Es kommt schon alles, wie es soll

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Es kommt schon alles, wie es soll
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Inhalt

Impressum 3

Widmung 4

1 - Happy Birthday 5

2 - Katerstimmung 16

3 - Flashback 19

4 - Die Sonne ruft 27

5 - Back to work 40

6 - Missverständnisse? 50

7 - Lagebesprechung 56

8 - Chancen 64

9 - Neuer Tag, neues Glück 71

10 - Top oder Flop 80

11 - Wochenende 89

12 - Auf in den Kampf 99

13 - Vorbereitung ist alles 107

14 - Spannung 115

15 - Erkenntnisse 124

16 - Übertrieben 153

17 - Aufklärung 177

18 - Überzeugung 189

19 - Vergangenheit 193

20 - Home, sweet home 211

21 - Zukunft 235

Danke! 262

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2021 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-985-9

ISBN e-book: 978-3-99107-986-6

Lektorat: Melanie Dutzler

Umschlagfoto: Mii Plock

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Widmung

Für alle, die das Leben lieben (wollen).

Und für Mama –

Happy Birthday!

1 - Happy Birthday

Besser konnte ein Tag nicht beginnen. Die Sonnenstrahlen kitzelten meine Nase und ich wachte mit einem Kribbeln auf. Ich liebte es, mit diesem besonderen Gefühl und voller Vorfreude in den Tag zu starten. Und besonders heute hatte ich allen Grund dazu. Es war schließlich mein Geburtstag. Schon immer war das etwas ganz Besonderes für mich. Ein Tag, an dem ich nur machte, worauf ich Lust hatte, und an dem es ausnahmsweise mal nur um mich ging. So einen Luxus gönnte ich mir selten, aber heute war es wieder soweit und ich konnte es kaum erwarten.

Ich wälzte mich noch einmal durch meine Kissen, dann kuschelte ich mich in meinen flauschigen Bademantel. Noch etwas verschlafen begab ich mich direkt in die Küche. Ich brauchte erstmal einen Kaffee. Während die Maschine den Kaffee mahlte und der wunderbare Duft in meine Nase zog, erwachten auch langsam meine ersten Lebensgeister.

Ich setzte mich mit meiner Tasse an meine Küchentheke und genoss den blauen Himmel. Meine Müdigkeit war direkt wie weggeblasen und eine gewisse Unruhe machte sich in mir breit. Sobald sich eine Chance ergab, musste ich sie nutzen. Das war eine Eigenschaft, von der ich immer noch nicht wusste, ob ich mich darüber freute oder sie verteufelte. In diesem Moment musste ich das wundervolle Wetter an diesem frühen Morgen jedenfalls nutzen. Andernfalls würde ich eh nicht entspannen können. Es war bestes Laufwetter.

Ich trank also schnell meinen Kaffee aus und tauschte meinen Bademantel gegen meine Laufsachen. Wie so oft, schlug ich auch an diesem Morgen automatisch den Weg nach Olderdissen ein. Der frei zugängliche Tierpark war für mich mit das Schönste, was Bielefeld zu bieten hatte. Seitdem ich hier wohnte, verging kaum eine Woche, in der ich nicht vorbeischaute. Zugegeben war das noch nicht allzu lang, aber ich glaubte auch nicht, dass sich das so schnell ändern würde. Dazu gefiel mir dieser besondere Ort viel zu gut. Am allerbesten gefiel er mir sogar, wenn ich ihn fast für mich allein hatte.

Deshalb war ich froh, dass ich heute früh aus dem Bett gekommen war. An einem so schönen Samstag wie heute, würde es hier voll werden. Der Frühling war jetzt schon ein paar Wochen alt, aber es war immer noch so schön zu sehen, wie die Bäume langsam grün wurden und die ersten Blumen ihren Weg an die Oberfläche fanden. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages begleiteten mich bei meiner Runde und ich fühlte mich rundum wohl. Mit dem Frühling stieg auch meine Stimmung. Das war immer so.

Als ich um zehn Uhr wieder zu Hause ankam, gönnte ich mir erst einmal eine ausgiebige Dusche. Zu einem perfekten Geburtstag gehörte es schließlich auch, sich ein bisschen herauszuputzen – und dabei ließ ich mir ausreichend Zeit. Nach Haarkur und Gesichtsmaske wickelte ich mich wieder in meinen Bademantel. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass noch genug Zeit für ein gemütliches Frühstück auf dem Sofa blieb. Toll! Ich schaltete den Fernseher ein und mummelte mich mit einem frischen Kaffee und einem Brötchen in meine Kuscheldecke. Dabei checkte ich meine Nachrichten.

Ich hatte meine Arbeit extra, so gut es ging, vorbereitet, sodass heute keine Mails zu erwarten waren. Trotzdem hatte ich keine Ruhe, ehe ich mich vergewissert hatte, dass wirklich erst mal nichts zu tun war. Ich war schon immer eine schrecklich gewissenhafte Angestellte gewesen. Aber seit ich selbstständig war, war es noch schlimmer geworden. Ich arbeitete nicht nur im wörtlichen Sinn ständig. Das Gute daran war, dass es mir gar nicht so richtig auffiel. Ich konnte meinen Job gut in meinen Alltag integrieren. Deshalb fühlte es sich für mich auch nicht wie Arbeit an, wenn ich mich um meine Kunden kümmerte. Ich arbeitete seit Kurzem als Maklerin und ich liebte meinen Job. Dass mich meine Kunden mit dem Verkauf ihrer Immobilien betrauten, empfand ich als unglaubliche Wertschätzung. Dieses Gefühl wollte ich ihnen gerne zurückgeben und sie nicht enttäuschen. Deshalb wollte ich auch immer für sie erreichbar sein. Manchmal war mir gar nicht mehr bewusst, ob ich meine beruflichen Mails oder meinen privaten Social Media Account checkte. Ich machte keinen großen Unterschied zwischen Beruf und Privatleben, aber das störte mich nicht. Ich freute mich mehr über den Vorteil, meine Zeit selbst einteilen zu können und mir nebenbei noch den Luxus leisten zu können, den ich wollte.

Und damit war ich schon jetzt zufrieden, obwohl der ganz große berufliche Durchbruch noch auf sich warten ließ. Ehrlicherweise hatte ich bisher nur mit Vermietungen zu tun, aber ich war zuversichtlich, dass bald auch einmal ein größeres Objekt kommen würde. Schließlich war ich noch nicht allzu lange als Immobilienmaklerin unterwegs.

Da es tatsächlich keine News von der Arbeit gab, konnte ich mich wieder meinem privaten Account widmen und mich ausgiebig in meine Glückwünsche vertiefen.

Die erste Nachricht war von Mama. Natürlich.

„Glückwunsch, Süße! Wow, 30 Jahre! Ich kann es nicht glauben. Ich freu mich auf später. Meld dich, wenn wir noch etwas mitbringen sollen. Kuss!“„

Typisch Mama. Wie ich sie kannte, hatte sie eh schon eine Kiste Sekt und die neusten Sorten an Süßigkeiten, die sie auftreiben konnte, ins Auto geladen und musste später dreimal zum Auto laufen, bis sie alles ausgeladen hatte. Aber genau dafür liebte ich sie. Sie sorgte immer für alle. Ich tippte eine schnelle Antwort.

„Nein danke, Mama, alles erledigt. Freue mich auch!“

Und ich konnte es wirklich kaum erwarten, diesen Tag ausgiebig zu feiern. Schließlich ergab sich diese Gelegenheit nur einmal im Jahr.

Ungeduldig öffnete ich die nächste Nachricht.

„Feliiiiiiiiiiiiiiii, oh Mann, du Arme, trag es mit Fassung. Von Herzen alles Liebe!“

Ohne den Absender zu lesen, wusste ich, dass diese Nachricht von Senna kam. Mit Senna hatte ich mir lange ein Büro geteilt. Sie war vier Jahre älter als ich und ich wusste noch genau, wie fertig sie kurz vor ihrem 30. Geburtstag war. Schon ein halbes Jahr vorher musste ich ihr jeden Morgen versichern, dass sie KEINE neuen Falten hatte und dass sie auch nicht langweilig war, wenn sie nicht freitags UND samstags auf die Piste ging. Mit einer Inbrunst erklärte sie seit ein paar Jahren auf ihren Geburtstagspartys, dass sie ihren 29. Geburtstag feierte – plus X, wobei sie das „X“ immer mit der Zahl ersetzte, die addiert zu 29 ihr richtiges Alter ergab. Ich verstand ihre Sorgen nicht ganz, fand ihre überschwänglichen Klagen über das Alter aber immer recht amüsant.

 

Je mehr Nachrichten ich erhielt, desto häufiger las ich allerdings ähnliche Sprüche und musste feststellen, dass Senna kein Einzelfall war. Hilfe, was hatten denn alle mit dem Alter? Ich wurde 30 und nicht 50! Eigentlich war es mir auch relativ egal, wie alt ich wurde, ich freute mich einfach auf das Feiern und darauf, gleich alle meine Liebsten bei mir Zuhause zu haben. Besser ich konzentrierte mich also darauf und nicht auf weitere Beileidsbekundungen.

Ich aß mein letztes Stück Brötchen und schlenderte mit meinem Rest Kaffee zum Kleiderschrank. Eigentlich hatte ich diesen aus Kostengründen ohne Türen gekauft. In Wahrheit hatte ich aber gar nicht mehr vor, in Türen für meinen Kleiderschrank zu investieren. Ich freute mich jeden Morgen beim Aufwachen über den freien Blick auf meine Kleider und darüber, dass ich noch im Halbschlaf mein Tagesoutfit in Gedanken zusammenstellen konnte. Auch jetzt verzog ich mich nochmal unter meine Bettdecke und scannte den Inhalt des Kleiderschranks.

Ich entschied mich für einen mintfarbigen Faltenrock und ein lässiges weißes Shirt, dazu große goldene Ohrringe und goldene und bunte Armbänder. Ich wollte schließlich zum Frühlingstag passen. Außerdem genoss ich es an meinen freien Tagen immer, von meinen Hosenanzügen und Blusen Abstand zu nehmen und zu dem etwas auffälligeren Schmuck zu greifen. Ich nutzte die Gelegenheit auch, um meine kinnlangen Haare einfach an der Luft trocknen zu lassen. Sollten sie sich auch einmal einen Tag vom Glätteisen und dem strengen Dutt, den ich oft im Büro trug, entspannen können. Zufrieden blickte ich in den Spiegel.

Da meine Familie sich traditionell zum Kaffee angekündigt hatte, deckte ich den Tisch und bereitete alles vor. Geputzt, gebacken, gekocht und für abends die Getränke gekauft hatte ich zum Glück schon alles in der Woche. Ich liebte es, vorbereitet zu sein.

Pünktlich um drei Uhr klingelte es dann an der Tür und meine Wohnung wurde zum Familientreff. Oma und Opa, Mama und Papa und meine Schwester mit Mann und Kind kamen zeitgleich an. Ein richtiger Trubel, aber genau das gehörte zu einem perfekten Geburtstag dazu. „Platz ist in der kleinsten Hütte“, hatte Mama gesagt, als ich sie besorgt anrief, um zu fragen, ob es wirklich in Ordnung war, dass ich sie zu meinem Geburtstag alle zu mir nach Bielefeld einlud und nicht bei meinen Eltern in unserem Heimatdorf feierte. Natürlich wäre es für alle Beteiligten, mich ausgenommen, einfacher gewesen. Irgendwie war es mir jedoch wichtig, meiner Familie mein neues Zuhause zu zeigen, auf das ich so stolz war. Und da es ja auch schließlich mein Geburtstag war, freute ich mich noch mehr, dass Mama mir die Zweifel nahm. Und sie hatte recht. Irgendwie bekam ich alle unter. Die älteren Semester quetschte ich auf mein braunes Wildledersofa, das ich kurz vor meinem Einzug bei Ebay geschossen hatte und das mir schon einige entspannte Sonntage beschert hatte. Meine Schwester samt Mann und Kind musste sich mit Klappstühlen zufrieden geben. Aber jeder fand Platz und auch meine Familie freute sich sichtlich, endlich einmal meine fertig eingerichtete Wohnung bestaunen zu können. Opa, der wirklich zum allerersten Mal hier war, weil ich ihn selbstverständlich nicht als Umzugshelfer gebrauchen konnte, ließ es sich nicht nehmen, sich von mir einmal durch die komplette Wohnung führen zu lassen. Innerlich musste ich grinsen, denn meine zwei Zimmer waren schnell besichtigt. Trotzdem zeigte ich sie ihm natürlich gern. Den Hauptraum, die Wohnküche mit angrenzendem Balkon, hatte er ja bereits gesehen, fehlten nur noch Schlafzimmer und Bad. Bei der Führung bemerkte ich nicht ohne Stolz Opas durchaus interessierten Blicke. Seine abschließende Bewertung: „Schön hast du’s hier“, fiel zwar knapp aus, aber es schwang echte Anerkennung in seinen Worten mit und das war für mich das schönste Kompliment, besonders weil Opa nicht wirklich davon überzeugt war, dass ich einfach so unser kleines Dorf verließ und in Bielefeld einen Neustart hinlegte. Das war eigentlich keiner in meiner Familie. Denn sie glaubten nicht, dass die Großstadt die richtige Umgebung für ein behütetes Dorfkind wie mich war. Ich war da anderer Meinung und deshalb freuten mich Opas Worte umso mehr. Wir waren schließlich Ostwestfalen, da grenzte das schon an einen emotionalen Ausraster.

Zurück im Wohnzimmer versorgte ich erstmal alle mit Kaffee und Kuchen. Dann wurde es etwas ruhiger. Zumindest bis Opa mit seiner Kuchengabel an die Kaffeetasse schlug. Opa war bei feierlichen Anlässen immer ein begeisterter Redner. Mit dem, was jetzt kam, hatte ich aber nicht gerechnet.

„Meine liebe Felicitas, mein jüngstes Enkelkind. Vielen Dank, dass du uns heute alle in deine kleine, aber feine Wohnung eingeladen hast! Ich bin sehr stolz auf dich, das weißt du!“

In Opas Augenwinkel sammelte sich ein kleines Tränchen und seine Worte machten mich ebenfalls ein bisschen sentimental. Offensichtlich hatte ich diese Geburtstagseuphorie von Opa geerbt. Denn Ostwestfale hin oder her – an Geburtstagen ließ er es richtig krachen. Aber das war noch nicht alles.

„Nichtsdestotrotz mache ich mir auch langsam Sorgen um dich. Auch wenn du jetzt deinen Weg in die große Stadt gefunden hast, lass dir gesagt sein: Karriere ist nicht alles, mein Mädchen.“ Bedeutungsvolles Schweigen. „Du müsstest dich auch langsam mal um einen Mann kümmern. Du bist zwar meine jüngste Enkelin, aber jung bist du nun auch nicht mehr. Mit 30 Jahren war ich schon lange verheiratet! Deine Schwester war in deinem Alter auch schon schwanger. Ich will schließlich auch von dir zum Uropa gemacht werden, das weißt du doch!“

Wusste ich das?! Naja, ehrlich gesagt, ja, aber was ich nicht wusste, war, ob ich das auch wollte. Das war in diesem Moment allerdings auch egal. Vielleicht hatte ich mich doch etwas zu früh gefreut. Dass Opa meine Wohnung schön fand und mir meinen Neustart gönnte, hieß noch lange nicht, dass er meine Entscheidung mittlerweile nachvollziehen konnte, geschweige denn richtig fand. Opa war jedenfalls sichtlich glücklich über seine Rede und alle anderen waren sichtlich glücklich, dass wir endlich anstoßen konnten. Also war ich es auch. Mit einem Schluck Sekt würde ich Opas Worte auch gleich besser verdauen können.

„Tante Feli, kommst du jetzt endlich spielen?“, ließ mich meine Nichte auch den letzten trüben Gedanken erst einmal vergessen.

„Ja sicher, Emmi-Schatz!“

Froh, von meinem Klappstuhl aufstehen zu können, setzte ich mich zu meinem Patenkind auf den Boden, wo sie schon ihre Puzzleteile ausgebreitet hatte. Emmi war mein ganzer Stolz. Wir liebten uns abgöttisch und das von der ersten Sekunde an. Schon als ich meine Schwester direkt nach der Geburt im Krankenhaus besucht und Emmi zum ersten Mal auf dem Arm gehalten hatte, war ich hin und weg von diesem kleinen Bündel. Ich genoss jede Minute mit ihr und war jedes Mal wieder überrascht, wie sich so ein kleines Päckchen zu einem so wunderbaren Menschen entwickeln konnte, der aber zugegebenermaßen nicht nur meine Schwester oft auf die Palme bringen konnte. Meine Liebe zu Emmi war grenzenlos und dennoch hatte ich bisher nicht einmal das Gefühl verspürt, dass ich mir genau so einen kleinen Menschen für mich wünschte. Meine Dorf-Mädels waren da ganz anders und auch Louisa hatte schon lange vor Emmis Geburt davon gesprochen, welche Kindernamen sie favorisierte.

Meine Schwester Louisa war vier Jahre älter als ich und eigentlich in allem das komplette Gegenteil von mir. Sie lebte mit ihrem Mann und Emmi noch immer in unserem Heimatdorf, arbeitete in einem Kindergarten und leitete den Zumba-Kurs im Dorfgemeinschaftshaus. Sie war verheiratet und hatte den Hausbau auch schon abgeschlossen, kümmerte sich liebevoll um Emmi und sonntags gab es immer Kaffee und Kuchen. Sie war sehr glücklich in ihrem Leben und das freute mich von Herzen. Zumindest in diesem Punkt musste ich mir eingestehen, dass wir vielleicht doch gar nicht so unterschiedlich waren, wie ich immer gern behauptete. Lange Zeit hätte ich mir auch nicht vorstellen können, jemals unser geliebtes Heimatdorf zu verlassen. Ich hatte mich dort wohl gefühlt. Hätte ich keinen Tapetenwechsel gebraucht, hätte ich vielleicht bald ein ähnliches Leben wie Louisa (und übrigens auch ein Großteil meiner Freundinnen) geführt, ohne es mir vorher wirklich gewünscht zu haben. Und genau das war der Unterschied zwischen ihnen und mir. Ich hatte nie von diesem Leben geträumt. Tatsächlich hatte ich nie wirklich von irgendetwas geträumt. Ich wollte immer nur glücklich sein. Vielleicht wäre ich es auch im Dorf geworden, vielleicht nicht. Welche Definition Glück für mich hatte, konnte ich noch nicht sagen, aber das würde ich schon noch herausfinden.

„Emmi, lass dir von Tante Feli aber keine Flausen in den Kopf setzen.“

Typisch Sven. Louisas Mann hatte immer Angst, dass ich Emmi schlecht beeinflussen könnte. Für ihn war ich, das glaubte ich zumindest manchmal, das Sinnbild einer Chaosqueen. Sven konnte meinem Lebensstil nichts abgewinnen. Als ich noch in seiner Nähe wohnte, verstand er nicht, warum ich mich nicht nach Leibeskräften der Partnersuche widmete, und seit ich weggezogen war, verstand er gar nichts mehr. Nicht, dass ich das Risiko der Selbstständigkeit auf mich nahm und schon gar nicht, dass ich unser Heimatdorf für Bielefeld, die Großstadt, wie er es gern nannte, verlassen hatte. Auch wenn er keine Gelegenheit ausließ, mir mitzuteilen, dass er mich für ein großes Mysterium hielt, wusste ich, dass seine kleinen Seitenhiebe immer liebevoll gemeint waren.

Der Nachmittag verging viel zu schnell. Wir tranken Sekt, spielten mit Emmi, aßen Kuchen und ich wurde von allen Seiten über den neuesten Dorftratsch informiert. Es war ein richtig schöner Nachmittag und als meine Familie nach dem Abendessen aufbrach, kamen auch schon fast meine Freunde. Ein fliegender Wechsel. Ich liebte so einen Trubel.

„Happy Birthday to you, happy birthday to you …“, sangen meine Mädels schon im Flur und wir begrüßten uns in einer großen Gruppenumarmung. Wir kannten uns noch alle aus der Schulzeit. So unterschiedlich wir auch waren, so sehr hielten wir immer noch aneinander fest. Ich freute mich riesig, sie zu sehen und sie nun bei mir zu haben. Auch für sie war es das erste Mal, dass sie meine neue Wohnung ohne Kisten und Unordnung sahen. Ich wohnte jetzt zwar schon einige Monate hier, aber es war immer schwierig gewesen, sie herzulocken. Schließlich war es einfacher, wenn ich ins Dorf kam. So mussten sie ihre Komfortzone nicht verlassen. Auch Mara und Franzi, meine beiden neuen Freundinnen aus Bielefeld, kamen vorbei. Ich kannte sie noch nicht lange. Unser Job hatte uns zusammengeführt und so hatten wir immer ein Gesprächsthema. In der kurzen Zeit waren wir schon richtig gute Freundinnen geworden und ich war wirklich froh, sie zu haben. Meine Wohnung war zum zweiten Mal an diesem Tag proppenvoll und ich genoss es, meine Liebsten bei mir zu haben.

Tatsächlich konnte ich mir an diesem Abend noch öfter anhören, dass ich ab jetzt zu den „Alten“ gehören würde und dass mir schwere Zeiten bevorstanden. Aber dieses Mal war ich darauf gefasst. Bei meinen Dorf-Mädels war die 30 auch ein großes Thema, schließlich ging es uns gerade alle an und ich wusste, dass sie alle Angst vor dieser magischen Zahl hatten. Rebecca, meine Single-Freundin, hatte Torschlusspanik, Lena hatte Angst, dass der Heiratsantrag ihres langjährigen Freundes noch lange auf sich warten ließ und Eva, die das alles schon hinter sich und die Pläne von Familie und Eigenheim bereits umgesetzt hatte, wollte einfach nicht älter werden.

Auch wenn ich mir hin und wieder Sorgen machte, dass Eva in ihrer Beziehung vielleicht manchmal nicht so glücklich war mit ihren zwei Kindern, dem großen Haus und einem Mann, der es vorzog, ständig unterwegs zu sein, und selten Zeit für die Familie übrig hatte, schienen sich die anderen beiden nach genau so einem Leben zu sehnen und zu fürchten, dass ihr Alter ihnen dabei im Weg stehen könnte.

Und genau da unterschieden wir uns. Da ich im Moment alles andere als den Drang verspürte, eine eigene Familie zu gründen und sesshaft zu werden, und so nahm ich die Sticheleien mit Humor und viiieeel Gin Tonic. Entgegen meiner Befürchtung, es könnte eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei der Party entstehen, verstanden sich Mara und Franzi super mit meinen vier Dorf-Mädels und wir hatten jede Menge Spaß. Besonders Eva und Mara unterhielten sich angeregt und ich hatte das Gefühl, dass Eva die paar Stunden Freiheit richtig genoss. Es war ein superlustiger Abend. Wir tanzten und sangen und ich hätte mich nicht gewundert, wenn die Nachbarn sich beschwert hätten. Aber das taten sie nicht. Um drei Uhr fiel ich todmüde und etwas betrunken, aber überglücklich ins Bett.