Die verbannte Prinzessin

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Die verbannte Prinzessin
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Heinrich Thies

Die verbannte Prinzessin

Das Leben

der Sophie Dorothea.

Romanbiografie


2. Auflage

© 2007 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe

info@zuklampen.de · www.zuklampen.de

Umschlag: Matthias Vogel (paramikron), Hannover,

unter Verwendung eines Portraits der Prinzessin

von Jacques Vaillant (um 1690)

Mit freundlicher Genehmigung des Bomann-Museums Celle

Satz: thielenVERLAGSBÜRO, Hannover

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

Abbildung auf dem Frontispiz mit freundlicher Genehmigung

des Historischen Museums Hannover

ISBN 9783866743403

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Sophie Dorothea, Prinzessin von Hannover

Hoher Besuch

Die geplatzte Verlobung

Die bittere Pille

Die Hochzeit

Fürstlicher Glanz und erbärmlicher Gestank

»Monplaisir«

Im Korsett der Etikette

Mutterglück

Karneval in Venedig

Eifersucht

Zurück an die Leine

Der erste Tanz

Krieger und Kavalier: Philipp Christoph Königsmarck

Die Briefe

Allerlei Heimlichkeiten

Nächtliches Rendezvous

Ende einer Verschwörung

Polonaise hüllenlos

Die Kurwürde

Spaziergang in Herrenhausen

Mütterliche Ermahnung

Briefe zwischen den Fronten

Die Schlacht bei Steenkerke

Zerstreuungen nach der Schlacht

Gefährliches Wiedersehen

Kalte Nacht und heißer Karneval

Landpartie

Die Nervosität wächst

Unerwarteter Besuch

Zu neuen Ufern

Rendezvous mit tödlichem Ausgang

Nachsorge

Arrest in Ahlden

Das Schicksal der Confidente

Der Prozess

Im goldenen Käfig

Der Fluch der bösen Tat

Die Befreiung

Hafturlaub

Jagdausflug

Act of Settlement

Der Tod des Vaters

Prunkvolle Heirat

Ende einer Freundschaft

Nachrichten aus einer anderen Welt

Der Tanz der alten Damen

Abendröte

Umzug nach London

Der Brand

Die Taufe

Rätselhafte Besucher

Enttäuschungen

Nachwort

Verwendete Literatur

Karte: Schauplätze einer Affäre

Stammtafel der Welfen zur Zeit des Barock

Dank


Sophie Dorothea, Prinzessin von Hannover

* 15. 9. 1666 Celle, † 13. 1. 1726 Ahlden

Öl auf Leinwand, 74 x 61 cm,

von Louis Ferdinand (?), ca. 1682

Hoher Besuch

Celle, September 1682. Nebel hing noch über den Wiesen, als gegen sechs Uhr in der Frühe eine herrschaftliche Kutsche die Stadtgrenze von Celle passierte. Es war kühl, nur wenig über Null. Die Herzogin von Hannover fröstelte, als sie den Vorhang vor ihrem Kutschenfenster zurückschob, um einen Blick auf das Schloss zu werfen, das sich mit seinen ockergelben Mauern wie eine Festung vor ihr erhob. Trotz der Brokatkissen, mit denen sie die roten Samtpolster zusätzlich abgepolstert hatte, waren ihr die Stöße der holprigen Fahrt in die Knochen gefahren. Sie fühlte sich wie zerschlagen.

Bereits am Vorabend war sie in Hannover aufgebrochen. Es hatte tagelang geregnet. Da war es klar, dass die Kutsche nur in gedrosseltem Tempo vorankommen würde. Sophie hatte gehofft, während der nächtlichen Fahrt schlafen zu können, war aber immer wieder aufgeschreckt – ob beim Pferdewechsel im Posthof Engensen oder bei den unfreiwilligen Aufenthalten, die der Schlamm erzwang.

Aber jetzt schien die Sonne, der Nebel lichtete sich, und die Hähne krähten aus den engen Gassen des Fachwerkstädtchens einem schönen Herbsttag entgegen.

Das Ziel war erreicht. Die Wachen am Schlossgraben erkannten das hannoversche Wappen, sie grüßten ehrerbietig und ließen die schlammbespritzte Equipage passieren. Ein Page öffnete den Kutschenschlag mit respektvoller Verbeugung und half dem hohen Besuch beim Aussteigen. Doch kaum hatte die Fürstin den Schlosshof betreten, kam es auch schon zu einem Wortwechsel.

»Führt mich bitte unverzüglich zum Herzog«, forderte Sophie den Oberhofmeister auf.

»Ich bin untröstlich, Euer Durchlaucht, aber Seine Hoheit befinden sich noch im Schlafgemach …«

»Noch im Bett? Das überrascht mich nicht, aber es ist auch ganz gleich. Ich muss ihn sofort sprechen. Unverzüglich – von mir aus im Bett, angekleidet oder unangekleidet.«

 

»Aber Euer Durchlaucht, das geht doch …«

»Wie bitte? Was hier geht oder nicht geht, das zu entscheiden, mein Herr, überlasst bitte mir.«

»Aber …«

»Kein Aber. Aus dem Weg.«

Mit diesen Worten ließ die Dame im goldbestickten Reisekostüm den Hofbeamten stehen und schritt auf das Schlossportal zu. Vorbei an verdutzten Wachen und Pagen, Mägden und Schlossfräuleins steuerte sie die Gemächer des Herzogs im Ostflügel an, ging über große Treppen, durch verwinkelte Gänge, vorbei an goldgerahmten Porträts mit den stumpfen Blicken längst verblichener Fürsten.

Sie war zwar schon viele Jahre nicht mehr im Celler Schloss gewesen, doch sie kannte den Weg noch gut. Sie hatte Herzog Georg Wilhelm schließlich einmal sehr nahe gestanden, war mit ihm sogar verlobt gewesen. Aber was zählten schon die Regungen des Herzens? Liebe? Nein, Liebe, das war für die Herzogin von Hannover eine höchst gewöhnliche Empfindung. Wer vorankommen wollte in der Welt, hatte seinen Kopf zu gebrauchen. Und wenn man wie Sophie königlichem Geblüt entstammte, Tochter des »Winterkönigs«, des pfälzischen Königs Friedrichs V. von Böhmen war, Enkeltochter Jakobs I. von England und damit Nachfahrin Maria Stuarts, eine echte Stuart, dann hatte man sein Leben bedeutenderen Zielen zu unterwerfen: den Gesetzen der Politik, den Spielregeln der Macht – und zwar nicht nur im eigenen Interesse, sondern vor allem im Interesse der Nachkommen. Darum hatte Sophie von der Pfalz eingewilligt, als Georg Wilhelm sie gebeten hatte, ihre Zuneigung fortan seinem jüngeren Bruder Ernst August zu schenken. Denn der ältere Spross des Welfenhauses verspürte seinerzeit keinen besonderen Drang, sein Leben in den Dienst von Regierungsgeschäften zu stellen. Georg Wilhelm zog das Junggesellenleben vor: Jagd und opulentes Essen, Reisen nach Frankreich, Holland und Venedig, Musik und Theater. So beschloss er, Ernst August die kluge Sophie abzutreten, ebenso wie seine Erbansprüche. Alle Ländereien sollten nach seinem Tode dem Bruder zufallen.

Aber dann hatte sich alles anders entwickelt. Ganz anders. Sophie war nie darüber hinweggekommen: Georg Wilhelm hatte diese Französin geheiratet, eine Landadelige, die Tochter einer Hugenottenfamilie niederer Herkunft: Eleonore d’Olbreuse – den »kleinen Dreckhaufen«, den »Mäusedreck«, wie Sophies Nichte Liselotte von der Pfalz sie in scharfzüngigen Briefen nannte. Und die Lästerzunge sprach Sophie aus dem Herzen. Immer mehr Rechte und Besitztümer hatte Georg Wilhelm nach und nach seiner Madame zugeschustert. Und dann war aus der Verbindung auch noch eine Tochter hervorgegangen, die nachträglich vom Kaiser in Wien als erbberechtigte Prinzessin legitimiert worden war: Sophie Dorothea, geboren am 10. September 1666. In den Augen Sophies ein »Bastard«, mit dem sich ihr Herr Schwager da ungeniert über alle Abmachungen hinwegsetzte. Kein Wunder, dass dieses Zuckerpüppchen als eine der besten Partien in Deutschland galt! Wer die Prinzessin von Celle zum Traualtar führte, erhielt als Zugabe das Fürstentum Lüneburg, das eigentlich ihrem Ältesten zustand, gleich mit. O nein, da konnte sie nicht tatenlos zusehen. Um Himmels Willen!

Die höchste Alarmstufe war erreicht, als Sophie über Andreas Gottlieb von Bernstorff, den hannoverschen Spitzel am Celler Hof, erfuhr, dass Sophie Dorothea mit dem Sohn von Herzog Anton Ulrich von Wolfenbüttel verlobt werden sollte – einem Vetter, aber gleichzeitig auch Intimfeind des Herzogs von Hannover. Das hatte gerade noch gefehlt!

Schon am nächsten Tag sollten Vater und Sohn aus Wolfenbüttel in Celle eintreffen, um die Verbindung perfekt zu machen – aus Anlass des 16. Geburtstages von Sophie Dorothea, der erst vier Tage zurücklag.

Die Depesche aus Celle hatte in Hannover einen Wutausbruch nach sich gezogen. Als Herzog Ernst August sich einigermaßen gefasst hatte, besprach er mit seiner Frau, was zu tun sei. Und schnell stand für ihn fest, dass Sophie, in Verhandlungen sehr geschickt, die Angelegenheit mit ihrem Schwager klären sollte.

»Das darfst du nicht von mir verlangen, dass ich bei dieser Madame zu Kreuze krieche«, wandte die Herzogin zunächst ein. Aber dann begriff sie, dass sie keine andere Wahl hatte. Um zu verhindern, dass die gewaltige Mitgift dem Feind zufiel, musste sie klein beigeben und in Celle um die Hand Sophie Dorotheas anhalten – stellvertretend für ihren Ältesten, stellvertretend für Georg Ludwig.

Ohne anzuklopfen ging sie ins Schlafgemach. Der Heideherzog saß gerade am Frisiertisch, um sich die Morgenperücke aufsetzen zu lassen. Sein kurzgeschorenes fuchsrotes Haar leuchtete in der Sonne, die durch das Schlossfenster schien. Neben Tabak- und Puderdosen, Parfümflakons und Frisierspiegeln dampfte die heiße Frühstücksbouillon. Doch Sophie achtete nicht darauf. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, setzte sie sich neben den einstigen Verlobten. Dem Herzog, sonst nie um einen deftigen Spruch verlegen, fiel es schwer, seine Verblüffung in Worte zu fassen.

»Du? Sophie? Wo kommst du her?«

Die Angesprochene nutzte die Verwirrung des Schwagers und bestimmte von vornherein die Richtung des Gesprächs.

»Ich bin gekommen, weil ich Deiner Tochter zum Geburtstag gratulieren wollte«, begann sie. »Ich war die ganze Nacht unterwegs, entschuldige also bitte, wenn ich ein wenig abgehetzt bin.«

»Natürlich, selbstverständlich. Schön, dass du da bist. Du musst durstig sein. Was darf ich dir …?«

»Danke, nicht nötig.«

Der Herzog von Celle hatte in dieser frühen Morgenstunde immer noch nicht begriffen, wie ihm geschah. Doch die Besucherin gab ohnehin den Ton an.

»Schön ist es hier geworden. Wundervoll, wirklich. Was für prächtige Leuchter?«

»Ja, die sind wirklich sehr schön, wir haben das Glas aus Murano kommen lassen. Oh ja, Venedig, das waren noch Zeiten. Ich darf gar nicht daran denken.«

Die altbekannten Fernwehattacken, Sophie ging erst gar nicht darauf ein. »Auch die Decke scheint neu zu sein«, fuhr sie fort. »Schön, diese weißen Stuckarbeiten. Wirklich, sehr geschmackvoll.«

»Ja, die hat uns ein Italiener gemacht. Wie heißt er noch? Tonelli?

»Du meinst Tornielli – Giovanni Batista Tornielli.«

»Natürlich, Tornielli, der war’s. Meine Frau hätte es sofort gewusst, aber ich kann mir diese Namen einfach nicht merken.«

»Wo ist denn eigentlich die Madame, äh, ich meine, die Herzogin?«

Anstatt zu antworten, zeigte Georg Wilhelm zunächst nur auf die halb geöffnete Tür. Er räusperte sich. »Die Herzogin liegt noch im Bett.«

Doch sie war offenkundig bereits wach. »Was ist denn da los?«, rief Eleonore plötzlich mit verschlafener Stimme aus dem Nachbarraum. »Was macht ihr für einen Lärm so früh am Morgen.«

»Besuch aus Hannover, mein Schatz. Sophie ist gekommen«, antwortete der Herzog. »Aber lass dich durch uns nicht stören, schlaf ruhig noch ein wenig, mein Liebling.«

Nun sah sich auch die Besucherin genötigt, ein Wort der Begrüßung an die Unsichtbare unterm Baldachin im Nebenzimmer zu entrichten. »Guten Morgen, Gnädigste. Ich bin gekommen, Eurer Tochter meine Glückwünsche zum Geburtstag zu entrichten.«

»Wie freundlich.«

Doch Eleonore d’Olbreuse war so entsetzt über den unerwarteten Besuch, dass sie sofort wieder verstummte.

Mit gedämpfter Stimme fuhr Sophie fort, auf ihren Schwager einzureden. Bevor sie zur Sache kam, umgarnte sie ihren Gesprächspartner weiter mit Freundlichkeiten.

»Wie lange ist es nur her, dass wir zusammengesessen haben. Ach, es ist alles so schwierig geworden, mein Lieber. Ich finde, es wird Zeit, dass wir unsere Empfindlichkeiten allmählich überwinden und miteinander verkehren, wie es sich für eine Familie gehört. Meinst du nicht auch?«

»Du sprichst mir aus dem Herzen.«

»Wunderbar. Das wird auch dein Bruder gern hören, er sehnt sich schon lange danach, wieder einmal mit dir zur Rebhuhnjagd zu fahren. Ich soll übrigens herzliche Grüße von ihm ausrichten.«

»Vielen Dank, Sophie. Sehr freundlich. Bitte grüße ihn auch von mir.«

»Mit dem größten Vergnügen.«

Sie faltete die Hände. »Georg Wilhelm«, setzte sie neu an. »Du weißt, Ernst August schätzt dich wirklich sehr, und er bedauert, dass ihr euch in den vergangenen Jahren so weit voneinander entfernt habt.«

»Mir geht es genauso.«

»Da wirst du mir zustimmen, dass wir alles tun sollten, um das Band zwischen Celle und Hannover wieder enger zu knüpfen.«

Sie nahm einen Schluck von der heißen Schokolade, die ihr ungebeten gebracht worden war.

»Ich glaube, die Chancen sind ausgezeichnet. Ich möchte dir einen Vorschlag machen.«

Daraufhin präsentierte sie dem Herzog ihren Heiratsplan.

Georg Wilhelm war so gerührt von den versöhnlichen Worten, so erfüllt von der Hoffnung auf ein Ende der Eiszeit zwischen Hannover und Celle, dass es ihm gar nicht in den Sinn kam, Bedenken zu äußern. Das Problem war nur: Wie konnte er seine Frau und seine Tochter von dem neuen Plan überzeugen?

Die geplatzte Verlobung

Er wandte all sein diplomatisches Geschick auf, doch die Floskeln und Liebenswürdigkeiten prallten ab an der Herzogin von Celle. Die sonst so charmante Französin tobte, als Georg Wilhelm ihr das Ergebnis seiner Unterredung mit Sophie mitteilte.

»Wie kannst du mir das antun?«, fauchte sie ihn an. »Wie kannst du es wagen! Unser Kind mit diesem plumpen Kerl zu verheiraten? Unseren Schatz in die Hände einer Frau zu geben, die mich bisher nur verachtet hat, die mich behandelt hat wie, wie eine Zofe, ja schlimmer: wie eine dahergelaufene Küchenmagd. Wie den letzten Dreck!«

Und dann erstarben ihre Worte in heftigem Schluchzen.

Georg Wilhelm ließ der Gefühlsausbruch nicht kalt. »Eleonore bitte, du musst verstehen, mir fällt es auch nicht leicht«, redete er auf sie ein, während er nervös an seiner Perücke herumnestelte. »Du weißt, was mir unsere Tochter bedeutet. Sophie Dorothea ist mir das Liebste auf der Welt, neben dir selbstverständlich. Aber glaub mir, es ist das Beste für sie. Sie wird eine glänzende Zukunft haben. Und für uns, Eleonore, für uns ist es auch gut so. Wir werden endlich wieder mit Ernst August und Sophie verkehren, wie es sich für eine Familie gehört. Du wirst sehen, Sophie meint es gut. Sie wird dich in ihre Arme schließen wie eine Schwester. Glaub mir …«

»Das kann nicht dein Ernst sein.« Eleonore schlug sich die Hände vor die Augen. »Lieber werde ich eine Natter an meine Brust drücken, als mich von diesem Biest in die Arme nehmen zu lassen. Ich habe nichts vergessen. Nichts.«

Der Herzog wusste, wie groß die Verletzung war, die Sophie seiner Braut zugefügt hatte, als sie aus ihrem holländischen Exil gekommen war. Wie eine Freundin hatte sie Eleonore auf dem Schloss in Osnabrück empfangen, wo sie damals an der Seite ihres Mannes Ernst August als Fürstbischöfin residierte. Doch dann war immer deutlicher geworden, dass sie Eleonore nicht als seine rechtmäßige Gemahlin betrachtet hatte, sondern als eine gewöhnliche Mätresse. Nicht einmal an der herrschaftlichen Tafel durfte sie sitzen. Und Georg Wilhelm war sich bewusst, dass er die Schuld an all dem trug. Er selbst hatte ja seinem Bruder versprochen, der Ehe zu entsagen, sich »keineswegs in eine Heirat einzulassen«, wie es in dem Kontrakt stand. Aber dann hatte er im holländischen Breda diese bildschöne Französin kennen gelernt und alle Vorsätze über Bord geworfen.

Wer war diese Eleonore d’ Olbreuse? Sie entstammte der Provinz Poitou an der französischen Westküste, war 1639 auf dem Schloss Olbreuse zur Welt gekommen. Weil ihre Familie sich zu Calvin und dem Protestantismus bekannte, war sie den Reformierten, den Hugenotten zugerechnet und verfolgt worden. Schließlich entschloss sie sich, Frankreich zu verlassen und nach Holland zu emigrieren. Und in Breda traf sie Georg Wilhelm, der sich sofort in sie verliebte, »in ihre Schönheit, ihre Anmut, ihre feine Art«, wie er schrieb.

Am 15. März 1665 starb Georg Wilhelms älterer Bruder Christian Ludwig, der Chef des Welfenhauses, und Georg Wilhelm, bisher Herzog von Calenberg, wurde durch den Todesfall zum Herzog von Celle. Schon wenige Monate später ließ er seine Geliebte mit einer sechsspännigen Kutsche nach Deutschland holen. Er konnte ihr zwar nicht die Ehe anbieten, das verbot der Kontrakt, doch er gelobte Eleonore ewige Treue und bot ihr einen Vertrag an, den auch sein Bruder Ernst August und seine Schwägerin Sophie gegenzeichneten. In dem Vertrag hieß es: »Da die Zuneigung zu meinem Bruder mich zu dem Entschluss geführt hat, niemals zu heiraten, zu seinem und seiner Kinder, als Erben, Vorteil, ein Beschluss, den ich niemals zurücknehmen werde, und da Fräulein d’Olbreuse entschlossen ist, mit mir zu leben, verspreche ich, sie niemals zu verlassen und ihr zweitausend Taler jährlich, nach meinem Tode aber eine Rente von 6000 Taler auszusetzen.«

 

Eine richtige Hochzeit konnte natürlich nicht gefeiert werden; es blieb bei einer morganatischen, lediglich eheähnlichen Verbindung. Am Celler Hof galt Eleonore zunächst auch nicht als Gemahlin des Herzogs, sondern als dessen Freundin. Nach einer Provinz am Rande des Herzogtums billigte man ihr den Titel »Frau von Harburg« zu, nannte sie »Madame«. Doch nach der Geburt von Sophie Dorothea ließ Herzog Georg Wilhelm nichts unversucht, um den Status seiner Frau aufzuwerten. Er überschrieb ihr Ländereien und setzte sich bei Kaiser Leopold I. in Wien für sie ein. Mit Erfolg. Schon nach drei Jahren gewährte der Kaiser »Frau von Harburg« das Recht, den Titel einer Gräfin von Wilhelmsburg zu führen. Der Kaiser war auf die Unterstützung der Hannoveraner bei seinen Kriegen gegen die Türken und Franzosen angewiesen, und er zeigte sich erkenntlich für die Soldaten aus Norddeutschland, die der Herzog von Celle ihm und seinen Verbündeten überließ. So erfüllte sich endlich der sehnlichste Wunsch Eleonores: die Anerkennung ihrer Ehe – und ihres Kindes. »Ich glaube, jetzt ist der Augenblick gekommen, wo ich an meine Hochzeit denken kann«, jubelte der Heideherzog.

Sophie indessen versuchte alles, die Trauung zu hintertreiben. Doch vergebens. Am 2. April 1676 konnten Georg Wilhelm und Eleonore in Celle die Einsegnung ihrer Ehe feiern. Ernst August und Sophie blieben dem Festakt fern. Unter den Gästen dagegen war Herzog Anton Ulrich aus Wolfenbüttel. Und dies hatte einen ganz besonderen Grund. Denn anlässlich der kirchlichen Zeremonie wurde die Verlobung der zehnjährigen Prinzessin Sophie Dorothea mit Prinz Friedrich August, dem Sohn des Gastes aus Wolfenbüttel, bekannt gegeben. Doch noch ehe die Nachricht Proteste der Hannoveraner nach sich ziehen konnte, fiel Friedrich August von Wolfenbüttel bei der Belagerung von Philippsburg einer französischen Kanonenkugel zum Opfer. Unerfüllte Liebe und früher Tod – wie so oft in dieser Zeit verlosch auch in diesem Fall ein Leben, lange bevor es sich entfalten konnte.

Das war aber noch lange kein Grund, in Trübsal zu versinken. Die Tage der Angst waren vorbei. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges war eine ungeheure Lebenslust im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation erwacht. Wer es sich nur irgendwie leisten konnte, genoss sein kurzes Erdendasein in vollen Zügen. Und da der Westfälische Friede den Landesfürsten nahezu uneingeschränkte Souveränität gegenüber dem Kaiser in Wien bescherte, baute sich jeder Provinzherzog sein eigenes Versailles – mit Schlössern nach italienischem und französischem Vorbild, mit Tanz, Theater und Musik. Geld spielte bei all dem kaum eine Rolle. Die Zeche zahlten andere.

Diese Stimmung trug dazu bei, dass in Celle die Trauer um den Tod des Wolfenbütteler Verlobten nur kurz war. Denn das Leben am Celler Hof hatte durch den vielgereisten Herzog und seine französische Gemahlin ungeheuren Schwung entwickelt. Georg Wilhelm ließ Komödianten aus Italien und Frankreich kommen, baute ein Schlosstheater und stellte eine Schauspielertruppe an. Bei fast allen Gelegenheiten erklang Musik hinter den Schlossmauern. Geigen-, Flöten- und Cembaloklänge erfüllten die Prunkgemächer.

Eleonore tat das Ihre, um das Celler Schloss zu einem Palast zu machen. Die schöne Madame mit dem kastanienfarbenem Haar und den dunkelbraunen Augen veranlasste ihren Mann, Salons und Prunkgemächer mit französisch-italienischem Interieur einzurichten, einen Französischen Garten anzulegen, die neueste Mode aus Paris zu importieren und vor allem: den Speiseplan zu verfeinern. Anstelle von fetten Würsten und schwer verdaulichen Wildschweinkeulen kam nun leichte französische Kost mit Artischocken und Kräutern der Provence auf den Tisch. Eleonore trug auch dazu bei, die Tischsitten zu verfeinern. Regelmäßig erschien jetzt ein Page an der herrschaftlichen Tafel, der die Speisenden ermahnte, sich nicht mit Knochen und Brotkrumen zu bewerfen, von Beleidigungen während des Essens abzusehen, sich nicht die besten Stücke heimlich in die Tasche zu stecken oder gar mit den Fingern vom Teller zu essen. Schluss gemacht wurde auch mit der Sitte, nach dem Essen die Betrunkenen in einer Schubkarre abzutransportieren.

Immer französischer ging es zu am Hof von Celle, immer feiner. Bald war der Großteil des Personals französischer Herkunft und die vorherrschende Sprache bei Hofe war nicht etwa Deutsch, sondern Französisch. »Ich bin der einzige Ausländer hier«, scherzte Georg Wilhelm, wenn Besucher kamen.

Georg Wilhelms Bruder Ernst August indessen beobachtete die Entwicklung mit wachsender Sorge. Nach dem Tod seines katholischen Bruders Johann Friedrich im Dezember 1679 hatte der protestantische Fürstbischof von Osnabrück das Leineschloss in Hannover übernommen. Gleichzeitig hatte er die begründete Hoffnung, dass sein Ältester später auch einmal das Fürstentum Lüneburg übernehmen konnte. Doch diese Chance war bedroht – bedroht vor allem durch seine Nichte Sophie Dorothea.

Denn das Bewerberkarussell drehte sich weiter. Sophie Dorothea galt nicht nur als ausgezeichnete Partie, auch ihre Schönheit und Anmut entzückten die Herrenwelt. Immer neue Heiratskandidaten machten von sich reden. Dabei tauchte auch der Name des dänischen Prinzen Georg auf, des späteren Gatten der englischen Königin Anna von England. Selbst König Karl XI. von Schweden bekundete sein Interesse. Bis nach Versailles, bis hin zum Hofe Ludwigs XIV. drangen die Gerüchte. Auch Wilhelm von Oranien, Statthalter der Niederlande, erfuhr davon. Dafür sorgte der Cellesche Minister Graf Bernstorff, der nicht nur bei Herzog Ernst August in Hannover als Spitzel im Sold stand, sondern auch bei dem Oranier. Und der spätere König von England zögerte nicht, entstehende Verbindungen durch gezielte Eingriffe zu zerstören, wenn sie mit eigenen Interessen kollidierten.

Auch die Hannoveraner ließen angesichts der drohenden Allianzen durchblicken, dass sie sich einen anderen Bräutigam für Sophie Dorothea wünschten, nämlich Cousin Georg Ludwig. Dies, so ließ man durchblicken, sei letztlich nur eine Frage des Ehevertrages, also der Mitgift. Doch dann meldete sich erneut Herzog Anton Ulrich aus Wolfenbüttel und brachte seinen zweiten Sohn ins Spiel: August Wilhelm, ein Heiratskandidat, der Sophie Dorotheas Mutter viel sympathischer war als der Prinz aus Hannover. Auch Sophie Dorothea fand Gefallen an dem Kandidaten, Wolfenbüttel war für sie schließlich Freundesland.

So wurde man sich schnell einig. Fünf Tage nach Sophie Dorotheas sechzehntem Geburtstag sollte die Verlobung bekannt gegeben werden – an jenem Tag im September 1682, an dem die Fürstin Sophie nach Celle geeilt war, um ihren Heiratsplan vorzutragen.

Sophie Dorotheas Mutter war außer sich. Entsetzt dachte sie daran, dass der Herzog von Wolfenbüttel schon in knapp einer Stunde mit seinem Stammhalter eintreffen würde. »Was sollen wir dem Herzog nur sagen?«, fuhr sie ihren Gemahl an. »Dass alles nur ein Scherz war? Dass wir es uns in letzter Minute anders überlegt haben?«

»Ich verstehe dich ja, meine Liebste. Mir ist es auch nicht recht, Vetter Tönis vor den Kopf zu stoßen. Aber glaub mir, auch der Herzog von Wolfenbüttel wird verstehen, dass wir keine andere Wahl haben.«

»Keine andere Wahl?«, wiederholte Eleonore aufgebracht. »Natürlich haben wir eine andere Wahl. Aber wenn dein Bruder in Hannover hustet, dann bleibt dir ja schon das Herz stehen. Wer sind wir denn, dass wir uns so behandeln lassen müssen?«

Doch wenn der Herzog seiner Frau sonst auch nahezu jeden Wunsch erfüllte, in dieser Angelegenheit hatte er sich entschieden. Er stand bei Sophie im Wort. Es gab kein Zurück mehr.

Und als wenig später die Kutsche aus Wolfenbüttel vorfuhr, musste er sein Versprechen einlösen und seinem Vetter die bittere Nachricht übermitteln. Gleichwohl lud er Herzog Anton Ulrich und seinen Sohn ein, seiner Tochter wie geplant, zum Geburtstag zu gratulieren und zum Essen zu bleiben.

Doch die Wolfenbütteler fühlten sich durch die Einladung nur noch zusätzlich verhöhnt. Gekränkt traten sie die Heimreise an. Umgehend.

Eleonore d’Olbreuse machte ihrem Mann heftige Vorwürfe – nicht nur wegen der Absage, sondern vor allem wegen ihrer Tochter.

»Dass du dich nicht schämst, Sophie Dorothea wie einen Einsatz beim Kartenspiel zu behandeln«, schimpfte sie.

»Du bist ungerecht«, entgegnete er. »Hier geht es nicht um ein Spiel, hier geht es um die Zukunft des Herzogtums, um meine Verantwortung als Sohn eines alten Geschlechts und um die Pflicht, die ich gegenüber meinem Bruder habe.«

»Pardon? Pflicht? Das glaubst du doch selbst nicht. Um Macht geht es dir, um nichts anderes als um Macht. Das Glück unserer Tochter zählt dabei nichts.«

»Mein Schatz, wir müssen alle unser persönliches Glück hinter dem großen Ganzen zurückstellen, das weißt du so gut wie ich.«

»Großes Ganzes! Hohle Worte sind das. Nichts als hohle Worte. Mir scheint, diese Dame aus Hannover hat dich verhext. Es gab Zeiten, da hast du ganz anders geredet. ›Die hohe Politik‹, hast du lamentiert. ›Was interessiert mich das Gerangel um die besten Plätze bei diesem Wettstreit der Eitelkeiten. Ich will leben, gut leben.‹ Was ist daraus geworden? Was?«

Der Herzog blieb die Antwort schuldig, wandte sich brüsk ab und verließ den Raum. Doch das schwierigere Gespräch stand ihm noch bevor.