Sind Egoisten wirklich schlechtere Christen?

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Sind Egoisten wirklich schlechtere Christen?
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Sind Egoisten wirklich schlechtere Christen?

Guido Edwards

Copyright: © 2014 Guido Edwards

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN: 978-3-8442-9265-7

1

Vorwort

Das erste Buch, dass ich zu diesem Thema schrieb, heisst „Sind Egoisten wirklich schlechtere Menschen?“.

Dort habe meine allgemeinen Gedanken zum Thema Selbstbewustsein dargelegt. Zwar sind sie auch aus christlicher Perspektive geschrieben, aber spezifische Fragen aus dem christlichen Glaubensleben wurden ausgeklammert. Auch in der Wortwahl wurde versucht auf eine christliche Terminologie zu verzichten. Im Gegensatz dazu soll dieses Buch vor allem Menschen ansprechen, die sich als „gläubige Christen“ bezeichnen. Das heisst unter anderem, dass christliche Begriffe zur Anwendung kommen. Beispielsweise wird nicht von der "Psyche", sondern von der "Seele" gesprochen. Allerdings werde ich versuchen, liebe Schwestern und Brüder, sprachlich nicht allzu sehr in diese Richtung abzudriften!

Dies bedeutet allerdings eine Gratwanderung. Beispielsweise ist der an und für sich neutrale Begriff „Stolz“ in christlichen Kreisen sehr negativ belegt. Wenn ich aber die Bibel lese, stelle ich fest, dass er (beispielsweise 2.Kor. 1,12: „Wenn ich mich mit etwas rühme, dann mit dem, was mir auch mein Gewissen bezeugt: Mein Verhalten überall in der Welt und besonders bei euch war stets bestimmt von völliger Ehrlichkeit und Selbstlosigkeit, wie es dem Willen Gottes entspricht.“) durchaus auch eine positive Bedeutung haben kann. Bei solchen Begriffen habe ich versucht den Sinn entsprechend dem Zusammenhang zu erklären.

Wenn sie das erste Buch gelesen haben, werden sie bei einigen Themen Wiederholungen feststellen. Die sind beabsichtigt um verschiedene Perspektiven aufzuzeigen.

Der Anlass, dieses Buch zu schreiben, gab mir vor allem meine Wahrnehmung, dass viele Menschen den Weg als Christen nur halbherzig gehen. Sie wollen zwar, aber „der alte Mensch“, wie es die Bibel nennt, ist noch immer sehr prägend in ihnen vorhanden. Dies zeigt sich in der Regel in einem schwachen Selbstbewusstsein. Die Folge davon ist ein zögerliches und ängstliches Verhalten. Das ist aber das Gegenteil von dem, was Gott Vater sich für uns wünscht. Es ist auch das Gegenteil von dem was Jesus uns vorgelebt hat und der Heilige Geist uns zeigen will. (2.Tim. 1:7: “Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Feigheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“)

Hier will dieses Buch eine Hilfe sein. „Jung und dynamisch“ zu sein ist heutzutage sowieso viel populärer. Was gibt es also für einen Grund, das schwache Ego nicht abzulegen und ein selbstbewusstes Kind des höchsten Gottes zu werden? Ich kann es Ihnen sagen: Es ist sehr oft eine gut entwickelte Intelligenz! Ein Ausbilder für Piloten, hat mir einmal gesagt, Piloten dürften nicht zu intelligent sein, weil sie sonst zu viel denken und zu wenig handeln würden. Wenn wir immer alle „Wenn und Aber“ bedenken möchten, bis wir sicher sind das Richtige zu tun, kann es tatsächlich zum Problem werden, denn es macht unsicher und ängstlich. Ich bin aber zur Erkenntnis gelangt, dass intelligente Menschen in der Regel lernfähig sind. Dieses Buch kann eine Gelegenheit bieten, dies auszuprobieren.

In meinen verschiedenen Tätigkeiten mit Christen und christlichen Organisationen habe ich festgestellt, dass mangelndes Selbstwertgefühl oft eine der bedeutendsten Ursachen von Problemen und Passivität ist. Dies ist der Fall, obwohl jedem praktizierenden Christen klar sein sollte, wie wertvoll jeder Mensch ist. In kurzen Kapiteln versuche ich jeweils einen Gedankenimpuls weiterzugeben. Von den Personen, die den Text bereits gelesen haben, denen ich diesen Text zum Gegenlesen gegeben habe, wurde ich insbesondere von Pastoren und Pfarrern darauf hingewiesen, dass diese Texte auch für Schulungen geeignet wären. Dennoch wollte ich nicht ein eigentliches Lehrbuch, sondern eher ein Buch für kurze persönliche Andachten schreiben.

Um eine gewisse Nachhaltigkeit über die eigentliche Lesezeit hinaus zu bewirken, habe ich in jedem Kapitel einige besonders pointiert formulierte Sätze in blauer Farbe hervorgehoben.

So wie das Kreuz oft als Sinnbild gesehen wird, dass Christen fest auf dem Boden aber mit der Verbindung zu Gott und den Mitmenschen leben soll, ist auch die Gliederung des Buches angelegt. Diese Beziehungen können mit einem guten Selbstwertgefühl und gesunden Selbstbewusstsein optimiert werden: Zu mir und meinem Leben in dieser Welt, zum Mitmenschen und (als grösster Teil) zu Gott.

Das Buch ist in vier Teile aufgeteilt:​

A) Meine Beziehung zu mir​

ab Kapitel 2​

B) Meine Beziehung zum Mitmenschen​

ab Kapitel 12​

C)Meine Beziehung zu Gott​

ab Kapitel 25​

D) Meine Abschlussprüfung​

Kapitel 46

​ Die Bibelzitate sind aus der Übersetzung von „Die Gute Nachricht“ 1982 und 2000.

2

Mich und meine Fähigkeiten annehmen

Sind sie mit dem Traktor auf der Rennbahn oder mit dem Rennwagen mit angehängtem Pflug unterwegs?

Um meine eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu kennen und um mit ihnen umgehen zu können, ist es zwingend notwendig, dass ich meine Bestimmung kenne. Das heisst, wenn es für mich und mein Leben einen Plan gibt, muss ich versuchen ihn zu finden und mich damit zu befassen, wie ich ihn in die Tat umsetzen kann. Denn es ist unsinnig einen Traktor als Rennwagen zu gebrauchen oder umgekehrt mit einem Rennwagen pflügen zu wollen. Also muss ich wissen wofür ich "gebaut" wurde!

Die Frage „was bin ich?“ hat auch eine fundamentale Verbindung mit der Frage „wer bin ich?“. Das Sprichwort „Kleider machen Leute“ drückt etwa das aus, was ich sagen will: Es ist nicht nur so, dass Menschen von anderen Menschen ihrer Kleidung entsprechend beurteilt werden, vielmehr ist an den Kleidern zu sehen, wie sich diese Menschen zeigen wollen, wie sie wahrgenommen werden wollen und ihre Kleidung wirkt sich auch darauf aus, wie sie sich fühlen und wie sich verhalten. (Mehr im Kapitel 6). An der Kleidung kann man auch sehen, ob es einem Menschen überhaupt wichtig ist, wie andere Menschen ihn wahrnehmen. Es ist sehr leicht möglich, über das „was bin ich?“ auch auf die Frage „wer bin ich?“ eine Antwort zu finden. Ein Rennwagen und ein Traktor sind von der Bestimmung her, vom Aussehen her und im Verhalten nicht gleich. Deshalb ist die Persönlichkeit und wie sie gelebt und empfunden wird, für die Beantwortung der Frage „wer bin ich?“ von grosser Bedeutung.

Ich bin der Überzeugung, dass für jeden Menschen eine solche Bestimmung besteht und nur im christlichen Denken und Erleben diese auch gefunden werden kann. Denn der christliche Gott ist der einzige, der uns die absolute, individuelle Freiheit gibt, aber auch für jeden einen Plan hat, der schon vor der Zeugung fest stand. Es steht uns aber absolut frei, diesem Weg mehr, weniger oder gar nicht zu folgen. Als Bild: Wenn wir wollen, können wir durchaus als Sportwagen versuchen Äcker umzugraben. Es könnte aber sein, ist sogar wahrscheinlich, dass es uns dabei nicht so wohl ist, wie wenn wir auf der Rennstrecke unterwegs wären. Um unserer Bestimmung entsprechend zu leben, müssen wir erkennen und akzeptieren können, wozu wir geschaffen worden sind.

Viele Christen haben zwar ihr Leben unter die Herrschaft Christi gestellt, sie fahren aus lauter Angst, sie seien ein schlechter Traktor, ihren Sportwagen nur im ersten Gang. Es ist ja auch unanständig, ein Sportwagen zu sein!

Diesen armen Christen muss geholfen werden, den Weg vom Acker auf die Rennbahn zu finden! Es soll helfen, das "christliche" denken, dass ein Rennwagen so viel weniger christlich sein soll als ein Traktor, abzulegen.

Denken wir an das Bild vom Leib Christi, wie er in der Bibel beschrieben wird: Wie soll das Knie verstehen, wozu das Ohr gut ist? Wie kommen wir überhaupt dazu unsere Gaben und Fähigkeiten gering zu achten?

Suchen wir also unsere Bestimmung, stehen wir dazu. Es gibt eine Sünde, die besonders scharf gerichtet wird: Gott zu beleidigen! – Was aber tun wir, wenn wir im Namen Gottes tief stapeln und mit unseren Begabungen und Geschenken unzufrieden sind, weil wir lieber andere haben möchten?

Wenn wir ein Sportwagen sind, dann haben wir Freude am Tempo und sollten auch lernen damit umzugehen. Wir sollten nicht versuchen den Vorstellungen unserer Mitchristen vom "rechten Glauben" nachzuleben, sondern unsere Aufgaben gemäss unseren Fähigkeiten suchen. Auch wenn wir dazu vielleicht etwas mehr Luxus oder Zeit oder Ruhe oder Anerkennung brauchen! ​

Dies wird mir immer wieder mit aller Gewalt vor Augen geführt: Ich habe drei Freunde. Wir treffen uns regelmässig zum Austauschen und beten. Jeder steht für den Anderen ein, auch wenn es oft nicht leicht ist, das Problem des Anderen nachzuempfinden. Denn der Eine ist Anwalt und Richter. Er möchte am liebsten jedes Wort der Bibel tagtäglich umsetzen. Er findet auch immer sofort eine wirklich hilfreiche Bibelstelle, die er uns mitgibt, wenn wir Sorgen haben.

Ein Zweiter kann kaum eine Bibelstelle auswendig, ist aber ein Evangelist, wie ich noch keinen Zweiten kennen gelernt habe. Es „passiert“ ihm des Öfteren, dass er jemanden kennen lernt und innerhalb von drei Minuten, von dieser Person Dinge erfährt, die sie vorher noch niemandem erzählt hat.

Der Dritte ist spirituell so abgehoben, dass er beispielsweise problemlos die längste Zeit fasten kann. Ganz im Gegensatz zum Vierten, der Bücher schreibt und immer klagt zu wenig Geld zu haben, dabei aber in Saus und Braus lebt. Aber auch der hat irgendwelche guten Eigenschaften. Auch er kann, wenn er von Gott eingesetzt wird, immer wieder seinen Freunden und anderen Menschen, eine Hilfe sein.

 

Die Bibelstelle dazu: Römerbrief Kapitel 9, Vers20 und 21:

„Wer seid ihr denn eigentlich, ihr Menschen, dass ihr meint, Gott zur Rechenschaft ziehen zu können? Glaubt ihr wirklich, dass sich der Schöpfer vor seinen Geschöpfen verantworten muss? Schliesslich kann auch ein Töpfer aus einem Klumpen Lehm ein wertvolles ​oder ein gewöhnliches Gefäss formen.“

3

Ein Gott der Liebe lässt mir nicht einfach alles gelingen

Heissblüter und Kaltblüter

Von Kaltblütern spricht man vor allem bei Pferden. Dort heisst dann das Gegenstück Vollblüter. Vollblüter sind temperamentvolle Tiere, deren Gemüt sich schnell erhitzt. Kaltblüter sind furchtlose Pferde, die kräftig, bodenständig und schwerfällig sind. Unter "Vollblutmenschen" könnte man sich ja auch etwas vorstellen, aber ich denke, es entspricht nicht ganz dem, was ich meine. So spreche ich von "Heissblüter" und "Kaltblüter".

Es gibt da gewisse Parallelen zum Vergleich Traktor und Sportwagen, nur dass ich hier das Temperament und nicht die Aufgaben gemeint sind.

Kaltblüter erfüllen eine äusserst wichtige Aufgabe: Ihre Treue, Ausdauer und Bescheidenheit wirkt oft beruhigend und garantieren Kontinuität. Sie leben aber immer in Gefahr einzuschlafen. Im Gegensatz zum Heissblüter, der handelt und redet gerne, bevor er denkt. Aber er kann begeistern, wach halten und vorwärts gehen. Der eine Charakter kann ohne den anderen nicht leben. So wäre meine Beobachtung eigentlich nicht verwunderlich, dass in einem Menschen oft beide Wesenszüge vorkommen. Aber es irritiert dennoch oft, dass ein Mensch, der an einem Ort übers Ziel hinausschiesst, auf der anderen Seite in bestimmten Dingen absolut treu und besonnen ist. Nach aussen ist jedoch oft eine der beiden Seiten stärker sichtbar.

In Apostelgeschichte 13,22 sagt Gott: „Ich habe David, den Sohn Isais, gefunden, einen Mann nach meinem Herzen.“ Diese Aussage wurde nur über David gemacht. Dieser David hat aber Dinge getan, die Gott sicher nicht gefallen konnten. Ab 2.Samuel 11 ist zu lesen, wie er die Frau seines Nachbarn schwängert. Sie ist verheiratet mit Uria. Und weil ihm dieser Mann im Wege stand, liess er ihn mehr oder weniger elegant umbringen. "Ein Mann nach meinem Herzen" das sagte Gott über diesen Menschen! Der Prophet Nathan machte dann aber David klar, was er für eine Schuld auf sich geladen hatte und welche Konsequenzen dies haben würde. Wie reagierte König David? Wir lesen in 2. Samuel 16 und 17: Er fastete tagelang und schlief nachts auf dem Fussboden. Seine Hofbeamten kamen und versuchten, ihn zum Aufstehen zu bewegen, doch ohne Erfolg. Auch zum Essen liess er sich nicht überreden. Ebenso herzhaft, wie er sündigte, bereute er auch. Gott gab ihm Vergebung – nicht nur das -, er schenkte diesem Paar einen Sohn. Dieser Sohn wurde König Salomo. Auch ein besonderer Liebling Gottes!

Auf der anderen Seite hat Gott für Lauheit überhaupt nichts übrig! Ein Beispiel: Offenbarung 3, 15 und 16: „Ich kenne dich genau und weiss alles, was du tust. Du bist weder kalt noch heiss. Ach, wärst du doch das eine oder das andere! Aber du bist lau. Das ekelt mich an, und ich werde dich ausspucken.“

Gott kann "Weicheier" nicht ausstehen! – Aber die Sanftmütigen schon! Auch Gutes zu tun, kann harte Entscheidungen nötig machen. Das heisst, es ist nicht die Frage ob hart oder sanft vorgegangen wird. Aber Entscheidungen dürfen wir nicht ausweichen. Falsch entscheiden ist also auf jeden Fall bei Gott höher geachtet, als nicht entscheiden! Wenn ich alles mit mir geschehen lasse, nur weil ich nicht das Format habe Entscheidungen zu fällen, ist das auf jeden Fall die grössere Sünde als herzhaft zu sündigen und zu bereuen! – Sie finden diese Aussage gefährlich? – Dies ist sie natürlich auch, aber lesen sie die Bibel. Sie werden sehen, dass David danach, auch nicht nur im Geringsten daran dachte, wieder eine solche Sünde zu begehen. Wie auch Petrus, nach dem er Jesus verleugnet hatte, nie mehr ein Jota von seiner Treue zu Jesus abwich! Das heisst, die Reue und die Korrektur muss noch um einiges herzhafter sein, als die Sünde, die begangen wurde. Das ist aber nur mit einem starken Ego (und mit einer noch viel stärkeren Verbindung mit Gott) möglich!

Der springende Punkt ist nun der: Die meisten Menschen haben, wie gesagt, beide Elemente in sich. Das heisst, es kann durchaus sein, dass ich vorwiegend ein temperamentvoller Mensch bin, dass es aber Dinge gibt, in denen ich absolut "schlaff" bin. Ebenso sind die meisten Menschen, die pragmatisch sind und nach aussen eine Buchhaltermentalität zeigen, auch in bestimmten Punkten energisch und konsequent. Wir sollten uns aber immer prüfen, um frühzeitig zu erkennen, ob die Gefahr besteht, in einzelnen Bereichen einzuschlafen.

Denn eines ist klar: Wenn wir Gott gegenüber knauserig sind, wird er dies uns gegenüber auch sein! Das heisst, wir sollten möglichst grosszügig sein, wenn wir von ihm auch Grosszügigkeit erwarten. Es ist so wie in einem Betrieb: Als Chef bin ich vielleicht grundsätzlich grosszügig. Ich bin aber nur mit diesen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen generös, die es auch mit mir sind. Wenn sie mir jede Minute abrechnen, muss ich das auch mit ihnen tun.

Nachtrag: Fred Grob, der mir auch das Lektorat für dieses Buch gemacht hat, hat hier folgenden Kommentar eingefügt:


Was heissen soll: Handelst Du wirklich nach dem Prinzip Aug um Aug und Zahn um Zahn?

Meine Antwort darauf: Sicher nicht bewusst, aber unterbewusst schon: Ich habe Hemmungen einem Menschen der mit mir grosszügig ist, auch den kleinsten Aufwand in Rechnung zu stellen. So ist es auch im Team: Wenn jemand mal 15 Minuten Überzeit arbeitet ohne es abzurechnen, wird mit mir keine Diskussion haben, wenn er in der Arbeitszeit kurz was privates erledigt.

4

Ohne Mut keine Demut

Soll ein Christ nicht demütig sein?

Doch, ja! Ein Christ soll in Demut vor Gott leben! Demut aber ist nicht Unterwürfigkeit! Als Christ ist man Kind des Höchsten! Königskinder sind aber selbstbewusst. – Ja, die Sache ist noch viel verzwickter: – Ohne starkes Selbstbewusstsein kann man gar nicht demütig sein!

Demütig handeln heisst ja nicht sich aufzugeben, sondern sich mit seiner ganzen Persönlichkeit unterzuordnen. Das soll heissen, dass ich ohne Selbstbewusstsein gar nichts habe, um demütig zu sein.

Vielleicht bringt es uns der Sache näher, wenn wir fragen: „Was ist das Gegenteil von Demut?“ Am treffendsten ist wohl der Begriff "Arroganz". Was ist das Typische an einem arroganten Menschen? Vor allem wohl seine Unbelehrbarkeit und damit seine Unfähigkeit sich korrigieren zu lassen. Damit wäre die wichtigste Eigenschaft von Demut die Korrigierbarkeit.

Vielleicht kennen sie den Spruch: "Wir wissen zwar nicht wohin, aber wir gehen mit aller Energie vorwärts!" Korrigierbarkeit macht bei Ziellosigkeit keinen Sinn. Um sich korrigieren lassen zu können, muss man einen Standpunkt und ein Ziel haben. Beides verlangt nach einem starken Ego!

Man kann "Korrigierbarkeit" auch als "Lernwillen" bezeichnen. Das heisst, lernen bedeutet nicht "in den Kopf eintrichtern". Lernfähige Menschen können das Gelernte auch anwenden! Somit ist die Lernfähigkeit wohl eines der Fundamente des christlichen Glaubens!

Im 2. Brief an Timotheus 1,7 steht: „Denn Gott hat uns nicht einen Geist gegeben, der Verzagtheit wirkt, sondern einen Geist, der uns erfüllt mit Kraft, mit Liebe und mit nüchterner Besonnenheit.“

Verklemmtheit, das Kleben am Buchstaben anstatt an den Inhalten ("Gesetzlichkeit") und Angst, sind nicht Gottes Sache! Denn genau diese Punkte stehen der Lernfähigkeit im Wege. Es braucht Mut, Selbstvertrauen und noch viel mehr das Vertrauen in Gott, um vorwärts gehen zu können, auf dem Weg, den er für und bereit gelegt hat.

Bitte beachten sie auch die Reihenfolge: Ohne Kraft keine Liebe und ohne Kraft und Liebe keine Besonnenheit. Denn Besonnenheit ohne Kraft und Liebe wird oft als Ausrede missbraucht, um keine Entscheidungen fällen zu müssen. Gott hat bedeutend lieber Menschen, die übers Ziel hinausschiessen, als solche die nicht entscheiden können. Das haben wir bereits im letzten Kapitel besprochen.

Sich ausliefern zu können braucht sehr viel eigene Persönlichkeit. Das sehen wir in der Gottesbeziehung und in der Ehe. Vielleicht ist dies auch einer der Hauptgründe, dass Jesus das Verhältnis von der christlichen Gemeinde zum Vater mit einer Ehe vergleicht. Ein Pfarrer, der auch mir schon oft eine sehr grosse Hilfe war, gab einmal einer jungen Frau, die in einen sehr riskanten Missionseinsatz ging, folgenden Satz mit auf den Weg: "Du bist dort am sichersten, wo Gott dich haben will." Was aus dieser Haltung entsteht, das ist wahre Demut. Wir sollen handeln und entscheiden, aber immer im Bewusstsein, dass wir dies in Verantwortung vor dem Schöpfer tun! Wie ein Handelsvertreter, der schon viele Jahre für "seine" Firma arbeitet: Er hat weitreichende Kompetenzen, weiss aber schon intuitiv, was im Sinne der Firma richtig und falsch ist. Er hat alle Sicherheit im Rücken so lange er nicht vom Prinzip der Loyalität abweicht.

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Glaube braucht Wille

Was will ich?

Egoismus haben wir nötig! Selbstbewusstsein entwickelt sich am Ende zu Selbstherrlichkeit. Egoismus entwickelt sich im Ex-trem zu Selbstverliebtheit. Das heisst, Selbstbewusstsein hat etwas mit Stolz zu tun und Egoismus mit Selbstakzeptanz, vielleicht sogar mit Liebe zu der eigenen Persönlichkeit. Dennoch sind diese beiden Dinge im Sprachgebrauch emotional umgekehrt belegt. Ein selbstbewusster Mensch ist sympathisch und ein Egoist nicht. In meinen Texten werde ich diese beiden Begriffe synonym (gleichwertig) verwenden, um die Lesbarkeit nicht zu erschweren.

In Wirklichkeit haben wir aber nur den Egoismus in gesundem Masse nötig, denn stolz zu sein, haben wir als Christen überhaupt keinen Grund. Man kann auf eine Leihgabe nicht stolz sein. Man kann sich aber daran freuen, damit arbeiten, sich damit vergnügen, man kann sich sogar darüber ärgern. Nur hat man keinen Grund darauf stolz zu sein. Andrerseits ist es aber auch ein Affront eine Gabe – ein Geschenk nicht wahrzunehmen oder gar abzulehnen!

Was ist das grösste Geschenk, das wir erhalten haben? – Es ist der freie Wille als Erlöste! Genau an diesem Punkt führt uns ja die Erlösungstat Jesu ein Stück weit zurück ins Paradies! Wir haben Gottes uneingeschränkte und endlose Liebe, solange wir seine Kinder sein möchten, aber wir müssen das nicht sein wollen. - Wir haben die Wahl! Wie Adam und Eva in ihren besten Zeiten, haben wir die volle Freiheit mit einigen kleinen Einschränkungen: Für sie gab es nur ein Gesetz, das Meiden des verbotenen Baumes. So gibt es auch für uns nur ein Gesetz, das Gebot der Liebe. Liebe, vor allem gegenüber Gott, aber auch gegen den Nächsten, - wie auch gegen uns selbst! Allerdings gibt es einen markanten Unterschied: Wir haben mehr als eine Chance.

Um diese Chancen zu nutzen, müssen wir aber einmal einen Entscheid gefällt haben. – Wir müssen die Erlösung annehmen. Wir müssen so stark sein, ein riesiges Geschenk – das Geschenk "Leben" annehmen zu können. Sie werden das ohne „gesundes Selbstbewusstsein“ nicht schaffen. Sie dürfen sich natürlich unwürdig fühlen, sie dürfen sich auch unsicher fühlen, weil sie nicht wissen, was das Annehmen dieses Geschenkes für Konsequenzen hat, aber sie müssen stark genug sein, den Tod ihres dereinstigen Richters anzunehmen, damit sie leben können. Denn die Bibel sagt uns, dass wir ohne dieses Geschenk nicht wirklich leben. Die Schwierigkeit dabei ist das Weitergeben dieser Botschaft: Wie kann man einem Toten erklären, was Leben ist?

So müssen wir ein Geschenk annehmen, von dem wir nicht wissen, was es ist. Es ist einfach eine riesige Wundertüte. Eine Wundertüte, die bestimmt nicht enttäuscht! Die aber durchaus einige Achterbahnfahrten beinhalten kann.

Ein guter Freund von mir, ein Mann mit sehr gesundem Ego, hat ein Gebet gesprochen, als er dieses Geschenk annahm, das etwa so lautete: "Herr ich möchte mein Leben Ihnen ganz übergeben, mach mit mir, was du willst, aber bitte lass es nie langweilig werden, ich möchte etwas erleben!" Er hatte Angst, vor dem Bild mit den Engeln, die auf einer Wolke sitzen und den ganzen Tag Harfe spielen. Gott hat diesen Wunsch sehr ernst genommen! Das Image vom "frommen" Christentum, das nur aus Beten, Arbeit dem verklärten Singen von frommen Liedern besteht, hat er nie kennen gelernt. Dabei ist er nun schon viele Jahre im vollzeitlichen Dienst in christlichen Institutionen. Das Erhören, auch von solchen Gebeten, ist für mich eines der Zeichen, dass Gott uns wirklich mit unserem ganzen Willen haben will – oder gar nicht! - Also: Was wollen wir? Was will ICH?

 
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