten werde.

Die Kunde verbreitete sich schnell, zumal der Herzog mit Einladungen nicht pingelig war. Wenn man so will, bekam eigentlich jeder im Land eine Einladung.

Auch Hüklüt hörte von dem Fest, und obwohl er keine Einladung bekommen hatte, machte er sich auf den Weg. Er wollte sich ungeladen einen »kulinarischen Abend« gönnen.

Auf dem Fest, das zunächst sehr fröhlich begonnen hatte, wurde es sehr still, als der Riese erschien. Hüklüt tat, als merke er das nicht, ließ sich ein Fass Bier bringen und machte – wie zufällig – die Bekanntschaft mit dem Fischer Dietrich. Der hatte das allerdings geschickt eingefädelt.

Dietrich ließ sich auch nicht gleich verputzen. Zunächst bewunderte er den mächtigen Riesen und errang mit allerlei Tricks und Schöntuerei das Wohlwollen des Ungeheuers.

Hüklüt war so von Dietrich angetan, dass er ihn kurzerhand entführte. Er spielte mit dem Fischer, wie die Kinder heutzutage mit Bleisoldaten, Puppen oder dem Computer spielen. Eines Tages ließ er sich von Dietrich beschwatzen, einen Ausflug nach Bremen zu unternehmen.

Was die beiden in Bremen getrieben und erlebt haben, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass der Fischer seinem ungehobelten Begleiter den Rat gab, recht viel Sand von der Bremer Düne einzusammeln, denn den Sand könnte der Riese auf der weiteren Wanderung durch das sumpfige Land gewiss noch gut gebrauchen.

Bremen wurde ja, wie Sie wissen, auf einer mächtigen Düne gebaut, die man auch heute noch erkennen kann – dort steht der zweitürmige Dom.

Hüklüt fand Gefallen an dem Gedanken und stopfte sich die Taschen voll. Fast wäre von der berühmten Bremer Düne nicht mehr viel übrig ge­blieben, hätte Dietrich den Riesen nicht gedrängt. Schließlich war der Tag schon fortgeschritten und die Reise musste unbedingt weitergehen, da man für die Nacht auch noch kein Quartier hatte. Offenbar stand das Beherbergungsgewerbe in Bremen in den Kinderschuhen oder die Hoteliers waren auf den riesenhaften Gast nicht vorbereitet. Alle Betten waren zu kurz.

 

So lockte der listige Dietrich den tonnenschwer mit Sand beladenen Hüklüt geradewegs ins Teufelsmoor.

Unter dem Gewicht des Riesen gab der moorige Boden nach und Hüklüt sank tiefer und tiefer. Da erst erkannte er mit großem Geschrei, dass er in eine Falle getappt war.

Doch ehe der Riese für alle Zeiten im Moor versank, holte er eine Handvoll Sand aus seiner Tasche und warf sie hinter dem flüchtenden Dietrich her. Er verfehlte sein Ziel, denn die Dunkelheit war schon hereingebrochen. Doch wo der Sand niederfiel, entstand ein Berg – und das ist der Weyerberg!

So ist der Riese Hüklüt dafür verantwortlich, dass sich die Bremer auch heute noch nach Worpswede hingezogen fühlen und den niedersächsischen Ort als ureigenes bremisches Gebiet betrachten.

***

Sicherlich möchten Sie auch noch wissen, was mit Dietrich, dem jungen Fischer, geschah.

Er kehrte zurück an den Hof des Sachsenherzogs Rugbrok, wurde gefeiert wie ein Held und heiratete am Ende Meta, die Tochter des Herzogs. Sie waren glücklich miteinander und bekamen viele Kinder. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Fragen Sie mich aber bitte nicht, wo!

Die Seeschlacht von Waakhausen

Die Römer hatten mit ihren Deutschland-Trips, wenn man mal vom Süden, Südwesten und Westen absieht, kein besonders großes Glück. Das wissen wir spätestens seit dem Jahre 9 n. Chr., als die Römer frech nach Deutschlands Norden zogen (wie es in einem Lied heißt). Die Niederlage, die sie im Norden kassierten, war zwar nicht im Teutoburger Wald, sondern wie man heute weiß in der Nähe der Tuch­macherstadt Bramsche. Das allerdings war dem Kaiser Augustus, dem die Nachricht ausgerechnet beim Essen serviert wurde, ziemlich egal – er kannte sich in der Geographie des germanischen Nordens ohnehin nicht aus. Augustus jammerte nur immerzu »Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder!« Doch Herr Quintilius Varus, Statthalter und Oberbefehlshaber in Germanien, konnte das gar nicht hören – erstens befand er sich auf dem Schlachtfeld bei Bramsche und zweitens war er tot.

Und dass sich die Römer aber auch im Nordwesten Deut­sch­­­­­­­­­­­lands – genauer gesagt, bei Waakhausen, (einem Ortsteil von Worpswede) – mindestens ebenso dumm angestellt haben, nur nicht mit so schrecklichen Folgen wie in der Schlacht im Teutoburger Wald, (die gar nicht im Teutoburger Wald stattgefunden hat, aber trotzdem immer noch so heißt) wird in der Geschichtsschreibung nicht erwähnt.

Darum wird die Geschichte hier erzählt!

Wir wissen von dem älteren Plinius, der in den Jahren 23 bis 79 n. Chr. lebte, dass ihn das Schicksal vorübergehend in den Norden Germaniens verschlagen hatte. Hier lernte er die Chauken kennen, die ihn als einen von Haus aus kulinarisch verwöhnten Herrn mit Regenwasser und Granat bewirteten – und Granat fand er ganz eklig, denn er hielt sie für Würmer.

Aber er staunte nicht nur über die karge Lebensweise der Nordgermanen. Plinius d.Ä. staunte auch über die »schwimmenden Inseln«, die ihm, der ein Seemann war, natürlich kein gewöhnlicher (er war ein Admiral), entgegen schwammen. Er bezeichnete sie als ein »Wunder aus den Wäldern Germaniens«.

Plinius berichtet von diesen häufig mit Bäumen bewachsenen Inseln, die den Weg der römischen Flotte im Mündungsbereich der Elbe und der Weser mehrfach kreuzten, als die Römer an den Küsten Nordwestdeutschlands entlangsegelten – wo sie im Grunde nichts zu suchen hatten.

Man darf wohl davon ausgehen, dass diese Inseln Landstücke aus dem Moor gewesen sind, wie sie noch im 19. Jahrhundert zuweilen von den Wasserfluten losgerissen wurden. Wie diese in die Nebenflüsse der Weser und Elbe getrieben und zum Schwim­men und Forttreiben gebracht worden sind, berichtet Johann Georg Kohl aus Bremen – aber dazu später mehr.

Plinius d.Ä. berichtet also, dass einige Soldaten der römischen Flotte – noch ehe sie die schwimmenden Inseln entdeckt hatten – von Neugier angetrieben weseraufwärts fuhren. Doch in der Lesum standen sie mit einem Male einer feindlichen Armada gegenüber.

Die feindlichen Schiffe waren von ihrer Größe her offenbar germanische Schlachtschiffe, die sich ohne zu zögern auf die Römer zubewegten. Dabei zeigten sie nicht einmal eine Flagge oder irgendein Hoheitszeichen, was ja nicht gerade von feinem Benehmen zeugte. Aber was sollte man von den Germanen anderes erwarten?

Nicht einmal Marinesoldaten konnten die Römer an Bord der feindlichen Schiffe entdecken, denn die Besatzungen hatten sich und ihre Schiffe getarnt. Die Schiffe sahen aus wie Inseln, auf denen sogar Bäume wuchsen.

Die Römer gaben Alarm und rüsteten sich zur Seeschlacht!

Mit Pfeilen und Steinschleudern versuchten sie, den germanischen Schlachtschiffen Einhalt zu gebie­t­en. Erst als sich die germanische Flotte auf Rufweite genähert hatte, erkannten die römischen Seeleute, dass es gar keine Schiffe waren, sondern schwimmende Inseln. Der Alarm wurde abgeblasen und der Kampf eingestellt.

Weil die Inseln aber den weiteren Weg versperrten, mussten die Römer umkehren. So haben – wenn wir die Sache richtig sehen – die schwimmenden Inseln von Waakhausen die Römer besiegt.

Und selbst wenn sich diese Begebenheit so nicht zugetragen hat, steht eines jedenfalls fest – die schwim­menden Inseln von Waakhausen hat es in jedem Fall gegeben.

Der schon erwähnte Bremer Schriftsteller Johann Georg Kohl war einer der ersten Reiseschriftsteller der neueren Zeit. In seinen 1864 erschienenen »Nordwestdeutschen Skizzen« berichtet er von den schwimmenden Inseln und leitet den Namen Waakhausen von einer alten germanischen Wortwurzel her. Diese habe sich im Englischen als »wag« erhalten, was so viel heißt wie »auf- und niederbewegen«.

Auch im Schwedischen gibt es das Wort »weka«, was »Wellen werfen« bedeutet. Wahrscheinlich, so meint Kohl, stecke hinter all dem das lateinische Wort »vacillare« (»zittern«) – womit wir wieder bei den Römern wären.

Im Deutschen aber, so folgert Kohl, haben wir das Wort »wackeln«, so dass wir Waakhausen mit Fug und Recht auch als »Wackelhausen« bezeichnen können.

Zu den schwimmenden Inseln gibt es aber auch neuere Literatur. Der Journalist Jürgen Meyer-Korte schreibt in einem 1978 erschienenen Buch mit dem Titel »Worpswede«, dass noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts alljährlich von der Unterweser her Fluten in die Teufelsmoorniederung drangen und diese in einen riesigen See verwandelten, »dessen Wasserspiegel von Horizont bis Horizont reichte«.

Dabei soll das Wasser die mehrere Meter dicken Moorschichten von Waakhausen hochgedrückt und gelegentlich größere Landstücke losgerissen haben.

Meyer-Korte schreibt auch, dass es exakte Berichte darüber gäbe, dass die Vorfahren der jetzigen Waak­hausener diese Inseln mit Booten wieder »einfingen«, sie mit Stricken an ihren ursprünglichen Platz schleppten und dann mit langen Pfählen wieder am Untergrund »festnagelten«.

Worpswede tritt auf die weltgeschichtliche Bühne

Als Worpswede die weltgeschichtliche Bühne betrat, hielt man es nicht für nötig, die Scheinwerfer einzuschalten. Es war sowieso gerade Pause.

Die westliche Welt hielt ein bisschen den Atem an. Einige Ritter erholten sich noch von dem fünften und wieder einmal erfolglosen Kreuzzug, der diesmal unter der Führung König Andreas II. von Ungarn stand. Andere langweilten sich auf ihren Ritterturnieren. Und in Sala­manca gründete König Alfons IX. von León die Universität. Na ja, eine neue Universität war auch nicht das, was die Welt zu dieser Zeit vom Hocker hätte reißen können.

Es sollte uns also nicht wundern, dass die Welt nur mit einem müden Achselzucken darüber hinwegging, als am 21. Juli 1218 der halbe Zehnte von Worpswede dem Kloster Osterholz zugesprochen wurde. Nur der Erzbischof von Bremen, Gerhardus, der von 1210 bis 1219 regierte, freute sich.

Das Kloster Osterholz war im Jahre 1182 vom Bremer Erzbischof Siegfried gestiftet worden. Siegfried war ein Sohn des Markgrafen Albrecht des Bären (um 1100–1170), der der Gründer des späteren brandenburgischen Staates war. 1196 wurde die Klos­terkirche St. Maria geweiht. Das Kloster, das zu den bedeutenden Gründungen der bremischen Erzbischöfe gehört, war ein Benediktinernonnenkloster. Siegfried regierte in Bremen von 1180 bis 1184, das war nicht besonders lange, aber – wie man sieht – effektiv.

Es war sicher nur ein Zufall, dass der erste Auftritt Worps­wedes auf der weltgeschichtlichen Bühne in einem bremischen Stück spielte. Denn Worpswede muss es ja schon vorher gegeben haben, weil man von nichts einem Kloster keinen halben Zehnten zusprechen kann, nicht mal einem bremischen.

In der weiteren Geschichte Worpswedes ist von einem Grafen Wölpe die Rede, der sich in Bremen dadurch beliebt machte, dass er vier Höfe in Worpswede an das Kloster Osterholz abtrat. Im Jahre 1780 bestand die Bauernschaft Worpswede aus acht vollen Bauernhöfen, einer Kate und 31 »Beibauern«, wie es in einer Beschreibung heißt.

Der Reiseschriftsteller Johann Georg Kohl aus Bremen berichtet in seinen »Nordwestdeutschen Skizzen« vom Teufelsmoor und vom »Weiher Berg«, der vom Volk kurzweg ›Up’r Wehe‹ (auf der Wehe) genannt wurde:

»Die Abhänge und sanftge­wölb­ten Rücken dieses kleinen Sandgebirges sind in das Gewand eines schönen reichen Kornfeldes gehüllt; den unan­ge­bauten Gipfel aber krönt ein kleiner Föhrenhain, in dessen Mitte sich eine Pyramide aus Granitsteinen, ein Monument für den größten Wohlthäter des Teu­fels­moores erhebt. Sie ist nämlich dem Andenken des wohlbekannten Herrn Findorff gewidmet, der im vorigen Jahrhundert zuerst mit Nachdruck und Erfolg die sumpfige Wildniß bekämpfte, in dem öden Bezirke die lieblichsten Oasen voll wohlhabender Dörfer und lachender Feldmarken schuf …«

Von einer Siedlung in Worpswede oder gar von der Zionskirche, die ja zwischen 1757 und 1759 gebaut worden war, ist in dem Beitrag des Bremer Schriftstellers aber nicht die Rede.

Dafür erwähnt Kohl allerdings, dass er am Abhang des Weyerberges in einem »kleinen Dorf-Hotel übernachtete«.

Da hätte er uns doch wenigstens berichten können, wie er geschlafen habe, ob gut oder unruhig, und wie das Frühstück gewesen sei.

Jedenfalls wäre das eine reelle Aussage gewesen.

Woher kommt der Name Worpswede?

Wir wollen uns über die Herkunft des Namens Worpswede nicht den Kopf zerbrechen. Er ist nun einmal da, und er klingt auch ganz gut. Aber es gibt ja immer Leute, die alles wissen wollen. Und für diese Leute habe ich diesen Beitrag geschrieben.

Wissen Sie, in den unterschiedlichsten Büchern habe ich gelesen, dass sich der Name Worpswede aus den Wörtern »Worp« und »Wede« zusammensetzt – was an sich auf der Hand liegt.

Aber was bedeuten diese Wörter?

Nach Jürgen Meyer-Korte entstand der Ortsname im ersten Jahrtausend nach unserer Zeitrechnung. Das Wort »Worp« bedeutet so viel wie Anhöhe, Berg, während »Wede« eine alte Bezeichnung für einen Wald beziehungsweise ein Gehölz mit Weidenutzung sein soll.

Wer sich Worpswede von Osterholz-Scharmbeck aus nähert, wird sich ohne weiteres – wenn es ihm nicht zu unbequem ist – in das erste Jahrtausend nach Christi zurückversetzt fühlen können. Da liegt der Weyerberg. Und Wald sieht man auch – viel mehr kann man nicht sehen. Schon gar nicht, wenn man nicht so genau hinguckt.

Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm ist »Worp« ein Wurf (ohne weitere Erläuterungen). Im Übrigen orientieren sich die Brüder Grimm an der Schiffersprache. Sie zitieren einen Herrn Kluge, der Folgendes gesagt hat: »Im Schiffbau sind Worpen dem Hakbalken ähnliche Hölzer …«

Fragen Sie mich bitte jetzt nicht, was Hakbalken sind. Wenn mich nicht alles täuscht, wussten die Grimms das auch nicht. Jedenfalls hat das alles gar nichts mit Worpswede zu tun.

Dafür kennen die Grimms die Worperde. Das ist eine vom Wasser erst neuerlich aufgeworfene Erde, was ja nun ebenfalls mit Worpswede überhaupt nichts zu tun hat.

Das Mittelniederdeutsche Handwörterbuch von August Lübben und Christoph Walther kennt tatsächlich auch das Wort »Worp«, was aber in diesem Falle auch nichts mit einem Berg zu tun hat. Es bedeutet einen Wurf im Würfelspiel. Und »Wede« ist bei Lübben und Walther wie bei Meyer-Korte ein Wald, eine Hölzung.

Wenn man also über die nötige Phantasie verfügt, kann man davon ausgehen, dass Worpswede im ersten Jahrtausend nach Christi eine Spielbank im Wald gewesen ist. Diese wurde dann später in die Bremer Böttcherstraße verlegt, die ja mit Worpswede verwandt ist – wenn man das mal so unverblümt sagen darf.

 

Nach dieser waghalsigen Interpretation sollten wir uns die Lektüre über das Wort »Wede« bei den Grimms besser ersparen. Hier steht nämlich das Wort »Wede« – man kann es gar nicht für möglich halten – für eine Art Aquarium.

Stattdessen suchen wir lieber im Brockhaus von 1896. Aber da kommt Worpswede überhaupt nicht vor, auch nicht »Worp« oder »Wede«. Es gibt nur das Wort »Worb« mit »b«, und daneben steht: siehe Käse.

Und deshalb einigen wir uns am besten auf das, was Jürgen Meyer-Korte geschrieben hat.

Der war in Osterholz-Scharmbeck als Redakteur beim Osterholzer Kreisblatt tätig und auf ihn konnte man sich immer verlassen.

Im Übrigen deckt sich das auch mit dem, was der Worpsweder Hans Hubert über den Namen

Worpswede geschrieben hat. In seinem Wanderbuch »Worps­wede – Wege in das Moor« teilt er beiläufig mit, dass sich Worpswede aus »Worp«, das Aufgeworfene, der Hügel, und aus »Wede«, der »Wald«, zusammensetzt.

Worpswede heißt demnach übersetzt: »Hügel im Wald.«

Und damit sollten wir uns zufrieden geben.

Das Lustschloss des Landgrafen

Nehmen wir mal eben an, dass der Weyerberg, der übrigens 54,4 Meter hoch ist (oder sein soll – selbst alteingesessene Worpsweder wissen das nicht genau), ursprünglich ein »Gebirge«, wenn man das so sagen darf, aus mehreren Bergen war.

An der Ostseite des Weyerberges befand sich der Schmiedeberg, eine kahle, schwach gewölbte Kuppe, die einen weiten Blick nach Tarmstedt, Wilstedt, Otterstedt und Fischerhude gewährte.

Der Schmiedeberg verdankt seinen Namen einem Schmied, der dort vor unendlich langer Zeit lebte und sich mit einem bei Kirchtimke ansässigen Kollegen aus Kostengründen einen Hammer teilte.

Die beiden Männer, Riesen mit dröhnenden Stimmen, warfen den Hammer, je nachdem wo er gebraucht wurde, über das weite Moor hinweg nach Kirchtimke oder nach Worpswede.

Die Sache soll angeblich stets gut funktioniert haben. Wir wollen ihr nicht weiter nachgehen. Sie ist auch nicht der Sinn dieser Geschichte.

An der Südseite des Weyerberges aber befand sich der Lustberg, was natürlich etwas anrüchig wirkt und es auch wohl hätte sein können oder sollen. Die Worpsweder – um das gleich klarzustellen – haben damit überhaupt nichts zu tun.

Der Lustberg, wo sich heute in etwa (oder exakt) der Niedersachsenstein erhebt, war eine schroffe, reich bebuschte Höhe, von wo aus man bis nach Bremen sehen konnte. Der Name ist historischen Ursprungs, ebenso wie der Name der noch heute bestehenden Straße »Am Thiergarten« unterhalb des Niedersachsensteins.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?