Abenteuer Baltikum (Text Edition)

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Abenteuer Baltikum (Text Edition)
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Inhaltsverzeichnis

… wie läuft’s?

Wieso, weshalb, warum?

Funke, Sehnsucht, Reiselust

Was brauche ich denn so?

Auf ins Baltikum!

Gesund und munter!

Iss was!

Wohin des Wegs?

Reisende soll man nicht aufhalten.

Jede Jeck is anders!

Wo man singt, da lass Dich nieder

Wie schön ist’s auf dem Land

Was bleibt?

Chronologie der 107 Reisetage

Packliste Abenteuer Baltikum

Kapitelübersicht dieses Buches

Danke

Guido Lange

Abenteuer Baltikum

Mein Lauf 2.000 km an der Ostseeküste

Ampelpublishing.de

Alle Schilderungen in diesem Buch basieren auf subjektiven Erinnerungen. Die Dialoge geben nicht wortwörtlich, sondern sinngemäß vergangene Gespräche wieder.

Unbebilderte Tolino-ePUB-Fassung für tolino.de

Dieses Buch gibt es auch mit 234 teils großformatigen Fotos, gedruckt oder als eBook (PDF+ePUB) oder als Hörbuch direkt beim Verlag:

http://ampelpublishing.de

1. Auflage 2020

© 2020 Verlag: AmpelPublishing, Nörtershausen Alle Rechte vorbehalten.

Text: Guido Lange Lektorat: Jane Connell

Fotos: Jonas Danauskas, Guido Lange

ISBN des Orinalwerkes: 9783982078106

Für Ull

Es wohnt Genuß im dunklen Waldesgrüne,

Entzücken weilt auf unbetretner Düne,

Gesellschaft ist, wo alles menschenleer,

Musik im Wellenschlag am ewgen Meer,

Die Menschen lieb ich, die Natur noch mehr.

Lord Byron

… wie läuft’s?

Läufer sehen in dieser Frage natürlich die offensichtliche Doppeldeutigkeit und setzen gern eins drauf: „Es läuft!“ In keinem noch so kurzen Dialog spiegelt sich die Mentalität vieler Läufer besser wider. Wir sind entspannt – ob zweimal eine halbe Stunde die Woche oder Ultraläufer. Wie geht das? Entscheidend ist das Loslaufen. Bin ich mit den ersten Schritten unterwegs, komme ich in eine Zufriedenheit, die sich mit nichts anderem vergleichen lässt. Sicherlich kann man auch meditieren, jonglieren, malen oder musizieren, um in diesen Zustand zu kommen, bei mir ist es das Laufen. Kein Wunder, dass ich auf die Idee des Laufens entlang der Ostsee kam. So habe ich die Aussicht, dauerhaft und täglich zu laufen – weiter, immer weiter, hinaus in die Welt. Was kann es Schöneres geben!

Wieso, weshalb, warum?

22.000 km bin ich in den letzten neun Jahren gelaufen, 2.000 davon durchs Baltikum. Entlang der Ostseeküste von Stralsund bis nach Tallinn lief ich jeden Tag ein Stück und reiste so auf die denkbar einfachste Weise durch unsere europäischen Nachbarländer. Wie kommt man darauf, wie ist es – jeden Tag laufen, ist das nicht zu gewagt und überhaupt: Warum macht man das?

Es gibt unzählige Gründe, zu laufen. Aber eigentlich zählen die wenigsten Läufer sie auf. Oder haben Sie schon mal jemanden gehört, der sagte: „Laufen erhöht meine kognitiven Fähigkeiten“? Wohl eher nicht. Das Laufen macht mir Freude, auch ohne darüber nachzudenken, warum. Es ist für mich einfach schön – es macht mich glücklich. In Magazinen oder Büchern zu lesen, warum es außerdem noch gut für mich ist, kommt oben drauf, aber deswegen laufe ich nicht los. Ich will machen, was mir Freude bereitet, und die empfinde ich beim Laufen – draußen.

Wie wäre es denn, jeden Tag laufen zu können; und zwar immer weiter geradeaus, statt Runden in heimatlichen Gefilden? Man wird doch wohl sehr weit kommen, wenn man drei, vier Monate Zeit hat. Wie weit eigentlich? Und wie schön wäre es, am Meer entlang zu laufen. Gerade die Ostsee ist für mich ein Traumziel. Warum wohl? Wahrscheinlich, weil der Normalsterbliche aus dem Osten Deutschlands zu Zeiten der Mauer – ohne Verwandtschaft an der Küste – nur sehr geringe Chancen auf ein schönes Feriendomizil hatte. Oder einfach, weil sie so schön und so mystisch ist, so romantisch, so klar, so einsam und doch mitten in Europa.

Die Baltischen Staaten sind ein Teil dieser Mystik. Sie sind die unbekannten Schönen. Sie sind ein gutes Stück des „alten Europas“, sie haben reiche Kulturen und interessante Landschaften. Sie sind wunderbare Reiseländer und doch kenne ich kaum jemanden, der eine Beziehung zu ihnen hat. Als ich Ende der 90er Jahre mit dem Fahrrad in den Masuren unterwegs war, da habe ich vielleicht einen Samen für die Sehnsucht nach dem Baltikum gesät. Bisher dachte ich: „Da hinten ist es einfach nur flach, grün, einsam.“ Und ich dachte insbesondere, dass Litauen, Lettland und Estland sich stark ähnelten, aber das ist nicht der Fall. Sie sind so vielfältig, so unterschiedlich in Sprache, Kultur, Landschaft, Essen und Trinken und Mentalität. Sie sind nicht baltisch, sondern litauisch, lettisch oder estnisch. Und auch polnisch, russisch oder finnisch, denn diese Länder habe ich ebenfalls bereist.

Abwechslung ist mein zweiter Vorname und so ist das Baltikum perfekt für mein Abenteuer. Es wurde mein ganz persönlicher Lebenslauf!

Funke, Sehnsucht, Reiselust

Als ich die Idee beim Laufen kommen sah, – denn so war es wirklich – als ich also einen plötzlich auflodernden Funken eines Laufes entlang der Ostsee und damit ins Baltikum sah, war ich total angeregt. Ich habe das manchmal beim Laufen. Nicht immer taugen die Ideen, aber viele waren auch schon richtig gut. Ich dachte hier irgendwie: Mensch, das Baltikum, das Gute liegt so nah, das wär’s doch!

In den ersten Minuten beim Laufen strömen gewöhnlich die ganz aktuellen Fragen auf mich ein, sie drängeln sich gegenseitig vor und priorisieren sich selbst. Und sie werden oft zügig beantwortet oder manchmal verpackt in Kartons mit Etiketten wie: „Das wird schon noch“, „das mach‘ ich später“, „das ist nicht so schlimm, wie es aussieht“ oder „wo liegt eigentlich das Problem?“ Dann weiter kommen die grundsätzlichen Fragen, die wirklich wichtigen Fragen im Leben: „Haben Lügen kurze Beine,“ „haben wir noch genug Holz“ oder „wollte ich nicht längst mal meine Mutter anrufen?“ Und dann kommt der Kreativteil. Heute zum Beispiel: „Was ist denn mit dem Buch über das Baltikum? Das wolltest du doch machen“.… Ist eigentlich ganz einfach: Computer aufklappen und anfangen. Nach also 90 oder 100 Minuten bei einem Lauf in jener Weihnachtszeit in den heimatlichen Wäldern kam der Funke von einem Span namens „Auszeit, aber was Richtiges“, der schon länger vor sich hin glimmte. Und der hieß: „Lauf doch am Meerentlang, immer an der Ostsee entlang, Richtung Osten!“

Und wie gut die Idee war: Der Wind kommt meist von Westen, also von hinten. Je länger ich laufe, desto schöner wird der Sommer, desto länger ist es hell. Da wollte ich doch immer schon mal hin, da soll es so schön sein. Und auch wichtig: Ich muss nicht dauernd auf eine Karte gucken, das Meer ist links, der Strand ist rechts. Sollte das Meer mal rechts sein, stimmt grundsätzlich etwas nicht. Genial! Ich steigerte mich da hinein, das kannte ich ja von mir.

Später am Abend, als die Familienpflichten vorüber waren, las ich noch in einem Magazin namens „Explorer“. Da ging es um Allradfahrzeuge und Expeditionen. Und ich dachte nur: „Gut, dass ich das nicht mache.“ Nichts gegen ein schönes Offroad- Wohnmobil, ich oben als Chefscout. Aber wehe, da klemmt in der iranischen Pampa die Wasserpumpe. Dann wird’s für mich, der sich um jedes öffnen der Motorhaube herum drückt, schwierig. Aber was es da natürlich auch zu lesen gab: seitenweise Sehnsucht. Fernweh!

Das war der Abend, da ich erst noch kurz über eine Radtour nachdachte und dann aber auf immer mehr Webseiten kam, auf denen stand: „Der Ostseeradweg ist oft sandig und dann heißt es schieben.“ Darauf hatte ich nun gar keine Lust, dass mir das Fahrrad zur Last würde. Nee, nee, laufen, das ist es!

Man braucht nur einen Wagen hinter sich her ziehen, wo die Klamotten, das Wasser und Lebensmittel drin sind. Das war derselbe Abend, an dem ich anfing, so einen Wagen zu zeichnen. Denn ich bin ja eigentlich Ingenieur, auch wenn ich nach fünf Jahren Studium nur acht Tage in diesem Beruf gearbeitet habe. Der Wagen hatte nur ein Rad und einen rhombenförmigen Rahmen. Nur wie viele Konstruktionsversuche würde ich brauchen, bis das Gerät „alltagstauglich“, eben robust genug war? Sowas musste es doch auch irgendwie zu kaufen geben. Ich war immer noch genauso aufgeregt wie bei meinem Lauf am Nachmittag. Und das war ein gutes Zeichen, dass die Idee gut war.

Ich erzählte meine Idee herum und spontan war keiner begeistert. Sie guckten skeptisch, aber sie kannten mich eben auch. Sie mussten zugeben, dass da ja wohl keine riesigen Gefahren lauern würden. Ich solle halt einen großen Bogen um das russische Kaliningrad machen, das wäre ja bestimmt nicht so easy. Je mehr Zweifel der anderen, desto interessanter für mich. Es ist mein Wesenszug, der nicht nur Gutes hat.

Meine Recherche im Netz zum Wagen hatte nichts ergeben. Wann immer ich nach „Ziehwagen“, „Laufwagen“, „Laufen mit Wagen“ suchte, kam ich auf Kaufangebote für einen Bollerwagen. Google ist gar nicht so gut, wie man denkt, wenn man wirklich mal was Besonderes braucht. Dann kam ich auf die Seite von Robert Wimmer – letztendlich ein Volltreffer. Der hatte so einen Wagen – ein echtes Hightech-Gerät aus dem Schwarzwald. Robert war für mich der Beweis, dass es noch mehr solche Leute gibt, die um die Welt laufen, nicht Rad fahren, nicht paddeln oder wandern wollen, nein – laufen. Nun war klar: Ich mache das, sowas funktioniert und ich bin kein einzelner Verrückter.

 

Währenddessen wuchs die Sehnsucht nach dem Baltikum immer weiter. Ich suchte mein altes Fotoalbum aus Masuren heraus – alle Details waren wieder frisch: Danzig, Frombork, die Frische Nehrung, die wellige Landschaft! Wenn du ein Reiseziel hast, dann kann das Fernweh so richtig groß werden.

Dann sah ich im Fernsehen Christine Thürmer mit ihrem Buch „Laufen. Essen. Schlafen“. Sie ist Weitwanderin, läuft also nicht im Laufschritt. Es war interessant, was sie erzählte: Sie hatte damals die USA auf den drei großen Trails durchquert und nur das Nötigste in einem Rucksack dabei. Den restlichen Proviant usw. hat sie sich an bestimmte Poststationen nachgesendet. Das ist dort so üblich. Insofern eine ganz andere Geschichte, aber die Frage ist erlaubt: Warum nicht wandern? Beim Wandern kann man 10 oder mehr Kilo ohne Probleme auf dem Rücken haben, beim Laufen sind selbst 5 Kilo schon lästig. Und was sind 5 Kilogramm, wenn ich pro Tag schon 3 Liter Wasser brauche? Beim Wandern zieht man sich relativ dick an, schützt sich vor dem Wind, vor dem Regen oder vor nassen Füßen. Kommt die Sonne raus, heißt es umziehen. Beim Laufen wird man sofort warm, auch dünn bekleidet. Ist mir kalt, laufe ich schneller. Für mich ist kühles, feuchtes Wetter ideal zum Laufen. Sind es nicht unter null Grad, habe ich nur kurze Lauftights und ein Shirt an. Und bei Sonne, na, da ist es halt warm, aber immer noch besser als warm in einer Wanderjacke.

Auch Wanderer scheint es an der Ostsee viele zu geben: Die Strecke Usedom – Halbinsel Hel wird jedes Jahr von ca. 500 Wanderern abgelaufen – sieh mal einer an! So langsam fand ich das alles und kam auf die interessanten Webseiten. Das war auch wichtig, denn ich hatte ja doch noch einiges vorzubereiten.

Derweil brannte die Sehnsucht, glühte das Fernweh und ich freute mich riesig über meine Idee. Am liebsten wäre ich damals sofort losgelaufen. Die Leser können jetzt springen zum Kapitel „Auf ins Baltikum!“.

Was brauche ich denn so?

Wir hatten Mitte Januar und draußen war es kalt. Für solch eine Auszeit braucht man am besten einen langen Anlauf. Es wurden 15 Monate Vorbereitungszeit. Allein die Arbeitsstelle zu regeln, kann schon einige Kraft kosten, dann die Ausrüstung und das Schlauwerden über so ein Abenteuer.

Ich entschied mich für einen Februartag, um meinen Vorgesetzten über meine Pläne ins Bild zu setzen. Er war sichtlich überrascht und etwas unsicher. Aber er gönnte es mir und sagte mir mehr oder weniger an diesem Tag schon zu, so empfand ich es. Vielleicht war er nicht unsicher, sondern dachte nur das, was später auch viele meiner Kunden dachten: „Warum ziehe ich nicht selbst mal ein Abenteuer in Betracht?“ Immerhin ist es in einem Unternehmen der freien Wirtschaft nicht unbedingt usus, den Mitarbeitern eine Auszeit zu gewähren. 30 % aller Arbeitenden denken über eine Auszeit nach, aber nur 1 % machen dann auch eine, vor allem im öffentlichen Dienst, wo es oft sogar Regeln dafür gibt. Ich rechnete grob mit ca. 20 km pro Tag und kam auf 100 Tage, also vier Monate Auszeit. Na, das waren doch glänzende Aussichten. Ich würde zwar sparsam sein müssen, immerhin erhielt ich für diese Zeit kein Gehalt. Der eigentliche Lohn ist die Freiheit und dieser Gedanke versetzte mich immer mal wieder in Hochstimmung.

Der Wagen war ein wichtiger Punkt. Ich besuchte im Juni Robert Wimmer in Nürnberg. Der hat einen Benpacker – ein Ziehwagen mit zwei Rädern. Darauf sitzt eine wasserdichte Ortlieb-Tasche mit bis zu 30 Kilogramm Gewicht. Wir machten einen Ausflug, liefen gut 22 km entlang des Main-Donau-Kanals bis nach Roth. Momentmal – das Roth? Ja, es ist der magische Ort mit der Roth-Challenge – eine Strapaze mit IronMan-Bedingungen. Die Wiege des Triathlonsports in Deutschland. Wir übernachteten draußen und liefen am nächsten Tag zurück. Robert hat sehr viel Erfahrung für das Leben draußen, macht die unglaublichsten Geschichten, wie z. B. einen Lauf über die Alpen auf den Spuren Hannibals. Gerne 80 km am Tag schafft der 100 km-Deutscher-Meister auf der Bahn. Er erzählte vom Transeuropalauf 2003 von Lissabon nach Moskau. (Er wurde Sieger über 64 Etappen mit 5.036 km). Wow, das war für mich eine völlig neue Welt! Wie kann man so weit laufen? Der Besuch bei Robert hat mich geflashed und bestärkt, genau auf der richtigen Spur zu sein. Puhh, tut das gut: zu wissen, man ist nicht allein mit seinen Ideen.

Ich will mich zwar nicht quälen, aber weit kommen, das schon. Und wenn ich Zeit habe, dann komme ich weit. Robert gab mir auch seine Packliste und unzählige Tipps für mein Abenteuer. Ich brauchte Nahrungsmittel für dünn besiedelte Gebiete. Da habe ich Trek‘n Eat genommen. Das schmeckte besser als manches Restaurant, empfand ich später, als es dann darauf ankam.

Den Wagen, den Benpacker, hab ich bei Ben Größle bestellt, Tüftler und Erfinder und Erbauer des Benpacker in Oppenau im Schwarzwald. Der Wagen ist ein zuverlässiger Begleiter mit schwäbischer – pardon – badischer Präzision. Er wiegt ca. 7 Kilo und so kann man ca. 25 Kilo Nutzlast mitnehmen. Er hat zwei Zugstangen, die mit Schlaufen in einen Hüftgurt eingehängt sind. Daran sind sogar zwei Schnüre für die Scheibenbremsen, denn wenn es mal einen Abhang herunter geht, lässt sich der Schub des Gewichtes dosieren. Die Räder sind aus Carbon und haben Luftbereifung. Je größer das Rad, desto komfortabler fährt man. Falls erforderlich, ist es aber auch gut, die Räder abstecken und in den Sack packen zu können, dann sollten sie klein sein. Ich wollte auf insgesamt 30 kg kommen, eigentlich nur 27 kg, denn ich brauche ja täglich auch drei Liter frisches Wasser. Der Wagen hat eine wasserdichte Tasche oben drauf, die ich innen mit drei Frischhaltekisten unterteilt habe. So rutscht nicht alles zusammen und ich kann z.B. Lebensmittel von Kosmetikartikeln trennen. Durch die beiden Räder habe ich zwar immer eine gewisse Durchfahrtsbreite, kann aber das Gewicht auf der Achse beinahe ausbalanciert verteilen. So liegt nicht unbedingt viel Druck auf der Hüfte. Allerdings brauche ich eine gewisse Gewichtung nach vorn, weil sonst der Wagen sich durch den Laufrhythmus aufschaukelt. Schwere Sachen, die ich oft brauche, kommen nach vorn (Wasser, Snacks), ganz nach hinten, unten kommt das, was ich nach Möglichkeit gar nicht gebrauchen will (Medikamente, Reparaturzeug). Ich habe bei meinen Probeläufen oft umgepackt, bis es sich gut lief. An manchen Tagen beruhigt sich der Wagen, an anderen Tagen nie so ganz. Es gibt Tage, da macht der Wagen was er will. Da übt man eine gewisse Geduld.

Ich brauchte Klamotten und fragte verschiedene mir sympathische Hersteller an, ob sie sich beteiligen würden. Das hätte ich mir sparen können, denn das Gute liegt so nah: Christian Schwab von thonimara stattete mich mit seinen Qualitätsklamotten Made in Germany aus. Ganz herzlichen Dank dafür. Es klingt jetzt blöd, aber ich mache es trotzdem: Die Laufsachen von thonimara aus Sachsen sind sensationell komfortabel, superleicht und geschmeidig und riechen nicht nach den Bakterien, die sich so gern von unserem Schweiß ernähren. Die kann man echt empfehlen. Ich packte zwei kurze Lauftights, zwei ärmellose, zwei kurzärmelige, zwei Langarmshirts, einen Pullover, eine Regenjacke, Shorts-Badehose, lange Freizeithose, Socken und Unterwäsche ein – das meiste von thonimara. Ich könnte mich also zwei mal umziehen, das ist schon fast Luxus.

Ganz großes Thema für mich: Navigation. Die neue Fenix 5 von Garmin war seinerzeit kurz vor dem Markteintritt, die erste Uhr mit Navigation am Handgelenk. Aber sie kam einfach zu spät. Und außerdem zeigte sie zwar die geplante Route, nicht aber eine Karte an. Wie die Navigation auf dieser neuartigen Uhr funktioniert, war auch schwierig heraus zu finden, weil es sie erst ab Frühjahr 2017 geben sollte. Da ging ich lieber auf Nummer sicher und kaufte mir das Garmin GPSmap 64. Dazu kaufte ich die Karte ‚Topo active Europe‘. Das Gerät ist ein ziemlich schwerer Knochen. Es erinnerte mich an mein erstes Handy. Aber es ist geschützt gegen Staub + Sturz und ist wasserdicht. Es hält lange, lässt sich bei jedem Wetter sehr gut ablesen und bedienen usw. Ich hatte es später hinten in meiner Laufhose und so ging es ganz gut. Auf eine Laufuhr verzichtete ich weiterhin bis vor kurzem. Nachdem ich mir nun doch eine SUUNTO Spartan zugelegt habe, kann ich damit auch navigieren, aber es passen nicht genug Routen auf die Uhr, um die gesamte Tour abzudecken. In dem GPS-Gerät sind hochaufllösende Karten mit jedem Weg und jedem Steg in ganz Europa drin. Es erklärt sich leider nicht selbst und ich haderte gelegentlich damit. Aber letztendlich war es super. Ich klickte mir im Computer die geplanten Routen zusammen und übertrug sie dann auf das GPS. Später habe ich mich oft nicht daran gehalten und sah die Routen eher als Empfehlung. Manches, was man am „grünen Tisch“ plant, sieht in der Realität ganz anders aus. Das Vorplanen der Karten ist aber auch eine gute Übung, um mir die Länge der gesamten Tour klar zu machen und mir die Orte immer wieder zu merken. So konnte ich auch überlegen, an welchen Orten sich vielleicht ein Pausentag lohnt und überhaupt wollte ich damit durchzählen, wann ich wo eintreffe. Das war auch für das Russlandvisum wichtig.

Ich ließ mich impfen und vom Arzt durchchecken, kaufte verschiedene Medikamente und Verbandszeug für den Notfall. Dabei waren auch Antibiotika, Aspirin und Ibuprofen. Ich mag keine Pillen, aber so ganz ohne wäre vielleicht auch blöd, wenn’s ernst wird.

Zur Ausrüstung gehören auch ein Gaskocher samt Kartusche, ein leichter Topf, Besteck, Becher und Wasserflaschen. Für die Nächte draußen beschaffte ich ein superleichtes Bergnotzelt, Schlafsack, Isomatte, Kopfkissen und eine Plane zum drunterlegen. Jedes Teil wiegt nur 300 bis 400g – unglaublich, denn meine bisherige Campingausrüstung passte etwa in einen Umzugswagen. Das Zelt war spannend, denn das gab es nur noch in einem Schweizer Bergshop: Ein Ortik Tupek – von einem pleite gegangenen portugiesischen Hersteller. Extrem hohe Wasserdichtigkeit und kein Gestänge. Wie geht das? Zwei Kletterer streifen sich das gemeinsam über und lehnen sich dann drinnen jeder an eine Seite, so entsteht ein gewisser Luftraum dazwischen. Bei mir war das anders geplant und ich war ja auch allein. Im Globetrotterkaufhaus in Hamburg- Barmbek kaufte ich zwei einzelne Hightech-Zeltstangen, die sich stark im Bogen biegen lassen und die funktionieren, um meinen persönlichen Luftraum herzustellen. Ursprünglich wollte ich den Wagen mit ins Zelt nehmen und die Füße unten durch ausstrecken. Dafür habe ich mir zwei Aluminiumspriegel schweißen lassen, mit denen ich den Wagen aufbocken kann. Das hat funktioniert, aber es war keine gute Idee. Den Wagen klaut niemand und die Aludinger waren mir auf der Reise eigentlich nur lästig.

Ich stopfte alles probehalber in den Benpacker. Der Wagen samt Zelt stand einige Zeit im Wohnzimmer und ich probierte verschiedenes aus. Jeden Tag blickte ich auf meine Ausrüstung und mir fielen immer noch Kleinigkeiten ein.

Es war eine spannende Zeit, denn ich las auch weiterhin Blogs und Artikel von anderen. Das gesamte Equipment kostete am Ende immerhin 4.000 €. Viel zu schade eigentlich, um damit nur eine einzige Tour zu machen!

Keiner hatte je diesen Lauf gemacht, Radtouren – ja. Dabei erschien er mir inzwischen als absolut naheliegend. Es gibt Fragen, auf die findet man bis zum Start keine Antwort. Ich fragte polnische Geschäftspartner, die oft an der Ostsee sind: „Kann man auf dem harten Sand am Ufer gut laufen, oder ist er zu weich dafür?“ Das wäre für mich entscheidend, aber ich bekam es vorher nicht heraus. (Wer nicht lange suchen möchte: Ja, man kann, ich habe später immer wieder Fahrradspuren gesehen, der Sand ist sehr schön fest.)

Ich brauche ein Visum für den Oblast Kaliningrad, denn das ist Russland. Ein wunderbarer Aspekt an Europa ist die Freizügigkeit im Reiseverkehr. Das klingt jetzt irgendwie technisch, aber wie toll ist es denn, einfach immer weiter zu laufen, ohne sich ständig ausweisen zu müssen und vor allem verschiedene Visa zu beantragen. Ich bin in Europa zu Hause und überall Einheimischer – zumindest auf dem Papier. Nur wer Europa ausprobiert, hat auch was davon! Das Visum für Russland beantragte ich bei einem Konsulat in Bonn. So weit so gut. Weil ich aber nicht mit einem beim russischen Außenministerium gemeldeten Reisebüro kooperierte, wurde mir auch alles abverlangt: Antrag mit drei Passbildern natürlich, Auslandskrankenversicherung, Gehaltsbescheinigung, Rückkehrwilligkeitserklärung, Hotelbuchungsunterlagen. Ich nehme an, dass Deutschland das ebenfalls von den einreisenden Russen verlangt und nun haben wir also den Salat. Wie heißt es so schön auf der Webseite des russischen Außenministeriums? „Im Prinzip der Gegenseitigkeit verlangen wir von den Deutschen folgende Unterlagen…“ Wie du mir, so ich dir. Ich buchte mir ein Zimmer im ibis Hotel in Kaliningrad und bekam tatsächlich nur für die vier Nächte auch das Visum. Das ist eigentlich zu knapp für den russischen Teil meiner Reise.

 

Ich hatte die Idee, so weit zu laufen, weil ich wirklich gern laufe. Aber ist es das dann, was ich wirklich wollte, macht es denn Spaß, jeden Tag statt zur Arbeit zu gehen, sein nächstes Ziel in Laufschuhen anzusteuern, hinter sich 30 Kilo als Gepäck?

Das finde ich heraus. Und jetzt geht es los!