Das Kanaltal

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Das Kanaltal
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HANS MESSNER

Das KANALTAL

Zwei Flüsse

Drei Kulturen

Vier Sprachen



IMPRESSUM

ISBN: 978-3-9904-0372-3


© 2015 by Styria Regional in der

Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG

Wien – Graz – Klagenfurt

Alle Rechte vorbehalten

Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in jeder Buchhandlung und im Online-Shop

Lektorat: Nicole Richter

Covergestaltung: Maria Schuster

Buchgestaltung, Illustrationen: 2 LIONS DESIGN [Carolina Santana]

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015


Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Wo Mitteleuropa gelebt wird

Von den Römern bis in die Gegenwart

Wirtschaftsleben im Laufe der Geschichte

Menschen am Schnittpunkt dreier Kulturen

Die Küche des Tals

Giusi, Alfredo & Freunde: Kanaltaler brillieren in Rom

Der Kanaltaler Kulturverein

Paolo Montanaro: Künstlername „Paul vom Kanaltal“

Slowenische Kulturträger im Kanalska dolina

Tarvis: Einkaufsstadt und naher Süden

Renato Carlantoni: Il Sindaco spricht Kärntnerisch

Familie Tosoni: Händler mit Qualitätsphilosophie

Familie Pecoraro: Fische aus Marano Lagunare

Familie Schmalzl Kranner: Gastronomie und Prominenz

Edi Kranner: Ein Leben zwischen Markt und Gastwirtschaft

Glück auf in Raibl

Evelyn Sima: Modeexpertin aus Radenthein, Tarvis und Rateče

Camporosso: Das Dorf am Fuße des Monte Lussari

Benvenuta Plazzotta: Wirtin mit Wirtschaftsstudium

Familie Zamò: Winzer entspannen in den Bergen

Der Heilige Berg Monte Lussari

Kornelia Geissler-Sandrini: Von Arnoldstein nach Tarvis

Vor dem prächtigen Panorama der Saisera

Irma Keil Gelbmann: Kunsthandwerk und Backstube

Ugovizza: Wo die Feuerwehr Deutsch kommandiert

Lucia Mischkot: Die kulinarische Bahnhofsvorständin

Malborghetto: Auf Napoleons Spuren

Raimondo Domenig: Der Historiker des Tales

Pontebba: Wo das Kanaltal beginnt oder endet

Sport und Freizeit zwischen Tal und Berg

Familie Mazzolini: Die Wirte vom Alten Schilift

Ciclovia Alpe Adria

Der Autor

Bildnachweis

Weitere Reiseführer


Grenzüberschreitende Gipfelziele in den westlichen Julischen Alpen

Wo Mitteleuropa gelebt wird

Das enge Tal der Slizza ist für Reisende so etwas wie das Tor zum Süden. Egal, ob man sich diesem Süden auf der Autobahn oder auf der Bundesstraße nähert. Dabei befindet man sich auf altem Kärntner Boden. Mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg, dem Untergang der Monarchie und den Verträgen von Saint-Germain wurde das Kanaltal schließlich Italien zugesprochen. Das gilt für den gesamten Verlauf von der Grenze bis nach Pontebba. Das Kanaltal mit seinen weiteren offiziellen Namen Val Canale/​Val Cjânal/​Kanalska dolina ist ein Tal mit zwei Flüssen, die allerdings in unterschiedliche Richtungen fließen. Die Fella mündet in den Tagliamento und dann in die Adria, während die Slizza/​Gailitz/​Ziljica über Gail, Drau und Donau ihre lange Reise ins Schwarze Meer antritt.

Einen interessanten Aspekt brachte bei einem Gespräch der Obmann des Kanaltaler Kulturvereines, Alfredo Sandrini, ein. Er erklärte uns, dass das Kanaltal geografisch von der Mündung der Gailitz in die Gail bis hinunter nach Pontebba reicht. Die Gailitz mündet bei Arnoldstein in Kärnten in die Gail. Und Orte wie Dogna, Chiusaforte oder Carnia liegen nicht im Kanaltal. Denn in Pontebba beginnt Richtung Süden hin das Eisen- oder Fellatal (Canal del Ferro).

Wir befinden uns hier am Schnittpunkt dreier Kulturen. Germanen, Slawen und Romanen trafen bzw. treffen im Dreiländereck aufeinander. Und diese drei Kulturkreise begegnen uns in den Orten rund um Tarvis und natürlich im Kanaltal selbst.

Doch hier begegnen sich nicht nur drei Kulturkreise, es werden auch vier Sprachen gesprochen. Italienisch, Furlanisch, Deutsch und Slowenisch sind üblich, wobei mehrere meiner Gesprächspartner, eher ältere Jahrgänge, darauf pochten, Windische zu sein. Es ist überwiegend ein slowenischer Dialekt, der hier gesprochen wird, und er ist dem im Kärntner Gailtal gesprochenen sehr ähnlich. Korrekt ist, so betonen die Slowenen, die Bezeichnung „slowenischer Dialekt“. Wobei sich sprachlich von Ort zu Ort Unterschiede ergeben und vieles ineinanderfließt. Gerade deshalb funktioniert dieses Zusammenleben wohl so gut.

Wie auch immer! Ich würde es so formulieren: Im Kanaltal findet täglich „Mitteleuropa“ statt, hier wird der mitteleuropäische Gedanke tatsächlich gelebt. Und dies nicht erst seit Erfindung der Europäischen Union. Italiener, Friulaner, Slowenen und Kärntner Kanaltaler leben in diesem Tal. Kroaten, Ungarn, Slowaken, Tschechen, Österreicher und Deutsche kommen zum Einkaufen oder kehren kurz ein.

Doch damit nicht genug. Regelmäßig empfängt zum Beispiel der Tarviser Gastronom und Top-Sommelier Gianni Macoratti Gäste aus den USA zu Weinverkostungen in seinem Haus. Persönlich hatte ich die Freude an einer solchen Degustation beim „Kirchenwirt“ teilzunehmen. Die Zusammensetzung war wie folgt: der Hausherr als Italiener und Friauler Weinfachmann, ein mehrsprachiger Guide aus Slowenien mit etwa 25 US-Amerikanern, dazu gesellte sich der ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung „Messaggero Veneto“ mit seiner Frau – und ich durfte gewissermaßen Österreich repräsentieren. Spontan stellte Macoratti nicht nur die Friauler Weine vor, sondern auch mein zuletzt erschienenes Buch „Weinführer Friaul“. Die amerikanischen Gäste staunten nicht schlecht, dass hier die drei Nationen, eben aus dem Dreiländereck, einander beim Wein gegenübersaßen. Den Radlern war die oftmals gemeinsame, allerdings kriegerische Geschichte durchaus bewusst und sie bestaunten die Italiener, den Slowenen und den Österreicher wie Zirkuspferde.

 

Die Gäste aus dem Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten lernen hier eine für sie völlig neue Welt kennen. Sie entdecken die Täler auf Tagesetappen per Fahrrad. Auf relativ kurzen Touren können sie drei Länder, vier Sprachen, drei Kulturkreise und deren Küche kennenlernen. Das ist daheim in den USA so nicht möglich, geben sie sich bei Gianni immer wieder verwundert – auch über das friedliche Zusammenleben. Für uns „Nachbarn“ ist dieses Glück der Vielfalt schon selbstverständlich. Nur Dummköpfe wissen das nicht zu schätzen und bauen noch immer Grenzen in ihren Köpfen auf.

Ein anderer wiederum war fasziniert von der Küche. Dieser köstliche Reichtum, dem er hier begegnet, bestehend aus italienischer, slowenischer, friulanischer, österreichischer und altösterreichischer Küche, hatte es ihm angetan. Dabei waren da auch noch die Einflüsse der Küche des benachbarten Berglandes der Carnia …

Den Status als Tor zum Süden hat sich dieses Tal und sein Hauptort Tarvisio/​Tarvis/​Trbiž schon in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts „erarbeitet“. Der Markt in Tarvis war ein Treffpunkt für Kauflustige. Dort fand man preiswerte Waren, erlebte bei Kaufleuten und Wirten einen Hauch von Italianità und genoss Lebensmittel, wie sie sie ansonsten nur Wohlhabendere während ihrer Adria-Urlaube serviert bekamen.

Ein Durchzugstal war dieses Tal schon immer. Bereits die Römer wussten den niedrigsten Alpenübergang an der Wasserscheide bei Camporosso/​Saifnitz zu nützen. Heute nennt man so ein Tal bekanntlich „Transittal“. Das ist das Kanaltal jedoch nur für gestresst nach Süden oder Norden Reisende. In den einzelnen Orten findet der gemütlich Reisende zahlreiche Punkte zum Innehalten. Beschauliche Gassen und Dörfer gilt es zu erwandern und entdecken.

Wichtige Besuchspunkte auf unserer Reise durch das Kanaltal werden die Orte Coccau/​Goggau/​Kokovo, Tarvisio/​Tarvis/​Trbiž, Camporosso/​Saifnitz/​Žabnice, Monte Lussari/​Luschariberg/​Svete Višarje, Valbruna/​Wolfsbach/​Ovčja vas, Ugovizza/​Uggowitz/​Ukve, Malborghetto/​Malborgeth/​Naborjet, Bagni di Lusnizza/​Lussnitz/​Lužice, San Leopoldo/​Leopoldskirchen/​Dipalja vas und Pontebba/​Pontafel/​Dipalja vas sein.

Für die Reisenden war bis 1918 Pontebba und das folgende Canal del Ferro das Tor zum Süden und nach Italien. In der Ortsmitte stehen noch heute am linken Ufer des Bachs Pontebbana, nahe der Brücke, ganz markant, zwei alte Postmeilensteine. Sie weisen nach Udine zum einen, nach Klagenfurt zum anderen.

Doch wir bleiben nicht nur im Tal der Fella. Die Slizza und ihren wild-romantischen Wanderweg, den „Sentiero Orrido dello Slizza“ wollen wir besuchen. Kleine Seitentäler und lohnende Ziele auf Almen werden wir kennenlernen. Ob mit dem Auto, zu Fuß, mit Skiern oder per Bike – der Möglichkeiten gibt es viele. Noch ein Wort zu den Flüssen: hinsichtlich des grammatischen Geschlechts haben wir uns aufgrund der Gebräuchlichkeit vor Ort auf das weibliche geeinigt, auch wenn im Italienischen Slizza und Fella „männlich“ sind.

Dem alten Bergwerksort Cave del Predil/​Raibl/​Rabelj statten wir nicht zuletzt wegen seiner Kärntner Vergangenheit, aber auch wegen der beiden Museen einen Besuch ab. Der nahe Lago del Predil/​Raiblsee gehört ohnehin zum Pflichtprogramm in der Region.

Ein beliebtes Ausflugsziel bei Heimischen wie Gästen sind die Laghi di Fusine/​Weißenfelser Seen/​Pri Jalnu. Die beiden Seen liegen in Wälder eingebettet nur wenige Kilometer vor der Grenze zu Slowenien.

Und weil wir am Schnittpunkt dreier Kulturen unterwegs sind, wenden wir uns auch der slowenischen Grenze zu, folgen dem Radweg (Ciclovia) auf der alten Eisenbahnstrecke bis zur Passhöhe auf 845 Meter Seehöhe nahe Rateče. Diese Ciclovia führt übrigens bis Jesenice. Schön zu befahren ist sie bis Mojstrana.

Bezüglich Sport und Freizeit finden sich im entsprechenden Kapitel zahlreiche Tipps.


Blick von der Sonnenseite auf Malborghetto

Von den Römern bis in die Gegenwart

Seit Menschengedenken ist das Kanaltal ein Durchzugstal für Heere, Kaufleute, Suchende und Verfolgte. Belegbare Spuren gibt es aus der Zeit der Römer. Die Wasserscheide in Camporosso (805 Meter) westlich von Tarvis war auf dem Weg nach Norden, oder auch umgekehrt, der niedrigste Passübergang. Zu Zeiten der Römer gab es in Camporosso eine Zollstation des Noricum. Sie hieß Statio Bilachiniensis und lag an jener Straße, die Aquileia mit Virunum am heutigen Zollfeld bei Klagenfurt verband. Spuren der Römer wurden hier schon immer vermutet – und Raimondo Domenig, Historiker und ehemaliger Schuldirektor aus Malborghetto, ist auch von keltischen Spuren überzeugt.

Bei einem Kaffeeplausch in „Safnitz“, wie die Einheimischen sagen, sitzt mir ein Mann gegenüber, der berichten kann, dass sich in seinem Garten ein römischer Tempel versteckt. Er wurde einst bei Bauarbeiten gefunden, da aber der öffentlichen Hand das Geld zur Freilegung und Bergung der Fundstücke fehlte, wurde die Grube wieder zugeschüttet. So lebt der Mann heute noch mitsamt seiner Familie neben, oder besser über, einem römischen Tempel.

Nach der Römerzeit verlor die Straße durch das Kanaltal zusehends an Bedeutung. Wirtschaftliche Rückschläge brachten auch Abwanderung mit sich. Außerdem zogen kriegerische Horden gegen Süden, das Tal verwilderte. Zu erwähnen sind die Markomannen und die Langobarden. Aus dieser Zeit finden sich kaum Spuren.

In der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends zog ein slawisches Nomadenvolk, das aus der Gegend zwischen Elbe und Oder kam, hierher. Das waren die Wenden, ein Hirtenvolk, das sich in den Alpen gleich in mehreren Gebieten ansiedelte. Im Kanaltal bevorzugten sie die heutigen Dörfer Camporosso und Ugovizza, weil dort Weideflächen zur Verfügung standen und Ackerbau möglich war. Zwischen Drau, Save und Mur gründeten die Wenden eine Grafschaft namens Goratania. Doch sie mussten sich später den Bayern bzw. den Franken unterwerfen.

Zu Beginn des 11. Jahrhunderts (1006 – 1007) gründete Kaiser Heinrich II. der Heilige mit Genehmigung der Bischofsprinzen des Kaiserreiches ein Machtkapitel und übergab dies dem Bischof von Bamberg. Die kirchliche Gerichtsbarkeit jedoch verblieb bis an die Ufer der Drau beim Patriarchat von Aquileia. Diese Epoche wird von italienischen Historikern Bamberger-Aquileiese genannt. Sie endete erst im Jahr 1759, als das gesamte Tal den Habsburgern übergeben wurde. Maria Theresia war zu der Zeit Kaiserin. Noch heute halten Orte wie etwa Malborghetto Kontakt mit der bayrischen Stadt Bamberg. Die Grenze zwischen den Bambergern und der Republik Venedig bildete schon zu jener Zeit die Brücke über den Bach Pontebbana in Pontebba/​Pontafel. Im damals slawisch besiedelten Žabnice/​Saifnitz/​Camporosso wurde im Jahr 1106 die Kirche Sant’Egidio errichtet. Sie gilt als Kanaltaler Ur-Kirche und ihr unterstehen sowohl Tarvis wie auch das Santuario auf dem Monte Lussari. Erste historische Dokumente aus dem 12. Jahrhundert belegen die Gründung von Malborgeth und die Einweihung der Kirche Bomborghetto.

Auf das Jahr 1260 geht laut Urkunde die Gründung von Uggowitz zurück.

Ein offizielles Dokument von Kaiser Friedrich dem Schönen erlaubt einer Tarviser Bergmannsgenossenschaft ab 1327 den Abbau von Mineralen in den Bergen um Tarvis.

Im Jahr 1360 wurde auf dem Luschariberg die erste Wallfahrtskirche errichtet.

Sprachliche Vielfalt ist im Tal seit jeher allgegenwärtig. So erteilte Albert, der Bischof von Bamberg, 1399 den Gläubigen von Tarvis die Erlaubnis, eine Kapelle zu errichten, weil in Žabnice (Saifnitz) die Messe auf Slowenisch gehalten wurde. Ein Großteil der Saifnitzer Bevölkerung sprach damals nämlich Slowenisch.

Im selben Jahr bauten die Cividaleser wegen des Bergbaues und des Handels die Straße von Karfreit (Kobarid/​SLO) über den Predil nach Raibl und Tarvis auf römischen Resten aus. Der Bergbau wurde in der Folge verstärkt. In Fužine/​Weißenfels erhielt Bartolomeo Consuran 1404 von Friedrich Graf von Ortenburg die Genehmigung für den Bau einer Schmiede. Das Gebiet fiel später aber in den Besitz der Grafen von Cilli. Diese errichteten auf dem Berg, den man heute Castello nennt, die Burg Weißenfels. Weil das Geschlecht der Cilli jedoch ausstarb, ging ihr Besitz auf die Habsburger über, die hier bis 1636 Verwalter einsetzten.


Nordfassade des Palazzo Veneziano in Malborghetto

Natürlich wurde auch das Kanaltal nicht von Türkeneinfällen verschont. Das Gebiet um Tarvis suchten die Türken in den Jahren 1478 und 1492 heim, plünderten die Häuser und töteten viele Bewohner.

Am Anfang des 16. Jahrhunderts siedelten sich venezianische Familien im Kanaltal an. So auch in Malborgeth. Dort errichtete die Holzhändler-Familie Canal den Palazzo Veneziano, der heute das Ethnografische Museum beherbergt, als kultureller Treffpunkt genützt wird und als Präsentationsort der Veranstaltung „Ein Prosit in Tarvis“ jeden Oktober Heerscharen von Wein- und Kulinarikfreunden anlockt.

Ab 1550 kam der Bergbau von Raibl in den Besitz der Familie von Rechbach. Die Zeit der Bamberger Herrschaft endete 1759. Damit fiel das Kanaltal an die Habsburger.

In den Jahren von 1797 bis 1809 gab es zwischen den Habsburgern und den napoleonischen Truppen hier im Tal mehrmals kriegerische Auseinandersetzungen. Ein markantes Ereignis ist die Eroberung der Festung bei Malborgeth 1809 (siehe Malborghetto: Auf Napoleons Spuren, Seite 132).

Mit dem Bau der Nationalstraße im Jahr 1851 im Raum Tarvis wurde die alte römische Trasse ersetzt. Die Eisenbahnlinie Laibach – Tarvis stellte man 1872 fertig und die Linie Villach – Tarvis 1877. Nach Udine konnte man ab 1879 mit der Eisenbahn fahren.


Heilwasser-Häuschen in Bagni di Lusnizza

Der Bach Pontebbana in Pontafel/​Pontebba wurde 1866 zum Grenzfluss zwischen dem Königreich Italien und dem Kaiserreich Österreich-Ungarn.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Bad Lussnitz (Bagni di Lusnizza/​Lužice) mit seiner Schwefelquelle zum Kur-Badeort.

Überschwemmungen suchten Uggowitz im Jahr 1903 heim. Im Ersten Weltkrieg folgte, wie in anderen Orten auch, der Beschuss durch die italienische Armee.

Erster Weltkrieg („Grande Guerra“) zwischen Nassfeld und Sella Nevea

Der Mai 1915 war kein Wonnemonat, sondern ein schicksalhafter Monat mit weitreichenden Folgen. Das Königreich Italien kündigte am 4. Mai den Dreibundvertrag, der zwischen Italien, Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich bestand, auf. Am 23. Mai wurde die italienische Kriegserklärung an Österreich-Ungarn in Rom an Botschafter Baron Machio übergeben und gleichzeitig in Wien durch den Herzog von Avarna an Minister Burian. Damit war Italien, der ehemalige Verbündete – so die Definition in Wien –, nicht ganz unerwartet der Habsburg-Monarchie in den Rücken gefallen. Tatsache ist, dass es ohne diese Kriegserklärung nie zum Gebirgskrieg zwischen Brenta, Dolomiten, Karnischen Alpen, Julischen Alpen und Isonzo gekommen wäre. Doch Italien stellte schon im Vorfeld Ansprüche auf Triest und das Trentino.

Italiens Generalstabchef Luigi Cadorna hatte bereits 1914 drei Varianten von Angriffsplänen ausgearbeitet. Eine Variante wäre der Vorstoß über Tirol gewesen, die zweite sollte über den Karst nach Laibach und Wien führen, und die dritte über das Fellatal nach Kärnten. So beschreibt es Manfried Rauchensteiner in seinem Buch „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie“.

Doch bleiben wir im Großraum Tarvis. Mit Variante drei stand auch das österreichische Kanaltal im Brennpunkt. An der Kärntner Front entlang der Karnischen Alpen, des Kanaltales und der Julischen Alpen fehlten allerdings Soldaten. Die wehrfähigen Männer waren anderswo im Kriegseinsatz. Freiwillige meldeten sich also in Kärnten zu den Waffen: sehr junge Männer und solche, die eigentlich nicht mehr wehrfähig waren, zogen gegen Italien in den Krieg. Es waren dies die „Kärntner Freiwilligen Schützen“.

 

Und Österreich-Ungarn musste auch einen strategischen Nachteil zur Kenntnis nehmen. In den vorangegangenen Jahren wollte man den Verbündeten Italien nicht durch Festungs- und Stellungsbauten in den Julischen Alpen provozieren und ging daher schlecht vorbereitet in den Krieg in dieser Gebirgsregion. Deshalb besetzte die italienische Armee nach der Kriegserklärung ziemlich rasch strategisch wichtige Punkte auf den Gipfeln der Julier und südlich des Kanaltales. Das Tal selbst stellte die Verbindung zwischen Karnischer und Julischer Front dar. Denn vom Hauptkamm der Karnischen Alpen zog sich die Front herunter nach Pontebba/​Pontafel, wo der Pontebbana-Bach die Grenze und Frontlinie zog. Hier standen sich die Feinde praktisch von Ufer zu Ufer gegenüber.

Von Pontafel zog sich der Frontverlauf weiter bis nach Malborgeth. Die nördliche Talhälfte war in österreichischer, die südliche in italienischer Hand und alle Ortschaften evakuiert. Vom Talboden zog sich die Front hinauf zum Gipfel des Mittagskofels, hinunter zum Somdogna-Sattel (1389 Meter) und von dort weiter nach Sella Nevea (1142 Meter). Die Österreicher hielten den Wischberg und die Italiener den Montasch.

Umkämpfte Punkte waren unter anderem der Somdogna-Sattel. Er trennte die Österreicher in der Saisera, dem Talkessel südlich von Valbruna, vom Feind im Dognatal, der dort wichtige Artillerie- und Nachschubposten positioniert hatte.

Eine anschauliche Informationstafel steht heute wenige Meter vor der Locanda Montasio, links im Wald der unteren Saisera. Dort befand sich einst die vorderste österreichisch-ungarische Linie. Von dieser ausgehend versuchte man am 18. Oktober 1915 vergeblich, die italienische Linie, die vom Köpfach über den Somdogna-Sattel auf den Mittagskofel führte, zu erobern. Das Ziel war das Dognatal. Nach dem Scheitern dieses Angriffes blieben die Stellungslinien in der Saisera bis zur Auflösung der Front in den Julischen Alpen unverändert.

Jenseits des Wischberges liegt in südlicher Richtung Sella Nevea. Von dort zog sich der Frontverlauf hinauf zum Rombon und weiter hinunter bis nach Flitsch.

Weil aber vom oberen Kanaltal die Versorgung der Front in den Julischen Alpen und weiter südlich bis nach Flitsch/​Bovec und Karfreit/​Kobarid und Tolmein/​Tolmin erfolgte, bekam das Tal eine besondere strategische Bedeutung.

Bekannte Berge der Julischen Alpen waren damals besetzt. Österreich hielt den Kleinen Mittagskofel (1952 Meter) und den Schwarzenberg (Monte Nero). Weiters Kleiner und Großer Nabois (2318 Meter), Wischberg/​Jôf Fuart (2666 Meter), Gamsmutter (2507 Meter), Mosesscharte (2271 Meter), Kornspitze/​Cima Vallone (2368 Meter) und die Kastreinspitze (2502 Meter). Ebenfalls österreichisch waren der Steinerne Jäger (2071 Meter) und die Krnica/​Carnizza-Scharte (1767 Meter).

Die Italiener wiederum besetzten den Monte Piccolo (1746 Meter), Monte Granuda (2589 Meter), Zweispitz/​Due Pizzi (2046 Meter), Monte Piper (2069 Meter), Großen Mittagskofel/​Jôf di Miezegnot (2087 Meter), Jôf di Somdogna (1881 Meter), Montasch/​Jôf di Montasio (2752 Meter), Gambon (2404 Meter) und Cregnedul (2351 Meter).

Schwer unter Beschuss genommen und zerstört wurden im Laufe der Kampfhandlungen die Gebäude und die Kirche auf dem Luschariberg.

Im Wesentlichen gehörte die Kanaltaler Front zu dem, was Militärs im Fachjargon Patrouillen- und Kleinkrieg nennen. Mehrfach umkämpft waren Monte Piper, Zweispitz, Mittagskofel, Dogna-Sattel, Kastreinspitze und Wischberg.

Relativ starr blieb der Frontverlauf in den Julischen im Raum Tarvis bis zum Durchbruch an der Isonzo-Front, anlässlich der 12. Schlacht, bestehen. Trotzdem gab es um die Gipfel immer wieder größere und kleinere Scharmützel sowie regen Artilleriebeschuss aus dem Val Dogna, wo fast alle Orte betroffen waren.

Dass die Italiener den Durchbruch über Pontebba und das Kanaltal nicht ernsthaft versuchten, lag daran, dass sie die Wehrhaftigkeit von Fort Hensel bei Malborgeth völlig überschätzten. Außerdem sprengten die in Pontafel stationierten Österreicher beide Straßenbrücken und die Eisenbahnbrücke, die über den Pontebbana führte.

Der spätere Kaiser Karl war am 22. Juni 1915 als Erzherzog Karl Franz Joseph zur Frontbesichtigung und Truppeninspektion im Kanaltal. Sein Beobachtungsposten lag in jenem Bereich, wo heute bei Ugovizza sein Denkmal steht. Erzherzog Karl Franz Joseph erlebte heftige italienische Artillerieangriffe auf das Fort Hensel bei Malborgeth. Diese Angriffe waren so massiv, dass in der nicht mehr zeitgemäßen Festung um 10 Uhr 45 eine 305-mm-Granate drei Stockwerke durcschlug und in einem Deckungsraum explodierte. Dort starben zwei Offiziere und siebzehn Artilleristen. Heute erinnert am Friedhof in Ugovizza eine Gedenktafel an diese Gefallenen. Um die Anbringung dieser Tafel hat sich Alessandro De Lussu verdient gemacht.


Historischer Meilenstein in Pontebba

Tote gab es an dieser Front nicht nur durch die Gefechte und den Artilleriebeschuss, sondern häufig auch durch Kälte, Steinschlag und vor allem Lawinen.

Auf österreichisch-ungarischer Seite war in diesem hier beschriebenen Frontabschnitt, speziell in der Wischbergruppe, kein Geringerer als der Erschließer der Julischen Alpen, Julius Kugy, als alpiner Berater tätig. Am Tag der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien und der beginnenden Mobilmachung war er nicht daheim in Triest, sondern mit einer Gruppe von Bergkameraden auf dem Wischberg unterwegs.