Buschfieber - von Kanada und Alaska

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Buschfieber - von Kanada und Alaska
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Heimo Dobrovolny

BUSCHFIEBER

- von Kanada und Alaska -

Natur pur und bewegende Abenteuer

Widmung

meiner „Buschfieber - Leidensgefährtin“

Roswitha

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Abbildungen © Heimo Dobrovolny

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Widmung

Impressum

Einführung

Erste Wildniserfahrungen

Am Fluss der weißen Wölfe

Auf den Spuren von John Franklin

North to Alaska

Grizzly Land

Busch - Weihnacht

Ostern im Schnee

Indian Summer

Die Bäreninsel

Ode an den Busch

Nachwort

Fußnoten

Einführung

Wenn du mal dieses Fieber hast, also infiziert bist, lässt es dich kaum mehr los. Die Wildnis ruft. Du musst hinaus. Auch wenn man zuweilen etwas Bammel hat. Aber vielleicht ist es gerade der Reiz der Ungewissheit, das Neue, das Abenteuer, der Kick des Risikos, was dich lockt, deine Sehnsucht schürt.

Wie auch immer, wer jemals erlebt hat, welchen Eindruck die unendlich einsame Weite der nordamerikanischen Subarktis auf uns Zivilisationsgeschädigte macht, wer einmal einen Vogel in dieser gewaltigen Stille hört, ein Wildtier in seiner völlig ungestörten Natur bestaunen darf, durch die total unbeeinflusste Vegetation verzaubert wird, kommt kaum mehr davon los. Ja sogar die Erde ist von fremdartigem Duft und auch der Schnee erscheint in anderem Weiß unter glasklarem, sternübersätem, exotischem Firmament; jeder Sonnenstrahl, jeder Regentropfen netzt den Buschmann mit unbekanntem Empfinden … dann bist du infiziert und dieser Virus löst unweigerlich ein unheilbares Leiden, nein, unstillbare Freuden aus. … das Buschfieber!

Man muss es erleben, durchleben! Und damit wären wir bereits beim eigentlichen Infektionsherd für diese wunderbare Krankheit: Ein junger Bursche hat sie auf mich übertragen. Er selbst hat diese Krankheit überlebt, wenn auch nur per Zufall. Wie durch ein Wunder war er knapp dem Hungertod in der Wildnis entronnen. Er hat es gewagt; er hat gewonnen! Es war mein älterer Sohn! … Und hat mich angesteckt!

Wie sich diese „Infektion“ entwickelt hat, will dieses Buch vermitteln. Es beschreibt meine zahlreichen Erlebnisse in den Neunziger Jahren vor dem Millennium, während beeindruckender Aufenthalte im Busch von Nordkanada und Alaska.

Warum, wird sich der Leser bei der Lektüre fragen, kann sich der Autor an die mannigfaltigen Erlebnisse so gut erinnern, sogar an manche Details, nach so vielen Jahren? Ganz einfach! Ich habe damals stets akribisch Tagebuch geführt. Leider sind die meisten bedeutenden Geschehnisse nicht durch Fotos belegt. Nun, mach mal jemand mit ruhiger Hand ein Bild, wenn der Bär aus dem nahen Dickicht kommt und unmissverständlich die Pranke hebt; oder, wem könnte ein Schnappschuss gelingen beim pfeilschnellen Sturzflug eines Raubvogels auf seine Beute; und der scheue Wolf stellt sich auch nicht in beste Heulpose für dein Starfoto.

Nun ja, hoffentlich gelingt mir halbwegs in Worte zu fassen, was ich alles so intensiv erlebte. Somit kommt eine Thematik auf, der ein paar notwendige Worte gewidmet sind.

Diese Niederschrift erhebt gewiss nicht den Anspruch auf allerbeste schriftstellerische Güte; dafür jedoch ist der Leser gewiss, dass ihm keine „Märchen“ aufgetischt werden und eine absolut authentische Erzählung genießen darf.

Lass Dich infizieren, das Buschfieber ist eine herrliche Krankheit. Du wirst es nicht bereuen!

Erste Wildniserfahrungen

Ohrenbetäubender Motorenlärm heult auf. Ein kräftiges Vibrieren meines mehrsitzigen Käfigs hebt an. Die Sicht durch eine seitliche, trübe Luke sagt mir, dass ich mich mit rasch zunehmendem Tempo über gischtendes Wasser bewege … nicht in einem Schnellboot, keinesfalls, sondern in einem Wasserflugzeug; also ein fliegender Katamaran, der mit ordentlichem Speed, heftig stampfend und hüpfend, endlich abhebt, allmählich an Höhe gewinnt. Ein ziemlich aufregender Ablauf, für mich zumindest; eine herrlich begeisternde Premiere. Doch scheinbar gilt dies nicht für alle Insassen, wie wir gleich hören werden.

Der etwas schwerfällig anmutende, einmotorige Donnervogel, eine „Beaver“ aus den Nachkriegsjahren, hat bereits zigtausende Meilen unter den Flügeln, gesteuert von einem auch nicht mehr ganz jungen Piloten. „Hm, das fängt ja gut an.“ Und was heißt da Pilot? Man hat eher den Eindruck, ein betagter Farmer im Overall fährt seinen fliegenden Trecker. Allerdings, nach geraumer Zeit in den Lüften, bekommen die Fluggäste allmählich etwas Vertrauen zu dieser Sache und gar von den speziellen Flugkünsten sollten wir noch eine Kostprobe erhalten.

Meine Augen erhaschen einen guten Blick in das Cockpit und bestaunen interessiert das Handling an diversen Schaltern und Knüppeln, besser gesagt, das einhändige Hantieren des Steuermannes; denn die Linke lehnt, mit der Zigarette in den Fingern, an der gekippten Fensterklappe. Na also, wenn der sooo lässig umgeht, sich scheinbar derartig sicher gibt, dann ist doch keine Bange angebracht, obwohl wir ganz nett geschüttelt werden in den nicht gerade komfortablen Sitzen. Offenbar sorgen ordentliche Turbulenzen für eine ständige Bewegung der Maschine; ähnlich einer Kirmesgondel. Und als ich um mich schaue, grinst etwas gequält so manches leichenblasse oder giftig grüne Antlitz entgegen. Bin nämlich nicht allein in diesem fast vorsintflutlich anmutenden Traktor auf Flügeln. Nun ja, diese Art zu Reisen ist schon etwas gewöhnungsbedürftig … da war doch so eine Geschichte von den „tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten“. Ja freilich, Kiste wäre nicht ganz unzutreffend; z. B. sind die Fenster mit Kaugummi abgedichtet und ähnliche Dinge mehr. Und was heißt hier Männer? Sind zwar überwiegend männliche Fluggäste, haben allerdings auch zwei mutige Damen mit an Bord. Sie möchten ebenfalls hinaus in die Wildnis. Eine wird Rosi genannt und gehört zu mir; die andere heißt Moni und ist die Freundin meines Sohnes Ralf, welcher die ganze Sache angezettelt hat und als „Reiseleitung“ fungiert. Was es damit genauer auf sich hat, soll rasch erzählt sein:

Zwei Jahre zuvor ist genannter Filius schon mal hier gewesen, mit einem gleichaltrigen Freund. Sie wollten, jugendlich mutig, einen auf Aussteiger machen und sind dabei kläglichst gescheitert. Das Unternehmen endete nämlich in einem Fiasko, um Haaresbreite dem Tode entronnen. Was damals dramatisch geschah, wurde in einem äußerst spannenden Tagebuch ausführlich festgehalten und auch publiziert.1)

Ralf hat sich damals mit dem „Buschfieber“ infiziert und uns folglich damit in der Heimat angesteckt. Uns, das meint, außer den oben erwähnten Weibchen, sind da noch zwei gute Kumpels, namens Hans-Peter (künftig HP genannt) und Christian (alias Grizzly) mit von der Partie. Also, eine sechsköpfige Crew bricht auf, in die nordkanadische Subarktis, genauer gesagt, das Ziel liegt in den sogenannten Northwestterritories, in einem Gebiet zwischen dem Great Bear Lake und dem Great Slave Lake.


In den letzten mündet der Yellowknife River, den wir jetzt nördlich flussaufwärts Richtung Polarkreis fliegen, hinweg über diese faszinierende Wildnis; eine Sinfonie in Grün und Blau. Eine unendliche Weite einer waldreichen, hügeligen Taigalandschaft, durchzogen von unzähligen meist namenloser Seen unterschiedlichster Größe, sowie dazwischen fließender Gewässer. Dieses überwältigende Land nennt der Nordkanadier seinen Busch.

 

Bereits eine gute Stunde fliegen wir nun darüber hinweg. Man kommt nicht aus begeisterndem Staunen heraus, über dieses für uns Mitteleuropäer völlig fremdartige Bild der Natur. Die Idylle wird allerdings leicht gestört, durch da und dort aufsteigenden Rauch. Waldbrände wären hier nicht selten, wie wir aufgeklärt werden.

Ich konzentriere mich hauptsächlich auf den Flussverlauf des Yellowknife Rivers und flippe vor Begeisterung fast aus, als da unten, kaum zu glauben, eine große weiße Fläche auftaucht. Ein Trugbild? Aber nein; mein Sohn klärt auf: „Damals mussten wir in einer wahren Ochsentour stundenlang das schwerbeladene Boot über gletscherartiges Gelände schleppen. Das ist die berühmt-berüchtigte „Icy-Portage“. Und ich entsinne mich auf diesen spannenden Bericht in seinem Tagebuch.

Unser Pilot geht zwischendurch auch mal entsprechend tiefer, so dass die Germans vereinzelt einen Elch erspähen können. Einmal konnte man sogar, wenn auch bloß klein, auf freier Fläche einen Bär sichten. Ich wollte jubeln vor Glück!

Apropos Bär: Bin schon gespannt auf mögliche Begegnungen mit Meister Petz. Oder doch lieber nicht? Da waren doch die sprichwörtlichen halbscherzhaften Mahnungen zu Hause: „Passt auf, dass Euch der Bär nicht frisst!“

Die Empfindungen meiner Kameraden werden ähnlich sein, doch eine verbale Verständigung zwischen uns ist kaum möglich, der Donnervogel ist eben zu laut, weshalb man Ohrenschützer trägt, die wir jedoch rasch vom Kopfe nehmen, als Ralf, wild fuchtelnd in der Kanzel, seitlich nach unten weist und brüllt: „Da unten, schaut, da unten ist sie, die Sandy“, und meint damit den Platz wo wir landen, oder besser ausgedrückt, wassern werden. Mit „Sandy“ ist eine Bucht gemeint, die bezeichnenderweise der hiesigen Wasserfallumgehung, man nennt das eine Portage, ihren Namen gibt. Die Fluggäste wähnen sich fast an der Riviera. Diese Zone ist über mehrere Fußballfelder groß, baumfrei und, „nomen est omen“, sandig. Dort eben wollen wir unser dreiwöchiges Camp aufschlagen und verschiedene Unternehmungen starten. Mal sehen!

Doch bevor es so weit kommt, wollen wir noch etwas Rückschau halten. Möchte dem Leser nicht vorenthalten, was sich bisher ereignet hat:

Wie schon erwähnt, Ralf war bereits hier, zwei Jahre zuvor für mehrere Monate lang, kennt also die Umstände bestens, worauf wir vertrauen können und uns zu einem Team mit großen Erwartungen zusammentun.

Voll Ungeduld scharrt man in den Startlöchern, doch vorher ist noch eine Menge zu erledigen. Vor allem ist körperliche Fitness gefragt, ehe es ins „Eingemachte“ geht. Trainingsmärsche über Stock und Stein, bergan-bergab, schwer beladene Rucksäcke auf dem Buckel. Der Zahnarzt, der Orthopäde und Internist muss konsultiert werden. Zusammenstellung einer sinnvollen Reiseapotheke. Eventuell neue Outdoorkleidung zu besorgen. Vor allen Dingen, die Trekkingschuhe müssen gut eingelaufen sein. Und was da sonst noch alles an wichtigem Equipment und Utensilien zu organisieren ist; von Zelt bis Klopapier.

Einer besonderen Beachtung kommt dem Bärenalarmgerät zu. Darüber wird an passender Stelle speziell zu reden sein.

Ach ja, ehe vergessen, ein ganz wichtiger Punkt überhaupt, die Unternehmung steht unter dem Motto: „Mit und von der Natur zu leben.“ So zu verstehen, dass lediglich Notproviant mitgebracht wird. Nämlich Reis, Mehl, Müsli, Milchpulver. Davon nur in sehr knapper Menge, für ein Mal ein Mahl täglich. Den Hauptteil der Nahrung soll eben die Natur liefern; sprich Fisch, Fleisch, Früchte. Wird doch kein Problem sein, meint man optimistisch. Jeder bringt Angelausrüstung mit. Schusswaffen sollen vor Ort besorgt werden.

Ja und trinken? Freilich, Tee (mit Schuss!) … und das Wichtigste überhaupt, so ist zu hören, darf nicht fehlen: Bier! Pro Person zehn kleine Dosen für den ganzen Zeitraum. Selbst einteilen, heißt es. Oh, mir schwant Böses. Werden darüber noch zu diskutieren haben!

Tja, so manche „Konferenz“ war da unter den Beteiligten nötig, feucht fröhlich, selbstverständlich. So gingen viele Monate intensiver Vorbereitung ins Land. Bis es endlich so weit war.

Wir schreiben das Jahr 1991. Hochsommer.

Eine gewisse Nervosität ist uns freilich anzumerken, trotz bester „Einschulung“ und Vertrauen auf Ralfs Können und Kenntnisse. Von Selbstvertrauen sollten wir besser nicht reden, das steht jedem anheim und ist zur Bewährung ausgesetzt. Oder sagen wir so: Man macht sich gegenseitig Mut!

Roswitha, Christian und meine Wenigkeit reisen von München nach Heidelberg, treffen da auf die übrigen Drei und werden zum Flughafen Frankfurt gebracht. Man sitzt bald bequem in einer Boeing und hebt ab. Vom Flug über den Atlantik gibt’s nichts Aufregendes zu berichten, außer dass die Raucher abwechselnd um den extra ausgewiesenen Qualmplatz kämpfen.

In Chicago Maschinenwechsel. Langweilige mehrstündige Wartezeit auf den Anschluss, bevor es weitergeht nach Calgary. Hier abermals umsteigen, aber erst nach einer langen Nacht am Airport. Jetzt, endlich, strikt gen Nord, diesmal in einer Zweimotorigen, die zu unserem Vorteil nicht besonders hoch fliegt. Bei guter Sicht bestaunen und genießen wir das wildromantische kanadische Land, überfliegen nach zig Stunden den Großen Sklaven See und setzen in Yellowknife auf. Ein typischer Airport des hohen Nordens. Das Rollfeld ist ungeeignet für wirklich große Maschinen, der Rest erinnert stark an den ehemaligen Flughafen München-Riem: eben alt und mikrig!

Und zum ersten Mal bekomme ich einen Eindruck von der hiesigen Bevölkerung. Es ist eine typische Pionieransiedlung mit heute knapp 20.000 Seelen; aufgrund der erheblichen Goldfunde in der Region nach dem letzten Weltkrieg rasch emporgewachsen. Dieses Städtchen ist zugleich Verwaltungszentrale für den autonomen Landesteil „Nunavut“, hervorgegangen aus den Northwest-Territories.

Nicht selten trifft man auf die „Rothaut“ vom Stamme der Dené, sowie auf den schlitzäugigen Eskimo. Pardon, diesen Ausdruck verwendeten früher die Indianer als Schimpfwort für den Inuit; und bedeutet so viel wie Rohfleischfresser. Dem Touristen ist folglich nicht zu raten, diesen ausgesprochen gastfeundlichen Arktisbewohner auf diese Weise anzusprechen.

Um nur ein grobes Bild zu gewinnen von diesem fantastischen Land in der Subarktis von Kanada: Es ist um ein Vielfaches größer als Deutschland, aber mit nur so immens wenigen Menschen besiedelt, dass man lediglich ein mittelgroßes Stadion damit füllen könnte.

Übrigens, die Bezeichnung Yellowknife rührt vom gleichnamigen Fluss, welcher eben hier, von Nord nach Süd, in den Slave Lake mündet. Das Attribut „Great“ trägt dieser See nicht von ungefähr. Er ist etwa fünfzigmal so groß wie der Genfer See. Und der ein paar hundert Meilen davon nördlich gelegene riesige Bärensee ist noch einiges größer.

Eingangs wurde bereits ein Vorgeschmack gegeben, vom ziemlich aufregenden Flug gen Nord, entlang dem River, der wiederum seinen späten Namen von den „Yellowknifes“ ableitet. Diese Indianersippe wurde von Stammesverwandten so geheißen, weil deren Messer damals vorwiegend aus gelblicher Kupferlegierung hergestellt waren.


die „Lagunenstadt“ Yellowknife


Buschlandschaft vom Flugzeug aus

Weil wir gerade bei historischen Bemerkungen sind: Ein Yellowknife-Häuptling, namens Akaitcho, war es auch, der vor etwa zweihundert Jahren den berühmten Arktisforscher Sir John Franklin unseren Routenfluss hinauf Richtung Eismeer führte. Diesem bedeutenden Pionier werden wir noch in einem späteren Kapitel begegnen. Es wird vermutlich beeindrucken!

Also, wir hätten somit das eigentliche Ziel, den geplanten Lagerplatz an der Sandy Portage, inzwischen erreicht und könnten aufsetzen. Doch man hat zuvor eine ganz besondere Mission im Auge, wie zuvor mit dem Pilot besprochen und einen Versuch zur Erfüllung vereinbart. Eine relativ kurze Flugstrecke weiter flussaufwärts, weitet sich der River zu einem See, wie schon mehrmals entlang dieses Flusses. Denn am sogenannten Lawer Carp Lake ist ein besonders bedeutender Ort in der schicksalhaften Vita von Ralf. Nämlich der Platz seines Biwaks, wo er vor zwei Jahren um Haaresbreite, nur per Zufall, dem Hungertode entrann.

Unsere Beaver zieht deshalb im Tiefflug lediglich eine Besichtigungsschleife über der „Riviera“ und startet wieder kräftig durch, in geringer Höhe flussaufwärts. Was uns am künftigen Camp sonst noch erwartet, löste allgemeines Staunen und Jubel aus; bloß nicht bei Ralf; er wusste ja Bescheid und wollte dies als Begrüßungsüberraschung in petto halten. War voll gelungen! Aber ich möchte damit den Leser noch etwas auf die Folter spannen.

Während des Weiterfluges bekommen wir einen Vorgeschmack auf die nähere Umgebung unseres Basislagers: Urwald, Fels, atemberaubende Schluchten und Wasserfälle. Ein sehr eindrucksvoller Hauch von Garten Eden.

Garten Eden


… traumhaft schön …

Bald ist gesuchte Stelle an der Westseite des genannten Sees gefunden. Schon von weitem leuchtet ein blauer Gegenstand am Ufer entgegen. Wir kommen näher. Und hier liegt es, Ralfs Schicksalskanu von damals.

Nun ist allerdings ein nicht ganz einfaches Flugmanöver nötig, um nahe heran zu kommen, zu wassern, um an Land gehen zu können, was eigentlich beabsichtigt war.

Jetzt zeigt unser alter Bauer mit dem fliegenden Traktor, was er drauf hat.

Im extremen Tiefflug wird bald erkennbar, dass diese Gewässergegend sehr flach und steinig ist, also besteht für eine Wasserung erhebliche Gefahr. Mit mehreren engen und steilen Kurven, komme mir vor wie in der Achterbahn, gut anschnallen ist äußerst wichtig, wird das Areal abgesucht nach geeigneter Stelle zum Aufsetzen sowie einer ausreichenden Strecke für Ausbremsen, was letztlich nach bangen Minuten aber doch gelang. Puh!

Dann schließlich noch das langsame Herangleiten an das felsige Ufer. Auch geglückt. Endlich kriechen wir aus dem brüllenden Käfig. Die letzten Meter zum Land ein Kinderspiel: Schuhe aus, Hose runter, von Stein zu Stein, geschafft.

Was jetzt kommt, geht mir nur schwer in die Feder. Diese hoch emotionale Situation. Es steht noch der damals gebaute Steinofen, eine zerfetzte Plane liegt noch da, eine Plastikbox, darin Spielkarten. Eben genau so, wie Ralf diesen Ort des Schreckens, zu guter Letzt aber doch überglücklich, verlassen durfte. Warum, wieso? Sein Tagebuch erzählt alles genau!

Dann hocken wir an seinem Boot, umschlungen, starren hinaus auf das grünlich wellige Wasser, keiner bringt ein Wort aus zugeschnürter Kehle; feuchte Augen sind kaum vermeidbar. Ein Moment in meinem Leben, der ganz tief eingemeißelt bleibt.

Überglücklich und mit großer Dankbarkeit für den Pilot, klettern wir in den Donnervogel und sind bald wieder in den Lüften, beim Rückflug zur Sandy. Dies gab Ralf die Gelegenheit zu zeigen, wo er damals so verhängnisvoll kenterte und dabei die wichtigste Ausrüstung, das Gewehr, verlor.

An der Riviera sind Wasserung und Anlandung wesentlich einfacher. Das viele Gepäck kann von den Schwimmkörpern des Fliegers aus direkt ans Ufer gereicht werden; und die beiden mitgebrachten Alukanus ebenfalls.

Bald ist alles an Land. Die Beaver tuckert wieder los, nimmt ohrenbetäubende Fahrt auf und hebt ab. Bevor er sich endgültig in die blauen Lüfte entfernt, zieht der „Bauer“ über uns eine Schleife und verabschiedet sich mit dem üblichen Pilotengruß: ein Schaukeln mit den Flügeln!

Da stehn sie nun, die Outdoors, sagen wir besser Greenhorns, oder wie ein Trapper sich ausdrücken würde, die Sourdoughs. Eine gewisse Aufregung ist kaum vermeidbar. Doch erst mal lassen wir unserem Jubel freien Lauf, der uns schon aus der Vogelperspektive in der Kehle steckte. Denn da fehlte nur noch der rote Teppich, ausgerollt vor dem herrlichen Schlosse, das uns hier erwartete. Ja, hier steht ein wahres Märchenschloss, so zumindest kam uns die große Überraschung vor: Eine Art Trapperhütte. Cabin sagt man hierzulande. Zwar mickrig und äußerst primitiv, aber dennoch sehr willkommen. Denn Roswitha (von vielen auch nur Rosi genannt) und ich werden hier gleich für die erste Nacht Logis nehmen. Aha, geht da vielleicht gar jemand die Muffe? Bärenspuren im Sand sind nicht zu übersehen! Die Buschgenossen zeigen sich cool und grunzen bald zu Zweien in ihren Zelten; oder was Christian so nennt. Er teilt mit HP eine billige Behausung, wahrlich in die Riviera passend. Ob er das nicht noch bereuen wird? Da bereits spät und allesamt müde von dem langen und ereignisreichen Tag, ist ersehnte Heia angesagt. Natürlich, davor noch der wichtige Gute Nacht-Schluck!

 

Am folgenden Vormittag müssen sogleich diverse Aktivitäten in Angriff genommen werden. Noch ehe für die Lagerfeuerabende Holz gesammelt wird, sind unsere Hobbyangler fleißig bei der Montage ihrer Gerätschaften; dann hurtig ins Kanu, hinaus auf’s Wasser. Das Gewässer ist ein herrlicher See, vom Yellowknife River durchflossen, an dessen oberem Ende unser Camp liegt und von schäumenden, rauschenden Stromschnellen begrenzt ist. Der See ist etwa 10 Meilen lang und hat auch ausnahmsweise einen Namen. Hoffentlich wird er diesem auch gerecht: Fishing Lake!


Die ersten Versuche verheißen nichts Schlechtes, denn mit ein paar prächtigen Hechten ist bald das Abendessen gesichert. Und großer Optimismus macht sich breit. Doch wann kommen die ersten Enttäuschungen und Probleme? Wann zeigt sich die Kehrseite der Medaille? Allerdings war Pessimismus noch nie ein guter Ratgeber. Und so lässt man eben beim abendlichen Lagerfeuerchen der guten Laune freien Lauf. Auch das Wetter spielt auf ihrer heiteren Saite, in Begleitung zu unserem melodischen Gebrumme bei „Ring of Fire“, das meine Mundharmonika mit vielleicht etwas zweifelhafter Qualität intoniert. Aber, wie heißt es doch? Nicht Klasse zählt, sondern wichtig ist Spaß an der Freud! Kommen uns beinahe vor wie im kitschigen Western. Sogar übertroffen. Denn der sternübersäte, fahle Halbmondhimmel wurde, zu unserer speziellen Begrüßung, mit zaghaftem, gelbgrünen Flackern des ersten Polarlichtes erhellt. Die Aurora Borealis zu erleben, werden wir sicher noch öfter und besser die Gelegenheit haben. Hoffentlich! Kenne dies bisher nur aus Filmen.

Mit so prächtiger Stimmung verkriechen wir uns endlich ins Land der Träume.

Die Nacht verlief ruhig, für mich zumindest. Roswitha meinte allerdings, ob die Holzsägerei nicht tagsüber besser wäre? Sorry!

Also, Holz war die Devise für den bevorstehenden Tag. Das Wetter prächtig wie gestern, dann nichts wie los, „Holzhackerbuam“, auf in den nahen Wald, mit Säge, Beil und Seil. Die Mannsleut strotzen vor Kraft. Fast wäre man geneigt zu behaupten, sie leiden gar darunter. Denen kann geholfen werden. An Bruchholz mangelt es im Urwald nie. Sogar das vermeintlich schwache Geschlecht packt ordentlich mit an, beim Herbeischleifen größeren und kleineren Gehölzes. Allerdings Einer fehlt! HP hockt gemütlich an einem sonnigen Plätzchen und ist mit den drei Gewehren eifrig beschäftigt. So gibt er zumindest vor, mit dem Argument, Waffenpflege wäre etwas besonders Wichtiges. Kann man nicht bestreiten; aber muss das ausgerechnet jetzt sein? Das kann ja noch heiter werden. Ruhig Blut Heimo! Toleranz üben. Jeder soll nach seiner Fasson Spaß haben. Oder wollte der Herr Kollege, als einziger Soldat unter uns, sein Können auf diese besondere Art unter Beweis stellen; eben auch im Dienste für die Allgemeinheit?

Eine leichte Verstimmung muss ich allerdings zugeben. Oder, vielleicht hat mir ein anderer Umstand die Laune etwas bewölkt: Bei der Waldarbeit wurden dichte Schwärme von Stechmücken aufgescheucht. Nicht gerade ein Vergnügen, wenn du von diesen verhassten Biestern gnadenlos verfolgt und gequält wirst. Ralf hat uns zu Hause bereits auf diese Unbequemlichkeit hingewiesen und die Beschaffung des speziellen Abwehrmittels „Muscol“ verordnet. Immerhin, derart brutale Überfälle hätte kaum jemand erwartet. Diese entsetzlichen Plagegeister werden nicht umsonst Pest des Nordens genannt. Auch in Finnland und der russischen Tundra wissen sie davon ein Lied zu singen. Beim folgenden Marsch in den Wald, trug, trotz übler Wärme, jeder Hut mit Moskitonetz, Hemd und Hosen fest geschlossen, sogar gerne Handschuhe. Nichts wie ran an die schweißtreibende Schufterei. Wer wollte da nicht auch gerne bei leichter Brise am Ufer sitzen und Schießprügel polieren. Schwamm drüber, das Leben ist eben nicht immer ein Honiglecken, und schon gar nicht das Buschleben.

Einige Tage liegen mittlerweile hinter uns. Die „Scharfschützen“ waren bislang erfolglos auf der Pirsch. Wen wundert’s auch, bei deren Rumballerei zwecks Übungsschießen, so das Alibi für diese offensichtlich so maskuline Kinderei. Da wird sich bestimmt weit und breit kein Wild einstellen. Nun ja, dafür ist die Fischwaid ziemlich erfolgreich und man braucht lediglich tagsüber ein wenig Kohldampf zu schieben, denn das allmorgendliche knappe Müsli hat man bald über und mittags die abgezählten Reiskörnchen in der Suppenbrühe sorgen im Bauch auch nicht gerade für Glücksgefühle. Gottseidank bieten die ringsum üppig wuchernden Blaubeeren etwas Abwechslung für den Gaumen. Dennoch, jeden Abend Grillfisch ist auch nicht besonders erbauend.

Erfreulicherweise hatte da jemand eine glorreiche Idee: „Leute, heute wird geräuchert!“

Was denn? Fisch natürlich!

Wie denn? Not macht bekanntlich erfinderisch!


Da kam dem Erfinder der Zufall entgegen, wahrscheinlich der Auslöser des genialen Einfalls: zwei leere Benzinfässer lagen unter anderem Gerümpel hinter der Cabin. Geeignetes Werkzeug lag ebenfalls an der Hütte rum. Damit wurden die Blechtonnen entsprechend mühevoll bearbeitet und übereinander gesetzt. Darunter kam ein zusätzlich vorhandener kleiner Blechofen zwecks Feuerstelle. Damit ist die Räucheranlage perfekt und der Betrieb wird aufgenommen. Schöne Hechte hängen von oben herab im heftigen Qualm. Neugierig und erwartungsvoll steht die Mannschaft um das Wunderwerk. Bald wird es so weit sein, können die gelüstigen Gaumen befriedigt werden. Und was gibt es zur Beilage? Ist doch klar, morgen ist der heizbare Unterbau frei, dann bruzzeln wir die berühmten Bannocks, denn auch geeignete Pfannen hat der Trapper hinterlassen. Dann ein prüfender Blick von oben in die Räucherkammer: Nanu, hatten wir nicht fünf Fische reingehängt? Sehen lediglich zwei davon!

O weh und ach, da macht es krach,

und ist nach unten, der letzte Fisch verschwunden.

Nein, kein Mirakel ward geschehen. Des Rätsels Lösung ist ganz einfach: Die Dilettanten haben zu heftig geheizt, zu heiß geräuchert, sodass die Drahtaufhängung durch die Kiemen die schweren Fische nicht tragen konnte.

Wer hat da mit spöttischer Miene was von Fischkuchen gesagt, den es heute geben soll? Das Produkt war nämlich Matsch, eher zum Brei geeignet, oder vielleicht mit Müsli vermischen. Igitt!

Nicht tragisch. Beim nächsten Mal gelingt das Experiment sicherlich. Aus Fehlern lernt man schließlich.

Ein anderer Lapsus passiert mit der gleich zu Anfang montierten Bärenwarnanlage, an welcher man bereits zu Hause rumgetüftelt hat. In entsprechendem Abstand von den Zelten wurde eine Schnur um Bäume und Pflöcke gespannt, verbunden mit akustischen Signalgeräten, welche durch Zug Alarm auslösen. Leider wurde nicht bedacht, dass Naturfaser sich je nach Witterung unterschiedlich dehnt; der Effekt ist einleuchtend.

So war es auch kein Wunder, dass wir eines nachts unangemeldeten Bärenbesuch bekamen, unzweifelhaft erkennbar an den frischen Spuren, ohne dass Meister Petz unseren Schlaf störte, denn der Alarm wurde, weshalb auch immer, nicht ausgelöst. Er wollte wahrscheinlich nur mal sehen, wer sich da in seinem Refugium herumtreibt und hat scheinbar die Fremdlinge akzeptiert.

Doch zwei Tage später war besonders denkwürdiges vorgefallen.

Es passierte ebenfalls in der Dunkelheit.

Die wunderbare Stille wird lediglich von Roswitha gestört. Sie grunzt neben mir wie ein rosiges Ferkelchen. Fast erheiternd.

Na – was war da plötzlich für ein fremdartiges Geräusch? Von irgendwo, außerhalb des Zeltes, vernehme ich Rascheln und Knistern; dann wieder Ruhe. Meine Partnerin gibt jetzt keinen Laut von sich. Aber ich grunze wieder im üblichen Takt.

Da zerreißt lautes Schreien das tiefe Schweigen der Nacht. „Hau ab – weg hier – Hiiilfe.“

Es ist unverkennbar die Stimme meines Freundes Christian. Und schon der Griff nach dem stets neben mir liegenden Karabiner, nachdem ich mich rasch vom Schlafsack befreite. Da ich immer, entgegen anderer Leute Gewohnheit, mit dem Kopfe Richtung Eingang penne, ist die Hand sofort am Reißverschluss; robbe bewaffnet aus dem Wigwam und richte mich auf.

Oh, mein Gott, was muss ich seh’n? Grizzly gegen Grizzly! Einer davon ein wahrhaftiger, der andere mein Freund, welcher mit erhobenem Arm, wild herumfuchtelnd, das große Buschmesser gegen den hoch aufgerichteten, um vieles größeren Bär sticht, der mit seinen Pranken zum wuchtigen Schlag ausholt.

Ich sehe alles ganz genau in dieser hellen Mondnacht. Und kann nichts tun, steh wie angewurzelt da; kann nicht schießen, ohne Christian zu gefährden. Stattdessen brülle ich aus Leibeskräften um die Wette mit dem Ungetüm. Inzwischen ist auch Rosi von dem Lärm erwacht und hinter mir. Ihre göttliche Eingebung reicht mir die Machete. Und schon stürze ich mich von hinten auf das wütende Ungeheuer; bohre ihm mit aller Kraft den scharfen Stahl in den Leib. Laut aufbrüllend geht der graue Riese zu Boden. Sein Namensvetter versetzt ihm den tödlichen Stoß von vorne, worauf die Bestie röchelnd sein Leben aushaucht. Die Freunde fallen sich heroisch triumphierend in die Arme; da fährt ein erschütternder Ruck durch meinen schweißgebadeten Körper und kenne mich momentan überhaupt nicht aus. Bin völlig wirr. „Christian, wo ist der Bär? Hier war doch der Bär!“