SHIFT

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Forum Theologie & Gemeinde

Material zum geistlichen Dienst

Band 30

theologisch kompetent – praktisch relevant


Wege zur Level-5-Gemeindemultiplikation

von

Dietrich Schindler

mit einem Vorwort von Dave Ferguson

Herausgegeben vom Forum Theologie & Gemeinde des BFP gemeinsam mit Exponential Europe

Exponential ist eine wachsende Bewegung von Initiatoren, die sich dafür einsetzen, tragfähige neue Gemeinden ins Leben zu rufen. Die Ressourcen von Exponential wollen umsetzbare Prinzipien, Ideen und Lösungen vermitteln, die die Multiplikation gesunder, sich reproduzierender Glaubensgemeinschaften beschleunigen. Weitere Informationen unter exponential.org und exponential.eu.

Original: © 2021 SHIFT: The Road to Level 5 Church Multiplication by Dietrich Schindler (ISBN: 978-1-62424-055-3).

© 2021 Copyright Forum Theologie & Gemeinde (FThG)im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden KdöR, Erzhausen

Sofern nicht anders angegeben, stammen die Bibelstellen aus dem Neuen Testament aus der Neuen Genfer Übersetzung, Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft. Die Stellen aus dem Alten Testament sind der Lutherbibel, revidiert 2017, entnommen, © 2016 Deutsche Bibel­gesellschaft, Stuttgart.Hervorhebungen in den Bibelzitaten wurden vom Autor hinzugefügt.

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigungen in Form von Kopieren einzelner Seiten oder Ausdrucken einzelner Abschnitte (digitale Version) sind nur für den privaten Gebrauch bzw. innerhalb einer Ortsgemeinde gestattet. Alle anderen Formen der Vervielfältigung (Mikrofilm, andere Verfahren oder die Verarbeitung durch elektronische Systeme) sind ohne schriftliche Einwilligung durch das Forum Theologie & Gemeinde nicht gestattet.

Übersetzung: Dietrich Schindler Lektorat: Maria Boschker, Petra Geh Umschlagbild: „Gearshift“ by Algonga, www.shutterstock.com Umschlaggestaltung nach einer Vorlage von Harrington Interactive Media Layout, Umschlaggestaltung u. Realisierung E-Book: admida-Verlagsservice, Erzhausen Druck: w3 print + medien GmbH & Co. KG, Wetzlar

ISBN der Printausgabe: 978-3-942001-83-0 ISBN der E-Book-Ausgabe: 978-3-942001-38-0 Bestell-Nr. BUW048

Forum Theologie & Gemeinde (FThG)Industriestr. 6–8, 64390 Erzhausen fthg@bfp.de • www.forum-thg.de

Inhalt

Vorwort

Einleitung

SHIFT 1 Von Organisatorisch zu Organisch

SHIFT 2 Von Groß zu Klein

SHIFT 3 Von der Kognition zur Emotion

SHIFT 4 Von „Was?“ zu „Was wäre, wenn?“

SHIFT 5 Von Mitgliedschaft zu Jüngerschaft

SHIFT 6 Von der alten zur neuen Realität

SHIFT 7 Von Aktivismus zu Innehalten

SHIFT 8 Von direkter zu indirekter Einflussnahme

SHIFT 9 Von der Stadt zur Region

SHIFT 10 Von Addition zur Multiplikation

SHIFT 11 Von Entmutigung zu Ermutigung

SHIFT 12 Von Achtlosigkeit zur Freude

Epilog

Bibliografie

Über den Autor

Über den Herausgeber

Dieses Buch ist Øivind Augland gewidmet

Leidenschaftlicher Anhänger Jesu

Visionärer Reich Gottes Entwickler

Exzellenter Networker

Innovativer Förderer

Unkonventionell

Lustiger Freund

Was ist Exponential Europe?

In unserer Exponential-Community sprechen wir oft über Level-5-Kirchen und -Gemeinden.

Level 1 steht für schrumpfende Gemeinden.

Level 2 steht für stagnierende Gemeinden.

Level 3 steht für wachsende Gemeinden.

Level 4 steht für sich reproduzierende Gemeinden.

Level 5 steht für sich multiplizierende Gemeinden.

Unser Ziel, das wir beschreiben, ist, eine Bewegung mit einem Auftrag zu sein. Unser Auftrag ist, dass wir eine DNA der Multiplikation leben und fördern. Wir wollen eine Multiplikation von Jüngern, Leitern und Kirchen in Europa sehen.

Wie würde diese Welt, wie würde Europa oder wie würde der deutschsprachige Raum aussehen, wenn alle Kirchen und Gemeinden Orte wären, die sich multiplizieren?

Nun, wir können uns wohl alle hinter diesem Wunsch vereinen und kaum jemand würde sagen, das möchte ich nicht sehen. Eigentlich war und ist das der Wunsch seiner Kirche von Anfang an und natürlich auch der Auftrag seiner Kirche von Beginn an.

Doch die Realität sieht anders aus: Wir sehen in Denominationen und Netzwerken, dass Gemeinden sich freuen würden, überhaupt Level-3-Gemeinden zu sein – also wachsend. Level 4 (reproduzierend) oder Level 5 (multiplizierend) scheint sehr weit weg zu sein.

Hier müssen wir umdenken, ein grundsätzliches Verändern unserer Gedanken und unserer Ansichten und vielleicht auch unserer Praktiken. Und genau an dieser Stelle kommt das Buch von Dietrich Schindler als ein wertvolles Werkzeug in deine Hand.

Albert Einstein sagte einmal: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“. Das Buch „Shift“ fordert uns heraus unser Denken zu überprüfen, Annahmen zu überdenken und Praktiken zu hinterfragen. Und das aus einem einzigen Grund: weil wir ein Herz für Menschen haben und Menschen in eine lebendige Beziehung zu ihrem Gott führen wollen.

Das Buch, welches du in deinen Händen hältst, wird dich auf eine Reise der Transformation nehmen. Dietrichs praktisches, innovatives Denken wird dir helfen, in deinem Leben, deiner Organisation oder deinem Verantwortungsbereich neues Denken zuzulassen.

Dietrich Schindler arbeitet aktiv in der Exponential-Bewegung in Europa mit und wir sind geehrt, dieses Buch im deutschsprachigen Raum mitherausgeben zu dürfen.

Mehr Ressourcen, Bücher und Seminare findest du auch unter www.exponential.eu.

Jürgen Eisen

Geschäftsführer Exponential Europe e.V.

Danksagungen

Im Laufe der letzten zehn Jahre hatte ich das Privileg, siebzig Vorträge über verschiedene Aspekte der Gemeindegründung zu halten, die mich durch ganz Europa geführt haben – von Spanien bis Russland, von Norwegen bis Italien. Von diesen vielen Vorträgen sind zwölf der bedeutendsten und wichtigsten auf den kommenden Seiten zusammengefasst.

Aus diesen Vorträgen wäre jedoch niemals ein Buch geworden ohne die Hilfe und großzügige Unterstützung von Menschen, die diese Worte noch so viel besser gemacht haben. Mein Dank gilt daher diesen meinen Freunden:

Øivind Augland, Norwegen

Øivind, ich kenne keinen Menschen, der so vernetzt ist wie du! Deine Leidenschaft für Jesus und deine Begeisterung für Gemeindegründung, gepaart mit deinen Gaben als Leiter, sind ein seltenes Geschenk an den Leib Christi. (Nebenbei bemerkt: Man stelle sich vor, jemand ginge auf den Petersplatz in Rom und der Papst träte auf seinen Balkon, um eine Menge von Millionen versammelter Menschen zu begrüßen. Wenn Øivind neben dem Papst erschiene, weißt du, was man dann hören würde? Ich bin mir sicher, irgendjemand in der Nähe würde rufen: „Hey, wer steht denn da oben neben Øivind?“). Vielen Dank, Øivind, für deine unablässige Ermutigung!

Dave Ferguson, Chicago

Dave, du bist der einzig Wahre – uneigennützig, bescheiden, abseits der Bühne genauso wie auf der Bühne, brillant. Danke, dass du mit deinen Worten und mit deinem Einfluss so großzügig bist. Dort, wo die evangelikale Welt durch das Versagen von Menschen verwundet worden ist, wird deine Echtheit zur Hoffnung und Erfrischung für evangelikale Leiter – wie Wasser auf trockenem Boden.

Nick Boring, Maryland

Nick, durch dich wurden meine Gebete erhört, als ich auf der Suche nach tragfähigen Kontakten zu Verlagen war. Wir hatten uns zwar nach unserem gemeinsamen Abschluss an der Bibelschule fast vierzig Jahre lang aus den Augen verloren, aber als wir wieder in Kontakt traten, warst du sofort interessiert und wolltest mich unterstützen. In deinem Business bist du erfolgreich und dein Herz schlägt für Gemeindegründung und die Unterstützung von Leitern.

Terri Saliba, Carolina Beach

Terri, du bist ein wahres Organisationstalent! Vom ersten Moment an, als du von diesem Projekt hörtest, warst du mein Mann auf dem Spielfeld. Als Kapitän von Exponential spielst du versiert den richtigen Leuten den Ball zu. Danke, dass du mir geholfen hast, das Projekt über die Ziellinie zu bringen.

 

Peyton Jones, Karlsbad

Peyton, deine Radiostimme und deine brennende Leidenschaft für Gemeindegründung haben von Anfang an in meinem Herzen Widerhall gefunden. Aufgrund deiner einzigartigen Erfahrung als Gemeindegründerin in Wales warst du gänzlich aufgeschlossen für meine Gedanken zum Church-Planting aus europäischer Perspektive. Danke, dass du mir und uns den Zugang zu deiner Weisheit, Erfahrung und Kompetenz auf diesem Gebiet gewährt hast.

Lindy Lowry, San Diego

Lindy, du bist ein wahrer Hero Maker, eine Heldenmacherin. Du nahmst meine durchschnittlichen Formulierungen und Worte und verwandeltest sie gekonnt in ein Werk von Schönheit und Anmut. Du lässt mich gut aussehen!

Jan Carla, Frankfurt

Janny, du bist in der Tat das, was dein Name bedeutet: „Gottes gnädiges Geschenk“! Oh, wie ich deine Liebe schätze, deine ehrliche Korrektur, dein dienendes Herz, deine helfenden Hände und deine lebensspendende Ermutigung. Nicht nur diese fast 40-jährige Reise, auf der wir uns befinden, ist wunderbar gewesen. Auch das Zusammensein mit dir erfüllt mich mit einer Glückseligkeit, die mir alle Freude an einem solchen abgeschlossenen Projekt bringen könnte.

Vorwort

Es gibt nur wenige originelle Persönlichkeiten in der Welt der Gemeindegründung – Männer und Frauen, die einer einzigartigen Botschaft ihre Stimme verleihen und uns originelle Perspektiven zeigen. Viele unserer Bemühungen, die Zahl unserer Gemeinden zu multiplizieren, enden in den schwachen Versuchen, die Methoden anderer zu kopieren. Nicht so bei meinem Freund Dietrich Schindler. Er ist definitiv ein Original – und die Stimme dieses Vordenkers sollte schlichtweg von jedem gehört werden, der Menschen zu Jüngern machen und eine Welle von Gemeindegründungen ins Rollen bringen möchte.

In Shift spiegelt sich Dietrichs Bestreben, unsere Welt der Gemeindegründung zu nehmen, sie auf den Kopf zu stellen, um uns dann aus einem etwas anderen Blickwinkel zu fragen: „Habt ihr euch jemals vorgestellt, wie es wäre, einmal auf diese Weise Gemeinden zu gründen?”

Es handelt sich hier um ein relativ ungewöhnliches Buch über Gemeindegründung. Dietrich wirft schwierige Fragen auf, gibt aber keine einfachen Antworten. Gerade in Zeiten, in denen es uns gelegen kommt, „die Dinge einfach so zu machen, wie wir sie immer getan haben“, bietet uns Dietrich die Perspektive eines Andersdenkenden an: Unsere Methoden müssen sich ändern, um dem Wandel der Zeit gerecht zu werden. Er selbst sagt: „Dies ist nicht einfach noch ein weiteres Buch zu dem Thema, wie Gemeindegründung funktioniert. Es ist ein Buch darüber, wie man auf unkonventionelle Weise Gemeinden gründet“. Shift bietet gebündelte Weisheit, brillant vermittelt durch einen begabten Schriftsteller. Er nimmt uns die Scheuklappen von den Augen und richtet unseren Blick darauf, wie Gemeinden gegründet werden sollten, indem er unsere Augen für bemerkenswerte neue Wege öffnet, auf denen Gott in der westlichen Welt am Wirken ist.

So einzigartig wie dieses Buch über Gemeindegründung, so besonders ist auch sein Autor. Mit Dietrich Schindler begegnet uns ein Vordenker und auch ein Praktiker, der mehrere Gemeinden gegründet hat. Er weiß, wie man etwas bei Null anfangen und ins Rollen bringen kann. Aber er kennt auch die Verantwortung, die mit der Leitung einer ausgewachsenen Gemeindegründungsinitiative für einen ganzen Gemeindebund einhergeht. Als Deutschamerikaner ist Dietrich damit vertraut, sich in der post-christlichen Kultur Europas zu bewegen und versteht aber gleichzeitig auch die Einzigartigkeit des amerikanischen Kontextes. Er ist ein Mentor, der es uns erlaubt, von seinen Erfolgen zu profitieren, sich aber nicht scheut, genauso ehrlich im Hinblick auf seine Kämpfe zu sein.

Ich glaube, es ist keine Übertreibung zu sagen, dass es nur wenige Menschen gibt, die die Autorität, Erfahrung und Begabung besitzen, ein derartiges Buch zu schreiben. Halte es in Ehren. Gib es an andere weiter. Sprich mit deinen Freunden darüber. Es ist ein erfrischend genialer Leitfaden für jene unter uns, die eine Leidenschaft für Gemeindegründung haben, aber damit kämpfen, Wege zu finden, wie sie die Sache angehen können.

Dave Ferguson

Visionärer Leiter von New Thing

Autor u. a. von „Hero Maker: Fünf grundlegende Prinzipien, wie Leiter andere zu wahrer Größe führen können“

Einleitung

Vor vielen Jahren war ich mit unserem vierjährigen Erich in einem Vorort von Frankfurt unterwegs. Mein Sohn saß auf dem Rücksitz. Das Auto, einen Fiat Panda, hatte ich mir von einem Mitarbeiter geliehen.

Weißt du, wie eine Kettensäge klingt, die auf Höchstleistung getrimmt ist? Ohne Übertreibung – ein 1980er Fiat Panda, mit hoher Drehzahl gefahren, klingt wie eine überdimensionale Kettensäge, die mit voller Kraft läuft. Der Lärm ist so ohrenbetäubend, dass man keine normale Unterhaltung führen kann. Zu allem Überfluss befindet sich der Motor beim Panda im hinteren Teil des Wagens und ist nur durch eine sehr dünne Wand vom Fahrgastraum getrennt. Erich saß genau auf der anderen Seite.

Ich war wohl in Gedanken versunken, als ich plötzlich von hinten aus dem Fahrzeug hörte, wie Erich schrie: „Schalten Papa, schalten!“ Einer der Gänge verursachte einen enormen Lärm. Das war zu viel für die Ohren meines kleinen Sohnes. Er wusste, wie man Abhilfe schaffen konnte: Papa musste schalten, damit das Auto in die Gänge kam und seine Ohren von dem quälenden Lärm erlöst wurden.

Level-5-Bewegung

Gemeindegründung ist in vielerlei Hinsicht wie Autofahren mit Schaltgetriebe. Um Geschwindigkeit aufzunehmen, müssen Leiterinnen und Leiter den Gang wechseln. Dabei wissen solide und erfolgreiche Gemeindegründerinnen und Gemeindegründer, wie man in beide Richtungen – nach oben und nach unten – schaltet, wenn die Umstände es erfordern, bevor der Motor zu kreischen beginnt.

Nach fünfunddreißig Jahren Gemeindegründung in Deutschland weiß ich das eine oder andere darüber, wann und wie man Veränderungen vornimmt. Betrachte die zwölf Kapitel dieses Buches wie die Gänge eines Schaltgetriebes, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten müssen.

Das, was du lesen wirst, wird dich Schritt für Schritt in die Veränderungen hin zur Level-5-Gemeindemultiplikation hineinnehmen. Effektive Gemeindegründerinnen und Gemeindegründer konzentrieren sich primär auf das Erntefeld (die Unerreichten), nicht auf die Scheune (die bereits Erreichten). Exponential hat uns gezeigt, dass Dienste, die nach den Prinzipien der Level-5-Gemeindemultiplikation aufgebaut sind, extrem selten sind. Dennoch glaube ich, dass dieses Ausmaß an Multiplikation die Zukunft für die Ausbreitung des Reiches Gottes ist. Um dorthin zu gelangen, bedarf es unkonventioneller Leiterschaft, neuer Paradigmen für die Praxis und eines Vorgehens, das in erster Linie darauf fokussiert ist, Menschen zu erreichen.

Ich schreibe dieses Buch, um mitzuhelfen, hinderlichen Denkweisen auf die Spur zu kommen. Mein Wunsch ist, es Veränderungen anzuregen, die zu einer Verbesserung in der Qualität und Quantität von Gemeindegründungen beitragen – hin zu einer Level-5-Bewegung.

Und jetzt lade ich dich ein, auf den Beifahrersitz zu springen. Schnall dich an und lass uns eintauchen in das schöne und aufregende Abenteuer, nicht nur Gemeinden zu gründen, sondern eine Bewegung von Level-5-Gemeinden ins Leben zu rufen.

Viel Spaß auf der Reise!

SHIFT 1 Von Organisatorisch zu Organisch

Oft versuchen wir mühevoll, durch Organisieren den Dingen Leben einzuhauchen, anstatt selbst lebensspendende Organismen zu sein.

E. Stanley Jones1

Wenn die Gründung neuer Gemeinden dazu führt, dass sich große Gruppen von Menschen versammeln, ist alles gut.

Ich wünschte von ganzem Herzen, wir würden nicht so denken. Und ich glaube, es ist an der Zeit, so mancher Wahrheit ins Auge zu sehen, denn diese weit verbreitete Vorstellung von Gemeindegründung führt uns in die Irre. Und sie beraubt Menschen der Möglichkeit, die Hoffnung des Evangeliums Jesu Christi zu entdecken – in einer Zeit, in der wir diese Hoffnung so dringend brauchen.

Wahrscheinlich hast du schon von „Größer-ist-besser“-Strategien zur Gemeindegründung gehört und von Organisationen, die ohne eine Start-up-Veranstaltung mit Hunderten von Menschen keine neuen Dienste ins Leben rufen. Meine 35-jährige Erfahrung in der Gemeindegründung hat mich jedoch gelehrt, dass Gemeindegründung, die zu Gemeindemultiplikation führt, nicht allzu viel mit großen Zahlen zu tun hat. Gemeindegründung bedeutet radikale, innere Veränderung. Was zählt, ist nicht, wie viele Menschen am Tag der Gründung erscheinen, sondern vielmehr, wie stark sie durch das Evangelium verändert werden.

Viele der heutigen Initiativen für Gemeindegründung sind ähnlich wie Unternehmen nach einem Modell konzipiert, bei dem das Augenmerk auf administrativer Leiterschaft und einer begabten Gründerin oder einem begabten Gründer liegt, die bereits wiedergeborene Gläubige darin unterweist, die Geburt einer neuen Gemeinde in die Wege zu leiten. Aber ich möchte die kühne Behauptung aufstellen, dass dies gar keine wirkliche „Geburt“ ist, denn organisieren sich hier nicht einfach nur Glaubende, die von einer anderen Kirche kommen, an einem neuen Ort? Darin besteht meiner Ansicht nach die Krise der gegenwärtigen Gemeindegründungsarbeit in der westlichen Welt: Gemeinden zu organisieren, ohne sie tatsächlich zur Geburt zu bringen.2

Mal sehen, ob dir folgendes Szenario bekannt vorkommt. Ein berufener und begabter Leiter inspiriert andere Christen dazu, eine neue Gemeinde zu gründen. Sie treffen sich regelmäßig, um zu beten, zu planen und eine Strategie zu entwerfen, mit der sie die neue Gemeinde ins Leben rufen wollen. Oft geht es darum, wie der Gottesdienst aussehen soll und welche Programme die Gemeinde anbieten möchte.

Ich vermute, dass du irgendwann in deinem Leben schon einmal Teil eines solchen Prozesses gewesen bist oder ihn sogar angeleitet hast. Wenn ja, hast du vermutlich festgestellt, dass Evangelisation und Jüngerschaft zu den vernachlässigten Stiefkindern des Projekts werden, weil Gemeindegründungsteams nun einmal instinktiv das tun, womit sie sich auskennen. In den meisten Fällen hängt das damit zusammen, wie die bestehenden Gemeinden arbeiten, aus denen die Teams kommen. Das Problem entsteht dann, wenn sie in die organisatorische Gemeindegründung verfallen – auf Kosten der organischen Gemeindegründung.

Ohne zu merken, was geschieht, reduziert die Leitung des neuen Projekts die Bedeutung von Gemeinde oft auf ein bestimmtes Ereignis. Gemeinde wird dementsprechend mit einem Gottesdienst gleichgesetzt. Dieser wiederum wird zur größten Triebfeder des Dienstes, was sich rasch in der Ausrichtung auf Zahlen, Spenden, Mitarbeitende, Technik und Eigendarstellung niederschlägt.

Es gibt noch einige andere zugrundeliegende Vorstellungen, die die Art und Weise beeinflussen, wie wir im Westen Gemeinden gründen. Schauen wir uns vier maßgebliche Denkweisen an.

• Die erste Annahme besteht im Stellenwert der Kontrolle. Wir müssen sehr gut organisiert und mit möglichst wenig Risiko vorgehen. Nichts darf dem Zufall überlassen werden. Das Geld, die Besetzung der einzelnen Aufgaben, die Schulung der Mitarbeitenden, die Musik, die Programme, die Werbung – alles muss aufeinander abgestimmt sein, um den Erfolg zu garantieren.

• Die zweite Annahme ist, dass die Sache großes Aufsehen braucht: „Je größer, desto besser.“ Also starten wir unsere Gemeinden mit einem Paukenschlag, denn wir denken, dass wir „keine zweite Chance haben, einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen“. Und dieser erste Eindruck – der Wow-Effekt – ist das, was zählt.

• Die dritte Annahme liegt in der Unabdingbarkeit der Professionalität. Bei dieser Art der Gemeindegründung können wir keine Dilettanten gebrauchen. Schließlich handelt es sich hier um eine ernstzunehmende Arbeit, die nur von theologisch gut ausgebildeten, adrenalinsüchtigen, hochbegabten Menschen bewältigt werden kann.

• Die vierte Vorstellung besteht in der Bedeutung des Images. Das Bild, das die Mitarbeiter auf der Bühne vermitteln, ist das, was die Menschen anzieht und sie immer wieder zurückkommen lässt. Rhetorische Brillanz, musikalische Exzellenz, technisches Können – das ist es, was die Leute wollen. Und was die Leute wollen, das liefern wir ihnen.

Worauf ich hier zu sprechen kommen möchte, ist die Frage nach der Substanz. Denn Pragmatismus mag eine große Anziehung entwickeln. Aber wenn wir unsere Bemühungen zur Gemeindegründung in die Hände des Gottes des Pragmatismus legen, müssen wir uns nicht wundern, wenn uns die Räder abfallen und der Wagen liegen bleibt. Für viele Leitende im Gemeindebau wird die Macht der Anziehung zum Opium ihrer Wahl (mehr Menschen bedeuten mehr Geld und Ressourcen). Fest steht: Das Mittel gegen diesen Pragmatismus ist Gebet. Und damit meine ich totale Hingabe an Gott, die Abhängigkeit von dem, der das Zepter in der Hand hält.

 

Ohne Zweifel, wenn wir Gemeinden gründen wollen, brauchen wir den Heiligen Geist! Sobald der Heilige Geist auf dem Fahrersitz Platz nimmt, geschehen außergewöhnliche und schöne Dinge. Wir geben die Kontrolle auf und sind demütig. Wir suchen das Antlitz des Vaters mehr als unseren Erfolg und investieren in Menschen, die nicht so perfekt sind. Und da wir wissen, dass der Heilige Geist der Herr der Lage ist, können wir auch mit misslichen Situationen besser umgehen.

Bei der Art von Gemeindegründung, die wir heutzutage praktizieren, tendieren wir in der Anfangsphase eher dazu zu versäumen, Menschen außerhalb der Gemeinde in die Nachfolge Jesu zu rufen. Stattdessen versuchen wir ein Kernteam von Glaubenden zu versammeln. Erst nachdem die Gemeindegründerin oder der Gemeindegründer eine Gruppe von höchst engagierten Menschen um sich geschart hat, wird mit der Evangelisation begonnen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es an der Zeit ist, sich darauf zurückzubesinnen, den Schwerpunkt wieder auf bekehrungsbasierte Gemeindegründungen zu legen, die organisch gewachsene Gemeinden hervorbringen.

Wie schaffen wir diese 180-Grad-Kehrtwende?

Sehen wir uns ein Modell an, das uns als Leitbild dienen kann. In den Tagen der Urchristen beruhten alle Gemeindegründungen von ihrem Wesen her darauf, dass Menschen zum Glauben fanden. Den Auftakt zum Dienst des Apostels Paulus als Gemeindegründer in Europa bildete ebenfalls eine Bekehrung zu Jesus Christus – die einer Frau namens Lydia (Apg 16,11-15). Bekehrung ging der Gemeindegründung voraus.

Dass Gemeinden organisch gegründet werden, heißt nicht, dass die Struktur in den Hintergrund gerät. Alle gesunden und wachsenden Organismen, seien es Pflanzen, Tiere, Menschen oder Gemeinden, brauchen Struktur, um sich zu entwickeln. Bei Gemeinden, die auf Bekehrung basieren, gibt die organische Entwicklung die jeweilige Struktur vor, die mehr Wachstum ermöglicht. Im Wesentlichen steht die Struktur im Dienste der Wiedergeburt von Menschen.

Biblische Hinweise für bekehrungsbasierte Gemeindegründung

Wenn wir die Apostelgeschichte durchlesen, fällt uns der Satz „… wuchs die Gemeinde an diesem Tag“ (Apg 2,41) ins Auge. Zu fünf verschiedenen Anlässen stoßen wir im Bericht des Lukas auf den griechischen Begriff prostithymi (was „hinzufügen“ oder „wachsen“ bedeutet). Mit dem Begriff brachte der Schreiber das Bekehrungswachstum zum Ausdruck, durch das die Gemeinde sich vergrößerte. Die Schrift zeigt uns immer wieder, dass die Gemeinde in Jerusalem eine Versammlung von Glaubenden war, die durch Bekehrungswachstum aufgrund der Predigt des Petrus in der Kraft des Heiligen Geistes ins Leben gerufen wurde.

Werfen wir einen Blick auf die folgenden zusammenfassenden Aussagen, die die frühen Gemeinden aus der Apostelgeschichte beschreiben:

• „Viele nahmen die Botschaft an, die Petrus ihnen verkündete, und ließen sich taufen. Durch Gottes Wirken wuchs die Gemeinde an diesem Tag um etwa dreitausend Personen“ (2,41).

• „Und jeden Tag rettete der Herr weitere Menschen, sodass die Gemeinde immer größer wurde“ (2,47).

• „Doch viele von denen, die die Botschaft der Apostel gehört hatten, kamen zum Glauben ´an Jesus`, sodass die Zahl der Christen auf etwa fünftausend anwuchs“ (4,4).

• „ Die Botschaft Gottes breitete sich immer weiter aus, und die Zahl der Jünger in Jerusalem stieg sprunghaft an. Auch zahlreiche Priester nahmen das Evangelium an und glaubten an Jesus“ (6,7).

• „Die Gemeinde in ganz Judäa, Galiläa und Samarien erlebte nun eine Zeit der Ruhe und des Friedens. Die Christen wurden im Glauben gefestigt und lebten in Ehrfurcht vor dem Herrn“ (9,31).

Auch die Kirche in Antiochien startete als eine Versammlung von Neubekehrten. Sehen wir uns Apg 11,19-21 an:

Die ´Christen`, die sich in der Verfolgungszeit nach dem Tod des Stephanus ´über ganz Judäa und Samarien hin` zerstreut hatten, zogen ´zum Teil` noch weiter und kamen bis nach Phönizien und Zypern und bis nach Antiochia, aber sie machten die Botschaft Gottes nach wie vor ausschließlich unter Juden bekannt. Doch einige von ihnen – Männer von Zypern und aus der Gegend von Zyrene – wandten sich, als sie nach Antiochia kamen, auch an die nichtjüdischen Einwohner der Stadt und verkündeten ihnen das Evangelium von Jesus, dem Herrn. Und Gott wirkte so mächtig durch sie, dass eine große Zahl ´Nichtjuden ihrer Botschaft` glaubte und sich dem Herrn zuwandte.

Die erste Gemeinde in Europa befand sich in Philippi. Auch sie wurde gegründet und wuchs aufgrund der Umkehr von Menschen zum Evangelium:

Am Sabbat gingen wir vor das Stadttor an den Fluss, wo wir eine jüdische Gebetsstätte vermuteten und dann auch tatsächlich einige Frauen antrafen, die sich dort versammelt hatten. Wir setzten uns zu ihnen und begannen mit ihnen zu reden. Eine dieser Frauen – sie hieß Lydia – war eine Purpurhändlerin aus Thyatira, die an den Gott Israels glaubte. Während sie uns zuhörte, öffnete ihr der Herr das Herz, so dass sie das, was Paulus sagte, bereitwillig aufnahm. (Apg 16,13-14)

So wurde die Gemeinde in Philippi geboren, die im Mittelpunkt des bedeutenden Briefes Paulus’ an die Philipper steht.

Die Gemeinden in Jerusalem, Antiochien und Philippi wurden alle auf der Basis von Bekehrungen ungläubiger Juden und Heiden zur Erlösung durch Jesus Christus gegründet. Was können wir aus diesen Berichten lernen? Wir sehen, dass Wachstum durch Bekehrungen ein Geschenk Gottes ist. Wenn Menschen zum Glauben an Jesus Christus kommen, dann geschieht dies durch das Wirken des Heiligen Geistes im Leben der Zuhörenden. In seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth bringt Paulus diese Wahrheit auf den Punkt, indem er schreibt: „Auf wen kommt es denn nun an? Doch nicht auf den, der pflanzt, oder auf den, der begießt, sondern auf den, der das Wachstum schenkt, auf Gott.“ (1Kor 3,7). Gott betraut einen menschlichen Boten mit der Botschaft des Evangeliums, um Menschen zur Umkehr zu führen.

Was im neutestamentlichen Zeitalter die Regel war, gilt in der heutigen Gemeindegründungspraxis eher als Besonderheit. Warum?

Fünf Hindernisse für bekehrungsbasierte Gemeindegründungen

Nach meiner Erfahrung gibt es fünf Gründe, warum wir die Bekehrung von Menschen zu Christus nicht als Anlass für die Gründung neuer Kirchen ansehen. Schauen wir uns jeden einzelnen an.

1 Die Menschen, die wir zu erreichen versuchen, sind bereits zu Jüngern gemacht worden

Das Denken und Verhalten derer, die wir zu erreichen versuchen, ist bereits durch die umgebende Kultur geprägt. In unserem Kontext in Europa bedeutet dies die Befreiung vom Zwang der Religion zur Wahl nach persönlichen Vorlieben. Das Nützliche, also alles was für mich nach Maßgabe meines aufgeklärten Verstandes am besten funktioniert, ist Trumpf. Im Allgemeinen führt dies zu einer Art wohlwollendem Narzissmus: dem Streben, ein freundlicher Mensch zu sein, dessen wahres Interesse aber in der Selbstentfaltung liegt. Die absolute Wahrheit ist ein Allheilmittel, das ins Mittelalter verbannt wurde, als die Kirche darüber noch als einzige die Verfügungsgewalt hatte.

Heute gibt es viele Wahrheiten, die auf persönlichen Vorlieben beruhen. Die Wahrheit ist also zur Privatsache geworden. Wir sind zum Einkaufen unterwegs in einem „zusammengewürfelten Markt des Wissens“. So bezeichnet der Soziologe Bryan Wilson dieses Phänomen.3 Die größte Sünde in der säkularen europäischen Kultur ist Intoleranz: zu wagen, einer anderen Person zu sagen, dass es falsch sein könnte, an ihrer Auffassung von „Wahrheit“ festzuhalten.

Auch weltliche Menschen leben eine Form von Spiritualität (man muss sich nur die Beliebtheit von Ikonen wie Oprah Winfrey ansehen). Säkulare Spiritualität ist eine Art von individualisierter, konsumorientierter Spiritualität. Der Soziologe Christian Smith beschreibt sie als Moralistisch-Therapeutischen Deismus (MTD): „moralistisch“ = Gott will, dass ich ein guter Mensch bin und kein Idiot; „therapeutisch“ = Gott oder die Religion sollen mir helfen, mich gut zu fühlen; „Deismus“ = Gott ist ein Konzept, mit dem wir unser Leben schmücken, aber kein Akteur, der wirklich etwas tut.4

Wir leben in einer Zeit, in der die meisten Menschen glauben, dass sich das Leben auch gut ohne Gott leben lässt. Indem sie ihn vernachlässigen, verleihen sie ihrer Überzeugung Ausdruck, dass unsere eigene Wirkmacht und Agenda ausreicht, um die Menschheit zum Blühen zu bringen. Der Soziologe Adam Seligman hat den Begriff „Modernity’s Wager“ (Wette der Moderne) geprägt, um das Streben nach diesem guten Leben (dem gesegneten Leben) ohne Gott in seinen Grundlagen zu beschreiben.5 Der Kapitalismus wird zum Kontext, in dem das Selbst (das soziale Leben) bereichert wird,e ohne dass Gott die Quelle von Wohlstand und Güte ist.