Zita und ich

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Zita und ich
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Hannes Sonntag

Zita und ich

Literatur der Zukunft

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

Impressum

I

»Mir gefällt nicht, was ich da sehe, wenn ich in den Spiegel schaue«, sagt sie mir am Telefon. Zita ist im Juni vierundachtzig geworden. Sie war die Frau meines unvergessenen väterlichen Freundes Andor de Bleu. »Vergiss nicht, ich bin vor ein paar Jahren noch Motorrad gefahren, mit siebenundsiebzig zum letzten Mal Schi in den Pyrenäen. Und die Frau im Spiegel hat ein Doppelkinn, Stirnfalten – wo ich doch gar nicht besonders viel denke – und einen braunen Himmel voll Altersflecken. Das bin ich nicht«, sagt Zita, »das gibt ein ganz falsches Bild, denn, weißt du, unter der Haut ist alles gleich geblieben. Im Kopf fahre ich Motorrad wie immer, meine Reaktionen wären unverändert, ich würde jede Kurve aus dem Handgelenk schütteln und jeden Schwenk auf der Piste in die Knie nehmen wie ein offenes Wort.« Manchmal merkt man Zita heute noch an, dass es nicht die deutsche Sprache war, mit der sie aufwuchs. Sie spricht grammatikalisch korrekter als viele Muttersprachler, aber auch nach fünf Jahrzehnten im Land liegt, zumal wenn man ihr längere Zeit zuhört, ein unbestimmt fremder Klang im Raum. Man nimmt ihn wahr, ohne ihn gleich einem bestimmten nationalen Timbre zuordnen zu können. Und gelegentlich springen ihr dann unorthodoxe Vergleiche und spontan kreierte Sprachbilder aus dem Mund, die ungewollt von einer gewissermaßen internationalen Frische sind. »Am schlimmsten«, fährt Zita fort, »sind die ständigen Schmerzen, das ist wirklich eine fremde Person, die sich in mir eingenistet hat, ich bekomme sie nie zu Gesicht, aber sie ist andauernd da und geht mir schlimmer auf die Nerven als es damals meine beiden ewig jammernden Schwägerinnen je taten. Und dann hasse ich mich, wenn ich dir wie jetzt vorklage und dabei denke, du nimmst es dir zu Herzen. Gott, wie ich Klageweiber verabscheue, junge und alte, – mehr noch alte«, setzt sie nach und schweigt.

Ich bin mir klar darüber, wie delikat meine Lage ist. Ich kenne Zita inzwischen länger als die allermeisten anderen Menschen, und umgekehrt gibt es, nachdem die wenigen übrig gebliebenen Mitglieder meiner Familie wie in geheimer Absprache nacheinander innerhalb einer Siebenjahresfrist starben, meines Wissens heute niemanden, der mich seinerseits länger zurück kennt als sie. Und ich fühle genau, sie ist hellwach wie immer, ich kann ihr nicht mit irgendwelchen Wortbrezeln kommen. Was ich sagen werde, hat absolut aufrichtig zu sein, darf nicht nach Trost klingen, muss ihr eine männliche (sie liebt das) Hand in eine bessere innere Umdrehung bieten. Schweigen, das weiß ich, lässt sie nicht gelten und würde es gleich zu ihren Ungunsten deuten. »Wie ich höre«, antworte ich schließlich, »bist du unverändert. Schmerzen können dich plagen, aber niemals beschreiben. Was du im Spiegel siehst, Zita, strahlst du in wenigen Sätzen weg und mündest genau in der Person, die wir von dir kennen.«

»Ich tue so, als sei ich überzeugt«, kommt nach zwei gut vernehmlichen Atemzügen aus dem Hörer, und am Ende einer kurz und steil aus dem Thema heraus führenden Serpentine finden wir uns in der Banalität des Tagesgeschehens wieder.

Ich kenne es seit langem, bin aber trotzdem jedes Mal überrascht wie von einem plötzlichen Regenguss im Sommer: Zitas unverwüstliche Rationalität, ein vollkommener Mangel an sentimentaler Begabung erfrischen immer wieder, wie wolkenverhangen, aufreizend oder gipssteif die Lage auch sein mag.

Seit Zita mit dem, was sie ihre Überrumpelung nennt, nicht nur dem Begriff nach, sondern auch im kämpferischen Gegenüber zu ihrem Körper leben muss, ist sie schließlich von hier weggezogen.

An einem unglücklichen Morgen, hochgeschreckt von irrtümlichem Geklingel an der Haustür, war sie aufgesprungen und über der Flurschwelle flach hingeschlagen. Dort hatte sie reglos gelegen, außerstande sich zu bewegen oder irgendetwas für sich zu tun, bis gegen Mittag die Zugehfrau sie dort gefunden und mühsam aufgelesen hatte. Bei den nun folgenden Untersuchungen, die Zita über sich hatte ergehen lassen als sei sie das geborene Stück Holz, stellte man zu ihrem kalten Schrecken fest, dass die Gefühlsstörungen in den Beinen sie posthum – wie sie sich ausdrückte – wieder eingeholt hatten. Was Zita mit ohnmächtiger Ablehnung zu verbannen suchte. Eine etwas jüngere (und heute wohl ihre einzige) Freundin hatte sie dann immer wieder nachdrücklich gedrängt, in ihre Nähe nach Holstein zu ziehen. Aber Zita hatte lange Zeit kein Wort davon hören wollen, höhnisch Widerstand geleistet und sich, kindisch wie sie sich manchmal gebärdet, tatsächlich mit beiden Händen die Ohren zugehalten, wenn es auch nur den Anschein machte, als käme die Sprache darauf. Mir persönlich war dieser kluge Ortswechsel von der Großstadt in ein provinzielles Randstädtchen im Norden von Anfang an verfehlt vorgekommen, aus Motiven von Sicherheit und Versorgung zwar nachzuvollziehen, aber eben überhaupt nicht Zita. Da wäre als Wechsel nur ein Landgut, und wirklich draußen, großzügig und rundum mit Bedienung, passend gewesen. Aber natürlich gab es für Luxusträumereien solcher Art keinerlei Handhabe und Basis.

Seitdem telefoniere ich mit Zita, unregelmäßig, aber immerhin doch so häufig, dass wir uns im Auge behalten und die Gezeiten unseres wechselseitigen Befindens nicht allzu lang nach Ortszeit beim anderen anlanden. Meist bin ich derjenige, der anruft, bleibt aber mein Lebenszeichen im Alltag hängen, meldet sich Zita auch ihrerseits, – durchaus ein wenig belustigend, wenn sie auf den Anrufbeantworter spricht: man merkt sogleich das Befremden, das ihr eine Situation abnötigt, die sie zwingt, ins Nichts zu sprechen. Für einen derart im Konkreten beheimateten Menschen wie sie ist genau das Vorlage für Versagen: in einer befremdenden Legierung aus Metall und Befehl klingt ihre Stimme dann wie gequetscht von einer Wäscheklammer, und umfänglich angelegte Sätze fallen aus aller Syntax, um bereits weit vor dem Ziel abzubrechen wie eine Nordseedüne.

Ich weiß nicht, was vielleicht wir uns auch verschweigen, was wir kürzen, runden, verweigern. Allzu viel kann es nicht sein, meine ich, denn als in unserem Gespräch vorhin ich mich selbst ganz aus dem Bild schnitt (auf einer unterschwelligen Ebene erwogen und entschieden), war mir zeitgleich klar, dass diese Art von Selbstzensur nicht in unsere gewohnten Austauschmuster passte. Aber mir war die Scheu an den Hals gegangen, Zitas so geübt auf Zumutbarkeit und Anstand heruntergetöntem Schmerz die seltsamen Erfahrungen aufzustülpen, die ich seit geraumer Zeit mit mir selber mache.

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