Charlotte und das Reitinternat - Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Charlotte und das Reitinternat - Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Titelei

Feli Fritsch

Charlotte und das Reitinternat

Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden

Für meine Mama

Die Autorin

Feli Fritsch wurde im Sommer 1997 in Darmstadt geboren. Sie wuchs in der Nähe von Frankfurt/Main auf, bis sie 2016 nach dem Abitur nach Mainz zog, um dort Buch- und Erziehungswissenschaft zu studieren. Schon als Kind begann Feli, Ideen festzuhalten und kleine Geschichten zu schreiben, die mit den Jahren immer länger wurden. Es entstanden Stück für Stück erste Romane.

Thematisch befassen sich die meisten ihrer Bücher mit Pferden, denn sie hat die Liebe zum Reiten bereits vor der Grundschule entdeckt. Aber auch das Segeln und eine eigene Segeljolle begleiten und inspirieren Feli seit 2013 zu neuen Büchern.

2017 veröffentlichte sie den ersten Band der Jugendbuchreihe „Anja und das Reitinternat“, deren Bücher von Charlottes Mutter erzählt werden. Die Buchreihe um Charlotte selbst führt auch ein Stück weit Anjas Geschichte weiter.

Weitere Infos unter www.feli-fritsch.de.tl

Prolog

„Oh, Alexander“, äffte Emilia Zoey nach. Charlotte musste daraufhin leise lachen und warf einen kurzen Blick auf die Oberzicke, die gerade erhaben mit ihrem Pferd Veto in die Halle kam und sich weder im Stande sah, Tür frei noch sonst eine Ankündigung zu rufen. Sie öffnete einfach die Bandentür und hätte dabei fast eine andere Reitschülerin vom Pferd gefegt.

„Meinst du, der sieht wirklich so gut aus, wie sie denkt?“, fragte Charlotte ihre beste Freundin und drückte sich von Alaskas Hals hoch. Motiviert war sie an diesem Morgen wirklich überhaupt nicht.

„Keine Ahnung. Aber das werden wir bestimmt bald herausfinden“, prophezeite Emilia und klopfte ihrer Melodie den Hals.

Die Herbstferien waren vorbei, das Leben auf dem Reitinternat ging weiter. Charlotte hatte die Herbstferien mit Melina, Bonnie, David und eine Woche auch mit Lukas verbracht. Und natürlich mit Alaska.

Ihr Freund David kam mit seiner Stute Lupita auf sie zu und blieb neben ihnen stehen. Dann beugte er sich zu seiner Freundin herüber und gab ihr einen Kuss auf den Mund. Charlotte erwiderte ihn glücklich. Sie waren jetzt seit etwas mehr als drei Wochen zusammen und es waren die schönsten drei Wochen ihres Lebens geworden.

„Willkommen zurück. Ich hoffe, ihr hattet alle schöne Ferien“, begrüßte Anja Brückner, Charlottes Mutter, die Klasse. Ihr gehörte gemeinsam mit ihrem Mann Philipp das Reitinternat, das sie von Anjas Eltern geerbt hatten. Beide waren selbst mal Schüler am Internat gewesen und Anja erinnerte sich liebend gerne an ihre alte Schulzeit zurück. Sie fühlte sich jedes Mal, wenn sie ihre Tochter sah, in die 80er Jahre zurückversetzt. Sie war erleichtert darüber, dass Charlotte sich hier genauso wohlfühlte, wie sie es damals getan hatte.

Anja schleppte sich mit einem Anflug von Übelkeit in die Bahn. Sie war inzwischen im dritten Monat schwanger, der Bauch fing an, dicker zu werden, und sie merkte die Auswirkungen der Schwangerschaft und der Hormone jeden Tag. „Ich war über die Ferien fleißig und habe eure Aufsätze korrigiert. Ich war so schnell, dass sogar die anderen Lehrer ihre Korrektur abschließen konnten“, sagte sie und hielt einen Stapel Mappen hoch. David sah zu Charlotte herüber. Sie hatten sich gemeinsam mit dem Tabu-Thema Hilfszügel beschäftigt und sich dabei deutlich besser kennengelernt. „Es sind alle sehr gut geworden“, sagte sie dann. „Die Noten stehen drunter, ihr könnt sie euch nachher bei mir abholen. Aber jetzt zum Willkommensturnier. Ich hoffe, ihr erinnert euch noch“, Anja legte den Stapel mit den Mappen weg und stellte sich in die Mitte der Bahn. Die Reiter hatten sich in einem Halbkreis aufgestellt. „Ich gratuliere euch allen zu euren Platzierungen und zu euren Siegen. Wir haben uns sehr über die hohe Teilnehmerzahl gefreut. Besonders jedoch über Emilias Sieg im M-Springen“, Charlottes Mutter suchte Emilia in der Gruppe und lächelte ihr stolz zu.

Am Ende der Dressurstunde versammelten sich alle Schüler um die Reitlehrerin und warteten darauf, dass ihre Mappe verteilt wurde. David hatte Lupita neben Alaska gelenkt und schaute Charlotte nervös an. Sie kannte ihn gar nicht so.

„Ich bin sooo gespannt“, David streckte Charlotte den Arm hin. Erst verstand sie nicht, was er wollte, doch dann nahm sie seine Hand.

„Den besten Aufsatz haben Zoey und Jonathan über das Reiten im Kader geschrieben“, verkündete Anja und alle starrten sie entsetzt an. Zoey hatte mit Jonathan den besten Aufsatz geschrieben? – Unmöglich. „Am spannendsten waren die beiden Themen Tabu-Thema Hilfszügel von David und Charlotte und Hofreitschule in Wien von Emilia und Elias“, Anja verteilte die drei Mappen an die Teams.

David nahm ihren Aufsatz entgegen und schlug ihn auf. „Eins minus, Charlotte“, er fiel ihr um den Hals und küsste sie erleichtert.

„Die viele Arbeit hat sich echt gelohnt“, erwiderte seine Freundin und warf ebenfalls einen Blick auf das Deckblatt. Alle Lehrer hatten sie im guten oder sehr guten Bereich bewertet.

„Das ja sowieso“, David grinste, dann lasen sie gemeinsam die Texte, die die einzelnen Reitlehrer drunter geschrieben hatten. Sie lobten ihre ausgezeichnete Arbeit und fanden besonders die erklärenden Bildaufnahmen und das Beispiel am Menschen gut gelungen. Die Gliederung war besonders übersichtlich geworden.

„Und jetzt alle aus der Halle“, rief Anja ihnen zu. „Die nächste Klasse kommt gleich schon zum Warmreiten“, scheuchte sie die Schüler Richtung Ausgang und alle stiegen ab.

„Hey, Annika. Wie sieht’s bei euch aus?“, fragte Charlotte ihre Freundin, die ebenfalls bei ihnen in der Klasse war, als sie sich durch den schmalen Eingang gequetscht hatten. Annika hatte mit Samuel an Das Weiße Springwunder Milton gearbeitet.

„Eine glatte Zwei. Wir sind sooo zufrieden.“ Annika fiel Charlotte um den Hals. Sie hatte sich bei der Erkundung des Spukhauses vor den Herbstferien den Fuß angebrochen und war lange Zeit nur auf Krücken zum Unterricht erschienen. Einige Wochen später hatte sie eine Schiene bekommen und jetzt durfte sie schon wieder mit einer Stabilisation reiten.

„Hey, herzlichen Glückwunsch“, gratulierte Charlotte ehrlich. Annika schenkte ihr ein Lächeln. Dann gingen sie gemeinsam Richtung Stall.

„Für November ist es schon voll kalt“, schnatterte Emilia und zog sich den Kragen ihrer Jacke höher ins Gesicht.

„Außerdem kommen wir gerade vom Reiten und ich habe geschwitzt. Da ist der stechende Wind gleich noch kälter“, stimmte Elias ihr zu, während er neben ihr herlief. Aus den beiden war – zu allgemeinem Erstaunen – immer noch kein Paar geworden. Obwohl Elias nicht gerade ein schüchterner Junge war.

Im Stall machten sie ihre Pferde fertig, danach hatten sie noch eine Stunde Englisch. Charlotte hasste Englisch und hatte immer ein ungutes Gefühl vor dem Unterricht. Aber jetzt war es ein gespanntes und nervöses Gefühl. Sie würden nämlich endlich ihre Englischarbeiten zurückbekommen. Und für die hatte sie mit David wochenlang gelernt.

„Ich bin mindestens so gespannt wie du, was du geschrieben hast.“ David legte seiner Freundin einen Arm um die Schulter und zog sie grinsend an sich.

„Das bin ich auch“, erwiderte Charlotte und überlegte, welche Note sie sich am meisten wünschte. Es war logisch: Eine Eins natürlich! Damit würde sie die nervige Hinrichsen überraschen. Die hatte Charlotte erziehen wollen, indem sie über das Buch schrieben. Charlotte hatte es nämlich nicht gelesen. Sie und Frau Hinrichsen hatten sich ziemlich in die Wolle bekommen, weil Charlotte zudem ganz offensichtlich nicht ihrem Unterricht gefolgt war und danach auch noch frech geworden war. Sie hatte sich bei Charlottes Eltern beschwert, die hatten Charlotte einen Vortrag gehalten und die Hinrichsen hatte endlich Ruhe geben, nachdem Charlotte beschlossen hatte, ihr keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Sie konnte ihre Zeit sinnvoller nutzen, als sich mit ihrer Englischlehrerin zu streiten. Umso mehr hoffte Charlotte jetzt auf eine gute Note – was in Englisch eigentlich recht unwahrscheinlich war. Sie war sich ihrer Talentlosigkeit in Englisch sicher.

„Ich würde es dir ja echt gönnen, wenn du mal ‘ne Eins oder Zwei hast. Selbst eine Drei wäre schon über deinen bisherigen Leistungen“, sagte Emilia. Sie war von Hinrichsens Unterricht ebenfalls wenig begeistert, schrieb aber trotzdem immer gute Noten.

„Lange muss ich das eh nicht mehr machen“, Charlotte winkte ab.

„Immerhin noch fast zwei Jahre, Charly“, bemerkte Annika und hielt ihnen die Tür auf.

„Danke“, Charlotte trat hindurch. „Ich weiß. Aber man kann das auch anders sehen: Es sind nur noch zwei Jahre“, grinste sie und warf einen Blick auf die Uhr. Noch zehn Minuten, dann würde die Hölle beginnen. Oder die Stunde der Wahrheit.

„Und ihr sag dir, er ist sooo süüüüß“, hörten sie Zoey hinter sich, als sie auf den Hof kamen. „Alexander kann sooo toll reiten und sein Pferd ist der absolute Wahnsinn“, schwärmte sie Jonathan vor, der genervt die Augen verdrehte.

„Ist die irgendwie krank?“, fragte Elias in die Runde und schüttelte den Kopf.

„Eher wahrnehmungsgestört“, erwiderte Charlotte monoton und holte den Haustürschlüssel hervor. Sie wollte sich schnell etwas zu Essen aus dem Haus holen, bevor sie sich zu Frau Hinrichsen in den Raum setzte. Die anderen warteten draußen.

„Du müsstest ihn reiten sehen“, schwärmte Zoey weiter und warf ein verliebtes Seufzen in die Luft. Emilia hielt sich den Mund zu, um nicht laut loszulachen.

 

„Hab ich, Zoey, das hab ich“, erwiderte Jonathan, doch Zoey schien gar nicht darauf einzugehen. Sie lief quasselnd weiter. Der arme Jonathan folgte ihr mit hängenden Schultern.

„Wer ist dieser Alexander überhaupt?“, fragte Samuel, der von der ganzen Story recht wenig mitbekommen hatte. Er gehörte auch noch nicht wirklich zur Clique, aber er war viel dabei gewesen, weil er sich um Annika gekümmert hatte, als sie auf Krücken gelaufen war und Annikas eigentlicher Freund Theo mal wieder keine Zeit gehabt hatte, um sie zu besuchen. Theo war ein eingebildeter Angeber, Annikas Freund und bereits achtzehn. Er würde dieses Jahr sein Abi machen, fuhr Auto und Charlotte vermutete sogar, dass er Annika betrog. Aber das würde ihr das Herz brechen.

„Er ist ein, ich zitiere, mega heißer und süßer Typ, den Zoey bei ihrem Projekt mit dem Aufsatz kennengelernt hat. Alexander Groß, so heißt der, reitet im Kader und in der Mannschaft vom Nobelstall in Darmstadt. Zoey steht auf ihn, weil er angeblich voll hot ist und joa … Mehr weiß ich auch nicht“, sagte Charlotte und kam mit einer Hand voll Müsliriegeln aus dem Haus. Bevor sie die Haustür abschloss, verteilte sie die Riegel an alle.

„Woher weißt du das alles?“, wollte David wissen. Charlotte entging der gewisse Unterton in seiner Stimme nicht. Er war misstrauisch – und vor allem eifersüchtig.

„Das kann man erstens aus Zoeys Erzählungen vermuten und zweitens hab ich den Typen mal gegoogelt. Er reitet wirklich gut, hat schon ziemlich viele Preise abgeräumt und sein Pferd hat eine Abstammung wie eh und je“, erwiderte Davids Freundin.

„Du hast den Typen gegoogelt?“, wollte David leicht fassungslos wissen.

„Ja, klar“, Charlotte zuckte die Schultern. „Und falls es dich interessiert: Nein, dich hab ich nicht gegoogelt … Vielleicht sollte ich das mal machen“, Charlotte schloss grinsend die Tür ab und steckte den Schlüssel weg. „Aber ich liebe dich trotzdem.“ Sie trat lächelnd die Treppenstufen herunter und küsste David auf den Mund.

„Na, was ein Glück“, erwiderte er grinsend und die anderen lachten.

In diesem Moment klingelte es. Jetzt mussten sie sich aber beeilen. David nahm Charlottes Hand und dann eilten die sechs hinüber zum Englischraum. Sie hetzten die Treppen in den zweiten Stock hoch und stolperten auf den Klassenraum zu.

„Mal wieder zu spät“, bemerkte Frau Hinrichsen abwertend und zog besserwisserisch die Augenbrauen hoch, während sie den Klassenraum aufschloss.

„Mämämämämä“, äffte Charlotte sie hinter ihrem Rücken nach. Charlotte mochte Frau Hinrichsen überhaupt nicht und wünschte sich sehnlichst, dass sie zum nächsten Halbjahr entweder eine neue Lehrkraft bekamen oder dass Frau Hinrichsen und ihr Mann sich vielleicht um Nachwuchs kümmerten. Dann wäre das Ende absehbar.

„Ich habe eure Arbeiten korrigiert“, sagte Frau Hinrichsen in einem spitzen Ton. „Einige von euch hätten das Buch vielleicht besser oder überhaupt lesen sollen.“ Dabei sah sie Charlotte an, der das Herz in die Hose rutschte. Na super, die nächste Fünf in Englisch. Dann müsste sie sich für die nächste Arbeit deutlich mehr anstrengen, um das noch auszugleichen.

„Die blufft doch nur, um dir eins auszuwischen“, flüsterte Emilia ihr zu. „Die ist sauer, dass du trotzdem eine gute Arbeit geschrieben hast“, sie legte Charlotte eine Hand aufs Knie. „Das wird schon.“

„Fräulein Straub“, schnitt Hinrichsen ihr das Wort ab. „Was ist bitte jetzt wichtiger als die Klausur?“, fragte sie und sah die beiden ermahnend an.

„Das hatte was mit Englisch zu tun“, erwiderte Emilia, doch Frau Hinrichsen brachte sie mit einem zweiten ermahnenden Blick zum Schweigen. War die Arbeit so schlecht ausgefallen, dass Frau Hinrichsens schlechte Laune heute gerechtfertigt wäre?

„Die beste Arbeit hat David geschrieben“, Hinrichsen durchsuchte den Klassenraum nach Charlottes Freund. Als sie ihn entdeckte, ging sie auf ihn zu. „Herzlichen Glückwunsch. Eine Eins“, sie legte David sein Heft auf den Tisch.

„Boa, David, du Streber!“ Elias klopfte ihm auf die Schulter und warf einen Blick in Davids aufgeschlagenes Heft. Charlotte zeigte ihrem Freund einen Daumen hoch.

„Charlotte“, Hinrichsen drehte sich in Lichtgeschwindigkeit um die eigene Achse. „Vielleicht solltest du dir demnächst immer eine Scheibe von deinem Freund abschneiden“, sagte sie und klatschte Charlotte biestig das Heft auf den Tisch.

„Ich gucke nicht rein“, beschloss Charlotte und machte Anstalten, das Heft einzupacken, doch Emilia hielt sie zurück.

„Wann willst du dann reingucken? Bist du nicht neugierig?“, fragte Emilia ihre beste Freundin.

„Wenn ich in meinem Zimmer bin“, Charlotte wollte Emilias Hand abschütteln, doch die schnappte sich das Heft.

„Dann lass mich gucken. So schlimm wird es schon nicht sein, wenn du mit David gelernt hast.“ Emilia schlug Charlottes Arbeitsheft auf.

„Natürlich, du hast sie doch gehört“, Charlotte machte einen Katzenbuckel und blickte zu David herüber. In diesem Moment bekam Emilia ihre Arbeit hingelegt.

„Sehr schöne Leistung, Fräulein Straub. Wie immer“, sagte Hinrichsen, doch Emilia war viel zu sehr damit beschäftigt, im Heft die richtige Arbeit zu suchen.

„Nein. Du hast sie einfach falsch verstanden“, grinste Emilia und legte das aufgeschlagene Heft auf den Tisch.

„Ich wusste es doch“, sagte Annika triumphierend. Sie hatte sich über Emilias Schulter gebeugt und einen Blick auf die Arbeit geworfen.

„Was denn?“, wollte Charlotte jetzt doch wissen.

„Na, eine Zwei natürlich“, Annika grinste breit und Charlotte riss ihr ungläubig das Heft aus der Hand. Tatsächlich – eine Zwei!

Was war das denn bitte?

Bereits ein paar Tage später – ich lief gerade Richtung Stall – fuhr ein Auto auf den Hof. Ich blieb stehen wartete gespannt, wer aus dem Auto stieg. Das Darmstädter Kennzeichen kam mir jedenfalls unbekannt vor, aber ich hatte eine Vorahnung, die sich bestätigte, als Zoey wie eine Furie aus dem Stall gestorcht kam.

Die Autotür schwang auf, nachdem das schwarze Auto Platz verschwenderisch auf dem Hof gehalten hatte und damit gegen alle Regeln der Verkehrsordnung verstieß. Ein junger Typ mit Sonnenbrille (kurze Gedankenstütze: Es ist der 6. November und am Himmel sammelten sich dunkle Wolken. Die Sonne hatte sich schon länger nicht blicken lassen) stieg aus, strich sich die Haare nach hinten und blickte sich auf dem Hof um. Ein potentieller Kunde schien das jedenfalls nicht zu sein.

„Alexander“, rief Zoey, die aus dem Stall gerannt kam. „Schön, dass du kommen konntest!“ Sie rannte auf den Typen zu.

„Zoey, schön dich zu sehen“, der Typ nahm die Sonnenbrille ab (ich denke nicht, dass ihm aufgefallen war, dass es dafür nicht hell genug und vor allem sonnig genug war) und darunter kamen leuchtend grüne Augen zum Vorschein. Alexander umarmte Zoey herzlich.

„Herzlich Willkommen auf Schloss Rosenthal“, Zoey machte eine einladende Geste und ich schaute sie entsetzt an. Was passierte hier gerade? War ich im falschen Film?

„Ganz schön ist es hier“, fand Alexander, blickte sich um und schob dabei die Sonnenbrille auf seinen Kopf. „Und wo sind hier die Pferde?“, fragte er dann. Ich blieb stehen und hielt mich im Schatten der Stallung auf, sodass sie mich nicht sehen konnten.

„Die stehen noch auf der Weide. Soll ich dir die Stallungen zeigen?“, schlug Zoey vor und er nickte.

„Ich will dein Pferd mal sehen“, erwiderte Alexander auf dem Weg zum Privatstall. Wollten sie etwa den direkten Weg durch die Privatstallungen nehmen? Das war für Internatsschüler eigentlich verboten.

Ich schlüpfte vor ihnen in die Stallgasse und stellte mich an die Seite zu der Treppe, die nach oben auf den Heuboden führte. Zoey und Alexander kamen in den Stall und Zoeys neuer Schwarm blickte sich neugierig um.

„Ganz schön groß hier“, fand er und blieb an einer Box stehen. Ich erkannte sie sofort. Es war die Box von meiner Alaska.

„Das hier ist der Privatstall der Brückners. Und das ist Charlottes Pferd, von der Tochter des Chefs“, meinte Zoey abwertend und ich trat aus der Versenkung hervor.

„Ganz richtig, Zoey.“ Mein Tonfall schien unfreundlicher rübergekommen zu sein, als ich es beabsichtigt hatte. „Das hier ist der Privatstall. Und wenn ich mich richtig erinnere, steht dein Pferd im Einstellerstall nebenan.“ Ich ging an ihnen vorbei und quetschte mich an Alexander vorbei zu meiner Box. „Und die hier – gehört mir. Und jetzt raus hier“, ich deutete auf den Ausgang und Zoey verzog angepisst das Gesicht. Das passte ihr jetzt überhaupt nicht.

„Und deine Freunde? Die haben hier drin auch nichts verloren“, Zoey baute sich vor mir auf. Mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet.

„Das sind meine Freunde. Die dürfen das, wenn ich hier bin. Und wenn ich mich recht erinnere, gehörst du NICHT zu meinem Freundeskreis!“, erwiderte ich.

„Musst du immer so einen Aufstand machen, Charlotte?“, fragte mich Zoey genervt und ich nickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Ja, muss ich. Oder willst du, dass meine Mom den Aufstand probt?“ Mein ausgestreckter Arm deutete immer noch auf den Ausgang.

„Es tut uns leid, dass wir einfach so hier rein sind. Wir gehen schon“, Alexander machte einen auf freundlich. Wie alt war der überhaupt? 18 – wenn er schon Auto fuhr? „Kommst du mit, Zoey?“

„Oh, ja, Mann, wir hauen ja schon ab“, Zoey schnappte sich Alexanders Arm. Dann gingen sie strammen Schrittes Richtung Ausgang. „Die ist immer so drauf, wunder‘ dich nicht“, sagte Zoey im Weggehen, extra so laut, dass ich es noch hörte. Dumme Kuh!

„Der Stall ist riesig“, erwiderte Alexander und schien gar nicht auf Zoeys Attacke einzugehen.

„Was war das denn?“, fragte ich mein Pferd, immer noch total perplex von der Aktion gerade. Alaska stand in der Box und fraß. Sie hatte die ganze Aufregung nur halb mitbekommen. Ich atmete tief durch. Das würde ja noch spaßig werden mit den beiden!

Ich hatte beschlossen, auf mein Bauchgefühl zu hören. Ich wollte diesen Alexander beobachten, denn irgendwie kam er mir komisch vor. Allerdings war das leichter gesagt als getan, denn bereits eine Viertelstunde später war von Zoey und Alexander keine Spur mehr.

Da ich keine Lust hatte, den ganzen Hof nach den beiden abzusuchen, machte ich stattdessen Alaska fertig und ritt mit ihr los in den herbstlichen Wald. Die Blätter fielen nach und nach von den Bäumen ab, der Wind wurde kühler und brachte mich zum Frieren. Alaska legte sich langsam ein etwas dickeres Fell zu. Bald würde ich sie scheren müssen, weil sie sonst einfach zu schlimm aussah.

„Lass uns traben“, flüsterte ich meinem Pferd zu, Alaskas Ohren drehten sich nach hinten und dann trabte sie los. Das dumpfe Donnern der Hufe versetzte mich in eine Trance, die mich hypnotisierte und alles vergessen ließ. Der Wind fegte durch die Bäume, erfüllte meine Ohren und wirbelte alle negativen Gedanken davon.

Wenig später kamen wir an einer Kreuzung an, die mir nur allzu gut bekannt war. Bis vor kurzem hatte uns meine Mom das Reiten dieses Weges verboten. Denn er führte zu einem Spukhaus und das war der Grund für Annikas Fußverletzung gewesen. Okay, so halb, aber das wusste meine Mom nicht. Das Spukhaus war eigentlich gar kein Spukhaus. Ein paar Männer hatten dort ein illegales Unternehmen für Leichenentsorgung geführt und wollten lästige Kinder loswerden. Deswegen hatten sie Ultraschalltöne gegen die Pferde und gruselige Stimmen mit einem Verzerrer gegen spielende Kinder aktiviert, sodass keinem das Drama aufgefallen war, das sich dort abgespielt hatte, bis David und ich eines Nachmittages eine abgehackte Hand gefunden hatten. Die hatte den Fall ins Rollen gebracht. Und als wir die Kanister mit dem hochprozentigen Chlorreiniger entdeckt hatten, war alles schief gelaufen. Am Ende war es aber auch der Aktion zu verdanken, dass David und ich jetzt ein Paar waren.

Alaska und ich galoppierten den Weg Richtung Spukhaus entlang, das sein Leben lang nun so heißen würde – ob es nun spukte oder nicht. Der Zettel mit dem Hier spukt es hing jedenfalls noch immer an der alten Tür, allerdings war er kaum noch lesbar. Alaska wurde langsamer, als wir das Spukhaus erreichten. Es war abgesperrt mit Polizeiband und ein Sensor stand davor, um Eindringlinge anzuzeigen. Der Fall war noch immer nicht ganz gelöst; unsere Aussagen hatte man aufgenommen, der Prozess für die sechs Leichenwegätzer stand erst noch bevor. Der Fall war gerade erst drei Wochen her.

 

Alaska und ich ritten weiter den Weg entlang, bis wir an dem alten Hof ankamen, den David und ich erst vor wenigen Monaten entdeckt hatten. Hier hatten die Männer die Leichen gelagert, das war erst letzte Woche rausgekommen. Der Hof gehörte ihnen eigentlich nicht, daher wurde ihnen nun auch noch Hausfriedensbruch und Einbruch unterstellt. Das würde eine heftige Liste an Straftaten werden, überlegte ich mir.

Wir ließen den Hof hinter uns und kamen irgendwann wieder an der Hauptstraße an, die auch zum Haupteingang unseres Internats führen würde. Ich wollte gerade den parallelen Waldweg nehmen, als ich Stimmen hörte.

„Ja, das stimmt. Das war sooo gruselig.“ Ein paar Sekunden später tauchte das weiße Pferd meiner besten Freundin hinter der Biege auf. Daneben ritt Elias mit seinem Gentleman.

„Ja, fand ich auch“, erwiderte er und sie blickten mich erstaunt an, als sie mich erkannten.

„Na, ihr?“, fragte ich. „Macht ihr auch einen Ausritt?“ Ich wartete, bis sie Melodie und Gentleman neben Alaska gelenkt hatten.

„Sowohl die Pferde als auch ihre Reiter brauchten nach dem Training ein wenig Entspannung“, grinste Elias und ich schüttelte grinsend den Kopf.

„Nach welchem Training denn?“ Ich ließ Alaska die Zügel aus der Hand kauen, als wir die Pferde wieder anritten.

„Unser Choreografie-Training für die praktische Prüfung.“ Elias sah zu Emilia herüber. Ich nickte, dann trabten wir die drei Pferde an.

„Ziemlich herbstlich geworden, oder?“, fragte Emilia in die Runde und wir stimmten zu.

Elias wechselte schlagartig das Thema. „Stimmt es eigentlich, was Emilia erzählt hat?“, fragte er mich und in meinem Kopf begann es zu rattern. Was meinte er bloß?

„Kommt drauf an, was Emilia erzählt hat“, erwiderte ich und genoss das Reiten durch den Wald, ohne gleich von hunderttausend Mücken und Bremsen überfallen zu werden. Das war im Sommer der Horror gewesen. Ohne ein Spray für Pferd und Reiter hatten wir uns nicht mehr aus dem Stall getraut.

„Dass du mich auch zu deinem Geburtstag am Samstag eingeladen hast und dich freuen würdest, wenn ich auch komme“, klärte mich Elias auf und in meinem Hirn ging die Lampe an. Ahh, jetzt wusste ich auch, was er gemeint hatte.

„Ja, das stimmt. Also, wenn du Lust und Zeit hast. Du bist herzlich eingeladen.“ Ich warf einen Blick zu ihm herüber und er nickte.

„Ich komme gerne.“ Er grinste erst mich an, dann Emilia. Während wir zurück zum Internat ritten, beobachtete ich die beiden heimlich. Elias hatte sich seit den Sommerferien sehr verändert. Früher hatte ich ihn nicht sonderlich gemocht, weil er ständig mit seinen Weiber-Geschichten rumgeprahlt hatte. Davon war seit Wochen nichts mehr zu hören. Und woran sollte das wohl liegen, wenn nicht an Emilia? Hatte er sich für eine ernste Beziehung entschieden? Aber wieso hatte er sie dann noch nicht geküsst?

Wir kamen am Internat an und ich stieg vorm Stall ab. Elias und Emilia verschwanden im Einstellerstall, während ich Alaska in ihre Box im Privatstall brachte. Ich stellte erleichtert fest, dass Alaska nur unterm Sattel geschwitzt hatte. Ich wuschelte ihre seidige Mähne, dann wischte ich ihren Rücken ab. Anschließend deckte ich den Sattel ab, putzte das Zaumzeug und schloss die Sachen in meinen Spind ein. Ich kletterte hoch auf den Boden und holte meinem Pferd etwas zusätzliches Heu und aus der Futterkammer ein paar Möhren und einen Apfel. Ich warf ihr alles in den Trog und sie machte sich sofort darüber her. Als ich aus dem Stall herauskam, ging ich hinüber in den Einstellerstall, um zu gucken, ob Elias und Emilia noch da waren. Aber sie waren schon weg. Im Gegensatz dazu fand ich aber zwei andere und das war viel interessanter. Ich schlich mich näher an die Sattelkammer heran und versteckte mich hinter einem fetten Heuballen. Da standen Alexander und Zoey, und zwar knutschend. Er hatte sie an die Wand gepresst, zwischen den Spinden und den Sätteln. Sie vergrub ihre Hände in seinen Haaren, er betatschte sie am Arsch. Anscheinend war sie schon wieder ziemlich gut über David hinweg. Vor den Ferien nämlich hatte sie endlich zugegeben, dass sie auf David stand.

„Oh, Zoey“, stöhnte Alex in den Kuss hinein und ich rümpfte die Nase. Mal davon abgesehen, dass ich mir niemals vorstellen konnte, einen anderen als meinen Freund zu küssen, würde ich den da nie in meinem ganzen Leben und wahrscheinlich auch nie danach küssen wollen.

„Alexander!“ Zoey presste ihn an sich und sie knutschten immer mehr. Das konnte man ja nicht mitansehen. Ich wollte gehen und drehte mich um, aber plötzlich stand jemand hinter mir. Ich erschrak und hätte fast geschrien, doch dann zog ich Jonathan mit mir mit in die Heu- und Strohballen, die in einer Einsenkung für die Fütterung standen.

„Sag mal, spinnst du? Wie kannst du mich so erschrecken?“, flüsterte ich ihm zu. Mein Herz raste immer noch vor Schreck, aber Jonathan sah mich an, als wollte er sich am liebsten in Luft auflösen.

„Es tut mir leid“, sagte er ebenso leise und wollte schon abhauen, aber ich hielt ihn noch zurück.

„Was willst du überhaupt hier? Zoey und Alex beim Knutschen zusehen? Sooo toll ist das auch nicht.“ Ich zuckte mit den Schultern.

„Nein, ähm … ich wollte … zu Mina“, sagte er dann schnell und entwischte. Nur Millisekunden später war er verschwunden. Was war das denn bitte für ’ne komische Nummer gewesen?

„Da bist du ja.“ David kam mir entgegen, als ich total verwirrt aus dem Einstellerstall gelaufen kam. „Ich hab dich schon gesucht“, er schloss mich in die Arme. „Elias und Emilia meinten, sie seien mit dir vom Ausritt zurückgekommen.“

„Ja, stimmt. Sorry, hat n bisschen länger gedauert“, erwiderte ich. „Du wirst nicht glauben, was ich grad gesehen hab“, sagte ich dann leise zu David, küsste ihn kurz zur Begrüßung und sah ihn danach aufgeregt an. Fragezeichen bildeten sich in seinen Augen.

„Was denn?“, fragte er, als ich nicht weitersprach.

„Zoey und Alex. Knutschend in der Sattelkammer“, flüsterte ich und deutete auf den Stall. David zog die Augenbrauen hoch, dann verzog er das Gesicht.

„Charlotte! Gut, dass ich dich auch noch mal treffe heute“, meine Mutter erschien plötzlich an der Haustür und winkte uns zu sich herüber. Ich stöhnte auf. Mensch, was war denn heute los?

„Wir kommen!“ Ich schnappte mir Davids Hand, dann liefen wir los zum Privathaus. Mama war darin verschwunden und wir folgten ihr. Im Flur zogen wir die Schuhe und Jacken aus, dann gingen wir ins Wohnzimmer, wo Mama auf dem Sofa saß, seit ihr Bauch jeden Tag mehr und mehr wuchs.

„Setzt euch doch“, sagte meine Mom. Oh, je … Bitte keine Aufklärungsstunde …

„Was ist denn los?“, fragte ich skeptisch und setzte mich auf Davids Schoß in den Sessel. Sollte sie jetzt wieder mit einem peinlichen Vortrag über Verhütungsmethoden anfangen, würde ich sofort das Weite suchen.

„Schau mal hier“, Mama hatte den kleinen Tablet-PC auf den Schoß gehoben und öffnete ihn. David und ich liefen zu ihr rüber. Auf der Seite, die sie öffnete, waren Hunde abgebildet: Welpen und ausgewachsene, in drei verschiedenen Farben.

„Was sind das für Hunde?“, fragte ich Mama.

„Hovawarte, typische Hofhunde. Sehr freundlich, aber pflichtbewusst. Wir haben uns mit einer Hundetrainerin über die Rasse unterhalten und sind zu dem Entschluss gekommen, dass wir nach Yasmin wieder einen Hofhund brauchen. Was meinst du?“, fragte Mama mich und ich sah sie erstaunt an.

„Das ist eine gute Idee“, ich war noch etwas sprachlos über ihren Vorschlag, aber schaute mir positiv überrascht die Bilder genauer an.