Katharina die Große inkl. Hörbuch

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KATHARINA DIE GROSSE (1729-1796)

Biographie

Von Elke Bader

Impressum

Band 6 aus der Reihe Menschen Mythen Macht

Copyright: © 1. Auflage 2015 Griot Hörbuch Verlag GmbH, Stuttgart

Umschlaggestaltung Diana Enoiu, Martin Lohr

Layout und Satz E-Book: Mark Julien Hahn

Hörbuch / Audiofiles gelesen von

Gert Heidenreich.

In weiteren Rollen: Katja Abt und Svenja Haas

Regie: Wieland Haas

Musik: Julian Heidenreich

Auszug aus Rachmaninow, Klavierkonzert Nr. 2 op. 18, c-Moll

Tchaikovsky/Pletnev: Der Nussknacker op. 71, Pas de deux – Intrada

mit freundlicher Genehmigung von Yuri Rozum

Aufgenommen im Juni 2015 im Tonstudio Johannes Steck, Schloß Seefeld

Tonmeister: Florian Baer

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, auch einzelne Teile, verboten. Das Urheberrecht und sämtliche weiteren Rechte sind der Autorin sowie dem Verlag vorbehalten. Übersetzung, Speicherung, Vervielfältigung und Verbreitung einschließlich Übernahme auf elektronische Datenträger wie CD-ROM, Bildplatte usw. sowie Einspeicherung in elektronische Medien wie Bildschirmtext, Internet usw. ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlages unzulässig. Des Weiteren ist es nicht gestattet, Abbildungen dieses E-Books zu scannen, in PCDDs oder auf CDs zu speichern oder in PCs/Computern zu verändern oder einzelnen oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren.

Titelbild: Katharina II. (die Große). Porträt, Gemälde um 1770, Fjodor Stepanowitsch Rokotow (akg images 2238202).

Weitere Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von akg images, Berlin. Johanna Elisabeth v. Holstein Gottorf: Wikipedia. Fotos Sankt Petersburg, Zarskoje Selo usw. Elke Bader, Michael Fritz, privat.

Mehr über unsere Hörbücher, Bücher, Sprecher und Autoren unter www.griot-verlag.de

ISBN Enhanced E-Book (mit Audio) 978-3-941234-53-6

ISBN Mobi-Pocket (ohne Audio) 978-3-941234-52-9

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Die Askanierin

Ihr wisst, wes Tochter ich bin!

Eine deutsche Braut für den Zarenthron

Russland

Zwischen den Fronten

Zarin Elisabeth

Krank in der Fremde

Hofintrigen

Aus Sophie wird Katharina

Hochzeit in Sankt Petersburg

Ehegefängnis

Schön wie der Tag

Die drei Erzhuren Europas

Umkehr der Allianzen

Peter III., der neue Kaiser

Gefahren

Der Griff nach der Macht

Zwei Morde für eine Krone

Das Ende der Schürzenverschwörung

Die Krone des Verderbens

Das Bohren harter Bretter

Zwei Säulen der Macht

Siedlungspolitik

Kriegshelden im Kampf gegen die Hohe Pforte

Mörderische Kosaken

Der Löwe im Dschungel

Das griechische Projekt

Die Reise in den Süden

Feuerprobe

Katharina die Große

Verwendete Literatur

KATHARINA DIE GROSSE

1729-1796

LEBENSDATEN

Geboren 2. Mai 1729greg ( nach d. gregor. Kalender*) in Stettin, Preussen unter dem Namen Sophie Auguste Friederika, Prinzessin von Anhalt-Zerbst, als Tochter des deutschen Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst und seiner Ehefrau Elisabeth von Holstein-Gottorf.

Eheschließung am 21. August 1745jul in Russland mit ihrem 17jährigen Cousin zweiten Grades, Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorf, Enkel Peters des Großen und Anwärter auf den russischen Thron. Ein Jahr zuvor hatte Sophie von Anhalt-Zerbst den Namen „Katharina Alexejewna“ angenommen und war zum orthodoxen Glauben konvertiert. Katharinas Ehemann wurde nach dem Tod seiner Tante, der Zarin Elisabeth Petrowna, am 25. Dezember 1761jul als Peter III. zum russischen Zaren gekrönt.

Staatsstreich: 28. Juni 1762jul Zar Peter III. wird abgesetzt und 8 Tage später ermordet. Machtübernahme Katharinas.

Krönung zur Zarin am 22. September 1762jul in der Mariä-Entschlafens-Kathedrale (Uspenski-Kathedrale) im Moskauer Kreml

Ehemann: Karl Ulrich von Holstein-Gottorf, Zar Peter III. (21. Februar 1728greg in Kiel, † 6. Juli 1762jul in Ropscha bei Sankt Petersburg, ermordet)

Kinder: Paul, geb. am 20. September 1754jul, † 12. März 1801jul (ermordet), der spätere Zar Paul I. (Vaterschaft Peters III. umstritten, wahrscheinlicher Vater ist Graf Sergej Saltykow). Paul wurde jedoch von Peter als legitim anerkannt. Anna, geb. am 9. Dezember 1757jul, † 8. März 1759jul, Vater ist wahrscheinlich Graf Stanislaus Poniatowski. Alexej Bobrinskij, geb. 11. April 1762jul, † 20. Juni 1813jul, Vater ist wahrscheinlich Grigori Orlow.

Liebhaber: 1753 Sergej Saltykow 1755 Stanislaus Poniatowski 1758 Grigori Orlow 1773 Alexander Wassiltschikow 1774 Grigori Potemkin Morganatische Ehe? 1780 Alexander Lanskoi 1789 Platon Zubov und noch einige mehr

Gestorben am 6. November 1796jul in Zarskoje Selo

* In Russland galt zur Zeit Katharinas der julianische Kalender Julius Caesars, eingeführt von Peter dem Großen zum 1. Januar 1700. Russland übernahm erst 1918 die gregorianische Zeitrechnung.

Kapitel 1

Die Askanierin

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Es war der 2. Mai 1729. Vor sieben Jahren war Stettin von Schweden an Preußen abgetreten und zu seinem Stadtkommandanten ein General des noch jungen preußischen Königreichs ernannt worden: Christian August von Anhalt-Zerbst. Fürst von Anhalt-Zerbst sogar, doch ohne das dazugehörige Fürstentum. Dieses war so oft unter den Erben aufgeteilt worden, bis zum Schluss nur noch ein winzig kleines und verarmtes Stückchen Land übrig geblieben war. Der wegen seiner Bedeutungslosigkeit belächelte Duodezstaat wurde nun vom Cousin von Zerbst aus regiert. Christian-August war darum nur der Weg in den Staatsdienst geblieben.


Christian August, Fürst von Anhalt-Zerbst (1690-1747), der Vater Katharinas der Großen. Gemälde um 1725, Antoine Pesne (1683-1757)

 

Der Zweiundvierzigjährige wurde an diesem Maitag seiner Nachtruhe beraubt. In der bescheidenen Mietwohnung in der Domstraße lag seine erst siebzehnjährige Frau Johanna mit ihrem ersten Kind in den Wehen. Eine schwere Geburt, die die Mutter fast das Leben kostete. Um halb drei Uhr früh war es soweit. Die Freude war verhalten: Es war eine Tochter. In einem Staat, in dem der Herrscher, Friedrich Wilhelm I., sich „Soldatenkönig“ nannte und die Armee zu seiner Leidenschaft erkoren hatte, wurden Söhne erwartet. Getauft wurde die kleine Prinzessin in der evangelischen Marienkirche auf den Namen Sophie Auguste Friederika – gerufen wurde sie Fieke. Obwohl ihr Vater notgedrungen das magere Gehalt seines knausrigen Königs akzeptieren musste, zählte das Haus Anhalt zu einem der ältesten Adelsgeschlechter Deutschlands: den Askaniern. Bis ins Mittelalter ließ sich deren Stammbaum zurückverfolgen: Albrecht von Brandenburg, besser bekannt als Albrecht der Bär, dieser streitbare Herrscher und zugleich Gründer der Mark Brandenburg zu Zeiten Kaiser Barbarossas, war einer ihrer bedeutendsten Ahnherren. Sich seiner edlen Abstammung bewusst, hatte der Vater mit der jungen Johanna Elisabeth von Schleswig-Holstein-Gottorf1 eine standesgemäße Partie gewählt.


Johanna Elisabeth von Schleswig-Holstein-Gottorf als Fürstin von Anhalt-Zerbst, Mutter von Katharina der Großen, Gemälde um 1752, Anna Rosina de Gasc (1713-1783)

War sie doch nicht nur die Tochter des protestantischen Lübecker Fürstbischofs, sondern auch die Enkelin des Königs von Dänemark und ebenso die Schwester des späteren Königs von Schweden. Von hochrangiger Geburt, besaß sie selbst jedoch, wie auch ihr Mann, kein Vermögen. Vielleicht legte sie gerade darum Wert auf gesellschaftlichen Umgang, für den sie großzügig, ja geradezu verschwenderisch mit dem erwirtschafteten Geld umging. Auch verhehlte sie ihre ehrgeizigen Ambitionen nicht. Mit einer weiteren Beförderung Christian Augusts zum Gouverneur Stettins, war die Familie schließlich aus der Mietwohnung in das standesgemäßere herzogliche Schloss umgezogen, einem hellgrauen Renaissancebau mit grünen Turmdächern.


Stettiner Schloss. Nach dem Übergang Stettins an Preußen wohnte der Statthalter Stettins, Katharinas Vater, hier mit seiner Familie.

Die kleine Sophie wurde von einer Amme erzogen, Babette Cardel, Tochter einer in Preußen lebenden Hugenottenfamilie. Die Mutter kümmerte sich kaum um Sophie, wie die sich als spätere Zarin in ihrer Autobiografie beklagen sollte. Dagegen wurde der anderthalb Jahre nach ihr geborene Bruder von der Mutter geradezu abgöttisch geliebt, denn er war der Erbprinz, die Hoffnung des Hauses Anhalt. Der Knabe litt jedoch an Rachitis und musste zur Kur. Schließlich starb er im Alter von zwölf Jahren. Der Nachgeborene, Friedrich August, kam 1734 zur Welt. Eine nach ihm geborene Schwester starb bereits nach wenigen Wochen.

Sophie, das aufgeweckte kleine Mädchen mit dem blonden Lockenschopf und den blauen Augen, hatte außer dem fünf Jahre jüngeren Bruder Friedrich August keine Spielgefährten in ihrem Alter und sann darum selbst auf Spiele mit Puppen oder anderem Spielzeug. Tiere wollte man ihr offensichtlich nicht als Spielgefährten zugestehen. Gerne hätte sie ein Pferd gehabt, aber sie bekam keines. Als Ersatz nahm sie oft ihr großes Kopfkissen, setzte sich rittlings darauf und galoppierte damit in ihrer Fantasie bis zum Umfallen. Postreiten hieß dieses selbst erfundene Spiel und manchmal trieb der kleine Wildfang das imaginäre Pferd so lauthals schreiend an, dass man ängstlich nach ihr sah: Dann aber fand man sie friedlich schlafend in ihrem Bett vor. Besuche bei ihrer Tante Hedwig, Äbtissin des Damenstifts Herford2, erfüllten sie mit Abscheu. Die Tante war eine Hundeliebhaberin, die an die sechzehn Möpse hielt. Überall im Haus trieben sie ihr Unwesen, „fraßen und machten ihre Schweinereien“. Bei Ausfahrten saßen immer ein halbes Dutzend von ihnen mit in der Kutsche und mindestens ein Papagei, erinnert sie sich in ihren Memoiren.3 Für eine Pröpstin mochte diese Tante einigermaßen exzentrisch auf ihre Zeitgenossen gewirkt haben.


Mitglieder der Freimaurerloge des „Mopsordens“ als Liebespaar. Porzellan, Meißen, um 1745. Modelleur: Johann Joachim Kaendler (1706–1775). Im 19. Jahrhundert sollte dann eine regelrechte Mopsmanie ausbrechen.

Sophies Kindheit, die sie ansonsten als wenig abwechslungsreich schilderte, erfuhr auf diese Weise immer wieder Höhepunkte. Als sie vier Jahre alt war, wurde sie im Beisein ihrer Mutter dem König in Preußen, Friedrich Wilhelm, vorgestellt. Der Soldatenkönig stand in der Uniform seines Leibregiments vor ihr – der Eliteeinheit der „langen Kerls“, die mit ihren mindestens 1,88 Metern aus der Menge herausragten und darum als menschliche Riesen bestaunt wurden. Dagegen wirkte der König in seiner Untersetztheit geradezu zwergenhaft, ein Eindruck, den die Wölbung seines umfangreichen Bauchs unter dem kurzen blauen Uniformrock noch verstärkte. Weder die auffälligen, scharlachroten Manschetten noch der gleichfarbige Saum des Uniformrocks vermochten von dieser Unförmigkeit abzulenken. Die Kürze des Uniformrocks war einer seiner zahlreichen Sparmaßnahmen geschuldet, für die er berüchtigt war. Übrigens lehnte der Monarch Bittgesuche an seine Haushaltskasse mit eigenhändig verfassten, haarsträubenden Reimen wie etwa diesem ab:

„Eure Bitte kann ich nicht gewähren,

Ich habe hunderttausend Mann zu ernähren.

Geld kann ich nicht scheißen,

Friedrich Wilhelm, König von Preußen.“4

Sein Ruf als Geizhals eilte ihm voraus, der eines Banausen folgte ihm unmittelbar.


Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. vor seinen „Langen Kerls“ in Potsdam. Farbdruck, Karl Rönlig, um 1900

Das kleine Mädchen wurde aufgefordert, dem Monarchen den Rocksaum zu küssen, so wie es einem absolutistischen Herrscher gebührte. Doch sie war zu klein, der Rock zu kurz. Der König wehrte sie darum ab. Empört ließ sie ihn stehen und lief zu ihrer Mutter: „Sein Rock ist so kurz, dass ich gar nicht heranreichen kann! Er ist doch reich genug, um einen längeren zu haben!?“5 Umgehend wurde dem König der Tadel des Kindes hinterbracht. Er musste lachen und behielt dieses „naseweise Kind“, wie er es nannte, nicht nur im Gedächtnis, sondern erkundigte sich nach dessen Fortschritten, wann immer er auf den Vater traf. Sie wurde als Anwärterin auf einen europäischen Thron in Erwägung gezogen, auch wenn sie von den eigenen Eltern unterschätzt wurde: hässlich sei sie, von eher gewöhnlicher Begabung. Es war ein schwedischer Diplomat, der die Mutter eines Tages darauf aufmerksam machte, dass in dem Mädchen Geist und Vorzüge steckten, die dringend gefördert werden müssten. Dieser Hinweis hatte triftige Gründe: Schweden suchte die nächste Kandidatin für den Thron. Die junge Askanierin galt als erste Wahl.

Im Alter von zehn erhielt Sophie zusammen mit ihrer Mutter die Einladung ihres Onkels, der seinen älteren Bruder als Fürstbischof von Lübeck beerbt hatte6. Die Reise führte sie nach Eutin. In der dortigen Residenz sollte sie dessen Mündel kennenlernen, den elfjährigen Karl Peter Ulrich, den Sohn seines Cousins. Sophie und Peter waren demnach miteinander verwandt, allerdings erst in der Enkelgeneration - ihre Großväter waren nämlich Brüder gewesen. Zunächst als Kandidat für den schwedischen Königsthron gehandelt, kamen jedoch bald auch Rufe aus Russland, weil Peters mit zwanzig Jahren verstorbene Mutter Anna Petrowna eine Tochter Peters des Großen gewesen war. Der in Kiel geborene Peter hatte seine Mutter nicht mehr kennengelernt, denn sie war bereits drei Monate nach seiner Geburt gestorben. Seine Erziehung oblag einem Schweden, Oberhofmarschall Brümmer. Dieser hatte einen ausgeprägten Hang zur heute so genannten „schwarzen Pädagogik“. Was bedeutete, dass er seinen zarten und blassen Schützling brutal prügelte, massiv bedrohte und ihn hungern ließ, was ihn für Peter zu einem der meist gehassten Menschen machte. Um diese Tortur überhaupt auszuhalten, sprach das Kind schon früh dem Alkohol zu, was es mitunter jähzornig und unbequem machte.


Großfürst Peter, der spätere Zar Peter III., Gemälde, um 1740, des Stuttgarter Malers Georg Christoph Grooth (1716-1749). Die Witwe des Malers würde man später Großfürst Peter als Maitresse zuführen.

Die kleine Sophie fühlte sich dennoch geschmeichelt, als zu ihr durchsickerte, dass sie als spätere Gemahlin für ihn in Frage käme. Das Mädchen träumte schon damals von einer Königinnenkrone auf dem Haupt.

Doch bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr schien Sophie, dieses schief gewachsene bucklige Kind eher ein hässliches Entlein gewesen zu sein. Auf Anraten des örtlichen Henkers – offenbar war er damals der Einzige, der über physiotherapeutische Kenntnisse verfügte – wurde sie in ein enges Korsett gezwängt, damit sie sich eine gerade Körperhaltung antrainierte. In Ermangelung äußerer Schönheit habe sie sich um „innere Vorzüge“ bemüht, schrieb die spätere Zarin nicht ohne Koketterie in ihrer Autobiografie, wusste sie doch, dass aus ihr längst ein schöner junger Schwan geworden war. Inzwischen hatte der Vater nicht nur den höchsten Militärrang eines Generalfeldmarschalls inne, sondern war, nach dem Tod seines Cousins, auch zusammen mit seinem Bruder der regierende Fürst von Anhalt-Zerbst7: Die Familie zog von Stettin in das Schloss Dornburg in der Nähe der thüringischen Stadt Magdeburg, schließlich nach Zerbst. Das Haus Hohenzollern wurde erneut auf die mittlerweile Vierzehnjährige aufmerksam, dieses Mal in Gestalt des Prinzen Heinrich, der sie auf Bällen zu seiner Tanzpartnerin auserkor. Diese offenkundige Zuneigung des jungen Prinzen blieb auch anderen nicht verborgen. Und sogar einer der Brüder der Mutter, ihr Onkel Georg, machte ihr eindeutige Avancen, die sie allerdings ob des engen Verwandtschaftsgrades ignorierte. Die Zeichen waren unmissverständlich. Sophie war geschlechtsreif: Die Brautschau hatte begonnen.

Kapitel 2

Ihr wisst, wes Tochter ich bin!

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Der junge Karl Peter Ulrich indes war nach Russland geholt worden: Dort hatte Elisabeth Petrowna, seine Tante und Schwester seiner Mutter, am 25. November 1741 den Thron zwar legitim, doch nach etlichen Wirren und ihrem Staatsstreich bestiegen. „Mir nach Männer, ihr wisst, wes Tochter ich bin!“ Mit dieser selbstbewussten Anspielung auf ihren Vater, Peter den Großen, hatte die streitbare Zarentochter zusammen mit der Garde den Winterpalast gestürmt. Ein Anderer hatte dafür weichen müssen: Iwan VI., dem seine Großtante, die im Oktober 1740 verstorbene Zarin Anna Ivanovna, den Thron vererbt hatte. Dieser einjährige Säugling – ein Urgroßneffe Peters des Großen - war chancenlos. Im Land regierten Chaos und Gewalt. Von seinen Eltern getrennt – sie wurden in Klosterhaft genommen - wurde er schließlich nach Schlüsselburg gebracht, einer abgelegenen Festungsinsel inmitten des Ladogasees, nördlich von Sankt Petersburg. Dort sollte dieser „Gefangene von Schlüsselburg“ fortan ein trostloses Leben in Vernachlässigung und Verwahrlosung fristen.


Zarin Elisabeth Petrowna, Zarin von Russland (1741-1762). Porträt, Gemälde, um 1741/7151. Alexej P. Antropow

Dass Elisabeth Petrowna während ihrer Brautsuche für ihren Neffen Peter auch Sophie von Anhalt-Zerbst als Ehekandidatin in die engere Wahl zog, war kein Zufall. Sie selbst hatte das Problem der schwedischen Thronfolge in einem Friedensvertrag8 gelöst: Statt Peters hatte sie erwirken können, dass der Fürstbischof von Lübeck, Adolf Friedrich, der jüngere Bruder von Sophies Mutter Johanna, zum schwedischen Thronfolger ernannt wurde. Er sollte als derjenige Herrscher in die Geschichte Schwedens eingehen, dessen hemmungslose Fresssucht ihn eines Tages das Leben kostete: Der König, der sich zu Tode fraß. Doch die Verbindungen Elisabeths zu Johannas Familie gingen noch viel weiter. Denn Elisabeth war mit Johannas älterem Bruder Karl-August von Schleswig-Holstein-Gottorf verlobt gewesen. Sie hatte eine innige Zuneigung verbunden. Ihre Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft wurde aber jäh zerschlagen, als Karl-August unmittelbar vor der Hochzeit an einer Pockenerkrankung starb. Elisabeth war damals untröstlich und beschloss, sich künftig nicht mehr zu verheiraten. Dieses sich selbst auferlegte Gebot hielt sie nach außen hin mit stoischer Gelassenheit aufrecht und wies interessierte Kandidaten erfolgreich ab. Mit dieser Verweigerung - in Wahrheit dem weiblichen Machterhalt geschuldet - tat sie es ihrer Namensvetterin gleich, der englischen Königin Elisabeth I.. Diese hatte damals mit ihrer theaterreifen Selbstinszenierung einer jungfräulichen Königin ihre Opferbereitschaft und Liebe für ihr Volk glaubhaft versichern können. Die russische Elisabeth hatte allerdings noch einen ganz anderen Grund für die lebenslange Verweigerung: Denn 1735 war ihr schließlich die große Liebe begegnet: Alexei Grigorjewitsch Razum, Sänger in der Petersburger Hofkapelle und Sohn eines Saporoger Kosaken.

 

Graf Alexei Razumowski (1709-1771). Porträt, Gemälde, unbekannter Künstler

Sophie von Zerbst beschrieb ihn als einen der schönsten Männer, die ihr je begegnet waren. Er war aber keiner aus den europäischen Adelsgeschlechtern, sondern ganz im Gegenteil, einer aus dem Volk, auch noch aus der Ukraine – trinkfest und rau. Doch für Elisabeth kein Hindernis. Aus Razum wurde das elegantere Razumowski9 und der römisch-deutsche Kaiser Karl erhob ihn nach Elisabeths Thronbesteigung auch noch zu einem deutschen Reichsgrafen.

Übrigens änderte ein Zweig der Nachkommen während der bolschewistischen Herrschaft den Namen wieder zurück in Razum, beziehungsweise wandelte ihn in Rozum ab, um sich so den lebensbedrohenden Nachstellungen zu entziehen. Einer dieser Nachkommen, der 1954 in Moskau gebürtige Konzertpianist Yuri Rozum, führt heute als einer der zehn bekanntesten russischen Musiker die Tradition Alexei Razumowskis als eines herausragenden Künstlers fort und ist unter anderem Träger des Ordens „Peter der Große“. Mit ihm schließt sich der Kreis.

Mit den damaligen Erhebungen war der kaiserliche Gefährte Alexei Razumowski zumindest im Ansatz standesgemäß. Es wurde sogar gemutmaßt, dass sie in morganatischer Ehe geheiratet hatten – diese Ehe „zur linken Hand“ war rechtsgültig, jedoch unter Ausschluss des nicht standesgemäßen Partners und seiner Nachkommen von der Thronfolge. Razumowski verzichtete in seiner Bescheidenheit auf jegliche Ansprüche, wurde er doch anderweitig von der Zarin mit Auszeichnungen und Würden überhäuft. Vom Oberjägermeister über einen Ritter des Andreas-Ordens gelangte er schließlich in den höchsten Rang eines Generalfeldmarschalls. Trotz dieser etwas inflationär anmutenden Rangerhöhungen war Razumowski sehr beliebt und galt als gutmütig, großherzig und ritterlich. Am Ende war er jedoch machtlos gegen die erodierenden Gefühle der Kaiserin. Elisabeth verliebte sich 1749 in den über achtzehn Jahre jüngeren Iwan Schuwalow, dessen Familie sie bereits 1746 in den Grafenstand erhoben hatte. Sie machte ihn zu ihrem Kammerherrn, ehe sie ihm als ihrem Favoriten sogar politischen Einfluss gewährte. Der pausbäckige Schöngeist mit den wasserblauen Augen korrespondierte mit Voltaire und Diderot und gründete die Moskauer Lomonossow-Universität, benannt nach dem damaligen Universalkünstler Michail Lomonossow, sowie die Sankt Petersburger Akademie der Künste.


Iwan Schuwalow (1727-1797). Porträt, Gemälde, Fjodor Rokotow

In Ermangelung eigener Nachkommen, hatte Elisabeth ihren Neffen Peter adoptiert und zu ihrem Nachfolger bestimmt. Aus dem streng protestantisch erzogenen Kieler Jungen Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorf wurde –gegen seinen Willen übrigens – der russisch-orthodoxe Großfürst Peter Fjodorowitsch. Und nun galt es, eine geeignete Gattin für den Thronfolger zu finden. Ganz oben auf der Wunschliste standen preußische Prinzessinnen, was aber dem preußischen König missfiel: „Hinsichtlich meiner Schwestern kennen Sie meine Ansicht – ich gebe keine nach Russland,“10 bestimmte der junge Friedrich II., der später als „der Große“ in die Geschichte eingehen sollte. Seit zwei Jahren saß er auf dem preußischen Thron, nachdem sein Vater, der Soldatenkönig, verstorben war. Er riet zu Sophie von Anhalt-Zerbst, alternativ noch zu zwei Prinzessinnen in Hessen-Darmstadt. Sehr zum Gefallen Friedrichs erging die Einladung Elisabeths schließlich an das Haus Anhalt-Zerbst. Ihr Brief traf am 1. Januar 1744 in Zerbst ein. Sophie war damals vierzehn Jahre alt. Der Wunsch der Mutter schien sich zu erfüllen, der Vater jedoch war nicht davon angetan. Er wollte nicht zulassen, dass seine Fieke so weit weg in ein solch’ fremdes und unheimliches Land zog, womöglich noch von Gefahr bedroht und allein gelassen.

Es hatte sich nämlich herumgesprochen, dass die Zarin mit äußerster Grausamkeit gegen ihre Feinde vorging. Nicht nur, wie sie die Auslöschung des kindlichen Zaren Iwan VI. und seiner Familie betrieben hatte, sondern auch, dass sie einer Hofdame die Zunge auf dem Blutgerüst hatte herausschneiden und eine andere trotz fortgeschrittener Schwangerschaft foltern und nach Sibirien hatte verbannen lassen. Auch wurde kolportiert, dass sie nicht gerade zimperlich mit Hofdamen umging, die ihr ihre Schönheit streitig machten: Solche bedauernswerten Geschöpfe mussten dann ihr Haar kurz schneiden oder es sogar zu einer Glatze stutzen lassen. Es war ein Hof voller Intrigen, Morde und gefährlicher Fehden, den der Vater fürchtete. Und nicht nur dies. Als überzeugter Protestant war ein Glaubenswechsel zum orthodoxen Glauben für ihn undenkbar. Dies wäre jedoch Voraussetzung, um überhaupt eines Tages Zarin von Russland werden zu können. Doch Elisabeth hatte ihn gar nicht eingeladen. Seine Bedenken ahnend, war die Einladung nur an Mutter und Tochter ergangen. Bei beiden siegte am Ende der Ehrgeiz, denn sie waren sich sehr wohl bewusst, dass Peter „von allen vorgeschlagenen Partien die glänzendste war11.