Seewölfe - Piraten der Weltmeere 664

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 664
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-078-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Die Skelett-Küste

Die Arwenacks reparieren ihr Schiff – und sie entdecken die Knochenmänner

Juni 1599 – Surat, Indien.

Die gesamte Bucht am Tapti schien in hellen Flammen zu stehen.

Das Feuer flackerte grell in allen Farben des Regenbogens und verbarg die schwerarmierte Kriegsgaleone „Aguila“ vor den Augen der Seewölfe.

Philip Hasard Killigrew war über die Wirkung der abgefeuerten Brandsätze fast entsetzt. Sie hatten die chinesischen Feuerwerkskörper zu einer kompakten Bombe gebündelt und sie auf ihren unbarmherzigen Gegner abgefeuert. Eine grelle Explosion und ein jäh ausbrechendes Feuer, das rasend schnell um sich griff, waren die Folge gewesen.

Über der Bucht hing eine pilzförmige Rauchwolke, deren beizender Qualm das Chaos noch verschlimmerte.

Hasard hörte die Schreie verwundeter Männer und sah in dem Rauch und Feuer weitere Gestalten, die voller Entsetzen blindlings über Bord sprangen und ihre Rettung im Wasser suchten …

Die Hauptpersonen des Romans:

César Garcia – der Kommandant der „Aguila“ erhält eine vernichtende Lektion, was seinen Haß noch mehr schürt.

Francis Ruthland – verfährt nach dem bewährten Prinzip, bei Gefahr immer andere die heißen Kartoffeln aus dem Feuer holen zu lassen.

Edwin Carberry – möchte gern eine Dusche unter einem Wasserfall nehmen, aber angesichts der Knochenmänner verzichtet er darauf.

Old Donegal O’Flynn – ist bei jeder Erkundung sofort dabei, ergreift jedoch lieber die Flucht, wenn Rätselhaftes geschieht.

Philip Hasard Killigrew – versetzt sich in die Lage seiner Gegner und ist ihnen immer einen Zug voraus.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Die Arwenacks hatten sich mit ihrem angeschlagenen Schiff in arger Bedrängnis befunden und daher zum letzten Mittel gegriffen, das sie in ihrer Notlage noch hatten – den chinesischen Brandsätzen mit der verheerenden Wirkung. Nur so hatten sie sich ihren übermächtigen Gegner vom Leib halten können.

Diese Bucht am Tapti hatte noch eine Nebenbucht aufzuweisen, die bei Nacht und Nebel seeähnlichen Charakter besaß. Eine sehr schmale, nur von Mangroven bewachsene Passage führte in diese Bucht.

Jetzt hatten sie die abgeholzte Bresche überwunden und befanden sich frühmorgens und bei langsam wieder einsetzendem Monsunregen fast übergangslos in der anderen Bucht.

Sie ließen die Schebecke einfach treiben. Hier ging kein Wind, und schon nach einigen Minuten lag das Schiff inmitten einer von Dschungel umsäumten Wasserfläche völlig still da.

Die Tragödie, die sich in der flußnahen Bucht vollzog, konnten sie von hier aus durch ein Gewirr von Mangroven und wildem Verhau verfolgen.

Ausnahmslos alle Seewölfe standen an Deck und blickten zu der anderen Bucht. Die Gefahr, daß César Garcia, Kommandant der spanischen Kriegsgaleone, noch einmal feuern würde, bestand nicht mehr. Er war mit sich selbst beschäftigt. Die Arwenacks hatten ihm eine vernichtende Lektion erteilt.

„Kompakte Brandsätze in dieser Form haben wir noch nie abgeschossen“, sagte Ferris Tucker, der den Brandsatz zusammen mit Al Conroy gezündet hatte. „Die Wirkung ist so verheerend, daß man damit eine ganze Armada außer Gefecht setzen könnte.“

Hasard blickte aufmerksam zu dem brennenden Schiff hinüber und wischte ein paar Wassertropfen aus dem Gesicht. Es war trotz des beginnenden Morgens bereits unangenehm schwül und warm, und der Monsunregen setzte mit der ungewohnten Heftigkeit ein.

„Ja, die Wirkung ist furchtbar. Aber anders konnten wir uns nicht mehr zur Wehr setzen, ohne hilflos zusammengeschossen zu werden. Garcia hat es nicht anders gewollt, und ich empfinde auch kein Bedauern darüber. Wir haben uns in einem Augenblick der allerhöchsten Gefahr gewehrt. Er hat uns angegriffen, nicht wir ihn.“

Aus der Bucht drangen Schreie. Im Wasser schwammen Männer, die den nahen Dschungel zu erreichen versuchten. Etliche andere hielten geradewegs auf den Tapti zu und ließen sich mit der Strömung flußabwärts treiben.

Das zweite Schiff in der brennenden Bucht war die Zweimastkaravelle „Ghost“ aus England, unter dem skrupellosen Halunken Francis Ruthland und seinem Kumpan Hugh Lefray.

Der bullige Mann war am Ende seiner Beherrschung. Sein Schiff war beim Einsegeln in die Bucht aus dem Ruder gelaufen, und das Heck der Karavelle hatte Landberührung gehabt.

Die Kerle hatten zwar in aller Eile die Segel geborgen, aber es sah doch so aus, als würde der Zweimaster in das brennende Chaos treiben und ebenfalls Feuer fangen.

Hasard hörte die gellenden Schreie überdeutlich.

Noch jemand schrie, der völlig die Beherrschung verloren hatte, und zwar César Garcia, der sich lautstark darüber empörte, daß seine Männer in wilder Flucht die brennende Galeone verließen.

Die Disziplin, die vormals an Bord seines Schiffes geherrscht hatte, schien endgültig dahin zu sein, bis auf ein paar Ausnahmen. Das waren Männer, die stur auf ihrem Platz blieben, weil sie mehr Angst vor dem Capitán als vor dem wütenden Feuer hatten.

Dazu gehörte auch Juarez Molina, der mit ruhiger und beherrschter Stimme Anweisungen gab und die aufgescheuchten Leute zu beruhigen versuchte.

Ruhlands wüste Kerle rammten jetzt lange Bootshaken in den schlammigen Grund der Bucht, um mit aller Kraft das Schiff abzudrücken.

Ein bärtiger Mann kippte fluchend über Bord, als sein Bootshaken keinen Grund fand und im Schlick wegrutschte.

Viele andere von der Galeone schwammen auf den Zweimaster zu und versuchten verzweifelt, auf zuentern.

Edwin Carberry kniff die Augen zusammen und beobachtete einen Mann auf der Kuhl der Galeone, der zweifellos verrückt sein mußte. Dieser Kerl hatte wohl gemerkt, daß das Feuer mit Bordmitteln oder durch Regen nicht zu löschen war, auch nicht mit hochgepütztem Seewasser, denn es brannte selbst auf der Wasseroberfläche weiter.

Der Mann wirkte wie ein sturer Büffel, der die Gefahr nicht sah oder nicht sehen wollte. Er wirkte hölzern und gleichzeitig lächerlich und so, als ginge ihn das alles gar nichts an.

Dieser Mensch hatte wahrhaftig einen Besen in der Hand und begann in stoischer Ruhe, das brennende Zeug vom Deck zu fegen. Dabei schien er Selbstgespräche zu führen, wie seine zuckenden Lippen bewiesen, und diese Selbstgespräche galten offenbar dem Irrsinn der Welt und der diktatorischen Freundlichkeit seines Capitáns. Vielleicht fluchte er aber auch nur vor sich hin.

„Nun seht euch das an“, sagte der Profos fast entrüstet. „Da steht doch wahrhaftig so ein Einfaltspinsel vor dem brennenden Mast und fegt in aller Seelenruhe das Deck sauber. Nicht zu fassen! Hat der Kerl jetzt nichts Besseres zu tun? Jetzt brennt auch noch sein Besen!“

Der Mann zuckte zurück, betrachtete ungläubig den brennenden Besen und warf ihn kopfschüttelnd über Bord. Inmitten der lodernden Fackel verschwand er über einen Niedergang nach unten und tauchte gleich darauf mit einem neuen Besen in der Hand wieder auf. So, als hätte er sie gar nicht unterbrochen, setzte er emsig seine Arbeit fort.

„So dämlich ist der gar nicht“, sagte Hasard. „Er fegt die brennenden Kugeln des Brandsatzes durch die Speigatten. Mir scheint, daß der Mann sehr überlegt handelt.“

„Immerhin versucht er es und rennt nicht blindlings davon.“

Dem Feger war inzwischen klargeworden, daß auch sein zweiter Besen bald Feuer fangen mußte. Er stellte ihn mit den Borsten nach oben und hievte eine Pütz Wasser hoch. In die tunkte er den Besen und fegte anschließend in aller Seelenruhe weiter. Es schien sich um einen stoischen Gemütsmenschen zu handeln, den nichts erschüttern konnte.

Immerhin gelang es ihm zum Erstaunen der Seewölfe, den größten Teil der Kuhl vom Feuer zu befreien, und als er den Erfolg sah, verdoppelte er seine Anstrengungen.

Nicht mal ein brennender Segelfetzen, der ihm ins Genick fiel, konnte seine Aktivitäten bremsen. Der Mann stellte den Besen hin, schlug sich mit der Hand ins Genick, als habe ihn dort eine Hornisse gestochen, und fegte weiter. Lediglich das Genick zog er etwas ein.

„So einen müßte man sich ausstopfen und unter Glas stellen“, meinte Carberry nachdenklich. „Was hat er denn jetzt vor?“

Der Mann im Brustpanzer steckte seinen Besen in die Pütz. Um das Gebrüll und Geschrei kümmerte er sich ebensowenig wie um sein lichterloh brennendes Umfeld. Er blickte genau in die Richtung der Bucht, wo die Schebecke lag, und starrte dann nachdenklich auf eine Kanone, deren Mündung in die Bresche zeigte. Zweifellos konnte er die Schebecke in der Bucht sehen.

 

„Der wird doch nicht …“, ächzte Carberry.

Der Kerl tat es. Er ging zu der Culverine, visierte einmal kurz und schnappte sich ein brennendes Stückchen Holz, an dem er sich fast die Finger versengte. Noch einmal blickte er zu der passageähnlichen Durchfahrt.

Was er sah, stimmte ihn offenbar zufrieden. Er hielt den brennenden Span an das Zündloch der Culverine und trat gemächlich zur Seite.

Aus dem Rohr zuckte ein mehr als yardlanger Blitz, der in dem brennenden Inferno kaum auffiel.

Das Rohr zuckte wild zurück und spie außerdem eine dunkle Rauchwolke aus.

Der erstaunliche Mensch kümmerte sich nicht weiter darum. Er schnappte sich seinen Besen und fegte weiter, als wollte er alles Übel aus der Welt demonstrativ entfernen.

Durch die Bresche zwischen den Mangroven raste ein Siebzehnpfünder heulend heran. Er nahm noch ein paar der Stelzwurzeln mit und schlug dann etwas seitlich von der Schebecke ins seichte Wasser.

Eine Säule aus Schlamm und Dreck spritzte hoch. Der Schlick explodierte buchstäblich. Schwarze Schlammspritzer flogen auf das Deck der Schebecke und bekleckerten ein paar Arwenacks, die verblüfft an sich hinunterstarrten.

„Eine völlig neue Art der Seekriegsführung“, sagte der Seewolf trocken. „Wenn Garcia noch mehr von den Kerlen hätte, wäre das Feuer längst unter Kontrolle. Dieser Mensch scheint an verkapptem Heldentum zu leiden. Er sieht, daß eine Kanone gerade im günstigen Winkel steht, und feuert sie sogleich ab, um die Chance auszunutzen, dem Gegner noch schnell eins zu verpassen.“

Der Mann sah nur einmal kurz herüber, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Über einen Zufallstreffer hätte er wahrscheinlich nicht mal gejubelt, sondern ihn nur gelassen zur Kenntnis genommen. Der Mißerfolg konnte ihm ebenfalls keine Regung entlocken. Für ihn war die Sache damit offenbar erledigt.

Der Kerl erregte die Gemüter der Arwenacks ganz beträchtlich, denn er schien aus einem Holz geschnitzt zu sein, das sie noch nicht kannten. Vielleicht wuchs es irgendwo auf einer geheimnisvollen Insel.

Am meisten ereiferte sich natürlich wieder mal der Profos, der eine ganz besondere Schwäche für solche Typen hatte, die selbst die persönliche Anwesenheit des Teufels nicht erschüttert hätte.

„Jetzt weiß ich, was man unter Fegefeuer versteht“, sagte er. „Der Kerl ist das Sinnbild dafür. Man sollte ihn El purgatorio nennen.“

Für einen kurzen Augenblick grinste der Spanier Don Juan de Alcazar belustigt, der die Feinheiten der spanischen Sprache am besten von allen kannte.

„Das würde dir ein Bordgeistlicher nie verzeihen, Ed“, sagte er. „Purgatorio ist, versinnbildlicht, der religiöse Ausdruck für das Fegefeuer. Aber der Mann ist echt und kein Symbol.“

Carberry überlegte nicht lange.

„Dann ist er eben El terco búfalo, der sture Büffel.“

„Das hört sich schon besser an.“

Von da an hatte der merkwürdige Seemann seinen Namen weg, ohne daß er die geringste Ahnung davon hatte.

Es hätte ihn wohl auch nicht sonderlich berührt, denn er fegte inmitten des wüsten Infernos ungerührt weiter.

Für den Kommandanten der spanischen Kriegsgaleone „Aguila“, César Garcia, war der Überraschungsangriff ein kompliziertes Manöver, aber er traute sich durchaus zu, damit fertig zu werden. Gleich beim Einlaufen in die Bucht würde er seine Kanonen sprechen lassen und die Schebecke zusammenschießen.

Das Manöver klappte auch hervorragend. Seine Mannschaft war gut eingespielt und verläßlich. Außerdem verstand jeder das Kriegshandwerk. Er hatte seine Männer schließlich bis zur Ermattung immer wieder hart und unnachgiebig gedrillt.

Sie rundeten in einem weitauslaufenden Bogen den oberen Zipfel der Bucht und segelten hinein.

Das erste, was Garcia sah, war die Schebecke des verhaßten Seewolfs. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Das Schiff wurde von zwei Jollen in Schlepp genommen und bewegte sich auf eine Lücke des Urwalds zu, die anscheinend in einen Nebenarm des Tapti führte. Zusätzlich wurde die Schebecke noch mit Langriemen gerudert.

Es sah ganz so aus, als würde El Lobo del Mar im allerletzten Augenblick durch diese Lücke entwischen. Daß die schwere Galeone nicht die geringste Chance hatte, die enge Durchfahrt zu passieren, sah Garcia auf Anhieb.

Dieser englische Bastard durfte nicht mehr entkommen. Er war hilflos und angeschossen und konnte sich nur noch durch eine ziemlich lahme Flucht absetzen.

Für Garcia war es die Chance seines Lebens, den Seewolf zu erledigen.

Das würde ihm außer einer fetten Belohnung auch eine Beförderung und die Bewunderung aller einbringen.

„Feuer!“ rief er schrill.

Insgeheim wußte er, daß die Kugeln aus diesem Winkel nicht treffen würden. Sie mußten zu kurz liegen, doch er wollte wenigstens zum Zweck der Einschüchterung das Feuer eröffnen, um den englischen Bastard an der Flucht zu hindern.

Die verantwortlichen Stückmeister erkannten ebenfalls, daß der Winkel für einen gezielten Schuß ungünstig war. Aber der Feuerbefehl mußte befolgt werden, auch wenn er noch so unsinnig erschien.

Die Stücke brüllten auf. Eine Wolke aus beizendem Qualm legte sich vor den Schiffsrumpf. Das Dröhnen der schweren Geschütze ließ alle Decks der Galeone erzittern.

Garcia starrte erregt und fiebernd durch den dichten Qualm. Er sah, daß die Kerle wie besessen pullten, und er sah auch, daß sie die Lücke bald passieren würden. Dann bot ihnen der Mangrovenwald und das dichte Unterholz mit dem wilden Verhau eine vorzügliche Deckung, so daß die Kugeln sie nicht mehr erreichen konnten. Hinter der Durchfahrt sah er Wasser silbrig aufblitzen – eine schier endlose Fläche, die direkt in den Dschungel zu führen schien.

Die Kugeln schlugen ein. Er hörte es überlaut krachen und bersten. Eine Palme wurde abrasiert wie ein langer Mast, als sei sie mit einem gewaltigen Schiffshauer umgesäbelt worden. Für den Bruchteil einer Sekunde stand sie bewegungslos in der Luft, ehe sie mit Getöse in die Mangroven krachte und alles plattwalzte.

Schlammsäulen stiegen wie Geisterfinger aus dem morastigen Untergrund, den die Schüsse wild aufwühlten. Luftwurzeln flogen umher.

Auf der Schebecke zogen sie die Köpfe ein.

„Feuer!“ schrie Garcia mit sich überschlagender Stimme. Die Durchfahrt war jetzt ganz nahe, und die Seewölfe pullten unverdrossen und kaum sonderlich beeindruckt weiter.

„Diese Bastarde!“ stöhnte er. In unglücklicher Haltung, mit vorgerecktem Hals, stand er auf dem Achterdeck. Aus seinen Augen sprühten kleine Blitze, die Zunge fuhr nervös über die Lippen hin und her. „Diese Bastarde entwischen noch im letzten Augenblick. Das kann nicht wahr sein.“

Der Erste Offizier sah den Haß in den Augen seines Capitáns. Er selbst blieb kühl und gelassen, doch der despotische Garcia ereiferte sich immer mehr. Er tat zwei schnelle Schritte nach vorn, als könne er dadurch die Schebecke an ihrer Flucht hindern. Molina fiel auf, daß sogar – seine Hände vor Aufregung zitterten.

Drei brüllende Abschüsse waren zu hören. Der Qualm drang in einer dichten Wolke bis aufs Oberdeck.

Garcia wedelte mit der Hand durch die Luft und stürzte ans Schanzkleid. Dann riß er ganz plötzlich die Arme hoch und stieß einen unterdrückten Schrei des Triumphes aus.

Zwei Kugeln rasten über die Köpfe der Ruderer, die instinktiv das Genick einzogen. Die dritte Kugel traf. Sie schlug ins Schanzkleid ein und ließ einen wilden Splitterregen hochfliegen.

„Volltreffer!“ brüllte Garcia. „Jetzt ist es aus mit den Bastarden! Sie fahren zur Hölle!“

„Kein Volltreffer, Capitán“, korrigierte der Erste mit kühler Sachlichkeit. „Es ist nur ein unbedeutender Schaden entstanden.“

„Wollen Sie mich etwa belehren, Molina?“

„Ich stelle lediglich eine Tatsache fest, mehr nicht.“

Garcia winkte ärgerlich ab. Am Schanzkleid drehte er sich um und sah zur „Ghost“ hinüber, während im unteren Batteriedeck zwei schwere Stücke losböllerten.

„Dieser hirnlose Idiot von einem Engländer!“ tobte er. „Der Kerl ist absolut unfähig zum Handeln. Statt uns zu unterstützen, wie es besprochen war, drückt sich dieser Mensch in einer Ecke herum, wo er absolut nichts zu suchen hat. Sehen Sie sich das mal an!“

Die „Ghost“ bot einen jämmerlichen Anblick, als sei sie in der Bucht gestrandet. Dadurch, daß sie Heckberührung mit dem Ufer hatte, war sie aus dem Ruder gelaufen. Das Focksegel bewegte sich nicht mehr und hing schlaff von der Rahrute. Das restliche Tuch bewegte sich zwar noch, aber zu leicht, um noch Vortrieb zu erzeugen. Er konnte die „Ghost“ abschreiben, denn die war so gut wie manövrierunfähig.

Die Rohre brüllten noch einmal auf, aber Treffer waren nicht zu verzeichnen. Die Schüsse lagen zu kurz und schlugen wiederum in die Mangroven ein, die allmählich zu Kleinholz verarbeitet wurden.

Garcia mußte sich selbst eingestehen, daß er sich den Überfall völlig anders vorgestellt hatte, als er jetzt ablief. Er hatte mit keinen Widrigkeiten gerechnet. Auf gar keinen Fall hatte er miteinkalkuliert, daß es in der Bucht ein Schlupfloch gab, durch das der Seewolf entwischen konnte.

Es schien so, als habe dieser das Schlupfloch auch erst viel später entdeckt und es vergrößert. Was dahinter lag, das wußte Garcia nicht. Es konnte eine sumpfige Bucht oder ein weiterer Nebenarm des Tapti sein. Er hatte das dumpfe Gefühl, als würde er es auch nie mehr erfahren. Das war so eine dunkle Ahnung tief in seinem Inneren.

„Der kann uns nicht mehr helfen“, sagte Molina nach einem schnellen Blick und meinte damit Ruthland und seine Männer, die nicht wußten, was sie tun sollten. Die meisten standen an Deck herum und starrten hilflos auf die Planken. Oder sie sahen zur Schebecke, die jetzt mit den Mangroven zu verschmelzen schien.

Ruthland selbst brüllte zwar Befehle, doch in dem krachenden Donner der Abschüsse verloren sie sich oder wurden nicht verstanden.

An Bord der Kriegsgaleone ging es noch diszipliniert und relativ ruhig zu. Alle Männer waren auf ihren Posten. Doch das änderte sich von einem Augenblick zum anderen, als auf der Schebecke der Seewölfe etwas Eigenartiges geschah.

„Was tun die da?“ fragte Garcia seinen Ersten. „Sie rennen auf dem Achterdeck, wie aufgescheuchte Hühner rum. Können Sie etwas erkennen, Molina?“

Durch den wabernden Rauch, vermischt mit dünnen Nebelschwaden, war nicht viel zu sehen. Wie ein schwacher Schleier hing der Qualm vor der Galeone und trübte den Blick auf das Geschehen.

Der Erste bemühte sich, etwas zu erkennen. Auf dem Achterdeck der Schebecke kokelte es.

„Nicht genau, Capitán. Es scheint, als qualme dort etwas stark – oder glimme sogar. Mehr kann ich nicht sehen. Aber etliche Männer haben sich um die Stelle geschart.“

„Durch unseren Treffer wird ein Feuer ausgebrochen sein“, bemerkte Garcia zufrieden. „Jetzt versuchen sie es zu löschen.“

Auf der Galeone wurde nachgeladen. Garcia wollte noch eine günstigere Schußposition erreichen, deshalb ließ er das Feuer für einen Augenblick einstellen, obwohl noch etliche Rohre feuerbereit waren.

Undeutlich sah er, wie auf der Schebecke ein paar Männer eilig auseinandergingen und sich von der glimmenden und qualmenden Stelle in auffallender Hast entfernten.

Garcia stierte regelrecht zu der Schebecke hinüber. Sein Griff an den etwas faltig wirkenden Hals war typisch für ihn. Das tat er immer, wenn er über etwas im unklaren war. Molina hatte das häufig beobachtet. Es schien eine Geste der Hilflosigkeit zu sein.

Drüben wurde die Rauchentwicklung stärker. In der Luft lag ein eigentümliches Zischen. Mit fauchenden Geräuschen stieg etwas von dem Achterdeck des englischen Schiffes in den Himmel auf.

Dieses Etwas knatterte und pfiff und stieß schrille Heultöne aus, die entsetzlich laut über die Bucht hallten.

Die Spanier starrten wie gebannt nach oben, als das Etwas rasend schnell in die Morgenhimmel stieg. Hinter sich zog es einen leuchtenden und qualmenden Schweif her. Das Ding erreichte eine erstaunliche Höhe, bevor es sich langsam senkte. Es schien jetzt in großer Höhe genau über der Galeone zu schweben.

Garcia verspürte trotz der morgendlichen Schwüle und Wärme ein Frösteln über seinen Körper laufen.

 

Sehr fahrig und mit offenem Mund griff er wieder an seinen Hals.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?