Der Goldkäfer

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Der Goldkäfer
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EDGAR ALLAN POE wurde 1809 in Boston als Sohn von Schauspielern geboren. Bereits im Alter von zwei Jahren war er Vollwaise. 1826 begann er ein Studium alter und neuer Sprachen an der University of Virginia. 1827 kam er zum Militärdienst, aus dem er 1831 entlassen wurde. 1838 heiratete er seine Cousine Virginia Clemm, die 1847 starb und ihn hilflos zurückließ. Poe verstarb in bitterer Armut in Baltimore unter nicht geklärten Umständen.

Zum Buch

Ein mysteriöser, metallener Skarabäus verführt zwei Freunde zu einer waghalsigen Schatzsuche. Was ist das Geheimnis des rätselhaften Käfers, dessen skizziertes Abbild gleichzeitig einen Totenschädel darstellt? Und gibt es tatsächlich einen Schatz? In Der Goldkäfer und vielen weiteren unheimlichen Erzählungen entführt Edgar Allan Poe den Leser in die Welt des literarischen Schauers der frühen Detektiv- und Horrorgeschichten, mit denen er unzählige Literaten der Weltliteratur inspirierte.

Diese Sammlung der bekanntesten Erzählungen Edgar Allan Poes zeigt das Facettenreichtum des Literaten, der verarmt und unter ungeklärten Umständen verstarb. Mit seinen spannungsgeladenen, düsteren Abenteuern ist Poe der wichtigste Wegbereiter des Detektiv-, fantastischen und Gothic-Genres und gilt als Inspiration der noch jungen Horrorliteratur. Ein Hochgenuss für alle Freunde des literarischen Grusels.

»Poe ist der am meisten Gelesene von allen seinen Zeitgenossen. Das ist kein Zufall, denn dieser neurotische und unglückliche Künstler ist unerhört modern […].« Philip Van Doren Stern

Edgar Allan Poe

Der Goldkäfer

Edgar Allan Poe

Der Goldkäfer
Unheimliche Geschichten

In der Übersetzung von Wilhelm Cremer


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2014

Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2014

Der Text wurde behutsam revidiert nach der Ausgabe Rätselhafte

und unheimliche Geschichten 1923.

Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH

Bildnachweis: © David Liittschwager/National Geographic, Washington/USA eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0433-2

www.marixverlag.de

INHALT

Der Goldkäfer

Eine Geschichte aus dem Felsengebirge

Der schwarze Kater

Das Fass Amontilladowein

Die Maske des roten Todes

Die Rache des Zwerges

Die Grube und das Pendel

Der alte Mann mit dem Geierauge

Die Mordtat in der Rue Morgue

Der gestohlene Brief

Bericht über den Fall Valdemar

Der Untergang des Hauses Usher

Metzengerstein

Ligeia

In der Tiefe des Maelstroms

William Wilson

DER GOLDKÄFER

Vor vielen Jahren befreundete ich mich mit einem gewissen William Legrand. Er stammte aus einer alten Hugenottenfamilie und war einst wohlhabend gewesen, bis er durch eine Folge von Unglücksfällen verarmte. Um nun den Demütigungen seiner üblen Lage zu entgehen, verließ er seine Vaterstadt New Orleans und schlug seinen Wohnsitz auf der Sullivansinsel nahe bei Charleston in Südkarolina auf.

Es ist dies eine merkwürdige Insel. Sie besteht eigentlich nur aus Seesand und ist ungefähr drei Meilen lang und höchstens eine Viertelmeile breit. Vom Festland trennt sie ein kaum bemerkbarer Flussarm, der sich träge durch eine Wildnis von Schilf und Schlamm wälzt und den Lieblingsaufenthalt der Wasserhühner bildet. Natürlich ist die Vegetation ärmlich und niedrig, einigermaßen hohe Bäume gibt es überhaupt nicht. Am Westende beim Fort Moultrie, wo einige elende Holzhäuser stehen, die im Sommer Bewohnern von Charleston eine Zuflucht vor Staub und Fieber bieten, wächst die stachlige Zwergpalme. Sonst aber ist die ganze Insel, wenn man von einem schmalen weißen Küstenstreifen an der Seeseite absieht, dicht bedeckt mit den Sträuchern der wohlriechenden Myrte, die bei den englischen Gärtnern so beliebt ist. Sie erreichen hier manchmal eine Höhe von fünfzehn bis zwanzig Fuß und bilden ein fast undurchdringliches, von schwerem Duft erfülltes Dickicht.

Im tiefsten Inneren dieses Dickichts, nahe beim östlichen und entlegensten Ende der Insel, hatte sich Legrand eine kleine Hütte gebaut, die er bewohnte, als ich, rein durch Zufall, seine Bekanntschaft machte. Bald entwickelte sich zwischen uns eine Freundschaft, denn es gab vieles bei diesem Einsiedler, was mein Interesse und meine Achtung erweckte. Er besaß eine gute Erziehung und ungewöhnliche geistige Fähigkeiten, war aber etwas menschenscheu und fiel oft in wunderliche Stimmungen, die zwischen höchster Begeisterung und tiefster Schwermut schwankten. Er besaß eine Menge Bücher, las aber selten darin. Seine Lieblingsbeschäftigung waren Jagd und Fischfang. Auch schlenderte er gerne an der Küste und in den Büschen herum und suchte merkwürdige Muscheln und Insekten. Besonders um seine Insektensammlung würde ihn sogar ein Swammerdam beneidet haben. Gewöhnlich begleitete ihn bei diesen Ausflügen ein alter Neger namens Jupiter, dem die Familie schon vor dem Zusammenbruch die Freiheit geschenkt hatte. Aber weder durch Drohungen noch Versprechungen konnte man ihn von dem abbringen, was er als sein gutes Recht betrachtete, nämlich seinem jungen „Massa Will“ auf Schritt und Tritt zu folgen und ihm zu dienen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Verwandten Legrands, die diesen für geistig nicht ganz normal hielten, Jupiter absichtlich die Idee eingeflößt hatten, um so dem Sonderling eine Aufsicht und einen Schutz zu geben.

Im Breitengrad der Sullivansinsel sind die Winter meistens sehr mild und es kommt selten vor, dass man einmal Feuer anmachen muss. Mitte Oktober 18 . . hatten wir aber einmal einen bemerkenswert kalten Tag. Es war kurz vor Sonnenuntergang, als ich mir durch das Immergrün meinen Weg nach der Hütte meines Freundes bahnte. Ich hatte ihn seit mehreren Wochen nicht mehr besucht, denn ich wohnte damals neun Meilen von der Insel entfernt in Charleston, und die Gelegenheit zur Hin- und Rückfahrt war damals nicht so bequem wie heute. Bei meiner Ankunft an der Hütte klopfte ich wie gewöhnlich und da ich keine Antwort bekam, suchte ich mir den Schlüssel, denn ich wusste, wo er versteckt war, öffnete die Türe und trat hinein. Ein helles Feuer brannte im Kamin. Das war eine Überraschung, aber durchaus keine unangenehme. Ich warf meinen Mantel ab, zog einen Armstuhl in die Nähe der knisternden Holzkloben und wartete geduldig auf die Ankunft meiner Wirte.

Bald nach Eintritt der Dunkelheit kamen sie an und empfingen mich aufs herzlichste. Jupiter grinste über das ganze Gesicht und machte sich eilig daran, ein paar Wasserhühner für das Abendessen zu braten. Legrand war wieder einmal in einem seiner Anfälle von Begeisterung. Er hatte eine unbekannte Muschel gefunden, die eine neue Art bildete, und mehr als das, es war ihm mit Jupiters Hilfe gelungen, einen Käfer zu fangen, den er für gänzlich neu hielt, über den er aber am nächsten Morgen meine Meinung wissen wollte.

„Und warum nicht heute Abend?“, fragte ich, indem ich mir über der Glut meine Hände rieb und das ganze Geschlecht der Käfer zum Teufel wünschte.

„Ja, wenn ich nur gewusst hätte, dass Sie hier wären!“, sagte Legrand. „Aber ich habe Sie so lange nicht mehr getroffen und wie konnte ich da vorhersehen, dass Sie mir gerade am heutigen Abend einen Besuch abstatten würden? Auf dem Heimwege traf ich Leutnant G. vom Fort und lieh ihm dummerweise den Käfer, darum können Sie ihn erst morgen sehen. Bitte, übernachten Sie bei mir, und bei Sonnenaufgang will ich Jupiter danach schicken. Er ist das Herrlichste, was es auf der Welt gibt!“

„Wer? Der Sonnenaufgang?“

„Unsinn! Der Käfer! Er ist so groß wie eine dicke Walnuss, hat eine brillante Goldfarbe mit zwei pechschwarzen Flecken an einem Ende des Rückens und einem etwas längeren Fleck am anderen Ende. Die Fühlhörner sind …“

 

„Keine Farbe daran, Massa Will“, unterbrach hier Jupiter. „Käfer sein Goldkäfer, durch und durch Gold, überall Gold, nur nicht Flügel. Nie halb so schweren Käfer im Leben gehabt.“

„Angenommen, es ist so, Jup“, antwortete Legrand mit etwas mehr Ernst, als der Fall nach meiner Ansicht erforderte, „brauchst du deswegen die Hühner anbrennen zu lassen? Die Farbe“ – hier wandte er sich wieder zu mir – „ist tatsächlich leuchtend genug, um Jupiters Idee Kraft zu geben. Sie haben noch nie einen so brillanten Metallglanz gesehen, wie ihn seine Einkerbungen ausstrahlen – aber darüber können Sie erst morgen früh urteilen. Inzwischen will ich Ihnen einen Begriff von seiner Form geben.“ Mit diesen Worten setzte er sich an einen kleinen Tisch, auf dem sich Feder und Tinte, aber kein Papier befand. Er suchte in einer Schublade, fand aber keins.

„Übrigens genügt auch dies“, sagte er schließlich und zog aus seiner Westentasche einen Fetzen, der wie sehr schmutziges Aktenpapier aussah. Dann zeichnete er mit der Feder eine flüchtige Skizze darauf, während ich beim Feuer sitzen blieb, denn es war noch sehr kühl. Als er mit der Zeichnung fertig war, reichte er sie mir, ohne aufzustehen, herüber und ich nahm sie in die Hand. Gerade in diesem Augenblick hörte man draußen ein lautes Knurren und dann ein Kratzen an der Tür. Jupiter öffnete und ein großer Neufundländer, der Legrand gehörte, stürzte herein, sprang mir auf die Schultern und überschüttete mich mit Liebkosungen, denn ich war bei meinen früheren Besuchen sehr freundlich gegen ihn gewesen. Als seine Freudensprünge vorbei waren, besah ich mir das Papier und war, um die Wahrheit zu sagen, nicht wenig erstaunt über das, was mein Freund gezeichnet hatte.

„Nun ja“, sagte ich, nachdem ich es eine Weile betrachtet hatte, „das ist wirklich, wie ich gestehen muss, ein seltsamer Käfer. Er ist für mich ganz neu und ich habe nie etwas Ähnliches gesehen – es sei denn bei einem Schädel oder Totenkopf, mit dem er mehr Ähnlichkeit hat als alles, was mir bisher vorgekommen ist.“

„Ein Totenkopf“, wiederholte Legrand. „Jawohl, etwas Ähnlichkeit hat er ohne Zweifel in der Zeichnung damit. Die beiden oberen schwarzen Flecke sehen wie Augen aus – nicht wahr? Und unten der längere wie ein Mund – auch ist der Umriss oval.“

„Vielleicht“, antwortete ich. „Übrigens, Legrand, ich fürchte, Sie sind kein großer Künstler, und ich muss warten, bis ich den Käfer selbst sehe, um mir von seinem wirklichen Aussehen ein Bild zu machen.“

„Nun, ich weiß nicht“, sagte er etwas gereizt, „ich zeichne sonst ganz leidlich – ich sollte es wenigstens, denn ich habe eine gute Schule gehabt und schmeichle mir auch, dass ich nicht so unbegabt bin.“

„Aber, mein lieber Freund, dann machen Sie sich einen Spaß mit mir“, sagte ich. „Dies ist ein ganz leidlicher Schädel – ich könnte sogar sagen, es ist ein ganz ausgezeichneter Schädel, wenigstens nach der gewöhnlichen Vorstellung, die man sich von einem solchen physiologischen Gegenstand macht. Und Ihr Käfer muss der eigentümlichste Käfer der Welt sein, wenn er ihm gleicht. Wahrhaftig, sein Anblick könnte einen zu einem abergläubischen Gruseln verführen. Ich schlage vor, wir nennen den Käfer Scarabaeus caput hominis oder so ähnlich – es gibt ja solche Namen in der Naturgeschichte. Aber wo sind die Fühler, von denen Sie sprachen?“

„Die Fühler!“, sagte Legrand, der sich bei dem Gespräch merkwürdig zu erregen schien. „Die müssen Sie doch sehen. Ich zeichnete sie genau so, wie sie bei dem wirklichen Insekt sind, und ich nehme an, das genügt.“

„Nun ja“, antwortete ich, „vielleicht haben Sie das getan – nur sehe ich es nicht.“ Damit überreichte ich ihm das Papier, ohne weiter eine Bemerkung zu machen, denn ich wollte seine Erregung nicht noch steigern. Aber ich war doch sehr erstaunt über die Wendung, die unsere Unterhaltung genommen hatte. Seine Verstimmung verblüffte mich und was die Zeichnung des Käfers anging, so waren wirklich keine Fühler darauf zu sehen. Das Ganze glich vielmehr genau dem gewöhnlichen Umriss eines Totenschädels.

Er nahm sehr verdrießlich das Papier und war gerade dabei, es zu zerknüllen, offenbar, um es ins Feuer zu werfen, als ein zufälliger Blick auf die Zeichnung plötzlich seine Aufmerksamkeit zu erregen schien. Sein Gesicht wurde einen Moment dunkelrot und gleich darauf ganz blass. Ohne sich zu rühren, betrachtete er die Zeichnung minutenlang aufs genaueste. Dann erhob er sich, nahm eine Kerze vom Tisch und setzte sich auf eine Schiffstruhe im entferntesten Winkel des Zimmers. Hier begann er von neuem das Papier sorgfältig zu untersuchen, indem er es nach allen Richtungen umwandte. Er sprach aber kein Wort und sein Benehmen versetzte mich in das größte Erstaunen. Trotzdem hielt ich es für das Klügste, die wachsende Erregung seiner Stimmung durch keine Bemerkung zu vergrößern. Nach einer Weile nahm er aus seiner Rocktasche eine Briefmappe, legte das Papier sorgfältig hinein und verschloss beides in einem Schreibtisch. Sein Verhalten wurde jetzt etwas ruhiger, aber die ursprüngliche gehobene Stimmung war ganz verschwunden. Trotzdem schien er weniger verstimmt als zerstreut zu sein und je mehr der Abend fortschritt, desto mehr versank er in Träumerei, aus der ich ihn durch keine lustige Bemerkung erwecken konnte. Es war meine Absicht gewesen, die Nacht in der Hütte zu verbringen, wie ich es schon oft getan hatte; aber da ich meinen Wirt in einer solchen Laune sah, hielt ich es doch für das Beste, aufzubrechen. Er drängte mich nicht zu bleiben, schüttelte aber beim Abschied meine Hand mit fast größerer Herzlichkeit als sonst.

Ungefähr einen Monat später (ich hatte inzwischen nichts von Legrand gesehen) besuchte mich Jupiter in Charleston. Noch nie war mir der gute alte Neger so niedergeschlagen vorgekommen und ich fürchtete, meinem Freunde sei ein ernsthaftes Missgeschick widerfahren.

„Nun, Jup“, fragte ich, „was ist denn geschehen? Wie geht es deinem Herrn?“

„Ach, Massa, um die Wahrheit zu sagen, er sein nicht ganz so wohl, wie sich gehört.“

„Nicht wohl? Das tut mir aber leid! Worüber klagt er denn?“

„Ja, das ist es! Er nie über etwas klagen – er aber wirklich sehr krank sein.“

„Sehr krank, Jupiter? Warum sagtest du das nicht sofort? Liegt er zu Bett?“

„Nein, das nicht! Er überhaupt nicht liegen – das ist gerade, warum mich der Schuh drücken. Mein Kopf sein sehr schwer wegen armen Massa Will.“

„Jupiter, ich möchte nun endlich wissen, worüber du redest. Du sagst, der Herr ist krank. Hat er dir nicht mitgeteilt, was ihn quält?“

„Ach, Massa, es sein nicht nötig, sich darüber aufzuregen – Massa Will sagen nie, was ihm fehlen –, aber warum gehn er denn herum und sehen so aus und lassen den Kopf hängen und regen sich auf und sein so weiß wie eine Gans? Und halten immer Syphons in der Hand …“

„Was hält er, Jupiter?“

„Er halten ein Papier mit Schiffers und Zahlen in der Hand – die merkwürdigsten Syphons, die es geben. Muss mich um ihn kümmern, muss jetzt mächtig scharfes Auge auf ihn haben. Neulich rücken er aus bei Sonnenaufgang und sein den ganzen lieben Tag verschwunden. Ich hatten dickes Stock geschnitten, um ihm sehr gute Prügel bei Rückkehr zu geben – aber bin ich ein Narr, hatten nicht das Herz – er sich zu elend ausgesehen.“

„Wie? Was? Na ja, aber du musst nicht zu streng mit dem armen Kerl umgehen – du darfst ihn nicht prügeln, Jupiter, das hält er nicht aus. Aber hast du keine Idee, wodurch seine Krankheit oder, besser gesagt, sein verändertes Benehmen verursacht ist? Ist, seit ich dort war, etwas Unangenehmes vorgekommen?“

„Nein, Massa, nichts Unangenehmes sein vorgekommen seitdem – es sein gekommen vordem – es war am selben Tag, als Massa da waren.“

„Wie? Was meinst du damit?“

„Ja, Massa, ich meinen den Käfer von damals.“

„Was?“

„Den Käfer – ich sein sehr gewiss, dass Massa Will gebissen worden am Kopf von diesem Goldkäfer.“

„Und welcher Grund bringt dich zu dieser Annahme, Jupiter?“

„Gründe genug, Massa. Ich nie einen solchen Teufelskäfer gesehn – er treten und beißen alles, was nahe kam. Massa Will ihn fest packen, aber ihn mächtig schnell wieder fahren lassen – das war Moment, wo er gebissen sein müssen. Mir selbst nicht gefallen das Maul von Käfer, darum ich ihn nicht packen mit Finger, sondern mit Stück Papier, das ich gefunden. Ich ihn wickeln in das Papier und ihm ein Stück Papier ins Maul stecken – so es gegangen.“

„Und du glaubst also, dass dein Herr wirklich von dem Käfer gebissen wurde und dass der Biss ihn krank gemacht hat?“

„Ich nichts darüber glauben, ich es wissen. Warum träumen er so viel von Gold, wenn nicht wegen Goldkäfer? Ich haben schon früher von goldenen Käfer gehört.“

„Aber woher weißt du, dass er von Gold träumt?“

„Woher ich wissen? Nun, weil er davon im Schlaf sprechen – daher ich wissen.“

„Gut, Jup, vielleicht hast du recht. Aber welche glücklichen Umstände verschaffen mir die Ehre deines heutigen Besuchs?“

„Wie meinen, Massa?“

„Bringst du eine Botschaft von Mr. Legrand?“

„Nein, Massa, ich bringen hier diesen Brief“, und damit reichte mir Jupiter ein Schreiben, das folgendermaßen lautete:

„Lieber Freund, warum habe ich Sie so lange nicht gesehen? Sie sind doch hoffentlich nicht so töricht gewesen, mir irgendeine kleine Unhöflichkeit in meinem Benehmen übel zu nehmen? Doch nein, das ist unmöglich. Seit Ihrem letzten Besuch hat mir etwas viele Sorgen gemacht. Ich muss Ihnen etwas mitteilen und weiß doch nicht, wie ich es mitteilen oder ob ich es überhaupt tun soll. Ein paar Tage lang fühlte ich mich gar nicht wohl und der arme alte Jup quält mich auf fast unerträgliche Weise mit seinen gut gemeinten Aufmerksamkeiten.

Werden Sie es glauben? – Neulich hatte er einen großen Stock zurechtgemacht, um mich zu züchtigen, weil ich ihn im Stich gelassen und den ganzen Tag allein auf den Hügeln des Festlandes verbracht hatte. Ich glaube wirklich, dass nur mein schlechtes Aussehen mich vor den Prügeln bewahrt hat. Meine Sammlung hat sich seit unserem letzten Beisammensein nicht vergrößert. Wenn Sie es irgendwie ermöglichen können, so kommen Sie doch mit Jupiter herüber. Bitte, kommen Sie. Ich möchte Sie heute Abend noch in einer wichtigen Angelegenheit sprechen. Ich versichere Ihnen, es handelt sich um eine für mich höchst wichtige Sache. Ihr alter William Legrand.“

Es war etwas in dem Brief, was mir durchaus nicht gefiel. Der ganze Stil passte so gar nicht zu Legrand. Wovon mochte er träumen? Welche verrückte Idee war wieder in sein erregbares Gehirn getreten? Welche „höchst wichtige Sache“ konnte er zu erledigen haben? Jupiters Bericht über ihn verkündete nichts Gutes. Ich fürchtete, das fortgesetzte Grübeln über sein Unglück habe doch schließlich die Vernunft meines Freundes etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. Ohne mich daher einen Augenblick zu besinnen, schickte ich mich an, den Neger zu begleiten. Als wir die Werft erreichten, sah ich eine Sense und drei Spaten, alle offenbar neu, auf dem Boden des Bootes liegen, mit dem wir fahren sollten.

„Was bedeutet das alles, Jup?“, fragte ich. „Das sein Sense, Massa, und Spaten.“

„Sehr richtig, aber was sollen die hier?“

„Das sein die Sense und die Spaten, die ich für Massa Will in der Stadt gekauft, und haben teufelsmäßig viel Geld gekostet.“

„Aber was in aller Welt will dein Massa Will mit Sense und Spaten anfangen?“

„Das ist mehr, als ich wissen, und, wenn mich Teufel holt, auch mehr, als er wissen. Aber das kommen alles von dem Käfer.“

Da ich fand, dass mir Jupiter, dessen ganzer Verstand von dem Käfer verschluckt zu sein schien, keine vernünftige Erklärung geben konnte, so stieg ich ins Boot und spannte die Segel. Mit einem günstigen, scharfen Wind fuhren wir bald in die kleine Bucht nördlich von Fort Moultrie ein und ein Marsch von zwei Meilen brachte uns zur Hütte. Es war gegen drei Uhr nachmittags, als wir ankamen. Legrand hatte uns voller Ungeduld erwartet. Er drückte mir die Hand mit einer nervösen Überschwänglichkeit, die mich beunruhigte und den Verdacht bestärkte, der schon in mir aufgestiegen war. Sein Aussehen war fast gespenstisch blass und seine tief liegenden Augen leuchteten in einem unnatürlichen Glanz. Nach einigen Fragen über seine Gesundheit erkundigte ich mich, da mir sonst kein Gesprächsstoff einfiel, ob er schon den Käfer von dem Leutnant G. zurückerhalten habe.

„Oh ja“, antwortete er heftig errötend, „ich bekam ihn schon am nächsten Morgen. Nichts könnte mich dazu bringen, mich von dem Käfer wieder zu trennen. Wissen Sie, dass Jupiter in Bezug auf ihn ganz recht hatte?“

 

„In welcher Beziehung?“, fragte ich mit einem traurigen Vorgefühl im Herzen.

„In der Annahme, dass der Käfer aus wirklichem Gold war.“ Er sagte dies mit einem Ausdruck tiefsten Ernstes, so dass mich ein unbeschreiblicher Schreck überfiel. „Dieser Käfer wird mein Glück machen“, fuhr er mit triumphierendem Lächeln fort. „Er wird mich wieder in meinen Familienbesitz bringen. Ist es daher ein Wunder, wenn ich ihn so preise? Seit das Glück den Einfall gehabt hat, ihn mir zu schenken, brauche ich nur den richtigen Gebrauch davon zu machen, um zu dem Gold zu gelangen, das er mir zeigt. Jupiter, bring mir den Käfer!“

„Was, den Käfer, Massa? Ich lieber diesen Käfer nicht anrühren, Sie ihn selber nehmen.“

Legrand erhob sich darauf mit ernster und würdiger Miene und holte mir den Käfer aus einem Glaskasten, in dem er eingeschlossen war. Es war ein schöner Käfer, der damals noch den Naturforschern unbekannt und deshalb von großem wissenschaftlichen Wert war. Er hatte zwei runde schwarze Flecke an dem einen Ende des Rückens und einen länglichen am anderen. Die Glieder waren außerordentlich hart und glänzend und sahen aus wie poliertes Gold. Auch das Gewicht war sehr beträchtlich, und wenn ich alles das erwog, so konnte ich schwerlich Jupiter wegen seiner Meinung über ihn tadeln. Aber wie Legrand dazu kam, diese Meinung zu teilen, war mir wirklich ein Rätsel.

„Ich habe Sie hergebeten“, sagte er in pathetischem Ton, als ich den Käfer betrachtet hatte, „ich habe Sie hergebeten, weil ich Ihren Rat und Ihre Hilfe brauche, um die Aussichten zu verwirklichen, die mir das Schicksal und der Käfer bieten.“

„Mein lieber Legrand“, unterbrach ich ihn, „Ihnen ist wirklich nicht wohl und Sie sollten sich etwas schonen. Sie werden jetzt zu Bett gehen und ich will ein paar Tage hierbleiben, bis Sie über alles hinweg sind. Sie haben Fieber und …“

„Fühlen Sie meinen Puls!“, sagte er. Ich fühlte ihn und fand, um die Wahrheit zu sagen, nicht die leiseste Spur von Fieber.

„Aber Sie können krank sein und trotzdem kein Fieber haben. Gestatten Sie mir dieses eine Mal, Ihr Arzt zu sein. Zunächst müssen Sie zu Bett gehen, ferner …“

„Sie irren sich“, unterbrach er mich. „Mir ist so wohl, wie mir bei der Aufregung, an der ich leide, nur sein kann. Wenn Sie wirklich mein Bestes wollen, dann müssen Sie mir helfen, diese Aufregung zu überwinden.“

„Und wie kann das geschehen?“

„Sehr einfach. Jupiter und ich machen einen Ausflug in die Festlandshügel und bei diesem Ausflug brauchen wir jemand, dem wir vertrauen können. Sie sind der Einzige, auf den wir uns verlassen dürfen. Ob wir nun Erfolg haben oder nicht, in jedem Fall wird die Erregung, die Sie bei mir bemerken, danach vorüber sein.“

„Ich will Ihnen gerne in jeder Weise zu Diensten sein“, antwortete ich. „Aber wollen Sie etwa sagen, dass dieser höllische Käfer irgendetwas mit Ihrem Ausflug in die Hügel zu tun hat?“

„Unbedingt.“

„Dann, Legrand, kann ich mich an einer solch verrückten Geschichte nicht beteiligen.“

„Das tut mir leid – sehr leid –, denn dann müssen wir es allein versuchen.“

„Allein versuchen! Sie sind sicher nicht bei Sinnen! – Aber halt, wie lange soll dieser Ausflug dauern?“

„Wahrscheinlich die ganze Nacht. Wir werden sofort aufbrechen und auf jeden Fall bei Sonnenaufgang zurück sein.“

„Und Sie versprechen mir auf Ehrenwort, dass, wenn diese tolle Geschichte vorüber und die Käferangelegenheit zu Ihrer Zufriedenheit erledigt ist, Sie dann nach Hause zurückkehren und meinen Ratschlägen folgen, als wäre ich Ihr Arzt?“

„Ja, das verspreche ich. Und nun wollen wir aufbrechen, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Mit schwerem Herzen begleitete ich meinen Freund. Wir brachen um vier Uhr auf – Legrand, Jupiter, der Hund und ich. Jupiter nahm die Sense und die Spaten – er bestand darauf, alles zu tragen –, wie es mir schien, mehr aus Furcht, die Geräte im Bereich seines Herrn zu lassen, als aus einem Übermaß an Arbeitslust oder Gefälligkeit. Sein Benehmen war sehr mürrisch und „das verdammte Käfer“ waren die einzigen Worte, die während des Marsches über seine Lippen kamen. Mir selbst waren ein paar Blendlaternen anvertraut worden, während sich Legrand mit dem Käfer begnügte, den er an einem Stück Peitschenschnur angebunden trug. Er schwang ihn beim Gehen vorwärts und rückwärts mit dem Gesicht eines Hexenmeisters. Als ich diesen letzten klaren Beweis von der Geistesverwirrung meines Freundes sah, konnte ich kaum die Tränen zurückhalten. Ich hielt es aber für das Beste, auf seine Idee einzugehen, wenigstens für den Augenblick oder bis ich eine Gelegenheit fand, ernstere Maßnahmen mit Aussicht auf Erfolg zu ergreifen. Inzwischen versuchte ich vergebens, etwas über den Zweck unseres Unternehmens zu erfahren. Nachdem es ihm gelungen war, mich zur Teilnahme daran zu bewegen, schien er nicht in der Laune zu sein, sich über etwas weniger Wichtiges zu unterhalten, und auf alle Fragen bekam ich nur die Antwort: „Wir werden sehen!“

Auf einem Ruderboot setzten wir am Ende der Insel über den Flussarm, erstiegen die Höhen am Festlandsufer und wandten uns nach Nordwesten durch ein außerordentlich wildes und verlassenes Stück Land, wo auch nicht die Spur eines menschlichen Fußtrittes zu sehen war. Legrand führte uns entschlossen vorwärts, wobei er nur von Zeit zu Zeit einen Augenblick Halt machte, um nach gewissen Wegzeichen zu sehen, die er offenbar selbst bei einer früheren Gelegenheit angebracht hatte.

Wir waren auf diese Weise ungefähr zwei Stunden marschiert und die Sonne neigte sich gerade zum Untergang, als wir in eine Gegend kamen, so unendlich traurig, wie ich nie etwas gesehen hatte. Es war eine Art Tafelland nahe dem Gipfel eines fast unersteigbaren, von unten bis oben dicht bewachsenen Hügels, der mit riesigen Felsspitzen besät war, die lose auf dem Boden zu liegen schienen, so dass es aussah, als würden sie nur durch die Bäume, an die sie sich anlehnten, verhindert ins Tal herabzustürzen. Nach allen Seiten liefen tiefe Schluchten und gaben der Landschaft den Anschein von ernsterer Feierlichkeit. Eine natürliche Abflachung, die wir erklettert hatten, war so dicht mit Brombeeren überwachsen, dass wir bald die Unmöglichkeit entdeckten, uns ohne die Sense einen Weg hindurchzubahnen. Jupiter ging auf Geheiß seines Herrn daran, uns einen Pfad frei zu machen bis dicht an einen riesigen Tulpenbaum, der mit acht oder zehn Eichen auf der Höhe stand und sie weit überragte. Er übertraf auch alle Bäume, die ich je gesehen hatte, an Schönheit seiner Form und seines Laubes, an der gewaltigen Ausdehnung seiner Äste und der allgemeinen Majestät seines Aussehens. Als wir diesen Baum erreichten, wandte sich Legrand an Jupiter und fragte ihn, ob er sich wohl getraue, ihn zu erklettern. Der alte Mann schien etwas verblüfft zu sein über diese Frage und gab einen Augenblick keine Antwort. Schließlich näherte er sich dem riesigen Stamm, ging langsam um ihn herum und besah ihn sich genau. Als er seine Prüfung beendet hatte, sagte er gleichmütig: „Ja, Massa, Jup klettern auf jeden Baum, den er im Leben gesehen haben.“

„Dann hinauf mit dir so schnell wie möglich, denn es wird bald zu dunkel sein für unsere Angelegenheit.“

„Wie weit muss ich hinauf, Massa?“, fragte Jupiter.

„Steige zuerst den Hauptstamm hinauf, das Weitere will ich dir dann schon sagen. Und halt! Nimm hier den Käfer mit.“

„Das Käfer, Massa Will? Das Goldkäfer?“, schrie der Neger und fuhr entsetzt zurück. „Wozu müssen das Käfer mit auf den Baum? Ich verdammt sein, wenn ich das tun!“

„Wenn ein großer, starker Neger wie du, Jup, Angst hat, einen kleinen, unschädlichen, toten Käfer anzufassen, dann kannst du ihn an der Schnur hinaufziehen – aber wenn du ihn nicht auf irgendeine Art mitnimmst, dann bin ich genötigt, dir mit dieser Schippe den Schädel einzuschlagen.“

„Was wollen denn Massa?“, fragte Jupiter, der sich schämte und plötzlich nachgiebig wurde. „Sie immer Streit suchen mit alten Nigger. War ja nur Scherz. Ich das Käfer fürchten? Was gehn mich Käfer an!“ Damit fasste er sorgfältig das äußerste Ende der Schnur und machte sich, indem er das Insekt so weit wie möglich von seiner Person abhielt, daran, den Baum zu erklettern.

In seiner Jugend hat der Tulpenbaum oder Liriodendron tulipiferum, die prächtigste Erscheinung der amerikanischen Wälder, einen auffallend glatten Stamm und erreicht oft eine bedeutende Höhe ohne Seitenäste. Im reiferen Alter wird aber seine Rinde rissig und uneben und viele kurze Äste erscheinen an dem Stamm. Daher war auch in diesem Falle die Schwierigkeit des Kletterns mehr scheinbar als wirklich. Indem er sich mit Armen und Knien so fest wie möglich an den riesigen Zylinder drückte, mit den Händen nach vorstehenden Stümpfen griff und auf anderen die nackten Zehen ruhen ließ, wand sich Jupiter bis auf den ersten großen Ast, nachdem er allerdings ein- oder zweimal mit großer Not der Gefahr des Abstürzens entgangen war. Er schien jetzt die ganze Aufgabe in der Hauptsache für erledigt zu halten. Das Gefährliche an dem Unternehmen war jedenfalls vorbei, obgleich der Kletterer sich nunmehr sechzig oder siebzig Fuß über dem Erdboden befand.