Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

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Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme
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Galileo Galilei, vor viereinhalb Jahrhunderten, am 15. Februar 1564 in Pisa geboren, studierte zunächst in Florenz Mathematik und lehrte anschließend an den Universitäten in Pisa und Padua. Schon in dieser Zeit stellte er als einer der ersten naturwissenschaftliche Experimente an, beobachtete mit Hilfe eines weiterentwickelten Fernrohrs den christlichen Himmel und wurde so berühmt. Er wirkte dadurch bahnbrechend auf den Gebieten der Mathematik, Mechanik, Hydraulik und Astronomie. 1610 ernannte ihn Cosimo II. von Medici zum Hofmathematiker in Florenz. Dort veröffentlichte er seine Forschungen, mit dem Ergebnis eines heliozentrischen Weltsystems, im Unterschied zum traditionellen geozentrischen mit der Erde im Mittelpunkt des Alls. Seine Schrift Dialogo wurde von der katholischen Kirche verboten, er selbst unter Hausarrest gestellt. Galilei starb 1642 im Alter von 77 Jahren in seiner Villa bei Florenz. Seine Lehre siegte.

Der Herausgeber

Heinz-Joachim Fischer, geb. 1944, Dr. phil und lic. theol., ist Journalist, Publizist und Schriftsteller. Seit 1978 Auslandskorrespondent in Rom, lange Jahre für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. In deren Auftrag begleitete er die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. auf ihren Reisen in alle Weltregionen und erlebte so die Globalisierung. Religion und Politik sind seine Lebensthemen. Für den marixverlag hat er bereits die Reihe der Bibliothek der verbotenen Bücher herausgegeben.

Der Übersetzer

Emil Strauss (1866–1960) war Romancier, Erzähler und Dramatiker. Er studierte Philosophie, Germanistik und Volkswirtschaftslehre in Freiburg im Breisgau, Lausanne und Berlin. Er brach sein Studium vorzeitig ab, um freier Schriftsteller zu werden.

Zum Buch

»Ich, Galileo Galilei, […] schwöre ab […] besagte Irrtümer und Ketzereien: nämlich, für wahr gehalten und geglaubt zu haben, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege.«

Galileo Galilei

Mit den obigen Worten endete ein Prozess vor der Inquisition der Römischen Kirche, und es beginnt, grob gesagt, ein Krieg, zuerst unmerklich, später anschwellend. Ein intellektueller, ideologischer Kampf zwischen der forschenden Naturwissenschaft und der katholischen Kirche. Eine heftige Fehde, die noch immer, am Anfang des 21. Jahrhunderts, die einen sich empören lässt und in Gegnerschaft zur Kirche treibt, die anderen zu beschämten Entschuldigungen bringt und sie moderne Aufgeschlossenheit beteuern lässt. Ist beides auch heute noch zeitgemäß?

»Das Leitmotiv von Galileos Schaffen sehe ich in dem leidenschaftlichen Kampf gegen jeglichen auf Autorität sich stützenden Glauben.«

Albert Einstein

Mit seinen provozierend neuen Weltansichten und Theorien bringt Galilei seinerzeit die katholische Kirche gegen sich auf. Gipfel des Konflikts ist seine Verurteilung wegen schwerer Ketzerei im Jahre 1633 samt der Indexierung seines Dialogs über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Die Schrift bringt die Macht der katholischen Kirche ins Wanken: Galilei verdeutlicht darin die drohenden Konsequenzen aus dem wachsenden Konflikt zwischen moderner Naturwissenschaft und dem das menschliche Denken eingrenzenden scholastischen Weltblid.

Galileo Galilei

Dialog über die beiden hauptsächlichsten

Weltsysteme


Galileo Galilei

Dialog über die beiden
hauptsächlichsten
Weltsysteme

Herausgegeben von Emil Strauss

Eingeleitet von Heinz-Joachim Fischer


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Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2014

Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2014

Der Text wurde behutsam revidiert nach der Ausgabe Leipzig 1891.

Covergestaltung: Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH

Hamburg Berlin

eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0438-7

www.marixverlag.de

INHALT

HINFÜHRUNG VON HEINZ-JOACHIM FISCHER

VORWORT VON EMIL STRAUSS

EINLEITUNG VON EMIL STRAUSS

DIALOG ÜBER DIE BEIDEN HAUPTSÄCHLICHSTEN WELTSYSTEME

Widmung

An den geneigten Leser

Erster Tag

Zweiter Tag

Dritter Tag

Vierter Tag

HANDSCHRIFTLICHE ZUSÄTZE GALILEIS ZU DEM EXEMPLAR DER PADUANISCHEN SEMINARBIBLIOTHEK

ANMERKUNGEN DES HERAUSGEBERS

NAMEN- UND SACHREGISTER

HINFÜHRUNG
ICH SCHWÖRE AB, VERFLUCHE UND VERWÜNSCHE

»Io Galileo, fig.lo del q. Vinc.o Galileo di Fiorenza, dell’età mia d’anni 70 … Ich, Galileo Galilei, Sohn des verstorbenen Vincenzio Galilei aus Florenz,

70 Jahre alt,

schwöre ab, verfluche und verwünsche

mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben

besagte Irrtümer und Ketzereien:

nämlich, für wahr gehalten und geglaubt zu haben,

dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich

und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege.«

(Übersetzung aus dem Italienischen von Emil Strauss, 1891)

So steht es in dem Dokument der Römischen Inquisition vom 22. Juni 1633 über das Ende des Prozesses gegen Galileo Galilei, der vor 450 Jahren, am 15. Februar 1564, in Pisa geboren wurde. Allerdings – um der Aussagekraft gemäß dem vorherrschenden Verständnis und der Kürze willen –, vom Autor dieser Hinführung redigiert, journalistisch zugespitzt. So erscheint es als Galileis bedingungsloser, erzwungener Widerruf des hier veröffentlichten Buches, »Dialogo sopra i due massimi sistemi«, »Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme« von 1630/32.

Ich war tief bewegt, damals, als ich die Originalakten des Prozesses gegen Galileo Galilei vor mir sah. Josef Metzler, der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs (von 1984 bis 1995, 2012 gestorben), ein freundlich-bescheidener Ordenspriester aus Hessen, als Wissenschaftler international hoch angesehen, hatte als Hausherr höchstpersönlich mich durch die langen, unterirdischen Korridore geführt, an teils vergitterten und abgeschlossenen Regalen vorbei. Da lagen sie, die Dokumente, die einen historischen Einschnitt bedeuten: das Unrecht gegen einen Großen der europäischen Naturwissenschaft und zugleich der Beweis für den gigantischen, schier unverzeihlichen Irrtum der Römischen Kirche.

DEMONSTRATIVE GEGNERSCHAFT –
BESCHÄMTE ENTSCHULDIGUNGEN

Mit den obigen Worten endete ein Prozess vor der Inquisition der Römischen Kirche und es beginnt, grob gesagt, ein Krieg, zuerst unmerklich, später anschwellend. Ein intellektueller, ideologischer Kampf zwischen der forschenden Naturwissenschaft und der katholischen Kirche. Eine heftige Fehde, die noch immer, am Anfang des 21. Jahrhunderts, die einen sich empören lässt und in Gegnerschaft zur Kirche treibt, die anderen zu beschämten Entschuldigungen bringt und sie moderne Aufgeschlossenheit beteuern lässt. Ist beides 450 Jahre nach Galileis Geburt noch zeitgemäß? Das eine wie das andere? Der Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit gegen die älteste Kultur-Institution der Welt? Die Beteuerung, so erst wieder im Juni 2013 durch den neuen Papst Franziskus in seiner ersten Enzyklika, »Lumen Fidei. Das Licht des Glaubens«, (zusammen mit Benedikt XVI.). Die hochheilige Versicherung, dass Glauben und Forschen sich nicht widersprächen? Glaubwürdig »nach Galilei«?

 

Galilei hat mich fasziniert. Und ich bin ihm oft begegnet. Als römischer Zeitungskorrespondent, zuständig für Italien und den Vatikan, fand ich häufig seine Spuren. In Pisa, seinem Geburtsort mit der Elite-Hochschule, dem Schiefen Turm, auf dem die Fallgesetze sofort einleuchten, und dem pendelnden Leuchter im Dom. Im Schiffs-Arsenal von Venedig, wo man damals neue Techniken zur Verbesserung der Navigation dringend brauchen konnte. In der Universität von Padua, wo er recht und schlecht die besten Jahre seines Lebens, zwischen 36 und 54, als Mathematiklehrer verbrachte und auf den wissenschaftlichen Durchbruch hinarbeitete. Und schließlich in Florenz, wo er seit 1610 das wohl dotierte Amt eines Hof-Mathematikers der herrschenden Medici ausübt; wo seine letzte Villa im Vorort Arcetri steht; wo schließlich in der erhabenen Groß-Kirche von Santa Croce ein prachtvolles Grabmal von seinem unbestrittenen Ruhm kündet. Überall in Italien gilt er als säkularer Nationalheiliger, einer der großen Weltberühmten, der dem Land zur Ehre gereicht, ungeachtet kirchlicher Belange.

DOMINIKANER UND JESUITEN

Und natürlich stieß ich in Rom auf ihn. Da tritt der dramatische Moment noch näher, im Dominikanerkloster Santa Maria sopra Minerva neben der gleichnamigen Kirche in der Nähe des Pantheons. Hier war es – mit Schaudern lernte ich es –, dass Galilei auf den Knien seiner Überzeugung abschwören musste. Das Buch verleugnen, das er nach unzähligen Experimenten mit heißem Herzblut geschrieben hatte, damit eine neue Methode in der Physik begründend: »Dialogo sopra i due massimi sistemi. Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das Ptolemäische und Kopernikanische.« Dort im Kloster suchte der Dominikaner-Pater Ambrosius Eßer (1932–2010), Kirchenhistoriker und lange Jahre General-Relator für die vatikanischen Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Angehöriger jenes Ordens, der besonders eifrig die Inquisition betrieben hatte, mir den »Fall Galilei« mit den Zeitumständen und als Priester mit dem schwierigen Charakter Galileis zu erklären. Was alles zutrifft, doch den kirchlichen Grundirrtum nicht mindert.

Anders die Jesuiten, mit denen ich zu tun hatte. Ihre »Gesellschaft Jesu« war als Gemeinschaft von Ordenspriestern eine Generation vor Galilei, 1534, gegründet worden und schnell zur intellektuellen Avantgarde der Römischen Kirche aufgestiegen. Sie waren maßgeblich an den Prozessen gegen Galilei beteiligt, doch wussten es schon damals besser – dazu später mehr – und nahmen sich nun des Problems auf ihre, auf elegante Weise an. Sie ließen im »Germanicum«, dem Päpstlichen Kolleg für Theologiestudenten aus Mitteleuropa, im Dezember 1969 Bertolt Brechts »Leben des Galilei« aufführen; ich sah als Student den Wissenschaftshelden und die taumelnden Kirchendiener mit Staunen. Die Revision in der Kirche schritt nach dem Konzil (1962–1965) voran. Und so musste ich einige Jahre später als Vatikan-Korrespondent immer wieder über die Bemühungen der Römischen Kirche berichten, von Galilei und seinem Fluch loszukommen.

KLUGES NACHGEBEN – PÄPSTLICHER HOCHMUT

»Ich, Galileo Galilei schwöre ab, verfluche und verwünsche …« Dieser Widerruf steht auch am Anfang seines Weltruhms. Gleichgültig, ob er danach noch den nicht weniger bekannten Spruch gemurmelt oder sich nur gedacht hat, »Eppur si muove – Und sie bewegt sich doch!« Die Erde nämlich. Im Unterschied zur Sonne. Als ob er den beamteten Glaubenswächtern in Rom zum Trotz bedeuten wollte: »Ihr werdet schon sehen, wohin ihr kommt! Und ich bin euch mit dem Nachgeben des Klügeren für meine letzten Lebensjahre los. Denn ich muss noch so viel forschen.«

Darf man sich deshalb den knapp siebzigjährigen Galileo Galilei beim Verlassen des Inquisitionsklosters im Angesicht des Pantheon, bei der Abreise aus Rom als zufriedenen Mann vorstellen? Er hätte es, finde ich, zu Recht sein können. Darauf deutet auch ein bekanntes Porträt von 1636, drei Jahre später. Es stammt von keinem Geringeren als dem Flamen Justus Sustermans (1597–1681), dem Hofmaler der Medici, der Großherzöge der Toskana, einem der Besten seiner Zunft: Ein nun 72 Jahre alter Lebensweiser blickt uns aus wachen Augen an, kein geduckt Verfemter, sondern ein Sicherer, gewiss nicht ohne Alterskummer, doch mit sich im Reinen.

Papst Urban VIII. (1568, 1623–1644) im Vatikan, die Kardinäle in ihren neuen römischen Barockpalästen und die Inquisitoren im Kloster wären demnach zu Unrecht befriedigt gewesen. Ihr Irrtum, ihre versuchte Unterdrückung der Wahrheit sollte fürchterlich auf die Kirche zurückschlagen. Verraten dies nicht zwei Porträts des verantwortlichen Papstes, des Maffeo Barberini? Eines von Caravaggio, eines von Gianlorenzo Bernini. Ein hochintelligenter, ehrgeiziger Mann blickt an uns vorbei, hochmütig, sich stets überlegen dünkend, seiner Sache, selbst der theologischen, zu sicher; selbstzufrieden lässt er die Kirche auf ein Riff laufen.

FREIHEITSSTATUE DER MENSCHHEIT

So ist Galileo Galilei nicht als Philosoph oder Mathematiker, nicht als Physiker oder Astronom die leuchtende Symbolfigur des forschenden menschlichen Geistes geworden. Da steht er nur in einer Reihe mit anderen Bedeutenden. Der Fortschritt der Wissenschaft, so bemerkt Albert Einstein 1952 lakonisch, wäre »mit oder ohne Galileo« gekommen. Denn nicht nach ihm wird die »Kopernikanische Wende« vom geo- zum heliozentrischen Weltbild benannt, sondern nach einem Domherrn aus dem nördlichen Fürstbistum Ermland in Preußen, Nikolaus Kopernikus, der 100 Jahre vor ihm (1473–1543) lebte und als gläubiger Christ, im Frieden mit der Kirche, starb. Galilei ist auch nicht als politisch Verfolgter, als heldenhafter Widerstandskämpfer gegen die Obrigkeit in die Geschichte eingegangen; dafür gibt es in alten wie in neuen Zeiten zu viele, und ihm fehlt das Märtyrertum. Er taugt nicht einmal recht als Mahnmal, zu dem man ihn im 20. Jahrhundert, im Zeitalter der Atombombe, hat stilisieren wollen: gegen die Entfesselung von Wissenschaft und Technik gegen den Menschen.

Nein, Galileo Galilei ist die Freiheitsstatue der Menschheit gegen Kirche und Religion, gegen deren falsche Ansprüche. Was der Italiener als experimentierender Physiker, als beobachtender Astronom jahrelang gegen die Römische Inquisition durchfocht und mit seinem Widerruf nur scheinbar beendete, gereicht ihm zur unsterblichen Ehre, den geistlichen Herren einer jeden Religion zu unvergesslicher Schande und fortdauernder Mahnung.

Aber zur Ikone der wissenschaftlichen Freiheit gegen die Macht der Religiösen und Ideologen wurde er, wenn wir richtig urteilen, erst spät, viel später, im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, besonders im deutschen Sprachraum und im geistespolitischen Betrieb Italiens. Just zu jener Zeit, als es besonders im Deutschen Kaiser- und im italienischen Königreich, aber auch in Frankreich zu heftigen Spannungen zwischen Kirche und Staat, zwischen den Autoritäten des römisch-katholischen Glaubens und denen der Wissenschaften kam. Just zu jener Zeit, als die Franzosen aus der Alten Welt in die Neue nach New York die – symbolhaft hochpolitische – Freiheitsstatue schickten und die Amerikaner sie dort im Oktober 1886 einweihten. Als man im Hochgefühl des neuen Fortschrittsglaubens den alten christlichen Glauben ins Endlager der Geschichte entsorgen wollte und 1889 in Rom, dem Papst zu Trotz und zur Herausforderung, ein Denkmal für Giordano Bruno errichtete, einen Zeitgenossen Galileis, den, wie man seinen Schriften entnimmt, bösesten Schmäher des Juden Jesus und des Christentums. Diese – was zu zeigen sein wird – neue Erkenntnis, diese neue Sicht auf den »Fall« und »Skandal Galilei« fordert geradezu eine eingehende Beschäftigung mit dem »Dialog« und dem Widerruf.

KONKURRENZKAMPF UM MEINUNGSMACHT

Denn die Erhöhung Galileis zur mythischen, anti-kirchlichen Gestalt seitdem geschah nicht von selbst. Sie wird – das ist höchst spannend nachzuverfolgen – gefördert von einem höchst legitimen liberalen Zeitgeist und den daran Interessierten einerseits und der konträren Ausrichtung der römischen Kirchenführung mit den Päpsten an der Spitze andererseits. Es ist ein dramatischer Konkurrenzkampf um Meinungsmacht in Europa, um geistige Hegemonie in der Gesellschaft, Deutungshoheit für das Vergangene und Befugnisse für die Zukunft. So geht es dabei weniger um Parteinahme als vielmehr um die Beschreibung einer Mythologisierung. Ent-Mythologisierung, wenn gewünscht, kann dann nur aus dem Willen zur Aufklärung einsetzen.

Ein hessischer Mathematiker, Emil Strauss (1859–1892), Lehrer an der »Israelitischen Realschule Philanthropin« zu Frankfurt am Main, übersetzt gerade in jenen Jahren Galileis geistespolitisches Hauptwerk, »Dialogo sopra i due massimi sistemi« zum ersten Mal (!) ins Deutsche und veröffentlicht es als »Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das Ptolemäische und Kopernikanische« 1891 in Leipzig. In den 90 Jahren danach (bis 1982) erschienen nach einer Zählung des englischen Übersetzers, Stillman Drake, rund 3.000 Bücher und Artikel zu Galilei. Das geschah wohl kaum wegen neuer astronomischer Erkenntnisse, sondern wegen des Groß-Konflikts kontroverser Geistesmächte über Galilei hinaus. »Keine andere Übersetzung des Dialogs hat größeren Einfluss auf die Wissenschaftsgeschichte«, so Drake.

Dem deutschen Eifer war im liberalen, antiklerikalen Italien eine innere Vergangenheitsbewältigung vorausgegangen. Ein Gelehrter aus Padua, Antonio Favaro (1847–1922), nahm sich geistesgeschichtlich – aus Lokalpatriotismus, weil an der dortigen Universität Kopernikus (zwei Jahre lang Medizin) studiert und Galilei (18 Jahre lang Mathematik) gelehrt hatte – des »Falles Galilei« an; seit 1878 mit Dutzenden von Veröffentlichungen, vor allem dann als »Direktor der National-Edition der Werke Galileo Galileis«. Papst Leo XIII. (1878–1903) gab die außergewöhnliche Erlaubnis zur Öffnung der Geheimarchive mit Galileischen Prozessakten; in der Hoffnung, den Streit zwischen Glauben und Forschung gütlich, weil in diesem Punkt nicht so erheblich, beilegen zu können. Ein Irrtum!

IN SO EKLATANTER WEISE VERKEHRT

Denn in seiner Einleitung bemerkt Strauss, weit mehr in die Zukunft als in die Vergangenheit blickend: »Von Seiten der katholischen Kirche ist vielleicht manche grausamere und schädlichere Maßregel getroffen worden als das Verbot der kopernikanischen Lehre; keine jedoch, die in so eklatanter Weise als verkehrt von den Gegnern der Kirche nachgewiesen werden kann, keine, deren Unrichtigkeit von ihr selbst so ohne Weiteres zugegeben werden muss und zugegeben wird.« Dieser »Dialog«, der hier nun neu vorgelegt wird, war eben jenes Werk, das Galilei verleugnen musste und zu dem es in der Abschwörung vor der Inquisition von 1633 heißt (Übersetzung von Emil Strauss, 1891):

»Da ich aber ein Buch geschrieben und in Druck gegeben, in welchem ich die nämliche bereits verdammte Lehre erörtere und mit vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe anführe, ohne eine Widerlegung derselben beizufügen, und da ich mich dadurch diesem heiligen Officium der Ketzerei stark verdächtig gemacht habe, schwöre ich, dass ich in Zukunft niemals mehr etwas sagen oder mündlich oder schriftlich behaupten will, woraus man einen ähnlichen Verdacht gegen mich schöpfen könnte.

Ich, besagter Galileo Galilei, habe abgeschworen, geschworen und versprochen und mich verpflichtet wie vorstehend, und zur Beglaubigung habe ich diese Urkunde meiner Abschwörung, die ich Wort für Wort verlesen, eigenhändig unterschrieben.

Rom im Kloster der Minerva am 22. Juni 1633.

Ich, Galileo Galilei, habe abgeschworen wie vorstehend, mit eigener Hand.«

Die Sonne ging auch an jenen Tagen auf und unter, wie alle Menschen sagen. Aber die Erde bewegte sich. Und Galileo Galilei kehrte in seine toskanische Heimat zurück und konnte sein naturwissenschaftliches Hauptwerk, die »Discorsi e dimostrazioni matematiche«, nach geduldigen Forschungen, trotz eines Augenleidens bis zur Blindheit, vollenden und 1638 im holländischen Leiden veröffentlichen lassen. Der Hausarrest in Florenz, zu dem er verurteilt war, sei eher komfortabel ausgefallen, besagen Quellen. Aber darum geht es nicht.