Die blaue Hand

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Die blaue Hand
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Die blaue Hand

Edgar Wallace

Inhaltsverzeichnis

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Impressum

1

Mr. Septimus Salter drückte schon zum dritten Male die Klingel auf seinem Tisch und brummte unzufrieden.

Er war ein gesetzter, älterer Herr mit großem, rotem Gesicht und weißen Koteletten und glich mehr einem wohlhabenden Landwirt als einem erfolgreichen Rechtsanwalt. Es gab keinen gescheiteren und tüchtigeren Rechtsanwalt in London, aber in seiner Kleidung und seinem Äußeren blieb er der Zeit treu, in der er jung gewesen war.

Er drückte ungeduldig noch einmal auf den Knopf.

»Verdammter Kerl«, murmelte er vor sich hin, erhob sich und ging in den kleinen Raum seines Sekretärs.

Er hatte eigentlich erwartet, das Zimmer leer zu finden, aber er irrte sich. Seitwärts von dem alten, tintenbeklecksten Tisch stand ein Stuhl, auf dem ein junger Mann kniete. Er hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt und war in das Studium eines Schriftstückes vertieft.

»Steele«, sagte Mr. Salter scharf. Der junge Mann schnellte auf und sprang auf die Füße.

Er war groß und hatte breite Schultern, aber trotzdem waren seine Bewegungen geschmeidig und biegsam. Sein gebräuntes Gesicht erzählte von Tagen, die er draußen im Freien verbracht hatte. Eine gerade Nase, ein fester Mund und ein hartes Kinn gaben ihm das charakteristische Aussehen eines früheren Offiziers.

Nun war er etwas verwirrt und erinnerte eher an einen bei einer Unaufmerksamkeit ertappten Schüler als an einen schneidigen Offizier, der das Viktoriakreuz erhalten und in hartem Luftkampf zwanzig feindliche Flugzeuge heruntergeholt hatte.

»Sie sind wirklich zu unaufmerksam, Steele. Ich habe nun viermal vergeblich nach Ihnen geklingelt«, sagte Mr. Salter vorwurfsvoll.

»Es tut mir furchtbar leid«, entschuldigte sich Jim Steele und sah Mr. Salter mit dem Lächeln an, dem er nicht widerstehen konnte.

»Was machen Sie denn hier?« brummte der Rechtsanwalt und besah sich die Dokumente, die auf dem Tisch lagen. »Haben Sie immer noch nicht genug von dem Fall Danton?« fragte er seufzend.

»Nein, noch nicht«, war die gelassene Antwort. »Ich habe das Gefühl, daß Lady Mary Danton gefunden werden kann. Und wenn man sie erst gefunden hat, wird sich auch ihr damaliges plötzliches Verschwinden befriedigend aufklären lassen. Dann würde jemand sehr außer Fassung geraten –« Er hielt plötzlich inne, aus Furcht, eine Indiskretion zu begehen.

Mr. Salter sah ihn scharf an.

»Sie mögen Mr. Groat nicht?« fragte er.

Jim lachte.

»Es ist ja nicht meine Sache, ihn sympathisch oder unsympathisch zu finden. Persönlich kann ich solche Leute nicht leiden. Als einzige Entschuldigung für einen Mann von dreißig Jahren, der nicht im Felde war, kann ich nur gelten lassen, daß er zu der Zeit tot war.«

»Er hatte doch ein schwaches Herz«, meinte Mr. Salter, aber er sprach ohne große Überzeugung.

»Das wird schon stimmen«, entgegnete Jim ironisch.

Mr. Salter sah wieder auf die Papiere, die auf dem Tisch umherlagen.

»Legen Sie das ruhig weg, Steele. Sie werden doch keinen Erfolg damit haben, wenn Sie eine Frau suchen wollen, die verschwand, als Sie noch ein Junge von fünf Jahren waren.«

»Ich möchte –«, begann Steele, zögerte dann aber. »Sie haben recht, es ist nicht meine Sache«, sagte er lächelnd. »Ich habe kein Recht, Sie zu fragen, aber ich möchte gern mehr Einzelheiten über das Verschwinden jener Frau hören – wenn Sie einmal freie Zeit hätten und dazu aufgelegt wären. Ich hatte früher niemals den Mut, Sie direkt zu fragen – wie verschwand sie denn eigentlich?«

Mr. Salter runzelte erst die Stirn, dann hellten sich seine Gesichtszüge wieder auf.

»Steele, Sie sind der schlechteste Sekretär, den ich jemals hatte«, sagte er. »Und wenn ich nicht Ihr Patenonkel wäre und mich moralisch verpflichtet fühlte, Ihnen zu helfen, würde ich Ihnen einen kleinen, höflichen Brief schreiben, daß Ihre Dienste ab Ende dieser Woche nicht mehr benötigt werden.«

Jim Steele lachte.

»Das habe ich schon immer erwartet!«

Der alte Rechtsanwalt zwinkerte freundlich mit den Augen. Er hatte Jim Steele außerordentlich gern, obwohl er es nach außen hin nicht eingestehen wollte. Der junge, hübsche Mensch war ihm viel mehr ans Herz gewachsen, als er selbst ahnte. Aber nicht allein aus Freundschaft und einem gewissen Verantwortlichkeitsgefühl heraus behielt der alte Salter Jim in seinen Diensten, der junge Mann war ihm auch sehr nützlich. Und obgleich er die traurige Veranlagung hatte, Klingelzeichen zu überhören, wenn er sich mit seinem Lieblingsstudium beschäftigte, war er doch sehr vertrauenswürdig.

»Schließen Sie die Tür«, sagte Salter etwas schroff. »Wenn ich Ihnen diese Geschichte erzähle« – er hob warnend den Zeigefinger –, »so tue ich es nicht, um Ihre Neugierde zu befriedigen, sondern weil ich hoffe, daß ich Ihr Interesse an dem geheimnisvollen Fall Danton damit für immer beseitige!

Lady Mary Danton war die einzige Tochter des Lord Plimstock – ein Adelsprädikat, das jetzt erloschen ist. Sie heiratete als junges Mädchen Jonathan Danton, einen Reeder, der ein Millionenvermögen besaß. Aber die Ehe war nicht glücklich. Der alte Danton war ein harter, unangenehmer und auch kranker Mann. Wir sprachen eben davon, daß Digby Groat herzkrank sei. Jonathan hatte aber wirklich kein gesundes Herz. Seine Krankheit war wohl auch teilweise dafür verantwortlich, daß er seine Frau so schlecht behandelte. Auch das kleine Mädchen, das ihnen geboren wurde, brachte sie einander nicht näher; sie wurden sich immer fremder. Danton mußte eine Geschäftsreise nach Amerika antreten. Vor seiner Abreise kam er in mein Büro, und an diesem Tisch hier unterzeichnete er ein Testament, das eins der seltsamsten und merkwürdigsten war, die ich jemals aufgesetzt habe. Er hinterließ sein ganzes Vermögen seiner kleinen Tochter Dorothy, die damals drei oder vier Monate alt war. Im Falle ihres Todes sollte das Geld an seine Schwester, Mrs. Groat, fallen, aber erst zwanzig Jahre nach dem Tode des Kindes. In der Zwischenzeit sollte Mrs. Groat nur die Einnahmen aus seinem Landgut erhalten.«

 

»Warum hat er denn diese merkwürdige Bestimmung getroffen?« fragte Jim verwundert.

»Das ist doch leicht zu verstehen. Er wollte vor allen Dingen, verhindern, daß das Kind in früher Jugend beiseite geschafft wurde. Auf der anderen Seite sah er voraus, daß das Testament von Lady Mary angefochten werden würde. So, wie das Testament aufgesetzt war – ich habe nicht alle Details erwähnt –, konnte es während zwanzig Jahren nicht angefochten werden. Und es ist auch kein Einspruch dagegen erhoben worden. Während Danton in Amerika war, verschwand Lady Mary mit ihrer Tochter Dorothy.

Niemand wußte, wohin sie gegangen war, aber die Spur der kleinen Dorothy und ihres Kindermädchens führte nach Margate. Vielleicht war Lady Mary auch dort. Es steht jedenfalls fest, daß das Kindermädchen, die Tochter eines dortigen Fischers, die sehr gut rudern konnte, an einem schönen Sommertage das Kind in einem Boot mit aufs Meer nahm. Dort wurde sie vom Nebel überrascht. Allem Anschein nach wurden sie von einem Passagierdampfer überrannt. Die Überreste des zertrümmerten Bootes wurden aufgefischt, und eine Woche später wurde die Leiche des Kindermädchens ans Ufer gespült. Man hat aber niemals erfahren, was aus Lady Mary wurde. Danton kam zwei Tage nach dem Unglücksfall zurück, und seine Schwester, Mrs. Groat, brachte ihm die Nachricht von dem Unglücksfall. Das gab ihm den Rest. Er starb.«

»Und Lady Mary hat man nie wieder gesehen?«

Salter schüttelte den Kopf.

»Sie sehen also, mein lieber Junge, selbst wenn Sie durch ein Wunder Lady Mary fänden, könnte das doch nicht den geringsten Einfluß auf die Position der Mrs. Groat oder ihres Sohnes haben. Nur Dantons Tochter könnte die Erbschaft antreten – und die liegt wahrscheinlich auf dem Meeresgrund«, schloß er leise und traurig.

»Ich verstehe jetzt die Zusammenhänge«, sagte Jim Steele ruhig, »nur –«

»Was haben Sie noch?«

»Ich habe den starken Eindruck, daß an der ganzen Sache etwas nicht stimmt, und ich bin fest davon überzeugt, daß das Geheimnis gelöst werden könnte, wenn ich meine ganze Zeit dieser Aufgabe widmen dürfte.«

Mr. Salter sah seinen Sekretär scharf an, aber Jim Steele hielt seinem Blick stand.

»Sie sollten eigentlich Detektiv werden«, meinte der Rechtsanwalt ironisch.

»Ich wünschte nur, ich wäre einer«, erwiderte Jim. »Vor zwei Jahren habe ich Scotland Yard meine Dienste angeboten, als die Bande der Dreizehn die Banken beraubte, ohne daß man einen dieser verwegenen Verbrecher fassen konnte.«

»Sehen Sie einmal an«, sagte Salter ein wenig spöttisch und öffnete die Tür, um zu gehen. Aber plötzlich wandte er sich wieder um. »Warum habe ich Ihnen denn eigentlich geklingelt? Ach so, ich brauche alle Pachtverträge, die sich auf den Grundbesitz des alten Danton in Cumberland beziehen.«

»Will Mrs. Groat die Ländereien verkaufen?«

»Sie kann sie jetzt noch nicht verkaufen. Erst am dreißigsten Mai erhält sie die Verfügung über das Millionenvermögen Jonathan Dantons, vorausgesetzt, daß kein Einspruch dagegen erhoben wird.«

»Oder ihr Sohn erhält das große Vermögen«, meinte Jim bedeutungsvoll. Er war seinem Chef in dessen Zimmer gefolgt. An den Wänden standen viele Aktenregale. Abgenutzte Möbel und ein schon etwas fadenscheiniger Teppich bildeten die weitere Ausstattung des Raumes, in dem es nach staubigen Akten roch.

»Detektiv möchten Sie werden?« fragte Mr. Salter unwirsch, als er sich an seinem Schreibtisch niederließ. »Und welche Ausrüstung bringen Sie denn für diesen neuen Beruf mit?«

Jim lächelte, aber in seinem Blick lag Begeisterung.

»Glauben«, sagte er ruhig.

»Was nützt Ihnen als Detektiv Glaube?«

»Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht.«

Jim zitierte diesen Bibelspruch feierlich, und Mr. Salter schwieg eine Weile. Dann nahm er ein Stück Papier, auf das er einige Notizen geschrieben hatte, und reichte es Jim.

»Sehen Sie einmal, ob Sie mit dem Spürsinn eines Detektivs diese Aktenstücke auffinden können, sie liegen unten in der Stahlkammer.« Aber obwohl er scherzte, hatten Jims Worte doch Eindruck auf ihn gemacht.

Jim nahm den Zettel, las ihn durch und wollte eben eine Frage an Mr. Salter stellen, als ein Schreiber hereinkam.

»Wollen Sie Mr. Digby Groat empfangen, Sir?«

2

Mr. Salter schaute mit einem humorvollen Lächeln in den Augen auf.

»Ja«, sagte er nur kurz und wandte sich zu Jim, der schnell das Büro verlassen wollte. »Sie können ruhig hierbleiben, Steele. Mr. Groat schrieb mir, daß er die Akten durchsehen will, und wahrscheinlich müssen Sie ihn zur Stahlkammer führen.«

Jim sagte nichts.

Der Schreiber öffnete die Tür für einen elegant gekleideten jungen Herrn.

Jim kannte ihn schon von früher, aber je öfter er ihn sah, desto weniger konnte er ihn leiden. Er hätte mit geschlossenen Augen das schmale, wenig freundliche Gesicht mit dem kurzen, schwarzen Schnurrbart, die müden Augen, die blasierten Züge, das große, vorstehende Kinn und die etwas abstehenden Ohren malen können, wenn er Zeichner gewesen wäre. Und doch machte Digby Groat in mancher Beziehung einen guten Eindruck, das konnte selbst Jim nicht bestreiten. Er mußte einen erstklassigen Kammerdiener haben, denn von seiner tadellos glänzenden Frisur bis zu den blitzblanken Schuhen war nichts an seiner Erscheinung auszusetzen. Sein Anzug war nach dem modernsten Schnitt gearbeitet und stand ihm außerordentlich gut. Als er ins Zimmer trat, verbreitete sich ein leiser Duft von Quelques Fleurs. Jim verzog die Nase. Er haßte Männer, die sich parfümierten, so dezent sie es auch tun mochten.

Digby Groat schaute von dem Rechtsanwalt zu Steele, und in seinen dunklen Augen lag jener nachlässige und doch so unverschämte Ausdruck, den weder der Rechtsanwalt noch sein Sekretär vertrugen.

»Guten Morgen, Salter«, sagte er.

Er zog ein seidenes Taschentuch hervor, staubte einen Stuhl damit ab und nahm Platz, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Seine Hände, die in zitronengelben Handschuhen steckten, ruhten auf dem goldenen Knopf eines Ebenholzspazierstockes.

»Sie kennen Mr. Steele, meinen Sekretär?«

Der andere nickte.

»Ach ja, er war doch früher Offizier und hat das Viktoriakreuz erhalten?« fragte Digby müde. »Vermutlich finden Sie es jetzt sehr öde hier, Steele? Eine solche Stelle würde mich zu Tode langweilen.«

»Das glaube ich auch. Aber wenn Sie sich an der Front den Wind hätten um die Nase wehen lassen, gefiele Ihnen die himmlische Ruhe dieses Büros sehr.«

»Da mögen Sie recht haben«, erwiderte Digby kurz. Er fühlte sich peinlich dadurch berührt, daß Jim erwähnte, daß er nicht im Felde gewesen war.

»Nun, Dr. Groat –«, begann der Anwalt, aber der elegante junge Mann unterbrach Salter durch eine Geste.

»Nennen Sie mich bitte nicht Doktor«, sagte er mit einem schmerzlichen Ausdruck. »Vergessen Sie, daß ich ein medizinisches Studium durchgemacht habe und mein Examen als Chirurg bestand. Ich tat das nur zu meiner eigenen Befriedigung, und es wäre mir sehr unangenehm, eine Praxis ausüben zu müssen. Ich würde es nicht aushalten, zu jeder Tages- und Nachtzeit von Patienten gestört zu werden.«

Für Jim war es eine Neuigkeit, daß dieser Stutzer einen medizinischen Grad erworben hatte.

»Ich bin hierhergekommen, um die Pachtverträge der Besitzungen in Cumberland einzusehen, Salter«, fuhr Groat fort. »Es ist mir ein Angebot gemacht worden – ich sollte eigentlich sagen, es ist meiner Mutter ein Angebot gemacht worden, und zwar von einem Syndikat, das ein großes Hotel dort errichten will. Soviel ich weiß, ist eine Klausel in den Verträgen, die einen solchen Bau verhindert. Wenn es so ist, war es niederträchtig gedankenlos von dem alten Danton, solche Ländereien zu erwerben.«

»Mr. Danton tat nichts Gedankenloses und nichts Niederträchtiges«, entgegnete Salter ruhig. »Wenn Sie diese Frage in Ihrem Brief erwähnt hätten, würde ich Ihnen telefonisch darüber Auskunft gegeben haben, und Sie hätten sich nicht hierher bemühen müssen. Aber da Sie nun einmal hier sind, wird Sie Steele zur Stahlkammer führen. Dort können Sie die Pachtverträge einsehen.«

Groat sah argwöhnisch zu Jim hinüber.

»Versteht er denn etwas von Pachtverträgen?« fragte er. »Und muß ich denn tatsächlich in Ihren schrecklichen Keller hinuntersteigen, um mich auf den Tod zu erkälten? Können die Akten denn nicht für mich heraufgebracht werden?«

»Wenn Sie so liebenswürdig sind, in Steeles Zimmer zu gehen, kann er sie Ihnen ja dorthin bringen«, entgegnete Salter, der Mr. Groat ebensowenig liebte wie sein Sekretär. Außerdem hatte er den nicht unbegründeten Verdacht, daß sich die Groats in dem Augenblick, in dem sie in den Besitz des Dantonschen Vermögens kämen, einen anderen Rechtsanwalt zur Verwaltung ihres Eigentums wählen würden.

Jim nahm die Schlüssel und kehrte bald mit einem Paket Akten wieder zu seinem Chef zurück.

Mr. Groat hatte das Büro Mr. Salters verlassen und saß schon in Jims eigenem kleinen Zimmer.

»Erklären Sie Mr. Groat alles, was er über die Pachtbriefe wissen will. Wenn Sie mich dazu brauchen, dann rufen Sie mich.«

Jim fand Digby in seinem Raum. Er blätterte in einem Buch, das er sich genommen hatte.

»Was bedeutet denn Daktyloskopie?« fragte er und sah zu Jim auf, als er eintrat. »Das Buch handelt von diesem Gegenstand.«

»Das ist die Lehre von den Fingerabdrücken«, sagte Jim kurz. Er haßte diese anmaßende Art und war sehr ärgerlich, daß Mr. Groat eines seiner Privatbücher genommen hatte.

»Interessieren Sie sich denn für dergleichen?« fragte Groat und stellte den Band wieder an seinen Platz zurück.

»Ein wenig. Hier sind die gewünschten Pachtbriefe. Ich habe sie eben oberflächlich durchgesehen. Es gibt keine Klausel darin, die die Errichtung eines Hotels ausschließen könnte.«

Groat nahm die Dokumente in die Hand und sah sie Seite für Seite durch.

»Nein«, sagte er schließlich, »es steht nichts davon da – Sie haben recht.« Bei diesen Worten legte er das Aktenstück auf den Tisch zurück. »Sie interessieren sich also für Fingerabdrücke? Ich wußte noch nicht, daß sich der alte Salter auch mit Strafprozessen abgibt. – Was ist denn das?«

Neben Jims Schreibtisch stand ein Bücherbrett, das mit schwarzen Heften gefüllt war.

»Das sind meine Privatnotizen«, erklärte Jim.

Digby wandte sich mit einem maliziösen Lächeln um.

»Worüber machen Sie sich denn Notizen?« fragte er, und bevor ihn Jim daran hindern könnte, hatte er eins der Hefte in der Hand.

»Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich Sie doch bitten, mein Privateigentum in Ruhe zu lassen«, sagte Jim entschieden.

»Tut mir leid – ich dachte, alle Dinge in Salters Kanzlei hätten mit seinen Klienten zu tun.«

»Sie sind eben nicht der einzige Klient«, entgegnete Jim. Er konnte sich im allgemeinen gut beherrschen, aber dieser anmaßende Mensch fiel ihm auf die Nerven.

»Wozu machen Sie denn das alles?« fragte Groat, als er Seite für Seite umblätterte.

Jim stand Mr. Groat am Schreibtisch gegenüber und beobachtete ihn scharf. Plötzlich sah er, daß das gelbe Gesicht des anderen einen Schein dunkler und der Blick der schwarzen Augen hart wurde.

»Was bedeutet das?« fragte Groat scharf. »Was, zum Teufel, haben Sie –« Er hielt inne, nahm sich zusammen und lachte. Aber Jim hörte wohl, wie gekünstelt und gequält es klang. »Sie sind ein prächtiger Kerl, Steele«, sagte er in seinem alten, nachlässigen Ton. »Sie sind töricht, sich über diese Dinge den Kopf zu zerbrechen.«

Er stellte das Schreibheft an den Platz zurück, von dem er es genommen hatte, nahm einen anderen Pachtbrief und gab sich den Anschein, eifrig darin zu lesen. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er schließlich, legte das Aktenstück beiseite und griff zu seinem Hut. »Vielleicht besuchen Sie mich einmal und essen mit mir zu Abend, Steele. Ich habe ein ganz interessantes Laboratorium, das ich mir an der Rückseite meines Hauses am Grosvenor Square erbaut habe. Der alte Salter nannte mich eben Doktor!« Er lachte, als ob das ein guter Scherz sei. »Nun gut, wenn Sie zu mir kommen, kann ich Ihnen verschiedenes zeigen, was zum mindesten meinen Titel rechtfertigt.«

 

Seine großen, dunkelbraunen Augen waren auf ihn gerichtet, als er in der Tür stand.

»Nebenbei bemerkt, Mr. Steele – Ihre Privatstudien führen Sie auf ein gefährliches Gebiet, für das Sie selbst ein zweites Viktoriakreuz kaum genügend entschädigen könnte.«

Er schloß die Tür behutsam hinter sich. Jim sah ihm stirnrunzelnd nach.

›Was meint er nur damit?‹ überlegte er. Dann erinnerte er sich daran, daß Mr. Groat sein Notizbuch in der Hand gehabt hatte. Wahrscheinlich hatte ihm das zu denken gegeben. Er nahm das Heft von dem Brett herunter, schlug die erste Seite auf und las: ›Einige Bemerkungen über die Bande der Dreizehn.‹