Mordland

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Gerd Hans Schmidt

MORDLAND

Frankenkrimi

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2020

Handlung und Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit real lebenden Personen wäre daher zufällig und unbeabsichtigt. Die Geschichte hat sich so nie ereignet.

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

https://dnb.de/DE/Home/home_node.html abrufbar.

Copyright (2020) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Titelbild © karepa [Adobe Stock]

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Kapitel 1 – Daheim

Kapitel 2 – Zweifach

Kapitel 3 – Liebe

Kapitel 4 – Superstau

Kapitel 5 – Aus

Kapitel 6 – Nosengnubbl

Kapitel 7 – Schönling

Kapitel 8 – Schnee

Kapitel 9 – Eiskalt

Weitere Bücher

Kapitel 1 – Daheim

Samstagnachmittag und dieser Siemensheini kommt schon wieder hereingepoltert. Und schon ist es vorbei mit der Ruhe in der Sauna, ich hätte es wissen müssen.

Der kommt, reißt die Tür auf, wedelt wie ein Irrer mit seinem vergilbten Handtuch und schreit, zwei Kumpels im Schlepptau, »Aufguss«, egal ob es uns anderen hier drin passt oder nicht. Dann folgen schöpfkellenweise Wasserfälle auf die heißen Steine des Saunaofens. Dampf steigt auf. Aber kaum sitzt das halbe Hemd auf den Brettern, wird’s ihm schon zu heiß und er geht. Depp, blöder.

Sein Training ist auch sehenswert. Da rennt er mit Stirnband am Kopf und bewaffnet mit seiner Sporttasche von Maschine zu Maschine, zieht fünfmal am Hebel und nach insgesamt 15 Minuten war’s das dann. Hauptsache er kann sagen »ich gehe ins Fitnessstudio.«

Ja, du auch, Wolff Schmitt, du gehst schließlich auch. Bei mir hatten sich um die Taille ein paar Pölsterchen eingenistet und der Bauchnabel war auch gut gebettet.

Ilse meinte, ich müsse was dagegen tun. Ja richtig. Ilse. Ich bin nach langer Trennung wieder mit meiner Frau Ilse zusammen. Nach meinem wilden Abenteuer im Herbst 2017 mit Leia Nunez in Barcelona, das dann fast in einem Chaos endete, als sie mir ihre Schwester vorstellte, bin ich zur Vernunft gekommen. Hoffentlich.

Es hat lange gedauert, bis ich bereit war den Schritt zu wagen, Ilse für alles, was ich ihr angetan hatte, um Verzeihung zu bitten und sie zu fragen, ob wir es nicht noch einmal versuchen sollten.

Sie hat lange gezögert, aber dann schließlich ja gesagt.

»Wolff Schmitt, du hast mir sehr weh getan mit deinen dauernden Weibergeschichten, sehr, sehr weh. Du hast dich wie ein wildgewordener Teenager benommen, aber ich habe einmal ja zu dir gesagt. Und ich sage es jetzt wieder. Du benimmst dich aber, oder …«, sagte sie.

Wir sind dann nach einiger Zeit des Annäherns wieder zusammengezogen. In eine recht schöne Wohnung in den Norden von Erlangen in die Essenbacher Straße, gleich am Fuß des Burgbergs, nicht weit weg von meinem alten Wohnloch in der Pfarrstraße, das ich aufgegeben habe. Das war vor etwa einem Jahr im September 2018. Ich habe versprochen, die Sauferei aufzugeben, na ja, zu reduzieren. Kein Weißbier mehr, sagte auch mein Arzt, Bierhefe hebt den Harnsäurewert, meinte er.

Ilse arbeitet noch in ihrer Sonderabteilung bei der Kripo in Nürnberg und ich, ja, ich leite wieder meine Abteilung unter Dr. Ruschka, meinem alten Chef. Der hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit ich nach dem Skandal damals vollständig rehabilitiert wurde und wieder zur Kripo nach Nürnberg kam.

Harald und Cem sind noch dabei, sie hatten sich riesig gefreut, als ich wieder an Bord war. Eine neue Kollegin kam dazu, Bettina Saalfrank, eine sehr attraktive Mittzwanzigerin.

Nein, keine Gefahr, sie mag Frauen. Meinen Vorgänger als Gruppenleiter musste ich nicht verdrängen, da er sowieso zur Sitte wollte.

Und Hannah. Ja, Hannah ist auch wieder da. Sie bat Dr. Ruschka, ob sie nicht wieder zurückkommen könne. Das mit dem Sicherheitsdienst, bei dem sie zuletzt arbeitete, stellte sich als nicht mehr erträglich heraus. Das andauernde Angetatsche und Angemache bei ihren Einsätzen für Politiker und hochgestellte Persönlichkeiten war nicht mehr auszuhalten. »Die stehen über jedem Gesetz«, meinte sie. Ruschka nahm ihr Gesuch dankend an.

Nach anfänglichen kleineren Reibereien funktioniert es mittlerweile wieder gut mit Hannah und mir, rein beruflich natürlich.

Der Neuanfang mit Ilse war schon recht schwierig. Wir brauchten lange Gespräche bei dem einen oder anderen Glas Wein und unsere Neigung für große kulinarische Ausflüge brachte uns schließlich Schritt für Schritt wieder näher. Zugegeben, mir fehlte meine Freiheit der letzten Jahre schon, aber dafür kam mehr und mehr die Geborgenheit zurück, das Gefühl, nicht ohne Zukunft zu sein, das Gefühl, dass einem eine tiefe Zuneigung entgegengebracht wird. Dennoch habe ich Angst, dass eine gewisse Routine einkehrt, dass sich Gewohnheit breit macht und irgendwann das Prickeln in der Beziehung verloren geht. Solche Gedanken gehen mir gerade durch den Kopf.

Ich hatte mich also kürzlich bei diesem sehr ordentlichen Fitnessstudio unweit unserer neuen Wohnung angemeldet. Das ist nicht so die typische Muckibude für Sehen und Gesehen-Werden, nein hier trainieren auch die lokalen Spitzensportler und die Betreuung durch das Personal ist erstklassig. Es wird auf Athletik gesetzt, nicht nur auf reines Gewichtestemmen an diversen Maschinen. Functional training mit modernsten Methoden und Geräten ist angesagt. Besonders meine Trainerin, sie heißt Nena, kümmert sich fürsorglich um mich. Schon nach relativ kurzer Zeit begannen sich die Kloßdepots um meinen Bauch zu reduzieren. Aber dazu brauchte es schon eine höllische Schinderei und manchmal nach einer Stunde intensiven Trainings und anschließender Sauna rettet nur so eine kleine Ibu den Abend.

Ich bin jetzt 47 Jahre alt und keine 27 mehr. Das scheint Nena aber zu ignorieren, wenn sie mir einen neuen Trainingsplan ausarbeitet. Das zauberhaft schöne, erfrischend junge Mädchen mit ihren langen blonden Haaren fiel mir gleich bei meinem Probetraining auf, dieses Lachen, dieser freundliche Blick, das Strahlen in ihren Augen zogen mich sofort in ihren Bann. Ich sah sie mit einem kleinen Lächeln an und sie erwiderte es sofort. Wie es der Zufall wollte, hat ausgerechnet sie mein Training übernommen.

Nein Wolff Schmitt, nicht schon wieder, lass es einfach. Du hast dich jetzt entschieden und gebunden, du bist verheiratet, basta.

Meine Arbeit bei der Kripo in Nürnberg war seit dem letzten großen Fall, dem Massaker in Erlangen und der Entführung von Ilse, eher eintönig. U-Bahnschubser, Schlägereien mit Todesfolge und Ehedramen mit Waffeneinsatz waren so die üblichen Delikte. Halt, einen Messerstecher hatten wir und der setzte einen Großeinsatz in Gang. Also im Wesentlichen Routine, die das Team im Griff hatte.

Ach ja, Herbert! Herbert hat sich gut erholt und nur noch gelegentlich Beschwerden nach seinen schweren Schussverletzungen. Er genießt jetzt seinen Ruhestand in seiner schönen Wohnung in der Altstadt von Nürnberg. Gelegentlich schaut er bei uns im Präsidium vorbei und wir plaudern über die alten Fälle. Hannah wohnt noch bei ihm und kümmert sich, was dem alten Haudegen recht guttut.

»Wolff, soll ich dir etwas vom Metzger mitbringen?«

»Ilse, du weißt, mittags kein Fleisch, keine Wurst. Quark, Salat und vielleicht etwas Käse mit Oliven, ein kleines Stück Brot. Außerdem hast du gesagt, ich soll abnehmen!«

»Ist ja schon gut, mein Lieber. Ich dachte halt, bevor du vom Fleisch fällst. Aber heute Abend soll es schon was Gescheites sein, oder?«

»Klar, aber nichts Fettes. Mach ein paar Filetsteaks mit Bratkartoffeln und Salat.«

»Gehst du heute zum Training?«

»Ja, so um halb drei, ich habe keinen Dienst.«

Ich ziehe die Parkkarte aus dem Automaten und die Schranke öffnet sich. Das Studio ist ein riesiger schwarzer Bau, fast wie ein Monolith steht das Gebäude da. Parkplätze gibt es genug und ich parke neben Nenas Wagen ein. Nein, ich bin die kurze Strecke nicht mit dem Fahrrad gefahren oder zu Fuß gegangen. Erstens ist es mir schon zu kalt, um nach der Sauna aufs Rad zu steigen, zweitens bin ich nach dem Training meistens so fertig, dass ich nicht mehr strampeln will.

 

Nena begrüßt mich freudig.

»Hallo Wolff, was machen die Bauchpolster?«

»Alles gut, da stellt sich immer mehr Erfolg ein.«

»Hast du ein ›Vorherfoto‹ gemacht?«

»Ah, vergessen, ich such mal zu Hause, ob ich eins finde.«

»Sag mal, ist es dir beim Training auch zu warm?«

»Nein, wieso?«

»Ach, da haben sich diese Woche zwei beschwert, ihnen wäre danach so schummrig geworden, irgendwie schwindlig, weil es hier drinnen zu warm ist.«

»Dann sollen sie halt vorher kein Bier trinken, waren wahrscheinlich die zwei mit den schwarz-roten Schweißbändern, die immer hier an der Bar rumhängen«, mischt sich Hannes, der Trainer, ein.

»Stimmt, die mit den fetten Schweißbändern mit Clubemblem, die eigentlich auch immer zu dick angezogen sind«, antwortet Nena.

»Ist das ein Ehepaar?«

»Nee Hannes, Geschwister, Singles durch und durch.«

»Bist du Single, Nena?«, frage ich.

»Du bist aber neugierig.«

Hannes geht.

»Ich hatte eine große Enttäuschung mit einem Mann, kurz bevor du hier angefangen hast zu trainieren. Ich bin seitdem lieber alleine.«

»Das ist aber nicht gut.«

»Wünsch dir viel Spaß beim Training. Und Aufwärmen nicht vergessen!«

Egal wann ich trainieren gehe, am Ende des Tresens sitzt immer der Weißbiertrinker und daddelt mit seinem Handy. Ein Mann so Ende sechzig, schlank, gelockte graue Haare und Kinnbart. Er ist freundlich, aber redet nicht. Mittlerweile begrüßen wir uns aber schon mit einem freundlichen Nicken, wenn ich an ihm vorbeigehe.

Oh nein. Diese Ausdauergeräte sind nichts für mich. Zehn Minuten Fahrrad oder Crosstrainer, das ist mein Maximum. Nicht, weil ich es nicht länger schaffe, nein, mir wird das tödlich langweilig. Selbst mit Musik vom Handy, nein, es geht einfach nicht.

Neben mir strampelt diese unnahbare Schönheit auf dem Bike, die meistens da ist, wenn ich trainiere. Ja, sie ist schon eine klasse Frau mit einer umwerfenden Figur, etwas kleiner als ich, eins fünfundsiebzig, schätze ich, lange, dunkle Haare zum Zopf gebunden. Ihre feinen Gesichtszüge wirken ein wenig exotisch, asiatisch, und ihre Haut hat einen dunkleren Teint. Aber sie sieht andere hier drin einfach nicht. Man ist Luft für sie und ich habe sie noch nie mit jemand anderem reden sehen. Gut, mal kurz mit einem Trainer, aber das war’s dann auch schon. Nein, Wolff, das ist nicht dein Beuteschema, trotz atemberaubend schönem Gesicht und sportlichem Körper. Es kommt einfach keine freundliche Ausstrahlung rüber, nur Kälte.

»Wolff, noch drei Minuten!«

Nena steht neben mir. Dieses Lächeln!

»Ja, ja, mach ich.«

»Du musst das in Zukunft noch länger machen, glaub’s mir, das brennt das Bauchfett weg!«

»Ich strenge mich schon an!«

»Ich kontrolliere das!«

Ich war heute eigentlich der Meinung, dass ich mein Trainingsprogramm nicht schaffe, aber ich habe es durchgezogen. Ganz stolz. Und jetzt in die Sauna, das tut gut an solchen Oktobertagen. Endlich Wärme.

Einer ganz hinten in der Ecke fragt mich was.

»Hallo, darf ich einen kleinen Aufguss machen?«

»Meinetwegen, ich bin eh nur noch zwei Minuten drin.«

Der Typ träufelt irgendwas auf die Steine.

»Das sind kleine Kristalle, die schaffen dann einen Duft von Eukalyptus und Kiefer.«

»Ach, keine Tropfen? Kein Wasser?«

»Nein. Spürst du’s schon?«

»So langsam. Ja, riecht gut.«

Ich spüre, wie sich das Aerosol kühl auf die ganze Haut legt.

Ich mag so’n Zeug eigentlich nicht und beende meinen Saunagang. Fast fröstelt es mich deswegen nach der kalten Dusche. Aber wer’s mag.

Ilse hatte sehr gutes Filet bekommen und es mit ihrer bekannten Kochkunst hervorragend zubereitet. Erst kurz in der Pfanne angebraten und dann bei 120 Grad ohne Umluft im Backofen mit Thermometer medium rare gegart. Dazu Bratkartoffeln mit Zwiebel, Knoblauch und Olivenöl in der Pfanne, in der vorher das Filet war, gebraten und dann ebenfalls in der Röhre heiß gehalten. Ein Feldsalat-Rucola-Gemisch mit kleinen Tomaten in einer Sauce aus Olivenöl, Tomatenmark, ganz wenig Aceto Balsamico di Modena, Salz, Pfeffer, Dashes Zucker, einem Hauch, aber nur einem Hauch kräftiger Sojasauce, Knoblauch und ganz klein gehackter Zwiebeln, das alles rundet den Salat hervorragend ab. Dazu ein Bordeaux ohne Holz. Perfekt.

Bei einem Bordeaux blieb es nicht und an diesem Abend hatten wir das erste Mal wieder zusammen Sex seit sehr langer Zeit. Es war ein gewohnt schönes, aber irgendwie auch wieder ein neues Gefühl für uns.

Das Telefon weckt uns um 7.20 Uhr. Sämtliche Tötungsdelikte in Erlangen fielen nach dem Skandal im Zusammenhang mit den Morden in dem Erlanger Lokal im Jahr 2017 in die Zuständigkeit der Mordkommission Nürnberg, also meiner Abteilung. Da passiert in der Hinsicht eh nicht viel in Erlangen. Schwabb, mein Exkollege und Chef der Erlanger Kripo, war froh, dass er den »Krampf«, wie er sich ausdrückte, loshatte.

Cem ist am Telefon.

»Wolff, Leiche in Erlangen am Altstädter Friedhof.«

»Cem, hast du gesoffen?«

»Nein, also nicht wie üblich, nicht tot …«

»Wie, nicht tot

»Also schon tot, aber auf einem Grab, nicht drin

»Wer hat angerufen?«

»Die Streife. Eine Rentnerin, die dort Grabpflege macht, du weißt, senile Bettflucht, die war schon um 6 Uhr unterwegs und hat die Polizei gerufen. Kollegen sind vor Ort.«

»Alles klar, ich geh hin.«

Den Weg mache ich zu Fuß, weil man da nicht parken kann. Der Friedhof ist in der gleichen Straße wie das Fitnessstudio, nur etwas weiter nördlich. Das sind nur etwa 10 Minuten. Vor dem Friedhofstor steht ein Streifenwagen in der Kurve und blockiert fast die ganze Fahrbahn. Einige Gaffer sind auch schon da.

»Bitte gehen Sie zur Seite, bitte machen Sie Platz, keine Handys, keine Aufnahmen.«

Ich verschaffe mir Platz. Es sind um die Zeit nur ein paar ältere Leute da. Wenigstens macht keiner ein Video. Ich nähere mich dem besagten Grabstein, auf dem einer liegt, und gehe drum herum.

Scheiße. Der Siemensheini. Der hängt kopfüber auf diesem alten, verwitterten Grabstein. Über dem Namen auf der Inschrift kann ich gerade noch lesen:

Er war ein Leben lang seiner Firma treu.

»Der iss hie, eindeudich«, meint einer der Streifenbeamten.

»Haben Sie das geprüft, den Notarzt gerufen?«

»Naa. Die Fraa do hodd’n scho a bor mol ’zwickt, abber do iss ka Reagtion!«

»Guter Mann. Das darf doch wohl nicht wahr sein!«

»Scho. Der iss doch scho steif und kalt. Schaun’s do.«

»Sie rufen jetzt sofort einen Notarzt und die Spurensicherung. Aber hoppla. Und fahren Sie den Streifenwagen weg, der blockiert alles!«

Der Mann hat natürlich recht. Der Saunastörer hängt da mausetot. Aber wieso hier? Das Fitnessstudio ist nur ein paar Schritte entfernt. Und wenn die Totenstarre schon eingesetzt hat, vielleicht war er gestern Abend da beim Training, hat sich ausnahmsweise mal übernommen und auf dem Heimweg …? Keine Ahnung, das wird sich zeigen.

Die Nummer von Dr. Rosser, dem Rechtsmediziner, habe ich noch gespeichert.

»Gut, dass ich Sie erreiche, Dr. Rosser … Ja … Ein Toter hier am Friedhof … Nein, ich habe nichts getrunken … Sie kommen gleich … Sehr schön … Bis gleich.«

Ich sehe mir den Siemensindianer näher an. Äußerlich kann ich nichts erkennen. Aber vor dem Mund hängt irgendwas runter, etwas Weißliches. Umdrehen und runterheben soll ihn der Rosser, wenn er dann da ist.

»Kollegen, bitte sperren Sie das hier jetzt mal ab, bevor da noch mehr Neugierige kommen. Ich mach das hier alleine und die Spurensicherung kommt sowieso gleich.«

Die Beamten holen rot-weiße Absperrbänder und machen sich an die Arbeit. Die Rentnerin steht immer noch vor dem Grab.

»Frau …?«

»Sperber haaß ich, Anna Sperber, der iss hie, gell?«

»Sieht ganz so aus. Ist Ihnen etwas Seltsames aufgefallen, als sie heute Morgen hier hereinkamen?«

»Naa, nix. Ich bin do nei zum Tor und hobb erscht gor nix g’sehn. Dann wor des abber scho komisch, dass zwaa Baa von dem Staa runterg’hängt sin. Ich bin hieganga, hobb den Moo g’sehng und oblaudert. G’sacht hot er nix. Dann hobb’in a weng ogstubbst. Ka Reagtion. Dann hobb’in zwiggt und mir scho ’dacht, dass der vielleicht dood iss.«

»Und sonst, sonst drumherum war niemand?«

»Naa. Abber schaun’s hieh. Der hodd gor ka Jaggn ooh, bei dera Käld.«

Stimmt. Und seine Trainingstasche, von der er sich sonst nicht trennen kann, ist auch nicht zu sehen, denke ich mir.

Dr. Rosser kommt mit den Kollegen von der Spusi im Schlepptau.

»Kommissar Schmitt, ich grüße Sie. Das ist wenigstens mal der richtige Ort für einen Leichenfund.«

»Kann man wohl sagen. Das hatte ich glaube ich noch nie.«

Dr. Rosser zieht seinen weißen Overall an und streift die Nitrilhandschuhe über.

»So, dann wollen wir den guten Mann mal von dem Stein herunterholen. Kollegen, bitte erst die Fotos.«

Drei Mann heben den Körper von dem Grabstein und legen ihn daneben auf den Boden. Tatsächlich ist etwas weißer, schon angetrockneter Speichel vor dem Mund. Vorne an seinem Hemd ist ein roter Fleck, ebenfalls schon angetrocknet. Rosser öffnet das Hemd und wir erblicken eine etwa zwei Zentimeter lange Stichwunde, aus der aber seltsamerweise nur wenig Blut geflossen war.

»Den konnte jemand nicht leiden«, meint Rosser.

»Kann mir schon denken warum …«

»Bitte?«

»Ach nichts, Dr. Rosser, gar nichts.«

»Hier oben auf dem Stein ist ebenfalls Blut. Das bedeutet, dass der entweder gleich nach dem Stich da draufgefallen oder draufgelegt worden ist. Der Stein war sozusagen der Blutstiller!«

»Wie der Alaunstein beim Rasieren.«

»Nein, nicht so, es war eher der Druck, der den Blutfluss verhindert hat.«

»Tötungsdelikt?«

»Ich denke ja. Es ist kein Messer am Tatort, selber war er es also nicht. Ich muss natürlich alles noch genauer untersuchen, aber ich denke ja, Fremdeinwirkung. Sind Papiere da, Brieftasche, Ausweis?«

»Ich kenne ihn.«

»Was? Sie kennen ihn?«

»Kennen ist vielleicht übertrieben. Der trainiert dort drüben im Studio, wie ich, seinen Namen kenne ich nicht, aber das werden wir gleich haben.«

»Der trainiert dort nicht mehr. Ich melde mich so schnell wie möglich, Schmitt!«

»Alles klar.«

»Cem, komm bitte mit der Kollegin Saalfrank nach Erlangen, ihr müsst hier übernehmen und ’rumfragen. Ich muss ins Fitnessstudio.«

»Wolff, jetzt aber, du musst jetzt ins Fitnessstudio? Und warum nicht Hannah? Hast du Schiss, dass wieder was passiert zwischen euch beiden?«

»Nein. Das soll mal die Saalfrank machen, lauter Rentner befragen, die hier immer noch rumstehen und Cem, der Tote trainiert da mit mir.«

»Jetzt nicht mehr, ganz sicher. Wir sind unterwegs.«

Trainer Hannes hat Dienst und hängt gelangweilt vor dem Bildschirm. Es ist nicht viel los um die Zeit. Der Weißbiertrinker ist noch nicht da.

»Wolff, es ist halb elf. Um die Zeit hab ich dich hier noch nie gesehen!«

»Richtig, heute bin ich auch dienstlich hier.«

»Was machst du so?«

»Kripo, Mordkommission.«

»Echt? Das ist ja geil. Ist hier einer umgebracht worden?«

»Hier nicht, aber dort am Friedhof liegt eine Leiche.«

»Iss’n Witz, oder?«

»Leider nein. Der Tote trainiert hier.«

»Hier trainieren keine Toten …«

Hannes lacht laut los.

»Jetzt komm, wirklich. Der war immer Samstag in der Sauna.«

Ich beschreibe den Siemensheini so gut wie möglich.

»Ah, weiß schon, wen du meinst, wart mal. Eva, kommst du mal?«

Hannes ruft in den Trainingsbereich. Eva ist auch Trainerin und kommt zu uns her, Hannes geht ihr entgegen.

Die beiden wechseln ein paar Worte, dann kommt Hannes zurück.

»Also, wir sind uns fast sicher, wen du meinst. Der heißt Alexander Steffen. Der immer so schnell trainiert hat, gell? Siebenmal das Gewicht gestemmt und weiter …«

»Genau der, danke. War der gestern hier, spätabends?«

»Ui, das kann ich von hier aus nicht prüfen. Da muss ich Emma fragen, die muss dann im System abrufen, ob der eingecheckt hat. Manche gehen aber auch einfach so durch.«

 

»Das wäre hilfreich. Wann habt ihr das?«

»Reicht heute Nachmittag?«

»Reicht. Hast du seine Adresse?«

»Mh, wart mal, hier, Jaminstraße 25.«

»War der bei Siemens?«

»Keine Ahnung, muss ich auch Emma fragen.«

Ich bin dann erst mal zum Frühstücken nach Hause in die Essenbacher Straße. Irgendwie fehlt mir im Moment die Motivation, mich voll in einen Fall hineinzuknien. Jedes Mal hatte ich nur Missgunst und Widerstand geerntet. Dann trete ich jetzt mal etwas kürzer. Aber schon brutal, dieser Siemensmann so tot über dem Grabstein, ich habe mich zwar auch mehrfach über diesen Hampelmann geärgert, aber gleich abstechen? Nein. Mal sehen, was der Rosser herausbringt.

Im Präsidium. Herbert ist mal wieder zu Besuch.

»Mei, Wolff, ich hobb g’hört, dass du etz am Friedhof Dode siggst? Bass fei auf, so fängts an. Danach kumma die weißen Elefanten im Schlafzimmer.«

»Herbert. Deine alten Witze brauche ich nicht auch noch.«

»Stimmt des, du hast den ’kennt?«

»Nein. Der hat nur im selben Studio trainiert wie ich. Wir haben da kein Wort gewechselt. Der hatte nur immer in der Sauna genervt. Stimmt schon, einmal hätte er von mir fast eine gefangen, der Depp.«

»Hauptkommissar Schmitt, etz bist verdächtig und befangen. Der Ruschka muss dich vom Fall abzieh’n.«

»Herbert. Die junge Damenbekanntschaft in deiner Wohnung macht dich wohl übermütig. Schau auf deinen Teller.«

»Iss ja scho gut. Bist du heit empfindlich.«

Halb vier. Dr. Rosser ruft an.

»Schmitt, also die Todesursache ist eindeutig. Stich in die Brust und die Herzvene ist getroffen. Das Blut sackte dann wegen dem Stein in den Körper. Das wars.«

»Tatwaffe?«

»Vermutlich ein Multitool, also ein Leatherman oder etwas Ähnliches. Ich habe an der Einstichstelle so Spuren gefunden.«

»Fremd-DNA?«

»Bis jetzt nichts. Aber da bin ich noch dran. Merkwürdig kommt mir aber die Speichelspur vor. Das ist nicht normal. Die Arbeitsmedizin hat da feinere Methoden. Ich hab denen eine Probe geschickt.«

»Gift?«

»Nein, kein Gift. Jedenfalls bis jetzt habe ich in der Richtung nichts gefunden. Ich bleibe dran.«

Jaminstraße 25, Erlangen. Harald begleitet mich. Auf dem Klingelschild steht »A. Steffen«. Es öffnet niemand.

»Harald, du kommst da rein?«

»No Problem.«

Es ist ein 70er-Jahre Mehrfamilienhaus wie viele hier, 16 Parteien, dicht gedrängt. Wir stehen vor der Wohnung im ersten Stock. Harald bemüht erneut sein Einbruchwerkzeug und wir gehen in den Flur. Niemand ist da.

»Schau mal ins Bad, ob der allein lebte.«

»Alles klar, warte Wolff … ja, eine Zahnbürste, nix Frauenzeug.«

»Und Männerzeug?«

»Komm her und schau selber. Das sieht ganz nach Singlewohnung aus.«

»Wenn du das meinst.«

»Wolff, da hängt ein Firmenausweis am Schlüsselhaken, wart … ah … Areva.«

»Dann halt Arevaheini.«

»Wie?«

»Ach nix. Harald, siehst du irgendwo seine Sporttasche?«

»Ich geh suchen.«

Ich sehe mir die kleine Wohnung an, es gibt ein Bad, einen Flur, ein Wohn- und ein Schlafzimmer, eine kleine Küche. Ich öffne den Schlafzimmerschrank. Ein paar dunkle Anzüge hängen darin, gut gefaltete Hemden, alles ist sehr sorgfältig aufbewahrt. Ich finde nur Männersachen. Das Wohnzimmer ist ebenfalls sehr ordentlich. In der Ecke steht ein kleiner Schreibtisch mit einem Macbook drauf. Daneben liegt ein Pass. Alexander Steffen, geboren am 22. Februar 1972 in Paderborn. 47, ich hätte ihn älter geschätzt. So wie das hier alles aussieht, lebte der wirklich alleine. Ich öffne den Mac. Er fordert kein Passwort. Gut, der sieht gut bedient aus. Massenweise Apps mit technischem Zeugs, von dem ich nichts verstehe. Safari, okay, der Verlauf enthält einen Haufen Pornoseiten.

»Harald«, rufe ich, »der war homosexuell, schau her.«

»Keine Sporttasche, Wolff, lass mal sehen. Holla, der war ja drauf, hart, oder?«

»Kannst du laut sagen. Wir müssen das Ding sowieso untersuchen lassen und die Spurensicherung muss hier rein. Wir gehen besser, bevor wir was verwischen.«

»Wenn die Tasche nicht hier ist, vielleicht im Auto?«

»Wieso Auto? Woher willst du …«

»Scheiße, ich Hirn, ich hätte gleich auf dem Parkplatz nachschauen sollen. Der fuhr einen dunkelblauen älteren Golf. Das mach ich gleich heute Abend.«

Harald fährt zurück nach Nürnberg und ich zur Erlanger Kripo gleich um die Ecke. Wir hatten vereinbart, dass die Kollegen informiert werden.

Emma ruft mich aus dem Studio an.

»Herr Schmitt …«

»Kannst Wolff zu mir sagen.«

»Also, Wolff, ich wusste gar nicht, dass wir einen Kriminaler hier haben. Der Steffen war gestern hier, eingecheckt um 18.47 Uhr. Wann er wieder ging, weiß ich nicht.«

»Danke Emma, das hilft mir weiter, alles Übrige müssen wir selber herausfinden, ciao.«

»Ciao, Wolff.«

»Schwabb, du alter Saufkopf, wie geht es dir?«

»Wolff, seit du dem Weißbier abgeschworen hast, fehlt mir etwas, so eine Kneipentour wäre heute recht. Nur blöde Fälle bei uns und die Kollegen spinnen rum. Aber das kennst du ja. Was gibt’s?«

»Der Tote am Friedhof heißt …«

Schwabb setzt ein breites Grinsen auf.

»Du hast schon gesoffen, gib’s zu!«

»Die Reaktion hatte ich heute schon zweimal. Du weißt von nichts?«

»Nein, sollte ich?«

»Solltest du, heute Morgen ging bei euch der Notruf ein und du wurdest nicht informiert?«

»Das ist ein Sauhaufen hier, denen mache ich Beine, also red.«

»Es lag einer erstochen über einem Grabstein, Areva-Mitarbeiter, Alexander Steffen, 47 und schwul. Der wohnt hier gleich um die Ecke.«

»Sauber. Täter?«

»So schnell bin nicht einmal ich. Er trainierte im selben Fitnessstudio wie ich und war ein ziemlicher Schnösel. Der war gestern gegen sieben dort und heute Morgen hat ihn eine Rentnerin auf dem Altstädter Friedhof gefunden, gleich neben dem Studio.«

»Na, dann mal viel Spaß beim Ermitteln, du weißt ja, ich bin froh, dass wir die Tötungen loshaben. Bei dir sind die eh besser aufgehoben. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll, aber die Kollegen hier kriegen einfach nichts gebacken, da fehlt es hinten und vorne, manchmal, denke ich, ist es Absicht, um mir zu schaden.«

»Das brauchst du mir nicht zu erzählen, das habe ich am eigenen Leib erfahren müssen. Was ist eigentlich aus dem Menneke geworden?«

»Dreimal darfst du raten. Befördert nach München natürlich. Es hat zwar hier bei uns und auch in Nürnberg gewaltigen Krach gegeben, nachdem herauskam, wer da die undichte Stelle war, genauer gesagt waren es ja drei Kollegen, die nicht sauber waren, aber die mafiösen Strukturen weiter oben kannst du einfach nicht zerstören und so wurde keiner rausgeschmissen, sondern die sind dann halt wegbefördert worden. Wie immer, das muss ich dir nicht erklären.«

»Ich habe mir vorgenommen, das einfach zu ignorieren. Das regt mich nur auf.«

»Recht so. Aber demnächst auf ein Bier, Wolff?«

»Klar doch.«

Der blaue Golf steht auf dem Parkplatz des Studios, die Sporttasche liegt auf dem Rücksitz. Dann muss der also nach dem Training noch zum Wagen gegangen sein und seine Tasche reingeworfen haben. Und dann? Handy haben wir keines gefunden, weder am Tatort noch in der Wohnung, also jedenfalls lag da keines herum, als Harald und ich da waren. Handys liegen immer irgendwo greifbar und nicht hinterm Sofa. Was ist also passiert? Er geht zum Auto, legt die Tasche rein, schließt ab und geht dann zum Friedhof nebenan und lässt sich erstechen? Oder er bekam einen Anruf zu einem Treffen bei den Toten? Der hatte doch immer zwei Gefolgsleute in der Sauna, das ist der erste Ansatz.

Die Spurensicherung war noch am gleichen Abend in der Wohnung des Opfers. Sie fanden die Türe aufgehebelt und alles durchsucht und verwüstet. Der Mac ist weg.