Die Entführung der MS Hansa Stavanger

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Die Entführung der MS Hansa Stavanger
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Impressum

Die Entführung der MS Hansa Stavanger

Frederik Euskirchen

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2012 Frederik Euskirchen

ISBN 978-3-8442-3865-5

Am 04. April 2009 wird die, unter deutscher Flagge fahrende, „Hansa Stavanger“, ein Containerschiff der Hamburger Reederei Leonhardt und Blumberg, im Indischen Ozean von somalischen Piraten überfallen und entführt.

Für die 24-köpfige Besatzung, ihren Familien und der Reederei beginnt damit eine Zerreissprobe ihrer Belastbarkeit, physischer und psychischer Natur. Die Verhandlungen über die Freilassung der gefangenen Seeleute wird sich über vier Monate hinziehen.

In dieser Zeit ist die international gemischte Mannschaft der „Hansa Stavanger“ den unberechenbaren Piraten ausgeliefert und muss zum Teil unter Folter, Isolation, Verschleppung nach Somalia und vorallem unter unhygienischen Zuständen um ihr Leben und ihre Gesundheit bangen.

Unter den fünf deutschen Geiseln an Bord des Schiffes befindet sich auch Frederik Euskirchen, der zweite Offizier. In diesem Buch dokumentiert er vier Monate Geiselhaft bei somalischen Piraten.

Die Geschehnisse an Bord, vom Ablauf eines vermeintlich ruhigen Tag bis hin zu einschneidenden Erlebnissen wie Scheinhinrichtungen werden ebenso beschrieben wie der Umgang mit den launischen Piraten, die Hintergründe für die langwierigen Verhandlungen, sowie das Zusammenleben und Zusammenhalten der eigenen Mannschaft.

Neben dem erzählerischen Teil wird in dem Buch auch Quintessenz der gemachten Erfahrungen gezogen. In diesem Bereich werden die Beobachtungen und Erfahrungen des Autors, unteranderem z.B. in Bezug auf den Charakter der Piraten und das richtige Verhalten als Geisel geschildert, was dem Buch auch einen praktischen Nutzen gibt.

Kapitel/ Inhalt

Vorwort

Allgemeine Hintergründe zur HS

1 Vorbereitungen und Schutzmaßnahmen

1.1 Routenplanung

1.2 Vermeidung von Tracking

1.3 Früherkennung verdächtiger Fahrzeuge

1.4 Erstellung eines Notfallplans

1.5 Training der Mannschaft

1.6 Abwehrmaßnahmen

1.7 Vorbereitung der Zitadelle

1.8 Abschließende Worte

2 Erzählung

2.1 Die letzten Tage vor der Kaperung

2.2 Der 04. April 2009

2.3 Der erste Tag unter Piraten

2.4 Der erste Kontakt mit zu Hause

2.5 Abdi ist da

2.6 Suche nach der Maersk Alabama

2.7 Der Alltag und die Verhandlungen beginnen

2.8 Das erste Fax aus Hamburg

2.9 Trügerische Ruhe und falsche Hoffnungen

2.10 21. April 2009

2.11 Der Alltag kommt wieder

2.12 Oday und der Kapitän haben einen Plan

2.13 Ohne Unterhändler

2.14 Vorhang auf für Mr. China

2.15 Die Verhandlungen beginnen erneut

2.16 Vermeintliche Landverschleppung

2.17 Verträge sind da, um gebrochen zu werden

2.18 Ein Ausflug nach Mogadishu?

2.19 Die Stavanger als Ersatzteillager

2.20 Taxi Stavanger

2.21 Rendezvous mit der Charelle

2.22 Die Fischer und ihr Schicksal

2.23 Garacad – Haradere: keine Reise ohne Zwischenfälle

2.24 Neue Wartezeit vor Haradere

2.25 Erneute Verhandlungsversuche

2.26 Der nächste Wortbruch

2.27 Wiedersehen mit unseren fünf Freunden

2.28 Endspurt?

2.29 Landverschleppung nach Haradere/ Somalia

2.30 Zurück auf die Stavanger

2.31 Auch Piraten haben AGBs und Verträge

2.32 Freitag, 31. Juli, Geldabwurf – die Erste

2.33 Der letzte Tag vor Somalia

2.34 Endlich wieder sicher

2.35 Ankunft in Mombasa

2.36 Endlich zu Hause

3 Beobachtungen und Analysen

3.1 Beschreibung der Piraten

3.2 Verhalten als Geisel

3.3 Die Verhandlungen

3.4 Medizin an Bord

4 Anhang

4.1 UN-Guide „Survival as hostage“, kommentiert

4.2 Lösungsansätze zum Piratenproblem

4.3 Erklärung der Fachwörter in Kapitel 1

5 Danksagung

6 Bildmaterial

7 Der Autor

Vorwort

Die Aufzeichnungen zu der Entführung der Hansa Stavanger vom 04.04.2009 bis zum 03.08.2009 sind in vier Abschnitte inklusive eines Anhangs eingeteilt.

Der erste Teil beschreibt die Schutzmaßnahmen während eines Transits durch ein Piratengebiet. In diesem Abschnitt des Buches werden die Vorbereitungen auf der HS beschrieben, aber auch Empfehlungen gegeben.

Im zweiten Teil des Buches werden die Geschehnisse und meine Erlebnisse auf der Hansa Stavanger während der Geiselhaft vor Somalia beschrieben.

Der dritte Teil beschäftigt sich mit den Einschätzungen und dem Wissen, welches aus den Situationen an Bord der HS in dieser Zeit gewonnen werden konnte und stellt die wichtigsten Themen in separaten Artikeln zusammen.

Dieser Abschnitt ist für mich persönlich der wichtigste Teil des Buches, da er, so hoffe ich, mehr von Nutzen sein wird als die reine Erzählung einer viermonatigen Tragödie vor der Küste Somalias.

Da mir nichts ferner liegt als eine klagende Leidensgeschichte über die Umstände der Entführung zu schreiben, wird die Erzählung so weit wie möglich auf jegliche Dramatik und vor allem auf jegliche Allüren verzichten.

Sie soll dem einzigen Zweck dienen, den Hintergrund zum dritten Abschnitt zu skizzieren, um damit eine Art Nachweis für die anschließenden Ausarbeitungen zu bieten.

Selbstverständlich wird der zweite Teil des Buches keine reine faktische Zusammenfassung sein, da es vor allem als Betroffener nicht möglich ist, frei von Subjektivität zu schreiben.

Da es bei einer Entführung nun mal vor allem um die Menschen geht, kann eine Erzählung wohl kaum ohne die !wohl dosierten! persönlichen Empfindungen und Einschätzungen der erzählenden Person existieren.

Wie dem auch sei, ich denke, dass ich nach über einem Jahr der Besinnung und Ruhe, in welcher ich viel aufgeschrieben und ausgewertet habe, aber auch Abstand gefunden habe, die Ereignisse mit gesunder Distanz erzählen kann.

Dies gibt mir die Chance, zum einen Situationen von der Zeit vor Somalia wieder zu geben, sie anderseits aber auch besser deuten zu können.

Ich bin der Meinung, dass einerseits ein persönlicher aber zugleich auch fachlich nützlicher Bericht entstanden ist.

Allgemeine Hintergründe zur Hansa Stavanger (HS) und ihrer Route

Die Hansa Stavanger ist ein Containerschiff, wurde 1997 gebaut und hat eine Länge von 170 m mit einer Breite von 25 m.

Es bietet Containerstellplätze für 1 550 TEU.

Zum Zeitpunkt der Kaperung befinden sich 24 Seeleute an Bord.

Darunter 5 Deutsche – Kapitän, 2. Offizier, technischer Offiziersassistent und zwei Auszubildende zum Schiffsmechaniker.

Weiterhin sind zwei russische Seeleute an Bord, 1. Offizier und leitender Ingenieur, sowie zwei Ukrainer – 3. Offizier und Maschinenschlosser.

Außerdem arbeiten noch zwei philippinische Staatsbürger an Bord, beide sind Elektriker.

Die Mannschaftsränge, wie Matrosen und Maschinisten aber auch Koch und Steward, stammen aus Tuvalu, einem Inselstaat im Südpazifik.

Am 04. April. 09 befand sich die HS auf dem Weg von Dubai nach Mombasa.

Das Wetter ist wolkenfrei und sonnig mit besonders guter Sicht, windstill, glatte See, kein Schwell.

Die Entfernung zur somalischen Küste entspricht etwas über 400 sm und das Schiff befindet sich knapp 1 ½ Tage vor Mombasa, als es von fünf somalischen Piraten angegriffen und schließlich gekapert wird.

1. Vorbereitungen und Schutzmaßnahmen

Die Vorbereitungen für den Transit durch ein Piraten gefährdetes Gebiet ist vielseitig und fordert die Zusammenarbeit der gesamten Mannschaft und Abteilungen auf dem Schiff.

Grundlegend für eine gute Planung ist die ständige Berücksichtigung und Aktualisierung von externen und internen Anweisungen, wie z. B. Best Management Practices1, SSP (Ship Security Plan)2 und Warnungen über gegenwärtige Hotspots von Piratenangriffen.

Anhand dieser Empfehlungen und unter Rücksprache mit dem CSO3 kann eine effektive Vorbereitung durchgeführt werden. Die Hansa Stavanger wurde bis zum 04. April als nicht sonderlich gefährdet für eine tatsächliche Kaperung angesehen. Jedes Schiff kann angegriffen werden. Vor allem im Indischen Ozean werden die in kleinen Booten von Mutterschiffen ausgesetzten Piraten jedes vorbeifahrende Schiff ins Visier nehmen, während sie sich im Golf von Aden für sogenannte Soft Targets entscheiden können – Schiffe, die aufgrund von geringem Freibord und langsamer Geschwindigkeit einfacher zu kapern sind. Entsprechend den Best Management Practices, einem Leitfaden zur Vorbereitung und Durchführung eines Transits durch gefährdetes Gebiet, kam es noch zu keiner Kaperung eines Fahrzeuges mit einer Geschwindigkeit über 15 Knoten.

Die HS konnte bei voller Fahrt gut 18 - 19 Knoten erreichen, man ging also davon aus, dass mit entsprechenden Manövern und bordseitigen Vorbereitungen eine Kaperung im Falle eines Angriffs abgewehrt werden kann.

Im Folgenden eine Übersicht von Vorbereitungen, wie sie größtenteils auch an Bord der Hansa Stavanger durchgeführt wurden - diesbezüglich wird jeder Punkt einzeln die HS betreffend kommentiert.

1.1 Routenplanung - anhand von Piratenwarnungen

Internationale Stellen wie das IMB (International Maritime Bureau)4 Reporting Centre beschäftigen sich mit der Erfassung und Auswertung krimineller Aktivitäten auf den Meeren. Das genannte IMB-Reporting Centre mit Sitz in Kuala Lumpur (Malaysia) nimmt weltweite Meldungen über Piraterie entgegen, seien es Überfälle im Golf von Aden (GoA), im Indischen Ozean, in der Straße von Malakka oder vor Westafrika.

 

Speziell auf die Aktivitäten der somalischen Piraten haben sich vor allem das Büro von UKMTO (United Kingdom Maritime Trading Operations)5 und MSCHOA (Maritime Securitry Council for the Horn of Africa)6 konzentriert.

Diese Einrichtungen nehmen Berichte über Angriffe von den betroffenen Schiffen bzw. Reedereien entgegen, werten sie aus und schicken die Berichte an die weltweite Flotte von Handelsschiffen weiter. Zum einen in Form der „rohen“ Information, welche wir dann an Bord z. B. als Telex erhalten und ungefähr so aussehen: „Six armed pirates in a skiff chased a chemikal tanker underway in position …… Pirates opened fire using RPG7 and Automatic weapons. Master conducted evasive manoeuvres and contacted naval forces. Pirates aborted their attempts after twenty minutes.“

Auf diese Art und Weise haben wir die Information, was tatsächlich passiert ist, und vor allem in welcher Position. Diese Position tragen wir in eine Übersichtskarte ein und können damit sehen ob es in einigen Positionen bzw. Gebieten zu einer besonderen Ballung von Angriffen kommt. Dementsprechend können wir unsere Route anpassen, was selbstverständlich das Interesse der Schiffsführung voraussetzt…

Neben diesen aktuellen Meldungen werden auch die Auswertungen der Überfälle an die Schiffe weitergeleitet, z.B. in Form der „Best Management Practices to Deter Piracy in tue Gulf of Aden and off the Coast of Somalia“. Diese durchaus hilfreichen Unterlagen sind für jedermann im Internet z.B. auf www.marisec.org/piracybmp.html einsehbar.

Anhand dieser Unterlagen sowie einiger anderer kann sich jede Reederei, Schiffsführung sowie der Offizierstab über das Verhalten der Piraten und die besten Möglichkeiten zur Abwehr informieren und einen entsprechenden Plan aufstellen. Von dort erhält man auch die geographischen Ausmaße der Gefahrenzone, sprich die Ausbreitung der Piratenangriffe in einer Region, sowie die Positionen des Transitkorridors im Golf von Aden bzw. der empfohlenen Distanz zur somalischen Küste, aber auch meteorologische Vorhersagen und Einschätzungen über ihre voraussichtlichen Auswirkungen auf die Piratengefährdungen kann man erhalten.

Vor der Reise wie auch jeden Tag während der Überfahrt sollen diese Informationen gesammelt und entsprechend zusammengeführt werden, um die sinnvollste Route zu ermitteln oder die Bestätigung zu erhalten, weiterhin dem aktuellen Routenplan zu folgen.

Sollte das Schiff den Golf von Aden passieren, kann an einer durch Marineschiffe begleiteten Eskorte durch den sogenannten Transitkorridor teilgenommen werden. Für diesen Transit gibt es Treffpunkte (Punkt A und B), an welchem sich zu einer bestimmten Zeit getroffen wird. Die angemeldeten Schiffe werden dann von einem Marinefahrzeug durch den GoA begleitet. Für diesen Transit gibt es eine Transitgeschwindigkeit von 12 Knoten, um vor allem kleinen und damit mehr gefährdeten Schiffen Schutz zu bieten. Für schnellere Fahrzeuge, z. B. Containerschiffe, ist es fraglich, ob an einer Eskorte teilgenommen werden sollte. In diesem Fall hängt es von der Schiffsführung und ihrer Einschätzung des Schiffes ab, ob im Transit oder alleine gefahren werden soll. Alleinfahrer sollten mit maximaler Geschwindigkeit passieren und sind dringendst angehalten, innerhalb des Korridors zu bleiben, sich bei UKMTO anzumelden und regelmäßige Reports abzugeben - damit können im Falle eines Angriffes, die im Rahmen von Atalanta dort engagierten Marinekräfte schneller und gezielter koordiniert werden.

HS: Die Hansa Stavanger war in keinem Korridor, Transit oder Ähnlichem registriert. Entgegen einigen Presseberichten, die ich nach der Freilassung vernahm, konnte sie das auch nicht - für die Passage im Indischen Ozean entlang der somalischen Küste gibt es so etwas nicht.

1.2 Vermeidung von Tracking

Angriffe der somalischen Piraten finden am Tage statt, nächtliche Überfälle sind mir nicht bekannt. Dies zeigt die Statistik, das haben mir die Piraten selber gesagt und es ist durchaus auch verständlich. Denn eine Kaperung ist schon am Tage ein heikles Unterfangen, selbst wenn die Besatzung die Piraten nicht entdecken würden, der Pirat an der Pinne im Boot könnte ohne Tageslicht gar nicht die Distanzen zur Bordwand des Schiffes richtig einschätzen.

Auf der HS haben wir mitbekommen, wenn abends noch ein Boot mit Nachschub rüber kam, wie deutlich schwieriger es für die Bootscrew war, zu boarden, als am Tage.

Außerdem fehlt es den Piraten an entsprechender Ausrüstung, um für eine vernünftige Beleuchtung zu sorgen. Lediglich bei Vollmond und ruhiger See könnten sie daher einen Versuch wagen.

Nichtsdestotrotz sollte man, vor allem im Indischen Ozean, wo die Piraten keine so große Auswahl haben wie im GoA, jede Gefahr minimieren, evtl. bis in die frühen Morgenstunden gesehen, verfolgt und schließlich beim ersten Tageslicht angegriffen zu werden.

Daher ist es ratsam, das Schiff komplett zu verdunkeln - Beleuchtung an Deck aus und verdunkeln der Bullaugen.

Eine weitere Gefahr verfolgt zu werden, und zwar am Tag oder in der Nacht, besteht durch das Automatic Identification System (AIS). Durch dieses werden Schiffsdaten wie Name, Größe, Position, Geschwindigkeit und Kurs an jeden, der ebenfalls ein entsprechendes System hat, übermittelt. Man kann nicht nur verfolgt werden, man vereinfacht auch, dass das Schiff überhaupt lokalisiert wird und dies auf einer Reichweite, die locker über Sichtweite hinausgeht.

Deshalb: Deaktivierung des AIS.

Einhergehend sollte man auch nicht durch unnötigen Funkverkehr auf sich aufmerksam machen, daher Funkdisziplin und UKW-Wache Kanal 16 und Kanal 8. (Kanal 8 wird ebenfalls von Marineschiffen überwacht und ist der Ausweichkanal zum 16er, welcher auch schon mal von den Mutterschiffen der Piraten aus gestört bzw. blockiert werden kann.)

Der Schutz des Schiffes gegen Verfolgungen bzw. Angriffe beginnt jedoch schon vorab im Hafen, in dem man versucht zu verhindern, dass das Schiff über seine Route oder Abwehrmaßnahmen ausspioniert wird.

Die Taktik der Piraten sieht zwar lediglich das Aussetzen von einzelnen Skiffs durch Mutterschiffe vor, deren Besatzung dann bei Erfolg die gekaperten Schiffe nach Somalia bringen und dies über Satellitentelefon den Hinterleuten weitergeben, welche dann die Erfolgsnachricht an das Mutterschiff weitergeben. Dieses wäre nämlich nach ein paar Tagen wieder in das Gebiet der Aussetzposition gefahren und hätte ihre Leute wieder eingesammelt.

Bisher ist noch nichts bekannt, dass ihre Taktik auch das gezielte Aussuchen und Ausspähen von Schiffen beinhaltet. Bekannt ist jedoch, dass die somalischen Piraten weitreichende Kontakte ins Ausland haben. Mir persönlich ist durch Gespräche mit einem Unterhändler der Piraten bekannt, dass es durchaus auch ausländische Hinterleute bzw. Finanzierer gibt - es sind mafiöse Strukturen. Daher ist es überhaupt nicht abwegig, davon auszugehen, dass diese auch ihre Informanten haben, die Details über mögliche und lukrative Ziele weitergeben. Es können Serviceleute sein, die in einschlägigen Häfen (z. B. Aden, Dubai …) an Bord kommen oder die hübschen Somalidamen, die unseren Jungs in Mombasa den Kopf verdrehen. Aber vielleicht auch die Angestellten oder Agenten des Charteres8, welche in jedem Hafen an Bord und unvermeidlich auch Informationen über unsere Route etc. per e-mail zugesandt bekommen.

Im Hafen sollten daher nicht nur brisante Informationen über die Verteidigung gegen Piratenüberfälle verstaut werden, sondern auch jegliche Informationen über die Routenplanung. Die Mannschaft soll instruiert werden, bei Landgängen nicht über die einschlägigen Angelegenheiten des Schiffes zu reden.

HS: Das Schiff war komplett verdunkelt, aufgrund der sehr geringen Verkehrsdichte im Indischen Ozean waren selbst die Positionslaternen ausgeschaltet. Die Bullaugen waren verdunkelt, kein Licht trat aus den Aufbauten nach draußen. Das AIS war deaktiviert und auch auf den Feuerronden des Wachmatrosen in der Nacht wurde auf die Nutzung eines UKWs verzichtet.

In Dubai kam sehr oft Servicepersonal an Bord, welches unsere elektronische Seekarte, unseren Kreiselkompass oder Ähnliches gewartet hat. Oft waren sie den ganzen Tag auf der Brücke, wo sämtliche Details unserer Routenplanung ausliegen, sei es in ausgedruckter Form oder in elektronischer auf Computer, im Radar, ECDIS9 oder GPS10. In Dubai gibt es neben den Lade- und Löscharbeiten noch Proviantlieferungen, Ersatzteile kommen oder anderer Service, z. B. für Sicherheitseinrichtungen, steht an. Nicht immer kann jemand bei dem Servicepersonal auf der Brücke sein.

Ich bin zwar der Meinung, dass die Kaperung der HS keine geplante Aktion war. Doch auch die somalischen Piraten entwickeln sich, breiten ihr sowieso schon großes Informations- und Logistiknetzwerk aus und spätestens seit der Hansa Stavanger wissen sie, dass besonders Containerschiffe ein hervorragender Fang sind. Sie bringen neben Lösegeld auch nützliche Ladung mit vor die Küste Somalias - Ersatzteile für Autos, Generatoren, Kleidung, Reis, Elektronik usw.

Vielleicht ist es im Moment noch nicht soweit, aber wer kann sagen, dass eine solche gezielte Vorbereitung von Angriffen nicht schon in Planung ist und damit in nahe Zukunft gerückt ist.

1.3 Früherkennung verdächtiger Fahrzeuge

Grundlage für eine frühe Sichtung der Piraten ist verstärkter Ausguck bzw. zusätzliche Wachbesetzung rund um die Uhr auf der Brücke. Neben dem Wachoffizier ist es ratsam, beide Nocken11 jeweils mit einem Wachmann zu besetzen. Der Wachoffizier ist dafür verantwortlich, dass diese Wachmänner bei Wachantritt noch mal persönlich daran erinnert werden, dass gehörig Ausguck gehen 360° um das Schiff bedeutet und dass alles gemeldet werden muss.

Die Bewertung der Sichtung obliegt dem Offizier.

Neben dem visuellen Ausguck hat der Wachoffizier gehörig Radarwache zu gehen.

Skiffs sind sehr schwer auf dem Radar auszumachen, selbst wenn man weiß, dass eins unterwegs ist, kann man es ab 3 -4 Bft.12 sehr schwer wahrnehmen.

Ab 3-4 Bft. wird es für die kleinen Skiffs zwar deutlich schwerer zu boarden, aber wer die somalischen Piraten kennt, weiß, dass sie nichts unversucht lassen werden.

Da wir während der Zeit vor Somalia ständig von den Piraten angehalten wurden, auf dem Radar nach kleinen Fahrzeugen Ausschau zu halten, und auch versuchen sollten, die Skiffs mit den täglichen Proviantlieferungen wahrzunehmen, konnten wir mit dem Erfassen dieser kleinen Fahrzeuge zu unterschiedlichen Wetterbedingungen einschlägige Erfahrungen machen.

Auf See ist es empfehlenswert, regelmäßig die Reichweiten zu ändern. Meiner Erfahrung nach macht eine Einstellung von 12 nm13 lediglich für die Erfassung von Mutterschiffen Sinn. Geht man von einer Windstärke um die 3 Bft aus, sollte man sich, um die Angriffsboote, die Skiffs, einzufangen, in einem Meilenbereich von 1,5 - 3 nm, maximal 6 nm bewegen.

Das Problem besteht immerhin darin, dass wir mit unserem Radar nach etwas suchen, was womöglich gar nicht da ist. Eine Feineinstellung, als würden wir beispielsweise nach einer Fahrwassertonne suchen, fällt damit schwerer.

Grundsätzlich halte ich es für sinnvoll, ein Radar auf 3 nm und ein Radar auf 12 nm (für Mutterschiffe und übrigen Verkehr) zu halten, aber in Abständen von 15 - 20 min. auf beiden Bändern die Abstände zu variieren (z. B. 1,5 nm, 6 nm etc.).

Neben den Reichweiten sollte man den Gain (Verstärkunsgregelung des Empfängers des Radars) entsprechend einstellen.

„Entsprechend“ ist immer so ein einfaches, weitreichendes Wort - im Grunde geht es darum, nicht zu viel Fehlechos zu empfangen, aber auch nicht als zu schwach zu senden und damit eventuelle Ziele zu verfehlen. Ich denke, dass man den Gain ruhig etwas höher stellen kann, denn jeder ausgebildete Nautiker wird in der Lage sein, diese von richtigen Zielen zu unterscheiden, er muss nur genauer hinschauen.

Gerade beim Hinschauen, sprich der Aufmerksamkeit, spielt die persönliche Einstellung des jeweiligen Wachoffiziers eine Rolle. Jeder der in dem Einzugsgebiet der somalischen Piraten fährt, kann davon ausgehen, dass er irgendwann mit ihnen in Kontakt kommt. Diese Gewissheit sollte der Wachoffizier mit auf Brücke nehmen und sich seiner Verantwortung für das Schiff während seiner Wache bewusst sein.

 

Neben seinen kurzen Logbuch- und Positionseinträgen sollten seine Sinne vorrangig auf Ausguck konzentriert sein - visuell und mit Radar.

Selbstverständlich - dieses Verhalten sollte jeder Offizier während jeder Wache haben. Doch mal Hand aufs Herz, die Aufmerksamkeit, die Agilität auf der Brücke ist im Ärmelkanal doch viel höher, als wenn wir den Atlantik überqueren. Im Indischen Ozean ist das nicht anders, ruhiges Wetter, kein Schiff weit und breit - das ist das trügerisch, weswegen jeder Wachhabende sich stets dran erinnern muss, die gleiche Schärfe in seine Sinne zu legen, wie in einem dicht befahrenen Gebiet - nur dass hier nicht mit einer Kollision, sondern mit dem Einschlag einer Granate zu rechnen ist.

Zur Früherkennung gehört aber auch, dass Meldungen über Piratenaktivitäten sofort verwertet werden, um ggf. eine Abweichung von der Route durchzuführen.

Für den Fall, dass ein verdächtiges Fahrzeug wahrgenommen wird, sollten im Wachorderbuch die Prozeduren für den Wachhabenden festgehalten sein, zu welcher die Einleitung von Manövern und das Alarmieren des Kapitäns gehören.

HS: Der Ausguck auf der HS war am Tag des Überfalls lediglich mit dem Wachoffizier besetzt. Die Tage zuvor war ein Auszubildender von 08-1600 Uhr auf der Brücke, nicht aber direkt als Piratenwache vorgesehen, sondern um seine Ausbildungszeit auf der Brücke voll zu bekommen. Am Tage des Überfalls war er nicht auf der Brücke, er sollte einen Räucherofen für Kapitän Kotiuk herstellen.

(Da ich im Frühjahr 2010 wieder eine Passage durch den Golf von Aden hatte, kann ich jedoch die beschriebene Aufstellung des Ausgucks und den Umgang mit dem Radar als praktikabel bestätigen.)

Meldungen über Piratenangriffe wurden sofort in eine Übersichtskarte eingetragen und innerhalb des Offiziersstabs besprochen.

Innerhalb des Offiziersstabs, sprich zwischen dem ersten und dritten Offizier sowie mir, haben wir auch das Verhalten bei Sichtung verdächtiger Fahrzeuge übernommen. Da Herr Kotiuk weder eine Eintragung im Wachorderbuch, noch eine ähnliche Verlautbarung getätigt hat, haben wir die alten Eintragungen des vorherigen Kapitäns für weiterhin gültig erklärt:

Zu jedem Fahrzeug wird ein CPA14 von 5 nm gehalten, sollte das Fahrzeug der eigenen Kursänderung folgen, sprich sich annähern, soll sofort der Kapitän und die Maschine informiert sowie eine entsprechende Kursänderung vorgenommen werden.