Mordsmäßig heiter

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Mordsmäßig heiter
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Gisela Prouza (geb. 1944 in Schlesien) ist in Cuxhaven-Sahlenburg aufgewachsen. Bereits als Kind hatte sie den Traum, später Bücher zu schreiben. In den Jahren 2004 – 2006 absolvierte sie den Fernlehrgang für Belletristik an der „Schule des Schreibens“ in Hamburg. Heute lebt die Autorin mit ihrem Hund Merlin und Katze Minka in der Nähe von Hamburg. Außer Kurzgeschichten schreibt Gisela Prouza Abenteuerbücher für Kinder ab 8 Jahre

Homepage:

www.giselaprouza.info

Bisher erschienen sind:

Lisa und Tim:

„Geheimnisvolle Begegnungen“

„Rettungsaktion mit Hindernissen“

Gisela Prouza

Mordsmäßig heiter

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2015

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Faites vos jeux (mach dein Spiel)

Anruf eines Toten

Ein mörderischer Plan

Die Windsbraut

Leben mit Lola

Der Tag, der alles veränderte

Die Entscheidung

Mutterliebe stirbt nicht

Die Puppe

Der Apfel

Geschichten vom Lande

Miras Vermächtnis an Ben

MERLIN

Nachwort

VORWORT

Dieses Buch entstand, weil …

… ein zehnjähriges Mädchen den Traum hatte, eine berühmte Schriftstellerin zu werden.

… ich fünfzig Jahre später bereit war, meinen Kindheitstraum zum Leben zu erwecken.

Obwohl ich im Herbst 2004 noch voll im Berufsleben stand, kam mir immer öfter der Gedanke: „Was mache ich, wenn meine Rentnerzeit beginnt?“ Immerhin stand ich bereits einige wenige Tage vor meinem 60sten Geburtstag, was diesem Gedanken eine Berechtigung gab. War es Zufall oder Schicksal, dass mir zum gleichen Zeitpunkt eine Annonce für Fernstudien, unter anderem auch Belletristik, in die Hände fiel? Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Doch diese Annonce hatte in mir ein fast vergessenes Gefühl geweckt, wodurch eine Situation aus meiner Kindheit vor meinem geistigen Auge erschien. Ich sah mich plötzlich wieder als Zehnjährige, mit langen, blonden Zöpfen, auf einem Hügel am Waldrand sitzend, und den Entschluss fassen: „Wenn ich groß bin, will ich Bücher schreiben.“

In diesem Moment wusste ich, die Zeit dafür war gekommen. Also doch Schicksal? Wie dem auch sei, es war mir klar, dass ich mich nicht einfach nur hinsetzen müsste und eine höhere Macht würde meine Hand beim Schreiben führen.

Fantasievolle Gedanken hatte ich genug, doch diese Ideen schriftlich umzusetzen, so, dass es für den Leser eine spannende Erzählung wird, war eine andere Sache. Also beschloss ich, ein Fernstudium zu machen. An eine Veröffentlichung hatte ich dabei weiß Gott nicht gedacht. Doch, auch wenn meine Geschichten das private Umfeld nie überschreiten würden, sollten sie gut sein!

Das ich mich, nach Abschluss des Studiums, doch zu einer Veröffentlichung entschlossen hatte, lag ganz allein an meinen Testlesern. Sie haben mich regelrecht bedrängt, weil ihnen die Erzählungen wirklich gut gefielen. Ich danke euch allen, meinen Söhnen Ralf und Ramon (die größten Kritiker), meiner Schwester Edelgard, die liebste Schwester der Welt, meiner besten Freundin Birgit, eine geduldige Zuhörerin, wenn ich ihr mal wieder ein Ohr abgequasselt hatte, und allen Anderen, die mir Mut gemacht haben.

Nun wünsche ich Ihnen Freude beim Lesen. Es erwarten Sie spannende, besinnliche, aber auch lustige Geschichten aus unterschiedlichen Kategorien.

Kurzkrimi
FAITES VOS JEUX (MACH DEIN SPIEL)

Die Silhouette des Mannes verschmolz mit dem Nachtschatten unter den weit ausladenden Zweigen der Edeltannen. Mit brennenden Augen starrte er hinüber zur Villa. In Gedanken verfluchte er die sternklare Nacht mitsamt dem Vollmond; Doch das sollte ihn von seinem Vorhaben nicht abhalten. Mit einem Blick auf die Armbanduhr vergewisserte er sich, dass es noch etwas Zeit war bis zum Eintreffen der Bewohnerin. Es war jetzt kurz nach 23.00 Uhr, und vor Mitternacht kam sie nicht nach Hause. Zum tausendsten Mal überdachte er seinen Plan. Nein, jetzt dürfte nichts mehr schief gehen. Schon seit Wochen hatte er ihre Gewohnheiten ausgekundschaftet. Er war sich auch ganz sicher; Sein Versteck zwischen den Tannen hatte sie nicht bemerkt, sonst hätte sie sicher ihr Verhalten geändert. Doch nichts deutete darauf hin.

„Jetzt bloß nicht nervös werden, ermahnte er sich selber, die Show läuft heute problemlos über die Bühne.“ Mit einem Griff in die Seitentasche der schwarzen Lederjacke holte er eine zerdrückte Packung Zigaretten heraus. Das Aufblitzen eines Feuerzeuges und die rote Glut der Zigarette verrieten einen kurzen Moment seine Anwesenheit, doch er wusste ja, dass zu diesem Zeitpunkt niemand im Haus war.

Seit einer Stunde verharrte er bereits, angelehnt an einen Baumstamm, zwischen den Tannen, und beobachtete die Villa, doch es war alles ruhig, nichts rührte sich. Mit hastigen Zügen sog er an der Zigarette und atmete den Rauch tief ein. Heute Nacht war es endlich so weit. Er wollte es dem Weibsstück heimzahlen. Sie hatte es doch glatt gewagt, ihm, Zocker-Kalle, Hausverbot in ihrem Kasino zu erteilen. Bei dem Gedanken stieg wieder die Zornesröte in sein Gesicht. Das höhnische Gelächter seiner Kumpanen klang noch immer in seinen Ohren. Ihr blödes Gelaber hatte ihn dann aber auf diese geniale Idee gebracht. Mit diesem Schachzug konnte er sich wieder Respekt bei seinen Kumpels verschaffen.

Während seiner Beschattung war ihm aufgefallen, dass sie nur am Freitag zur Bank fuhr und die Einnahmen einzahlte. Also hortete sie die Kohle tagelang hier im Haus. Die Klunker, die sie immer trug, waren auch nicht zu verachten. Davon lag bestimmt noch mehr im Safe herum. Achtlos warf Kalle den Zigarettenstummel auf die Erde. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es bald soweit war. Eng an die mannshohe Hecke gedrängt, schlich er vorsichtig zur Villa hinüber. Sein Ziel war die Terrasse. Als erstes wird sie, wie jeden Abend, die Katze zur Terrassentür raus lassen. Bei dieser Gelegenheit wird es für ihn ein Kinderspiel sein sie zu überrumpeln. Die Angst in ihren Augen zu sehen, bereitete ihm schon jetzt eine höllische Freude. Sein Gesicht verzog sich zu einer grinsenden Grimasse.

Um ihn herum herrschte absolute Ruhe. Doch dann durchdrang das Geräusch eines näher kommenden Autos die Stille. Er hörte, wie der Wagen auf das Haus zufuhr und das leise Summen des elektrischen Garagentores. Eine kribbelnde Unruhe überkam ihn. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Schnell stülpte er eine Strumpfmaske über den Kopf, denn jeden Moment war es soweit.

Nach einer Weile ging im Wohnzimmer das Licht an. Er hörte sie sprechen. Fest umklammerte seine Hand den Pistolengriff.

Die Waffe hatte er sich in einem Spielwarengeschäft besorgt. Den Unterschied, ob echt oder nicht, wird sie nicht bemerken, dafür aber, ohne herumzuzicken ratzefatz den Safe öffnen. Ihre Schritte näherten sich der Tür. Sie war noch immer am Quatschen, er konnte aber nur Satzfetzen verstehen. „… Katze benimmt sich seltsam … nee, nur bei Fremden versteckt sie sich … ja, es ist soweit!“

„Verdammte Scheiße, mit wem quasselte die Alte mitten in der Nacht über ihr blödes Katzenvieh?“ Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Vorsichtig riskierte er einen Blick in den Raum. Sie stand neben dem Tisch und legte gerade das Handy aus der Hand. Wie immer trug sie einen eleganten Hosenanzug und ihre blonden Haare schimmerten seidig unter der gedämpften Beleuchtung. Sie war eine kühle Schönheit; in der Szene unter dem Namen „Schöne Helena“ bekannt. Doch davon ließ er sich nicht beeindrucken. Er sah, mit Gier in den Augen, die mit Brillanten besetzten Ohrringe aufblitzen.

 

Unschlüssig blieb sie im Raum stehen. Es schien, als würde sie auf etwas warten. Kalle fluchte leise vor sich hin. Sein schöner Zeitplan geriet ins Wanken. Hastig zog er sich in den dunkleren Teil zurück. In Gedanken überflog er noch mal die Möglichkeiten, auf einem anderen Weg ins Haus zu gelangen. Nein, die Terrassentür war der sicherste Weg. Endlos lange Minuten verstrichen, ohne dass die Frau Anstalten machte, die Terrassentür zu öffnen. Kalle wollte schon die Aktion abbrechen, weil eine innere Stimme ihm zuflüsterte, dass hier etwas nicht stimmen konnte, da kamen wieder ihre Schritte auf die Tür zu. Jetzt, das warnende Gefühl vergessend, war er mit gespannten Muskeln zum Sprung bereit. Rien ne va plus, die Kugel rollt. Er hörte, wie sich die Verriegelung öffnete. Mit einem blitzschnellen Satz nach vorn drückte er mit der linken Hand die Tür nach innen. Die rechte richtete den Revolver auf die Frau. Erschrocken taumelte Helena ein paar Schritte zurück. Voller Hohn krächzte Kalle: „Na, dann darf ich mal zur Kasse bitten, los mach den Safe …!“ Weiter kam er nicht, das Wort blieb ihm im Hals stecken. Keine Panik, aber ein breites Grinsen in Helenas Gesicht. Ihr Blick fixierte einen Punkt hinter ihm. Gleichzeitig spürte er den kalten Lauf einer Waffe im Nacken. Eine Stimme zischte in sein Ohr: „Na, dann darf ich jetzt mal bitten. Los, die Waffe fallen lassen und die Flossen hoch!“

Kalle lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Eine Hand zog mit einem Ruck seine Maske vom Kopf. Wie ein Tier, das in die Enge getrieben war, spürte er die Gefahr auf sich zukommen. „He, das ist der Typ, den ich aus dem Kasino rausgeschmissen hab’!“, fauchte Helena. Die Stimme hinter ihm gab ein schnodderiges Lachen von sich. „Na, mein Freund, wie du siehst, haben wir schon auf dich gewartet. Damit haste wohl nicht gerechnet!“

„Aber wieso … woher wusstet ihr?“, stammelte Kalle mit kalkweißem Gesicht. Mit einem schnellen Blick zur Seite sah er einen gedrungenen Typen im maßgeschneiderten Anzug neben sich. „Hääh?“ Mit ungutem Gefühl erkannte er Alfonso den Buchmacher, bekannt unter dem Spitzname Al Capone. „Verdammt, die beiden?“ Seine Augen wanderten zwischen Helena und Alfonso hin und her.

„Haste das gehört? Der Blödmann lässt haufenweise seine Kippen unter den Tannen rumliegen und glaubt doch tatsächlich, das bemerkt niemand!“, höhnte Al. Unruhig lief Helena hin und her. „Nun mach schon endlich und lass das Gequatsche mit dem Kerl. Du kennst doch unseren Plan. Wir müssen es jetzt hinter uns bringen!“

„Welchen Plan?“ Kalles Stimme bekam einen schrillen Unterton. Fieberhaft überlegte er, wie er Alfonso überrumpeln könnte, doch die Waffe in seinem Nacken war überzeugend genug den Gedanken sofort wieder zu verwerfen.

„Maul halten, das wirst du schon noch merken … oder auch nicht!“

Wieder ertönte das schnodderige Lachen. „Für deinen Einbruch kassieren wir ein schönes Sümmchen von der Versicherung. Morgen früh wird die Putzfrau den Einbruch bemerken und die Polizei rufen, während wir völlig ahnungslos bei mir zu Hause frühstücken!“

Kalle riss die Augen weit auf. „Aber ich hab’ doch gar nicht …“ Blitzartig erkannte er, dass er aus diesem Schlamassel nicht mehr raus kam. Mit einer verzweifelten Bewegung versuchte er, die Waffe wegzudrücken. Er war sich sicher, dass sich das Blatt im Nahkampf zu seinem Gunsten wenden würde. Doch vergebens. Er spürte einen dumpfen Schlag am Hinterkopf, dann wurde ihm schwarz vor den Augen. Den Aufprall auf den Fußboden nahm er schon nicht mehr wahr.

Helena saß im Wohnzimmer ihres Partners und las mit zufriedener Miene die Schlagzeile im Abendblatt.

„RÄTSELHAFTER MORD IM STADTPARK“

In den frühen Morgenstunden stolperte ein Jogger wortwörtlich über eine Leiche im Park. Erste Ermittlungen ergaben, dass es sich bei dem Toten um einen kleinen Ganoven aus dem Spieler-Milieu handelt. Der Polizei kein Unbekannter und unter dem Spitznamen „Zocker-Kalle“ registriert. Die Spuren am Tatort deuten auf einen Kampf hin. Laut Aussage der Polizei besteht ein Zusammenhang zwischen dem dreisten Einbruch letzte Nacht in dem vornehmen Villenviertel und dem Toten im Stadtpark. In Tatortnähe wurde ein wertvolles Schmuckstück aus dem Einbruch in der Helenen Villa gefunden. Zum jetzigen Stand der Ermittlungen vermutet die Polizei einen Streit zwischen Komplizen. Wer in der letzten Nacht etwas Verdächtiges in der Nähe des Stadtpark beobachtet hat, wende sich bitte an die hiesige Polizeidienststelle.“ „Rien ne va plus, das Haus gewinnt.“ Lächelnd faltete Helena die Zeitung zusammen und reichte sie rüber zu Alfonso.

Kurzkrimi
ANRUF EINES TOTEN

Mit keuchendem Atem kam Karl Lenzen am Bahnhof an. Zu spät … Verärgert sah er den rasch kleiner werdenden Schlusslichtern des Zuges nach Hamburg hinterher. „So ’n Schiet“, fluchte er leise vor sich hin. Automatisch griff er nach der Zigarettenschachtel in der Jackentasche und zündete sich hastig eine Zigarette an. Dann ging er zur Anzeigentafel mit den Fahrplänen. „Scheiße, Scheiße, Scheiße“, stieß er immer lauter werdend, wütend hervor. Der nächste Zug fährt erst in einer Stunde. Jetzt war es 13.10 Uhr. Der Tippzettel für das Pferderennen um 15.00 Uhr brannte ihm unter den Nägeln. Er spürte Angst in sich hochsteigen, es nicht rechtzeitig zu schaffen. „Es muss, es muss, es muss klappen.“, murmelte er immer wieder vor sich hin. Er hatte nur noch den einen Gedanken im Kopf, am Ankunftsbahnhof musste er sofort ein Taxi finden, dann ist er gerade noch rechtzeitig am Rennplatz. Es durfte nicht schief gehen, schließlich wollte er heute mit seinem Insider-Tipp endlich den großen Gewinn absahnen.

Missmutig steuerte er das kleine Bahnhofcafé an. In dem menschenleeren Raum mit seinen schmucklosen Plastikstühlen und Tischen roch es nach Schweiß und kaltem, abgestandenen Rauch. Mit müdem Gesichtsausdruck hing die Bedienung gelangweilt am Tresen. Karl Lenzen setzte sich an einen Tisch und rief der Kellnerin seine Bestellung zu: „Ein Kännchen Kaffee!“

Aus dem Lautsprecher erklang leise Fahrstuhlmusik. Lenzen starrte blicklos vor sich hin und nippte an der Kaffeetasse. Er war sich darüber im klaren, dass ihm das Wasser bis zum Hals stand. Den Gedanken, der Tipp könnte doch nicht das große Geld bringen, verwarf er sofort wieder.

Nach dem Schlaganfall des Vaters hatten sein Bruder Erwin und er das Schmuckgeschäft übernommen. LENZEN & SÖHNE. Die Geschäftsleitung war von Anfang an klar getrennt. Erwin war der geborene Geschäftsmann, und er, Karl, kümmerte sich ausschließlich um die Buchführung. Sein Bruder musste wohl ausgezeichnete Verbindungen haben, denn seit der Übernahme florierte das Geschäft. Das Erwin ihm die Einsicht in seine Geschäftsführung verwehrte, ihn dafür aber die Buchführung nicht interessierte, war Karl nur recht. So war es ihm möglich, als gewiefter Buchhalter der er schließlich war, unbemerkt hin und wieder kleinere Beträge vom Geschäftskonto für seine Wettleidenschaft abzuzweigen. Erwin, der Trottel, hatte volles Vertrauen zu ihm. Und der Alte, na ja, der merkte sowieso nichts mehr. In der letzten Zeit war es aber wie verhext. Keiner seiner Tipps beim Pferderennen brachte einen vernünftigen Gewinn. Den Fehlbetrag auf dem Geschäftskonto konnte er bald nicht mehr vertuschen. Dabei war er immer so nahe dran an dem großen Gewinn. Und dann auch noch die verlustreiche Nacht mit der Pokerrunde. Diese Aasgeier hingen ihm jetzt auch noch im Nacken. Bis morgen Abend hatte er Zeit, den Betrag von fünfzigtausend Euro auf den Tisch zu blättern. Wenn nicht..., der Hinweis auf gebrochene Knochen war deutlich genug.

Mit halbem Ohr hörte er, dass die Musik im Radio unterbrochen wurde. Eine Stimme machte auf eine Sondermeldung aufmerksam. „… Personenzug kurz vor Hamburg entgleist.“ Er zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen. Aufmerksam hörte er jetzt der Nachricht zu. „… einige Waggons in Brand geraten. Die Anzahl der Toten und Verletzten ist noch nicht abzusehen. Die Strecke, ab Harburg bis Hamburg/ Hauptbahnhof, ist vorübergehend gesperrt!“ Karls Gedanken überschlugen sich. „Mein Gott, wenn ich in dem Zug gesessen hätte? Ich könnte jetzt tot sein!“ Er hielt einen Augenblick den Atem an … und grinste. Plötzlich hatte er es sehr, sehr eilig.

„Kommissar Schröder“, Assistent Menke hielt den Telefonhörer hoch und deckte mit der rechten Hand die Hörmuschel ab, „es ist wieder der Erwin Lenzen. Seit dem Zugunglück ruft er stündlich an und erkundigt sich, ob sein Bruder Karl gefunden wurde.“

Schröder nahm den Hörer in Empfang. Selbst nach seinen langen Dienstjahren fiel es ihm immer wieder schwer die richtigen Worte für die Angehörigen eines Verunglückten zu finden. „Herr Lenzen, hier spricht Kommissar Schröder, bedauerlicher Weise kann ich Ihnen noch nichts über ihren Bruder mitteilen! Sind Sie ganz sicher, dass er in dem verunglückten Zug war? … Herr Lenzen, ich verstehe Sie ja, Ihr Bruder steht Ihnen sehr nahe. … Ja, sobald wir etwas wissen, werden wir Sie informieren!“

Mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck legte Kommissar Schröder den Hörer auf die Gabel. Die ständigen Anrufe des Erwin Lenzen kamen ihm, bei allem Verständnis der Situation, doch sehr übertrieben vor. Er gab Assistent Menke den Auftrag, Erkundigungen über die Brüder Lenzen einzuholen. Die Überprüfung ergab jedoch nichts, was auf einen Streit unter den Brüdern, oder eine unkorrekte Geschäftsführung hin deutete.

Mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht legte Karl Lenzen den Hörer auf. Jetzt war er sich sicher, dass sein Name auf der Liste der verunglückten Zuginsassen stehen wird. Nun musste er nur noch eine Kleinigkeit im Büro erledigen, schließlich lag im Safe eine ausreichende Summe an Bargeld für seinen Neuanfang, und ein paar besonders wertvolle Schmuckstücke. Damit würde er sich dann sorgenfrei absetzen.

Gegen 22.00 Uhr machte er sich auf den Weg ins Büro. Er war sich sicher, dass sein Bruder zu dieser Zeit das Geschäft verlassen hatte. Vorsichtig, und darum bemüht nicht gesehen zu werden, schlich er auf der Rückseite durch den Personaleingang in die Geschäftsräume. Der Gedanke, ein toter Mann zu sein amüsierte ihn köstlich, wodurch ein glucksendes Geräusch seiner Kehle entrann. An den Schuldschein aus der Pokerrunde verschwendete er jetzt keinen Gedanken mehr. Sollten sich die Aasgeier das Geld doch von Erwin hohlen.

Alles war dunkel und still im Büro. Er ließ die Jalousie herunter und machte die Schreibtischlampe an. Ein euphorisches Gefühl überkam ihn. In Kürze würde er dieses Leben hinter sich haben. Wie Recht er mit diesem Gedanken doch hatte. Er stand vor dem geöffneten Safe und räumte mit hastigen Bewegungen die Geldscheine in einen Aktenkoffer. „Jetzt noch schnell die wertvollsten Schmuckstücke und dann nichts wie weg hier!“, dachte er, als die vor Wut unterdrückte Stimme seines Bruders hinter ihm zu hören war. Wie ein Peitschenhieb traf ihn das eine Wort: „Karl!“ Ruckartig drehte Karl Lenzen sich um und stieß gleichzeitig „Scheiße“ hervor. Auf dem Gesicht seines Bruders spiegelte sich Wut und Enttäuschung wieder, aber auch eine Entschlossenheit, die Karl bei seinem Bruder noch nie bemerkt hatte. Etwas unsicher grinste er dümmlich. „Sorry, Erwin, ich verschwinde ins Ausland und brauche ein wenig Startkapital. Du kannst mich nicht aufhalten. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass ich offiziell bei dem Zugunglück als Unglücksopfer registriert wurde!“ Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus als wollte er für sein Handeln um Verständnis bitten.

Schlagartig veränderte sich der Gesichtsausdruck seines Bruders zu einer eiskalten Miene. Leicht zusammengekniffene Augen fixierten Karl und hätten ihn warnen müssen.

„Warum bist du hergekommen?“, fragte Karl etwas ungehalten und drehte sich wieder dem Safe zu, um die restlichen Schmuckstücke an sich zu nehmen.

Erwins Stimme drang kalt und emotionslos an sein Ohr. „Ich habe einen Schuldschein mit deiner Unterschrift, den du bis morgen Abend einlösen musst! Ich wusste, dass du hier erscheinen würdest.“

Karl spürte die unmittelbare Nähe seines Bruders hinter ihm. Der heiße Atem streifte seinen Nacken. Einen kurzen Moment beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Er war jedoch so sehr damit beschäftigt, die besten Schmuckstücke auszuwählen, dass er nicht bemerkte, wie Erwin den schweren Aschenbecher vom Schreibtisch aufnahm. Ohne zögern, krachte er mit voller Wucht auf Karls Hinterkopf. Im Fallen stieß er mit dem Kopf gegen die Schreibtischkante. Es gab ein kurzes knackendes Geräusch, als sein Genick brach. Teilnahmslos sprach Erwin Lenzen weiter: „Deine frisierte Buchführung habe ich noch toleriert, du kleiner Schreibtischganove, doch jetzt bist du zu weit gegangen. Niemand, auch du nicht, beklaut uns … die Firma …!“ Er drehte sich, ohne noch einen Blick an seinen Bruder zu verschwenden, um, und verließ das Büro. Kurz darauf betraten zwei muskelbepackte Rausschmeißer den Raum und verfrachteten den Toten in einen Lieferwagen der vor dem Hintereingang parkte. Doch das alles interessierte Karl Lenzen nicht mehr. Er hatte dieses Leben, wie ja schon angekündigt, hinter sich gelassen

 

Am Morgen erhielt Erwin Lenzen den ersehnten Anruf von Kommissar Schröder: „Herr Lenzen, ich muss ihnen die traurige Mitteilung machen, dass wir ihren Bruder gefunden haben. Beim Aufprall des Zuges wurde er aus dem Waggon geschleudert. Er erlitt dabei einen Genickbruch.“

Erwin Lenzen nahm seine Jacke vom Garderobenhaken, verschloss sorgfältig sein Geschäft, und hängte ein Schild an die Tür. „Wegen Trauerfall heute geschlossen.“

Dann machte er sich auf den Weg ins Leichenschauhaus, um seinen Bruder zu identifizieren.

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