Wenn die Sonne bläst

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Wenn die Sonne bläst
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Fred Keller





Wenn die Sonne bläst





Engelsdorfer Verlag



Leipzig



2016









Fred Keller







Der Autor wurde 1971 in Pforzheim geboren. Als gieriger Leser verschlingt er Altes, Neues, Krimis, Biografien und Sachbücher. Schon immer sagte er: »Irgendwann schreibe ich selbst.« Mit vierzig fing er damit an.







Seither sind Fabeln, Kinder- und Fantasy-Kurzgeschichten entstanden, aber auch solche aus dem ganz »normalen« Leben sowie Esoterisches, was er gerne als seine »Spirits« bezeichnet. Er liebt schwarzen Humor, der mitunter in seine Storys mit einfließt.







Seit 2015 ist er Mitglied des Goldstadt-Autoren e. V., Pforzheim.









Bibliografische Information durch die



Deutsche Nationalbibliothek:



Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet



diese Publikation in der Deutschen



Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische



Daten sind im Internet über



http://dnb.dnb.de

 abrufbar.



Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig



Alle Rechte bei Fred Keller



Lektorat: textREIN, Ursula Gassler,



Königsbach-Stein



Covergestaltung: Claudia Konrad



Coverbild © Wolfgang Schüssler



Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)



1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016





www.engelsdorfer-verlag.de









Wer Weisheit sucht, ist ein Weiser;



wer glaubt, sie gefunden zu haben,



ist ein Narr.





Seneca








Inhalt







Cover







Titel







Über den Autor







Impressum







Zitat







Vorwort







Wenn die Sonne bläst







Die Psychologin







Friedhofsleuchten







Mittagspause







Zwei Wege







Kein Abstellgleis







Der Revoluzzer







Februarblues







Danke







Veröffentlichungen








Vorwort





Liebe Leser,



es war mir eine Freude, diese Geschichten zu schreiben und mit Hilfe zweier engagierter Autorenkolleginnen in Buchform erscheinen zu lassen.



Meine Protagonisten sowie ihre Entwicklungen sind erfunden. Ich will niemanden von irgendwas überzeugen. Jeder Mensch muss seine eigene Wahrheit finden. Inspiriert wurde ich von vielen Gesprächen mit außergewöhnlichen Menschen und unzähligen Büchern.



Es würde mich freuen, wenn Ihnen meine Geschichten Freude bereiten, damit Sie sich nach dem Lesen zufrieden zurücklehnen und etwas davon in den oft hektischen Alltag mitnehmen können.



Ich wünsche gute Unterhaltung.



Herzlichst,



Fred Keller






Wenn die Sonne bläst





Das Haus stand auf einer Anhöhe mit Blick über das angrenzende Dorf, in dessen Nähe ein See zum Baden einlud. Ackerland rund ums Gebäude ermöglichte den Bewohnern, jeder Pflanze den für sie passenden Platz zu geben. So war auf der Südseite ein Kräutergarten angelegt, der in der Sommerhitze seinen intensiven Duft verströmte. Basilikum und Rosmarin überwogen, aber auch sonst war alles da, was man für gute, einfache Gerichte benötigt.



Kais Vater war vor einem Jahr dem Krebsgeschwür erlegen, welches ihn von innen heraus unaufhaltsam aufgefressen hatte. Er konnte am Ende keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen und magerte ab, bis ihn die eigene Familie auf der Straße fast nicht mehr erkannte. Sein Vater pfiff ihm am Tag vor seinem letzten Gang ins Krankenhaus aus hundertfünfzig Metern Entfernung nach, weil er keinen Schlüssel dabei hatte, und Kai erkannte ihn erst beim zweiten Hinsehen. Dieses Erlebnis hatte sich unauslöschlich in ihn eingebrannt. Vor der Operation besuchte er seinen Vater in der Klinik und sagte so vieles nicht. Der Gedanke, dass dies möglicherweise das letzte Gespräch gewesen war, wurde ihm erst klar, als der Todgeweihte das Bewusstsein nicht mehr erlangte.



Die Mutter bezog in der nächsten Stadt eine kleine Wohnung, es gab zu viele Erinnerungen, nicht nur gute, die sie hinter sich lassen wollte.



So hatte Kai als einziger Sohn das Anwesen übernommen und wohnte in einem großen Raum im Erdgeschoss. Das Wohnzimmer befand sich auf derselben Ebene, dazu ein Bad und eine Wohnküche samt gut gefüllter Speisekammer. Das Elternschlafzimmer, das Gästezimmer sowie ein weiteres Bad im oberen Stock standen leer.



»Jetzt mach ich alles neu und schmeiß den alten Mief raus«, erklärte Kai seinem langjährigen Freund Thomas. »Mit der Erbschaft kann ich die Zimmer so gestalten wie sie mir gefallen. Keine Geweihe mehr an den Wänden, und das Bild mit dem Hirsch verbanne ich auf den Dachboden. Wie wär’s? Willst du bei mir einziehen? Wir könnten eine Wohngemeinschaft gründen. Ihr habt doch ständig Knatsch, du und deine, wie heißt sie noch?«



»Nicht so wichtig. Wir haben uns getrennt.«



»Ups, wann das denn?« Kai würde sie zwar wenig vermissen, aber für Thomas tat es ihm leid, obwohl dieser einen recht zufriedenen Eindruck machte.



»Gestern«, kam die kurze Antwort. »Ist wohl besser so. Hatte einfach keinen Wert auf Dauer.«



»Das sehe ich auch so.« Kai boxte Thomas gegen die Schulter, bevor er den Arm um ihn legte. »Du findest bestimmt eine Passendere.«



»Ach ja, aber das hat Zeit. Ich möchte das Singledasein genießen. Essen, was mir schmeckt, und nächtelang lesen, ohne dass jemand sagt, ich blättere zu laut. – Aber jetzt mal ehrlich, war das dein Ernst mit dem Einziehen? Wie viel Miete möchtest du? Die alte Wohnung kann ich mir alleine kaum leisten.«



»Lass dir darüber mal keine grauen Haare wachsen. Die Frauen stehen auf dein Blond. Das Haus ist bezahlt, da kommen wir sicher klar.«



Die jungen Männer begannen zu renovieren oder beauftragten ortsansässige Handwerker. Nach sechs Monaten erinnerte nur noch der Grundriss an das Elternhaus. Das Zusammenleben gestaltete sich problemlos. Thomas wohnte neben Kai, die Haus- und Gartenarbeit teilten sie sich auf.



»Ich habe David, den Landschaftsgärtner, für heute engagiert. Er soll den morschen Quittenbaum durch einen Kastanienbaum ersetzen«, erzählte Kai am Morgen.



»Schön, ich freue mich, ihn mal wieder zu sehen. In der Schule war er ein paar Klassen über uns. Ich hab ihn bewundert, er machte einen so selbstsicheren Eindruck. Bin gespannt, wie es ihm geht«, antwortete Thomas.



Am Nachmittag rumpelte ein Kleinlaster die Auffahrt hinauf, auf dessen Ladefläche der neue Baum auf seinem Wurzelballen schwankte. Der schmächtige Fahrer drückte zweimal kurz auf die Hupe, öffnete die Tür und sprang vom Sitz. Kai und Thomas traten aus dem Haus.



»Hallo, ihr Landeier, Mann ist das schön hier. Diese Ruhe ist ja unbezahlbar.« David saugte die Frühlingsluft tief in seine Lungenflügel.



Sie begrüßten sich, und Kai empfand Davids Händedruck als sehr kräftig.



»Komm, ich zeig dir die alte Quitte«, sagte er und ging voraus.



Nach wenigen Minuten war David so vertieft in seine Arbeit, dass er gar nicht reagierte, als Kai fragte, ob er zum Abendessen bleiben wolle.



So warf Kai den Backofen an, schnippelte Gemüse und öffnete einen Rotwein aus seines Vaters Weinkeller.



Er stand gerade an der Arbeitsplatte, holte die ersten Leckereien aus der Pfanne und legte sie in den Ofen, um sie warm zu halten, als David in die Küche trat. Auf seinem Gesicht ein Lächeln.



»Da ist Wasser und Kernseife, David.« Kai deutete zu einer Tür, die in die Waschküche führte. »Du kannst dir die Hände waschen. Essen ist gleich fertig.«



»Danke, körperliche Anstrengung macht hungrig.«



»Ja, einen Baum zu pflanzen ist eine wirklich sinnvolle Arbeit«, schaltete sich Thomas, der die Küche betrat, in das Gespräch ein.



Es folgte ein ruhiger, gemütlicher Abend, sie sprachen über vergangene Zeiten und gemeinsame Bekannte. Harmonie lag in der Luft.



Nach Stunden lehnte sich David zufrieden auf der Eckbank zurück, knabberte an einem Selleriestängel und fragte in die Runde: »Sagt mal, was muss man tun, um hier wohnen zu können? Eine Bank überfallen?«



Kai warf Thomas ein Nicken zu.

 



»Erben oder einen philanthropischen Freund haben«, platzte Thomas heraus.



»Einziehen«, sagte Kai trocken.



»Das ist jetzt kein weinseliger Spruch?«, fragte David verunsichert nach.



»Ich bin zwar bekannt für meine Scherze, aber mir war noch nie etwas so ernst. Oben stehen zwei leere Zimmer neben einem unbenutzten Bad. Du bist herzlich willkommen.«



»Ich würde so gerne etwas weniger arbeiten und mehr leben«, erläuterte David.



»Tu es!« Kai nickte mit dem Kopf und zeigte in Richtung Dachgeschoss. So war der Einzug beschlossen.



Davids neue Bleibe, in die er Anfang März einzog, wies große Räume auf.



»Wir denken spiritueller als der Großteil der Bevölkerung. Du wirst gut zu uns passen. Mit dir direkt unter dem Dach kann nur positive Energie angezogen, gebündelt und auf das gesamte Haus verteilt werden.« Thomas war begeistert von Davids Vergrößerung der WG, schon in der Schule war er sein Vorbild gewesen.



Kai hingegen beäugte das Ganze etwas misstrauischer. Er fühlte sich auch zur Spiritualität hingezogen, war aber der geborene Skeptiker, stellte alles gern zweimal in Frage.



»Nun mach mal halblang«, wiegelte David verlegen ab, fuhr sich über die schwarzen Haarstoppel, in denen sich erstes Grau zeigte.



Kai überließ ihm das obere Geschoss für den Bruchteil dessen, was andere bereit gewesen wären, für solch eine Lage zu bezahlen. So bekam Davids Spitzname »Oberguru« noch eine weitere Bedeutung.



Thomas strich die meiste Zeit durch den nahen Wald oder arbeitete vor dem Haus an Steinskulpturen, für die er hin und wieder einen Abnehmer fand, was ihm genug für seine bescheidenen Ansprüche einbrachte.



David war Mitte Vierzig, durchschnittlich groß, und hatte sicher kein Gramm zu viel auf den Rippen. Er lebte streng vegetarisch und nahm nicht mehr Kalorien zu sich als sein Körper brauchte. Der Gärtnerberuf ersparte ihm den Besuch eines Fitnessstudios, und im Sommer zeigte er schnell eine gesunde Bräune.



»Mensch, Kai. Ich bin dir so dankbar für diese Räume. Nie hätte ich gedacht, einmal so wohnen zu können. Schon aus finanziellen Gründen.«



»Passt schon, mir ist ein gesunder Geist wichtiger als ein dickes Bankkonto.«



Das Eckzimmer mit Fenstern nach Osten und Süden benutzte David als Schlafzimmer, das zweite, welches nur nach Süden ausgerichtet war und von dem noch ein Balkon abging, diente als Wohnzimmer. Die Einrichtung hielt er spartanisch. »Konzentration auf das Wesentliche«, war einer seiner Leitsprüche.



David besaß einen Laptop, der bei Nichtbenutzung keinen Platz beanspruchte, sondern zusammengeklappt ins Regal geschoben werden konnte.



»Das Wissen der Welt, abrufbar mit diesem kleinen Gerät, erspart mir alle gedruckten Lexika im Bücherschrank«, erklärte er Kai, dessen Zimmer vor Bücherregalen überquoll.



Die Küche im Erdgeschoss fungierte als Gemeinschaftsraum. Am rustikalen Holztisch wurde oft bis spät in die Nacht über Gott und die Welt und noch weitreichendere Themen philosophiert.



Die Gemeinschaft der drei Männer brannte darauf, Antworten auf die immer wiederkehrenden Fragen zu finden: Hat das All ein Ende? Wie lange ist ewig? Ist der Tod das Ende oder ein Neuanfang?



Nach einem solchen Gesprächsmarathon fielen sie total erschöpft in ihre Betten, mit dem Ergebnis, mehr neue Fragen aufgeworfen als alte beantwortet zu haben. Und doch kam jeder von ihnen auf seiner Lebensbahn weiter, indem er versuchte, dieselben Dinge aus der Sicht der anderen zu sehen. Ein neuer Blickwinkel ergibt ein völlig anderes Ergebnis.



Das Einzige, was jetzt noch fehlte, war der Frühling. Seit Monaten herrschte tristes Novemberwetter, und das im März. Am einen Tag Wind mit Regen und am nächsten Regen mit Wind.



»Wir müssen zwar jede Situation annehmen, so gut wir können«, belehrte David seine Mitbewohner. »Aber vor kurzem habe ich die Geschichte vom Februarblues gelesen und genauso fühle ich mich momentan. Gibt es hier Sommer? Mein Hunger nach der wärmeren Jahreshälfte wächst von Tag zu Tag, mein Körper schreit nach Licht, Luft und Sonne.« Frustriert ließ er die Schultern fallen, die er zuvor nach oben gezogen hatte.



Thomas und Kai schauten bestürzt zu Boden. So kannten sie David gar nicht, sonst war er der Optimismus in Person. Sie erzählten ihm von den gescheiterten Versuchen vieler Maler, die wechselnden Jahreszeiten mit den jeweils ganz eigenen Lichtverhältnissen auf ihre Leinwände zu bannen.



»Du wirst von den lauen Sommernächten begeistert sein. Dann können wir unter dem Sternenhimmel schlafen. Ein Moskitonetz, und darüber nur ein leichter Wind«, schwärmte Kai.



»Ich freu mich drauf. Als Sommermensch kann es mir gar nicht zu heiß sein.«



Doch jetzt war Ende März, die Zeitumstellung kam, und mit ihr sollte erst einmal der Frühling Einzug ins Land halten.



In der Nacht zum 24. März kam Kai nicht zur Ruhe. David, der direkt im Zimmer über ihm sein Bett stehen hatte, warf sich von einer Seite auf die andere, stand auf, legte sich wieder hin und wiederholte diese Prozedur noch ungefähr zwanzigmal. Das war nicht zu überhören.



Am Morgen polterte der »Oberguru« die Treppe herunter. »Leute, habt ihr das gesehen? Das war der angekündigte Supersonnensturm.«



»Ja, ja, Guru!«, antwortete ihm Kai aus der Küche. »Wir haben dir ja gesagt, wenn hier die Sonne scheint, dann meinst du, sie bläst dir das Hirn in den Nacken. Wurde doch Zeit, dass das Wetter endlic

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?