Leben statt Angst

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Leben statt Angst
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Das Buch

Wovor haben Sie Angst? Vor Spinnen, vor gefährlichen Krankheiten? Angst vor beruflichem Versagen, Altersarmut, vor Überfremdung, vor Umweltkrisen oder vor Kündigung? Ängste gibt es viele.

Was erwarten Sie vom Leben, was möchten Sie erreichen? Ansehen und generelle Akzeptanz? Beruflichen Erfolg? Schönheit? Was hindert Sie daran, solche Lebensziele zu erreichen? Es sind die unterschwelligen Ängste vor der Nichterfüllung fiktiver Wünsche.

Das vorliegende Buch möchte Ihnen alle Ängste nehmen und Ihnen den wahren Sinn eines wirklich erfüllten Lebens bewusstmachen. Ängste sind Ängste, das wirkliche Leben ist unvergleichlich viel mehr: Leben, ohne Angst zu haben, bedeutet, ohne vorgefasste Erwartungen zu leben.

Der Autor

Felix R. Paturi, Jahrgang 1940, ist Dipl.-Ing. und Psychologe. Seit ca. 40 Jahren ist er als freiberuflicher Wissenschaftspublizist tätig. Er verfasste rund 50 Bücher, die in über 20 Sprachen übersetzt wurden, und zahlreiche Zeitschriftenbeiträge. Zehn Jahre lang arbeite Paturi freiberuflich für die Redaktion Forschung und Technik des ZDF. In diesem Rahmen realisierte er zahlreiche Forschungsberichte aus aller Welt. Paturi bereiste über 60 Länder in allen Erdteilen. Im Reichel Verlag sind von ihm erschienen Indianische Heilpflanzen und Heilbuch der Schamanen.

Felix R. Paturi

Leben statt Angst


Inhaltsverzeichnis

Umschlag

Das Buch / Der Autor

Titel

Inhaltsverzeichnis

Mein Leben und ich: eine Lebensgemeinschaft

Das ängstliche kleine Frauchen

Die Angst des Helden

Furcht ist lebenswichtig

Lähmende Angst ist hartnäckig

Finger weg von spirituellen Selbstheilungsversuchen

Vor dem Aufbau gilt es „Ruinen“ abzutragen

Es gibt keine Abkürzung zum Erfolg

Abriss bedeutet nicht planlose Zerstörung

Gehirnentwicklung durch Spezialisierung

Die Fähigkeit zur Angst ist angeboren

„Seelenverlust“

Auch psychische Dauerüberforderung erzeugt Angst

Welche Arten von Angst gibt es überhaupt?

A. Unverzichtbare Ängste

B. Bedingt hilfreiche Ängste

C. Quälende, krank machende Ängste

Phobien

Was will ich abreißen?

Angstkultur und Sicherheitswahn

Wissen aus zweiter Hand

Das Fundament der Angst wird in der Schule gelegt

Worauf Sie sich einlassen sollten

Faszinierende Jahre

Die „typical German Ängst“

Das Panikthema Weltklima

Leben heißt für Neues offen sein und sich dagegen nicht zu wehren, sonst tritt Routine ein

Impressum

Mein Leben und ich:
eine Lebensgemeinschaft

Die eigenen Wehwehchen sind für manche Menschen ein ergiebiges Gesprächsthema, das leicht zum Ersatz für einen fehlenden sinnvollen Lebensinhalt entarten kann.

Vor Jahren praktizierte in unserer Gemeinde ein Arzt, dem meine volle Sympathie galt. Nicht als Arzt, der Mediziner faszinierte mich als Mensch. Er hatte lange als Landarzt in einem malaiischen Dorf gearbeitet, verfügte über ein enormes Allgemeinwissen und besaß einen intellektuell geschliffenen, rabenschwarzen und dabei doch liebevollen Humor. Als Mitglied im Verein schreibender Ärzte hatte er nicht nur alte Legenden und Volksmärchen aus Malaysia als kleine literarische Kostbarkeiten zu Papier gebracht, sondern auch die bewegende Lebensgeschichte seines berühmten Berufskollegen Dr. Semmelweiß in das Versmaß klassischer Pentameter und Hexameter gegossen.

Wenn ich seine Praxis besuchte, dann nicht als Patient, sondern um mit ihm zu plaudern, was uns beiden gleichermaßen Freude bereitete. Mir war dabei nur peinlich, dass zu solchen Zeiten nicht selten mehrere kranke Menschen das Wartezimmer bevölkerten und manchmal eine Stunde ausharren mussten, bis der Onkel Doktor durch seine – als praktizierender Technikfreak selbstgebastelte – Sprechanlage schnarrte: „Der Nächste bitte.“ Mehr als einmal sprach ich ihn auf diese Unhöflichkeit an. Er antwortete immer dasselbe: „Wissen Sie, die Leute da vor der Tür sind gar nicht wirklich krank. Wären sie es, dann würde ich mich sofort um sie kümmern. Es sind meist alte Frauen, die in mein Wartezimmer kommen, weil es da gemütlich ist, weil sie dort Zeitungen und Illustrierte finden und auch schon mal einen Kaffee bekommen, und vor allem, weil sie dort Gesellschaft haben, die ihnen privat fehlt. Wenn ich sie in meine Praxis bitte, sagen sie: ‚Ach nein, Herr Doktor, nehmen Sie ruhig erst einen anderen Patienten dran. Ich habe Zeit, ich warte gerne.‘

Das Beste für sie ist, dass sich in einem Arztwartezimmer der Gesprächsstoff quasi von selbst anbietet: die eigenen Wehwehchen. Viele Menschen sprechen über nichts lieber als über sich selbst und ihre Krankheiten. Die sind das Einzige, was ihnen Profil als Persönlichkeit verleiht, das Einzige auch, dem sich kaum ein Gesprächspartner entziehen kann, denn das wäre unhöflich. Natürlich kann ich sagen: ‚Können wir nicht über etwas anderes sprechen? – Fußball interessiert mich nicht‘ oder: ‚Mit Börsenkursen habe ich nichts am Hut‘. Aber ich kann schlecht jemandem ins Gesicht schleudern: ‚Lassen Sie mich doch mit Ihrer werten Krankheit in Ruhe, die ist mir so was von egal …‘ Nein, so taktlos darf man nicht sein.“

„Diese alten Leute“, sagte mir der Arzt weiter, „haben eine regelrechte Symbiose mit ihrem Zipperlein geschlossen, ihre Krankheiten sind oft zum – oftmals letzten – Lebenspartner geworden. Solche Patienten darf ich nicht kurieren. Ich würde ihnen alles nehmen, was ihnen als Lebensinhalt noch geblieben ist, und täte ich es, dann würden sie ernsthaft krank, oder sie stürben gar. Also dürfen sie bei mir im Wartezimmer sitzen und mit Gleichgesinnten über das plaudern, was sie am meisten beschäftigt. Manchmal finden dabei regelrechte Wettbewerbe statt: ‚Ich weiß ja, dass auch Sie Kreislaufprobleme haben, aber meine sind noch viel schlimmer als Ihre: Sie bekommen ja noch die blauen Tabletten, ich muss schon seit vorletztem Jahr die roten Kapseln schlucken, und der Doktor hat gesagt, die sind viel stärker.‘“

Das ängstliche kleine Frauchen

Wer mit seinen Ängsten öffentlich kokettiert, will damit oft nur Hilfsbereitschaft bei seinen Mitmenschen wecken.

Wie es eingebildete Kranke gibt, denen die Weltliteratur sogar Theaterstücke gewidmet hat, so gibt es auch nicht wenige eingebildete Angstkandidaten, die mit ihrem furchtsamen Wesen regelrecht kokettieren. Da ist das hilflose Frauchen, das schamlos jeden Möchtegern-Macho um den kleinen Finger wickelt, weil es doch so ängstlich ist und ohne männlichen Schutz den Grausamkeiten des Lebens hilflos ausgeliefert wäre. „Ach, könnten sie mich nicht nach Hause fahren? Ich fürchte mich im Dunkeln allein immer so.“

Da ist das kleine Kind, das seiner Mutter noch die zehnte Gutenachtgeschichte entlockt, weil es doch sonst vor dem Einschlafen Angst hat. Es geht kaum etwas leichter, als gutmütige Menschen mit Angst und vorgeblicher Schwäche zu nötigen und zu erpressen. Und was käme in einem Spielfilm besser beim Kinopublikum an als eine schreckhafte Blondine, die bei jeder Gelegenheit einen ebenso angsterfüllten wie markerschütternd gellenden Schrei ausstößt?

Menschen dieses Schlages haben sich mit ihrer Angst und Hilflosigkeit derart intim liiert, dass sie ohne diese Schwäche 80 Prozent ihrer Persönlichkeit einbüßen würden. Lassen wir ihnen ihren eigenwilligen Lebensstil, der alles in allem sogar recht erfolgreich ist.

 

Die Angst des Helden

Es gibt aber auch ganz andere Charaktere, die ohne Angst nicht leben können. Sie sind keineswegs auf fremde Hilfe aus, und meist handelt es sich bei ihnen sogar um überaus starke Naturen – deren Stärke allerdings aus der Überkompensation von Minderwertigkeitskomplexen erwächst. Zu ihnen gehören Extremsportler vom Steilwand-Snowboarder über den Zehn-Meter-Wellen-Surfer bis zum ungesicherten Freikletterer im 12. Schwierigkeitsgrad. Zu ihnen gehören Auto-Crashpiloten, ungesicherte Hochseilakrobaten, Jet-Kunstflieger und Frontberichterstatter. Und wieder anderen gibt es angstgeprägte Erfolgserlebnisse, ihre körperlichen Grenzen in völlig sinnloser Weise auszuloten, indem sie sich etwa an Wettsaufgelagen oder am Wettessen extrem scharf gewürzter Speisen beteiligen.

Seit der Steinzeit ist der Mensch in seinem Verhalten und seinen Reaktionen an die Konfrontation mit zahlreichen objektiven Gefahren gewöhnt. Weil es die meisten davon in unserer weitgehend risikofreien Gesellschaft heute nicht mehr gibt, suchen viele Menschen instinktiv nach Ersatzgefahren – vom harmlosen Horrorfilm bis zum halsbrecherischen Extremsport, um ihren evolutionär entwickelten Fähigkeiten zum Umgang mit Ängsten ein Spielfeld zu verschaffen.

Sie alle verbindet eine Hassliebe mit ihrer Angst. Sie brauchen die Angst einerseits wegen des Adrenalinkicks, nach dem sie süchtig sind. Sie brauchen das damit verbundene Allmachtsgefühl, das immer nach stärkeren und stärkeren Sensationen verlangt. Und sie brauchen die Angst auch als Lebensretter, denn Angst steigert das Wahrnehmungs- und Konzentrationsvermögen, erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit und Entscheidungsbereitschaft. Zeitgenossen dieser Couleur wollen ihre Angst gar nicht loswerden. Sie möchten niemals auf den regelrechten Rausch der Angst und die damit verbundenen euphorischen Gefühle verzichten. Ein bisschen von diesem Kick erlebt der normale Sterbliche, wenn er Achterbahn fährt, wenn er sich einer Geisterbahn anvertraut oder mit Begeisterung Horrorfilme ansieht.

Furcht ist lebenswichtig

Gesunde Furcht kann ein lebensrettender Warner und Berater sein. Zugleich verleiht sie über körperliche Reaktionen Kraft und Schnelligkeit, um objektive Gefahren zu meistern.

Und dann ist da noch eine Form der Angst, die keineswegs verzichtbar ist. Ich will sie in diesem Buch zur besseren Unterscheidung gar nicht als Angst bezeichnen, sondern Furcht nennen. Diese Furcht ist ein feinfühliger Sensor, der uns vor realen Gefahren warnt. Es wäre Wahnsinn, ohne jede Furcht – entsprechend unzureichend vorbereitet – zu einer Hochgebirgstour aufzubrechen. Wen keine Furcht davor zurückhält, lebensgefährlich leichtsinnig zu handeln, der hat die besten Aussichten, sich eine Querschnittslähmung einzufangen oder buchstäblich Kopf und Kragen zu verlieren.

Auch die Furcht vor unmittelbar und deutlich erkennbar drohender Gefahr ist sinnvoll. Wenn ich in akuter Lebensgefahr vor etwas oder jemandem flüchte, dann verleiht mir die Furcht weitaus bessere Flügel als Red Bull. Sie versetzt mich in die Lage, in den autonom geschützten Bereich meiner körperlichen Reserven vorzudringen und erheblich höhere körperliche Leistungen zu erbringen, als mir das sonst selbst bei größter Anstrengung möglich wäre.

Lähmende Angst ist hartnäckig

Angst und Furcht können also durchaus sinnvoll sein. Wäre es nicht so, dann hätte uns die Evolution wohl kaum mit diesen Emotionen ausgestattet. Aber Angst kann auch sehr negative Formen annehmen. Übertriebene, unbegründete oder lange anhaltende Angst lähmt, macht entscheidungs- und handlungsunfähig, erzeugt psychische und physische Krankheiten und tötet jegliche Lebensfreude, Begeisterungsfähigkeit und Motivation. In diesem Buch geht es um derartige krankhafte Formen der Angst. Und die sind heute in unserem Kulturkreis leider sehr weit verbreitet und nehmen oft erschreckende Ausmaße an. Ihr Gesicht kann sehr vielfältig sein: von konkreten Phobien bis hin zu ganz allgemeiner, diffuser Daseinsangst.

„Angst essen Seele“, sagt ein schwarzafrikanisches Sprichwort. Und ein Mensch mit Seelenverlust – die moderne Psychologie spricht von partieller Dissoziation, meint damit aber dasselbe – ist ein in seinem ganzen Gefühlsleben, in seinem Wollen und Handeln und in seiner Selbstachtung behinderter Mensch. Das muss nicht so bleiben.

Ich will Angsthasen mit diesem Buch helfen, Schritt für Schritt aus ihrer Grube herauszukommen. Aber das geht nicht mit einer Wundermedizin, die man nur einzunehmen braucht wie eine Pille – und schon ist alles in Butter. Und es geht auch nicht nach dem Motto „Angstfrei in drei Wochen nach der Paturi-Methode“. Eine solche Methode gibt es nicht. Angst ist ein Lebensstil. Angst ist eine gründlich erworbene Charaktereigenschaft, die sich nicht so einfach ablegen lässt wie ein zu eng gewordenes Hemd. Ängste loswerden bedeutet einen tiefgreifenden Persönlichkeitswandel auf vielen Ebenen gleichzeitig. Das braucht nicht nur Zeit – und deshalb Geduld –, das verlangt auch intensive und konsequente Arbeit an sich selbst. „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ geht hier nicht.

Durch ein Trauma oder langjährig praktizierte eigene Verhaltensmuster erworbene Ängste sitzen. Man kann sie nicht in wenigen Tagen loswerden. Noch mehr Zähigkeit und Geduld braucht es, sich von archetypischen Grundängsten zu trennen, die im Wesen des Menschen verankert sind.

Aber wer es ernst meint mit dem Wunsch, seine krankhaften Ängste für immer loszuwerden, dem wird mein Buch Schritt für Schritt in Theorie und Praxis den Weg dazu weisen. Es genügt dabei freilich nicht, die Seiten lediglich zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Sie müssen auch konsequent, ausdauernd und geduldig danach handeln. Lassen Sie es mich so sagen: Egal, wie viele und wie gute Bücher Sie zum Thema Sexualität und Zeugung lesen, allein durch die Lektüre wird sich Ihr Kinderwunsch niemals erfüllen. Sie müssen das Gelernte auch unbedingt selbst praktizieren, damit sich Erfolge einstellen. Mit dem Loswerden Ihrer Ängste ist das kein bisschen anders. Ich kann Sie nur führen. Gehen müssen Sie selbst. Und bitte lassen Sie sich damit die nötige Zeit – aber auch nicht mehr, sonst gerät Ihr Programm ins Schleifen. Gehen Sie Schritt für Schritt vor. Man kann kein solides Haus bauen, wenn nicht zuerst ein sauberes Fundament gelegt wird, wenn nicht zuerst Ruinen entfernt werden, die sich auf Ihrem Grundstück befinden. Der Prachtpalast würde später plötzlich zusammenbrechen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Erfolg beim Durcharbeiten – nicht beim Lesen – dieses Buches. Spätestens nach dem ersten Drittel wird es leichter, denn spätestens dann zeigen sich die spürbaren Erfolge, und das gibt Auftrieb.

Finger weg von spirituellen Selbstheilungsversuchen

Seit Professor Michael Harner und andere Wissenschaftler in den 1970er Jahren schamanische Arbeitsweisen in der westlichen Welt salonfähig machten, fanden diese auch vielfältigen Eingang in die moderne Psychotherapie. Die spricht zwar meist nicht von „schamanischen Reisen in die untere und obere Welt“ und auch nicht von „Krafttieren“ oder „spirituellen Lehrern“, die dem Schamanen helfend zur Seite stehen, sondern benutzt Ausdrücke wie „katathyme Bilderschau“, weil diese professioneller und anspruchsvoller klingen als das Vokabular der Stammesschamanen sogenannter Primitivvölker.

Immerhin bestätigte bereits um 1985 die Weltgesundheitsorganisation, dass derzeit nur etwa 15 Prozent aller Patienten weltweit schulmedizinisch versorgt werden, dagegen aber rund 85 Prozent schamanisch. Die Heilerfolge, so die WHO, seien in beiden Lagern etwa gleich groß, wenn auch nicht genau auf denselben Gebieten. Ein Patient mit offenem Schädelbruch oder einer akut lebensbedrohlichen Infektion ist sicher bei einem Schulmediziner in besseren Händen, während bei der Vielzahl psychosomatischer Leiden und bei Krankheiten, deren Heilung sich durch seelische Prozesse beschleunigen lässt, oft der Schamane die besseren Karten hat.

Versuche, sich von Ängsten ohne kompetente Hilfe auf eigene Faust zu befreien, scheitern oft auch schon deshalb, weil der Betroffene Angst davor hat, dass es nicht klappen könnte und er dann in einen wahren Hexenkreis der Angst gerät.

Auch vielen Formen der Angst lässt sich schamanisch gut beikommen. Allerdings gibt es hier in unserer modernen Gesellschaft Missverständnisse: Immer wieder versuchen Menschen, in ein paar Wochenendseminaren die Grundlagen schamanischen Arbeitens zu erlernen, mit der einzigen Zielsetzung, sich dann selbst heilen zu können, sich von psychischen und physischen Leiden befreien und auch Ängste überwinden zu können. Das ist zum einen gar nicht der Sinn schamanischer Arbeit. Der Schamane ist ein Heiler, kein Selbstheiler. Ist er krank, wendet er sich in der Regel an einen Kollegen, wie das etwa auch ein Zahnarzt tut. Zum Zweiten kann der Versuch, sich schamanisch gleichsam an den eigenen Haaren aus dem Sumpf der Angst ziehen zu können, geradewegs ins völlige Abseits führen.

Ein guter schamanischer Heiler, der seinen Patienten seelisch „manipuliert“, weiß, was er tut. Ein Dilettant, der sich selbst seelisch manipulieren will, gerät fast immer in ein dichtes Netz aus Aberglauben und Selbstbetrug. Er verliert dann oft den Bezug zur Realität, und das weckt nur neue Ängste. Also Finger weg von Versuchen spiritueller Selbstheilung. Das gilt übrigens keineswegs nur für schamanische Methoden.

Vor dem Aufbau gilt es „Ruinen“ abzutragen

Misstrauen Sie allen Versprechungen, die Ihnen einreden wollen, Sie könnten Ihre Ängste nachhaltig binnen kürzester Zeit loswerden. Wer Ihnen Derartiges weismachen will, ist entweder ein Scharlatan oder ein Betrüger. Es gibt hier nur eine einzige Ausnahme: einige sehr spezielle Phobien – wie etwa die panische Angst vor dem Zahnarzt – lassen sich manchmal hypnotisch begegnen.

Nun gibt es eine – von Michael Harner und seiner „Foundation of Shamanic Studies“ entwickelte – Methode, die sich „Shamanic Counseling“ nennt und unter anderem bei Angstpatienten oft hervorragende Ergebnisse erzielt, wenn der Counselor eine solide Ausbildung absolviert hat und über ausreichende praktische Erfahrung verfügt.

Der Counselor führt seine Klienten dabei fünf Wochen lang durch inhaltlich aufeinander aufbauende Trance-Sitzungen und bespricht die Ergebnisse mit ihm. Ich selbst habe diese Technik wieder und wieder praktiziert und dabei immer dieselbe Erfahrung gemacht. Zumindest die erste Sitzung, nicht selten auch die ersten beiden Sitzungen, sind reine „Abrissarbeit“ und für den Klienten meist alles andere als angenehm. Er muss sich alten Traumen stellen, muss aufhören, überall ängstlich Halt zu suchen, sich von seinen oft manischen Sicherheitsbedürfnissen verabschieden. Er muss gründlich loslassen, ohne dafür zunächst einen tragfähigen Ersatz zu bekommen. Manchmal hatte ich das Gefühl, meinem Klienten wird buchstäblich auch noch das letzte bisschen Boden unter den Füßen fortgerissen, auf das er sich geflüchtet hatte.

Wer in dieser Phase den Weg ohne erfahrene Begleitung gehen würde, könnte nur allzu leicht resignieren, weil ihn das Gefühl bedrückt: „Jetzt wird ja alles noch viel schlimmer.“ Das steigert die Angst zu Panik und wird als Rückschlag empfunden. Und mitten in diesem vermeintlichen Desaster bricht man dann die hoffnungsvoll begonnene Selbsttherapie ab und macht damit wirklich alles noch schlimmer.

Aber es führt kein Weg daran vorbei: Wer die baufällige Ruine, in der er wohnt, nicht mehr sanieren kann, muss sie erst abreißen, ein neues Fundament legen und dann mit einem soliden Neubau beginnen. Natürlich ist die Situation zu Beginn dieses Prozesses nicht gerade beneidenswert. Es ist kein Glücksgefühl, vor einem riesigen Berg von Abrisstrümmern und Schutt seines bisherigen Weltbildes zu stehen, aus dem hier und dort noch die ramponierten Reste so manchen altvertrauten Objekts herausragen. Aber da muss man durch, wenn man wirklich Altes loswerden will, und mit dem Alten meine ich hier natürlich die bisherige, angsterfüllte Existenz.

Mein Buch wird Sie deshalb als notwendiges Übel zuerst einmal durch die Abrissphase begleiten. Der Aufbau kommt dann danach.