100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1

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100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1
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Erhard Heckmann

100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico

Teil 1

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2013

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Copyright der Fotografien bei Erhard Heckmann

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

Ein Blick auf den nordamerikanischen Kontinent

Ein großartiges Land

Kanada, aber wohin soll die Reise führen?

Vancouver

Victoria und Vancouver Island

Die Inside Passage

Gold im Klondike – Eis und Schnee am Chilkoot Pass

White Pass & Yukon Railroad

Richtung Valdez und in das Eis des Prince William Sounds

Via Anchorage zu Gletschern und Fjorden der Kenai Halbinsel

Grizzlybären im Katmai, Bilderbuchlandschaft im Denali

Über die Highways Denali, Taylor und Top of the World ins Eldorado des Goldes

Der Klondike bringt uns nach Watson Lake, der Cassiar zu den Bären nach Hyder

Indianer, Yellowhead und Barker Ville

Auf dem Trans-Canada in die Rocky Mountains

Von Lake Louise nach Jasper, und über Edmonton und Calgary nach Banff

Kootenay, Pelzhandelsposten, Lake Indians und Flatheads

Ainsworth Hot Springs, Fort Steele und Waterton Lakes National Park

Durch Montana zum Yellowstone Nationalpark in Wyoming

Der Yellowstone, Schönheit und Gänsehaut

Durch Montana Richtung Westen

Pulsierendes Toronto

Gewidmet meiner Frau Sabine und Tochter Dörthe


Der Peyto Lake, ein Juwel der Rockies

Vorwort

Kanada ist ein großartiges Land. Es hat mich begeistert und mein Herz gewonnen mit seiner grandiosen Natur, seiner Weite, Einsamkeit und seinen Tieren. Mit Alaska war es ähnlich.

Im einstigen „Wilden Westen“ kreuzten meine Frau und ich die Spuren der Indianer, die im Strom der Völker und Kulturen mitschwimmen, der Goldgräber, Pelzhändler und Siedlungspioniere, ritten tagelang am Rande des Machbaren durch unendliche, schöne Wildnis und lernten die Buschflieger schätzen. Wir erlebten die berühmte Inside Passage, sahen Gletscher kalben, umrundeten Eisberge im hohen Norden, waren gefesselt vom Spiel der Wale, den Grizzlybären und von der Einsamkeit, mit der sich der Dempster Highway durch die Tundra bis hinauf zum mächtigen Mackenzie windet, der in der Nähe von Inuvik seine Wasser über ein weites Delta in die Beaufort See entlässt.

Nordamerika ist auch ein Kontinent der Nationalparks, Wohnmobile und Allradtrucks, der Bären, Elche, Bergschafe, wunderschöner Seevögel, eisiger Gletscher, schneebedeckter Gipfel, bunter Alpenwiesen, tiefer Küstenregenwälder, türkisfarbener Bergseen und klarer Flüsse, in denen Millionen Lachse alljährlich zu ihren Geburtsgewässern ziehen. Im Osten stehen facettenreiche, karge Landschaften wie Neufundland oder Labrador im krassen Gegensatz zu den Metropolen der Großstädte, den farbenfrohen Wäldern im Indian Summer, den tosenden Niagarafällen oder den wogenden Getreidefeldern der endlosen Prärien, auf denen einst Millionen von Büffel weideten.

Es waren Erfahrungen, die neben erlebter Schönheit, Begeisterung und Freude aber auch verändern und zusätzlich lehren, dass wir unsere Kinder verstärkt in die Natur hinausführen müssen. Woher sonst sollen sie später wissen, wenn sie selbst Entscheidungen zu treffen haben, wie mit diesem wertvollen Kleinod Natur umzugehen ist? Denn nur wenn der Mensch es zulässt, wird nicht nur die grandiose Natur Nordamerikas eine dauerhafte Zukunft haben.

Alles in einem Buch niederzuschreiben würde das technisch Machbare weit überschreiten, doch der Anfang dazu sollte mit diesem Teil 1, dem kurzfristig zwei weitere folgen, gemacht werden. In diesem Buch wird unsere erste große Reise durch Kanada im Mittelpunkt stehen, aber auch die Rede von Alaska, Pionieren, Grizzlys, Buschfliegern, vom Pelzhandel, Goldrausch und dem „Yellowstone“ sein, so dass auch einige Wege über den 49. Breitengrad führen.

Montana, Idaho, Oregon, Washington oder, gemeinsam mit den maritimen Provinzen des kanadischen Ostens, waren auch die Neuenglandstaaten Zugaben am Rande dieser Wege, die uns Kanada und Alaska erschlossen, und auf die wir neugierig geworden waren, nachdem uns Amerikas mittlerer und südlicher Westen mit seinen grandiosen Naturdenkmälern bis hin nach New Mexico auf einer der ersten selbst konzipierten Überseereisen in seinen Bann gezogen hatte.

Vor der Begeisterung für Wohnmobil und Übersee erfüllten Zelt, Auto und Europa diese Rolle, ehe uns Mietwagen auf eigenen Wegen Südafrika, Zimbabwe, Botswana und Namibia erkunden, oder Blicke in den Mittleren und Fernen Osten werfen ließen. Letztendlich aber war es die Wohnmobilbegeisterung, die uns zu Reisefans werden und immer wieder aufbrechen ließ, bis hin nach Australien oder Neuseeland.

Ein Blick auf den nordamerikanischen Kontinent

24 Millionen Quadratkilometer gehören zum Nordamerikanischen Kontinent. Mittelamerika, bis zur Landenge von Panama, und die Westindische Inselwelt eingeschlossen. Klimatisch spannt sich der Bogen vom Eis der Polarzone bis in die feucht-heißen Tropen. Ein Viertel der Fläche besteht aus Inseln und Halbinseln. Im Norden dominieren die kanadische Inselgruppe und Grönland, die größte Insel der Erde. Südlich des Wendekreises bestimmen die Westindischen Inseln mit den Antillen das Bild dieses Erdteils.

Die Appalachen – nördlich bis nach Neuengland, Arkadien und Neufundland reichend – im Osten, und das Kordilleren-Gebirgssystem im Westen rahmen die tiefer gelegene Hauptmasse dieses Kontinents ein: Im Norden den „Kanadischen Schild“, dessen Relief von sanft gewellten Ebenen beherrscht wird, im Süden die Interior Plains. Vom Nordpolarmeer bis zur Golfküstenebene breiten sich zwischen Kanadischem Schild und den Appalachen einerseits, und den Rocky Mountains andererseits weit gespannte Ebenen aus. Den im Vorland der Rocky Mountains gelegenen, etwa 700 Kilometer breiten, und zwischen 500 und 1.500 Meter hohen westlichen Teil bilden die Great Plains. Nach Osten grenzen sie an den tieferen Bereich der Interior Plains, das einst vereiste Zentrale Tiefland. Im Süden gehen die Great Plains in die Golfküstenebene über, an der Grenze zum Kanadischen Schild liegen die gewaltigen Seenbecken: Winnipeg-, Athabasca-, Großer Sklaven- und Großer Bärensee. Westlich der Great Plains steigen die Kordilleren auf. Mit klarer Längsgliederung von Alaska bis zum Hochland von Mexiko. Im Osten und Westen greifen sie nach den Rocky Mountains und den pazifischen Küstengebirgen, und dazwischen nach den von beiden Gebirgsketten eingeschlossenen Plateaus und Becken.

Die Rocky Mountains setzen in Alaska mit der Brooks Range ein und wenden sich in Kanada mit kulissenförmig angeordneten Rücken von der West-Ost-, in die Nordwest-Südost-Richtung. Zwei Hauptketten, deren westliche im Yukonplateau ausläuft, schließen im Norden Kanadas ein niedriges, ziemlich flaches Gebiet – Yukon Flats und Yukon Plateau – ein, während sie nach Süden näher aneinander rücken.

 

Die pazifischen Küstengebirge säumen die Westseite des Kontinents mit einer Doppelkette, die ihrerseits eine Längstalreihe umklammert. In Alaska bildet, in Fortsetzung der Aleuten, die Alaska Range die innere Kette. Der Außenbogen zieht von Kodiak Island zur Kenai Peninsula und zu den Saint Elias Mountains. In Kanada führt er bis Vancouver Island weiter. Die innere Kette, die auf kanadischem Gebiet direkt hinter einer Reihe von Meeresstraßen als Coast Mountains entlang zieht, setzen Cascade Range und Sierra Nevada fort, während die Coast Ranges von Oregon bis Kalifornien die Außenkette bilden.

Obwohl der Hauptteil Nordamerikas in gemäßigten Breiten liegt, ist die Intensität der Witterungswechsel besonders groß. Meteorologische und topographische Gründe sind dafür verantwortlich. Hohe Gebirgsketten an der Westseite hemmen das Eindringen pazifischer Meeresluft, fördern jedoch den Luftaustausch von Nord nach Süd und umgekehrt, wofür die großen Flussebenen des Mississippi, Missouri und anderer ideale Leitlinien abgeben. Extreme Einbrüche arktischer Kaltluft und Vorstöße von schwülen, warmen Strömungen aus dem Süden führen in der Folge auch zu Wirbelstürmen und Tornados.

Bedingt durch diese geographische Situation fallen die größten Niederschlagsmengen in einem schmalen Streifen längs der Pazifikküste von Nord nach Süd. Im Great Bassin, zwischen Küstengebirge und den Rocky Mountains, ist es bereits erheblich, weiter im Süden, in Arizona, sogar wüstenhaft trocken. Erst östlich der Flüsse Mississippi und Ohio ändert sich das – bis hin zur Atlantikküste – grundlegend. Dagegen ist das ganze nördliche Kanada verhältnismäßig niederschlagsarm.

Die Tundrenzone auf dem Festland verläuft von der Nordspitze Neufundlands bis zur Beringstraße. Wie diese, zieht auch die Nadelwaldzone quer durch den Kontinent. Die Waldgebiete des kanadischen Tieflands und der westlichen Gebirge umfassen zusammen 40 Prozent der Nadelwälder dieser Erde. Zwischen der Nordgrenze des geschlossenen Waldes und der Baumgrenze liegt ein rund 100 Kilometer breiter Gürtel, in dessen Südteil der Wald zwar noch vorherrscht, sich aber mit offenen Tundren abwechselt. Im Norden regiert die Tundra, durchsetzt mit Waldinseln und Baumgruppen in den Tälern.

Dauerfrostböden erstrecken sich bis weit nach Süden in den Waldgürtel hinein und enden auf einer Linie, die sich von Labrador durch die untere Hudson Bay bis zum Großen Sklavensee hinzieht. Wie auch in der sibirischen Tundra stehen die Wälder des kanadischen Tieflands im Sommer größtenteils auf Sumpfboden über vereistem Untergrund. Die am weitesten verbreitet Weißfichte, die mehr Papierholz liefert als jede andere Holzart der Erde, hat in ihrer Nachbarschaft aber auch Lärchen, Tannen und Kiefern. Fast noch komplett bewaldet ist die Binnenzone des kanadischen Teils der Kordilleren, während die südlichen Nadelwälder nur noch in der Küstenregion und in den höheren Gebirgsstufen des inneren Trockengebietes anzutreffen sind. Weiter im Süden wurden die Wälder der Rocky Mountains seit der Kolonialzeit der Weidegewinnung geopfert, als auch durch den Bergbau dezimiert.

Im nördlichen Küstengebiet dominiert die Mertenstanne. Mit Abstand folgt ihr die Sitkafichte. Sommernebel lassen vom südlichen Oregon an üppige Nadel- und Mischwälder die Küste zieren. Auf über 600 Kilometer zieht ein etwa 30 Kilometer breiten Streifen wunderschöner Redwoodwälder bis hin nach Nordkalifornien zur San Francisco Bay. Nadel-, Misch- und Laubwälder begleiten beiderseits den St.-Lorenz-Strom und wechseln untereinander ab. Dort, wo der boreale Nadelwald zu den atlantischen Laubwäldern der Seenregion aufgeschlossen hat dominieren Pappeln, Eichen, Ulmen, Buchen und Eschen, die mit ihrem bunten Farbenkleid des Indian Summers Jahr für Jahr Tausende von Touristen begeistern und ins Staunen versetzen.

Ein großartiges Land

Kanada, das ist nicht nur das vielbereiste Viereck zwischen dem wunderschönen Vancouver, Mount Robson, Jasper und dem hochtouristischen Städtchen Banff, das fest in japanischer Hand ist. Es schließt allerdings das Ski- und Mountenbiker-Eldorado Whistler, die Nationalparks Jasper, Banff, Yoho oder Glacier ein wie auch den Icefield Parkway, der zwischen Lake Louise und Jasper durch die grandiose Natur der Rocky Mountains zieht und dem Touristen wunderschöne Landschaft offeriert. Maligne Lake, Spirit Iceland, Mount Edith Cavell, die Bilderbuchseen Moraine und Peyto, Lake Louise oder die schimmernde Eisfläche des Athabasca Gletschers, der ein Ausläufer des Columbia-Eisfeldes ist und seine Schmelzwasser in drei Weltmeere schickt, sind wenige Stichworte zu dieser großartigen Panoramastraße. Und auch jenseits dieser Juwele verstecken sich auch anderswo zwischen Pazifik und dem westlichen Rand Albertas viele Schönheiten. Es sind alles traumhafte Ziele die, jedes für sich, einen Urlaub wert sind. Aber Kanada ist mehr, viel mehr!

Kanada, das sind riesige Entfernungen, unendliche Einsamkeit, menschenleere Gegenden, majestätische Bergketten, Fjorde, Eisberge und Gletscher von gigantischer Größe und Schönheit. Die kaum zugänglichen Northern Territories, Tausende von Seen und Wasserfälle, gewaltige Flüsse wie der Mackenzie, dessen riesiges Delta die 750 Kilometer lange, legendäre Schotterpiste „Dempster Highway“ tangiert zählen ebenso dazu wie schäumende Wildwasser, bunte alpine Wiesen oder der Indian Summer, der Mischwälder und Tundren in leuchtende Farben taucht. Wildnis ohne Pfade oder ausgetrocknete Gegenden im Regenschatten der Küstengebirge steht im krassen Gegensatz zu Regenwäldern, goldgelben Felder und Prärien, wo die Vögel am Boden brüten weil es keine Bäume gibt und der Schutz ihres Nestes in der Weite der Landschaft liegt. Kanada kann auch auf die Niagarafälle verweisen oder auf fruchtbare Täler wie das heiße Okanagan Valley, wo die nördlichen Ausläufer des Nordamerikanischen Wüstengürtels bis ins südliche British Columbia reichen und zusammen mit dem Okanagan River und vielen Seen für ausgezeichnete Obst- und Weinernten sorgen. Und dann wäre noch der einsame, wunderschöne Yukon zu nennen, hinter dessen westlicher Grenze zusätzlich auch noch das amerikanische Naturerlebnis Alaska lockt, wo der Kenner allein bei Begriffen wie Denali-, Katmai- und Glacier Bay Nationalpark oder der weltberühmten Inside Passage ins Schwärmen gerät.

Großstädten im Osten, wie dem pulsierenden Toronto, faszinierendem Montreal oder dem französisch-charmanten Quebec stehen raue und karge Provinzen gegenüber wie Neufundland und Labrador. Während hier, zu Red Bay, der erste Industriekomplex Nordamerikas entstand, als baskische Walfänger das Öl für europäische Lampen produzierten, werden auf Cape Spear der Nordamerikanische Kontinent und Neufundlands ältester Leuchtturm von der Sonne zuerst begrüßt.

Ständige Begleiter sind auch die Relikte und Geschichten der Goldgräber, Pioniere und Pelzhändler, auf deren Spuren sich noch heute wandern und fahren lässt. Während die Häuser aus Stroh und Erde zu L‘ Anse aux Meadows an der Nordwestspitze Neufundlands daran erinnern, dass die Vickinger schon 500 Jahre vor Columbus dort siedelten, ist auch der höchste Gezeitenunterschied der Welt in der kanadischen Bay of Fundy zu finden. Kanada ist aber auch Indianer- und Cowboyland. Auf den Top-Rodeos halten längst die Profis die Zügel in der Hand wenn es darum geht, die alltäglichen Cowboyarbeiten als Spitzensport zu betreiben, während die Ureinwohner im Gemisch der Völkerkulturen mehr oder weniger gut mitschwimmen.

Im zweitgrößten Land der Erde lässt sich auch tagelang wandern ohne eine Menschenseele zu treffen. Auf ausgebauten Wegen, naturbelassenen Trails oder in der Wildnis. Kanada ist aber vor allem auch ein Land der Wohnmobile, Allradantriebler, Kanus, Wasserflugzeuge, Buschflieger und der Pferde. Und vielerorts geht ohne die letzten beiden gar nichts. Auch das haben wir auf beeindruckende Weise kennen gelernt.

Schwarz- und Braunbären – seltener die weißen Kermodebären, die, wie die Grizzlies, zu den letzteren gehören und vornehmlich in der Nähe von Terrace, Kitimat und auf Princess Royal Island anzutreffen sind, Elche, Rentiere, Whapitihirsche, Pumas, Dickhornschafe und Bergziegen, Seelöwen, Buckelwale oder die schwarz-weißen Orkas sind faszinierende Vertreter einer Tierwelt, der auch die riesigen Kolonien der Meeresvögel nicht nachstehen. Zu Zehntausenden sind diese auf den Felsen zu Cape St. Mary in Neufundland oder zu Percé auf der Gaspé Halbinsel ganz besonders präsent, und die wunderschönen Tölpel dominieren die übrigen Arten. Auch Millionen Lachse vollenden auf dem Wege in ihre Geburtsgewässer einen ewigen Kreislauf körperlicher Höchstleistungen, um am Ende einer langen Reise für Nachwuchs zu sorgen und danach diese Welt zu verlassen.

Zum reisen auf eigene Faust und abseits ausgetretener Pfade gehört allerdings eine gründliche Vorbereitung und mehr Urlaubszeit als nur 14 Tage. Es mag auch nicht jedermanns Geschmack sein, auf einer selbst erarbeiteten, persönlichen Wunschroute, allein durch das weite Land zu rollen, wie wir es tun oder eine solche überhaupt auszuarbeiten. Mit seinen vielen National- und Provinzparks und guten Straßen wird Kanada aber jederart „Fernwehherz“ gerecht, auch vorsichtigen Neulingen oder Pauschalreisenden. Wer aber ohne vorgebuchte Route reisen und als Individualist durch das Land rollen will, muss vorher wissen, was ihn erwartet und abschätzen, ob es das Richtige sein könnte. Abseits ausgetretener Pfade und tief im Hinterland muss auch das Englisch besser sein als „ein paar Touristen-Worte“.

Die eigene Wunschroute – was für die eigenen Ohren gut klingt und das Herz hüpfen lässt – hängt lediglich von persönlichen Möglichkeiten und Prioritäten ab, als auch von der grundsätzliche Frage: „Wie will ich unterwegs sein?“ In der gegebenen Zeit so viel als möglich sehen ohne zu hetzen, oder kleinere Gebiete intensiver bereisen. Ich habe mich immer für ersteres entschieden, aber stets mit viel Zeit „für rechts und links“ und mehreren Reservetagen für Unerwartetes. Das Gefühl des „Abhakens“ hatte ich dabei nie, aber ich wäre oft gern noch geblieben. Mancherorts auch für immer.

Die eigene Tour liefert ein guter Reiseführer mit seinen Routenvorschlägen. Sind diese durchgearbeitet, die persönlichen Wünsche zur Rundfahrt verknüpft, Kilometer kalkuliert, Unternehmungen und Reservetage (machen flexibel und lockern die Zeitdisziplin) hinzugerechnet, sind auch Dauer und Kosten des Vorhabens erkennbar. Wer mit 40-50 kmh kalkuliert, muss auf Aussichtspunkte und kleine Wanderabstecher nicht verzichten. Fahrten auf „Interstates“ oder Überbrückungsstrecken erlauben eine höhere Gangart, so dass auch ein Tagesprogramm von fünfhundert oder mehr Kilometer locker zu absolvieren ist. Für Nordamerika sollten drei bis vier Wochen aber das Minimum sein, denn das Land ist nördlich und südlich des 49. Breitengrades riesig und seine Naturschönheiten laden zum Verweilen ein und locken immer weiter weg.

Letzte Frage: Sind Urlaubszeit und Reisebudget überhaupt mit der Wunschroute unter einen Hut zu bringen? Die Antwort ist oft eine Korrekture nach unten. Und nicht nur deswegen ist es eine gute Idee, neben einer „Kernroute“ kleine Zusatztouren zu etablieren. Das bietet außerdem die Möglichkeit unterwegs wegzulassen oder hinzuzufügen, wenn sich die Wirklichkeit anders darstellt als die Beschreibung erwarten ließ, oder das Wetter Geplantes verhindert.

Auto und Zelt, Wohnmobil oder Luxuscamper? Billiger als Auto / Motel sind sie auf alle Fälle. Der eine oder andere mag bei dem Gedanken „Wohnmobil“ noch immer zögern, aber Nordamerika kennt weder die Enge Europas noch dauert es kaum länger als bis zur ersten Kaffeepause das Gefährt zu mögen und damit zu beginnen, vom skeptischen Neuling zum Fan zu mutieren. Ich als strikter Gegner war jedenfalls schnell davon überzeugt, dass es keine schönere Form gibt, um die Natur zu genießen und das Land zu erleben. Finanziell rechnet es sich sowieso, denn Auto und Motel erreichen inzwischen zusammen ähnliche Tagessätze. Höherem Benzinverbrauch stehen Komfort und eine sehr günstige Art des Verpflegens gegenüber, denn Angebot und Preise in den Supermärkten sind mehr als ein handfestes Argument wenn man einen Blick auf die Speisekarten der Restaurants wirft.

Wer mit einem „RV“ – einem Recreational Vehicle, wie die Amerikaner das Wohnmobil nennen – reist, ist der Natur stets auch einen Schritt näher, flexibler und unterliegt nicht dem Zwang, am Abend die reservierte Unterkunft erreichen oder eine solche noch suchen zu müssen. Und dort, wo die Infrastruktur dünner wird, ist das Wohnmobil ohnehin der ungekrönte König. Mitentscheidend sind allerdings auch die Kilometer, denn jeder einzelne, der die meist zu niedrige Freigrenze überschreitet findet sich – im Gegensatz zum billigeren Auto – beim Wohnmobil auf der Rechnung wieder. Vor der Buchung heißt es somit „vergleichen“: Neben Mietpreisen gehören auch Freikilometer, Versicherung, Fahrbeschränkungen, Gebietsaufschläge, Erst- und Campingausrüstung, Einwegmieten, Langzeitdiscount, Preisnachlässe bei Anmietung an bestimmten Stationen, Übernahme- und Rückgabezeiten, Hotel- und Flughafentransfers und zweiter Fahrer auf den Prüfstand. Auch auf eine kluge Raumaufteilung, praktische und handliche Anordnungen und zusätzlichen Stauraum sollte man achten. Kompliziert ist das nicht, denn ein guter deutscher Reisekatalog – spezialisiert auf Nordamerika – listet seine Anbieter nicht nur auf, sondern stellt alle Details – auch Innenskizzen der Fahrzeuge mit Tag- und Nachtsituation – gegenüber und erleichtert damit die Auswahl ungemein.

 

Wie dies und jenes zu handhaben oder wo zu finden ist, wird bei den meisten Großvermietern bei der Übergabe auch auf Deutsch erklärt. Einen prüfenden Blick verlangen nicht nur die Füllstände für Gas, Benzin und Motoröl, sondern auch Kratzer im Lack, Beulen oder Beschädigungen der Windschutzscheibe, denn Mängel müssen in den Mietvertrag und sind sie noch so klein! Zu prüfen ist auch der absolut feste Sitz der Herdabdeckung, Schranktüren und Schubkästen.

Zwei Personen sind mit einem Fahrzeug für drei gut unterwegs, weil es bequemer ist. Als gute Alternative und wendige Lösung gelten auch die „Luxus“-Camper, zumal Modelle mit Alkovenbett den (einfachen) Umbau der Sitzecke für die Nacht nicht erfordern und zur Standardausrüstung ebenfalls alles Wichtige gehört. Wer aber wirklich „billig“ reisen möchte, der braucht zum Auto oder Motorrad ein Zelt.

Fällt die Entscheidung jedoch zugunsten eines Wohnmobiles muss zeitig gebucht werden, um weder auf spürbare Frühbucherrabatte, niedrige „Flex-Raten“ (statt der Festpreise liegt hier die Auslastung der Flotte bei Buchung zu Grunde) noch günstige Flugpreise verzichten zu müssen. Das setzt allerdings eine „fertige Tour“ voraus, inklusive der eventuell eigenen Internetbuchungen bei Piloten, Bären-Guide oder Outfittern, denn viele Reisebüros können oder wollen diese Extras gar nicht erledigen, weil sie sich in der Regel vor Ort nur selten wirklich auskennen, und im Hinterland schon gar nicht.

Die meisten Campingplätze liegen in schöner Landschaft und garantieren mit viel Platz, Grill, Tisch-/Bank-Kombination und Feuerholz am Ende eines wunderschönen Tages auch die richtige Atmosphäre für den Feierabend. Der Komfort reicht von maximaler Top-Ausstattung bis hin zu sehr einfachen Campgrounds, die oft auch die schönste Umgebung vorweisen. Vorbuchen muss man sie in der Regel nicht. Es gibt immer noch einen zweiten oder dritten, und stehen kann man auch anderswo. In den touristischen Ecken gilt aber die Faustregel „rechtzeitig einzutreffen“. Die in Europa gewohnte Enge ist unbekannt und wird nur selten praktiziert. Wenn jedoch Lachs und Heilbut in Valdez Hochsaison haben, dann regiert dort nicht der Camper sondern der „Fischer“, der nur einen Platz zum parken braucht und nach wenigen Tagen mit einigen Hundert Kilos Filet in den Gefriertruhen wieder nach Hause fährt.

Ob man ein Land überhaupt auf eigene Faust entdecken kann oder nicht, muss vorher geklärt werden. Für Nordamerika ist die Antwort ein ganz klares Ja. Die Entfernungen haben allerdings ganz andere Maßstäbe als zu Hause, und der gründlich vorbereitete Traveller wird wissen, dass die Wege im Yukon oder die der menschenleeren Northern Territories nicht mit den üblichen Touristen-Routen vergleichbar sind und sich darauf einstellen. Die Straßen sind durchweg gut, die Ausschilderungen ebenfalls. Die meisten der Gravel-Roads (Schotter) werden auch gepflegt, doch kann das schon ein oder mehrere Jahre her sein. Je nachdem, wo sie sich befinden. Ungewohnte Verkehrsregeln gibt es nicht viele: Fußgänger haben Vorrang sobald sie auch nur einen Fuß auf die Straße gesetzt haben; Schulbusse mit blinkender Anlage dürfen nicht überholt werden und „Freie Fahrt“ gibt es nirgendwo. Auf den Highways berechtigt jede Spur zum überholen und die „4-Way“-Kennzeichnung einer Kreuzung verlangt, dass jedes Fahrzeug anhält und in der gleichen Folge des Kommens den Ort auch wieder verlässt.

Für Städte wie Calgary, Anchorage, Halifax oder Vancouver reicht der kostenlose Stadtplan vom Touristenbüro, und jenseits der großen Städte im Osten Kanadas, die aber mit Metropolen wie „LA“ auch nicht vergleichbar sind, ist der Rest „Provinz“, wobei es im Yukon, in Alaska oder den Northwest-Territories noch wesentlich einsamer wird. Für amerikanische Großstädte empfehlen sich jedoch gute Karten, weil dort Ausfahrten oft nur ausgeziffert sind und nicht wenige Straßen nur eine Fahrtrichtung erlauben. Die generellen Tempobeschränkungen wirken sich jedoch geringer aus als man glaubt, weil es das aus der Heimat gewohnte starke Verkehrsaufkommen nur in den ganz großen Zentren gibt.

Unterkünfte reichen von der Luxus-Lodge bis zur Farm; Motels und Campingplätze sind dort wo man sie braucht, Supermärkte und Tankstellen ebenfalls. Wo die Besiedlung dünner wird weicht der große und üppige Supermarkt kleineren Allround-Läden und an die Straßenseite gesellen sich Entfernungshinweise bis zur nächsten Tankstelle.

Wie man den Reiseverlauf dokumentiert ist Geschmackssache. Ein Deckblatt für den schnellen Überblick ist jedoch hilfreich. Mein persönlicher Streckenverlauf enthält alles, was ich entlang des Weges ansehen oder wo ich etwas unternehmen möchte. Dazu Straßennummern, Kilometerentfernungen, Ortschaften, Trailheads für geplante Wandertouren, Anfahrtsskizzen zu Fähren, Startplätzen gebuchter Buschflieger und ähnlicher Vorhaben. Für das weniger besiedelte Hinterland auch Abzweigungen, markante Brücken, Seen und Flüsse zur besseren Orientierung, als auch die Öffnungszeiten entlegener Grenzübergänge zwischen Kanada und USA. In der Routenführung der Streckenabschnitte erscheinen diese Dinge in Form von Ziffern; die nötigen Stichworte dazu auf der Folgeseite.

Zugegeben, eine so durchgeführte Reiseplanung ist zeitaufwendig, aber sie enthält „alle machbaren Wünsche“, man fährt nirgendwo unwissend vorbei und was ausgelassen wurde, erschien von Anfang an uninteressant. Und noch eins gilt es zu bedenken: Solche maßgeschneiderten Wunschreisen werden in dieser Form nicht angeboten. Und wenn es sie denn gäbe, wären sie preislich unerschwinglich. Hier länger bleiben, anderswo etwas weglassen; nur anfahren, was sich vorher gut gelesen hatte; eine geplante Alternative nutzen, wenn das Wetter nicht mitspielt oder Außerplanmäßiges spontan einbauen und anhalten, wenn ein herrliches Plätzchen zum Frühstück oder wandern einlädt, all das ist weder bei einer Pauschal-Selbstfahrertour noch einer Gruppenreise machbar. Beide steuern in der Regel nur touristische Höhepunkte an und Trekkingveranstalter beschränken sich auf kleinere Gebiete und erwandern diese intensiv. Es sind Alternativen, aber ein Ersatz für die maßgeschneiderte, ganz persönliche Tour sind sie nicht.

Und wann ist die beste Reisezeit? Klammert man die „heißen“ amerikanischen Bundesstaaten aus, geht sie von Mai bis September. Im Norden beginnt der kurze Herbst schon Ende August, und im September befinden sich Alaska und der Yukon schon auf dem Weg vom Sommer zum Winter. Dafür sind die meisten Touristen bereits zu Hause, die Preise gehen nach unten und die Farben des Indian Summers sind mehr als Ersatz für einen frischen Morgen oder kühlen Abend. Alles vermittelt auch das Gefühl der Eile. Die Lachse laichen, ehe die Flüsse zufrieren, Elchbullen treiben den Harem zusammen, Caribous starten ihre Wanderungen und die Bären sind durch das wochenlange „Powerfressen“ dick und fett. Es ist eine phantastische Jahreszeit, zumal hier und dort bereits die Aurora Boralis über den Himmel tanzt. Der Hochsommer ist teurer, doch entschädigt der Hohe Norden die gestiegenen Preise mit seinen hellen Nächten. Auch das ist ein Erlebnis und ein Geschenk der Natur.

Mit dem Wetter kann man Glück haben oder auch nicht. Kanada hat heiße Sommer mit bis zu dreißig Grad, aber auch regnerische Tage mit weniger als der Hälfte. Während es in den Küstenbergen tagelang regnen kann, gehören Zentralalaska und der Yukon zu den trockeneren Regionen. „Richtig staubig“ zeigen sich aber nicht nur Teile des amerikanischen Mittleren – und Südlichen Westen, sondern die Ausläufer des Nordamerikanischen Wüstengürtels reichen auch bis ins trockene Okanagan-Tal von British Columbia. Wer jedoch im westlichen Kanada und in Alaska in der Natur tagelang unterwegs sein will, der muss sich anziehen können wie eine Zwiebel und neben festem und bequemem Schuhwerk auch für einen Regenguss eine Lösung haben. Und dann bleibt nur noch eins: Sich auf wunderschöne Urlaubstage zu freuen …


Gletscher, Flüsse aus Eis