Die Seepferdchen-Siedlung

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Die Seepferdchen-Siedlung

oder

Das Leben weht aus allen Richtungen

Published by neobooks, Neopubli GmbH Berlin

Copyright: ©2020 by Georg von Rotthausen

Georg von Rotthausen

Die Seepferdchen-Siedlung

oder

Das Leben weht aus allen Richtungen

Chronik einer Nachbarschaft im Norden, Teil 2

Dieses Werk ist durch Urheberrecht geschützt. Es ist auf keinen Fall legal, Teile dieses Manuskripts auf elektronischem Weg oder gedruckt zu reproduzieren, zu vervielfältigen oder zu übermitteln. Die Aufnahme dieser Publikation ist strikt verboten und jedwede Speicherung dieses Dokuments ist ohne schriftliche Erlaubnis des Autors nicht erlaubt. Alle Rechte vorbehalten. Jede Zuwiderhandlung führt zu zivilrechtlicher Haftung und strafrechtlicher Verfolgung, im In- und Ausland, ohne Ansehen der Person oder Institution.

Die Personen, Orte und Ereignisse, die in diese Buch dargestellt werden, sind sämtlich fiktiv, außer historische Personen und Ereignisse. Jede Ähnlichkeit mit realen Personen, lebend oder tot, wäre rein zufällig und in keiner Weise vom Autor beabsichtigt. Einzige Ausnahme: Historische Personen, lebend oder tot.

This work is protected by copyright. In no way it is legal to reproduce, duplicate or transmit any part of this manuscript in either electronic means or in printed format. Recording of this publication is strictly prohibited and any storage of this document is not allowed unless with written permission of the author. All rights reserved. Any violation will lead to civil liability and criminal prosecution, domestic and abroad, without distinction of person or institution.

The characters, locations and events portrayed in this book are entirely fictitious save for historical individuals and events. Any other similarity to real persons, living or dead, is entirely coincidental and not intended in any way whatsoever by the author. Sole exception: Historical individuals, living or dead.

Kontakt zum Autor:

georg.v.rotthausen@gmx.net

Sonntag, der 30. Juni 2019

Arjan wacht als erster auf. Er reckt und streckt sich im Bett, ehe er zu Frerk hinüberschaut, der, ruhig atmend, immer noch fest schläft.

Ein paar Augenblicke sieht er seinem Freund zu, ehe er aufsteht und ihn schmunzelnd zudeckt, denn Frerk liegt mit blankem Hintern auf der Matratze.

“Hat wohl wieder wild geträumt und sich dabei abgestrampelt.”

Arjan geht ins Bad, duscht und richtet sich sorgfältig. Als er zurückkommt, hat Frerk sich auf den Rücken gedreht, dabei wieder abgedeckt, und kratzt sich gerade …

“Bist Du schon wach?”, murmelt er. “Es ist doch Sonntag und noch Nacht …”

“Guten Morgen, Schlafmütze”, grüßt Arjan ihn mit normaler Stimmstärke, geht zum Fenster und zieht die Vorhänge auf, was augenblicklich die volle Morgensonne ins Zimmer läßt.

“Willst Du mich umbringen?”, beschwert sich Frerk mit verzogenem Gesicht, tastet nach seinem Zudeck, zieht es sich über den Kopf und dreht sich wieder auf den Bauch.

“Nö, aber ‘was zum Frühstück holen, damit Du mir nicht vom Fleisch fällst, Alter. Es ist gerade kurz nach acht, und ich will nicht beim Bäcker vor einer leeren Brötchenkiste stehen, denn die Urlauber haben auch Hunger und sind in der Überzahl. Sieh zu, daß Du in die Gänge kommst. In etwa 30 Minuten frühstücken wir”, zieht er ihm lachend das Oberbett weg, quasi Bettstriptease, und verläßt das Zimmer, während hinter ihm Frerk protestiert.

“Und Du willst mein Freund sein? Gib mir mein Zudeck wieder!”

Aber es nützt nichts, Arjan eilt bereits die Treppe hinunter und amüsiert sich. Es ist mit Frerk fast jeden Sonntag dasselbe.

*

Ehlin ist immer noch enttäuscht vom Ausgang der Frauen-Fußball-WM-Begegnung Deutschland − Schweden tags zuvor.

Im Aufwachen ziehen einige Szenen des Spiels an ihrem geistigen Auge vorbei, aber letztlich ist es nicht zu ändern. Deutschland ist ausgeschieden, und sie hat keine Lust, sich deshalb die gute Laune und den Sonntag vermiesen zu lassen. Es ist letztlich doch nur ein Spiel.

Beke war nach dem gemeinsamen Abendessen samt Aufräumen der Küche und einer Stunde gemeinsamen Musikhörens nach Hause gegangen, um einen Fantasyroman zu Ende zu lesen.

Sie selbst hatte sich noch einen Film im Fernsehen “’reingezogen” und war relativ früh zu Bett gegangen.

Eske nutzte die Abwesenheit der Eltern − sie waren zu einem Konzert gefahren − zu einem Abend mit Björn aus, war aber gegen 22 Uhr nach Hause gekommen, wohin ihr junger Verehrer sie sicher begleitet hatte; er selbst hat strenge Eltern, die ein spätes “Herumtreiben” noch nicht dulden und ab spätestens 23 Uhr Ruhe im Haus haben wollen, zumal es ihre Pensionsgäste stören könnte.

Nach einem wohligen Strecken und süßen Gähnen schwingt Ehlin sich aus dem Bett, zieht die Vorhänge auf und blinzelt in die Morgensonne.

“Oh, das wird ein schöner Tag”, freut sie sich. “Da konnte ich mit Beke auch nach Nakedunien gehen. Kann ich mich mal wieder ganz ohne sonnen. Diese blöden weißen Streifen. Und wollte sie nicht ihre neue Strandbekanntschaft mitnehmen? Na, meinetwegen.”

Damit zieht sie ihr Schlaf-T-Shirt über den Kopf und ihren Nachtslip herunter, läßt beides fallen, wo sie steht, wuschelt in ihren Haaren und geht zum Bad, nur um dort gegen eine verschlossene Tür zu laufen.

“Eske? Bist Du da drin?”, klopft sie leicht genervt.

“Besetzt!” ist die kurze Antwort.

“Mach schon auf! Ich muß Pipi!”

“Pinkel doch in den Eimer”, bekommt sie zur Antwort.

“Spinnst Du? Jetzt mach schon auf!”, hämmert Ehlin gegen die Tür.

“Unten ist auch noch ein Bad − vergessen?”

“Jetzt hör’ schon auf, stundenlang Dein bißchen Muschipelz zu bürsten! Das sieht ja sowieso keiner, Du Plattfisch!”

“Woher willst Du das denn wissen? Und wer will denn solche Euter haben, wie Du?”

Ein letztes, vergebliches Schlagen mit der flachen Hand gegen die Tür und Ehlin reicht es, zumal die Blase drückt.

Nackt, wie sie ist, stürmt sie ins Erdgeschoß, nur um auch dort vor eine verschlossene Badezimmertür zu rennen.

“Manno! Was ist denn heute los hier?”, schimpft sie und klopft. “Wenn ich nicht gleich aufs Klo kann, dann gehe ich nackt in den Garten und gieße die Blumen!”, kündigt sie entschlossen einen kleinen Dorfskandal an.

Im nächsten Moment wird der Schlüssel gedreht, die Tür öffnet sich und ihre Mutter kommt heraus. Ehlin trippelt schon von einem Fuß auf den anderen.

“Oh, Mama, endlich!”, drückt Ehlin sich vorbei und knallt die Tür zu.

“Guten Morgen, mein Kind! Hast Du gut geschlafen, mein Kind? … Guten Morgen, Mama! Danke, sehr gut, und Du?”, formuliert ihre Mutter den eigentlich zu erwartenden kurzen Begrüßungsdialog am Morgen in beiden Rollen und geht mit leichtem Kopfschütteln in die Küche. Dort schreibt sie einen Zettel, schiebt ihn unter der Badezimmertür durch und wartet einen Augenblick.

“Oh, Manno! Warum denn immer ich!”, tönt es von drinnen.

Aaltje Fehnmoor schmunzelt und kehrt an ihre morgendliche Arbeit zurück.

*

“Moin”, grüßt Arjan Leontine Dröhn freundlich in der Warteschlange vor dem Bäckerladen.

“Moin”, grüßt sie zurück. “Na, mien Jung, Du bist ja am Sonntag bannig freuh op de Been”, betrachtet sie ihn, als müßte sie ihre optische Erinnerung an ihn auffrischen. “Hast es wohl arg eilig gehabt fürs Familienfrühstück einzuholen, nich‘? War wohl keine Zeit mehr zum Rasieren, hm?”, mustert sie ihn kritisch.

“Nee, Frau Dröhn, das trägt man diesen Sommer am Wochenende so. Nennt man Drei-Tage-Bart”, grient Arjan kess. “Doch morgen kommt er wieder ’runter, sonst bin ich zugewachsen und meine Mutter gibt mir kein Frühstück, weil sie mich nicht mehr erkennt, und man muß ja auch die Rasierklingenindustrie unterstützen, nicht wahr?”, neckt er sie. ”Aber nächstes Wochenende habe ich ihn wieder. Damit du alte Dorftratsche wat to zaustern hest.”

“So, so”, kommentiert sie die Auskunft etwas spitz. “Trägt Frerk das jetzt auch? Wo ist er denn? Ihr steckt doch immer zusammen”, sieht sie sich suchend um.

“Och, Frerk ist zu Hause, und da er noch ganz nackt ist, konnte er schlecht zum Einkaufen mitkommen. Das gibt ja sonst Gerede im Dorf”, teilt Arjan ihr mit todernst-wichtigem Gesicht mit, doch innerlich platzt er fast vor Lachen.

Leontine Dröhns Mimik “Ich hab’s doch gewußt” bemerkt er nicht mehr, denn beim Vorrücken der Warteschlange fällt sein Blick auf Mareile Pööschen, die am ersten Tisch im Innenraum sitzt und ihr erstes Urlaubsfrühstück einnimmt. Sie setzt gerade ihre Kaffeetasse an, als sie Arjan bemerkt und prompt etwas des Inhaltes verschüttet.

Arjan lächelt sie an, während sie sich Mund und Kinn abtupft und etwas verlegen zurücklächelt.

“Das ist ja mal ’ne Hübsche. Hoffentlich ist sie nicht nur Wochenendgast und bleibt ’ne Weile. Die würde ich gern am Strand treffen. Scheint ohne Typ hier zu sein.”

Mareile anzusprechen traut er sich noch nicht, aber im Weitergehen schaut er sich einmal nach ihr um und riskiert ein bis zwei Blicke zu ihr hin, als er am Tresen durch die gewundene Warteschlange ihr nicht mehr den Rücken zuwendet, sondern in ihre Richtung sehen kann.

“Das ist ja ein hübscher Bursche, und wie er mit mir flirtet! Aber er wird aus dem Dorf sein und kein Urlauber, so braun, wie er jetzt schon ist. Süß sieht er aus. Diese leuchtenden Augen, und sein knackiger Hintern ist nicht ohne. Auf jeden Fall bin ich nächsten Sonntag um diese Zeit wieder hier.”

 

Mareile beißt in ihr gebuttertes Hörnchen und sieht ihm weiter zu.

“Moin, Arjan!”, spricht ihn eine der vier Verkäuferinnen an. “Was möchtest Du heute?”

“Moin, Heike”, grüßt er zurück. “Acht Normale, bitte.”

“Arjan heißt er. Was für ein schöner Name. Paßt zu ihm. Und die Bedienung kennt ihn, also ist er von hier.”

Arjan nimmt die gefüllte Papiertüte, legt einen Zehn-€uro-Schein auf den Tresen, streicht das Wechselgeld ein, wünscht einen schönen Tag und wendet sich zum Gehen, während hinter ihm weiter bestellt wird.

“Tschüß, Frau Dröhn”, dreht er sich um.

“Tschüß, tschüß”, macht sie es kurz, mit kritischem Betrachten Arjans‘ Erscheinung “nich‘ mal ordentlich angezogen … was muß ein junger Bursche am hellichten Tag seinen Bauchbabel zeigen … ts!”, ohne Lächeln, und sagt an, was sie haben möchte.

Noch einmal treffen sich Arjans und Mareiles Blicke … und dann zeigt er lächelnd auf seinen Mundwinkel.

Mareile versteht nicht sofort …

Er tritt kurz an ihren Tisch, nimmt eine Serviette und wischt, ohne viel zu fragen, ein Kleckschen Butter bei ihr ab.

“Schönen Urlaub”, wünscht er ihr und geht mit einem neuerlichen Lächeln und verstohlenen Winken hinaus.

“Ganz schön frech, aber was für einen sexy Bauchnabel er hat … und dieses schöne Lächeln”, sieht Mareile ihm nach. Ehe Arjan aus ihrem Blickfeld verschwindet, dreht er sich noch einmal nach ihr um − und bemerkt ihr Schmunzeln samt Winkerfinken.

*

Pastor Michaelsen ist, wie üblich, auch am Sonntag früh aufgestanden und hat sein Frühstück allein eingenommen. Nun stellt er sich innerlich auf seinen Kirchgang ein.

Das Vorhaben, am Ort eine Tafel einzurichten, hatte ihn gedanklich bis in den Abend hinein beschäftigt. Die zwei kranken Alten, denen er Lebensmittel aus Oldenburg mitgebracht hatte, fand er bei kurzen Besuchen gut versorgt und war beruhigt in seine Pfarrwohnung zurückgekehrt.

Schließlich entschied er sich, die Bibelstelle Jakobus 2, 8 als Grundlage für seine Predigt zu nehmen, die er im Sonntagsgottesdienst um 11 Uhr halten würde.

Um 9 Uhr war zunächst sein katholischer Amtsbruder mit dessen Messe an der Reihe, mit dem er sich das kleine Gotteshaus im alten Dorf teilte.

Sie sind in vielen Dingen auf einer Wellenlänge, weshalb Monsignore Breslauer sofort damit einverstanden war, auch von katholischer Seite den sturen − evangelischen − Bürgermeister bezüglich der Tafeleinrichtung mit Gottes Wort zu “bearbeiten”.

Es gibt mindestens einen katholischen Gemeinderat, der das “römische Feuer” unter dem Bürgermeisterstuhl ohne Zweifel sofort melden würde.

*

Auf dem Weg nach Hause trifft Arjan Kapitän Rosenbaum, der ihm, ebenfalls zu Fuß, auf demselben Bürgersteig entgegenkommt.

“Moin, Herr Kapitän”, grüßt er ihn fröhlich und erhält ein gutgelauntes “Moin, Arjan”, zurück. Beide bleiben voreinander stehen und geben sich die Hand.

“Kurs Richtung Heimat nach erfolgreicher Proviantaufnahme?”

“Heute nicht, Käppen. Heute haben wir Wochenende in Frerks Elternhaus. Brötchenkauf ist aber meine Aufgabe. Er hat mal wieder Probleme, aufzustehen …”, erklärt Arjan schmunzelnd seines Freundes Abwesenheit.

“Ach, laß ihn man. Ich konnte in Eurem Alter am Sonntag ohne Probleme bis zum Mittag durchschlafen. Enno ist auch noch nicht aus den Federn”, lächelt Rosenbaum. “Kommt Ihr nach dem Frühstück ‘rüber? Enno freut sich bestimmt, und Ihr wollt doch heute wieder nach Nakedunien, nicht? Das Wetter ist ja danach”, deutet er gen Himmel. “Hat der Bäcker noch genug Brötchen oder haben die Urlauber schon abgeräumt?”

“Alles noch im grünen Bereich, Käppen, als ich gegangen bin.” Da kommt Arjan ein Gedanke. “Nächsten Sonntag könnte ich Ihnen gern den Frühstücksproviant mitbringen, wenn Sie wollen. Brauche nur eine genaue Bestelliste.”

“Das ist sehr lieb von Dir, mien Jung. Dankend angenommen. Wir sehen uns ja dann nachher”, klopft er ihm anerkennend auf die Schulter. Beide nicken sich zu.

Arjan setzt mit einem Lächeln seinen Weg fort. Er freut sich sehr, Enno wiederzusehen.

Und dann geht ihm wieder die Begegnung mit dem schönen Mädchen im Bäckerladen durch den Kopf − dabei zieht es ihm angenehm durch die Magengrube … und nicht nur dort.

*

Mareile ist mit dem Frühstück fertig, bezahlt, nimmt ihre Tasche auf und geht Richtung Strand.

Als sie dort an der DLRG-Station vorbeikommt, liest sie die Wetterdaten ab.

“Schon fast 28 Grad Luft, 17,1 im Wasser und blauer Himmel. Das wird ein herrlicher Tag werden”, freut sie sich. “Hoffentlich hat diese quirlige Beke unsere Verabredung für Nakedunien nicht vergessen, aber ich finde das auch so”, sinniert sie im Weitergehen auf der noch nicht vollen Promenade und beschließt, sogleich ein erstes erfrischendes Bad zu nehmen.

Tommy Pintzow ist ein wenig pikiert, daß er von der neuen Strandschönheit überhaupt nicht wahrgenommen worden ist.

“Deine männlich-erotische Ausstrahlung ist am frühen Vormittag offenbar noch nicht wirklich vom weiblichen Radar erfaßbar”, grinst sein Wachkamerad ein wenig schadenfroh, denn er weiß, was Tommy von sich selber hält.

“Laß mal. Die knacke ich schon. Genau, was mir der Arzt verschrieben hat”, meint der selbstbewußt.

“Na, wenn Du Dir dabei mal nicht die Finger verbrennst. Eigentlich sollte Dir die Eiscremeabfuhr von gestern für ein Wochenende genügen”, wird er mit spöttischem Lächeln erinnert. Sie war nicht im Verborgenen geblieben. “Mir hat noch keine den Eisbecher in die Badehose entleert, nur Eiswürfel zum Verdampfen in meinen brandheißen Bauchnabel gelegt.”

“Ach, was weißt denn Du schon”, winkt Tommy ab. “Du bist ja bloß neidisch.”

“Auf was denn wohl?”

“Na das hier”, faßt Tommy sich ungeniert in den Schritt.

„Laß dich vom Imposanten nicht täuschen! Ein langer Stiel hat nicht unbedingt eine schöne Blüte zu bieten”, zitiert sein Kamerad Ralf Thornby eine Aussage seines Großvaters.

„Neid der Besitzlosen!“, kontert Tommy spitz.

Ralf grient nur, denn Tommy kennt ihn natürlich vom Duschen und weiß, was bei ihm im Hosenstall „wohnt“.

„Warum bloß, übertreibt er immer so?“

*

Beke öffnet vorsichtig ihre Augen und blinzelt. Ihrem ersten Eindruck nach muß die Nacht vorbei sein, denn ihr Zimmer ist verdächtig hell. Sie wagt einen Blick auf die Uhr und läßt sich seufzend wieder in die Kissen fallen. Immer dieses Aufstehen! Fällt auch am Sonntag nicht aus. Hatte ihre Mutter sie nicht zum Brötchenholen eingeteilt? Das müsse sie irgendwie Heye unterjubeln, überlegt sie, und schließt noch einmal die Augen.

Was habe sie doch für komisches Zeug geträumt? Irgendetwas mit Nakedunien …

*

„Moin, Frau Schoolmeester!“, ruft Arjan einer Frau auf der anderen Straßenseite fröhlich zu und winkt ihr. Sie hält beim Kehren des Bürgersteiges inne, sucht kurz den Rufer und erwidert den Gruß.

„Moin, Arjan! Schon auf den Beinen?“, stützt sie sich auf ihren Besen.

„Jou. Bin heute aus dem Bett gefallen und zum Brötchendienst verdonnert worden“, lacht er, bleibt stehen und hebt die volle Tüte hoch.

„Sag Deiner Mutter einen schönen Gruß, sie kann morgen nachmittag die geänderten Sachen abholen.“

„Danke! Richt‘ ich aus. Einen schönen Sonntag!“, winkt er nochmals und setzt seinen Weg fort.

„Schönen Sonntag!“, ruft Grete Schoolmeester ihm nach und kehrt weiter.

„So‘n netten Jung. Schaad, dat he noch keen Fründin hett, aver dat kümmt allens noch. Op‘n Lann duert dat so männigmal ‘n beten − un batz schütt de lütte Amor di sien Piel in‘n Mors“, grient die Schneiderin vor sich hin. Es kommen bei ihr wieder schöne Erinnerungen hoch.

*

Mareile verläßt barbusig die kühle Ostsee, und man sieht ihr die Wassertemperatur an.

Erste Urlaubsgäste, die auf der Seebrücke entlanglaufen, „frieren“ bei ihrem Anblick trotz des bereits warmen Sonnenscheins.

„Ist es im Wasser nicht zu kalt?“, wird ihr zugerufen.

„Alles eine Frage der Abhärtung“, ruft sie lachend zurück. Selber ‘reinkommen und ausprobieren!“

„Nee! Wenn‘s so kalt ist“, zeigt ein junger Mann mit dem „Männer-Thermometer“ an und schüttelt sich. Und auch seine schmunzelnde weibliche Begleitung sieht nicht so aus, als würde sie sich freiwillig in die Fluten stürzen.

Mareile ist ein einziges Grienen während sie der Ostsee entsteigt und zu ihrem Strandkorb geht.

„Moin, moin!“, grüßt sie fröhlich ein älteres Ehepaar, das gerade im Nachbarstrandkorb Platz genommen hat. „Herrliches Wetter! Das wird ein schöner Sonntag!“, nimmt sie ihre Handtuch und beginnt, sich abzutrocknen.

„Guten Morgen!“, erwidern die Herrschaften unisono. „Das wird wohl so sein“, nickt der Graumelierte und schaut kurz gen Himmel. „Wie ist denn das Wasser?“

„17,1 laut DLRG-Anzeige, aber herrlich. Danach ist man richtig wach“, schmunzelt sie, und damit ist die kurze Unterhaltung erst einmal beendet.

Mareile streift ihr nasses Bikinihöschen ab …

„Paß auf, Alfred, daß Dir die Augen nicht herausfallen“, flüstert die Frau ihrem Mann zu und stupst ihn zur Bekräftigung ihrer Ermahnung an.

„Ach, meine Liebe, nach 32 Jahren Kreißsaal regt mich nichts mehr auf.“

„Na, na! Unterhalb langsam verschneiter Berggipfel liegen meist noch sehr grüne Täler!“, schmunzelt die erfahrene Ehefrau.

„Was bedeutet mir das Blinken eines Sternchens, wenn neben mir die Sonne meines Lebens leuchtet“, sieht er sie mit liebevollem Blick an, nimmt ihr Gesicht in beide Hände und küßt sie.

„Wie süß die beiden miteinander umgehen“, ist Mareile gerade mit dem Anlegen ihres trockenen Bikinis fertig und fängt an, sich einzucremen. „Hoffentlich kriege ich auch mal solch einen Mann ab. … Wie wohl mein Vater als Ehemann ist …?“

*

„Sagen Sie mal, Frau Dokelsen, haben Sie heute schon irgendetwas vor?“, fragt Matthias seine Dörte, während sie gemeinsam den Frühstückstisch abräumen.

Überrascht sieht sie ihn an und bemerkt dabei ein gewisses Schmunzeln.

„Was meinen Sie denn, Herr Dokelsen? Ich müßte gleich noch Wäsche machen und Bettbezüge mangeln …“, antwortet sie und schließt die Spülmaschine. Ein leises Lächeln umspielt ihre Mundwinkel.

„Na, wenn das nicht Gedankenübertragung ist, meine Gnädigste! Gerade dachte ich auch an Bett und Wäsche, vor allem an Wäsche“, grient er verschmitzt.

„Ach ja? Wollen Sie mir vielleicht beim Wäschesortieren und Mangeln helfen?“, spielt sie die Nichtsahnende.

„Nun, ich dachte eher daran, Ihnen aus der Wäsche zu helfen und Sie dann zu Bett zu bringen“, wird sein Grienen immer breiter und seine Stimme entschlossener.

„Aber mein Herr! Was denken Sie von mir? Ich bin eine anständige Frau! Was wird denn Ihre Frau davon halten? Und ich bin doch gerade erst aufgestanden …“

„Ach, da machen Sie sich keine Sorgen. Meine Allerbeste ist sehr für lustvollen Spaß zu haben und wünscht mir nur das Allerschönste.“

„Da müssen Sie eine recht bemerkenswerte Frau haben!“

„Habe ich! Habe ich!“, strahlt Matthias.

„Aber was wird mein Mann wohl dazu sagen?“, wendet sie noch ein.

„Gar nichts. Ich kenne ihn sehr gut. Er ist sehr damit einverstanden!“

„Huch!“

Im nächsten Augenblick beginnt sie, mit erst leisem Lachen, das sich zu einem vergnügten Kreischen steigert, eine Jagd um den Küchentisch − bis Matthias sie schnappt und schultert …

*

„Warum hast Du mir meine Sonntagszeitung nicht mitgebracht?“, mault Wilhelm Dröhn seine Frau an, die gerade vom Bäcker nach Hause gekommen ist.

„Hol‘ sie Dir doch selber!“, giftet sie zurück. „För dat beten Poppier jeden Sünndag sodennig Geld uttogeven! Lies die Nachrichten im Bildschirmtext, das ist in den Fernsehgebühren inbegriffen!“, weist Leontine ihn zurecht, der verstimmt sein Gesicht verzieht.

„Is‘ Frühstück fertig?“

Alf, beider jüngster Sohn, schlurft verschlafen in die Küche. Dabei kratzt er sich am Kopf und ungeniert auch woanders.

Sein Vater ist noch vergretzt und ignoriert ihn, seine Mutter sieht ihn kritisch an.

„Moin!, heet dat, un wasch Di toeerst, Du stinkst dree Mielen gegen‘n Wind, denn gifft dat wat to eten. Treck Di wat an un raser Di! Sehst ut as ‘n Pennbroder. Hüüt is Sünndag! Rut mit Di!“

 

„Aber Papa sitzt doch auch im Unterhemd am Tisch!“, beschwert er sich.

„Dat is Dien Vader sien Saak! Rut!“, wird Alf nochmals der Küche verwiesen.

„Jeden Sonntag dasselbe Theater“, mault er und zieht ab, wobei er seinem nächstälteren Bruder Martin begegnet.

„Na, Kleiner, hast Dir wieder Deinen Sonntagmorgenrüffel abgeholt? Du lernst es auch nicht“, wuschelt er ihm durch die ohnehin noch nicht gekämmten Haare.

„Ach, laß mich doch in Ruhe“, wehrt Alf seinen Bruder ab und geht ins Bad.

Martin betritt die Küche.

„Moin, Mama! Moin, Papa!“, grüßt er wohlgelaunt seine Eltern und küßt seinen Vater auf die „Franziskanerwiese“.

„Moin, mien Jung“, lächelt der ihn verhalten an. Ohne Sonntagszeitung tendiert seine Stimmung gen Null.

Leontine Dröhn nimmt mit einem Strahlen ihren Zweitjüngsten wahr.

„Moin, mien Sünnschien!“

*

Beke tanzte wie auf Wolken über den feinen Sand und ihr voller Busen hüpfte im Takt dazu. Eine Schöne mit langen wehenden Haaren kam ihr ebenso nackt aus der anderen Richtung entgegen und breitete lachend die Arme aus. Gerade, als sie kurz voreinander waren, schleuderte Heye einen Riesenbeutel indischen Farbpulvers in ihre Richtung und sie sahen einander nicht mehr …

Nakedunien! Beke fährt hoch. Sie hatte sich doch mit dieser netten Mareile für den FKK-Strand verabredet, schießt es ihr durch den Kopf.

Sie wirft ihr Oberbett zur Seite und hüpft aus dem Bett. Dabei sieht Beke sich im Schrankspiegel und bleibt einen Moment stehen.

Im Traum war ihr Busen deutlich größer, aber in ihrem süßen Schlafbikini findet sie ihre Erscheinung plötzlich gar nicht so übel.

Mit einem Riesengähnen streckt sie sich und geht zum Fenster, um die Vorhänge aufzuziehen. Dann öffnet sie die Tür zu ihrem kleinen Balkon, tritt hinaus, zieht mit geschlossenen Augen die frische Luft ein und genießt die erste Sonnenwärme des Tages auf ihrer Haut.

Da ertönt ein Pfiff, ein nach Bewunderung klingender Pfiff. Überrascht macht Beke die Augen wieder auf und entdeckt …

„Moin, Torben! Moin, Björni!“, winkt sie den Nachbarsöhnen zu. „Schon so früh auf?“, lehnt sie sich auf die Balkonbrüstung, was ihr Dekolleté vollends zur Geltung bringt. Sie mag Torben und beneidet ihn um seinen niedlichen kleinen Bruder und freut sich sichtlich, beide zu sehen.

„Moin, Beke!“, ruft Torben ihr fröhlich winkend zu und sein kleiner Bruder macht es ihm auf niedliche Weise nach. „Hast Du gut geschlafen?“

„Danke, sehr gut, obwohl es mich geärgert hat, daß unsere Mädchen gestern gegen die Schwedinnen verloren haben! Und Du?“

„Ausgezeichnet, danke. Und weißt Du, es gibt Wichtigeres als Fußball“, winkt Torben ab. „Und wieso früh? Es ist schon gleich neun Uhr. Wir müssen uns sputen, beim Bäcker noch Brötchen zu bekommen, ehe die Urlauber abräumen. Mag nicht zum Einkaufszentrum laufen. Am Ende behalten sie mich zum Sonntagsdienst da. Wär‘ nich‘ so prickelnd“, lacht er. „Du siehst in Deinem Schlafbikini übrigens sehr hübsch aus!“

„Oh Dankeschön!“, richtet Beke sich unwillkürlich wieder auf und strahlt.

„Torben schläft immer nackelig, und ich auch, aber nur, wenn es warm ist. Und morgens ist sein Penis immer länger als abends. Ist das nicht komisch?“, verkündet Björn mit kindlicher Wahrheitsliebe und lacht in seine kleine Hand.

Torben wird knallrot und hält seinem Bruder den Mund zu, während Beke sich köstlich amüsiert und glucksend ihrerseits die Hand vor den Mund hält.

„Gehst Du heute an den Strand?“, versucht Torben die Situation zu überspielen. „Wir könnten eine Runde zusammen schwimmen. Es wird ein herrlicher Tag werden.“

„Ich bin in Nakedunien verabredet …“

Torbens Gesicht überfliegt ein durchaus sichtbarer Ausdruck von Enttäuschung.

„… mit einer neuen Freundin aus Hamburg.“

„Jetzt dachte ich schon …“

„Komm doch auch zur alten Schleuse. Sie hat bestimmt nichts dagegen.“ Beke überlegt kurz. „Könntest Du uns vielleicht Brötchen mitbringen?“

„Ja klar“, ruft Torben hinauf. „Welche wollt Ihr denn?“

„Vier Normale und vier Sesam. Kannst Du‘s bis nachher auslegen?“

„Ja klar. Bis gleich!“, winkt er ihr zu, Klein-Björn nimmt dafür gleich sein ganzes rechtes Ärmchen. Beke winkt ebenfalls und sieht beiden kurz nach, ehe sie in ihr Zimmer zurückgeht.

Das waren gleich mehrere neue Informationen auf einmal, und daß er immer noch keine feste Freundin hat, freut Beke irgendwie, auch, daß sie keine Brötchen holen muß, aber Heye wird sie jetzt trotzdem aus dem Bett scheuchen. Nur so zum Spaß …

*

„Torben?“

„Ja, Kleiner.“

„Muß das so sein, daß man Bekes Titties bis auf die Straße sehen kann? Ihr Bikini ist so durchsichtig, wie eine von Deinen Unterhosen!“

„Was der Bengel so alles sieht! Unglaublich!“

„Wenn es ihr so gefällt, warum nicht?“

„Es sieht aber lustig aus! Warum zieht sie sich dann überhaupt an?“

„Das ist eine gute Frage, Björni. Man weiß bei Mädchen nie so genau, warum sie etwas sagen oder machen“, erklärt er seinem kleinen Bruder schmunzelnd.

„Da sind wir aber froh, daß wir keine Mädchen sind“, stellt der Kleine selbstbewußt fest und gibt seinem großen Bruder die Hand.

*

Kreischend rennt Beke ins Bad und verbarrikadiert sich lachend.

„Mach das noch einmal, Du blöde Schickse!“ schlägt Heye mit der flachen Hand gegen die Tür.

„Hab Dich nicht so wegen dem bißchen Wasser! Und sonst sehe ich Deinen Vollmond ja auch, Du Nacktfrosch!“

Beke hatte ihrem Bruder nicht nur das Zudeck weggezogen, sondern mit einem halben Zahnbecher kalten Wassers dem Nacktschläfer auch „Aufstehhilfe“ geleistet.

„Und sieh zu, saß Du zum Bäcker kommst, sonst haben wir kein Frühstück, Faulpelz!“

Heye sieht ein, daß seine Schwester nicht freiwillig öffnet und sucht das Bad im Erdgeschoß auf.

Als er dort herauskommt, läuft er seiner Mutter über den Weg, die sich über sein Adamskostüm eher amüsiert als wundert, kennt sie doch ihre Kinder.

„Moin, moin, mein Jung.“

„Moin, Mama.“

„Zieh‘ Dich rasch an. Dein Vater kommt gleich vom Brötchenholen zurück. Dann gibt es Frühstück. Anschließend sprengst Du den Rasen und gießt die Blumen.“

„Wie? Ich muß heute keine Brötchen holen? Papa macht das?“

„Ja, er ist heute an der Reihe. Warum?“

Heyes Blick „nach oben“ erklärt ihr alles. Sie weiß, daß es jetzt in ihrem „Kleinen“ brodelt, wie er das seiner Schwester heimzahlen kann.

*

Arjan begegnen auf seinem Weg einige Urlauber, die offenbar echte Frühaufsteher sind, denn sie haben bereits alles für ihren Tag am Strand dabei und ziehen in Bollerwagen ihre kleinen Kinder hinter sich her, teils bedeckt mit niedlichen weißen Südwestern, um sie vor der Sonne zu schützen.

Er selber genießt die immer stärker werdende Vormittagssonne und freut sich darauf, den Tag mit Freunden in unbeschwerter Nacktheit genießen zu können. Ihm fehlt jedes Verständnis dafür, daß viele Leute dem nichts abgewinnen können, ja geradezu verklemmt sind.

Da kommt ihm Aidan Alfsson in den Sinn. Er hat den jungen Maler und Bildhauer schon eine Weile nicht mehr gesehen. Dessen Vater hat ihm die Abkehr vom Leben als Bauer bislang nicht verziehen, und da war auch noch die Verwicklung in einen Mordfall in Berlin, wenn auch nur am Rande des Geschehens.

Das war schon seltsam, aber Arjan ist klar, daß viel geredet wird, worauf man im Grunde genommen nichts geben dürfe. Er selbst hat schon die Erfahrung gemacht, daß viel hinzugedichtet wird. Man hat nur gepupt und zehn Grundstücke weiter ist daraus bereits eine mutwillig herbeigeführte Bombendetonation geworden!

Aidan hat ihn und Frerk mehrere Male am Strand gezeichnet und jedem eine der Aktskizzen geschenkt.

Arjan war und ist begeistert von dessen Talent und beschließt, ihn anzurufen. Kreative Menschen faszinieren ihn, und er möchte den Kontakt nicht verlieren. Was er noch nicht weiß …

*

Am Tag zuvor …

„Also, Herr Alfsson, damit wäre die Sache perfekt. Sie können am 1. Juli mit dem Einzug beginnen. Wie festgelegt, ist die erste Kaufmiete in drei Monaten zu überweisen und dann regelmäßig zum 15ten. Am besten, Sie vermieten die beiden Ferienwohnungen im Haus, dann kommen Sie nie in Schwierigkeiten. Und wenn Sie Glück haben, dann sterbe ich früher, dann gehört Ihnen das Haus, ohne daß Sie meinen undankbaren Kindern auch nur einen Pfennig weiter bezahlen müssen. Notariell ist ja alles klar, und ich ziehe mich jetzt nach Dänemark zurück, wo meine Lebensgefährtin in Skagen schon auf mich wartet.“

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