Karl der Große: Missionar und Werkzeug Gottes

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Karl der Große: Missionar und Werkzeug Gottes
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über https://portal.ddb.de abrufbar.

Impressum:

Autor: Hans-Jürgen Ferdinand

E-Book: ISBN 978-3-95924-969-0

Herausgeber: ©red scorpion books

Coverfoto: Adobe Stock / Stefan

© Redaktion und Lektorat: www.evelyne-kern.de

Gedruckte Ausgabe:

ISBN: 978-3-86933-269-7

Satz und Layout: www.winkler-layout.de

Herausgeber: Helios-Verlag

© Inhaltliche Rechte beim Autor

Hans-Jürgen Ferdinand

Karl der Große: Missionar und Werkzeug Gottes

Historischer Roman

Vorwort

Karls Streben seinen Machtbereich zu erweitern, kann zu keinem Zeitpunkt seiner Herrschaft von seiner Absicht getrennt werden, das Christentum über die ihm damals bekannte Welt hinaus zu verbreiten. Der fränkische Herrscher sah sich fortwährend dafür verantwortlich, Gottes Reich auf Erden zu vergrößern. Als weltliches Oberhaupt der christlichen Kirche sah Karl sich zunehmend in göttlichem Auftrag handelnd; mit großem Sendungsbewusstsein ausgestattet, als Werkzeug Gottes, den christlichen Glauben überall dort zu verbreiten, wo seine reale Macht dies zuließ, gleichzeitig bei all seinen Handlungen und trotz seiner ihm sicherlich auch bewussten Unzulänglichkeiten, sein eigenes Seelenheil stets bedenkend. Karl ließ sich vielmehr von reinen Machtinteressen leiten, die alle letztlich der Verbreitung und Verfestigung des für Karl einzig „wahren Glaubens“ an Jesus Christus dienten. Er bereitete mit dem Schwert vor, was die fränkische Geistlichkeit in mühsamer Missionsarbeit fortzuführen hatte.

In Sachsen leistete er in über dreißig Jahren überwiegend militärische(!) Bekehrungsarbeit ebenso wie auch unter den Grenzvölkern der Friesen, Normannen, Kelten, Sorben, Awaren, Abodriten, etc.

Karl war auf seine unverwechselbare Art der erfolgreichste Missionar seiner Zeit! Sein Eintreten und persönliches Eingreifen in Glaubensfragen und kirchlichen Reformen (Bilderstreit, Prädestinationsstreit, Adoptianismus, Arianismus, Filioque-Formel, Admonito Generalis, Kapitular von Herstal, etc.) war für einen weltlichen Herrscher ungewöhnlich stark ausgeprägt. Sein missionarisches Wirken war sehr stark nach innen in die von ihm beherrschten Völkerschaften gerichtet.

Gemeinsam mit dem Papst als geistliches Oberhaupt des christlichen Abendlandes bildete Karl eine in etwa gleichberechtigte Machtdominanz. Durch seine ungemein machtvolle Einflussnahme in Glaubensangelegenheiten ist auch die Bedeutung der römisch-katholischen Kirche und des Papsttums im christlichen Abendland beträchtlich gewachsen.

Das fränkische Imperium Christianum war von der Gestalt seines Begründers, des fränkischen Königs und späteren Kaisers Karl, so geprägt, dass sein inneres und äußeres Schicksal ohne ihn schwer abzuwägenden Gefährdungen ausgesetzt schien. Wenn wir Karl an den Möglichkeiten seiner Zeit messen, selbst dann, wenn uns manche seiner verbrecherischen Taten regelrecht bedrücken, so berührt uns doch über mehr als ein Jahrtausend hinweg die Größe seiner beispielslosen Lebensleistung.

Paulus Diaconus hatte am letzten Sonntag im November nach der Morgenmesse in der kleinen Pfalzkapelle, die dem heiligen Remigius geweiht war, seinem König die Geschichte seiner Vorfahren, der Bischöfe von Metz in lateinischer Sprache übergeben. Sie war in Buchform gebunden und die Buchdeckel mit zwei aus Elfenbein kunstvoll geschmückten Reliefs der Auferstehungsgeschichte des Gottessohnes ausgestattet.

König Karl hatte sich bei Paulus sehr herzlich bedankt, ihn freundlich umarmt und ihn gebeten, während eines für den Abend im großen Sitzungssaal für circa fünf Dutzend Personen anberaumten Essens seine Geschichten vorzutragen. Eingeladen hatte Karl den gesamten am Hof anwesenden Klerus, die weltlichen Großen, meist Grafen und auch einige wenige Anführer seiner gepanzerten Elitetruppen. Karl hatte weiter darum gebeten, auf prunkvolle Gewänder zu verzichten, sondern vielmehr mit sauberer Alltagskleidung beim Gastmahl zu erscheinen. Der fränkische König verzichtete selbst zunehmend auf die schmückenden Gewandungen, die in der quirligen Pfalz zu Ingelheim von einigen seiner weltlichen Amtsträger bevorzugt getragen wurden.

Karl zeigte auch deutlich seinen Unmut über zu viel Schmuck und allzu feine Stoffe bei seinen Gefolgsleuten. Stattdessen empfahl er die fränkische Tracht aus leinener Leibwäsche, wie all seine Frauen sie immer selbst gesponnen und gewebt hatten. Dazu Hosen, Stiefel, Schnür- oder Bundschuhe mit hohen wollenen Strümpfen. Für den Leib empfahl Karl eine Art Kutte aus aneinandergenähten Stoffstreifen und ein von einer Leibbinde gehaltenes Wams. Im Winter und an kalten Tagen war ein einfacher Schulterpelz aus Marder- oder Fischotterfellen angesagt. Nur an besonderen Festtagen oder beim Empfang hoher ausländischer Gesandter trug er die seinem Rang entsprechende festliche Kleidung und schmückte bisweilen sein Haupt mit einem perlenbesetzten Golddiadem. Seinem Rat gemäß trug der König heute selbst braune, halbhohe Stiefel aus Hirschleder, graue Wadenbinden um hohe, derb gestrickte Wollstrümpfe, seinen Unterleib bedeckte er mit einer kurzen leinenen Hose und darüber eine mit dem Saft von Kastanienschalen bräunlich gefärbte Kniehose aus weichem Rehleder, ein kurzes Unterhemd und ein langes Hemd mit Ärmeln, das bis hin zu seinen Knien in seiner Hose steckte. Seinen Leib bedeckte eine Art ärmellose Kutte, die er meist mit einer seidenen Leibbinde oder auch schon mal mit einem mit Tiersymbolen verzierten Gürtel zusammenhielt. Er trug meist ein Schwert, dessen Griff und Gehänge aus Gold oder Silber waren. Heute hatte er noch ein mit Biberfell besetztes Wams angezogen, das er jedoch schon recht früh ablegte und an seine Stuhllehne hängte, da der Kamin in seinem Rücken wohlige Wärme ausstrahlte.

Karl saß seinem königlichen Rang gemäß in einem Stuhl mit hoher Rückenlehne und breiten Armstützen. Selbst im Sitzen wirkte der fränkische König riesig. Er war von breitem und kräftigem Körperbau, hervorragender Größe, die jedoch das rechte Maß nicht überschritt. Der Schädel war rund, die Augen groß und lebhaft, die Nase überragte ein wenig das Mittelmaß. Der Mund war sinnlich und breit, seine Lippen ein wenig von einem kräftigen Schnurrbart bedeckt. Der König hatte ein freundliches und heiteres Gesicht. Sein langes dunkelblondes Haar wellte sich über der hohen Stirn nach hinten und fiel ihm bis in den Nacken. Des Königs Gang war fest, die ganze Haltung männlich, die Stimme ein wenig zu hell, was freilich zu der Gestalt nicht so recht passen wollte. Nur Angilbert, ein Jugendfreund Karls, hatte mal wieder den Schönling übermäßig herausgeputzt. Er kam mit frisch gewaschenem, mit heißen Eisenzangen gelocktem, bis auf die Schultern fallendem Blondhaar. Sein Bart war feiner gelegt als der des Königs, er trug ein feines Seidenhemd, das an beiden Ärmeln mit silbernem Brokatstoff abgefasst war. Gegürtet war er mit einem breiten Seidentuch, in das kunstvoll der Schaft für einen Hirschfänger eingearbeitet war. Um den Hals trug er eine dicke goldene Kette, die bis zur Brust reichte und in der Mitte ein hieran befestigtes stattliches Kreuz.

Da ausschließlich Männer geladen waren, hatte Karl Anordnungen gegeben, für seine Frau, Königin Fastrada, seine Kinder und für weitere Hofdamen in einem größeren Raum seiner Privatgemächer ebenfalls aufzutischen.

Am Hof des Königs in Ingelheim gab es vier verschiedene Möglichkeiten zu speisen. An der königlichen Tafel nahmen in der Regel die königliche Familie, alle engeren Verwandten Karls, aber auch die alten Freunde des Königs teil, wie Alkuin, Angilbert, Theodulf, Paulus Diaconus, Petrus von Pisa, dann die Inhaber wichtiger Ämter, wie beispielsweise die Grafen Audulf, Cancor und Meginfred als Seneschall, Mundschenk und Stallmeister. Fast immer gab es an der königlichen Tafel auch geladene Gäste. Die einfache Hoftafel umfasste die fest angestellten höheren Beamten, wie Notare, Sekretäre, Bibliothekare, Ärzte, Baumeister und militärisches Führungspersonal. Einen eigenen Speisesaal gab es für die unmittelbare Dienerschaft der Königspfalz. Die vierte Tafel war nur für Mönche und Pfaffen und galt wegen der strengen Fastengebote des Klerus als wenig beliebt.

Die Dunkelheit kam an diesem Tag wieder sehr früh. Pechfackeln mit langem Stiel, die in Eisenschäften schräg an Mauerbrüstungen oder Holzbalken befestigt waren, schufen für den rechteckigen Innenhof der Pfalz ein gespenstisches Licht. Die zum Essen eingeladenen Gäste, Karls Beraterstab, die Geistlichkeit, die Grafen, Militärführer, Beamte, allesamt wichtige Funktionsträger in der fränkischen Machtpyramide strebten aus allen Richtungen des Hofgeländes kommend polternd über eine breite, aber recht steile Holztreppe mit seitlichem Geländer in die um Speisesaal umfunktionierte Aula regia, dem großen Beratungsraum. Die überdachte Treppenkonstruktion mit einem recht breiten Zwischenpodest war wie ein Bienennest seitlich an der Hofseite des königlichen Wohn- und Regierungskomplexes angelehnt. An den Kopfseiten der Aula regia schufen zwei Luftschächte, die Heißluft aus Kaminen im Untergeschoss zuführten, eine erträgliche Raumtemperatur, während ein Dutzend mit Nussöl gespeiste Öllampen an den Wänden für eine angenehme Helligkeit sorgten. An den Wänden der Königshalle hingen dicke Teppiche aus fein gewobener, gekämmter Wolle mit farbigen Jagdbildern, die den Frankenkönig zeigten. Die langen Fackeln und die heute noch zusätzlichen Öllampen tauchten die bis auf die Seite zum Innenhof fensterlose Königshalle in ein gelbliches Licht und warfen tanzende Schatten unter die vom Ruß der Lampen und Fackeln geschwärzte Holzdecke.

 

Düdo von Harzhorn, ein sächsischer Adeliger, war von König Karl mit dem Ehrenamt des Feuergrafen ausgestattet worden und mit einer Reihe von Feuersknechten zum Aufseher über alle fränkischen Feuerstellen ernannt worden. Düdo hatte schon sehr früh die Macht des fränkischen Königs erkannt und mit seinen Gefolgsleuten opportunistisch die Fronten gewechselt und auch mit dem Taufgelöbnis den christlichen Glauben angenommen. Für seine sächsischen Landsleute war Düdo von Harzhorn ein Verräter, für Karl war er ein treuer Gefolgsmann und Berater in sächsischen Angelegenheiten geworden. Düdo, wie er eigentlich nur gerufen wurde, verleugnete niemals seine sächsische Herkunft. Er hatte seine roten Haare nach sächsischer Art im Nacken zu einem kurzen Zopf geflochten. Auf seinem gedrungenen Körper trug er ein dicht gewebtes, bis an die Knie hinunterreichendes Wams aus Schafswolle. Darüber, an einem breiten Gürtel aus Wisentleder und in einer ledernen Scheide steckte der kurze Sax der Westfalen. Grob gewebte Beinwickel schützten seine Waden und Füße, die in Hirschlederstiefeln steckten. Düdo lief immer wieder von einer Feuerstelle zur anderen, um seine Helfer zur Aufmerksamkeit aufzurufen und vor Leichtsinn mit dem Feuer zu warnen. Die Feuersbrunst, die letztes Jahr durch Unachtsamkeit die Königspfalz zu Attigny an der Aisne fast bis auf die Grundmauer niedergelegt und zu einigen Opfern bei Mensch und Tier geführt hatte, steckte allen damals Beteiligten noch tief in den Knochen.

Graf Audulf aus dem Taubergau bekleidete, wenn er nicht gerade für seinen König als Heerführer, Königsbote oder Diplomat unterwegs war, das Ehrenamt des Seneschalls, der für das leibliche Wohl seines Königs und das seines Gefolges die Verantwortung trug. Audulf hatte auf Weisungen an einer großen rechteckigen, etwa drei Fuß breiten, damastgedeckten Tafel jedem geladenen Gast seinen Platz zugewiesen, was zunächst zu großem Gepolter, Stühle- und Bänkerücken und einer allgemeinen Unruhe mit viel Stimmengewirr im Speisesaal führte.

An Karls rechter Seite hatten Paulus Diaconus mit Erzkaplan Angilram, dann Petrus von Pisa, Theodulf und Angilbert einen Platz zugewiesen bekommen, während sich an Karls linker Seite die Grafen Adalhard, Wala, sein Schwager Gerold von der Bertholdsbar sowie Markgraf Erich von Friaul und Graf Rorico von der Grafschaft Maine niederließen. Unmittelbar an dieser Kopfseite schlossen sich an beiden Längsseiten der Tische die Sitzplätze der anderen Großen des Fränkischen Reichs an. Alkuin, der große Universalgelehrte und wichtige Berater Karls war an diesem Abend noch nicht anwesend, er hatte sein Kommen aber bis spätestens zum Weihnachtsfest angekündigt. Um den Küchendienern das Auftragen der Speisen und Getränke zu erleichtern, hatte man an den beiden Längsseiten der rechteckigen Tafel für die Bedienung einen Durchgang belassen, der das Auftragen der Speisen aus dem Innenbereich der im Rechteck aufgebauten Tische gut ermöglichte.

Als Karl von einem Nebenraum aus, der auch zu seinen Privatgemächern in der Pfalz zählte, gemeinsam mit Paulus Diaconus den Speisesaal am Kopfende betrat und sich auf einen Stuhl mit Kopflehne setzte, schlug ihm ein Lärmen und Klopfen entgegen, wie es ihm auch bei Reichsversammlungen als Zeichen von Zuneigung und Zustimmung von seinen Gefolgsleuten oft entgegengebracht wurde.

An der Kopfseite befand sich eine Nische mit erhöhtem Sitzplatz für den fränkischen König, die sogenannte Exedra, die Karl niemals in Anspruch nahm, wenn er sich unter seinen Gefolgsleuten befand, sondern lediglich wenn fremde Gesandtschaften ihm seine Aufwartungen machten. So hatte sich Karl auch heute in gleicher Augenhöhe zu den Eliten des Fränkischen Reichs gesetzt. Er ließ das Klopfen und Lärmen eine Weile lächelnd zu, um dann die Hand als ein Zeichen erwarteter Stille zu erheben, die auch prompt einsetzte.

„Meine verehrten Gäste, ihr ehrwürdigen Bischöfe und Äbte, ihr hohen Herrn aus adligem Geblüt, meine verehrten Grafen, ihr dienstbeflissenen Mönche, die ihr allesamt treue Gefolgsleute eures Königs seid, ich begrüße euch alle auf das Herzlichste. Zu Ehren meines Freundes Paulus Diaconus habe ich euch zu dieser feierlichen Tafel gebeten, um mit euch zusammen den Gaumenfreuden zu frönen, aber auch während dieses Gastmahls und den dafür vorgesehenen Pausen dem Ohrenschmaus seiner Gesta episcoporum Mettensium, den Ausführungen über das Leben meiner Vorfahren, der Bischöfe von Metz, zu lauschen. Wenn Paulus Diaconus uns allen in den hierfür vorgesehen Pausen aus seinem mir heute überreichten Buch vorliest, erwarte ich absolute Ruhe und die ihm gebührende Ehrerbietung für sein neues literarisches Werk entgegenzubringen. Nunmehr bitte ich die Küche Speis und Trank zum Wohlgefallen meiner Gäste aufzutischen, euch allen wünsche ich guten Appetit und viel Vergnügen.“

Während sich Karl nach dieser kurzen Ansprache auf seinem Stuhl niederließ, umfing ihn wieder ein kurzes aber heftiges Klopfen und Lärmen als wohlwollend gemeinte Zustimmung.

Draußen hatte plötzlich ein heftiges Schneetreiben eingesetzt und recht heftiger Wind drückte mit der Warmluft auch viel Rauch aus den im Erdgeschoss befindlichen Feuerstellen in den Speisesaal. Der Geruch verbrannten Buchenholzes überdeckte für eine Weile den Geruch der vielen, in Holzschalen dampfenden Gerstensuppen sowie der in ehernen Schüsseln vor Fett triefenden Lamm- und Wildschweinbraten, die von einem guten Dutzend eilfertiger Diener des Küchenpersonals herangeschafft wurden. Es herrschte plötzlich eine rege Betriebsamkeit, es schepperte und klirrte, Stühle, Bänke und Tische knarrten, bisweilen fiel auch etwas vom Tisch, wenn sich Hände nach den mit schaumlosem Dünnbier, Honigmet, mit Wein gefüllten Krügen oder den noch warmen Brotlaiben reckten.

Graf Cancor, der das Ehrenamt des königlichen Mundschenks begleitete, wartete mit den erlesensten Weinen auf, denn schließlich wollte er den versammelten Gästen des Königs zeigen, dass es nicht nur Wein aus Burgund und der Champagne gab. Nein, dazwischen wurden auch herbe Weine von der Mosel, schwerer vom Rhein, wuchtiger aus Spanien und feuriger aus Zypern kredenzt, wobei Letzterer nie fehlen durfte, weil er überaus teuer war. Einige der Mönche ließen sich Fruchtsäfte in ihre Trinkkrüge aus Ton oder Kupfer füllen.

Zwei Jagdhunde hatten vom Innenhof über die steilen, für sie beschwerlichen Holzstiegen ebenfalls den Weg in den Speisesaal und zu ihren Hundeführern gefunden, um hier knurrend oder kratzend ihren Anteil am Braten oder wenigstens an den weggeworfenen Knochen einzufordern. Ein Stimmengewirr erfüllte den Raum so sehr, dass man selbst mit seinem unmittelbaren Tischnachbarn nur schwer ein vernünftiges Gespräch führen konnte. So ging das eine ganze Weile weiter, das Bedienungspersonal hatte zwischenzeitlich schon die meisten Holzschalen für die anfänglich servierte Gerstensuppe vom Tisch abgetragen, den starken Trinkern nachgeschüttet und einige große, mit Gewürzkräutern garnierte Holzschalen mit Geflügelfleisch von Tauben, Hühnern, Fasanen, Wachteln und Schnepfen reihum auf die Tische gestellt. Auch gesottenes Gemüse wie Möhren, Weißkohl und Brechbohnen wurde gereicht. In kleinen Tonschalen wurden noch verschiedene schmackhafte Tunken und Gewürze wie Salz, Pfeffer, Muskat, Safran, aber auch heimische Gewürzkräuter wie Rosmarin, Petersilie, Mauskraut, Knoblauch und Dill bereitgestellt. Auf besonderen Wunsch einiger Kleriker hatte die Küche gebratene Forellen mit Mus aus gepfefferten Früchten aufgetragen.

Bei Tisch entwickelte Karl einen robusten Appetit, erfolgte in der Wahl der Speisen mehr seinem eigenen Geschmack als dem Rat der Ärzte. Sie waren ihm verhasst, weil sie ihm rieten, dem von ihm besonders geschätzten Braten zu entsagen und stattdessen gesottenes Fleisch zu genießen. Wenn der König mal wieder an Rheuma und Gicht litt und die Schmerzen in seinen Gelenken einsetzten, haderte er mit seinen Essgewohnheiten. Er wusste zu gut, dass ein Gichtbrüchiger Fleisch vom Spieß zu Mittag und zu Abend eigentlich meiden musste wie der Teufel das Weihwasser. Die Ärzte waren wie erwähnt machtlos mit ihren Verboten und die Geistlichen mit ihren Geboten, wenigstens die Fastenzeiten einzuhalten.

Karl pflegte sich in der Regel freizukaufen, indem er eine größere Summe für die kirchliche Armen-pflege spendete. Enthaltsamkeit schade seiner Gesundheit, meinte er. Außerdem tränke er Bier und Wein nur in Maßen. Die Ärzte warf er einfach hinaus, wenn sie ihm mit Vorhaltungen kamen. Auch das Fasten, wie es die Geistlichkeit an bestimmten Feiertagen vorschrieb, unterließ Karl. Der übermäßige Genuss von Bier und Wein war ihm zuwider. Immer wieder hatte Karl gegen die Trunksucht gewettert und gemahnt, dass die Gastmähler nicht in Exzessen und Trunkenheit ausarten sollten. Karl konnte sich mit diesen Forderungen selbst beim Klerus nicht durchsetzen, dem nur schwer beizubringen war, dass die Trunksucht ein Laster sei.

Nachdem König Karl erkannt hatte, dass seine Gäste fürs Erste gesättigt schienen, einige hatten sich vom Tisch zurückgelehnt oder rülpsten laut vor sich hin, läutete er mit einer kleinen silbernen Glocke, worauf der Lärm der Gespräche abebbte, um dann nach einem zweiten Läuten vollkommen zu verstummen. „Meine lieben Gäste, wie ich sehe, habt ihr euren ersten Hunger und Durst gestillt und tut gut daran, euch nunmehr ein wenig geistige Nahrung zuzuführen“, lächelte der König wohlwollend in die Runde. „Bevor Paulus Diaconus euch nun die Geschichte der Bischöfe von Metz vorträgt“, fuhr Karl fort, „könnt ihr die Aborte aufsuchen und die Diener können eure Krüge nachfüllen“, sprach Karl mit allseits gut zu vernehmender Stimme.

Daraufhin entstand sofort wieder Unruhe im Saal, Stühle und Bänke rumorten über dem Holzboden, einige Teilnehmer hatten schon so viel getrunken, dass ihre Ungeschicklichkeit, mit der sie sich von ihren Plätzen erhoben, unübersehbar war. Bevor sie die steile Holztreppe hinunter zum Hof und zu den in den Untergeschossen gelegenen Aborten zustrebten, hatten sie durch Zuruf oder Gestik die Diener noch angewiesen, ihre Krüge mit dem gewünschten Getränk erneut zu füllen. Küchendiener nutzten die Pause um Krüge, Teller, Schalen und hölzerne Bratenplatten, aber auch die unter die Tische gefallenen abgenagten Knochen, die Reste von Brot, Obst und Käse einzusammeln.

Paulus hatte sich zwischenzeitlich an einem für ihn hereingetragenen Stehpult zu schaffen gemacht, die erste Seite seines Buches aufgeschlagen und dann, nachdem er die Lichtverhältnisse als nicht ausreichend empfunden hatte, nach einer besonders hellen Leselampe verlangt, wie sie die Schreiber in Skriptorien bei eintretender Dunkelheit häufig benutzten. Es dauerte doch eine ganze Weile, bis alle wieder auf ihren Stühlen und Bänken Platz genommen hatten.

„Wenn wir die Privatgespräche jetzt langsam beenden könnten, hätte ich nichts dagegen“, rief Karl den Männern zu.

Die geladenen Gäste unterbrachen sich darauf, tuschelten noch einmal kurz zur Seite und richteten dann ihren Blick auf den König.

„Ich danke euch, dass ihr nunmehr unseren verehrten Paulus Diaconus zu Wort kommen lasst“, sagte König Karl und lächelte dabei vergnügt.

Als mithilfe des Königs nun ausreichende Stille im Saal eingekehrt war, erhob sich Paulus Diaconus, um nach einigen Begrüßungsworten aus der von ihm verfassten Geschichte der Metzer Bischöfe vorzulesen. Paulus trug seine Ausführungen in einer eindrucksvollen lateinischen Sprache vor, wie sie nur von den gebildetsten Grammatikern seiner Zeit beherrscht wurde. Zunächst seine klare und angenehme Stimme, dann seine Gestik und Mimik, ja auch seine kleinen Sprechpausen im rechten Moment machten bei seinem Vortrag sehr viel Eindruck.

Die Stille und die Blicke aller Zuhörer im Geviert des Saals, die an Paulus Lippen hingen, zeugten von der Spannung, die in seinen Ausführungen lag. Kennern der Szene wie Erzkaplan Angilram und dem überwiegenden Teil der hohen Geistlichkeit konnte nicht verborgen bleiben, wie Paulus die Familie und die Ahnen des fränkischen Königs Karl mit kaum zu verkennender Absicht zu einer Geblütsheiligkeit verhalf und die von Karls Vater Pippin dem Kurzen anno 751 vorgenommene Ablösung des letzten Merowingerkönigs und die mithilfe des Papstes vollzogene eigene Thronbesteigung zu rechtfertigen suchte. Der Segen ihres Ahnherren, des Bischofs Arnulf von Metz, habe sie gegenüber den dekadenten Merowingerkönigen mit einer höheren Weihe versehen, war die eigentliche politische Botschaft seiner Ausführungen. Aber auch all jene seiner Zuhörer, die den politischen Hintergrund nicht verstanden, hingen an seinen Lippen, weil Paulus es verstand, seine Botschaft in so spannende Anekdoten zu kleiden, vor allem aber um die bereits eingesetzte Legendenbildung um das Leben des heiligen Arnulf weiter zu befördern.

 

Paulus berichtete, wie Arnulfs Sohn Ansegiesel dann Begga, die Tochter Pippin des Älteren geheiratet und die Geschlechter der Arnulfinger und Pippiniden vereint hatte. Ansegiesels Bruder Chlodulf war wie sein Vater Arnulf Bischof von Metz geworden. Paulus schilderte das Heiligenleben dieser Vorfahren Karls in so frommen Geschichten, dass Karl sich wahrlich seiner Abstammung vor seinen Gefolgsleuten rühmen durfte. Obwohl die Abstammung von Arnulf in geschichtlichem Dunkel lag, versuchte Paulus den Nachweis auch von Arnulfs Herkunft zu führen, verstrickte sich dabei in abenteuerliche Theorien, die zurück in die griechische Mythologie führten. Paulus ließ in seinem Vortrag Karls Ahnherrn, Arnulf von Metz, eine längst fällige Ehrung zuteilwerden und zwar dergestalt, dass er das karolingische Haus mit den Trojanern in Zusammenhang brachte, denn den Karolingern fehlte etwas sehr Wichtiges – die Geblütsheiligkeit. Schließlich waren die Karolinger, an vorderster Stelle Karls Vater Pippin, wenn das auch in Vergessenheit geriet, Thronräuber gewesen. Paulus konnte einfach so spannend erzählen, dass niemand Anstoß an solch waghalsigen Theorien nahm. Weil alle sehr andächtig seinen Erzählungen lauschten, hatte Paulus in stillem Einverständnis mit König Karl keine der geplanten Pausen eingelegt, sondern zu Ende erzählt.

Als Paulus Diaconus seinen Vortrag beendet hatte, klappte er sein Buch behutsam zusammen, ging seitwärts einen Schritt auf seinen König zu, sah ihm, der ebenfalls aufgestanden war, fest in die Augen und überreichte ihm jetzt symbolisch und vor aller Augen den Einband mit den Worten: „Möge dir, mein König, dieses Buch Anleitung und Ansporn zu einem frommen und gottgefälligen Leben sein und mögen seine hierin enthaltenen Ausführungen allen Untertanen in deinem großen Reich deine geblütsheilige Abstammung bezeugen.“

Karl umarmte Paulus mit zwei Händen in einer so freundlichen Weise, wie er noch niemand aus seiner Gefolgschaft jemals vor den Augen der fränkischen Großen geehrt hatte. Ein lang anhaltendes Trommeln aller Gäste begleitete diese rührende Szene zwischen ihrem König und dem von allen im Saal so geschätzten lombardischen Gelehrten.

Die Küche ließ noch süße Früchte, Rosinenbrot, Honigkuchen und etwas Käse auftragen. Dem Alkohol wurde von den meisten weiter gut zugesprochen, was man bei so manchen Teilnehmern jetzt an den Unzulänglichkeiten ihrer Sprache und ihren schwerfälligen Bewegungen erkennen konnte. Geistreiche Gespräche keimten eigentlich nicht mehr auf, Belanglosigkeiten wechselten mit derben, oft zotigen Sprüchen über Frauen ab und die anwesende Geistlichkeit erging sich in aller Regel in nicht weniger Schlüpfrigkeit als die weltlichen Grafen oder gar die Anführer militärischer Kampfverbände.

König Karl zog sich nach einem kurzen, eigentlich belanglosen Gespräch, das er mit Petrus von Pisa und Theodulf über das bayerische Klosterwesen geführt hatte, als einer der Ersten in seinen privaten Wohnbereich, der auf der gleichen Ebene wie der Beratungs- und Speisesaal lag, zurück. Kurz vorher hatte er noch Angilbert wegen seines pfauenhaften Auftretens an diesem Abend tüchtig den Kopf gewaschen: „Jetzt verstehe ich auch, warum alle Weiber hinter dir her sind, Angilbert“, sagte Karl lachend und legte seine Hand auf die Schulter des Mannes, der ihn schon so lange begleitete. „Und eines Tages wirst du sicherlich auf dem Maifeld zum schönsten Krieger gewählt“, fuhr Karl in spöttischer Weise fort.

„Einer muss es ja sein und nur kein Neid“, antwortete Angilbert respektlos und Karl beließ es schmunzelnd dabei.

Angilbert, der aus fränkischem Adel stammte und mit Karl groß geworden war, hatte sich inzwischen an Karls Seite einen festen Platz erkämpft, nicht auf dem Rücken eines Pferdes und nicht durch Schwertschwung oder geschickten Lanzenstoß, sondern durch Klugheit und das rechte Wort zur rechten Zeit. Angilbert war einer der wichtigsten und zuverlässigsten Berater des Königs geworden, nicht nur was Reichsgeschäfte, sondern auch was die privaten Angelegenheiten des Frankenkönigs betraf. Ihm ging an Karls Hof außerdem der Ruf voraus, ein ausdauernder und geschickter Liebhaber zu sein. Er selbst grinste nur vielsagend, wenn man ihn auf seine Frauengeschichten ansprach, doch galant wie er war, äußerte er sich nie dazu, was seinen Ruf nur noch verstärkte und wohl auch Neidgefühle bei seinen Trinkkumpanen auslöste.

Einige seiner Gäste erwiderten des Königs Gutenachtgruß nicht einmal mehr, weil ihr Kopf trunken von zu viel Met oder Wein auf die Tischplatte gefallen oder unter den Tisch gerutscht war. König Karl, dem solche Alkoholexzesse zuwider waren, erhob sich, nickte mit würdevoller Geste gegen den anhaltenden Lärm und verschwand, gefolgt von seinem Leibdiener durch einen zweigeteilten Vorhang in seine Privatgemächer. Natürlich floss bei solchen Gelagen auch der Alkohol in Strömen, und selbst der König konnte das nicht verhindern. Schnaps im heutigen Sinne war zur damaligen Zeit unbekannt, da die Kunst des Destillierens noch nicht erfunden war. Also blieb es beim beliebten Met, beim meist sauren Wein oder beim immer mehr in Mode kommenden Bier, das zunächst einmal aus Weizen, Hafer, Roggen, Hirse oder Gerste gebraut wurde. Hopfen und Malz waren wie Lorbeerblätter, Klatschmohn und Pilze die Zutaten, um einen besonderen Geschmack zu erzielen. Besonders die Mönche genossen den Ruf, gute Bierbrauer zu sein. Bier, meist warm und noch ohne Kohlensäure gehörte zu den Grundnahrungsmitteln. Bier enthielt die damals so dringend benötigten Kalorien, ließ den grauen Alltag erträglicher erscheinen und führte nicht selten auch zur Sucht. Getrunken wurde das Bier bereits zum Frühstück, aber auch zu allen möglichen anderen Gelegenheiten.

Die nächsten Tage verliefen eigentlich für alle Beteiligten in der Pfalz ohne besondere Vorkommnisse. Karl hatte einige Rechtsstreitigkeiten zwischen Grafen, Bistümern und Klöstern beizulegen, aber auch von Erben angefochtene Schenkungen an Klöster einmal bestätigen und zweimal im Sinne der Erben zurücknehmen müssen. Solche Tätigkeiten waren für den fränkischen König Alltagsgeschäft, deren eigentliche Abwicklung und formelle Überwachung in den Händen schreibkundiger Kleriker lag. Die Fertigstellung des Capitular de villis verlangte ihm da schon mehr an geistiger Konzentration ab.

Karl hatte sich fest vorgenommen, seine Anweisungen für die Krongüter-Bewirtschaftung bis zum Jahresende zu vollenden. Daher hatte er sich erneut mit Abt Wirund, den Reichenauer Mönchen und einigen Schreibern in einen kleinen Arbeitsraum zurückgezogen, um hier ungestört arbeiten zu können.

„Auf meinen Haupthöfen“, diktierte Karl, „sollen mindestens hundert Hühner und dreißig Gänse gehalten werden. Dazu will ich genug Edelgeflügel wie Pfauen, Fasanen, Enten, Tauben, Rebhühner und Turteltauben vorfinden. Jedes Königsgut soll Fischteiche anlegen und eine angemessene Kleintierzucht betreiben.“

Karl gab weitere Anweisungen für die Aufzucht von Mastgänsen bis hin zu der Zucht von Jagdhunden und Jagdfalken. Er beschäftigte sich sogar mit Nebensächlichkeiten wie dem Anbau zahlreicher Obst- und Gemüsesorten, Heilpflanzen, ja sogar Blumen. Für die Frauen und Mädchen auf den Spinnstuben seiner Güter verfügte er, dass zur rechten Zeit ausreichendes Material, also Flachs, Wolle, die Färbmittel Waid, Scharlach und Krapp, dazu Wollkämme, Seife, Fett, Gefäße und die übrigen kleinen Dinge, die dort zur Verarbeitung benötigt wurden, immer ausreichend zur Verfügung stehen müssten.