Halt geben!

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Karin Ackermann-Stoletzky

Hannelore Deußing

Halt

geben!

Menschen mit Demenz begleiten


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 9783865066985

© 2014 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelfoto: shutterstock

Satz: Brendow Web & Print, Moers

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

www.brendow-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort I

Vorwort II

Zitat

Einführung

Teil I Demenz – Ursachen, Diagnose, Behandlung

Ursachen von Demenz

Das hohe Alter als Risikofaktor

Weitere Risikofaktoren für eine Demenz

Wann liegt eine Demenz vor?

Formen von Demenz

Verteilung der häufigsten Demenzformen

Alzheimer

Vaskuläre Demenzen

Demenzphasen: Eine Übersicht

1. Phase: Leichte Demenz

2. Mittelschwere Demenz

3. Schwere oder fortgeschrittene Demenz

Diagnose

Diagnosestellung

Der Ablauf der Diagnosephase

„Pseudodemenz“ – die Unterscheidung Demenz und Depression

GHIAbgrenzung zu weiteren Krankheiten

Anlaufstellen: Beratung und Information

Memory-Kliniken

Selbsthilfegruppen

Demenzberatungsstellen

Therapie: Was kann helfen?

Medikamentöse Therapie

Nicht-medikamentöse Behandlungskonzepte

Kommunikation und Demenz

Ein kleiner Einblick in die Kommunikationstheorie

Veränderungen in der Kommunikation von Demenzkranken

Hilfen und Anregungen für die Kommunikation mit demenziell Erkrankten

Teil II Halt im Meer des Vergessens. Hilfen für Betroffene und Angehörige

1. Leichte Demenz

Wenn sich der Alltag plötzlich entzieht – die Anfangsphase der Demenz

Demenz und Berufstätigkeit

Was Sie früh klären sollten: Vorsorgedokumente

Psychotherapeutische Angebote für den Betroffenen in der Frühphase der Krankheit

Liebe Gewohnheiten und Hobbys beibehalten

Demenz und Bewegung

Hilfsmittel: Merkhilfen im Alltag, Wohnungsumgestaltung, technische Hilfsmittel, Vorsorge im Notfall und vieles mehr

Orientierungshilfen im Alltag

Das Zuhause gut gestalten: So passen Sie die Wohnung an

Bereich Sicherheit

Im Notfall

„Stark mit Demenz“ – Ideen und Anregungen für Menschen im Frühstadium der Demenz von Helga Rohra

2. Mittlere bis schwere Demenz

Bewusster Umgang mit dem Betroffenen

Gefühle und Bewusstsein des Betroffenen ernst nehmen

Der Tag braucht Struktur: Anregung und Aktivierung

So klappt‘ s mit der Pflege

Weitere Anpassungen der Wohnung

Pflegehilfsmittel

Selbst-Erhaltung: Den Betroffenen einbeziehen

Essverhalten, Essen reichen, Ernährung

Leben aus dem Augenblick

Kommunikation bei fortgeschrittener Demenz

3. Späte Phase der Demenz

Die Verbindung nicht abbrechen lassen: Kommunikation in der Spätphase der Demenz

Die Gestaltung des Alltags

Basale Simulation

Zeit nehmen

Auf Körpersprache achten

Besondere Problemfelder der späten Phase

Essen und Trinken in der späten Demenz

Wenn Schmerz nicht wahrgenommen wird: Die verschiedenen Ebenen des Schmerzes

Unterstützungsmöglichkeiten: Vom Seniorendienst bis zur Pflegeeinrichtung

Woran erkenne ich ein gutes Pflegeheim?

Worauf muss ich bei der Auswahl eines Heimes achten?

Ehrenamtliche Angebote

Seniorenservice

Tagespflege: Eine alternative Versorgungsform

Pflegestufen

Einstufung

Weitere Unterstützungs- und Absicherungsangebote für pflegende Angehörige

Betreuungs- und Pflegekonzepte

Biografiearbeit

Realitätsorientierungstraining

Validation

 

Mäeutik – der verletzliche Mensch im Mittelpunkt

Dementia Care Mapping

Teil III Die Situation der Angehörigen

Wenn sich alles ändert

System Familie

Die Rolle des Betroffenen

Haben Sie noch „offene Rechnungen“?

Wenn Familienrollen behindern

Auswirkungen von langfristigem Stress für den Pflegenden

Wie Stress entsteht

Selbsttest: Wo lag heute Ihr „Stresslevel“?

Unabhängigkeit hilft, gesund zu bleiben

Möglichkeiten der Unterstützung

Entspannungsübungen

Ruhebilder

Ruheorte

Progressive Muskelentspannung

Kneipp‘ sche Anwendungen

Teil IV Noch immer Teil der „Gemeinschaft der Gläubigen“

Demenz und Spiritualität

Lebenslanger Glaube

Wie verändern sich die geistlichen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz?

Ein Ort für Glaube mit Demenz

Die „demenzfreundliche Gemeinde“

Was macht eine Gemeinde „demenzfreundlich“?

Ideen zur Gestaltung einer demenzfreundlichen Gemeinde

Ideen und Anregungen zur Durchführung eines Demenzgottesdienstes

Aufgabenparcours: Wie fühlt sich ein Mensch mit Demenz?

Verwendete Literatur

Hilfreiche Seiten im Internet

Weitere Bücher

Fußnoten

Vorwort I

Dieses Buch richtet sich nicht an „Profis“. Es will kein Fachbuch sein, sondern eher ein Lesebuch, das Sie ermutigt, informiert, nachdenklich macht sowie zum Handeln und zu guten Begegnungen verhilft. Wir möchten Sie einladen, mit uns darüber nachzudenken, wie Demenz das Leben, die Beziehungen, die eigene Spiritualität verändern kann – und Ihnen Gedankenanstöße dazu vermitteln, wie man mit dieser Situation umgehen kann.

Dabei gehen wir davon aus, dass jeder Mensch, ob mit oder ohne Demenz, ein wertvolles Lebewesen ist, ein Kind des Schöpfers. Und dass jeder Mensch es verdient, von seiner Umwelt so wertschätzend wahrgenommen zu werden.

Die Begründerin der Familientherapie, Virginia Satir, schrieb vor vielen Jahren ihr „Credo“ zum Umgang von Mensch zu Mensch:

„Ich glaube daran, dass das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden. Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren. Wenn dies geschieht, entsteht Kontakt.“

Gesehen, gehört, verstanden und berührt … Wir würden uns freuen, wenn unser Buch dazu ermutigt.

Karin Ackermann-Stoletzky

Vorwort II

Warum schreibe ich mit an diesem Buch? Es gibt bereits so viele gute Bücher und Artikel zum Thema Demenz. Bücher von Fachleuten und Bücher von Betroffenen.

Ich bin Ergotherapeutin und arbeite mit Menschen, die in der Diagnosephase stehen, eine Demenzerkrankung diagnostiziert bekamen oder mit Demenz leben. Informationen und Gedanken, die mir wichtig sind, möchte ich hier zusammenfassen.

Ich bemerke, dass die Art und Weise, wie mit einer Diagnose umgegangen wird, immer unterschiedlich ist. Was macht die Diagnose Demenz so schrecklich? Vielleicht ist es das wenige Wissen, die Angst davor, damit nicht zurechtzukommen, die Ungewissheit. Denn das Leben wird sich nachhaltig verändern. Manches kann man vielleicht eine Weile verdrängen. Anderes ist von Beginn an so mächtig, dass es nicht verdrängt werden kann, sondern in den Alltag und in die Beziehungen drängt.

Ich habe mich manchmal gefragt: Wie wäre das für mich? Zu wissen, ich würde mehr und mehr Probleme mit dem Gedächtnis bekommen, mich an Verschiedenes in der Vergangenheit nicht mehr erinnern können und im Alltag zunehmend abhängiger von der Hilfe anderer? Letzteres wäre besonders schrecklich für mich.

Eines weiß ich ganz genau: Ich würde die Diagnose wissen wollen. Ich würde mir wünschen, genügend Zeit zu haben, die zu diesem Zeitpunkt unerledigten Dinge regeln zu können. Ich würde mir wünschen, Unterstützung zu haben und Unterstützung annehmen zu können.

Dabei soll dieses Buch helfen.

Ich arbeite jetzt fast 40 Jahre im sozialen Bereich, in der Pflege sowie in unterschiedlichen ergotherapeutischen Bereichen. Ich bin vielen Menschen mit Demenz begegnet. Viele Erinnerungen sind beim Schreiben dieses Buches und in den Gesprächen wieder hochgekommen. Eine ist mir besonders lieb: Ich erinnere mich an eine kleine rundliche Frau, die im Heim in einer Wohngruppe gelebt hat und gerne tanzte. Manchmal haben wir im Zimmer getanzt, Walzer, sie hat geführt. Das hat mich etwas Wichtiges gelehrt: Menschsein ist nicht nur denken und planen können. Menschsein ist leben können. Und es ist auch mit Demenz möglich. Auch dazu, dies zu erkennen, soll dieses Buch beitragen.

Ich bedanke mich bei allen Menschen, die mich unterstützt haben.

Ich bedanke mich besonders bei meinen Interviewpartnern und -partnerinnen.

Hannelore Deußing

Ich träume von einem Land,

in dem Menschen mit Alzheimer

durch die Straßen irren können.

Auf der Suche nach ihrem Haus,

dem für immer verlorenen Zuhause.

Und dass da immer jemand ist, der sagt:

„Kommen Sie, ich bring Sie nach Hause.“

Stella Braam

Einführung

„Ich gehe jetzt und …“ Mitten im Satz fällt einem das nächste Wort nicht ein. Man nennt das eine Wortfindungsstörung, und die zeigt sich besonders in Stresssituationen. Solche Augenblicke kennt jeder: Vergesslichkeit, Gedankendurcheinander, innere Zerfahrenheit – aber eben noch keine Demenz.

Anders sähe die Sache aus, wenn man nicht mehr wüsste, welche Jahreszeit gerade ist, oder ernsthaft glaubte, eine Apfelsine zu essen, bei der es sich aber offensichtlich um einen Apfel handelt. Oder wenn man sich plötzlich nicht mehr in der eigenen Wohnung zurechtfände.

Das können Anzeichen für eine Demenzerkrankung sein. Aber Vorsicht: Ebenso gut könnten sie auf eine schwere Depression, Austrocknung oder einen vorübergehenden Verwirrtheitszustand hinweisen …

Eine erschreckende Diagnose

Demenz, umgangssprachlich auch Altersverwirrtheit genannt, ist eine fortschreitende Erkrankung, von der vor allem ältere Menschen betroffen sind. Die Demenz ist nicht die Folge eines natürlichen Alterungsprozesses, sondern gehört zu einer Gruppe von Erkrankungen des Gehirns, bei der Nervenzellen vorzeitig absterben.

Wer an Demenz erkrankt, muss damit fertig werden, dass sich sein Leben grundlegend verändert.

Zunächst bedeutet Demenz eine zunehmende Einschränkung der Fähigkeit, das Leben selbst zu organisieren und zu verarbeiten. Außerdem bedeutet Demenz, ein stigmatisierendes Etikett zu bekommen, und zwar eines, das wir alle fürchten. „Ich denke, also bin ich“, hat es der Philosoph Descartes formuliert. Wenn mein Denken sich aber verändert, wenn ich die Kontrolle verliere: Bin ich dann noch? Und wenn ja, wer bin ich dann?

„Um offen zu sein, ich fürchte, ich bin nicht bei vollem Verstand. Mir scheint, ich sollte Euch kennen und diesen Mann auch, doch ich bin im Zweifel; denn ich bin völlig im Unklaren, was für ein Ort dies ist, und alle Kenntnis, die ich habe, erinnert sich nicht an diese Kleider; auch weiß ich nicht, wo ich letzte Nacht gewohnt habe.“

Zitat aus „König Lear“ von William Shakespeare

Der Begriff „Demenz“ an sich ist eigentlich schon eine Abwertung des Betroffenen. „Ohne Geist sein“, heißt die Übersetzung aus dem Lateinischen. Ohne Geist? Das ist vollkommen falsch! Menschen sind prinzipiell nicht ohne Geist. Wenn auch die Kontrolle über die eigenen Gedanken, Handlungen und Erinnerungen sich verändert und schwindet, bleibt ein Mensch doch er selbst, und die Gefühle verschwinden überhaupt nicht. Sie werden im Gegenteil oft viel unmittelbarer, ehrlicher und klarer. Und im christlichen Sinne gibt es die Idee vom „Menschen ohne Geist“ schon gar nicht. Jeder Mensch ist und bleibt ein geliebtes Kind des himmlischen Vaters. Prof. Jürgen Steiner (Zürich) schlägt deshalb als Alternative die Bezeichnung „Menschen in einem kognitiven Wandel“ vor, den wir ebenfalls für sinnvoller halten. In diesem Buch bleiben wir aber bei der in Deutschland gebräuchlichen Bezeichnung „Demenz“, um keine unnötige Verwirrung zu stiften.

Demenz ist kein Randgruppenthema

Nach Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sind derzeit rund 1,4 Millionen Männer und Frauen in Deutschland von Demenz betroffen. Weil unsere Gesellschaft immer älter wird, werden es 2050 voraussichtlich 3 Millionen sein. Dennoch herrscht viel Unwissen über die Krankheit, die überwiegend Menschen über 65 und einige wenige jüngere trifft.

In unserer Gesellschaft des langen Lebens kennt fast jeder Erwachsene Personen, die an Demenz erkrankt sind, oder zumindest ihre Angehörigen. Wenn man davon ausgeht, dass es pro Betroffenem durchschnittlich 3 Angehörige gibt, dazu Freunde, Nachbarn und Gemeindemitglieder, hat eigentlich jeder Mensch in seinem Umfeld Kontakt zu Demenzbetroffenen und ihren Angehörigen.

Viele sehr alte Menschen müssen erleben, dass ihre Gedächtnisleistungen und kognitiven Funktionen nachlassen. Unsere Kognition ist unsere Fähigkeit, Signale der Umwelt wahrzunehmen und weiterzuverarbeiten. Das Wort „kognitiv“ leitet sich aus dem lateinischen „cognoscere“ ab, was mit „erkennen“ zu übersetzen ist. Wenn es mir immer schwerer fällt, zu erkennen und zu verarbeiten, was um mich herum geschieht, verliere ich in meinem Leben zunehmend die Orientierung, fühle mich unsicher und kann nicht mehr so reagieren, dass meine Umwelt mein Verhalten als angemessen erlebt.

„Demenz“ beschreibt eine Erkrankung, bei der sich dieser Prozess immer weiter fortsetzt. Menschen mit Demenz fällt es zunehmend schwerer, Neues dazuzulernen. Ihr Kurzzeitgedächtnis wird immer stärker eingeschränkt, ihr Langzeitgedächtnis funktioniert nicht mehr zuverlässig – es gibt die benötigten Informationen nicht immer dann preis, wenn sie gebraucht werden. Störungen der Wahrnehmung und Persönlichkeitsveränderungen können hinzukommen, die Sprachfähigkeit kann sich verändern. Die Gefühle aber funktionieren bis zum Schluss – wenn auch nicht immer so, dass die Umwelt sie nachvollziehen kann.

Teil I Demenz Ursachen, Diagnose, Behandlung
Ursachen von Demenz

Das hohe Alter als Risikofaktor

Im hohen Alter körperlich und geistig gesund zu sein ist sicherlich der Wunsch jedes Menschen. Allerdings gelingt es den wenigsten, auch mit über 80 Jahren in jeder Hinsicht fit zu bleiben. „Und Abraham verschied und starb in gutem Alter, alt und lebenssatt“, heißt es in der Bibel (1. Mose 25,8). „Alt und lebenssatt“ – das ist ein schönes Bild vom Alter, ein positives.

 

Biblische Aussagen über das Alter sind so vielfältig wie das Alter und ältere Menschen selbst. Manche Texte beschreiben die schönen Seiten, andere aber auch die Mühsal des Alters.

So vielfältig wie diese Sicht der Bibel ist auch die Realität. Es gibt die Menschen, die bis an das Ende ihres Lebens „fit“ sind, und das gilt auch für den Bereich der „geistigen Fitness“. Andere aber dürfen das nicht erleben.

Altersverteilung der Demenz

ca. 1,2 % der 65- bis 69-Jährigen,

ca. 2,8 % der 70- bis 74-Jährigen,

ca. 6,0 % der 75- bis 79-Jährigen,

ca. 13,3 % der 80- bis 84-Jährigen,

ca. 23,9 % der 85- bis 89-Jährigen,

ca. 34,6 % der über 90-Jährigen

entwickeln eine Demenz.

Zum Glück ist nicht jede Form von Vergesslichkeit gleich eine Demenz. Altersvergesslichkeit gehört zum normalen Alterungsprozess, während dem im Gehirn zahlreiche Veränderungen stattfinden. So wird beispielsweise ab dem 40. Lebensjahr das Gehirn um ungefähr 10 bis 15 Prozent kleiner, und die Verbindungen zwischen den Nervenzellen verändern sich. Aus diesem Grund verarbeiten Betroffene Informationen langsamer und können zudem Schwierigkeiten im Bereich der Konzentration oder Merkfähigkeit entwickeln. Vergesslichkeit gibt es allerdings nicht nur im Alter. Sie kann auch durch Stress, falsche Ernährung oder zu wenig Bewegung herbeigeführt werden.

Weitere Risikofaktoren für eine Demenz

Wer auf seine allgemeine Gesundheit (z. B. Blutdruck, Entzündungen, Zähne, Seh- und Hörvermögen etc.) achtet, kann die Wahrscheinlichkeit für eine Demenz-Erkrankung deutlich senken. Diabetes steigert dagegen das Risiko, ebenso jede Form von Gefäßerkrankung.1 Auch Depressionen, Einsamkeit und ungelöste Konflikte scheinen Demenz zu begünstigen. Dagegen wirken die Beschäftigung mit neuen Themen, Lernen im Alter und ein gutes soziales Umfeld vorbeugend.

Wann liegt eine Demenz vor?

Von einer Demenz ist erst auszugehen, wenn die folgenden Kriterien zutreffen:

1. Eine Störung des Gedächtnisses muss mit einer weiteren Störung der ausführenden Funktionen des Gehirns zusammenkommen (ausführende Funktionen sind z. B. Sprache, Handlungsplanung, Umgang mit Alltagsgegenständen und vieles mehr).

2. Sind zwei Funktionen des Gehirns eingeschränkt, muss diese Beeinträchtigung mindestens 6 Monate bestehen bleiben, bevor man von einer Demenz ausgehen kann.

»Vor einiger Zeit wollte ich die Wäsche waschen. Da stand ich vor der Waschmaschine und wusste plötzlich nicht mehr, wie sie funktioniert! Welchen Knopf muss ich jetzt wie drehen, und wie öffne ich das runde Glasdings vorn? Überhaupt, das erlebe ich jetzt immer wieder: Dinge, die mir eigentlich vertraut sind, werden plötzlich fremd. Und ich verhasple mich viel mehr. Ich hatte schon immer mal Probleme, weil mir ein Wort nicht einfiel. Jetzt ist das sehr oft so, es ist, als würden die Worte in dem Moment aus meinem Kopf flüchten, wenn ich sie brauche. Ich umschreibe dann, was ich sagen will. „Ich geh dahin, wo ich wohne“, habe ich letztens gesagt, weil mir die Worte „nach Hause“ einfach nicht einfallen wollten. Manche Sachen und Worte kommen zurück, aber manche Dinge bleiben dauerhaft außerhalb meiner Reichweite. Das hat ganz langsam angefangen, und es hat lange gedauert, bis ich mir eingestanden habe, dass ich wirklich ein Problem habe. Von der Erkenntnis „da stimmt was nicht“ bis zur Diagnose war es eine Zeit voller Angst. Und als die Diagnose kam, war ich fast erleichtert. Ich wusste wenigstens, woran ich war.

Mir fällt auf, dass es mit meinem Gedächtnis viel besser geht, wenn ich nicht unter Druck stehe. Je selbstverständlicher ich damit umgehe, dass mein Gedächtnis spinnt, umso besser komme ich zurecht.

Ich habe zum Glück viele Schliche entwickelt, mit meiner Demenz umzugehen. Ich habe mir aufgeschrieben, wie Dinge funktionieren, ich habe mir Listen gemacht. Ich kann Dinge umschreiben, wenn mir das richtige Wort nicht einfällt. Ich habe mutig angefangen, davon zu reden, dass ich an Demenz leide und um Hilfe und Verständnis zu bitten, wenn ich mit etwas nicht klarkomme.

Ich war als Lehrerin mein Leben lang eine Frau der Worte. Jetzt fürchte ich mich vor einer Zukunft, in der ich keine Worte mehr finden kann. Selbstständigkeit ist mir sehr wichtig. Und als alleinstehende Frau habe ich keine Familie, die sich um mich kümmern könnte, wenn ich dazu nicht mehr in der Lage bin. Auch davor fürchte ich mich, vor einem Leben, in dem ich nicht mehr richtig über mich bestimmen kann.

Ich habe eine Vorsorge- und eine Betreuungsvollmacht, in der festgelegt ist, wer für mich Entscheidungen treffen soll, wenn ich es nicht mehr kann. Ich habe Kontakt zu einer Demenzwohngemeinschaft, in die ich ziehen werde, wenn ich nicht mehr allein leben kann. Aber ich möchte so lange wie möglich in meiner gewohnten Umgebung bleiben, so lange wie möglich selbstständig leben. Ich habe schon überlegt, ob eine Pflegekraft aus Polen für mich eine Lösung sein könnte, Freunde haben da einen Kontakt zu einer Agentur, und vielleicht gibt mir das die Chance, länger in meiner schönen Wohnung zu bleiben, mit meiner Katze und meinem Hund, die ja meine Familie sind!

Ich merke, wie wichtig es für mich ist, trotz allem Vertrauen und Hoffnung zu haben, dass es auch mit Demenz ein lebenswertes Leben gibt. Und bisher scheint meine Erfahrung mir recht zu geben. Ich lebe im Moment sehr intensiv. Sehr bewusst nehme ich wahr, was passiert: die Jahreszeit, meine Bücher, meine Tiere, meine Freunde … Ich bewege mich viel, weil ich merke, dass mir das hilft, ich esse viel bewusster, versuche, Sorgen nicht zu sehr wachsen zu lassen … Es ist eine schwere und eine herausfordernde Zeit, aber sie ist auch irgendwie – ja, lebendig ist vielleicht das beste Wort dafür.«

Ute W., Köln

Aufgrund unterschiedlicher Erscheinungsformen, zum Beispiel Alzheimer- oder Multiinfarktdemenz, gibt es am Anfang einer Erkrankung meist keine untrüglichen Anzeichen, sondern nur Auffälligkeiten. Diese Auffälligkeiten findet man in einem oder mehreren Orientierungsbereichen.

Menschen mit Demenz können Veränderungen in fünf Hauptbereichen der Orientierung erleben:

1. Zeitliche Orientierungsstörung: Ein Mensch mit zeitlichen Orientierungsstörungen weiß das Datum, den Tag, den Monat, das Jahr, die Jahreszeit nicht.

2. Örtliche Orientierungsstörung: Der örtlich desorientierte Mensch weiß nicht, wo er ist, kommt in seiner Wohnung nicht mehr zurecht, verläuft sich und findet den Weg nach Hause nicht.

3. Situative Orientierungsstörung: Der situativ desorientierte Mensch hat keinen Überblick über die Situation, in der er sich gerade befindet (z. B. Untersuchung bei einem Arzt). Hier können wahnhafte Fehlorientierungen auftreten, z. B. wahnhafte Situations- und Personenverkennung.

Wahn ist ein Krankheitssymptom aus dem Fachgebiet der Psychiatrie. Es handelt sich um eine schwere inhaltliche Denkstörung und kommt im Rahmen verschiedener psychischer Störungen vor. Der Wahn ist eine die Lebensführung behindernde Überzeugung, an welcher der Patient trotz der Unvereinbarkeit mit der objektiv nachprüfbaren Realität unbeirrt festhält. Dies kann eine Störung der Urteilsfähigkeit zur Folge haben. 2

4. Orientierungsstörung zur eigenen Person: Die Orientierung über die eigene Person meint das Wissen um den eigenen Namen und um die persönliche Lebensgeschichte. So wird vielleicht der Ehename vergessen, die Tatsache, dass man verheiratet ist, oder Partner und Kinder werden nicht erkannt.

5. Orientierungsstörung zur finanziellen oder sozialen Situation: Der desorientierte Mensch hat keinen Überblick über seine finanzielle oder soziale Situation.

Zusammenfassung

Auffälligkeiten, die auf eine demenzielle Erkrankung hinweisen können, sind:

 Nachlassen der Merkfähigkeit und regelmäßige Gedächtnislücken

 Sprachstörungen und das Unvermögen, sich mitzuteilen

 Desinteresse an der Umgebung/​Stimmungsschwankungen

 Einschränkung der sozialen und praktischen Kompetenz

 Eine gute Diagnostik ist wichtig, um alle heilbaren Erkrankungen, die zu einer Demenz führen können, rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln.