Römisches Theater

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Römisches Theater
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Gesine Manuwald

Römisches Theater

Von den Anfängen bis zur frühen Kaiserzeit

A. Francke Verlag Tübingen

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© 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.francke.de • info@francke.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-8463-4581-8

Inhalt

  Vorwort

  1. Einleitung

 2. Frühe römische Dramendichtung im Kontext2.1. Kulturelle Entwicklungen2.2. Das griechische Theater und Rom2.3. Italische Traditionen2.4. ‚Literarisches‘ Drama in Rom

 3. Theaterwesen3.1. Spiele und Aufführungsgelegenheiten3.2. Organisation3.3. Theaterbauten3.4. Bühnenpraxis, Kostüme, Masken3.5. Status der Dichter3.6. ‚Impresarios‘, Schauspieler, Musiker3.7. Publikum3.8. Wiederaufführungen, Lektüre, Rezitationen, Diskussion

  4. Dramatische Gattungen 4.1. Fabula Crepidata / Tragoedia 4.2. Fabula Praetexta(ta) 4.3. Fabula Palliata / Comoedia 4.4. Fabula Togata / Tabernaria 4.5. Fabula Atellana 4.6. Mimus / Planipes 4.7. Pantomimus

  5. Dramendichter 5.1. L. Livius Andronicus 5.2. Cn. Naevius 5.3. Q. Ennius 5.4. M. Pacuvius 5.5. L. Accius 5.6. L. Annaeus Seneca 5.7. T. Maccius Plautus 5.8. Caecilius Statius 5.9. Luscius Lanuvinus 5.10. P. Terentius Afer 5.11. Turpilius 5.12. Titinius 5.13. L. Afranius 5.14. T. Quinctius Atta 5.15. L. Pomponius 5.16. Novius 5.17. D. Laberius 5.18. Publilius Syrus 5.19. Weitere (weniger prominente) Dichter

 6. Literarische Aspekte6.1. Überlieferung6.2. ‚Übersetzung‘ und griechische Vorbilder6.3. Literarische Interaktion im dramatischen Genre6.4. Themen und ihre zeitgenössische Relevanz6.5. Aufführung und Metadrama6.6. Struktur der Dramen6.7. Sprache, Stil, Metrum, Musik

  7. Rezeption

  8. Römisches Drama – Eine literarische Gattung im Kulturtransfer

  Appendix 1 Römische Dramatiker und ihre Dramen

  Appendix 2 Chronologische Übersicht

 Bibliographie1. Ausgaben, Übersetzungen, Kommentare (mit Angabe der Abkürzungen)2. Sekundärliteratur

  Stellenverzeichnis

  Abbildungsnachweis

Vorwort

Diese Einführung zum römischen Theater zur Zeit der Republik und in der frühen Kaiserzeit möchte Lesern, die am römischen Theaterwesen interessiert sind, einen Überblick über diesen Bereich der römischen Kultur vermitteln und einen Zugang zu den weithin nur fragmentarisch erhaltenen Textzeugnissen erleichtern. Damit liegt nun eine kompakte moderne Darstellung in deutscher Sprache vor. Die Ausführungen entsprechen teilweise denen, die in meinem Buch Roman Republican Theatre (2011) publiziert sind, und überschneiden sich mit der Zusammenstellung aufschlussreicher römischer Textbelege in Roman Drama: A Reader (2010). Für diese Einführung wurden die in den genannten Büchern vorgestellten Überlegungen und Textbeispiele überarbeitet, neu angeordnet, ergänzt, auf den aktuellen Forschungsstand gebracht und um die Entwicklungen in der Kaiserzeit und (selektiv) in der Rezeptionsgeschichte erweitert. Da in diesen Einführungswerken vom Narr-Francke-Attempto-Verlag/UTB keine intensive Auseinandersetzung mit den jeweiligen wissenschaftlichen Diskussionen vorgesehen ist, sei dafür auf die kommentierte Bibliographie am Ende dieses Buchs und (für die republikanische Zeit) auf die Nachweise in Roman Republican Theatre verwiesen.

Zu großem Dank verpflichtet fühle ich mich Tilmann Bub vom Narr-Francke-Attempto-Verlag, der die Anregung zu diesem Buch gegeben und sein Entstehen durchgängig mit weiterführenden Hinweisen begleitet hat, sowie allen Helfern, die die Mühe des Korrekturlesens auf sich genommen haben, vor allem Julia Buchholz. Zu danken ist ferner allen Institutionen, die eine Erlaubnis zur Reproduktion für die Abbildungen gewährt haben.

London, Sommer 2016 G. M.

1. Einleitung

Das römische Drama ist eine der ersten literarischen Gattungen, die sich in Rom etablierten, als sich in republikanischer Zeit eine römische Literatur zu entwickeln begann. Dieses Genre erhielt wesentliche Impulse durch die Kontakte Roms mit anderen Kulturen während seines Aufstiegs zur bedeutendsten Macht im Mittelmeerraum. Daher ist die Geschichte des frühen römischen Dramas nicht nur von literarischem Interesse, sondern auch von politischer, sozialer und kultureller Relevanz: So bedingte etwa die Einführung dramatischer Aufführungen Änderungen im Format der öffentlichen Spiele. Im Laufe der Zeit kam es zu einer Aufgliederung der Gattung des römischen Dramas in eine Reihe von untereinander verschiedenen dramatischen Formen, wobei die römischen Dichter auch ihrem persönlichen Stil oder den Erfordernissen historischer Umstände entsprechend Stücke in unterschiedlicher Weise präsentierten. Von der späten Republik an ist zu beobachten, dass antike Wissenschaftler chronologische und terminologische Fragen in Bezug auf Dramen als Themen von eigenständigem Interesse diskutierten. Im Übergang von der Republik zur Kaiserzeit veränderten sich die Bedingungen für Aufführungen im Theater, und die Dramatiker passten sich dem Publikumsgeschmack und der gewandelten politischen Situation an. Deswegen besteht die literarische Gattung des Dramas in der Kaiserzeit zunächst fort, hat aber nicht mehr dieselbe Relevanz für das öffentliche Leben. Die Betrachtung der damals entstandenen Dramen ermöglicht zugleich einen Einblick in die literarischen und historischen Bedingungen der frühen Kaiserzeit. Für die spätere Kaiserzeit kann man von einem römischen Drama im eigentlichen Sinne nicht mehr sprechen, weswegen der vorliegende Überblick über das römische Drama die Republik und die frühe Kaiserzeit behandelt.

Trotz der Bedeutung dieses literarischen Genres haben die Gattung bzw. die verschiedenen einzelnen Formen des römischen Dramas bei Lesern und Forschern nicht immer dasselbe Interesse gefunden wie andere Gattungen der römischen Literatur. Das hängt nicht zuletzt mit der Überlieferungssituation zusammen. Denn ein großer Teil der römischen dramatischen Literatur ist nicht erhalten. Namen von Dramen-Dichtern, Titel von Dramen, Testimonia (Zeugnisse zu den Dichtern und ihren Stücken) und Fragmente einer begrenzten Zahl von Dramen ist alles, was für einige Zeitabschnitte und/oder einzelne dramatische Gattungen vorhanden ist. Die einzigen vollständig erhaltenen Dramen der klassischen römischen Periode sind die Komödien von Plautus und Terenz aus der republikanischen Zeit und die Tragödien des jüngeren Seneca (darunter wahrscheinlich eine unechte) und die anonyme Praetexta Octavia (überliefert im Corpus der Dramen Senecas) aus der frühen Kaiserzeit.

 

In diesem Buch wird der Versuch gemacht, als Ergänzung zu ausführlicheren und/oder auf einzelne dramatische Gattungen oder Epochen beschränkten Überblicken, eine Einführung zum römischen Drama in seiner Gesamtheit zu geben, wobei sowohl die Republik als auch die frühe Kaiserzeit und sowohl die vollständig erhaltenen als auch die fragmentarischen Stücke berücksichtigt werden (mit einem Schwerpunkt auf der Situation in Rom). Dabei sind aufgrund der sachlichen Gegebenheiten (z.B. Überlieferungssituation, Aufführungsmodalitäten) manche Aspekte mehr für die Republik und andere mehr für die frühe Kaiserzeit relevant sowie manche mehr für vollständig erhaltene und manche mehr für fragmentarisch erhaltene Stücke von Bedeutung, sodass der Fokus nicht in allen Abschnitten derselbe sein kann. Um die Entwicklung der Gattung des römischen Dramas als Ganzes bzw. die der einzelnen dramatischen Gattungen in ihrer jeweiligen Eigenart herausarbeiten zu können, werden die Dramatiker und ihre Stücke in den historischen, kulturellen und praktischen Kontext eingeordnet und Dramenaufführungen als Teil der römischen Festkultur interpretiert, was im eigentlichen Sinn nur für die republikanische Zeit gelten kann. Dabei ist es unvermeidlich, dass einige zentrale Fakten in mehreren Kapiteln erwähnt werden.

Um die Entwicklung und Eigenarten des römischen Dramas möglichst ganzheitlich zu erfassen, wird auch den fragmentarisch erhaltenen dramatischen Gattungen gebührende Aufmerksamkeit gewidmet, werden sie mit denen, für die Dramen vollständig erhalten sind, in Beziehung gesetzt und beide in demselben Kontext betrachtet. Es darf daher nicht erstaunen, wenn die dramatischen Gattungen und Dichter in den entsprechenden Kapiteln in chronologischer Folge abgehandelt und den besser bekannten nicht notwendigerweise mehr Platz zugestanden wird, zumal etwa für Plautus, Terenz und Seneca zahlreiche spezielle Abhandlungen zur Verfügung stehen.

Da das Buch als Einführung gedacht ist, sind detailliertere Diskussionen sprachlicher Entwicklungen oder metrischer Details eher knapp gehalten, und es gibt keine Fußnoten oder eine explizite Auseinandersetzung mit Sekundärliteratur. Die kommentierte Bibliographie am Ende des Buchs (mit einem Schwerpunkt auf einführenden und überblickshaften Beiträgen auf Deutsch oder Englisch) enthält Hinweise auf einschlägige Literatur und vermittelt Anregungen für weitere Lektüre.

Um einen direkten Eindruck von den Werken der römischen Dramatiker und der antiken Diskussion über Fragen des Theaters zu ermöglichen, sind in größerem Umfang durchgängig ausgewählte wörtliche Zitate aufgenommen, die Charakteristika der einzelnen Dramatiker oder des Theaterwesens erkennen lassen (im Stellenverzeichnis am Ende aufgelistet). Für diese Zitate ist neben den Originaltext eine deutsche Übersetzung gestellt, die hauptsächlich als Verständnishilfe gedacht ist und daher versucht, relativ nahe am Originaltext zu bleiben; knappe Erläuterungen und/oder verständnisfördernde Zusätze sind in eckigen Klammern eingefügt. Die Zitate (mit T und fortlaufender Nummerierung gekennzeichnet) sind in grau unterlegten Kästen vom Haupttext abgesetzt, der auch als solcher ohne intensiveres Studium der Textbeispiele gelesen werden kann. Zur besseren Übersichtlichkeit des Haupttexts sind die Themen der einzelnen Abschnitte im Fettdruck hervorgehoben.

Angesichts der Tatsache, dass Nachrichten über das Theaterwesen der Römer verstreut und die fragmentierten Dramentexte nur in begrenzter Zahl und aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen erhalten, manchmal nicht eindeutig zu verstehen und möglicherweise unzuverlässig sind, ist eine Überblicksdarstellung des römischen Dramas in besonderer Weise mit dem Problem der Quellen konfrontiert. Sofern man diese jedoch mit der gebotenen Vorsicht überprüft, interpretiert und für das Gesamtergebnis auswertet, kann es vielleicht gelingen, immer mehr über die Geschichte der römischen Dramas zu ermitteln, auch wenn man akzeptieren muss, dass es Bereiche gibt, in denen sich wegen des zur Verfügung stehenden Materials keine sicheren Antworten finden lassen.

Was die Terminologie angeht, so werden die frühen Dichter und die frühe Periode des römischen Dramas als ‚republikanisch‘ und nicht als ‚archaisch‘ bezeichnet: ‚Republikanisch‘ kann eher als eine neutrale chronologische Bezeichnung verstanden werden, während ‚archaisch‘ eine Bewertung aus späterer Sicht impliziert. Entsprechend werden Autoren, die sich nach der republikanischen Zeit über diese äußern, als ‚später‘ bezeichnet (sofern keine genauere Datierung notwendig ist). Außerdem werden die Begriffe ‚Nation‘ und ‚national‘ wegen ihrer anachronistischen Implikationen so weit wie möglich vermieden; wenn sie in Ermangelung einer besseren Bezeichnung verwendet werden, soll das nicht eine ‚nationalistische‘ Perspektive implizieren und eine Vereinfachung der komplexen Situation in Rom bedeuten, sondern auf eine sich entwickelnde Literatur verweisen, die in der eigenen Sprache der Römer geschrieben ist und sich mit Themen befasst, die für Rom wichtig sind.

Zur Unterscheidung der zwei Haupttypen dramatischer Dichtung sind die Bezeichnungen ‚ernstes Drama‘ und ‚leichtes Drama‘ verwendet, die jeweils verschiedene Formen von erhabenen, möglicherweise tragischen bzw. unterhaltsamen, mehr bodenständigen Stücken umfassen. Diese Beschreibungen anstelle von ‚tragischem Drama/Tragödie‘ und ‚komischem Drama/Komödie‘ sind gewählt als möglichst umfassende Bezeichnungen, die Assoziationen mit bestimmten dramatischen Gattungen oder speziellen Charakteristika minimieren.

Die vorliegende Einführung beruht in vielen Fragen, etwa der Textgestaltung oder der organisatorischen Aspekte des Theaterwesens, auf Ergebnissen früherer wissenschaftlicher Forschung (▶ Auswahl in Bibliographie), auch wenn das nicht im Einzelfall dokumentiert ist. Für die Textzitate in diesem Buch seien nur einige Angaben zu den Quellen gemacht.

Die Texte der fragmentarisch überlieferten Dramatiker sind zusammengestellt in den Ausgaben von O. Ribbeck aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Seine Sammlungen der tragischen und der komischen Fragmente (2. Aufl., 1871/1873; 3. Aufl., 1897/1898) sind weiterhin die einzigen kritischen Editionen, die alle Dichter und dramatischen Gattungen beinhalten. Ribbeck gibt außerdem wichtige Hinweise auf sein Verständnis der Stücke in den Einführungen zur zweiten Auflage seiner Ausgaben und in seinem Buch Die römische Tragödie im Zeitalter der Republik (1875). Die Fragmente der bedeutenderen republikanischen Dramatiker sind vielleicht leichter zugänglich in E.H. Warmingtons zweisprachiger Ausgabe als Teil der Remains of Old Latin der Loeb Classical Library (1930er Jahre), da dieses vierbändige Werk (jetzt auch digital zugänglich) englische Übersetzungen, kurze Einführungen zu den einzelnen Autoren und Dramen sowie Hinweise auf den Kontext jedes Fragments (in der Sicht des Herausgebers) enthält. Die Reihe der Remains of Old Latin wird gegenwärtig überarbeitet unter dem neuen Titel Fragmentary Republican Latin. Die kritische Ausgabe von O. Ribbeck wird für die Tragödien nach und nach ersetzt durch die vierbändige Edition Tragicorum Romanorum Fragmenta (TrRF), wovon die ersten beiden Bände (Livius Andronicus, Naevius, Tragici minores, Fragmenta adespota; Ennius) bereits erschienen sind (2012).

Bei den Textzitaten von Fragmenten in diesem Buch ist die benutzte Ausgabe durch die Initiale der Herausgeber nach der jeweils übernommenen Zählung identifiziert (Angaben in der Bibliographie). Zitate aus den vollständig erhaltenen Dramen von Plautus, Terenz und Seneca, für die jeweils eine Reihe von Editionen, Kommentaren und Übersetzungen in moderne Sprachen vorliegt, folgen den gängigen Ausgaben.

Die Abkürzungen für die Namen antiker Autoren und die Titel ihrer Werke orientieren sich an den Konventionen in Der Neue Pauly. Die für die Namen der Dramatiker und die Titel der vollständig erhaltenen Dramen verwendeten Abkürzungen sind in Appendix 1 aufgeführt.

2. Frühe römische Dramendichtung im Kontext
2.1. Kulturelle Entwicklungen

Nach römischer Tradition soll die Stadt Rom 753 v. Chr. gegründet worden sein. Als das literarische Drama in Rom in der Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. aufkam, waren die Römer jedenfalls bereits über mehrere Jahrhunderte in Kontakt mit anderen Völkern in Italien und anderswo im Mittelmeerraum und hatten deren jeweilige politische Organisationsform, Lebensweise und Kultur kennengelernt. Diese Situation führte zu einem regen Austausch, wie sich an Handelsbeziehungen und der Übernahme von Bräuchen und Kulturgut durch die Römer zeigt. Zu den Völkern, mit denen die Römer direkten Kontakt hatten, gehören Griechen, Karthager, Etrusker und Osker.

Abb. 1

apulische Vase

Rotfiguriger Volutenkrater, dem Darius-Maler zugeschrieben, aus Apulien, ca. 340–320 v. Chr. (London, British Museum, Inv.-Nr. 1856,1226.1)

Auf der abgebildeten Seite der Vase ist im oberen Register eine Götterversammlung dargestellt (mit Pan, Apollo, Athene, Aphrodite, Poseidon). Im unteren Register erschrecken eine Furie und ein Stier den von seinem Vater Theseus verfluchten Hippolytus auf dem Wagen; ein alter Diener eilt verstört hinterher. Die Abbildung dieser Szene lässt darauf schließen, dass griechische Mythen bereits vor Abfassung der ersten lateinischen literarischen Dramen in Italien bekannt waren (sie basiert vielleicht auf Euripides’ Hippolytus).

Griechen waren seit der Kolonisation der Küstengebiete im Süden des Festlands und der benachbarten Inseln (Magna Graecia) im achten bis sechsten Jahrhundert v. Chr. in Italien präsent. Importierte griechische Vasen vom sechsten Jahrhundert v. Chr. an sowie in Italien hergestellte (bes. in Apulien, Lukanien, Kampanien), vor allem seit Anfang des vierten Jahrhunderts v. Chr., zeigen aus dem griechischen Mythos bekannte griechische Helden und Heldinnen. Nachdem unter Führung Athens 444/443 v. Chr. die Kolonie Thurioi am Golf von Tarent von Griechen neu besiedelt worden war (und Tarent 433/432 v. Chr. die griechische Stadt Herakleia in Lukanien als Kolonie neu etabliert hatte), wurden die kulturellen Beziehungen zwischen Griechenland und dem italischen Festland enger. Bis zum Ende der Kriege gegen Pyrrhus (Schlacht bei Beneventum 275 v. Chr.) gelangten die meisten Städte in Magna Graecia unter römische Kontrolle. Auch der Erste Punische Krieg (264–241 v. Chr.), von dem ein großer Teil in Sizilien ausgetragen wurde, hatte den Nebeneffekt, dass viele Römer griechische Kultur näher kennenlernten.

Seit dem späten dritten Jahrhundert v. Chr. intensivierten sich die Verbindungen zwischen Griechen und Römern und veränderten sich zugleich. Das hing damit zusammen, dass sich nach den Eroberungszügen Alexanders des Großen die ‚Hellenistische Welt‘ herausbildete, in der die griechische Kultur weniger ‚griechisch‘ wurde und sich weit über Griechenland hinaus ausdehnte, sowie mit den damaligen politischen Entwicklungen, vor allem Roms Eroberung vieler Gebiete des Mittelmeerraums. In dieser Anfangsphase der verstärkten Kontakte mit Griechenland scheinen Bestandteile der griechischen Kultur in Rom übernommen worden zu sein, vermutlich vor allem weil Rom durch diese Übernahme von Kennzeichen der als höher angesehenen Zivilisation seine Position im Mittelmeerraum zu sichern bemüht war.

Die Beziehungen zwischen Griechen und Römern lassen sich am ehesten als ein dynamischer Prozess in einer Kontaktzone beschreiben. Dass die Wirkungen in der römischen Kultur deutlicher wahrzunehmen sind, ist wahrscheinlich die Folge davon, dass in kultureller Hinsicht die Römer sich gegenüber den ‚etablierten‘ Städten in Griechenland in der Position der Nehmenden befanden, verbunden mit einer erstaunlichen Offenheit und Flexibilität der Römer gegenüber Einrichtungen anderer Völker (Pol. 6,25,11; vgl. auch Cic. Tusc. 1,1–6; 4,1–7; Sall. Catil. 51,37–38). Die Römer waren daher das erste Volk in Europa, das seine eigene Kultur auf der Basis einer anderen vollentwickelten europäischen Kultur formte.

 

Das Ende des Dritten Makedonischen Kriegs (171–168 v. Chr.) brachte in einer neuen Welle griechische Kunst- und Literaturwerke sowie viele gebildete Griechen nach Rom, die Zugang zu politisch und intellektuell führenden Kreisen bekamen. Von nachhaltiger Wirkung waren die Vorträge des pergamenischen Grammatikers und (stoischen) Philosophen Krates von Mallos, als er als Gesandter des Königs Attalos II. 168/167 v. Chr. in Rom war. Er war einer der Lehrer des stoischen Philosophen Panaitios von Rhodos (ca. 185–109 v. Chr.), der lange Zeit in Rom lebte und mit P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (ca. 185–129 v. Chr.) und dessen Freunden Kontakt hatte. Ähnliches gilt für den griechischen Historiker Polybios (ca. 200–120 v. Chr.), der als eine von 1000 griechischen Geiseln nach dem Dritten Makedonischen Krieg nach Rom kam und ebenfalls mit Scipio Africanus in freundschaftlichem Verhältnis stand. Ein weiteres entscheidendes Ereignis für den griechisch-römischen Kulturaustausch war 155 v. Chr. eine athenische ‚Gesandtschaft‘ von drei Philosophen nach Rom, die aus dem Akademiker Karneades, dem Stoiker Diogenes von Babylon und dem Peripatetiker Kritolaos bestand.

Diese kulturellen Transfers führten dazu, dass Rom als neues intellektuelles Zentrum des Mittelmeerraums in Erscheinung trat, zusätzlich zu politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. In dieser Periode, der dynamischsten der kulturellen Adaption, kam ein Bewusstsein des Unterschieds zwischen der griechischen und der römischen Lebensweise auf. Im ersten Jahrhundert v. Chr. begannen römische Intellektuelle dann, Roms kulturelle Leistungen im Vergleich mit denen der Griechen zu messen und über ihre eigenen Traditionen zu reflektieren.

Die ersten Aufführungen literarischer Dramen in Rom in der Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. fallen in eine größere hellenisierende Phase, und die ersten Dramatiker in Rom waren Griechen oder ‚Halb-Griechen‘ (Suet. gramm. 1,2), das heißt, sie kamen aus Gebieten außerhalb Roms, die unter griechischem Einfluss standen (vor allem über die griechischen Siedlungen in Magna Graecia). Zwar sind auch italische Darstellungstraditionen in die dramatische Dichtung der Römer eingegangen, vor allem aus der etruskischen und der oskischen Kultur (▶ Kap. 2.3), aber die Etrusker und die Osker fungierten zugleich als indirekte Übermittler der griechischen Kultur. Süditalien kann als ein Schmelztiegel einer kulturellen Mischung bezeichnet werden, die ein signifikanter Faktor bei der Herausbildung der letztlichen Form des römischen literarischen Dramas war.

Während diese kulturellen Erfahrungen die ersten Dramatiker in Rom beeinflusst haben werden, gibt es kaum Spuren ihrer lokalen Sprachen in den erhaltenen Texten, obwohl Latein erst zu einer Literatursprache ausgestaltet werden musste, als das römische Drama aufkam. Hingegen übernahmen andere Völker des Mittelmeerraums mit Elementen der griechischen Literatur auch die griechische Sprache. Stattdessen entschieden sich die Römer bei der Einführung literarischer Dramen für deren Umsetzung ins Lateinische. Dadurch entfaltete sich die Sprache der Römer zu einem literarischen Idiom; auf dieser Basis konnten eine Nationalliteratur auf Latein und eine römische literarische Tradition entstehen.