Amadeus Märzhase

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Amadeus Märzhase
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Elinor Boré

Amadeus Märzhase

Zum Vorlesen für Kinder ab sechs Jahre oder

zum Selbstlesen für Kinder ab acht Jahre

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte bei der Autorin

Zeichnungen © Elke Boretzki

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

www.engelsdorfer-verlag.de

An meine kleinen und großen Leser

Ich wünsche Euch viel Freude beim Lesen der nun folgenden Geschichte.

Sollte dabei irgendetwas unverständlich sein, dann wohlgemerkt, zögert nicht, die Erwachsenen in Eurer Umgebung mit Fragen zu löchern, und das so lange, bis ihr eine verständliche und zufriedenstellende Antwort erhalten habt.

Eure Elinor

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

An meine kleinen und großen Leser

Spatzentratsch

Verlassen

Hoher Besuch

Auf der Suche nach dem Frühling

Botus von Bommel

Marigold von Ratzewitz

Das Ungeheuer

Heimweg

Ein Wald von Frühlingsvorboten

Der weise alte Gelehrte

Ein magisches Geheimnis

Heimweg, Heimlichkeit und Heimweh

Der Sänger und die Hüterin des Waldes

Von Suchern zu Findern

Spatzentratsch

Am Rande des Waldes stand eine große, alte Eiche. Genau genommen standen dort mehrere dieser Art. Auf ihren Zweigen lag dick der Schnee. Es sah aus, als hätte ein Riese sie mit sehr viel Puderzucker bestreut.

Die ganze Welt, der Wald und das Feld bis hin zum Horizont, waren tief verschneit. Nur im nahe gelegenen Bach plätscherte lustig das Wasser, dass es offenbar sehr eilig hatte, sich viele Kilometer weiter mit einem viel größeren Fluss zu vereinen.

Doch verweilen wir noch etwas bei unserer großen, alten Eiche. Hin und wieder rutschte von einem ihrer Äste ein Häufchen Schnee. So etwas soll vorkommen. Doch warum es gerade in diesem Moment geschah, weiß letztlich niemand. Jedenfalls fiel es geradewegs und haargenau auf eine kleine, flauschige Erhebung am Fuße des Baumes. In eben diesem Moment also plumpste dieser Schnee auf ein kleines, hasenähnliches Geschöpf und deckte es fast gänzlich zu.

Unter dieser Schneedecke begann es nun zu niesen, zweimal um genau zu sein. Und unmittelbar darauf geriet die Schneedecke in Bewegung und zum Vorschein kam ein braunes Fellknäuel mit Hasenohren. Unterhalb der langen Ohren blickten zwei große, braune Augen so traurig in die Welt, dass es einem fast das Herz brechen könnte. Es befreite sich mühsam von dem restlichen Schnee und jammerte ganz kläglich: „Mir ist so kalt.“


Doch niemand hörte es.

Auf seinem Kopf, zwischen diesen imposanten Ohren, war noch etwas Schnee verblieben, sodass es aussah, als trüge es ein Hütchen. Es schnüffelte und seine Barthaare zitterten. Dann seufzte es und flüsterte noch einmal: „Mir ist so kalt“. Nur ein blauer Schal war um seinen kleinen zitternden Körper geschlungen.

Zwei vornehme Spätzinnen kamen herbei geflogen, ließen sich auf einem Ast nieder und begannen eifrig, ohne auf anwesende Zuhörer zu achten, laut miteinander zu schwatzen. Dabei ging es ausschließlich um das Wetter. Beide waren geradezu wütend auf den Schnee, und sie waren sich einig darüber, dass er zu dieser Zeit des Jahres nichts mehr auf Wald und Flur zu suchen hatte. Denn schließlich neigte sich der Monat März dem Ende zu, und laut Kalender hätte der Frühling Einzug halten müssen. Doch der hatte sich ganz offensichtlich verspätet, und schuld daran war natürlich der Schnee.

„Seit wann, um alles in der Welt, hat der Schnee ein Recht darauf, im März immer noch da zu sein?!“, empörte sich die erste Spätzin.

„Sie haben vollkommen recht, meine Liebe“, seufzte die andere. „Doch so etwas soll früher schon einmal vorgekommen sein“, glaubte sie zu wissen. Nach kurzer Überlegung fuhr sie fort: „Habe übrigens gehört, dass es im März etwas ganz Besonderes ist.“

„Was bitte soll denn daran besonders sein?!“, meinte ihre gefiederte Gesprächspartnerin, während sie geringschätzig die Augen verdrehte.

Ihre Freundin sah geheimnisvoll nach allen Seiten, ehe sie mit der Antwort herausrückte. „Märzschnee!“, flüsterte sie verschwörerisch und tippte ihren Flügel an den Schnabel, als Zeichen dafür, dass sich hinter diesem Wort ein bedeutungsschweres Geheimnis verbarg.

„Ah“, machte die andere. Beide nickten sie einander mit großen Augen zu, geradeso, als verstünden sie, was das zu bedeuten hatte.


Da hielt es der kleine Kerl am Fuße der großen, alten Eiche nicht länger aus. Er hatte mehrmals das Wort März herausgehört. Und beim letzten Mal hatte es in seinen Ohren geradezu wie eine Zauberformel geklungen. Er reckte sich aufrecht in die Höhe, stellte seine Ohren auf und rief den Spätzinnen zu: „Wissen Sie was? Ich bin ein Märzhase!“ Dabei betonte er das letzte Wort ganz besonders.


Die vornehmen Spatzendamen entdeckten den kleinen Hasen und schauten verdutzt auf ihn herunter. Dann sahen sie sich an und lachten, dass ihnen die Tränen in die Augen traten. Ohne weiter auf den kleinen Rufer zu achten, starteten sie von ihrem Ast aus und flogen davon.

Nun wusste der kleine Märzhase gar nicht mehr ein noch aus. Gewiss, er war nicht überrascht darüber, dass die beiden Spatzen nichts von ihm wissen wollten. Denn es war ihm bisher noch nie gelungen, Freunde zu finden. Doch ihre Reaktion hatte ihn verwirrt. Dabei war er sich wirklich sicher, dass er ein Märzhase war.

Verlassen

Geboren wurde er natürlich nicht im März, sondern irgendwann gegen Ende des vergangenen Sommers. Als seine Eltern sahen, dass statt eines Wurfs von mehreren Jungen, ein einziger kleiner Hase geboren wurde, betrachteten sie ihn besorgt und sagten: „Das muss ein Märzhase sein.“

Genau genommen waren seine Eltern Kaninchen. Demzufolge war auch der einzige Sprössling ihres Wurfs ein Kaninchen. Doch als sie seine langen Ohren bemerkten, die so gar nicht zu dem schmächtigen, kleinen Körper zu passen schienen, kratzten sie sich am Kopf und sagten ganz erstaunt: „Das ist ja ein Märzhase!“

Wenn er morgens ein wenig länger geschlafen hatte und seine älteren Geschwister bereits das ganze Frühstück verputzt hatten, sodass er nichts mehr abbekam, meinten sie kopfschüttelnd: „Typisch Märzhase“. Und wenn er sich im Wald fürchtete und sich ängstlich hinter seiner großen Schwester verbarg, schüttelte sein Vater abermals den Kopf und brummte: „Da gibt es gar keinen Zweifel, es ist ein Märzhase“.

Damit stand es glasklar fest, er war ein Märzhase, was auch immer das war. Offenbar war er der einzige Märzhase in seiner Familie. Doch gerade das machte ihn zum Außenseiter. Dabei wünschte er sich nichts sehnlicher, als dazu zu gehören.

Eines kalten Morgens, als er wieder einmal etwas länger geschlafen hatte, vermisste er nicht nur sein Frühstück. Niemand war zu sehen, weder seine Eltern, noch seine Geschwister.

Er rief sie bis er heiser wurde. Er suchte sie auf dem Feld, am Bach, sogar in den Wald wagte er sich in der Hoffnung, wenigstens einen seiner Familienmitglieder zu finden. Doch vergebens. Niemand antwortete auf sein Rufen. Sie waren fortgegangen und hatten ihn zurückgelassen.

 

War es möglich, dass sie ihn tatsächlich verlassen hatten? Geschah es, weil er ein Märzhase war? Darüber hatte er sich den Kopf zerbrochen.

Vielleicht, so hatte er für sich überlegt, hatten sie ihn ja gar nicht wirklich verlassen. Vielleicht wollten sie ihn nur einmal testen, ob er ohne sie zurechtkam. Das war doch möglich, oder?


Oder, ihm war eine andere Variante eingefallen, sie wollten nur einmal etwas ohne ihn unternehmen. Das sah ihnen ähnlich. Ihm soviel Angst einzujagen. Nun gut. Schließlich würden sie zurückkommen und ihm in allen Einzelheiten von ihren Erlebnissen berichten. Er sah sie geradezu vor sich, wie sie sich wichtig taten. Das würde lustig werden. Er träumte mit offenen Augen davon. Und dann wäre wieder alles so wie früher!

So hatte er gewartet und gewartet und … wartete noch immer.

Er hielt sich meist in der Nähe seines Hauses auf, das unter der großen, alten Eiche lag, denn er wollte sie auf keinen Fall verpassen.

Doch mit der Zeit verlor er etwas von seiner Hoffnung, bis immer weniger davon übrig blieb. Und je weniger Hoffnung blieb, desto trauriger wurde er. Er lernte etwas kennen, das er in seinem jungen Leben noch nicht gekannt hatte. Still und leise kam es angeflogen und setzte ihm nun zu. Das war das Gespenst mit dem Namen Einsamkeit.

Um dem wenigstens zeitweise zu entfliehen, stellte er sich des Abends an die Eingangstür, inhalierte die kalte Winterluft und begann zu singen.

Er sang seine Traurigkeit hinaus.

In seinen Liedern erzählte er von seinem Kummer über den Verlust seiner Lieben, und wie wunderbar es war, im Kreise einer Familie so richtig zu Hause zu sein. In seinen Liedern fragte er immer wieder nach dem Warum. Nur so konnte er seiner Verwirrtheit Ausdruck verleihen. Er sang aus vollem Hals und so seelenvoll mit einer Stimme, die weit über das Feld und in den Wald hinein trug.

Er wusste nichts davon, dass die Großfamilie der Eichhörnchen, munter geworden, andächtig lauschten, sich die Kolonie der Waldmäuse zusammenfand, und der Herr Igel, dessen Haus am Rande des Feldes stand, mit seiner Frau in den Vorgarten hinaustrat, um der schönen Stimme zu lauschen. Selbst die Vögel, die im Wald überwinterten, waren noch vor dem Zubettgehen still geworden.

Die ehrenwerte Wächterin der Nacht und Hüterin des Waldes, die Eule, die zu dieser Zeit erwachte, da sie tagsüber schlief, rieb sich verdutzt die Augen und horchte auf den seltsam traurigen Gesang.

Von all dem wusste der kleine Märzhase natürlich nichts. Auch nichts davon, dass sein Gesang Abend für Abend erwartet wurde. Es gab nur zwei Sachen, die er wusste, zum einen, dass er ein Märzhase war, und zum anderen, dass er ganz allein auf der Welt war.

Doch dann war ein Lichtschimmer durch das Dunkel seines Kummers gedrungen. Das war geschehen, als er der kürzlich stattgefundenen Unterhaltung der beiden vornehmen Spätzinnen gelauscht hatte. Aus dieser Unterhaltung hallte die Bedeutung des Wortes März, als etwas nach, das etwas ganz Besonderes beschrieb, was obendrein ein wunderschönes Geheimnis barg.


Das war in das Bewusstsein des kleinen Märzhasen gedrungen und dort geblieben.

Also, so wagte er zu schlussfolgern, war auch er etwas Besonderes. Der Gedanke gefiel ihm. Ja, es war ein Gedanke, kein Gefühl, mehr noch, es wurde zu einem neuen Wissen. Und dieses Wissen trug er nun in sich. Und es veränderte etwas in ihm.

Er war zwar immer noch traurig, sein Kummer verschwand nicht einfach so. Doch, und das war die Veränderung, er wurde sich seiner selbst bewusst. Er überlegte, dass es jemanden geben musste, der ihn gewollt und geschaffen hatte, wie er eben war, und der sich etwas Gutes dabei gedacht hatte.

So veränderten sich auch seine Lieder. Noch immer lehnte er Abend für Abend an der Eingangspforte und sang. Doch in seinen neuen Liedern klangen Hoffnung und Erwartung mit.

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