Drogen und soziale Praxis - Teil 2: Das Drogenthema und wie es in Berufsfeldern der sozialen Arbeit auftaucht

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Drogen und soziale Praxis - Teil 2: Das Drogenthema und wie es in Berufsfeldern der sozialen Arbeit auftaucht
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Gundula Barsch

DROGEN UND SOZIALE PRAXIS

Teil 2: DAS DROGENTHEMA UND WIE ES IN BERUFSFELDERN DER SOZIALEN ARBEIT AUFTAUCHT

Für alle, die sich von Drogenproblemen weit weg wähnen und überrascht sind, dass das Thema im Berufsalltag eine große Rolle spielt.

Engelsdorfer Verlag

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.dnb.de abrufbar

Erste Auflage

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag

Coverfoto © Pixel - Fotolia.com

Alle Rechte, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung beim Autor. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

1.Alkoholfolgeprobleme: Grundproblem, Handlungsdruck und Handlungsmöglichkeiten von Sozialer Arbeit

1.1Alkoholfolgeprobleme: Weit verbreitet, aber wenig beachtet

1.2Die Rolle von Sozialer Arbeit bei der Prävention und Behandlung von Alkoholfolgekrankheiten

1.2.1Voraussetzungen für professionelles sozialarbeiterisches Handel: Eigene Klärungsprozesse

1.2.2Professionelles Knowhow für sozialarbeiterisches Handeln zu Alkoholfolgekrankheiten

1.2.3Wie die Trinkmengen des Klienten ermitteln?

1.2.4Beratungsansätze zur Reduktion der Trinkmenge

1.3Zusammenschau

1.4Nachlesenswert

2Medikamentenkonsum: Grundproblem, Handlungsdruck und Handlungsmöglichkeiten von Sozialer Arbeit

2.1Der Konsum von Medikamenten: Weit verbreitet, oft selbstverständlich und kaum beachtet

2.2Kann denn Medikamenteneinnahme problematisch sein?

2.3Medikamentenkonsum differenzieren: Langzeitgebrauch, Medikamentenmissbrauch oder abhängig von Medikamenten?

2.3.1Medikamentengebrauch: Eine Medikation bei ernsthaften Erkrankungen

2.3.2Medikamentenmissbrauch: Ein Phänomen mit vielen Facetten

2.3.3Mit Medikamenten als Krücke durch den Alltag

2.3.4Wenn Medikamente zu „Partyhits“ werden

2.3.5Medikamentenabhängig oder langzeitbedürftig?

2.4Die iatrogene Abhängigkeit

2.5Zusammenschau

2.6Nachlesenswert

3Das System einer abhängigkeitsbelasteten Partnerschaft: Grundproblem, Handlungsdruck und Handlungsmöglichkeiten von Sozialer Arbeit

3.1Partnerschaft als System

3.2Der abhängige und der nichtabhängige Partner: Miteinander verstrickt

3.2.1Abhängigkeitsbelastete Partnerschaften als System

3.2.2Rollenverschiebungen in abhängigkeitsbelasteten Partnerschaften

3.3Der Abhängige als Symptomträger

3.4Der Nichtabhängige als Mitbetroffener

3.5Mögliche Umgangsstile in abhängigkeitsbelasteten Partnerschaften

3.6Zusammenschau

3.7Nachlesenswert

4Die abhängigkeitsbelastete Familie: Grundproblem, Handlungsdruck und Handlungsmöglichkeiten von Sozialer Arbeit

4.1Die Familie: Ein Beziehungssystem mit besonderen Aufgaben und Funktionen

4.2Elterliche Abhängigkeit und Konsequenzen für das Familiensystem

4.2.1Problematischer elterlicher Konsum und seine Folgen für die familiale Mikrowelt

4.2.2Problematischer elterlicher Konsum und seine Folgen für die Funktionen der Familie

4.2.3Problematischer elterlicher Konsum und seine Folgen für die Familienmuster

4.2.4Zusammenschau: Elterliche Abhängigkeit und Konsequenzen für das Familiensystem

4.3Familien mit abhängigen Kindern: Grundproblem, Handlungsdruck und Handlungsmöglichkeiten für Soziale Arbeit

4.3.1Große Kinder große Sorgen – vor allem, wenn es um „Drogen“ geht

4.3.2Die familiäre Katastrophe: „Mein Kind nimmt Drogen“

4.3.3Was für ein Unglück, wenn es immer so weitergeht

4.3.4Zusammenschau

4.4Nachlesenswert

5Kinder aus abhängigkeitsbelasteten Familien: Grundproblem, Handlungsdruck und Handlungsmöglichkeiten von Sozialer Arbeit

5.1Die Auswirkungen elterliche Abhängigkeit auf die Kinder

5.1.1Punkte besonderer Achtsamkeit in Bezug auf die körperliche Entwicklung

5.1.2Punkte besonderer Achtsamkeit in Bezug auf die psychische Entwicklung

5.1.3Punkte besonderer Achtsamkeit in Bezug auf die intellektuelle Entwicklung

5.1.4Punkte besonderer Achtsamkeit in Bezug auf die soziale und moralische Entwicklung

5.2Ressourcen und Resilienzen: Empowerment-Modelle und deren Bedeutung für die Arbeit mit Kindern aus abhängigkeitsbelasteten Familien

5.2.1Resilienzen: Die Art, wie man mit seinen Lebensumständen umgeht

5.2.2Schutzfaktoren für Kinder aus abhängigkeitsbelasteten Familien

5.3Ziele der Arbeit mit Kindern aus abhängigkeitsbelasteten Familien

5.4Zusammenschau

5.5Nachlesenswert

6Anlage: K.E.I.M. - Prüfbögen

Endnoten

Vorwort

Wenn in der Ausbildung von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen das Thema „Soziale Arbeit zu den Themen Drogen und Abhängigkeit“ auf dem Plan steht, scheiden sich die Geister. Die einen finden es spannend und können sich gut vorstellen, in den Arbeitsfeldern von Drogen- und Suchtkrankenhilfe tätig zu werden. Für die anderen ist dieses Thema wenig fassbar – in Anbetracht der kolportiert wenigen Erfolge, die man in diesem Arbeitsbereich erreichen könne, auch ein unattraktives Tätigkeitsfeld. Deshalb erscheint es zunächst uneinsichtig, sich überhaupt damit auseinandersetzen zu müssen. Vor allem für diejenigen, die glauben, dass sich Drogenproblemlagen auf wenige Arbeitsbereiche beschränken, ist dieses Buch gedacht. Es soll dafür sensibilisieren, dass sich Gebrauch, Missbrauch und abhängiger Konsum psychoaktiver Substanzen nicht von anderen Lebensthemen separieren lassen. Sie erscheinen in unterschiedlichen Facetten und fordern in allen Bereichen Sozialer Arbeit zum Handeln auf. Dabei bedürfen diese Problemlagen nicht unbedingt und sofort einer hochspezialisierten Hilfe – Angebote, die oft nicht nur räumlich, sondern für die Betroffenen auch mental kaum erreichbar sind. Oft kann eine Eskalation verhindert werden, wenn Drogenprobleme couragiert angesprochen und mit einem passenden Handwerkzeug angegangen werden. Auch dafür soll mit diesem Buch ermutigt werden.

 

Wenn im Weiteren die Rede auf Akteure kommt, die zu Drogenthemen reagieren können und sollen, wird regelmäßig auf den Begriff „Soziale Arbeit“ zurückgegriffen. Damit ist zweifellos zunächst eine Institution angesprochen: „Das Insgesamt von Einrichtungen und Dienstleistungen, welche über die privaten, individuellen Anstrengungen zur Daseinsvorsorge hinaus ein menschenwürdiges Leben sichern und gegen Risiken und Notlagen im Lebenszyklus und Arbeitsprozess schützen sollen“ (C.W. Müller, zit. in Kreft/Mielenz (1996): Wörterbuch Soziale Arbeit, Beltz, S. 510). Es mutet deshalb sehr unpersönlich an, nicht klar diejenigen zu benennen, die zur Mitwirkung aufgefordert sind. Da sich aber kein einzelnes Arbeitsfeld benennen und auch kein spezielles Grundmuster des Umgangs mit diesen Themen ausweisen lässt, blieb keine andere Wahl, als auf diesen sehr abstrakten Begriff zurückzugreifen – dies aber immer in der Hoffnung, dass sich möglichst alle angesprochen fühlen.

März 2014

Gundula Barsch

1.Alkoholfolgeprobleme: Grundproblem, Handlungsdruck und Handlungsmöglichkeiten von Sozialer Arbeit
1.1Alkoholfolgeprobleme: Weit verbreitet, aber wenig beachtet

Folgekrankheiten oft übersehen

Der Konsum von Alkohol durch Erwachsene wird in öffentlichen Debatten in der Regel mit dem Verweis auf die Gefahr einer Suchtentwicklung problematisiert. Das ist für die meisten Menschen eine deutliche Mahnung. Zwar kann das Phänomen „Alkoholabhängigkeit“ von Nicht-Experten selten sachgerecht beschrieben werden. Die über Presse, Funk und Fernsehen vermittelten Informationen haben aber dafür gesorgt, dass regelmäßiger und sehr starker Alkoholkonsum mit einer furchteinflößenden, außer Kontrolle geratenen Entwicklung in Verbindung gebracht wird, die in extremer physischer, psychischer und sozialer Verelendung endet.

Übersehen wird dabei allerdings, dass die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit eine relativ seltene, wenn auch sehr leidvolle Konsequenz übermäßigen Alkoholkonsums ist. Weit verbreiteter, allerdings im Bewusstsein der Menschen weniger präsent ist, dass ein regelmäßig zu hoher Alkoholkonsum erhebliche Folgen für die physische und psychische Gesundheit hat. Diese können sich schleichend auch dann einstellen, wenn der Konsum sozial völlig unproblematisch ist und so auch von Außenstehenden beurteilt wird.

Merkenswert: Das Entstehen von Alkoholfolgekrankheiten ist nicht zwangsweise daran gebunden, dass der Betroffene alkoholabhängig ist. Es kann zwar einerseits davon ausgegangen werden, dass Alkoholabhängige in der Regel auch behandlungsbedürftige Folgekrankheiten entwickelt haben. Andererseits können aber auch Menschen, die keineswegs sozial auffällig Alkohol konsumieren, unter Alkoholfolgekrankheiten leiden, wenn der Alkoholkonsum regelmäßig eine empfohlene Menge übersteigt.

Folgekrankheiten: Risiko eines regelmäßig zu hohen Alkoholkonsums

Die gesundheitlichen Risiken eines regelmäßig zu hohen Alkoholkonsums ergeben sich aus den toxischen und neurotoxischen Wirkungen, die Alkohol auf alle menschlichen Körperzellen hat. Folgerichtig besteht die Gefahr eines regelmäßig zu hohen Alkoholkonsums in Schädigungen, die an diversen Organen und in verschiedenen Bereichen des Nervensystems auftreten. Ein verbreiteter Irrtum ist, dass allein die Leber, als unser wichtigstes Entgiftungsorgan, durch Alkoholkonsum belastet wird. Richtig ist, dass der Alkohol mit dem Blut durch den Körper zirkuliert und durch seine Wasser-und Fettlöslichkeit selbst die Blut-Hirnschranke überwindet. Er gelangt also in jede Körperzelle und kann diese schädigen.

Die durch regelmäßigen Alkoholkonsum verursachten Folgekrankheiten variieren in Abhängigkeit von individueller Anfälligkeit. Letztlich sind je nach Neigung mehr oder weniger schnell ganze Organe und Organsysteme von den negativen Auswirkungen zu hohen Alkoholkonsums betroffen. Dies erklärt, warum Krankheiten, die auf regelmäßig zu hohen Alkoholkonsum zurückgeführt werden müssen, quasi an allen Organen und in allen Bereichen des Nervensystems gefunden werden können (vgl. Abbildung). Sie reichen von Veränderungen der Haut, über Störungen des Magen-Darm-Traktes, der Milz und Bauchspeicheldrüse bis hin zu Schädigungen des Nervensystems, die sich insbesondere an den Extremitäten und in deutlichen Einschränkungen der Hirnleistungen bemerkbar machen können. Auch für einen bedeutenden Teil der Krebserkrankungen im Mund- und Rachenraum, an der Speiseröhre, am Magen, Darm sowie an Leber und Bauchspeicheldrüse werden Alkoholfolgekrankheiten verantwortlich gemacht.

Merkenswert: Alkoholfolgekrankheiten können ernstzunehmende gesundheitliche Folgen verursachen, die bis zu letalen Erkrankungen reichen und sowohl die Lebensqualität (z. B. bei Gelenkserkrankungen) als auch die Lebenserwartung einschränken.

Alkoholfolgekrankheiten: Schwer als solche auszumachen

Eine Besonderheit der Alkoholfolgeerkrankungen ist, dass sie sich relativ unspezifisch bemerkbar machen. Die auftretenden Symptome können in der Regel auf sehr unterschiedliche Ursachen zurückgeführt werden. Deshalb wird nicht unbedingt zuerst an einen regelmäßig zu hohen Alkoholkonsum als Auslöser der jeweiligen Störung gedacht. Wenn auch der Volksmund oft über die Belastungen der Leber durch starken Alkoholkonsum witzelt, lassen sich selbst auffällige Leberbefunde durch andere Erkrankungen ebenfalls erklären. Wenn also nicht andere Anzeichen des Patienten (z. B. eine regelmäßige Alkoholfahne) unübersehbar auf diese Vermutung verweisen, geht die medizinische Klärung in der Regel zunächst anderen möglichen Ursachen nach.


Abbildung: Alkoholfolgekrankheiten (Winter, Stoiber, Engel 1987, S. 36)

Oft unerkannt: Ursache Alkohol

Für fast alle Alkoholfolgekrankheiten gilt, dass sie sich hinter vielen Krankheitsbildern verstecken können. Unter Mediziner werden sie deshalb auch als die „Affen unter den Krankheiten“ bezeichnet. Angedeutet wird damit, dass die tatsächlich ursächlichen Bezüge kaum zu ermittelt sind, wenn nicht gleichzeitig das Trinkverhalten der Patienten mit in den Blick genommen wird. Darauf verzichten aber viele Mediziner. Nicht nur, weil die pro Patient zur Verfügung stehende Zeit dafür nicht ausreicht und/oder entsprechende Leistungen nicht honoriert werden. Oft ist es den Ärzten auch unangenehm, den Alkoholkonsum ihrer Patienten anzusprechen und sich dazu kritisch zu äußern. Die Angst vor einem Vertrauensverlust, aber auch das Risiko, dass sich dieser Patient zukünftig von einem anderen ärztlichen Kollegen behandeln lassen könnte, verhindern oft ein couragiertes Handeln. Und dies selbst dann, wenn verschiedene Zeichen unmissverständlich auf eine Alkoholfolgekrankheit weisen.

Merkenswert: Die ätiologische Unklarheit der Beschwerden sorgt dafür, dass Alkoholfolgekrankheiten in der Regel nicht zweifelsfrei als solche erkannt werden können. Um regelmäßig zu hohen Alkoholkonsum als Ursache der Störung/Erkrankungen feststellen zu können, ist immer auch das Trinkverhalten des Betroffenen in den Blick zu nehmen. Die Tatsache, dass damit oft Tabugrenzen tangiert werden, erklärt, weshalb Prävention und Behandlung von Alkoholfolgekrankheiten Herausforderungen sind.

Zu hohe Trinkmengen sind weit verbreitet, aber kaum erkannt

Riskant hoher Alkoholkonsum ist mit unserer Trinkkultur durchaus vereinbar. In unserer Gesellschaft ist der Konsum von Alkohol in so viele Aktivitäten und Anlässe eingebunden, dass in der Regel weder vom Konsumenten selbst noch vom sozialen Umfeld wahrgenommen wird, dass die täglich getrunkenen Mengen ein problematisches Maß haben.

Zwar unterscheiden sich in den sozialen Schichten, Gruppen und kulturellen Milieus die Anlässe und Gelegenheiten, bei denen mehr oder weniger stark Alkohol getrunken wird. Aber allen Bevölkerungsgruppen ist gemeinsam, dass kaum jemand Anstoß an der Alltäglichkeit des Trinkens nimmt, so dass sich sozial völlig unauffällig, oft sogar getrieben durch einen sozial mehr oder weniger stark formulierten Trinkzwang Alkoholmengen summieren, die mit einem erheblichen Risiko für das Entstehen einer Alkoholfolgekrankheit einher gehen.

Merkenswert: In unserer Gesellschaft ist das Trinken von Alkohol unreflektiert und selbstverständlich in viele Lebensbereiche und Aktivitäten eingeordnet. Oftmals unbemerkt summieren sich die täglich getrunkenen alkoholischen Getränke zu einer Alkoholmenge, die ein unproblematisches Maß weit überschreitet.

Diese Besonderheit unserer Trinkkultur sorgt dafür, dass das Risiko einer Alkoholfolgekrankheit weit und in allen sozialen Gruppen, Schichten und kulturellen Milieus gleichermaßen stark verbreitet ist.

1.2Die Rolle von Sozialer Arbeit bei der Prävention und Behandlung von Alkoholfolgekrankheiten

Wenig Wissen zu Folgekrankheiten

Das Wissen über Alkoholfolgeerkrankungen und Möglichkeiten, diese zu verhindern, ist in der Bevölkerung vergleichsweise wenig verbreitet. Insofern stehen neben Ärzten, Pflegediensten und medizinischem Personal auch Sozialarbeiter in der Verantwortung, in ihren Arbeitsfeldern für Alkoholfolgekrankheiten zu sensibilisieren und ihre Klienten zu einem Risikomanagement beim Umgang mit Alkohol zu befähigen.

Die Berufsgruppe der Sozialarbeiter ist dafür auf besondere Weise prädestiniert: Sie entwickelt in Zuge einer oft langandauernden Beratungs- und Betreuungstätigkeit einen sehr persönlichen, vertrauensvollen Kontakt zu ihren Klienten und gewinnt dabei auch detaillierte Einblicke in deren persönliche Lebensgewohnheiten. Sozialarbeiter erfahren deshalb oft auch aus erster Hand etwas über Trinkgewohnheiten, können sich einen Überblick über regelmäßig konsumierte Trinkmengen verschaffen und aus diesen Positionen heraus am ehesten Zusammenhänge zwischen dem Alkoholkonsum und gesundheitlichen Beschwerden herstellen.

Merkenswert: Wie kaum eine andere Berufsgruppe verfügen Sozialarbeiter über Möglichkeiten, sich in Bezug auf die Prävention von Alkoholfolgekrankheiten zu engagieren:

 Sie können erstens durch eine frühzeitige Intervention die Entwicklung von Alkoholfolgekrankheiten ausbremsen.

 Zweitens kann Soziale Arbeit durch ein gezieltes Hinlenken in ärztliche Betreuung dazu motivieren, bereits bestehende Alkoholfolgekrankheiten einer sachgerechten Behandlung zuzuführen.

 Soziale Arbeit sollte schließlich drittens bei unklaren Beschwerden an eine möglicherweise alkoholbedingte Verursachung denken und an einer Aufklärung der tatsächlichen Gründe der Symptome mitwirken.

Es sind also drei sehr verschiedene Bereiche, in denen Soziale Arbeit einen Beitrag leisten kann, zusammen mit den Klienten Gesundungsprozesse schnell und zielsicher in Gang zu setzen.

1.2.1Voraussetzungen für professionelles sozialarbeiterisches Handel: Eigene Klärungsprozesse

Die Mitwirkung an der Prävention und Behandlung von Alkoholfolgeerkrankungen setzt allerdings voraus, dass sich jeder Sozialarbeiter klare Positionen erarbeitet, wie er sich zum Thema „Alkoholfolgekrankheiten“ verhalten will. Dieser individuelle Klärungsprozess ist oft schwerer als vermutet und hat verschiedene Themen/Ebenen.

 

 Erstens bewegen sich auch Sozialarbeiter in der extremen Ambivalenz, mit der der Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft verhandelt wird: In der Regel wird er verklemmt zwischen der hohen positiven Bewertung des „Trinkens“ an sich und der starken Abwertung von „Trinkern/Säufern“ diskutiert. Sozialarbeiter müssen sich zu diesem Spannungsbogen verhalten und mit realitätsgerechten Positionen Modelle anbieten, die Genuss, Spaß und Vergnügen erlauben, für negative physische, psychische und soziale Konsequenzen sensibilisieren und auf ein sachgerechtes Risikomanagement verweisen.

 Zweitens muss ein Sozialarbeiter darauf vorbereitet sein, dass derjenige, der den Alkoholkonsum anderer thematisiert, immer auch riskiert, dass das eigene Trinken ebenfalls angesprochen wird. In solchen Situationen lenken Verweise auf einen asketischabstinenten Trinkstil auf Ausnahmen, die in unserer Kultur selten vorkommen, von der Masse der Menschen aber weder erstrebt noch geschätzt werden. Sie sind in den notwendigen Auseinandersetzungsprozessen deshalb oft auch nicht hilfreich. Auch hier sind realitätsgerechte Modelle nützlicher.

 Drittens muss ein Sozialarbeiter damit rechnen, dass sein Bemühen um Prävention und Behandlung von Alkoholfolgekrankheiten mit der Begründung zurückgewiesen wird, dass der Alkoholkonsum eine „rein private Angelegenheit“ sei, weshalb der Klient strikt jeden Hinweis als Einmischung zurückweist. Dies geschieht immer dann mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn auf Seiten des Sozialarbeiters fachliches Wissen fehlt und deshalb eine Veränderung des Trinkens mit moralischen Attitüden eingefordert wird, die das Recht auf Genuss in Frage stellen und stattdessen Askese fordern. Derartige Zurückweisungen lassen sich oft mit dem Verweis aufweichen, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass übermäßiger Alkoholkonsum Alkoholfolgeerkrankungen auslösen kann. Auch eine Aufklärung zu dem verbreiteten Irrtum, nachdem Alkoholfolgekrankheiten nur auftreten würden, wenn jemand zugleich alkoholabhängig sei, könnte die Bereitschaft fördern, sich mit Unterstützung des Sozialarbeiters mit dem eigenen Trinkverhalten auseinanderzusetzen.

Erkennbar wird, dass Einsicht und Mitwirkung an einer Änderung des Trinkens sehr davon abhängen, dass die Hinweise und Motive des Sozialarbeiters zum Thema Alkoholkonsum sachlogisch und weitestgehend ohne moralische Vorwürfe vorgetragen werden.