Leiche 21

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Leiche 21

Georg von Rotthausen

published by: epubli GmbH, Berlin

Copyright: © 2014 Georg von Rotthausen

ISBN 978-3-8442-8240-5

Inhaltsverzeichnis

Imprint 1

Inhaltsverzeichnis. 2

Initiale spaventoso. 4

Vier Jahre später. 5

Prolog. 8

Drei weitere Jahre später. 8

1. Tag: 8

2. Tag: 10

3. Tag: 78

4. Tag: 218

5. Tag: 316

6. Tag: 365

7. Tag: 416

8. Tag: 437

Einen Tag später …... 452

Das Ende der Lysistratäischen Woche. 453

Vier weitere Tage später …... 454

Knapp drei Monate später …... 455

Epilog. 456

Ein letztes Wort noch, so wie es die Frauen gerne haben ... das letzte Wort, auch wenn alles schon gesagt ist. 456

Schlußerklärung und Danksagung. 457

Georg von Rotthausen
Leiche 21

Carl Spitteler:

“Phantasie ist die schönste Tochter der Wahrheit, aber etwas lebhafter als die Mama.”

Initiale spaventoso

Sanft streicht eine warme Brise über die Küste.

Eine große weiße Möwe stolziert selbstbewußt an der Wasserlinie entlang. Sie sieht niemanden, der ihr den Strand streitig machen könnte. Ein weiblicher menschlicher Körper, nur bedeckt von kaum wahrnehmbarer weißer Badeseide, ist weit genug entfernt und stört sie nicht. Sie sucht nach Nahrungsresten, die diese großen seltsamen Wesen immer wieder in den Sand fallen lassen. Und wenn sie selbst ein Mensch wäre, würde sie an diesem herrlichen Tag vielleicht denken: „Ha! Das ist mein Strand!”

Die Sonne brennt von einem strahlendblauen Himmel herunter. Ihr wärmendes Feuer wird kaum von kleinen weißen Wolken unterbrochen, die irgendwie tapfer ihrer unvermeidlichen Verdunstung entgegenschweben.

„Ist das nicht ein herrliches Plätzchen?”

„Hm, das ist es.”

„Könnte man sich dran gewöhnen, so unbeobachtet in den Dünen, faul in der Sonne zu liegen und die Wolken zu zählen, nicht?”

„Könnte man, oh ja, das könnte man.”

Ein tiefes Durchatmen und genüßliches Schnurren unterstreicht es.

„Es sind bloß nicht so viele da.”

„Was denn?”

„Wolken. --- Man ist so schnell fertig.”

„Zu dumm, nicht?”

„Kann man sagen.”

Zwei Seufzer bekräftigen den Mangel an Faulheitsbeschäftigung.

„Man könnte sich auch nahtlos …, hm, was meinst Du?”

„Ist wirklich niemand da?”

Die kaum sichtbare, aber doch um fünf Jahre ältere Schönheit erhebt sich und ein paar strahlende, grüne Augen prüfen die Umgebung. Außer dem Dünengras, das sich in der angenehmen Brise wiegt, können sie keine Bewegung entdecken. Der weiße Bikini ist durch hohen Strandhafer verdeckt. Sie sieht die Jüngere an, die gerade ihre Augen schließt.

„Wir sind wirklich allein. Seltsam nicht? Bei diesem herrlichen Wetter. Niemand da außer uns.”

„Mir reicht es an Auftrieb”, murmelt die ausgestreckte Schöne. „Hat man schon keine lästige Anmache von dummen Strandcasanovas. Immer diese blöden Sprüche. Den nächsten schicke ich zum Fundbüro.”

„Warum das denn?”, grient die Grünäugige.

„Dort kann er nachfragen, ob vielleicht sein Gehirn gefunden wurde.”

Ein fröhliches Auflachen bestätigt ihr, daß dieser Gedanke etwas für sich hat.

Im nächsten Augenblick fliegen zwei knappe Bikiniteile neben ihr Badetuch und die Grünäugige greift nach ihrer Sonnencreme, um Busen und Po zu schützen.

„Komm, Du auch, sei nicht feige”, wird die Liegende aufgefordert, sich gänzlich zu entkleiden. Sie blinzelt hoch, erhebt sich und legt ebenfalls ab.

Während die Ältere sich bereits eincremt, prüft die Jüngere selbst noch einmal die Umgebung, indem sie ein paar Schritte zum Dünenkamm geht und sich umsieht. Dabei dreht sie sich einmal um die eigene Achse.

„Du, da hinten liegt ein Mädchen in einem weißen Bikini, aber allein. Ob es spätabends hier auch so ruhig sein wird, wenn jetzt schon niemand hier ist? Ich versteh’ das gar nicht, bei dem schönen Strand.” Beim Umwenden bemerkt sie rechterhand, daß ein junges Pärchen sich erhoben hat und dabei ist, der Hitze zu entfliehen.

„Vielleicht sind alle beim Dorffest. Ich hab’ da so ein Plakat gesehen. Da gehen sicher auch die Feriengäste hin. ‘s ist ‘ne schöne Ablenkung für die Kinder.”

„Kann schon sein. Ich bin lieber hier. Wenn Du fertig bist, cremst Du mich auch ein? Dann muß ich mir nicht die Finger fettig machen.”

Das „Sei nicht so faul!” wird mit einem Klaps auf den Hintern bekräftigt, aber es nützt nichts. Die jüngere Schöne hebt ihre langen blonden Haare hoch und läßt sich bedienen. „Ich hab’ Ferien mit Lizenz zum Faulsein.”

„Immer das letzte Wort mußt Du haben. Ich bin doch die Ältere!” Die Blonde grient nur noch breiter.

„Und was meintest Du mit der Ruhe spätabends?” Sie reibt die wohlrunden festen Brüste der Jüngeren ein.

„Na, wenn wir schon hier sind, dann könnten wir doch einmal am späten Abend hier schwimmen gehen. Es ist heute Vollmond, das macht sicher Spaß.”

„Gute Idee”, wird ihr beigepflichtet, „das machen wir, mit einem kleinen Picknick dabei. - So, fertig. Bleib noch etwas stehen, damit es einzieht, sonst schmierst Du alles nur ins Badetuch.”

„Jawohl, Frau Oberlehrerin.”

„Quatschkopf!”

*

„Hast Du das gehört? Die beiden Miezen wollen heute abend hier schwimmen gehen. Da machen wir doch mit, oder?” Die anlandige Brise treibt die ohnehin nur raunende Stimme von den Mädchen weg.

„Klar, und mehr als das. Von dem Anblick müßte er sich eigentlich jetzt schon erst einmal erholen …”

„Reiß Dich zusammen, dann ist das Vergnügen später umso größer. … He, was soll das?”

„Teufel, bei Dir ist aber auch schwer Alarm!”

„Was hast Du denn gedacht? Daß er den Kopf hängen läßt? Träum weiter. … Und welche kriegt Deinen?”

„Beide! Ist genug für zwei da.”

„Ach ja?”

„Klar, ich meine für uns zwei und für jeden von uns. Wir wechseln uns ab. Die können uns ja doch nicht auseinanderhalten.”

Ein böses Grinsen verzerrt die schönen Gesichter der Brüder voll übler Pläne. Sie ziehen sich zurück, nachdem die Mädchen sich wieder niedergelegt haben und vertreiben sich die Wartezeit auf ihre dunkle Stunde mit wildem Tanz auf dem Dorffest.

*

„Hast Du übrigens den Auftrag für die Brunnenfiguren bekommen?”

Die Jüngere blinzelt zu ihrer Schwester herüber. Deren Gesicht verzieht sich einen Moment lang.

„Nein, verdammt. Dieses Miststück hat ihn mir weggeschnappt. Ihr Entwurf mit den Nixen sei angeblich schöner. Diese Rathausbanausen haben doch alle keine Ahnung was Kunst ist.”

„Ach, beruhig’ Dich. Wir sind im Urlaub. Nächstes Mal schaffst Du es wieder.”

Sie rekelt ihren schlanken Körper in der Sonne zurecht.

„Hoffentlich. Drei Aufträge sind wegen der schon perdu. Viel Geld, viel Renommee.”

Die Ältere dreht sich auf den Bauch und hält der Sonne und der Welt ihren Hintern entgegen. Im Moment will sie schmollen.

*

Am Abend wird der immer noch warme Strand für die zwei Schönheiten zur Hölle. Ihre Körper werden von zwei Land-Haien zerfleischt, ihre Seelen auf ewig verwundet und ihr Geist dauerhaft getrübt. Der Mond deckt sein mildes silbernes Licht über das Grauen, das niemand sieht und niemand erkennt, nachdem der Tagesanbruch das goldene Licht der Sonne zurückgebracht haben wird. Das Böse mischt sich wieder unter das Gute und freut sich, daß sein hämisches Grinsen von den Nichtsehenden nur allzu leicht für eine freundliche Begrüßung gehalten wird. Es ist so leicht, mit einem Lächeln zu zerstören und zu töten.

*

Am nächsten Morgen bringt der Diensthabende der kleinen Polizeistation nur eine verspätete Bierleiche des Dorffestes nach Hause, er schreibt einen Falschparker auf und scheucht einen Teenager samt Fahrrad vom Bürgersteig. Am Abend freut er sich, daß es in seinem idyllischen Bereich wieder einmal ein schöner, ruhiger Tag war. Er hatte davor auf dem Dorffest nicht einmal eine Hauerei. De Lüüd an de Waterkant sün alltiet sinnig. Dat is allerbest!

 

*

Vier Jahre später.

„Darfst Du mit Deiner Bauchnarbe schon wieder schwimmen gehen?”

„Klar, nur Köpper soll ich noch nachlassen.”

Martin ist neugierig. Er hat seinen Freund Jens im Krankenhaus immer nur verbunden und verklebt gesehen. Wochenlang hatten sie nichts miteinander unternehmen können. Handys waren nicht erlaubt und ihre beiden knapp aufeinanderfolgenden 15. Geburtstage mußten sie mit kleinen, wirklich ganz kleinen Partys an Jens’ Bett feiern. Der lästige Krankenhauslehrer hatte sie zudem immer wieder bei ihren Unterhaltungen gestört. Nun aber sind Ferien und sie wollen endlich wieder Spaß miteinander haben und sich austoben. Martin hebt Jens’ T-Shirt hoch und verzieht sein Gesicht.

„Mann, das sieht ja übel aus. Ging das nicht minimalinvasiv?” Er läßt den Stoff wieder los, der um den schlanken Körper des Jungen schlabbert. Jens darf noch nichts Hautenges tragen. Martin hingegen ist voll im Training, hat schon ein gutes Waschbrett und trägt ein enges Muscleshirt. Er liebt es, wenn die Mädchen ihm tuschelnd nachsehen, und er ist stolz, wenn andere Jungen ihn um seine Figur beneiden.

„Nee, leider nicht. Ist etwas größer geworden als ‘ne Blinddarmnarbe, und Du hast nicht mal die”, ist Jens etwas neidisch auf den makellosen Oberkörper seines Freundes.

„Vielleicht habe ich Glück. Meinem Opa haben sie erst letztes Jahr den Blinddarm ‘rausgenommen, da war er schon 71.” Martins Blick zeigt die pure Bewunderung für den alten Herrn.

„Eh, cool, Mann. Ich dachte immer, in unserem Alter ist man dieses Extrawürmchen schon quitt.”

„Wann war’s denn bei Dir?”

„Als ich 10 war. Blöderweise in den Sommerferien, kurz bevor wir auf dem Gymmi angefangen haben.”

„Tatsache? Ich hab’s nie gesehen. Zeig’ mal.”

Jens öffnet seine Jeans und zieht sie samt Slip etwas herunter. „Da!” Er deutet mit seinem linken Zeigefinger darauf.

„Ah, Bikinischnitt”, stellt Martin grinsend fest.

„Ich bin doch kein Mädchen, Du Affe!”, sagts, zieht alles wieder hoch und boxt seinem Freund gegen die Schulter.

„Is’ ja gut”, lacht der, “Badehosenschnitt. Aber man sieht’s wirklich kaum. Hast wohl gutes Heilfleisch. Dann geht die Rötung der Bauchnarbe sicher auch noch weg.”

„Ja hoffentlich”, verzieht Jens sein Gesicht und ratscht den Reißverschluß wieder hoch. „Auf das nervige Gestarre der Anderen kann ich verzichten.” Plötzlich wirkt er sehr nachdenklich und senkt den Blick, was seinem Freund nicht entgeht.

„Was hast Du?”

“Ach, weißt Du, mir gefällt doch die Anja aus der Nachbarklasse …”

„Die noch nich’ viel Busen hat?”

„Die mit den schönen braunen Augen und der schmalen Nase …”

„Was Du so alles siehst …”

„Ja, und im Bikini sieht sie ganz toll aus”, protestiert Jens gegen Martins Negativbewertung.

„Is’ ja gut, Mann. Also schöne, kleine, süße Titten, und was weiter? Mein Typ ist sie nicht. Ich steh’ eher auf die Rosie mit ihren tollen Rundungen, wenn die einen ansieht, dann macht meiner ‘n langen Hals.”

„Echt? Bist Du in sie verknallt?”, will Jens wissen. „Und hast Du’s denn bei ihr schon probiert?”

„Nee, noch nich’ wirklich. Ich seh’ sie mir lieber noch’n Weilchen an. Vielleicht ist sie ‘ne Zicke und verarscht mich nur. Und Du, bei Anja, mein’ ich, schon mal geküßt?”

Jens wird rot und schüttelt den Kopf.

„Ob sie sich wohl an der blöden Narbe stört?”, zweifelt der verliebte Junge.

„Wenn ja”, macht Martin auf erwachsen, „dann taugt sie nichts, dann kannst Du sie gleich vergessen. Da ist genug Fisch im Teich, um sich zu trösten.”

Das tröstet Jens allerdings überhaupt nicht, denn wenn er an Anja denkt, kann er kaum schlafen und muß sich sehr intensiv mit sich selbst unterhalten.

„Mein Bruder hat auch gerade eine abgelegt, die nur zickte und dann sagte er wieder, das sei nicht so schlimm, so lange ein Mann zwei gesunde Hände habe …”

Die Freunde sehen sich lachend an.

„Neuerdings duscht er wieder mindestens eine halbe Stunde länger. Letzten Samstag über eine Stunde!”

Jens grient über sein ganzes Gesicht.

„Mann, das’s ja cool. Kriegt er da keinen Streß zu Hause?”

„Er sei eben sehr reinlich, meint er dann, dabei weiß jeder, was abgeht.”

„Und Du? Auch ‘ne Stunde?” Jens schaut kritisch, aber neugierig.

„Hhm, jaaa, klar, schaff’ ich auch. Warum?”

„Solln wir mal zusammen? Wer am längsten und am weitesten?” Jens errötet bei dem Gedanken, aber er will es einfach mal wissen.

„Ja klar, warum nicht.” Martin ist cool drauf. „Ich hab’s Dir schon lange mal vorschlagen wollen. Die anderen in der Klasse sind mir zu spießig dafür, die denken gleich wer weiß was, obwohl … Ist Dir schon aufgefallen, daß der Ole unter der Dusche fast immer ‘nen Ständer kriegt?”

„Na, der Knut doch auch”, steuert Jens als Beobachtung bei, „und der Raimund hat doch schon mal beim Duschen …” Er macht eine eindeutige Handbewegung.

„Tatsächlich? Hab’ ich gar nicht mitgekriegt. Der geile Bock und sonst so unschuldig tun, ha!”

Und nun stellen die Freunde fest, daß sie bei weitem mehr interessante Beobachtungen gemacht haben, als sie sich bislang erzählten. Sie beschließen, die Augen künftig noch weiter offenzuhalten und verabreden sich für den frühen Nachmittag an ihrer einsamen Stelle am See, wo sie nackt schwimmen und ihre Forschungen ungestört betreiben können.

Zwei Stunden später.

Jens und Martin haben ihre Runde um den See gemacht und steigen an ihrem Lagerplatz aus dem Wasser.

„Mann, das war klasse. Bei der Hitze genau das Richtige.”

Die beiden schütteln ihre Mähnen aus und streifen sich mit den Händen das Wasser von ihren Körpern und lassen sich, ohne sich abzutrocknen, auf ihren Badetüchern nieder. Die Sonne wird ihr Werk tun. Sie strecken sich aus, verschränken die Arme unter ihren Köpfen und schließen die Augen. Die Freunde wähnen sich allein. Sie sind völlig arglos.

*

„Was hältst Du von den beiden?”

„Hm, grundsätzlich beide sehr gut, das habe ich Dir über den Blonden doch schon im Freibad gesagt, aber hast Du bei dem Schwarzhaarigen nicht die Narbe auf dem Bauch bemerkt? Der bringt nichts. Den lassen wir hier, aber den anderen schnappen wir uns. Der bringt locker zehn Riesen.”

Die beiden Männer, die in gebührendem Abstand ihre Beobachtung mit Ferngläsern machen, flüstern trotzdem nur leise miteinander. Der Bewerter hat eine kalte Stimme - eiskalte Augen haben beide Fänger.

„Warten wir, bis die beiden eingeschlafen sind? Dann können wir …”

Der Andere unterbricht ihn.

„Guck Dir das an!”

Der Bewerter lenkt den Blick des Anderen auf die ruhenden Jungen.

„Scheinen scharfe Gedanken zu haben. Der Perfekte zeigt uns ja gleich, was er so drauf hat. Besser geht’s ja gar nicht. Das sind gleich zwei Riesen mehr.”

Er will seinen Blick zur Geländeüberprüfung schweifen lassen, als …

„Jetzt sieh’ Dir das dann. Nun kriegen wir glatt noch ‘ne Gratisvorstellung.”

„Großartig! Besser abgelenkt können sie gar nicht sein. Da können wir auf jeden Fall unbemerkt heran. Warten wir noch ein paar Minuten, und dann …”

*

Jens und Martin sind voll bei der Sache. Jeder denkt an “sein” Mädchen, die Sonne brennt auf ihre erhitzten Körper.

Martin hat plötzlich einen penetranten Parfümgeruch in der Nase, will an Jens schnuppern, der es doch nicht sein kann; sein Freund bäumt sich bereits auf, verschießt sich, als Jens einen seltsamen Geruch wahrnimmt, ein leises Knacken hört, sich umsehen will, doch dann werden er und Martin gleichzeitig gepackt und ihre Münder und Nasen mit dickem, chloroformgetränktem Mull zugepreßt. Jens bekommt noch etwas zu fassen, reißt daran, sein Aufstöhnen mischt sich mit dem seines Freundes, ihre in der Abwehr angespannten, kämpfenden Körper werden schlaff, sacken zusammen - und beiden wird fast gleichzeitig schwarz vor Augen.

*

Als Jens eine gefühlte Ewigkeit später wieder zu sich kommt, ist ihm schlecht, er ruft nach seinem Freund, fühlt den angetrockneten Samen auf seinem Bauch, und dann bemerkt er, daß Martin nicht mehr da ist. Als er sich mit schlechtem Geschmack im Mund und Kopfschmerzen aufrichtet, fühlt er etwas auf dem Badetuch unter seiner rechten Hand. Er hebt sie hoch - und sein Blick fällt auf einen seltsamen Knopf.

*

Prolog
Drei weitere Jahre später.

Mein Name ist Malvoisin, Martin von Malvoisin. Begleiten Sie mich ein Stück? Eine schöne Gegend hier, nicht wahr? Es lebt sich wunderbar hier. Eine herrliche Urlaubslandschaft. In den Bergen ist es grandios, aber hier kann man durchatmen, und Berge haben wir hier auch - Wellenberge, aber meist nur im Winter, wenn Neptun seinen Dreizack schwingt und der Klabautermann dazu sein Lied pfeift. Bei den Sandbergen haben wir es nicht so mächtig. Der Watzmann ist das nicht, aber Deutschlands schönster Berg ist auch da besser aufgehoben wo er ist. Die Berchtesgadener würden ihn ohnehin nicht hergeben.

So sind wir mit den Dünen ganz zufrieden.

Wo wir hier sind möchten Sie wissen? Das will ich Ihnen gerne sagen: Wir befinden uns auf dem Landesdeich zwischen Kellenhusen und Grömitz, und ich möchte Ihnen zeigen, wo mein letzter Fall seinen Anfang nahm. Fall? Oh, verzeihen Sie. Sie kennen mich vielleicht noch nicht. Ich bin Erster Kriminalhauptkommissar und gehöre zum Kommissariat 1 der Kripo in Lübeck. Was wir bearbeiten? Morde, oder, wie wir es lieber nennen, Tötungsdelikte. Ob es Mord oder Totschlag ist, das stellt mein Vorgesetzter fest. Wer das ist? Ein manchmal ganz netter Staatsanwalt, das heißt, wenn er will. Und wenn er alles weiß, was meine Kollegen und ich herausgefunden haben, dann versucht er seine Sicht der Dinge einem Richter überzeugend darzustellen. Der urteilt und verurteilt dann, wiederum mit zwei links und rechts von ihm sitzenden Richterkollegen. Ein Verteidiger versucht, gegen gutes Geld, versteht sich, die Überzeugungen meines Vorgesetzten zu widerlegen und zu beweisen, daß meine Kollegen und ich seiner Mandantschaft übelwollen - mehr oder weniger. Aber ein Urteil kommt immer, früher oder später, recht feierlich mit dem Aufstehen aller Anwesenden und der hehren Einleitung des Vorsitzenden “Im Namen des Volkes”. Nach dem Urteil dürfen sich alle setzen und Angeklagte sitzt auch wieder - meist etwas länger. Manche Anwesende machen hinterher ein mehr oder weniger enttäuschtes Gesicht, andere freuen sich, meist mein Vorgesetzter. Wir sind nicht immer mit dem Urteil einverstanden, der überführte Täter ist es so gut wie nie, aber das kann man ihm nicht übelnehmen. Die Richter gehen mit einem feierlich unbewegten Gesicht, der Staatsanwalt mit einem triumphierenden Gesicht, der Verteidiger mit einem zufriedenen Gesicht, denn er hat immer Erfolg, da auch bei “Lebenslänglich” für seine Mandantschaft die Brago immer schöne Zahlen mit dem €uro-Zeichen für ihn bereithält, mit D-Mark hörte sich das noch viel besser an, und der Verurteilte mit einem langen Gesicht, aber auch das kann man ihm nicht verübeln - ich sagte es schon.

Und warum ich als deutscher Kriminalbeamter einen französischen Familiennamen habe? Das ist schnell erklärt: Meine Vorfahren kamen im 17. Jahrhundert aus Frankreich in die Mark Brandenburg, wo sie von dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm als glaubensverfolgte Protestanten aufgenommen wurden. Kurzum, wir sind Hugenotten. Und seinem Urenkel, dem Alten Fritz, hat ein Mehrfach-Urgroßvater von mir in der Schlacht bei Kunersdorf am 12. August 1759 das Leben gerettet, Beförderung auf dem Schlachtfeld, Schwarzer Adlerorden und seither waren wir auch in Preußen ganz offiziell “von”, denn unsere vielen französischen Titel, die ich hier nicht alle aufzählen will, klingen zwar ganz hübsch, haben aber letztlich außerhalb Frankreichs keine große Bedeutung. Mir steht ein sogenanntes “Prädikat” zu und wenn mein Vater einmal das Zeitliche segnet, als sein Nachfolger, des 14. Herzogs von Brantôme, durch einst besondere preußische Verleihung ein noch höheres, aber das spielt hier keine Rolle - im Dienst sowieso nicht; bis auf Hauke Tewes und Frederik Langeland, meine engsten Kollegen, und den Herrn Präsidenten, weiß es ohnehin niemand. Warum auch!

 

Meiner Familie werden Sie im Laufe der Geschichte begegnen. Einige von Ihnen kennen meine schöne Frau und unsere Kinder bereits, zu denen sich erst kürzlich zwei weitere hinzugesellten, eineiige Zwillinge, Alexander und Christoph, um genau zu sein. Muntere Krähhälse. Die werden uns noch viel Freude machen. - Ja ja, die lieben Kleinen. - Was ich da auf dem Kopf habe? Oh, das ist mein Rembrandt. Ein aparter Hut, nicht wahr? Mir gefällt er auch. Hat sonst keiner.

Aber da sind wir bereits, am FKK-Strand von Lenste, genau gesagt Lensterstrand, schon in meiner Kindheit auch Nakedunien genannt. Grömitz ist nicht mehr weit, nur vier Kilometer. Kellenhusen liegt hinter uns, wie die böse Geschichte, die hier begann, genau da drüben, da wo Sie jetzt hinsehen, im letzten Sommer. Es war heiß, sehr heiß …