Kleben (E-Book)

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Aus der Reihe: Phänomen #1
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Kleben (E-Book)
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Prof. Dr. Gisela Lück, Universität Bielefeld, Forschung zur

frühkindlichen naturwissenschaftlichen Bildung

Gisela Lück

Kleben

Phänomene

ISBN Print: 978-3-0355-1412-4

ISBN E-Book: 978-3-0355-1413-1

1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

VORWORT

Unser Alltag wird oft von Phänomenen bestimmt, deren wissenschaftliche Hintergründe wir uns nicht erklären können. Sie bleiben uns auch dann noch ein Rätsel, wenn wir uns in der Schulzeit oder der Ausbildung theoretisch intensiv mit den Grundlagen auseinandergesetzt haben.

Kleben ist ein solches Phänomen, das uns ständig begleitet, oft unvermutet und unsichtbar: im Auto, im Flugzeug, im Supermarkt; ja selbst der Stuhl, auf dem Sie gerade sitzen, die Brille auf Ihrer Nase und Ihre Schuhe – sie alle sind höchstwahrscheinlich geklebt.

Kleben soll möglichst zuverlässig und schnell und ohne viel Aufwand funktionieren. Was dahintersteckt, wäre zwar eigentlich interessant – aber jetzt noch einmal mit den theoretischen Hintergründen anfangen … ?

Mit unserer Reihe «Phänomene» gehen wir erstaunlichen und dennoch gängigen Alltagserscheinungen mit einfachen Erklärungen auf den Grund. Wir beleuchten Phänomene aus unterschiedlichen Perspektiven – und vor allem knapp, verständlich und gut lesbar.

Die Theorie ist auf ein Mindestmaß begrenzt und bildet den ersten Teil jedes Bandes. Im zweiten Teil sind praktische, einfache Aktivitäten beschrieben, für die Schule, Kita oder die (Kinder-)Geburtstagsfeier. Dieser Zugang hilft uns, die Phänomene zu begreifen.

Danach sind Phänomene des Alltags Erscheinungen, die uns die Gelegenheit bieten, Zusammenhänge zu verstehen, genauer zu beobachten und neue Erfahrungen auf andere Phänomene zu übertragen.

Viel Freude beim Entdecken und Begreifen,

Beate Blaseio, Gisela Lück

INHALTSVERZEICHNIS

Phänomenal! Wissenswertes übers Kleben

DAS PHÄNOMEN VERSTEHEN

1 Birkenpech, Baumharz, Knochenleim – die Klebstoffe unserer Vorfahren

2 Warum klebt ein nasses Blatt Papier? – Adhäsion und Kohäsion als entscheidende Kräfte

3 Auch die Natur verwendet Klebstoffe – seit sehr viel längerer Zeit als die Menschheit

4 Die Vielfalt der Klebstoffsysteme

5 Ein paar Klebetipps – naturwissenschaftlich begründet

6 Kleben oder schrauben? – Welche Vorund Nachteile hat die Fügetechnik Kleben?

7 Belastungsproben für Klebstoffe – die Prüfung der Klebefestigkeit

DAS PHÄNOMEN ERLEBEN

Didaktische Einführung: Klebeexperimente

EXPERIMENT 1

Wasser klebt – zumindest für eine kurze Zeit

EXPERIMENT 2

Die haftende Frischhaltefolie – ganz ohne Kleber

EXPERIMENT 3

Klebeexperimente mit Glas

EXPERIMENT 4

Eis: Ein sehr stabiler Klebstoff, solange es kalt ist!

EXPERIMENT 5

Feuchte Sandburgen halten länger

EXPERIMENT 6

Kasein-Kleber selbst hergestellt

EXPERIMENT 7

Steinaxt mit Teer verkleben: Birkenpech-Herstellung

EXPERIMENT 8

Stärkekleber selbst hergestellt

EXPERIMENT 9

Baumharz als natürlicher Klebstoff

EXPERIMENT 10

Der Bienenwachs-Kleber unserer Vorfahren

EXPERIMENT 11

Härtung von Baumharz zu einem Dauerklebstoff

Literatur

Zum Weiterlesen

Bildnachweis

PHÄNOMENAL! WISSENSWERTES ÜBERS KLEBEN

Nicht nur Zähne und Knochen, auch große Haut-verletzungen werden geklebt.

Wasserfest und winddicht sind Outdoor-Textilien nur dank verklebten Nähten – und auch so niande Dessous kommen auf diese Weise chne störende klassische Nähte aus.

Schon vor 180 000 Jahren gewannen die Menschen Klebstoffe aus der Natur, um Steinwerkzeuge herzustellen.

Flugzeuge sind schon seit Langem zum großen Teil geklebt. Das gilt nicht nur für Sitze und Verkleidungen im Innrabereich, sondern ganz besonders auch für hochsensible Teile wie die Triebwerke, die ständig hohen Temperaturunterschieden ausgesetzt sind. Der Grund: Klebstoffe sind leichter als Metallver-schraubungen und schädigen die zu verbindenden Metallteile weniger.

Es gibt Weiterbildungsberufe zum Klebepraktiker zur Klebefachkraft und zur Klebefachingenieurin. Das dreistufige Weiterbildungskonzept ist in (den Richtlinien des Deutschen Verbands für Schweißen und verwandte Verfahren e. V. festgelegt und gilt somit auch für Europa – es hat halt alles seine Ordnung!

Die höchsten je ausbezahl ten Erfindertantiemen erhält Art Fry, der die Post-it-Haftnotizen entwickelte. Noch heute verdient er an jedem verkauften Zettel.

Mit einem neu entwickelte Klebstoff können kleinste Nierensteine (kleiner als 2 Millimeter) entfernt werden. Solche kleinen Steinchen können beim Lasern entstehen und sind mit normalen Instrumenten meistens nicht mehr greifbar.

Ein spezieller Klebstoff zwischen Mauerwerk und Tapete kann im Falle eines Erdbebens den Einsturz des Hauses verzögern oder sogar verhindern.

Den stärksten Klebstoff produziert ein Bakterium vom Typ caulobacter – crescentus. Ein Gramm dieser Verbindung kann einen zehn Tonnen schweren LKW eine Stunde lang über dem Boden schweben lassen! Die Bakterien nutzen diese Klebefähigkeit, um sich in Gewässern mit hoher Fließgeschwindigkeit am Gestein festzuhalten.

Die Wikinger waren vermutlich nur deshalb so erfolgreiche Seefahrer, weil sie 800 n. Chr. Teer in großen Mengen produzierten, mit dem sie ihre Schiffe abdichteten.

DAS PHÄNOMEN VERSTEHEN

1

Birkenpech, Baumharz, Knochenleim – die Klebstoffe unserer Vorfahren

Vieles deutet darauf hin, dass schon die Neandertaler Klebstoff gewonnen und verwendet haben: aus Birkenrinde, die sie im Feuer, luftdicht zusammengepackt, erhitzten, sodass dabei geringe Mengen einer teerartigen, klebrigen Substanz entstanden – Birkenpech. Was vielleicht einmal als zufällige Entdeckung bei den Überresten eines Lagerfeuers begann, wurde nun systematisch eingesetzt.

 

Birkenpech gilt als ältester von Menschen hergestellter Klebstoff und wurde schon vor 200 000 Jahren genutzt, um zum Beispiel Steinklingen an Schäften zu befestigen. Der älteste Fund liegt bei Campitello in der Toscana, zwei weitere stammen aus Inden-Altdorf (Nordrhein-Westfalen) und aus Königsaue (Sachsen-Anhalt) und sind etwa 120 000 bzw. 80 000 Jahre alt (Kozowyk et al. 2017) Auch Ötzi benutzte vor 5000 Jahren Birkenpech, um seine Pfeile herzustellen.

Neben Birkenpech wurde vor 80 000 Jahren auch Baumharz eingesetzt, wie es direkt aus Baumrinde gewonnen werden kann. Später kamen Tierblut und Eiweiß hinzu, die als Bindemittel für den Untergrund von Höhlenmalereien verwendet wurden.

Etwas größer wurde die Auswahl der Klebematerialien ab etwa 3000 v. Chr. bei den Sumerern, den alten Ägyptern, Griechen und Römern.

Die Sumerer werden als die ältesten Klebstoffhersteller angesehen. Sie stellten eine Art Leim her, indem sie Tierhäute auskochten. Diesen Leim benutzten sie für den Haus- und Tempelbau, aber auch zur Herstellung fester Straßenbeläge.

In Ägypten wurden Bienenwachs und Steinmehl gemischt, und der so erhaltene Klebstoff war stabil genug, um sogar Metallklingen mit Stielen aus Holz zu verbinden. Aus Sehnen und Knorpeln von Schlachtabfällen wurden Leime hergestellt, die für Holzfurniere verwendet wurden – manche von ihnen so haltbar, dass sie sogar im Grab von Tutanchamun nach Tausenden von Jahren intakt waren. Die Griechen übernahmen die Leimherstellung der Ägypter, und es ist überliefert, dass das Leimsieden bei ihnen ein eigenständiger Beruf war. Die Römer verwendeten Klebstoffe auf der Basis von Mehlkleister oder Brot, aber auch Mischungen aus Käse und Kalk.

Im Mittelalter kamen kaum neue Klebetechniken hinzu; erst mit der Erfindung des Buchdrucks im Spätmittelalter wurden für das Buchbindergewerbe spezielle Buchleime erforderlich, die zum einen das Papier nicht angriffen und dennoch genügend Festigkeit und Klebkraft aufwiesen, um die einzelnen Blätter fest zu binden. Auch der um 1500 aus Mittelamerika von den Spaniern nach Europa gebrachte Kautschuk wurde als Ausgangsmaterial für neue Klebetechniken genutzt.


Einige dieser früher weit verbreiteten Klebstoffe mit enormer Klebeeigenschaft können Sie auch heutzutage selbst herstellen. Die Anleitungen dazu finden Sie im Experimentierteil.

Mit der Entwicklung der organischen und später der makromolekularen Chemie wurden Naturklebstoffe fast völlig verdrängt, es ging Schlag auf Schlag weiter mit neuen Innovationen. 1940 – Patent für Methacrylat-Klebstoffe (Alleskönner, kleben auch Metalle), 1958 – erste Cyanacrylat-Klebstoffe (z. B. Sekundenkleber), 1967 – temperaturfeste Polyimid-Klebstoffe, 1980 – reaktive Schmelzklebstoffe, 2000 – Entwicklung reversibler Klebstoffsysteme.

… und dank dem enormen Fortschritt in der Analysetechnik schaut man sich heute die Klebetechniken in der Natur ganz genau an und versucht, daraus mittels der sogenannten Bionik für die Technik zu lernen; so etwa bei der Frage, wie es einer Seepocke gelingt, trotz heftigen Turbulenzen im Wasser an einer Muschel haften zu bleiben.