Otto von Metz: Genialer Baumeister und Leugner Gottes

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Otto von Metz: Genialer Baumeister und Leugner Gottes
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Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über https://portal.ddb.de abrufbar.

Impressum:

Autor: Hans-Jürgen Ferdinand

E-Book: ISBN 783959249706

Herausgeber: ©red scorpion books

Bildquelle Cover: FALKENSTEINFOTO / Alamy Stock Foto

© Redaktion und Layout: www.evelyne-kern.de

Gedruckte Ausgabe:

ISBN: 978-3-86933-272-7

Satz und Layout: www.winkler-layout.de

Herausgeber: Helios-Verlag

© Inhaltliche Rechte beim Autor

Hans-Jürgen Ferdinand

Odo von Metz:

Genialer Baumeister und Leugner Gottes

Historischer Roman

Vorwort

Das nachfolgende Streitgespräch zwischen König Karl, Theodulf, Alkuin und Odo von Metz soll für den Leser der Einstieg sein, der Frage nach Gott und Religion auf den Grund zu gehen. Mir ist als Autor bei meinen Recherchen durchaus bewusst geworden, dass der Mensch bei der Suche nach Gott sehr schnell an natürliche Grenzen stößt und ein Irrtum der vermeintlich gewonnenen Erkenntnisse daher auch nicht auszuschließen ist. Gleichwohl hat mein Verstand es bei der eigenen Meinungsbildung nicht zugelassen, dass mich beflissene Glaubensdeuter mit intellektueller Unredlichkeit überzeugen konnten.

Die Frage nach Gott wird auch durch noch so intensives Nachdenken und Argumentieren nicht zu einer Frage, auf die es eine eindeutige und sichere Antwort gibt. Letzten Endes muss auch bei einer rationalen Betrachtung jeder, der an der Gottesfrage ernsthaft interessiert ist, sich über die betreffenden Argumente sein eigenes Urteil bilden und sich auf der Basis dieses Urteils entweder für oder gegen die Annahme der Existenz Gottes entscheiden. Trotzdem ist und bleibt es ein gewaltiger Unterschied, ob jemand diese Entscheidung ohne Kenntnis oder nach sorgfältiger Prüfung der relevanten Argumente trifft. Auch derjenige Leser, der bei der Lektüre der zahlreichen Aussagen und Zitaten zu der Gottesfrage zu anderen Ergebnissen kommt, wie beispielsweise Odo von Metz und die anderen Teilnehmer des anschließenden theologischen Streitgesprächs, wird durch seine kritische Beschäftigung mit diesen Argumenten seiner Einstellung zum Gottesglauben jedenfalls eine solidere Basis geben. Und der Leser, der noch tiefer einsteigen möchte, erhält einen Buchvorschlag über eine vorliegende Sammlung von über 2000 Beiträgen von ca. 1400 Dichtern, Denkern, Wissenschaftlern, Theologen und ganz normalen Zeitgenossen. Darüber hinaus biete ich dem Leser auch gerne meine persönlichen Gedanken und auch Leserbriefe zu dem Thema Gott und Religion an, die in diesem Buch, bzw. von meiner Homepage www.Hans-Juergen-Ferdinand.de zu übernehmen sind.

Am zweiten Adventsonntag kam Odo von Metz von seiner vierjährigen Studienreise nach Konstantinopel, Rom, Ravenna und Mailand zurück an den Hof des fränkischen Königs in Regensburg. Er war der Sohn eines Grafen aus der fränkischen Reichsaristokratie mit großen Besitzungen in der Provence. Er hatte für einen weltlichen Adelsmann eine großartige Ausbildung im Kloster Tours, auf der Reichenau und später in Rom erfahren. Neben ausgezeichneten sprachlichen Kenntnissen verfügte er über so etwas wie Allgemeinbildung und Weltoffenheit. Selbst in theologischen Angelegenheiten konnte dieser Freigeist mitreden.

Karl hatte diesen großartigen, etwa gleichaltrigen Architekten und Baumeister anno 781 in Rom kennengelernt und ihm damals schon aufgetragen, eine Pfalzkapelle zu planen, wie man sie so groß und wunderbar sonst nirgendwo nördlich der Alpen würde vorfinden können. Odo von Metz hatte daraufhin die mächtigen Bauwerke der damaligen Zeit in Rom, Mailand, Ravenna und Konstantinopel besucht. Er hatte sich dort die notwendigen Erfahrungen und Techniken geholt, um später einmal eine hochragende Kuppel errichten zu können, ähnlich jener von San Vitale in Ravenna. Solch eine wollte der fränkische König für seine Pfalzkapelle, die auch einmal seinen Leichnam beherbergen sollte und die er für seine Begegnung mit Gott am Jüngsten Tag glanzvoll herrichten wollte. Karl schätzte den kleinen, stämmigen und äußerst sprachgewandten Baumeister, dessen riesiger, von grauer Haarpracht umwallter Kopf wie ein Felsbrocken auf seinen Schultern saß.

Odo trug eine seidengefasste Tunika aus feinem, hellem Leinen und hatte sich einen Marderpelz über die Schulter geworfen. Seine Beine steckten in dünnen Leinenstrümpfen, die Füße in enganliegenden Stiefeln. Dieser gesunde, rotbäckige Adelsmann hatte bereits prägend an der Eingangshalle des Klosters Lorsch, dem bisher großartigsten Monument fränkischer Baukunst mitgewirkt. Die beiden Männer zogen sich in Karls Privatgemächer zurück. Nach einer Weile kamen noch Theodulf und Alkuin hinzu.

„Ich habe versucht, mich bei meinen Planungen zum Bau der Pfalzkapelle in deine Gedanken zu versetzen, mein König, und ganz anders zu denken, als ich es bisher getan habe“, sagte der Baumeister mit den wilden Haaren. „Auch wenn ich den genauen Standort zum Bau dieser Kapelle noch nicht kenne, so habe ich doch versucht, deinem innigsten Wunsch entsprechend, sie nach dem Ebenbild des Himmels und des neuen Jerusalems hier im Frankenreich zu planen“, erläuterte Odo.

„Du willst eine Pfalzkapelle, aber auch einen Tempel Salomons, ein von Gott befohlenes Heiligtum für die Bundeslade, was bei den Franken nichts anderes ist als der Schrein mit dem Mantelrest des heiligen Martin. Gleichzeitig soll ich dir eine Hagia Sophia als Ort der heiligen Weisheit bauen“, zählte Odo die von König Karl gemachten Vorgaben noch einmal auf.

„Ich weiß immer noch nicht, ob das, was du mir so vorgegeben hast, mein König, überhaupt durchführbar ist“, zeigte Odo doch erste Bedenken. „Schließlich soll deine Pfalzkapelle auch groß genug, nicht zu protzig und doch noch für einen Frankenkönig bezahlbar sein“, ergänzte Odo noch.

„Ich sehe, du hast mich verstanden“, entgegnete der König darauf und lachte. „Ja, ich verstehe“, antwortete Odo von Metz, „dass jeder Stein und jede Mauerflucht, die Fenster und die Simse, ja selbst die Proportionen und die Ausrichtung nach Länge und Breite all dem entsprechen sollen, was dir, mein König, als Traum von einer Kirche so vorschwebt.“

„Und du bist bei all deinen Planungen von der Harmonie in Maß und Zahl ausgegangen?“, fragte der König.

„Ja, König Karl, ich werde es dir erklären“, erwiderte der Baumeister erwartungsfroh, nahm eine der verschiedenen Pergamentrollen aus einem verbeulten Lederköcher, rollte sie auf dem Tisch auf und legte an beiden Enden der Rolle einen Stein darauf.

„Zuerst die Vorrede“, bat sich Odo aus, als er die Ungeduld des Königs verspürte, „denn du musst verstehen, was du gleich sehen wirst, weil dir kein Plan verraten kann, was dich umfließt, wenn du zum ersten Mal in deiner Pfalzkapelle stehen wirst.“

„Fang an, aber mach’s kurz“, bedrängte ihn Karl ungeduldig.

„Gleich dem Kirchenbau San Vitale in Ravenna bildet der Kernraum ein Achteck von nahezu denselben Ausmaßen wie die ravennatische Kirche, aber deine Pfalzkapelle, mein König, wird steiler und höher sein und sie besitzt drei, nicht nur zwei Geschosse. Ich beginne mit dem Maß von einem Fuß, von dem drei auf einen Schritt gehen. Zwölf Fuß ergeben eine Latte, wie du weißt. Zwölf, wie die Jünger Jesu, zwölf, wie die Sternkreiszeichen und die Monate des Jahres.

Und das Maß Fuß als Symbol der Erde multipliziert mit der Zahl der Jünger und Himmelszeichen soll für den ganzen Bau der Wert sein, den jedermann erkennen kann. Die Kapelle wird 144 Fuß, also 12 mal 12 Latten, lang sein. Das ist die heilige Zahl der Stadt der Apokalypse, das Maß der Engel, wie es dort heißt“, erklärte Odo. „Ganz so, wie du es mir vorgegeben hast, mein König“, betonte Odo von Metz noch und ließ auf einen Zuruf hin von zwei Leibdienern ein grobes Holzmodell der künftigen Pfalzkapelle aus dem Vorraum in des Königs Arbeitszimmer bringen.

„Das klingt sehr gut“, sagte Alkuin und auch Theodulf nickte anerkennend.

„Ja Odo, das ist großartig, du scheinst meinem Wunsch entsprochen zu haben, die Pfalzkapelle nach Göttlicher Ordnung mit den dominierenden und miteinander korrespondierenden Idealzahlen 1 – 2 – 3 – 5 – 7 – 12 zu planen“, sah man die Zufriedenheit in Karls Gesicht. Er streckte seine langen Beine aus, legte sich genüsslich in seinem Sessel zurück und stützte sein bärtiges Kinn in die linke Hand.

„Odo, du machst mich neugierig, ob sich auch die anderen Zahlen, die Platon als vollkommen bezeichnet hat, nämlich die Acht, die Neun und die Siebenundzwanzig in deinen Planungen wiederfinden“, sagte Karl und schenkte sich aus einem Tonkrug gesüßte Milch in seinen Trinkbecher ein. „Oh ja, mein König, ich will es dir hier an meinem Plan erläutern“, erwiderte Odo mit einem stolzen Lächeln und beugte sich mit dem König und seinen beiden Beratern Alkuin und Theodulf über ein Pergament.

„8 × 8 = 64 Fenster, Türen und offene Bögen führen vom Gürtelschiff nach außen oder ins Oktagon hinein. Es sind sechzehn oben, sechzehn unten und acht Oberarkadenfenster; dazu kommen jeweils drei geöffnete Bögen in den acht Seiten des Oktagons. Zweiundsiebzig Säulen werden im Atrium und in der Kapelle stehen. Davon sechsunddreißig an der Seite des Atriums, vier in der Westraumarkade hinter dem Thron und zweiunddreißig in den großen Bögen des Oktagons.“

 

„Das ergibt 9 × 8 = 72“, sagte Theodulf anerkennend.

„Zweiundsiebzig Felder und Stege werden die vergoldeten Bronzegitter im Achteck der Kirche besitzen“, fuhr Odo mit seinem Zahlenwerk fort, „ebenfalls zweiundsiebzig ergäbe die Summe aus den achtundvierzig kleineren Arkaden, den acht Pfeilern und den sechzehn größeren Bögen im Kirchenzentrum und noch einmal zweiundsiebzig beträgt die Summe der achtundvierzig Arkaden, sechs Pilaster und achtzehn Fenster, die sich zum Innern des neuen Atriums öffnen werden. Insgesamt ergibt das zweihundertsechzehn und liefert damit in der Zahlenreihe den Wert 27 × 8. Für die Herstellung und Anbringung gleichmäßig heller Alabasterfenster in der Pfalzkapelle habe ich übrigens vier Künstler aus der Lombardei vorgesehen“, trug Odo mit Stolz in der Stimme noch nach.

„Odo, wenn uns das Werk so gelingt, wie du es uns vorgetragen hast, halten wir die geheimnisvolle Harmonie in Händen, die das Weltall durchdringt“, sagte Alkuin jetzt sehr euphorisch und wandte sich dann an den König: „Karl, gestatte mir, dass ich dir die Bedeutung der Idealzahlen noch nachtrage“, bat Alkuin „Die Eins steht für die Unität, den einen Gott, die Zwei steht für die Polarität, Gott-König, die Drei für die Trinität, das heißt Vater-Sohn-Heiliger Geist. Die Fünf weist auf die fünf Bücher Mose und die fünf Planeten hin, die Sieben steht für die sieben Geister Gottes, die sieben Todsünden und sieben Engel und die Zwölf schließlich ist das Sinnbild der zwölf Stämme Israels und der zwölf Apostel.“

„Ja, mein König, Alkuin hat dir die Bedeutung der Zahlen sehr richtig wiedergegeben“, bestätigte Odo „Ich will dir eine Kapelle bauen, die so geordnet ist wie die Bedeutung der wertvollsten Reliquie des gesamten Frankenreichs“, sagte Odo von Metz. „Das allerdings soll ein Geheimnis zwischen uns vier bleiben.“

„Ja, du sprichst die ganze Zeit recht geheimnisvoll“, bemerkte Theodulf lächelnd, „aber gut, nun sage unserem König auch, was du geplant hast.“

„Es ist die Zwölf, haben wir gesagt, die Latte“, entgegnete Odo. „Gut, dann soll die innere Pfalzkirche im Erdgeschoss zwölf mal zwölf Latten groß und achteckig sein, von acht Bogentoren umgeben, deren Arkaden von guten, starken Pfeilern getragen werden. Ein weitausladendes Kranzgesims soll den unteren vom oberen Raum trennen, der nochmals durch übereinandergestellte Säulenbögen höher und festlicher erscheint“, erklärte Odo, nahm ein neues Pergament und zeigte dem gespannt zuschauenden König sowie Theodulf und Alkuin die entsprechende Detailzeichnung dazu.

„Hier wird dein Thron stehen“, erklärte Odo und wies mit seinem Zeigefinger erst auf die Detailzeichnung und dann auf den entsprechenden Standort innerhalb des Holzmodells.

„Hier im Obergeschoss herrscht achsiale Symmetrie vor. Alles ist auf den Thronsitz ausgerichtet, von dem du, mein König, den ganzen Raum unmittelbar mit einem Blick wirst erfassen können. Wie zum Königssitz Salomons führen auch zu deinem Thron sechs Stufen hinauf.“

„Odo, hast du unter meinem Thronsitz einen Hohlraum für Reliquien vorgesehen, in dem ich die Erde aufbewahren kann, die mit dem Blut des heiligen Stephanus getränkt ist?“ fragte der König.

„Ja, mein König, auch daran habe ich gedacht“, entgegnete Odo. „Du wirst von deinem Thron aus dem Gottesdienst auf den drei Altären der Kirche folgen können. Es sind dies der Marienaltar und Petrusaltar im Erdgeschoss und der Salvatoraltar im Obergeschoss. Selbst die Rednerkanzel im Untergeschoss wird vom Thron aus sichtbar sein“, ergänzte Odo. „Dein Gefolge kann sich dicht um deinen Thron scharen, um stehend, die vorgesehenen Bronzegitter im Obergeschoss überschauend, am Gottesdienst teilzunehmen. Und ganz oben, im wieder achtteiligen Gewölbe soll ein großes Mosaik die Blicke anziehen.“

„Hast du für dieses Mosaik im Gewölbe schon ein Motiv ausgewählt?“, fragte Karl.

„Nein, mein König, die Motivsuche wollte ich dir und deinen geistlichen Beratern überlassen, aber wenn du mich fragst, sollte von dem Mosaik schließlich zuoberst der vom Erlöser ausstrahlende Glanz ausgehen“, erwiderte Odo und fuhr fort: „Wer innen in der Pfalzkapelle steht, muss denken und auch fühlen, dass dieses hohe Achteck wie aus einem einzigen Felsen herausgeschnitten ist. Und wer von außen die Kapelle bewundert, wird sehen, dass sie bis über die halbe Höhe ein Sechzehneck und ganz oben wieder ein Oktagon ist.“

„Ja, Odo, das sieht in der Tat alles sehr gut geplant und massiv aus“, meinte Karl zustimmend.

„Aber du sprachst von einem Geheimnis zwischen uns“, zeigte sich der König weiterhin sehr neugierig.

„Dafür muss ich mich ein wenig unserer Vergangenheit zuwenden“, begann Odo seine Darlegungen.

„Zuerst war nur die Capa, der Mantel des heiligen Martin, etwas Besonderes für die Franken. Dann wurde auch die Truhe, in der der Mantel transportiert wurde, zu einem verehrungswürdigen Gegenstand. Irgendwann übertrug sich der Name des siegverbürgenden Mantels auf den Raum, in dem die Reliquie aufbewahrt wurde, und hieß Kapelle.“

„Ein Mantelbeschützer war plötzlich ein Capellani, ein Kaplan“, ergänzte Alkuin.

„Richtig, Alkuin“, bestätigte Odo von Metz, „genauso soll es auch im Innern der Pfalzkapelle sein; der Innenraum für alle Gläubigen, die Empore für den fränkischen König und seinen Hofstaat und für die kostbarsten Reichsreliquien ein besonderer und geschützter Schatzturm. Das Marmordach der Kuppel und der angegliederte Schatzturm sollen die gleiche Höhenlinie von 108 Fuß, also neun Lattenlängen haben“, sprach Odo und demonstrierte am Holzmodell das Gesagte. „Das Oberteil des Eingangs- und Schatzturms erreicht mitsamt seinem gefalteten Dach eine Höhe von 108 Fuß, was wiederum der Länge der Aula Regia entsprechen wird. Und unterhalb des Dachstuhls dieses Schatzturms gedenke ich eine Glockenkammer einzurichten und auf seiner Spitze will ich ihn mit einem vergoldeten Kreuz auf einer Erdkugel versehen.“

„Das heißt, du glaubst an die Kugelgestalt der Erde“, unterbrach der König seinen Baumeister.

„Ja, mein König“, entgegnete Odo nickend. „Die Harmonie des Werkes soll durch diese Zahlen ebenso gewährleistet sein wie seine statische Sicherheit; denn was festgefügt ist, muss auch unerschütterlich fest erscheinen“, fügte Odo noch hinzu.

„König Karl will sich kein eigenes Denkmal errichten“, entgegnete Alkuin darauf belehrend, „kein bloßes Monument und auch nicht nur eine Pfalzkapelle, in der die Gemeinde zusammenkommt, um Gott zu feiern. Das Bauwerk muss vielmehr später bei all den Untertanen des Königs jene magische Kraft erzeugen, die den Frankenherrscher befähigt, sein riesiges Reich von innen her zu beherrschen, mit Reformen zu durchdringen und nach seinem Willen zu formen.

Nach allen Seiten hin, in alle Höhen hinauf, in alle Tiefen hinab soll von der Pfalzkapelle einmal die Energie ausgestrahlt werden, die als lösende, zwingende, bezeugende und bannende Kraft des rechtmäßigen Königs als Werkzeug Gottes von seinen Untertanen wahrgenommen wird“, zeigte Alkuin zu welch tiefsinnigen und philosophischen Betrachtungen er fähig war.

König Karl und auch Odo von Metz wussten auf Alkuins Einlassungen nichts zu antworten, sodass dieser gleich fortfuhr: „Wenn das lebendige Gestein in friedlicher Eintracht gefügt ist und auf dieselbe Zahl jedes Verhältnis gestimmt, dann glänzt leuchtend das Bauwerk des Herrn“, zitierte Alkuin einen Spruch aus der Bibel und König Karl und sein Baumeister nickten. Dann rollte Alkuin ein Pergament auf und sagte: „Karl, wenn die Pfalzkapelle einmal erbaut sein wird, werde ich dir als mein ganz persönliches Geschenk unterhalb des Kranzgesims im Oktagon einen Achtzeiler einmeißeln lassen, der folgenden vorläufigen Text beinhaltet und der weitgehendst deinem Regierungsprogramm entspricht.“

„Dann bin ich aber gespannt, was deine Dichtkunst zu bieten hat“, lachte Karl.

„Indem Steine so zum Verband gefügt werden wie Menschen ohne Streit in Gauen zusammenleben und indem die gleiche Mathematik alles harmonisch aufeinander abstimmt, offenbart sich das Werk des Herrschers, der diesen ganzen Königspalast errichtet“, las Alkuin seine gedanklichen Ergüsse vor.

„Der Herrscher schafft so ein Monument des frommen Strebens der Menschen. Der Steine Mauerwerk in zeitloser Schönheit wird überdauern, wenn sein Erbauer über das vollendete Bauwerk seine schützende Hand hält. So wolle Gott, dass dies beschützende Heiligtum, das König Karl erschuf, auf festem Grund ruhe“, endete Alkuin mit einer an den König gerichteten Verbeugung.

„Sehr gelungen, dein Gedicht, und deiner würdig, mein lieber Alkuin; möge Gott, dass wir vier gemeinsam das fertige Bauwerk einmal bewundern und diese Inschrift in goldenen Lettern lesen werden“, lobte der König seinen Berater.

„Was denkst du, Odo, wird es möglich sein, die Pfalzaula unweit der Pfalzkapelle zu errichten und durch einen doppelstöckigen überdachten Säulengang zu verbinden?“, fragte Theodulf.

„Wenn der Baugrund für die zu errichtende Pfalzkapelle und die Königspfalz nicht zu abschüssig ist, wird sich das machen lassen“, entgegnete Odo und nahm ein weiteres Pergament aus dem Lederköcher.

„Vorbehaltlich des passenden Baugeländes soll die Pfalzkapelle in ihrer Längsachse richtungsbestimmend sein für all die anderen Pfalzbauten: für die königliche Aula im Norden, den Thronsaal des Frankenkönigs genauso wie für einen von mir geplanten doppelstöckigen Verbindungsportikus und Torbau im Westen, für die königlichen Gemächer, für die Räumlichkeiten der Hofkapelle, für das Pfalzgericht, für die Kanzlei und das Archiv und für die zahlreichen Funktionsbauten im Osten der Pfalzkapelle“, fuhr Odo in seinen Erläuterungen fort und unterstrich das Gesagte mit seinem Zeigefinger auf dem ausgebreiteten Pergament.

„Die langgestreckte Königshalle als Dreikonchenanlage mit einer größeren nach Westen ausgerichteten Apsis und zwei kleineren Apsiden im Norden und Süden sowie ein weiterer rechteckiger Turmbau im Osten geht auf meine Studien der Trierer Palastaula Kaiser Konstantin des Großen und auch auf das römische Triklinium, dem päpstlichen Repräsentationsraum des dortigen Lateranpalastes zurück. Aber bevor ich mich mit solchen Plänen beschäftige, lasst mich zunächst einen geeigneten Bauplatz für die Pfalzkapelle finden“, zeigte sich Odo guter Dinge.

König Karl schob die Lippen vor. „Alles, was du uns beiden aufgezeigt hast, wirkt wie ein köstlicher Rauschtrank“, war der König des Lobes voll und auch Theodulf und Alkuin nickten zustimmend, als er noch beipflichtete: „Odo, du beherrschst die schwere Kunst, das eigene Genie einem anderen leibeigen zu machen, ähnlich dem biblischen Joseph, der die Deutung der Träume vor dem Pharao so formulierte, als habe der Pharao sie selbst gefunden.“

„Dein Lob und auch das Alkuins und Theodulfs erfreut mich sehr, mein König“, entgegnete Odo von Metz, „aber ich befürchte, du willst deine Kapelle zu Ehren Gottes nicht von einem Baumeister erstellen lassen, dem der Glaube an Gott während seines Aufenthalts in der Fremde abhandengekommen ist“, sagte Odo mit stockender Stimme und so, als wäre er froh, das Unausweichliche endlich ausgesprochen zu haben. Es herrschte ein Moment größter Stille unter den vier Männern, die sich gegenseitig entgeistert anschauten.

„Wie konnte das geschehen? Das ist ein Werk des Teufels, der Zweifel in dein Herz gesät hat“, sagte der König mit belegter Stimme und so, als wären ihm die Worte im Hals stecken geblieben. „Welche teuflischen Einflüsse haben deine Sinne verwirrt, dass du nicht mehr an Jesus Christus, unseren Herrn, zu glauben vermagst?“, fragte Alkuin gleich hinterher und rang nach Luft.

„Niemand hat mich verwirrt, mein König“, entgegnete Odo schon wieder etwas gefasster, „auch unterliege ich keiner teuflischen Einflussnahme, allein mein freier und, wie ich meine, auch gesunder Geist hat mich bewogen, im christlichen Glauben einen Trugschluss zu sehen. Für diese meine, seit geraumer Zeit gott- und glaubenslose Einstellung, die von den Griechen Atheismus genannt wird, will ich gerne einstehen und sie auf deinen Wunsch, mein König, mit meinen Argumenten auch unterlegen. Anschließend magst du dann entscheiden, ob ein gottloser Baumeister dir dann noch weiter dienen darf.“

„Odo, du machst es mir schwer“, sagte der fränkische König sehr bedrückt, „eine solche Entscheidung zu treffen, habe ich doch erkannt, welch großartiger Baumeister du bist und wie wohl nur du meine kühnen Träume umzusetzen vermagst. Ich glaube“, sagte der König und seine Stimme wurde wieder fester, „ich glaube an den allmächtigen Gott, an Jesus Christus, an den Heiligen Geist und an die Aufgabe, die uns das Evangelium gestellt hat. Ich will, dass in Zukunft Männer um mich herum sind, die mich in diesem Glauben bestärken. Ich kann dir also nichts versprechen, und noch vermag ich auch nicht zu erkennen, welche Zweifel dich am Glauben an unserem Herrn Jesus Christus bedrücken und ob du nicht vielleicht doch noch in die Gemeinschaft der katholischen Kirche zurückfindest.“

 

Es war eine Weile ganz still, nur das leise Atmen der Männer war zu vernehmen. Nun bitte ich dich mit der eigentlichen Thematik fortzufahren“, hatte der König die Fassung wiedergewonnen und ließ sich doch alle Handlungsspielräume offen. „Mein König, ich versichere dir, dass mein Atheismus, eigentlich ist es ein Enttäuschungsatheismus“, verbesserte sich Odo, „keinerlei Auswirkungen auf meine Planungen und Vorbereitungen für das von dir erträumte Gotteshaus hatte oder auch haben wird. Nur in dem Wissen um deinen christlichen Glauben konnte ich mit meinen Planungen deinen Wünschen entsprechen. Und ich könnte dir mit meiner Baukunst auch noch mehr dienen, wenn ich wüsste, in welcher Residenz und an welchem Standort die von mir geplante Pfalzkapelle dereinst zu deinem Ruhme in den Himmel ragen würde.“

„Wir haben deine Frage erwartet“, erwiderte Alkuin sehr reserviert und in Gedanken immer noch von Odos Gottesverleugnung getragen, „und haben daher alle Pläne, derer wir von Aquisgranum habhaft werden konnten, zusammengetragen.“

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