Sagen und Geschichten aus Bremen

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Sagen und Geschichten aus Bremen
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Sagen und Geschichten

aus Bremen

Ausgewählt und zum Teil nacherzählt

von

Hermann Gutmann

Titelabbildung: Peter Fischer

3. Auflage 2020

© 2001 Edition Temmen e.K.

28209 Bremen – Hohenlohestr. 21

Tel. 0421-34843-0 – Fax 0421-348094

info@edition-temmen.de

www.edition-temmen.de

Alle Rechte vorbehalten

Gesamtherstellung: Edition Temmen

Ebook ISBN 978-3-8378-8059-5

Print ISBN 978-3-86108-163-0

Die Bremer Gluckhenne

Der Himmel war, wie fast immer an der Weser, trübe und bewölkt. Regenschauer und heftige Böen machten jenen heimatlosen Menschen, die in uralter Zeit an einem ungemütlichen Tag die Weser in jämmer-

lichen Kähnen befuhren, das Leben richtig schwer.

Es waren Menschen, die sich schon in ihrer Heimat mühsam durchs Leben geschleppt hatten. Sie hatten dort von der Hand in den Mund gelebt. Doch das Leben wäre erträglich gewesen, wenn nicht Feinde das Land erobert und die Freiheit der Menschen bedroht hätten.

Hunger und Not konnten sie ertragen. Doch wie hätten sie leben sollen ohne Freiheit?

So hatten sie denn die Heimat in kleinen Kähnen verlassen und irrten durch die Welt, erreichten die Weser und ankerten, als sich der Tag dem Ende zu neigte, mitten im Fluß, denn sie sahen keine Möglichkeit das Ufer zu betreten.

Sie spähten umher, suchten einen Landeplatz. Doch es war vergeblich.

Plötzlich aber drang ein Strahl der sinkenden Sonne durch das Gewölk und erhellte die Landschaft mit einem wunderbaren Glanz.

Und so bemerkten die Flüchtlinge im letzten Schein der Sonne eine Henne, die sich mit ihren Küken einen sicheren Ruheplatz für die Nacht suchte.

Die Menschen folgten den Tieren, fanden Landeplätze für ihre Kähne, gingen an Land und erklommen eine Düne, wo sie die Henne und ihre Küken, verborgen im Heidekraut, fanden.

Die Flüchtlinge beschlossen daraufhin, auf der sicheren Düne ihre Hütten aufzuschlagen und sich dort für alle Zeiten niederzulassen.

Sie versprachen einander, daß dieser Platz für sie, die nun endlich ein Asyl gefunden hatten, ein Hort der Freiheit sein sollte.

So wurde der Grund für die Stadt Bremen gelegt.

Es war Friedrich Wagenfeld, der diese Sage Anfang des 19. Jahrhunderts der Vergessenheit entriß und mit anderen Bremer Volkssagen veröffentlichte.

Der Henne aber mit ihren Küken haben die Bremer ein Denkmal gesetzt. Man findet es über dem zweiten Rathausbogen – es ist ein Wahrzeichen der Stadt.

Wie der liebe Gott dem heiligen Willehad das Leben rettete

Als der heilige Willehad (um 735 bis 789) noch ein einfacher Priester war und noch gar nicht an Bremen dachte, wurde er von der Kirche aus seiner englischen Heimat Northumberland aufs Festland beordert. Er sollte den Friesen und Sachsen, die sich besonders hartnäckig gegen die neue Lehre stemmten, das Christentum predigen. Das hatte schon der heilige Bonifatius 20 Jahre vorher mit unterschiedlichem Erfolg aber meistens vergeblich versucht – die Friesen hatten ihn in Dokkum erschlagen.

Und nach Dokkum kam nun auch Willehad, mißtrauisch beäugt von den Friesen, von denen einige schon die Waffen zurecht legten. Andere allerdings meinten, so übel sei der neue Christenmensch gar nicht.

Es war vor allem in der Gegend von Groningen, wo Willehad keine Freunde fand, und einige Friesen beschlossen, den hartnäckigen Priester zu töten, wobei sie allerdings die Genehmigung ihrer Götter einholen wollten.

Sie nahmen eine Münze, warfen sie in die Luft, und eine bestimmte Art ihres Niederfallens sollte als göttlicher Wink verstanden werden.

Willehad beobachtete das Geschehen, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, doch vorsichtshalber sandte er ein Gebet zu seinem Gott.

Und dieser Gott ließ ihn nicht im Stich. Denn er erwies sich als stärker als alle Heidengötter. Und sicherlich war er auch geschickter. Er ließ die Münze so fallen, daß Willehad beruhigt aufatmen konnte.

Auf seinem weiteren Weg durch den Norden kam Willehad schließlich nach Bremen. Er erlebte hier den Aufstand der Sachsen im Jahre 782. Nur knapp und mit Gottes Hilfe konnte er rechtzeitig auf einen Weserkahn flüchten, kehrte dann nach einigen Umwegen nach Bremen zurück und wurde Missions-

bischof. Noch nach seinem Tode vollbrachte er viele Wunder und wurde von den Bremern jahrhun-

dertelang als Schutzpatron verehrt.

Der Traum des heiligen Ansgar

Der heilige Ansgar, der später einmal Erzbischof von Bremen und Hamburg werden sollte, war ein Kind von fünf Jahren, als er seine Mutter, eine fromme und gottesfürchtige Frau, verlor.

Sein Vater aber wußte nicht so recht, was er mit seinem Sohn anfangen sollte. Er schickte ihn zur wissenschaftlichen Erziehung in eine Schule, was ihm aber zunächst nicht gut bekam.

Denn der Junge kam in eine Klasse mit lauter Nichtsnutzen, die sich lieber mit bedeutungslosen Spielen und Streichen beschäftigten, als dem Unterricht zu folgen.

In dieser Zeit kindlicher Sorg- und Gedankenlosigkeit hatte Ansgar eines Nachts einen Traum: Er steckte in einem zähen Sumpf, aus dem er sich nicht befreien konnte, so daß er schon glaubte, der Sumpf werde ihn verschlingen.

Unmittelbar neben dem Sumpf verlief ein bequemer Weg, und auf diesem Weg sah er eine prächtig gekleidete, edle Dame näherkommen. Zu ihrem Gefolge gehörten mehrere weiß gekleidete Frauen, unter denen Ansgar seine Mutter erkannte.

Er streckte seine Arme aus und wollte zu ihr, aber der Schlamm des Sumpfes ließ ihn nicht los.

Als nun die Frauen den unglücklichen Knaben erreicht hatten, da sagte die edle Dame, in der er die heilige Maria erkannte: »Liebes Kind, du willst zu deiner Mutter?«

»O, ja!« sagte er flehentlich.

Doch sie fuhr fort: »Wenn dich nach unserer Gesellschaft verlangt, mußt du alle Eitelkeit meiden, von allen Kindereien und dummen Streichen lassen. Du mußt ernsthaft auf dich achten. Leichtsinn und Faulheit mögen wir nicht. Wer daran Freude hat, kann unter uns nicht weilen.«

Danach zogen die Frauen weiter und Ansgar erwachte.

Seit dieser Zeit zeigte er großen Ernst und sonderte sich von den anderen Kindern ab. Er kümmerte sich um die Wissenschaft und beschäftigte sich mit nützlichen Dingen, so daß seine Schulfreunde über diese veränderte Haltung sehr erstaunt waren und ihn damit aufzogen, was ihn aber nicht kümmerte.

Ansgar, der von 801 bis 865 lebte und häufig in Skandinavien war, um die dortigen Heiden zu bekehren, ist als »Apostel des Nordens« in die Kirchen-

geschichte eingegangen. Nach seinem Tode wurde er heilig gesprochen.

Wie das Königsmoor seinen Namen erhielt

Einmal sandte der Wikingerkönig Rörik seinen Sohn Fengo mit 30 Wikingerschiffen und 1200 Kriegern an die Küste Germaniens, wo sich der König reiche Beute versprach.

Er gab seinem Sohn den Rat, möglichst weit in die Weser hinein zu fahren, um den dortigen Bewohnern das Vieh zu rauben. Nur um Bremen solle er einen Bogen machen.

Aber die an der Weser wohnenden Sachsen waren gewarnt worden. Sie hatten ihr Vieh land­einwärts getrieben und erwarteten die Wikinger, die Bremen vorsichts­hal­ber auf einem zweiten Weserarm umschifft hatten, bei dem heutigen Ort Oyten. Zu jener Zeit lag dort ein heiliger Hain der Sachsen, die sich mit dem Christentum noch nicht so recht hatten anfreunden können.

In der Gegend von Mahndorf, wo es schon damals einen kleinen Ort gab, überschritten die Wikinger den Dünenrücken. Von dort aus wollten sie Oyten angreifen – aber sie wurden schon erwartet.

Aus allen Richtungen waren Sachsen herbeigeeilt, und ehe die Wikinger den heiligen Hain erreichen und erobern konnten, trafen sie auf die anstürmenden Sachsen, die ihnen mit ihren kurzen Schwertern, Sachs genannt, einen heftigen Kampf lieferten und so manches Lebenslicht ausbliesen.

Der Königssohn Fengo, ein mutiger junger Mann, gab sich jedoch nicht geschlagen. Er riß seine Wikinger nach vorn und brachte den Sachsen schwere Verluste bei. Schließlich wurde er aber zusammen mit seinen Kriegern in das Moor abgedrängt.

Dort gelang es einem der Sachsen, den Königssohn zum Zweikampf zu stellen. Die beiden Männer kämpften um ihr Leben, mal ging der eine zurück, mal der andere. Dann, als beide schon der Erschöpfung nahe waren, konnte der Sachse endlich dem

Königssohn die Kehle mit dem Sachs durchstoßen.

Als die Wikinger sahen, daß ihr Anführer getötet worden war, flüchteten sie kurzerhand auf ihren wendigen Schiffen.

Nachdem die Sachsen erfahren hatten, daß sie den Sohn des Wikingerkönigs Rörik überwunden und getötet hatten, nannten sie das Moor, in dem die Schlacht stattgefunden hatte, fortan das »Königsmoor«.

Der Erzbischof Rembert befreite den Sohn eines Königs vom bösen Geist

Es war zum Verzweifeln.

Wann immer der Sohn des Königs – vermutlich war es König Ludwigs Sohn Karl – mit den Großen des Reiches zu tun hatte, pöbelte sie ein böser Geist aus dem Munde des Prinzen an. Er nannte sie Stümper und behauptete, daß sie ihren Aufgaben im Reich nicht gewachsen seien.

Ob nun der Geist recht hatte oder nicht – es gehörte sich einfach nicht, die ehrwürdigen Berater des Königs zu beleidigen. Und so wurden die Erz­bischöfe des Reiches gebeten, nach Frankfurt zu kommen, um den unglücklichen Prinzen von dem unwirschen Geist zu befreien.

Die Kirchenfürsten gaben sich alle Mühe, versuchten dieses und jenes – allein, es war vergebens.

Schließlich erschien der Bremer Erzbischof Rembert, der mit besonderer Gehässigkeit vom Geist im Prinzen empfangen wurde.

 

Doch, siehe da, ihm gelang es, den Prinzen von seiner Qual zu befreien.

Fortan schwieg der böse Geist still.

Zum allseitigen Bedauern der Politiker unserer Zeit, die sich von den Medien so manches böse Wort sagen lassen müssen, hat Rembert das Rezept, mit dem er den Prinzen behandelte, mit ins Grab genommen.

Wie der heilige Rembert das Meer beschwichtigte

Der Bremer Erzbischof Rembert (865–888), nach dem die Rembertistraße und das St. Remberti-Stift in Bremen benannt worden sind, hatte einmal in Schweden zu tun, um die dort mit ihrem Gefolge lebenden Heiden zu bekehren.

Er begab sich auf ein Handelsschiff, das gerade nach Schweden fuhr. In der Nordsee aber geriet das Schiff in einen kräftigen Sturm, so daß selbst die hartgesottensten Seeleute Angst um ihr Leben bekamen. Manch einer von ihnen sah sein letztes Stündlein gekommen.

Nicht so der Erzbischof Rembert.

Er wurde zwar seekrank, versenkte sich aber, ohne sich weiter um die Seekrankheit zu kümmern, in ein inbrünstiges Gebet und bat den lieben Gott, das Meer zu beruhigen.

Und tatsächlich, das Meer wurde ruhig, der Erzbischof wurde gesund, und die Reise verlief fortan ohne Zwischenfälle.

Der Riese Hüklüt

Vor Zeiten lebte nicht weit von Bremen der Riese Hüklüt. Er war ein schrecklicher Kerl mit gewal­tigen Kräften. Tausend Ochsen konnte er auf einmal nach Hause schleppen und anschließend verspeisen. Und was das schlimmste war, er fraß nicht nur Ochsen, er fraß auch Menschen.

In jenen Jahren waren von Holstein her die Sachsen an die Weser gekommen. Sie piesackten die einheimischen Chauken, und die Stärksten von ihnen wurden zu Herzögen ernannt. Aber selbst diese tapferen Männer gingen dem Riesen Hüklüt wohl­weis­lich aus dem Weg.

So kam es eines Tages, daß sich der Riese Hüklüt selbst zu einem Fest des Sachsenherzoges Rugbrok einludt, und die ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzte.

Zu diesem Fest war auch ein junger Fischer – er hieß Dietrich – eingeladen, der im Verlauf des Abends von dem Riesen entführt wurde. Als Dietrich schon dachte, sein letztes Stündlein habe geschlagen, bemerkte er die gute Laune des Riesen.

Das war seine Rettung, denn so konnte Dietrich mit allerlei Tricks und Schöntuerei das Wohlwollen und das Vertrauen des Riesen gewinnen. Hüklüt nahm Dietrich mit in seine Höhle und spielte mit ihm, wie man heutzutage mit Puppen oder mit Zinnsoldaten spielt.

Eines Tages ließ sich der Riese von Dietrich beschwatzen, mit ihm einen Ausflug nach Bremen zu unternehmen.

Wir wissen nicht, was die beiden im einzelnen in Bremen getrieben und erlebt haben. Wir wissen nur, daß der Fischer seinem ungehobelten Begleiter den Rat gab, recht viel Sand von der Bremer Düne einzusammeln, den man – so verriet Dietrich dem Riesen – auf der weiteren Wanderung gewiß gut gebrauchen könne.

Hüklüt fand Gefallen an dem Gedanken und stopfte sich die Taschen voll, so daß von der berühmten Bremer Düne nicht mehr viel übrig geblieben wäre, hätte Dietrich nicht zum Aufbruch gedrängt. Denn der Tag neigte sich dem Ende zu, und die Reise mußte unbedingt weitergehen, da man für die Nacht noch kein Quartier hatte.

So lockte der listige Dietrich den tonnenschwer mit Sand beladenen Hüklüt geradewegs ins Teufelsmoor. Der moorige Boden gab unter dem gewaltigen Gewicht des Riesen nach, und Hüklüt sank tiefer und tiefer.

Da erst erkannte er, daß er in eine Falle getappt war. Doch noch ehe er für alle Zeiten im Moor verschwand, holte er eine Handvoll Sand aus seiner Tasche und warf den Sand hinter dem flüchtenden Dietrich her.

Er verfehlte sein Ziel. Dort aber, wo der Sand niederfiel, entstand ein Berg – der Weyerberg in Worpswede.

Dietrich kehrte zurück an den Hof des Sachsenherzogs Rugbrok und berichtete vom Ende des Riesen Hüklüt. Es versteht sich von selbst, daß Dietrich wie ein Held gefeiert wurde. Und als Belohnung bekam er die Tochter des Herzogs, die Meta hieß, zur Frau.

Die Bremer aber fahren immer wieder gern nach Worpswede, um über den Weyerberg zu wandern, den sie als ureigenes bremisches Gebiet betrachten.

Eine andere Geschichte über den Riesen Hüklüt verdanken wir Lüder Halenbeck, der 1878 das Buch »Ausflüge in Bremens weitere Umgebung« geschrieben hat. Danach berichtet eine Sage, daß »unter Hengist und Horsa im Jahre 449 nach Christus auch ein gewisser Dietrich, ein armer Bauerssohn, mit nach England gegen die Picten und Scoten zog«. Die Reise soll übrigens, wenn man den Berichten glauben darf, von Bremen aus angetreten worden sein.

Dietrich aber brachte es durch Tapferkeit und Klugheit zu höchsten Würden im angelsächsischen Heer, kehrte aber schließlich, ergriffen von großer Sehnsucht nach seinem greisen Vater, in die Heimat zurück.

Hier hauste nun Hüklüt, der größte und gefürchtetste aller Hünen. Auf seinen Wanderungen benutzte er einen aus dem Boden gerissenen Baumstamm als Spazierstock und trug eine große aus 72 Auer­ochsenhäuten zusammengenähte Schürze. Diese füllte er mit geraubten Menschen, um sie am Blocksberg, seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort, zu verspeisen.

Dietrich faßte den kühnen Entschluß, seine Landsleute von dem Unhold zu befreien. Er suchte den gefürchteten Riesen am Blocksberg auf, besänftigte ihn durch sein liebliches Flötenspiel und gewann so sehr das Vertrauen des Hünen, daß er ihn zu einem Besuch der norddeutschen Moore verleiten konnte.

Unweit von Bremen, riet Dietrich dem Riesen Hüklüt, seine große Schürze in den nahe gelegenen Dünen mit Sand zu füllen.

Damit sollte er sich im Sumpf einen sicheren Pfad legen – der Ort, wo der Hüne die Dünen »griff« oder wie man damals sagte »gröp«, heißt noch heute »Gröpe« oder Gröpelingen. Nachdem sich der Riese ausgiebig bedient hatte und die Taschen seiner großen Schürze prall gefüllt waren, wanderten die beiden weiter.

Als sie an die Wümme kamen, passierte Hüklüt ein kleines Malheur: Beim Waten durch das Wasser entschlüpfte dem Riesen der eine Zipfel seiner Schürze und ein kleiner Sandhaufen rieselte heraus. Darauf steht heute noch das Dorf Wasserhorst.

Bei der weiteren Wanderung ging Dietrich eine Strecke voraus, um, wie er dem Riesen erzählt hatte, die sichersten Pfade zu suchen. Doch plötzlich versank Hüklüt im Sumpf. Er brüllte und tobte, daß die Erde weithin erzitterte. Als er merkte, daß sein Führer keine Hilfe brachte, warf er dem entfliehenden Dietrich den ganzen Rest des Sandes nach, um ihn darunter zu begraben. Doch Dietrich war schon zu weit weg.

Die im Moor wohnenden Menschen, die den gewaltigen Sandhaufen durch die Luft fliegen sahen, glaubten anfänglich, daß der Wind ihn hergeweht, »geweiht«, habe, und sie nannten den Haufen von Stund’ an »Weiherberg«.

Das Moor aber, in dem Hüklüt versunken war, nannten die Menschen das »Teufelsmoor«, denn sie hatten den Hünen wie den Leibhaftigen gefürchtet.

Der Riese Hüklüt hat die Phantasie der Menschen in Bremen und Umgebung immer wieder beflügelt. Uschi Stroux schreibt über ihn in dem Buch Im Land der Moore und Deiche:

Sie müssen wissen, daß das Moor nicht immer so war, wie es Ihnen jetzt erscheint. Die sandigen Stellen und Hügel zum Beispiel, auf denen wir Menschen besser bauen können, sind nicht von Menschenhand geschaffen. Der Riese Hüklüt war es, der den Sand herbeigeschafft hat.

Ja, Sie haben da schon richtig gehört!

Er wohnte vor langer, langer Zeit im Moor und hatte es satt, bei seinen beschwerlichen Wegen durch das Moor immer wieder nasse Füße zu bekommen.

Da Hüklüt ein bißchen schlauer war als seine Artgenossen, kam er auf die Idee, seine Wege mit Sand aufzuschütten, um ungehindert vorankommen zu können.

Gleich am nächsten Tag ging er in die Stadt und kaufte einen Sandsack. Dieser hatte aber ein Loch, das der Riese nicht bemerkte. Bei jedem Schritt verlor er ein bißchen von seinem Sand. Sein erster Schritt brachte ihn nach Hagensfähr. Auf dem sandigen Untergrund entstand später die Warf an der Wümme.

Den nächsten Schritt machte er bis Sankt Jürgensfelde. Heute steht die Kirche St. Jürgen auf der Stelle, an der der Riese den zweiten Sandhaufen verlor. Dort bemerkte er auch das Loch, und nachdem er schon soviel von seinem Sand verloren hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als den Rest – so gut es ihm möglich war – in der Gegend zu verstreuen. So sind die vielen sandigen Stellen und Hügel im Teufelsmoor entstanden.

Als er dies getan hatte, und dabei wieder einen weiteren Schritt gemacht hatte, drückte es ihn am Fuß. Er zog seine riesigen Stiefel aus und bemerkte ein Sandkorn, das ihm wohl während der Arbeit in den Stiefel gefallen war. Voller Zorn über sein Unglück und seinen mißlungenen Plan schüttete er dieses Sandkorn aus.

Es war aber kein gewöhnliches Sandkorn, oder der Riese Hüklüt war kein gewöhnlicher Riese, oder aber der Zorn des Riesen Hüklüt war kein gewöhnlicher Zorn. Jedenfalls entstand aus diesem Sandkorn der Weyerberg, der als die höchste Erhebung im Teufelsmoor noch immer zu bewundern ist. Der Riese muß dann wohl, wie seine anderen Artgenossen, fortgegangen sein. Jedenfalls hat ihn hier kein Menschenauge mehr gesehen.

Die kürzeste Sage vom Weiherberg erzählt Johann Georg Kohl in seinen »Nordwestdeutschen Skizzen« von 1864:

Die Mythe sagt, – wie sie denn dies von vielen in unserm Moore verstreuten Sandbergen erzählt, – daß ein »Hüne«, den Sand austheilend im Land umhergewandelt sei, sie aufgebaut habe, wie der griechische Hercules seine berühmten Felsensäulen am Eingang des mittelländischen Meeres.

Die Hunnen in der Marterburg

Es war in den Jahren 915 bis 917, als die Hunnen mit ihren schnellen Pferden Mitteleuropa überrannten. Sie verbreiteten überall Schrecken, plünderten und mordeten und kamen schließlich sogar bis nach Bremen.

Sie veranstalteten unter den Bremern ein schreckliches Gemetzel, steckten die Kirchen in Brand und töteten die Priester, die vor den Altären Schutz gesucht hatten.

Auf dem Höhepunkt des furchtbaren Geschehens zog aber ein Gewitter auf, das sich auf der anderen Seite der Weser gebildet hatte und sich mit Donner und Blitz über Bremen entlud, wie seit Menschengedenken kein Gewitter über Bremen getobt hatte.

Viele der Hunnen, die sich für unbesiegbar hielten, wurden vom Blitz erschlagen, manche flüchteten voller Schrecken und liefen in blinder Angst zur Weser, sprangen hinein und fanden in den aufgewühlten Wellen den Tod. Andere waren über die Domsheide gerannt, um das Ostertor und damit das freie Feld zu erreichen.

Die Bremer Bürger aber machten sich die Angst der Hunnen zu Nutze und trieben sie in eine enge Straße hinein.

Die Feinde stellten sich sofort auf die neue Situation ein, denn sie glaubten, sich in der engen Gasse gut verteidigen zu können. Sie hofften, die nahe Weser zu erreichen, wo sie sich vielleicht mit gestohlenen Schiffen hätten retten können.

In diesem Augenblick der Zuversicht öffneten sich die Fenster der Häuser über den Häuptern der Hunnen, und die Bremer Frauen gossen siedendes Wasser und Öl auf sie herab.

Fast alle Eindringlinge starben eines jämmerlichen und martervollen Todes.

Bremen aber war gerettet und der Vormarsch der Hunnen war für alle Zeiten gestoppt worden.

Die Straße, in der die Hunnen geschlagen wurden und eines martervollen Todes gestorben waren, heißt bis auf den heutigen Tag die »Marterburg«.

Sie liegt im Schnoorviertel.

Der Mord an drei Nonnen

Etwa dort, wo sich heute die St. Stephani-Kirche erhebt, befand sich in uralten Zeiten ein Nonnenklo-

ster. Es mag vor tausend Jahren gewesen sein – wir wollen das nicht so genau nehmen, denn auf ein Jahr mehr oder weniger kommt es nicht an.

Eines Nachts herrschte ein fürchterlicher Sturm, und rabenschwarze Wolken bedeckten den Himmel. In Bremen blieb jedermann, der es einrichten konnte, zu Hause, und wer ins Bett ging, zog sich die Decke weit über den Kopf, um das schrecklche Brausen nicht hören zu müssen.

Es war schon spät, als ein Bösewicht an die Klo­sterpforte klopfte. Die Pförtnerin schaute hinaus, fragte nach dem Begehr des Mannes, und dem gelang es mit trickreichen Worten, drei Klosterfrauen aus dem Schutze der Mauern hervorzulocken.

Er tat ihnen Übles, ermordete sie und verscharrte sie im Sand.

Der Zufall fügte es, daß eben in jener Nacht die Magd des Bürgermeisters Cord von Gröpelingen, der im Eckhaus Obern-/Kreyenstraße wohnte, eine Wette einlösen wollte.

Die Magd hatte mit dem alten Diener des Bürgermeisters gewettet, daß sie trotz des Unwetters und obwohl die Nacht, wie sie sagte, keines Menschen Freund sei, zur Richtstätte in der Nähe des Nonnenklosters gehen würde. Dort war tags zuvor ein Verbrecher aufs Rad geflochten und vom Leben zum Tode befördert worden. Dem wollte sie das Barett vom Kopf nehmen und dem Diener bringen.

 

Der Diener, der sowieso nicht an den Wagemut der Magd glaubte, nahm die Sache gar nicht ernst. Leichtsinnig versprach er ihr einen neuen Rock, falls sie die Wette gewönne.

Und was niemand erwartet hatte – als die Nacht begann, verließ das Mädchen ohne zu zögern das Haus. Sie ging die Langenstraße hinunter, überquerte die Kleine Balge und erreichte die Richtstätte, wo sie alsbald, das Grauen mit der Aussicht auf einen neuen Rock überwindend, die Hand nach dem Barett aus­streckte.

In diesem Augenblick bemerkte die Magd den Bösewicht, der eben damit beschäftigt war, die letzte der drei Klosterfrauen zu töten. Sie hörte den Todesschrei der Frau und erschauerte. Gleichzeitig aber gewahrte sie das Pferd des Bösewichts. Es war in ihrer Nähe angepflockt und scharrte ängstlich und unruhig mit den Vorderhufen.

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