Waffen für Teheran

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Waffen für Teheran
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Gaan Eisenburger:

Waffen für Teheran

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover: Isabella Starowicz

Dieses Buch erzählt Ereignisse, die sich tatsächlich zugetragen haben. Zum Schutz der Privatsphäre daran beteiligter Personen wurden Namen, geografische Begriffe und teilweise auch zeitliche Abläufe und andere Details geändert.

ISBN gedruckte Ausgabe 978-3-99001-499-8

ISBN E-Book 978-3-99001-500-1

E-Book-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

»Ein Gegenstand ist weder gut noch böse. Gut und böse ist der Gebrauch, den der Mensch davon macht.«

– Edward Teller, Vater der Wasserstoffbombe

IRAN, TEHERAN, GEFÄNGNIS EVIN, NOVEMBER 1986

Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als sie den Raum betreten, um mich zu holen.

Ich muss kurz eingeschlafen sein, vielleicht bin ich auch ohnmächtig geworden. Der Unterschied ist nur noch schwer auszumachen.

Stundenlang haben sie mir immer dieselben Fragen gestellt. Spionierte ich für Israel? Lieferte ich Informationen in den Irak? Hatte ich die ehrwürdigen Mullahs und Ajatollahs, die neuen Herren des Iran, bei dem Waffendeal betrogen? Meine Antworten waren ihnen egal.

Irgendwann stellten meine Augen, mein Mund, mein ganzer Kopf den Betrieb ein. Ich weiß nicht, ob für Stunden, Minuten oder nur Sekunden. Dann riss mich das laute Getrampel von Militärstiefeln aus der Dunkelheit.

Ich bin noch immer im selben schlecht beleuchteten, staubigen Raum. Ich liege über einen alten Holztisch gebeugt, unter mir eine grüne Linolplatte. Eine Schreibtischlampe blendet mich. Vor mir sitzt noch immer der Mann, der mich so unermüdlich verhört hat. Er trägt die Uniform der Pasdaran, der iranischen Revolutionsgarde, die hauptverantwortlich für den Sturz des Schahs und für das neue islamische Regime im Iran ist. Er ist sehr schlank, noch keine vierzig, sein Gesicht ist spitz, wie ein Raubvogel. Er wirkt intelligent. Wenn wir uns unter anderen Umständen kennengelernt hätten, wäre er mir vielleicht sympathisch gewesen.

Hinter ihm stehen vier Soldaten.

Es ist der 7. November 1986. Ich bin Gefangener der iranischen Revolutionstruppen, die mir vorwerfen, Spion und Betrüger zu sein. Menschen, das weiß ich, sind in diesem Land schon für weniger erschossen worden.

»Wo ist der Dolmetscher?«, frage ich. Dass der einzige Mann, der meine Sprache fließend spricht, verschwunden ist, kann nur eines bedeuten. Sie sind nicht mehr interessiert daran, mit mir zu sprechen.

Die Soldaten sagen etwas auf Farsi, zu schnell, als dass ich es verstehen könnte. Mir werden die Augen mit einem dreckigen Fetzen verbunden, dann werde ich hochgerissen. Meine Handgelenke werden aneinandergebunden. So werde ich aus dem Raum geführt. Blind und unsicher, geschwächt von den letzten Tagen, wanke ich durch den Gang. An meinen Ellbogen die eisernen Griffe von Männern, die zu allem bereit sind.

Was werden sie mit mir machen? Bringen sie mich in eine Zelle? Zu einem neuen Verhör? Haben sie vielleicht erkannt, dass sie den Falschen haben, dass ich mit all dem nichts zu tun habe, und bringen sie mich wieder zurück in mein Hotel?

Hoffnung sucht sich die kleinsten Schlupflöcher. Aber ich hätte es besser wissen müssen. Ich bin in Evin, dem berüchtigtsten Gefängnis des Irans. In Trakten, die für fünfzig Leute bestimmt sind, zwängen sich nach der Revolution mehrere Hundert zusammen. Es ist kein Ort für Hoffnung.

Keiner der Soldaten spricht. Nach Stunden des Fragens und Antwortens hat die Stille etwas Absolutes, Endgültiges.

Ich spüre den kalten Luftzug des iranischen Morgens. Ich kann die langsam weichende Dunkelheit und den kühlen Sand beinahe riechen. Sie haben mich nach draußen gebracht, vermutlich in den Gefängnishof.

Werde ich meine Kinder jemals wiedersehen? Werde ich meine Frau einmal noch umarmen können? Werde ich dieses Land überhaupt jemals wieder verlassen? Oder werde ich in irgendeinem Loch enden, wie so viele angebliche Spione, Betrüger, Ungläubige und Regimekritiker? Der Iran im Jahr 1986 ist kein guter Ort, um aufzufallen.

Wir bleiben stehen, ich werde abrupt herumgedreht und unsanft gegen etwas Hartes gestoßen. Eine Wand. Ich spüre kalten Lehm auf meinem Hinterkopf. Ich würde mich gerne kratzen, aber meine Hände sind noch immer gefesselt.

Ich höre Schritte und ein Knirschen, als die schweren Stiefel der Soldaten sich zu mir drehen und zum Stehen kommen. Sie graben sich in den Sand, suchen Halt, eine feste Position.

Wie hatte es soweit kommen können? Wie konnte ich hier, in Evin, dem letzten Ort der mir bekannten Welt, enden? Wo hatte das alles begonnen? Als ich mich entschloss, den Frieden meines Hofes gegen das internationale Waffengeschäft zu tauschen? Als wir in Jordanien den ersten großen österreichischen Waffendeal seit dem Zweiten Weltkrieg abwickelten? Oder als die Jordanier dann entschieden, mit genau diesen Waffen den Irak in seinem blutigen Krieg gegen den Iran zu unterstützen? Irgendwo dazwischen, aber das spielt wohl jetzt keine Rolle mehr.

Jemand schreit auf Farsi. Das Repetieren der Maschinenpistolen ist so gut zu hören, dass ich sie trotz verbundenen Augen vor mir sehe. Die Mündungen sind auf mich gerichtet.

Eine seltsame Stille breitet sich in mir aus. Keine Angst, keine Furcht, nur Leere und die Sehnsucht, noch einmal meine Familie zu sehen. Kurz habe ich den Eindruck, ich müsste nur die Hand ausstrecken und ich könnte sie berühren. Doch dieser Moment geht so schnell vorüber, wie er gekommen ist. Dann bin ich wieder allein, mein Herz schlägt unglaublich schnell und Verwunderung überkommt mich. Seltsam.

Werde ich jetzt sterben?

FÜNF JAHRE ZUVOR
DAS GESCHÄFT

»Ich weiß schon, meine Damen und Herren, das ist alles sehr kompliziert…«

– Fred Sinowatz, Bundeskanzler, bei seinem Amtsantritt

JORDANIEN, ANFANG 1981

Der Kanadier Gerald Bull entwickelte 1975 in Kanada seine Kanone GC-45, nachdem er bereits für die Amerikaner an einer »Weltraumkanone« gearbeitet hatte, die Satelliten in den Orbit schießen sollte. Das Besondere an der GC-45 war ihre unglaubliche Schussdistanz von mehr als 40 Kilometern. Bull galt als genialer Techniker auf dem Gebiet der Rüstungsindustrie. Keine andere Kanone dieser Zeit konnte diese Distanz erreichen.

In Österreich gibt es keinen Umkreis von vierzig Kilometern, der frei von Städten und Dörfern ist. Man muss schon in die jordanische Wüste fahren, um eine GHN-45 (Gun Howitzer Noricum), die von der österreichischen Firma Noricum modifizierte Version der GC-45, ausprobieren zu können.

Und das war genau, was wir taten.

In dem menschenleeren Gebiet führten wir unser hauseigenes Produkt, die weiterentwickelte GHN-45 Gun Howitzer Noricum, einem interessierten Publikum vor. Und interessiert waren so einige.

In der Wüstenlandschaft, eingeschlossen von Irak und Saudi-Arabien, war jede Explosion meilenweit zu sehen und wir konnten gefahrlos testen.

Beim Abfeuern trieb eine Druckwelle durch den Sand und ließ die wenigen Büsche und Pflanzen erzittern. Das Projektil schoss beinahe lautlos durch die flimmernde Luft nach oben. Dann bildete sich irgendwo in weiter Ferne eine Staubwolke. Das Loch, das durch den Einschlag entstanden war, konnten wir von unserer Position aus bloß erahnen.

Die jordanischen Militärs hatten in vierzig Kilometer Entfernung ein Viereck abgesteckt. Darin stand ein leeres Ölfass. Das war das Ziel.

Ein einzelnes Ölfass in einer genau abgesteckten Zone zu treffen, aus vierzig Kilometer Entfernung, ist so gut wie unmöglich. Das Projektil ist während seines Flugs einigen Einflüssen ausgesetzt, vor allem Wind. Die markierte Stelle sollte dabei helfen, zu bestimmen, wie nahe das Projektil seinem Ziel kommen konnte.

Die Militärs und wir warfen einen Blick auf die Einschlagsstelle. Wo war das Ölfass gewesen? Nach einem Moment wurde uns klar, dass es genau dort gestanden hatte, wo jetzt ein Krater klaffte. Unsere Kanone hatte das Fass genau getroffen. Die Wahrscheinlichkeit dafür war vermutlich so groß wie ein Hole-in-One beim Golf.

Die jordanischen Offiziere wussten genau wie wir, dass es sich dabei um einen unglaublich glücklichen Zufall handelte. Aber das machte es nicht weniger beeindruckend. Und es konnte als gutes Omen aufgefasst werden. Also klopften die Offiziere meinem Kollegen Ellmer und mir auf die Schulter. Es war ein überaus beeindruckender Test.

Auch die Gäste des jordanischen Königs aus Thailand, dem Irak und Saudi-Arabien verfolgten die Demonstration gespannt. Für Ellmer und mich war es die Stunde der Wahrheit. Erst hier, mitten in der jordanischen Wüste, mit allen Verträgen fertig ausgearbeitet, würden wir herausfinden, ob die HN-45 hielt, was wir unseren Kunden versprachen. Und das tat sie.

Unsere belgischen Kollegen, sonst professionell und reserviert, wirkten ebenfalls erleichtert. Auch für sie ging es um viel Geld, denn der Deal war, dass die belgische PRB (Poudreries Réunies de Belgique), eine der ältesten Waffenfabrikanten des Landes, die Munition und wir die Kanonen lieferten. Das eine war ohne das andere nutzlos.

»Zufrieden?«, fragte ich den tscherkessischen Offizier, der die Verhandlungen für die jordanische Seite führte.

 

Er legte Wert darauf, als Tscherkesse erkannt zu werden. Tscherkessen waren eine Volksgruppe, die in Russland siedelten, allerdings während des Kaukasuskrieges in den Nahen Osten vertrieben wurden, etwa nach Jordanien. Viele von ihnen fand man im Militär.

Der Offizier nickte. Mein Kollege Ellmer und ich konnten aufatmen. Damit stand dem ersten großen Deal der Noricum nichts mehr im Weg.

Wir waren erst seit etwa einem Jahr im Wehrgeschäft. Das war eine verdammt kurze Zeit. Statistiken zufolge lagen zwischen den ersten konkreten Kontakten von Verkäufer und Käufer und dem tatsächlichen Verkauf durchschnittlich fünf Jahre. Waffen sind ein heikles Gut. Viel muss bedacht werden. Wie funktionieren sie? Wie werden sie geliefert und gewartet? Vor allem aber: Wo und wie dürfen sie überhaupt verwendet werden?

Besonders für eine österreichische Firma bedeutete der Handel mit Waffen ein großes Risiko. Und wir waren nicht irgendeine Firma. Die Noricum war ein Tochterunternehmen der VÖEST, das seit Jahrzehnten als Paradebeispiel der verstaatlichten Industrie galt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Nationalsozialismus und dem Neutralitätsgesetz produzierte der Staat Österreich wieder großkalibrige Waffen. Alles, was mit Militär zu tun hatte, war durch Österreichs Vergangenheit vorbelastet. In den Medien hätte es einen großen Aufschrei gegeben.

»Das lief gut«, sagte Ellmer leise zu mir, als wir in die Jeeps der Jordanier stiegen, die uns zurück Richtung Hauptstadt Amman brachten. »Ich glaube, sie sind beeindruckt.«

Ellmer und ich hatten in den letzten Monaten viel Zeit damit verbracht, diese Vorführung zu organisieren.

»Mein Rücken schmerzt noch immer«, beklagte ich mich auf der Rückfahrt über holprige Straßen. »Das mit der Economy-Class ist kein Zustand.«

Die Belgier schickten stets eine Delegation gut gekleideter Männer, die First Class flogen und den Champagner auf die Spesenrechnung setzten.

Die VÖEST verfolgte eine etwas andere Politik.

Ellmer war ein alter VÖESTler, wie er im Buche steht. Er war ein begnadeter Techniker, sorgfältig und genau. Seine Management-Fähigkeiten waren allerdings bescheiden, genauso wie seine Englischkenntnisse. Er hörte lieber zu, das Reden überließ er mir. Wir waren mit der Zeit ein ausgezeichnetes Team geworden. Er war für die Technik zuständig, ich für das Geschäft.

»Ich fand den Flug nicht schlimm«, sagte er nur.

»Die Belgier fliegen First Class. Jeder in diesem Geschäft fliegt First Class«, fügte ich hinzu. »Wir sind die einzigen Leute in der ganzen internationalen Wehrindustrie, die zu einem Milliardengeschäft in der Economy Class fliegen, neben schreienden Kindern und betenden Männern.«

»Die VÖEST gibt eben nicht unnötig Geld aus«, sagte er und zuckte mit den Schultern.

Es war sinnlos, mit ihm darüber zu diskutieren. Genau wie die anderen bei der VÖEST verstand er nicht, dass eine Maschine technisch perfekt sein konnte, aber wenn das Auftreten der Verkäufer nicht stimmte, blieb sie am Ende des Tages übrig. Im Verkauf ist technische Qualität ein wichtiger Teil, aber vor allem geht es um Vertrauen. Und es ist nicht besonders vertrauenserweckend, wenn wir die beste Kanone verkaufen wollen, die es auf dem Markt gibt, und dafür in der Economy Class anreisen.

Aber so lief das bei uns. Wenn wir mit einer Delegation österreichischer Politiker irgendwohin flogen, um über Geschäftsbeziehungen zwischen Österreich und dem Ausland zu verhandeln, flogen die Politiker und ihre Beamtenschaft in der Ersten Klasse. Die Generaldirektoren der Verstaatlichten, die den Trip bezahlten, durften es sich in der Zweiten Klasse bequem machen.

Einige Kilometer außerhalb der Hauptstadt fuhren unsere Wägen in eine Militärbasis. Wir wurden in einen spartanischen Raum gebracht, in dem wir die Verträge unterzeichneten. Zuletzt wurde das Endnutzer-Zertifikat unterschrieben. Dieses Dokument war besonders wichtig. Darin versicherte der jordanische Staat, die Kanonen zum Eigengebrauch zu erwerben. Wenn sie sich entschließen sollten, die Kanonen an irgendwelche zwielichtigen Unruhestifter weiterzugeben, dann war das nicht mehr unser Problem. Das dachten wir damals zumindest.

Überreicht wurde uns das unterschriebene Endnutzer-Zertifikat vom Bruder des jordanischen Königs Hussein I., der eine wichtige Rolle während des Nahostkonflikts zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten um Palästina gespielt hatte und dafür in der westlichen Welt großes Ansehen genoss. Die Übergabe hatte beinahe einen feierlichen Rahmen, so gut das in der Militärbasis eben möglich war.

Nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen, die sich bereits über Wochen erstreckt hatten, wurden wir in unser Hotel gebracht. Auf dem Weg dorthin schlängelte sich unser Wagen durch das hektische Treiben einer arabischen Großstadt. Händler versuchten sich gegenseitig lautstark mit Angeboten zu übertreffen und Kinder flitzten durch enge Seitengassen.

Endlich kamen wir im Hotel an. Das Haus gehörte zu einer europäischen Hotelkette. Ein großer Luster hing in der Eingangshalle, die Rezeption war holzvertäfelt, Arabesken und Ornamente schlängelten sich die Wände empor.

Beim Aussteigen schüttelte uns der tscherkessische Offizier, der die Verhandlungen mit uns geführt hatte, heftig die Hände. »Ihr zwei«, sagte er, »seid zur Feier unserer abgeschlossenen Geschäfte meine Gäste. Heute tscherkessische Tänze in der großen Festhalle von Amman!«

Es war unmöglich, ihm diesen Wunsch abzuschlagen, und er hatte schließlich recht. Erfolgreiche Geschäfte mussten gefeiert werden.

So fanden Ellmer, der Offizier und ich uns wenige Stunden später, umgezogen und aufpoliert, in einer Loge der nationalen Festhalle wieder. Die Lichter waren gedimmt, das Publikum brachte mit der Garderobe einen Hauch von Europa in die jordanische Hauptstadt. Doch bei den ersten Klängen wurde uns klar, wie weit entfernt wir der Heimat waren. Der schnelle Takt der Trommeln und die rhythmischen Klänge eines Instruments, das wie ein Akkordeon klang, trugen meine Gedanken fort. Ein Paar kam auf die Bühne, festlich gekleidet. Sie tanzten, wie uns der Offizier verriet, eine Lesginka, den traditionellen Tanz der Tscherkessen.

Während meine Augen den raschen Bewegungen der Tänzer folgten, erinnerte ich mich daran, wie seltsam es war, dass ich heute hier saß und einem jordanischen Offizier eine Kanone für über zwei Milliarden Schilling (umgerechnet heute etwa 77 Millionen €) verkaufte, ohne dass irgendjemand zu Hause davon wissen durfte.

Wer mit Waffen handelt, betreibt kein normales Geschäft.

***

Zu Beginn unserer Verhandlungen mit Jordanien wurde ich von einem möglichen Kontaktmann in Genf zum Essen eingeladen. Wir saßen in einer wunderschönen Altbauwohnung mitten in der Genfer Innenstadt, geschmackvoll eingerichtet, und es wurde auf höchstem Niveau gekocht. Das ganze Essen lang sprachen wir über Alltägliches, über Bekanntschaften, Urlaubsziele und unsere Familien. Dann wechselten wir in seinen Salon, ließen uns in tiefe Ledersofas sinken und es wurde Kaffee und Cognac serviert. Endlich kamen wir zum Geschäftlichen.

Der Mann sagte: »Ich möchte bei Jordanien mitverdienen. Gib mir zwei Prozent, oder ich ruiniere euer Geschäft.«

»Da redest du mit dem Falschen«, antwortete ich. »Ich kann nicht bestimmen, wer wie viel bekommt. Ich bin bei der Noricum nur angestellt.«

Der Mann legte die Beine übereinander, die Cordhose ohne eine einzige Falte. Den Doppelreiher hatte er das ganze Essen über anbehalten. Er nahm einen Schluck vom Cognac. »Ich möchte bei Jordanien mitverdienen«, wiederholte er. »Und wenn das nicht funktioniert, dann wirst du dein Leben verlieren.«

Bevor mir eine Antwort einfallen konnte, hatten wir ausgetrunken. Höflich reichte er mir seine Hand, lächelte und bedankte sich für mein Kommen.

So lief das Geschäft. Wer hier mitspielt ist höflich, wohlerzogen, gut gekleidet. Diese vornehmen Herren würden sich natürlich nie selbst die Hände schmutzig machen. Aber unter Umständen konnte einem, wenn man sich mit den falschen Leuten abgab, etwas Unvorhergesehenes zustoßen.

Das musste Gerald Bull, der mit seiner Erfindung der GC-45 in gewisser Weise verantwortlich für meine Geschäfte war, am eigenen Leib erfahren.

Viele Jahre später, am 21. März 1990, hatte ich die Gelegenheit, mich mit ihm in seinem Brüsseler Appartement zu treffen. Damals war er bereits 62 Jahre alt, wohlgenährt, mit einem festen Gesicht und kleinen, stechenden Augen. Zu dieser Zeit arbeitete er gerade am »Projekt Babylon«, in dem es um Superkanonen für den irakischen Machthaber Saddam Hussein ging. Diese Kanonen, so berichteten Medien, hätten noch weitere Distanzen erreichen können als bisher und eine Bedrohung für Israel dargestellt.

Bull und ich saßen lange zusammen, tranken gemeinsam, lachten und tauschten Geschichten über unser Geschäftsleben aus. Er genoss es, von meinen skurrilen Erlebnissen zu hören und amüsierte sich auch über die ein oder andere Blödheit. Es war ein angenehmer Abend. Ich ging spät.

Am nächsten Tag wurde Gerald Bull mit fünf Schüssen in Kopf und Rücken vor seinem Appartement getötet. Bis heute ist seine Ermordung nicht gänzlich aufgeklärt, aber man nimmt an, dass der Mossad, der israelische Geheimdienst, dahinter steckte. Man war in Israel jedenfalls nicht glücklich über die Aussicht, dass im Irak an »Superkanonen« gebaut wurde.

Wie ich sagte: So läuft das Geschäft.

ÖSTERREICH, DIE SPÄTEN 1970ER

»Wählen Sie das moderne Österreich.«

Das war der Wahlspruch der SPÖ in der Nationalratswahl 1970. Angeführt von Bruno Kreisky erhielt sie 48,5 Prozent der Stimmen.

Es begann eine Zeit, die Österreich den Beinamen »Insel der Seligen« einbringen sollte. Der Austro-Keynesianismus, die vorgegebene Wirtschaftsform, ordnete der Vollbeschäftigung alles unter. Glückliche Arbeiter, so durfte man annehmen, waren auch glückliche SPÖ-Wähler.

Ein Instrument, um diese Vollbeschäftigung zu sichern, waren die verstaatlichten Unternehmen. Dabei war die Verstaatlichung der wichtigsten Industrie- und Wirtschaftszweige (Stahl, Öl, Energie, Banken) nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem eine Schutzmaßnahme. Denn nach dem »Anschluss« Österreichs an Nazi-Deutschland waren die meisten Betriebe in deutsches Eigentum übergegangen. Laut dem Potsdamer Abkommen von 1945 hatten die siegreichen Alliierten die Möglichkeit, deutsches Eigentum zu beschlagnahmen.

In Österreich wäre damit ein Fünftel der volkswirtschaftlichen Gesamtschöpfung mit einem Schlag weg gewesen. Ein verheerender Rückschlag für den Wiederaufbau. Es hätte den staatlichen Ruin bedeutet. Vor allem die Sowjets, die östlich von Österreich ohnehin schon die meisten Länder kontrollierten, zeigten sich interessiert.

Doch die übrigen Alliierten, allen voran die USA, handelten nachsichtig und so konnte im Juli 1946 im österreichischen Parlament das erste Verstaatlichungsgesetz verabschiedet werden. Damit gehörten die größten Industriezweige dem gerade erst wieder unabhängig gewordenen Staat Österreich und waren vor fremdem Einfluss geschützt.

Die sogenannte Verstaatlichte sollte auch in den nächsten Jahren von den Alliierten profitieren. Durch den Marshall-Plan wurde viel Geld von den USA nach Österreich gepumpt. So subventioniert, konnten die verstaatlichten Unternehmen ihre Kohle- und Stahlpreise deutlich unter Weltmarktniveau senken. Noch während sich das Land von den Kriegsfolgen erholte, konnten Bauern von der Chemie Linz Dünger billig kaufen und für ihre Landwirtschaft einsetzen. Von der VÖEST erhielt die österreichische Bauwirtschaft billigen Walzstahl, teilweise dreißig Prozent günstiger als in Deutschland.

Die VÖEST sollte bald zum größten verstaatlichten Unternehmen des Landes werden. 1938 wurde sie unter den Nationalsozialisten als »Reichswerke Herman Göring« in Linz erbaut. Linz war ein idealer Standort, da es gute Verkehrsanbindungen besaß und außerdem wichtige Ressourcen, wie etwa Erz, Kohle und Kalk, in unmittelbarer Nähe verfügbar waren.

Nach dem Ende des Krieges erhielten die Werke den Namen VÖEST (Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke). Damals arbeiteten 4.400 Menschen für das Unternehmen. Nicht weit davon entfernt arbeitete mein Vater während des Zweiten Weltkrieges in den Flugzeugwerken bei Wels.

Von da an, durch die Unterstützung der Amerikaner, aber auch durch Produkte von höchster technischer Qualität, ging es beständig bergauf. 1970 entstand die ÖIAG (Österreichische Industrieverwaltungs-AG), die alle verstaatlichten Unternehmen vereinte und verwaltete.

 

1973 verschmolz die VÖEST mit der Österreichischen Alpine Montangesellschaft und wurde zur VÖEST-Alpine.

Die VÖEST war das größte Unternehmen innerhalb der Verstaatlichten. Während den 1980er-Jahren, als ich für das Unternehmen tätig war, bot es, zusammen mit den Tochterfirmen, mehr als 80.000 Leuten Arbeit.

Schon bald erkannten Politiker die Möglichkeiten, die verstaatlichte Unternehmen boten.

Vor allem Bruno Kreisky machte sich die Verstaatlichte zunutze. Ein paar Milliarden Schulden bereiten ihm weniger schlaflose Nächte als eine hohe Arbeitslosigkeit, wie er bekanntlich sagte. Also wurden zahllose Kredite aufgenommen und in die verstaatlichten Betriebe gepumpt, damit sie auch weiterhin hunderttausend Menschen Arbeit gaben.

Gewinn stand dabei nicht im Vordergrund. Jeder Geschäftsführer muss gehen, wenn er Schulden macht. Das ist allerdings anders, wenn der Geschäftsführer »Vater Staat« heißt. Der sieht in Arbeitern Wähler, und Wähler wollen zufrieden gestellt sein. Vor allem wollen sie beschäftigt werden.

Als ich Ende der 1970er-Jahre nach Österreich zurückkehrte, wurde diese Wirtschaftspolitik bereits als »Fass ohne Boden« bezeichnet. Die unabhängige Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton merkte schon 1968 an, dass die Gewinne der Verstaatlichten langfristig niemals die Löhne decken könnten. Das zentrale Problem, so das Gutachten, sei der Personalüberhang. Ein Mangel, den auch ich noch kennenlernen sollte.

Aber die Menschen sehen nur, was direkt vor ihren Augen passiert. Zwischen 1970 und 1980 lag die Arbeitslosenquote stets bei zwei Prozent oder darunter. Es war eine Zeit, in der man von »Vollbeschäftigung« sprach. Das klingt heute, mehrere Wirtschaftskrisen später, wie ein schlechter Witz. Zu Beginn des Jahres 2020 lag die Arbeitslosenquote in Österreich bei acht Prozent und wer weiß, wie sich das durch Corona noch verändern wird.

Doch damals waren die Zeiten noch unschuldig. Es war eine Dekade, die den meisten als harmonisch in Erinnerung geblieben ist. Die großen Revolutionswellen nach den Studentenprotesten ’68 waren langsam verklungen, sofern sie in Österreich überhaupt besonders laut gewesen waren. Viele der damaligen Jugendlichen sicherten sich im Laufe der Jahre ein sorgloses Leben im Mittelstand des österreichischen Sozialstaates. Gruppen wie der Wiener Aktionismus zerfielen und wurden in eine Kunstszene aufgenommen, die nach den gleichen Regeln funktionierte wie jeder andere Markt.

Neue Musikrichtungen wie Disco und Austropop kamen zu dieser Zeit aus den Radios. Das Fernsehen bekam allmählich die bedeutende Rolle, die es heute innehat. Durch den neuen Wohlstand und die Technologisierung konnte sich bald jeder Haushalt einen Fernsehapparat leisten. Damit wurde TV auch zu einem Politikum. In Amerika wusste Richard Nixon das Fernsehen für seine Inszenierung zu nutzen, aber auch Bruno Kreisky konnte vor der Kamera eine Wahl gewinnen.

Eine neue Mittelschicht entstand und versprach ein sorgloses Leben.

Sorgen, das war etwas für die Älteren, die sich noch an den Krieg erinnern konnten. Doch eine ganze Generation konnte das nicht. Wer 1975 zwanzig Jahre alt war, der war an der Vergangenheit nicht besonders interessiert. Und zu dieser Zeit tat die österreichische Gesellschaft auch noch nicht allzu viel, um die Aufmerksamkeit junger Menschen für diese dunkle Vergangenheit zu wecken.

Ich bekam das alles nur so nebenbei mit, als ich aus Genf auf den idyllischen oberösterreichischen Hof kam, um mich der Landwirtschaft zu widmen. Mein Vater war vor kurzem gestorben und ich hatte das Gefühl, es wäre Zeit für eine Veränderung. Bis dahin hatten wir gemeinsam in der Schweiz eine Firma betrieben, die Hochtemperaturöfen zur Abfallbeseitigung herstellte. Nach seinem Tod behielt ich meine Aktienanteile, übergab die Führung in die fähigen Hände eines engen Mitarbeiters und zog mich in die ländliche Gegend zurück.

Doch aus der Idee, dort eine beschauliche Zeit zu verbringen, wurde nichts.

Ich weiß nicht mehr, ob es ein sonniger oder regnerischer Tag, ein kalter Winterabend oder ein sommerlicher Nachmittag war, als ich den Anruf erhielt. Es war ein alter Bekannter, der mittlerweile im Vorstand der VÖEST saß, dem Vorzeigebetrieb des Staates.

»Wir suchen jemanden, der Französisch spricht und gute Kontakte hat«, sagte er mir. »Hättest du Interesse?«

Natürlich hatte ich das. Und so begann meine Zeit in der VÖEST.

Mein erster Job war ein Geschäft mit Tunesien. Es ging um ein Phosphat-Vorkommen. Phosphat kann ganz unterschiedlich genutzt werden, oft wird es in Dünger verarbeitet. Gemeinsam mit einer DDR-Delegation flogen wir dort hinunter. Ich habe übersetzt und schließlich auch mitverhandelt. Das war mein Einstieg in die Welt der VÖEST.

Kurz darauf bezog ich mein Büro in einem Gebäudekomplex, der am Linzer Hafen lag. Von dort hatte ich immer einen guten Blick auf die Touristenschiffe, die im Hafen anlegten und einen Strom mit Sofortbildkameras ausgerüsteter Besucher an Land ließen.

Wie die VÖEST gearbeitet hat? Eine kleine Episode aus meinem Arbeitsalltag kann das veranschaulichen. Das Büro, in dem ich saß, war ein Eckbüro und hatte zwei Wände mit jeweils drei Fenstern. Ein paar Jahre später, als die Noricum gegründet wurde und ich für den Verkauf zuständig war, stand irgendwo festgeschrieben, dass ich dank meinem neuen Posten Anspruch auf vier Fenster pro Seite hatte. Ich habe gesagt, dass mir die Anzahl an Fenstern ziemlich egal sei. Man war schockiert. Wollte ich gar alteingesessene Firmentraditionen über den Haufen werfen?

Außerdem brauchte jemand in meiner Position offenbar einen Konferenztisch im Büro. Ich habe lange darum gerungen, statt dem Konferenztisch eine Sitzgruppe aufstellen zu können. Als ich das schließlich durchgebracht hatte, hat es einige Leute in der VÖEST fürchterlich geärgert. Das Einzige, was für die noch schlimmer war, als Leute zu entlassen: wenn sich jemand nicht an das Protokoll hielt.

Die VÖEST beschäftigte begnadete Techniker. Aber wirtschaftlich hat die Firma nicht wie ein internationales Unternehmen gearbeitet, sondern eher wie ein örtlicher SPAR.

Moderne Management-Methoden oder Protokolle, wie bei internationalen Geschäften vorzugehen war, wurden bei Einschulungen zwar unterrichtet, aber nur selten umgesetzt. Meist zeigte man sich von plötzlich auftretenden, unbekannten Problemen überfordert, statt lösungsorientiert zu arbeiten. Diesen Umstand sollte ich später selbst am eigenen Leib erfahren müssen.

Die Betriebsräte, die sich um die Interessen der Arbeitnehmer kümmerten, hatten politisch die größte Macht. Ihnen folgte die Regierung, denn für sie gab es nichts Erschreckenderes als streikende oder demonstrierende Arbeiter. Betriebsräte waren so mächtig, dass man auch von »Betriebskaisertum« sprach.

Wichtige Posten innerhalb der Vorstände wurden oft nach Parteibuch vergeben. Das konnte dazu führen, dass Entscheidungen von Leuten getroffen wurden, die politisch, aber nicht wirtschaftlich kompetent waren.

Das alles trug dazu bei, dass die Schulden immer größer und die Auslastungen immer geringer wurden. Viele Werke der VÖEST kämpften um Aufträge, damit sie keine Leute entlassen mussten.

Zuständig für die VÖEST war damals Heribert Apfalter. Dr. Apfalter, wie es laut Protokoll auf dem Schild seiner Bürotür zu stehen hatte, legte auf Titel keinen Wert. Trotzdem nannte ihn jeder »Herr Direktor«. Er war klein und auf den ersten Blick unscheinbar, aber ungemein schlau und charismatisch. Hörte man ihm lange genug zu, dann konnte er einen von allem überzeugen.

Als Generaldirektor der VÖEST war er damals einer der wichtigsten und einflussreichsten Männer des Landes. Den Finanzminister Ferdinand Lacina hatte er völlig im Griff. Apfalter nannte ihn nur »Lehrbub«. Wenn wir über neue Geschäftsmöglichkeiten sprachen, sagte Apfalter oft: »Wartet‘s mal, ich muss noch den Lehrbub anrufen, dann mach ich das für euch klar.«