Die Seepferchen-Siedlung

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Die Seepferdchen-Siedlung

oder

Das Leben weht aus allen Richtungen

Published by neobooks, Neopubli GmbH Berlin

Copyright: ©2020 by Georg von Rotthausen

Georg von Rotthausen

Die Seepferdchen-Siedlung

oder

Das Leben weht aus allen Richtungen

Chronik einer Nachbarschaft im Norden, Teil 3

Dieses Werk ist durch Urheberrecht geschützt. Es ist auf keinen Fall legal, Teile dieses Manuskripts auf elektronischem Weg oder gedruckt zu reproduzieren, zu vervielfältigen oder zu übermitteln. Die Aufnahme dieser Publikation ist strikt verboten und jedwede Speicherung dieses Dokuments ist ohne schriftliche Erlaubnis des Autors nicht erlaubt. Alle Rechte vorbehalten. Jede Zuwiderhandlung führt zu zivilrechtlicher Haftung und strafrechtlicher Verfolgung, im In- und Ausland, ohne Ansehen der Person oder Institution.

Die Personen, Orte und Ereignisse, die in diese Buch dargestellt werden, sind sämtlich fiktiv, außer historische Personen und Ereignisse. Jede Ähnlichkeit mit realen Personen, lebend oder tot, wäre rein zufällig und in keiner Weise vom Autor beabsichtigt. Einzige Ausnahme: Historische Personen, lebend oder tot.

This work is protected by copyright. In no way it is legal to reproduce, duplicate or transmit any part of this manuscript in either electronic means or in printed format. Recording of this publication is strictly prohibited and any storage of this document is not allowed unless with written permission of the author. All rights reserved. Any violation will lead to civil liability and criminal prosecution, domestic and abroad, without distinction of person or institution.

The characters, locations and events portrayed in this book are entirely fictitious save for historical individuals and events. Any other similarity to real persons, living or dead, is entirely coincidental and not intended in any way whatsoever by the author. Sole exception: Historical individuals, living or dead.

Kontakt zum Autor:

georg.v.rotthausen@gmx.net

Montag, der 1. Juli 2019

Das Ehepaar Thödersen nimmt in aller Herrgottsfrühe sein Frühstück ein.

“Ich bin gespannt, was dem jungen Oberstleutnant heute einfällt, aber dem pul’ ich auf meine Art auch noch die restlichen Eierschalen hinter den Ohren weg“, schaut Hauke grimmig entschlossen drein. “Bei dem könnte man das i.G. auch mit ist gewöhnungsbedürftig übersetzen”, beißt er von seinem hartgekochten Ei ab. “Bestandener Generalstabslehrgang heißt für mich noch lange nicht, auch etwas von Menschenführung zu verstehen. So wie manche Ärzte mit 1,0-Abitur vielleicht zum Metzger taugen, aber nicht, um Menschen zu helfen.”

“Na laß mal“, versucht Gesche ihn zu beruhigen. “Man sollte jedem die Möglichkeit zum Lernen und Erfahrung sammeln geben. Als junger Unteroffizier hast Du sicher auch nicht alles richtig gemacht, und Deine Vorgesetzten haben Dich leben lassen, mein Schatz! Und was bist Du heute für ein prächtiger Spieß!”, lächelt sie ihn milde an und streicht ihm liebevoll über den Kopf.

Dankbar sieht er sie an und küßt sein geliebtes Weib, aber …

“Ich kann diese naßforschen Typen nicht leiden, die nur möglichst schnell in den Bendlerblock wollen und von Truppenpraxis wenig verstehen”, ereifert Hauke sich noch einmal, ehe er einen letzten Schluck Kaffee trinkt, sich den Mund mit der Serviette abwischt und zum Gehen bereitmacht.

An der Tür küßt man sich zum Abschied wie am allerersten Tag und …

“Laß Frerk schlafen so lange er will. Es ist sein erster Ferientag. Bei seinen ausgezeichneten Zeugnisnoten hat der Junge das verdient. Tschüß, mein Süßes.”

“Tschüß, Herr Hauptfeldwebel!”, lächelt Gesche ihn an. “Vor zwölf Uhr rechne ich sowieso nicht mit ihm.”

Beide winken sich noch einmal zu, ehe Hauke den Motor anläßt und vom Grundstück fährt.

*

Alf steht im Schweiße seines Angesichts auf einem riesigen sandigen Spargelfeld und hat den Ehrgeiz, es ganz allein abzuernten. Er ist nur mit einem Rock aus Dünengras bekleidet und trägt einen breitkrempigen Hut aus Strandhafer geflochten, um sich wenigstens etwas vor der brennenden Sonne zu schützen.

Langsam nur kommt er voran, und plötzlich wachsen ihm riesige braune Spargelstangen aus dem Boden entgegen. Er schafft es kaum, sie abzutrennen, da sie bereits dick wie junge Bäume sind. Immer wieder fällt eine zu Boden und schweißtriefend schleppt er sie zu einem Anhänger und schichtet weiter auf.

Plötzlich gleitet, gelöst durch die schwere Arbeit, sein Dünengrasrock zu Boden, der auf dem heißen Sand sofort in Flammen aufgeht.

Da steht plötzlich ein schwarzhaariger Spargelaufkäufer vor ihm, mit einem Ausstecher in der Hand, und verlangt von ihm das beste Stück der Ernte.

Welches das denn sei, will Alf von ihm wissen, der ihm irgendwie bekannt vorkommt.

Diesen herrlichen Spargel wolle er, deutet er auf Alfs Schoß, aus dem eine enorme Stange gewachsen ist und setzt den Ausstecher an …

Alf fährt erschrocken in seinem Bett hoch, versucht sich zu besinnen.

“Was hab’ ich denn da bloß für einen Scheiß geträumt? Die Spargelzeit ist doch vorbei, und was war das denn für‘n komischer Typ!?”

Er sieht auf die Uhr neben seinem Bett: 6.27 Uhr. Es ist Zeit für ihn, aufzustehen.

Als er sich, nackt wie er ist, auf die Bettkante schwingt, spürt Alf, daß er einen leichten “Schädel” hat.

Er hat am Abend zuvor mit Thambi doch recht ausführlich das Wiedersehen nach all den Jahren gefeiert.

“Oh, Mann! Ich muß unter die Dusche”, murmelt er vor sich hin. “Und zwar eiskalt.”

Als er aufsteht, sieht er unwillkürlich an sich herab …

“Na, wenigstens ist Ole Pint ohne Beschwerden, aber die übliche Morgenbegrüßung fällt heute aus. … Mann, tut mir der Kopf weh”, macht er sich auf den Weg ins Bad. Und der Geschmack im Mund ist auch grenzwertig.

*

Arjan sieht auf seine Nachttischuhr, aber kurz vor sieben ist ihm zum Aufstehen am ersten Ferientag doch noch etwas zu früh, trotz der Arbeitsübernahme, bei Luise den Rasen zu mähen. Ein halbes Stündchen will er noch liegenbleiben, wach werden und dabei seinen Gedankensalat sortieren.

Er streckt sich wohlig unter seinem dünnen Sommerzudeck, krault sich selbst, wo er es besonders gern hat, und genießt seine Morgenpracht.

Mareile spukt ihm im Kopf herum. Er hat von ihr geträumt und freut sich unbändig, sie wiederzusehen.

Arjan wird weder beim endgültigen Aufwachen noch unter der Dusche seiner erotischen Spannung nachgeben. Es soll ihn einige Selbstbeherrschung und Überwindung kosten, aber er will es an diesem Morgen einfach “aufsparen”. Fröhlich und aufgeregt wird er, wieder ohne seinen Drei-Tage-Bart, in Hüftjeansshorts und Bauch-T gekleidet in die Küche eilen und damit den Ereignissen des neuen Tages entgegenstürmen.

*

Klein-Björn hat ausgeschlafen und klettert aus seinem Bett. Dabei bemerkt er etwas an sich, das er Torben sofort zeigen muß.

Er flitzt hinüber zu dessen Zimmer, öffnet die Tür, ohne anzuklopfen, macht das Licht an und rüttelt seinen großen Bruder an der Schulter.

“Wach auf, Torben! Torben, wach au-hauf!”

Der öffnet langsam die Augen und zuckt wegen der hellen Beleuchtung zusammen.

“Oh, Björni! Mach’ das Licht aus, bitte!”, stöhnt er und dreht sich wieder weg.

Das Licht geht aus, aber im nächsten Moment wird er wieder an der Schulter gerüttelt.

“Torben! Aufwachen! … Guck mal, was ich da habe!”, setzt er das Rütteln fort.

“Ja, was ist denn?”, seufzt Torben und befürchtet zunächst, es sei morgens um vier und sein plietscher Minibruder wolle ihm nur ein in der halben Nacht gemaltes Bild zeigen, ehe es in der Sammlung des Museum of Modern Art im Magazin für immer verschwindet.

Er wälzt sich wieder herum, macht das kleine Licht an und stützt sich auf seine Ellbogen, um besser sehen zu können, was es denn so Wichtiges gibt.

“Guck mal!”, tritt Klein-Björn zwei Schritte zurück. “Genau wie bei Dir, wenn Du aufstehst”, strahlt der Lütte.

Torben blinzelt noch einmal, gähnt … und staunt.

“Nu loot mi an Land! Der Kleine Björn schaut ja recht kregel in die weite Welt hinein”, schmunzelt er − und hält seinem stolzen Brüderchen die rechte Handfläche zur “hohen Fünf” hin, die prompt geklatscht wird.

“Aber nun ab ins Bad mit Dir. Ich komme gleich zum Duschen nach, Du kleiner Held!”

Der Junge flitzt jubelnd davon.

“Der Kleine Björn schaut kregel, ich bin ein kleiner Held! Der Kleine Björn schaut kregel …”, dann ist das Öffnen der Badezimmertür zu hören, und während Torben sich aus dem Bett rollt, samt stolzer “Morgenpracht”, rauscht bald auch die WC-Spülung.

Lächelnd steht Torben auf, streckt sich mit einem letzten Gähnen und folgt mit dem Zuruf “Geh schon mal in die Dusche” dem Lütten ins Bad.

*

Mareile hat wunderbar geschlafen. Ihre Träume waren wohl lebhaft, aber sie kann sicht nicht mehr recht erinnern. Das Selbstverwöhnprogramm am Abend zuvor hat ihr sehr gut getan, fast so gut, als wäre sie mit Arjan selbst zusammen gewesen.

Ihn bald wiederzusehen löst bei ihr ein schnurrendes Wohlbefinden aus.

Als sie auf die Uhr sieht, ist es kurz vor acht. Nackt, wie sie ist, denn so ist sie eingeschlafen, steht sie auf, streckt sich mit süßen Tönen und geht ins Bad.

Hätte sie aus dem Fenster geschaut, würde sie Arjan gesehen haben, der just den Küchenabfall entsorgt und dabei seinen Vater verabschiedet, der zur Arbeit fährt, aber die erste frische Luft des Tages wird sie auf der anderen Seite ihrer Ferienwohnung genießen, wo sie sich nach dem Duschen im Bademantel für eine Viertelstunde auf der kleine Terrasse in die Morgensonne setzt.

 

*

Torben wäscht Björni unter warmem Wasser zunächst die Haare und reinigt danach seinen zuvor eingeseiften kleinen Bruder mit einem weichen Schwamm, ehe er ihn gründlich abspült.

Der Lütte ist neugierig und will wissen …

“Wird mein Penis auch mal so groß wie Deiner?”

“Wenn Du so groß werden solltest wie ich, dann ganz bestimmt, vielleicht sogar noch größer, und Du mußt ihn immer ganz sauber halten, verstanden! Sauberkeit ist ganz wichtig, Björni. Nicht nur Deiner Hände, Füße, Ohren und Deines Achtersten und überhaupt, sondern gerade auch da. Und zwar nicht nur mit dem Schwamm oder Waschlappen drüberwischen, sondern so … Schau genau hin! Und vergiß dabei auch Deine Klöten nicht.”

Torben macht es dem Kleinen vor.

“Und jetzt machst Du es genauso bei Dir. Halt die rechte Hand auf …”, in die er ihm einen Klecks Duschgel drückt “… und nun los!”

Eifrig macht Björni die Reinigung nach, wie es ihm sein Bruder gezeigt hat.

“War das so richtig?”, schaut er hoch.

“Ganz ausgezeichnet”, duscht Torben ihn ab und hebt ihn aus der Duschwanne heraus. Dann reicht er ihm ein Frotteetuch zum Abtrocknen, während er dem Kleinen nach einem kurzen Abrubbeln die Haare mit dem Föhn trocknet und dann auch die feuchtigkeitsempfindlichen Körperstellen, ehe er ihn auffordert, sich seinen bunten Bademantel anzuziehen, die Zähne zu putzen und zu warten, bis er selbst mit dem Duschen fertig ist.

*

Arjan hat sein Frühstück beendet und seiner Mutter beim Aufräumen geholfen.

“Ich geh’ jetzt ‘rüber zu Luise und mäh’ ihren Rasen, das hab’ ich ihr gestern versprochen”, sagt er sein nächstes Ziel an und will die Küche verlassen, um seine Sandalen anzuziehen.

“Aber denke auch an unseren”, erinnert ihn Dörte Dokelsen.

“Reicht das auch morgen noch?”, fragt er mit leichtem Stirnrunzeln, denn er will sich seinen Tagesplan nicht durcheinander bringen lassen.

“Ich denke, daß der Rasen morgen auch noch da ist”, lächelt seine Mutter, die seine Besorgnis erkannt hat. “Und was hast Du danach vor?”

“Ach, ich geh’ bei dem schönen Wetter wieder nach Nakedunien, muß den hellen Streifen loswerden”, zieht er seine Hüftshorts am Bund etwas herunter, um es zu verdeutlichen.

“Zusammen mit Frerk?”

“Nö, heute nicht, er hat ‘was anderes vor”, eilt Arjan hinaus und vergißt glatt, seine Sandalen anzuziehen. Nur weg, ehe seiner Mutter doch noch etwas einfällt, ihn zu beschäftigen. Er läuft ohnehin sehr gern barfuß.

*

Alf ist längst zu seinem Arbeitsplatz in der großen Gärtnerei des Nachbarortes gefahren, als sein Bruder Gernot in die Küche seines Elternhauses stürmt.

“Moin, Papa”, küßt er seinen Vater eiligst auf die „Franziskanerwiese“.

“Moin, mien Jung”, blickt der kurz von seinem Studium der Tageszeitung auf, zückt ein Taschentuch und wischt seine kahle Kopfstelle ab. Dann liest er weiter.

“Wo is’ Mama?”

“Ferienwohnung”, ist die knappe Antwort, ohne daß Wilhelm Dröhn hinter seiner Morgenlektüre nochmals aufschaut. “Has’ verschlafen?”

“Jou”, schaut Gernot sich nach etwas Eßbarem um und ist heilfroh, daß sein älterer Bruder Martin bereits das Haus verlassen hat.

“Spät geworden?”

“Jou.”

“Heiße Katze?”

“Jou.”

“Alf hat Dir ’was zum Frühstück gemacht”, deutet sein Vater mit einer Hand hinter der Zeitung hervor auf den Tisch.

Nun sieht Gernot das mit einem Teller abgedeckte Frühstücksbrett.

Darunter liegt ein Alupäckchen mit zwei Wurstbutterbroten, einem hartgekochten Ei, einer halben Tafel Zartbitterschokolade und einer handschriftlichen Nachricht:

Moin, Bruderherz! Eine Kleinigkeit für Dich zum Frühstück, damit Du wieder zu Kräften kommst, Du erotischer Schwerarbeiter! ☺ Kaffee ist in der Reisethermosbuddel. Alf.

“Ich liebe den Kleinen”, steckt Gernot sich gleich den ersten Riegel Schokolade in den Mund, ehe er seinem Vater zum Abschied nochmals auf die „Franziskanerwiese“ küßt, der sie ein weiteres Mal gelassen abwischt, diesmal mit etwas Zartbitter dabei, und eiligst das Haus verläßt.

Er trägt nur seine blaue Latzhose, in deren große Taschen er Alfs Notfrühstück verstaut, und Sandalen. Zu spät bemerkt Gernot, daß er in der Hektik glatt vergessen hat, wenigstens noch eine frische Unterhose anzuziehen. Seinen schmalen sexy Slip hat er ohnehin bei Kathrin vergessen, weshalb der nicht auf dem Klamottenhaufen vor dem Bett lag − als Erinnerungshilfe für die Kleiderordnung ...

*

Torben hat seine Morgentoilette beendet, als ihm plötzlich ein Furz entfährt.

“Ups!”

Klein-Björn, der wider Erwarten brav gewartet hat, lacht hell auf.

“Torben, Du hast gepupt”. amüsiert er sich.

“Na ja, manchmal weht eben der Südwind”, zuckt sein großer Bruder grienend mit den Achseln und hängt das große Handtuch zum Trocknen auf.

“Komm, zieh’ Deinen Bademantel aus und hänge ihn auf den Haken”, fordert Torben den Lütten auf, der es sofort ausführt. Derweil stellt er das Fenster schräg, um die Feuchtigkeit des Duschens entweichen zu lassen.

“Und jetzt ab auf Dein Zimmer, zum Anziehen”, öffnet Torben die Badezimmertür und Klein-Björn flitzt hinaus.

In dessen Zimmer löscht er das Licht, öffnet die Vorhänge und schließlich den Kleiderschrank. Der Reihe nach legt Torben frische Unterwäsche, ein T-Shirt und auf Björnis Wunsch dessen hellblaue Latzhose heraus − und hilft ihm beim Anziehen.

Als das erledigt ist, drückt er dem Kleinen ein paar Sandalen in die Hand.

“So, die stellst Du neben die Haustür und gehst dann in die Küche. Wenn Papa noch nicht da ist, dann setzt Du Dich auf Deinen Platz und wartest. Ich komme gleich nach”, schiebt er Björni aus der Tür, der flugs hinuntereilt. Dann macht Torben das Bett seines Bruders und geht anschließend zum Ankleiden in sein Zimmer, wo er auf die Uhr sieht. Bis zum Arbeitsbeginn ist noch Zeit, stellt er beruhigt fest.

*

Arjan ist vor dem Haus prompt Isi über den Weg gelaufen, der ihm in Schlabber-T-Shirt, Sporthose und Turnschuhen auf dem Bürgersteig entgegentrabte.

Die beiden sind nicht eng befreundet, begrüßten sich aber herzlich und blieben ein paar Minuten beieinander stehen …

“… und, wie war Dein Wochenende?”. will Arjan wissen.

“Na ja, wie soll’s schon gewesen sein”, verzieht Isi sein hübsches Gesicht. “Viktor und ich waren allein miteinander. Am Nachmittag waren wir zum Nacktbaden bei der alten Schleuse. Beke und eine Mareile habe ich getroffen und wurde zum Tortenessen eingeladen …”

“Mareile sagst Du?”, zieht es Arjan durch die Magengrube. “Eine bildhübsche, so um die 20 und schon recht braun?”

“Ja, genau! Kennst Du sie?”, wundert Isi sich.

“Kennen ist zuviel gesagt”. weicht Arjan aus. “Sie wohnt bei uns als Feriengast.”

“Ach so”, verzieht Isi leicht den Mund. “Vielleicht ist sie ja ’was für Dich, damit Du endlich Deine süße Jungfernschaft los wirst, wenn ich bei Dir schon nicht landen kann”, seufzt er und wischt sich mit seinem T-Shirt den Schweiß von Stirn und Gesicht, wobei er Arjan nicht unabsichtlich seinen perfekten Oberkörper zeigt und ein wenig sein Waschbrett anspannt, was Arjan mit einem begreifenden Lächeln registriert.

“Wenn ich auf Jungs stünde, dann wärst Du vermutlich mein Favorit, nein Ihr wärt meine Favoriten, Du und Dein Viktor, aber ich fürchte, da ist auch weiterhin nichts zu machen, Alter”, klopft er ihm mit leicht schräggelegtem Kopf schmunzelnd auf die Schulter. Isi sieht ihn mit einem schwachen Lächeln ein ums andere Mal enttäuscht an. “Aber was ist denn mit Kevin? Er ist doch auch solo.”

“Na ja, er sieht ja toll aus, aber manchmal ist er mir doch etwas zu, … ach, ich weiß nicht.”

“Und sonst gefällt Dir keiner?”, fragt Arjan doch interessiert nach.

“Ist das hier ein Vorort von San Francisco? Hier laufen ja auch richtig viel Typen herum, die Viktor und mich zu schätzen wissen, Baby. Wenn man bloß ein paar dieser kalifornischen Edelhengste importieren könnte, aber ich hab’ auch keine Lust, mir ‘was einzufangen. Und Thomas steht auch auf der Leitung”, beklagt Isi sich.

“Ach nee! Er steht auf Thomas! Ich werd’ nich’ mehr. Du meinst Isas Thomas?”

“Genau den. Wir sind heute nachmittag zum Sport verabredet.”

“Das mußt Du mir unbedingt näher erzählen, aber jetzt muß ich weiter, zu Luise. Hab’ ihr versprochen, den Rasen zu mähen. Tschüß, mein Hübscher”, umarmt Arjan ihn und Isi erwidert es.

“Tschüß, mein Schöner. Wir telephonieren”, trabt Isi weiter. Arjan bleibt noch einen Augenblick auf dem Bürgersteig stehen, sieht Isi kurz nach, schmunzelt, denn auf eine Weise mag er ihn sehr, und läßt den Wagen des Polizeihauptmeisters Frithjof Kuddeldreier vorbeifahren, dem er fröhlich zuwinkt, was mit einem Lächeln und Handzeichen erwidert wird.

Von der anderen Straßenseite sieht er Leontine Dröhn kommen und winkt auch ihr zu.

“Moin, Frau Dröhn! Schöner Tag heute, nicht?”, ehe er Luises Vorgartentörchen öffnet.

“Moin, moin”, ruft sie zurück und schickt Arjan einen kritischen Blick hinterher. “Na, was hab’ ich denn da eben gesehen? Innige Umarmung mit Isidor? Ich hab’s doch gewußt!”, murmelt sie vor sich hin.

“Moin, Lohengrin!”, wirft Arjan das Törchen zu und geht in die Hocke …

*

Im Hause Tramsen ist man gerade mit dem Frühstück fertig und steht auf, als ein deutliches Geräusch eindeutiger Art ertönt.

“Was war das denn?”, sieht Hans-Wilhelm seine Söhne in einer Mischung aus Stirnrunzeln und Schmunzeln an.

Torben zuckt “Ich war das nicht” mit den Achseln und sieht mit leicht erhobenen Augenbrauen seinen kleinen Bruder an, der gerade brav sein Frühstücksbrett in die Geschirrspülung aufräumen will.

“Das war nur der Südwind”, verkündet er glucksend und stellt das Brett weg.

“Aha, mein Sohn!”, markiert Hans-Wilhelm auf “streng”. “Und warum weht der hier im Haus?”

“Er fühlte sich einsperrt und wollte hinaus, damit er draußen wehen kann”, verkündet der kleine Schlingel mit Unschuldsmiene und räumt seine Kakaotasse auf.

“Na, da haben wir ja noch mal Glück gehabt, daß er uns nicht bei Tisch umgeweht hat, nicht?”, lacht Tramsen senior, wuschelt seinem Mini durch die Locken und rezitiert mit seinem Großen nach Blickkontakt …

“Uuun … Slopen, freten supen, langsam gohn un pupen, dat sleit an!” … mit fröhlichem Lachen und anschließender “,hoher Fünf” reihum.

“So, und nun marsch ab in den Kindergarten, Du kleiner Herr des Südwindes”, nimmt Hans-Wilhelm seinen Kleinen in den Arm und küßt ihn auf die Stirn. “Und Du mußt ja wohl auch los, mein Junge, nicht?” Vater und Sohn sehen beide auf die Küchenuhr.

“Jou, ist Zeit”, nickt Torben und umarmt seinen Vater. Dann schiebt er Klein-Björn hinaus zum Hauseingang, wo sich beide ihr Schuhwerk anziehen und auf den Weg machen.

“Ich hol’ Dich mittags ab”, sagt Hans-Wilhelm, im Türrahmen stehend, seinem Lütten noch an, winkt beiden kurz nach und schließt die Tür.

*

Arjan freut sich wieder einmal über Lohengrins stürmische Begrüßung und streicht ihm über den Rücken, während der liebevoll an seinem Hals knabbert.

Nach wenigen Augenblicken lösen sie sich voneinander und Arjan geht ums Haus, denn er vermutet Luise bereits bei der Gartenarbeit. Lohengrin folgt ihm brav.

Schnell hat Arjan die Hausherrin zwischen ihren Gemüsebeeten entdeckt …

“Moin, Luise!”, ruft er fröhlich und geht auf sie zu, die sich aufrichtet und ihn lächelnd erwartet, während Lohengrin ein anderes Ziel anstrebt.

“Moin, Jungchen”, wischt sie sich ihre Hände an der Schürze ab − und beide umarmen sich. “Schön, daß Du gekommen bist.”

Inzwischen hat Lohengrin mit Anlauf seinen Platz erreicht − und dafür kurz seine kräftigen Flügel ausgebreitet, denn Lohengrin ist ein ausgewachsener weißer Ganter, der sich, um die Geschehnisse von seinem Aussichtsplatz zu beobachten, wie üblich, einen von Luises Komposthaufen ausgesucht hat und dort niederläßt.

 

Arjan streift sein Bauch-T ab, hängt es über einen der Gartenstühle, und holt den Rasenmäher aus dem kleinen Geräteschuppen, während sich Luise weiter um ihren Gemüseanbau kümmert. Er streift die bereitliegenden Arbeitshandschuhe über, schiebt das Gerät auf die Grünfläche und will gerade den Motor anwerfen, als er jemanden auf sich zukommen sieht.

*

Harm Thomsen ist bereits zur Arbeit nach Oldenburg gefahren.

Seine junge Frau Frauke ist gerade damit beschäftigt, bei ihrem einjährigen Hans die Windeln zu wechseln, der, soeben abgefüttert, nicht ganz so lebhaft ist, als eine heftige Übelkeit beginnt, sie zu würgen.

Sie schafft es gerade noch, sich in die neben dem Wickeltisch stehende Tischbadewanne zu übergeben, ehe sie die Versorgung ihres Kleinen beenden kann.

Danach setzt sie ihn in seinen Laufstall, säubert die kleine Wanne und legt sich für ein paar Minuten hin.

*

Arjan fixiert, was da auf ihn zukommt.

“Das muß eine von Luises neuen Feriengästen sein”, überlegt er. “Nicht übel.”

Er schätzt die hübsche Teenagerin auf vielleicht 17. Lange mittelblonde Haare und eine Bikinifigur zum Schwindeligwerden!

Sie trägt, wohl dem schönen Wetter geschuldet, nur ein neontürkisfarbenes Bikinitop, einen gleichfarbigen Wickelrock und ihre schlanken Füße stecken in bunten, schmalriemigen Sandalen. Ihren flachen Bauch verschönert ein goldene Hüftkette und um ihren rechten Knöchel ein Kettchen mit einem Seestern als Anhänger. Offensichtlich will die Hübsche gleich zum Strand.

Im Vorbeigehen sieht sie Arjan lächelnd an und betrachtet ihn genau …

“Hallo!”

“Moin!”

… ehe sie zu Luise Reimerson weitergeht, während Arjans Blicke ihr folgen.

“Guten Morgen, Frau Reimerson!”

Luise richtet sich auf …

“Oh, juten Morjen, Sandrine! Braucht Ihr ’was?”, sieht sie das Mädchen mit einem freundlichen Lächeln an.

“Ich glaube, ich habe eine Lampe im Bad kaputtgemacht. Können Sie mal nachsehen kommen?”, beißt sie sich, leicht errötend, mit verlegenem Blick auf die Unterlippe.

“Ach, das werd nech so schlimm sejn”, winkt Luise ab und sieht zu Arjan hin.

“Arjan, Jungchen, jeh doch mal mit Sandrine met und seh’ nach, was passiert is’. Viellejcht is’ nur ejne Birne kaputt. Dann tausch’ se bitte aus. Du wejßt ja, wo alles liecht”, reicht sie den Gästeservice einfach an ihn weiter. “Viellejcht hat das Jungchen dann in den Ferien endlich mal ‘was bessres zu tun, als nur bej mir den Rasen zu mähen. “Jeh zu ihm, Marjallchen! Arjan bejßt nech!”, deutet sie lächelnd auf ihn.

“Kannst Du mir dabei helfen?”, tritt Sandrine auf Arjan zu, der, irgendwie fasziniert von ihrem Anblick, den Rasenmäher noch nicht angeworfen hat − oder wollte er nur das Gespräch der beiden nicht übertönen und zuhören?

“Glühbirnen ’rein- und ’rauszudrehen ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen”, lächelt er und schaut zu Luise hin, ehe er mit Sandrine ins Gästehaus geht.

“Warum habe ich denn das gerade eben gesagt? ,Klar, ich helfe Dir gern’ hätte es doch auch getan”, wundert er sich über sich selbst.

*

“Bist Du alleine hier?”, fragt Arjan, als sie das Bad betreten, nachdem er den Sicherungskasten überprüft hat, wo alles in Ordnung war.

“Nein, mit meinen Eltern, aber sie sind schon mal vorgegangen, um sich bei der Strandkorbvermietung zu zeigen, sonst würde unser Korb vielleicht weitervergeben. Wir sind gestern angekommen.”

“Bei wem seid Ihr denn?”

“Hans-Wilhelm Tramsen.”

“Ach, Hans-Wilhelm macht so ’was nicht”, beruhigt Arjan sie und schaltet das Licht an. Eine der zwei Lampen am Waschbecken leuchtet tatsächlich nicht mehr.

“Moment, das haben wir gleich.”

Arjan entfernt die gelbgetönte Glaskugelabdeckung, schraubt die Glühbirne heraus, hält sie ans Ohr und schüttelt sie. Das typische Geräusch zeigt ihm an …

“Kaputt. Hat ihre Zeit gehabt, das gute Stück. Ich lauf mal eben ’rüber ins Haus und hole Ersatz. Wartest Du hier?”

“Gern”, lächelt Sandrine ihn an − und dabei bemerkt er, daß sie glänzend schöne blaue Augen hat. Kurz ist ihr Blick vereint, dann eilt Arjan hinaus.

“Das ist ja vielleicht ein Süßer!”, denkt Sandrine bei sich. “Und was für schöne Augen er hat.”

*

Regina Sollwitz läßt sich in der Klinik Oldenburg den Stationsarzt geben, der für ihren Sohn zuständig ist. Da ihre Kinder Heere und Swantje mithören wollen, drückt sie auf Lautsprecher.

“Schüle.”

“Guten Morgen, Herr Doktor. Hier ist Regina Sollwitz.”

“Guten Morgen, Frau Sollwitz.”

“Mein Sohn Marten liegt bei Ihnen, gestern am Blinddarm operiert, Wie geht es ihm?”

“Er hatte eine ruhige Nacht, laut Stationsschwester hat er mit Appetit gefrühstückt und gleich ist Visite. Kommen Sie doch heute nachmittag vorbei, dann können wir Ihnen mehr sagen. Seien Sie ganz beruhigt. Es geht ihm sehr gut. Übrigens, ich hörte, Sie seien examinierte Krankenschwester?”

“Ganz richtig. Ich habe auch bei Ihnen im Haus gearbeitet.”

“Na, dann können Sie sich gut Ihr eigenes Bild machen und die Nachversorgung zu Hause wird kein Problem sein. Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Der Oberarzt kommt gleich.

“Danke, Herr Doktor. Tschüß.”

Damit wird aufgelegt und die Sollwitzens atmen erleichtert auf. Als nächstes ruft Regina ihren Mann an. Die Nummer läuft durch …

“… Hallo, Arthur! Gute Nachrichten …”

*

“So, da bin ich wieder”, kommt Arjan zurück und beschreibt mit Worten, was nicht zu übersehen ist.

In der Hand hält er zwei Einzelpackungen mit neuem Leuchtmaterial. Eine legt er auf die Glasplatte oberhalb des Waschbeckens und aus der anderen nimmt er …

“Eine Sparlampe, Glühbirnen sind keine mehr da”, … und dreht sie hinein. Augenblicke später springt sie an und baut ihre Leuchtkraft auf.

“Kein so warmes Licht wie die gute alte Glühbirne, aber jetzt stößt Du Dir im Dunklen nicht den Kopf”, sieht er Sandrine lächelnd an und vergißt dabei ganz, daß die zweite Lampe noch funktioniert. Aber so “verkauft” er seine Hilfe etwas besser.

“Oh, Dankeschön, das ist sehr lieb von Dir”, sagt Sandrine mit einem süßen Lächeln. “Bist Du Frau Reimersons Enkel?”, möchte sie wissen.

“Nein, nur so eine Art Adoptiv-Urenkel. Luise ist ja schon 93.”

“Oh, so alt”, staunt Sandrine. “Etwa 80 habe ich gedacht, aber 93! Da hat sie sich richtig gut gehalten. Wo ist sie denn her? Ihre Aussprache klingt so lustig.”

“Luise stammt aus Ostpreußen, hat 1945 ihre Heimat verloren, aber glücklicherweise nicht ihr Leben und ihren Humor”, klärt er Sandrine auf.

“Ach daher”, versteht sie nun.

“Und Ihr seid zum ersten Mal hier?”

“Ja, die Eltern mochten Schickimicki-Sylt nicht mehr und hörten von dem Geheimtip hier … und da sind wir”, breitet Sandrine schmunzelnd ihre Arme aus.

Jetzt erst bemerkt Arjan ihre niedlichen Sommersprossen.

“Und Du”, fragt nun sie. “Wo bist Du her?”

“Ich bin von hier. Wohne gleich da drüben“, deutet er, als stünden sie vor dem Haus, “in Nummer eins. Ich bin Arjan Dokelsen”, stellt er sich nun vor.

“Und ich bin Sandrine La Dottrière aus Lübeck.”

“Freue mich, Dich kennenzulernen”, reicht er ihr die Hand, die sie ergreift − und beide zucken leicht, denn …

“Seid Ihr Franzosen?”

“Ja und nein. Papas Familie war es mal, vor über dreihundert Jahren. Wir sind Hugenotten, weißt Du.”

“Das erklärt den Namen. Apropos, dreihundert Jahre: Wie lange seid Ihr, äh, bist Du hier?”, möchte Arjan noch wissen, denn er muß endlich mit dem Rasenmähen beginnen, und auch Mareile will er nicht warten lassen.

“Herrliche drei Wochen”, strahlt Sandrine. “Hast Du auch Sommerferien?”

“Ja, seit heute.”

“Da könnten wir uns ja am Strand sehen, wenn Du magst?”, forscht Sandrine. “Oder hätte Deine Freundin ‘was dagegen?”

“Das könnten wir”, räumt Arjan die Möglichkeit ein. “Und ich habe keine Freundin”, gibt er zu.

“Dann müssen die Mädchen hier aber blöd und blind sein. So ’was läßt man doch nicht frei herumlaufen. Schwul wird er hoffentlich nicht sein. Hast Du heute schon ’was vor?”

“Jetzt muß ich noch Luise im Garten helfen, aber morgen vielleicht”, weicht Arjan erst einmal aus, um die Lage zu überdenken.

“Wie kann ich Dich denn erreichen?”

“Ach, komm einfach zu uns und klingle an der Haustür. Ich werde da sein oder meine Mutter weiß, wo ich zu finden bin. Aber jetzt muß ich los, sonst denkt Luise wer weiß was!”, beendet er das erste Treffen mit der hübschen Lübeckerin.