Frankfurter Kreuzigung

Text
Aus der Reihe: Mandelbaum-Reihe #3
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Frankfurter Kreuzigung
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Dieter Aurass

Frankfurter Kreuzigung

Gregor Mandelbaums 3. Fall

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Titel

Widmung

Statement

Vorwort ...

Prolog

Tag 1 (Montag) - Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Tag 2 (Dienstag) - Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Tag 3 (Mittwoch) - Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Tag 4 (Donnerstag) - Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Nachwort des Autors

Danksagung

Weitere Bücher von Dieter Aurass

Impressum neobooks

Titel

Dieter Aurass

Frankfurter Kreuzigung

Gregor Mandelbaums 3. Fall

Kriminalroman

In einer Kirche in Frankfurt wird die gekreuzigte und entmannte Leiche des dortigen Pfarrers entdeckt. Schnell stellt sich heraus, dass es zahlreiche Personen gibt, die den Pfarrer am liebsten hätten ermorden wollen. Die Mordkommission II des PP Frankfurt um Gregor Mandelbaum ermittelt in verschiedene Richtungen. Es tauchen zahlreiche Verdächtige auf und auch die nächste Leiche lässt nicht lange auf sich warten.

Die Spur führt in eine Richtung, die niemand aus dem Team erwartet hätte.


Dieter Aurass wurde 1955 in Frankfurt am Main geboren und ist dort aufgewachsen. Nach dem Abitur begann er seine 41 Jahre andauernde Karriere bei der Polizei. 30 Jahre lang war er Ermittler des Bundeskriminalamtes in den Bereichen Terrorismusbekämpfung und Spionageabwehr. Die letzten elf Jahre seiner Polizeikarriere arbeitete er im IT- Management der Bundespolizei.

Seit vier Jahren schreibt er Kriminalromane. Dieter Aurass ist seit 33 Jahren verheiratet und lebt mit seiner Frau und einer Boston-Terrier-Hündin in Mülheim-Kärlich bei Koblenz am Rhein.


Bisherige Veröffentlichungen:

Frankfurter Schattenjagd (2018) GMEINER-Verlag

Verborgen – eine Villa, zwei Nächte, drei Einbrecher (2107) HEIN-Verlag

Frankfurter Blutspur – Mandelbaum 2 (2017) GMEINER-Verlag

Transplantierter Tod (2017) NeoPubli

Frankfurter Kaddisch – Mandelbaum 1(2016) GMEINER-Verlag

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© 2018 – NeoPubli Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2018

Umschlaggestaltung: Dieter Aurass ©

Printed in Germany ISBN

Widmung

Für Ellen ...


und für all die vielen Menschen,

die in den Kirchen, gleich welche Konfession,

und in deren Umfeld so viel für andere Menschen leisten.

Statement

Ich bin religiös.

Ich bin gläubig.

Ich bin praktizierender Katholik.

Aber ich bin auch Realist genug, um zu wissen:

Kein noch so guter Hirte könnte verhindern, dass sich in seiner Herde braver Schafe nicht auch ein paar böse Wölfe verstecken.

Dieter Aurass

im Januar 2018

Vorwort ...

... für all diejenigen, denen die ersten beiden Bücher um Hauptkommissar Gregor Mandelbaum bisher nicht bekannt sind.

Was bisher geschah ...

Der junge Hauptkommissar Gregor Mandelbaum ist der Spross einer jüdischen Frankfurter Bankerfamilie. Er hat mit 5 Jahren seine Eltern bei einem Autounfall verloren und wuchs bei seinem Onkel auf, der die Mandelbaum-Bank leitete.

Gregor ist ein Wunderkind mit hohem IQ und einer Erbkrankheit, einer leichten Form des Asperger-Syndroms. Dies bewirkt, dass er die Gefühle anderer Menschen nicht erkennt und nicht nachvollziehen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass er aufgrund seiner Krankheit immer absolut ehrlich ist, wodurch er viele Menschen verletzt.

Zur Kompensation seiner Schwächen hat er sich eine Fähigkeit angeeignet: Das Erkennen der Mikroausdrücke im Gesicht seines Gegenübers, an denen er die Emotionen ablesen kann und somit ohne den geringsten Zweifel erkennt, ob jemand die Wahrheit sagt oder lügt.

Als mehrere ältere jüdische Frankfurter Bürger ums Leben kommen, wird er und sein Team eingeschaltet. Im Zuge der Ermittlungen lernt er die Rechtsmedizinerin Dr. Sonja Savoyen kennen, für die er unerwartete Gefühle entwickelt.

Die Ermittlungen führen zu Verbrechen seiner Familie in der Vergangenheit, sein Onkel kommt ums Leben und die Villa der Familie brennt bis auf die Grundmauern nieder.

Im zweiten Band führen Gregor und Sonja bereits eine On-Off-Beziehung mit gelegentlichen Schwierigkeiten, die vor allem in seinem oft seltsam erscheinenden Verhalten begründet sind. Die Handlung dreht sich um die Morde an ukrainischen und russischen Prostituierten, Ermittlungen im Rotlicht-Milieu und eine verletzte Kinderseele, die furchtbare Rache übt.

Am Ende des zweiten Romans kommt ein Kollege aus Gregors Team, Hauptkommissar Dieter Alsmann, auf tragische Weise ums Leben.

Prolog

Er benutzte den Seiteneingang zur Sakristei, um die Kirche zu betreten, wie er es jeden Morgen tat, wenn er aufschloss. Es war inzwischen Routine, fast wie ein Ritual, das er nun schon seit über fünf Jahren täglich vollzog.

Die Gefahr, dass er etwas vergaß, bestand eigentlich nicht, denn er bewegte sich langsam und mit Bedacht durch die Sakristei und kontrollierte sorgfältig das Vorhandensein aller notwendigen Gegenstände für die bevorstehende Messe. Das war seine Aufgabe als Küster der St. Agnes Kirche in Frankfurt-Höchst.

Dann verließ er den Raum und begab sich in Richtung Altar, machte seinen Kniefall davor, bekreuzigte sich und drehte sich um in Richtung Hauptportal. Dabei fiel sein Blick auf die riesige fast schwarze Pfütze unter der Kanzel, die von der rechten Seite in den Raum hineinragte.

 

Verdammt, was ist denn das schon wieder für eine Schweinerei? Hoffentlich ist das kein Öl, das krieg ich ja nie wieder sauber.

Aber wo sollte hier mitten in der Kirche Öl herkommen, fragte er sich und runzelte überlegend die Stirn. Und warum unterhalb der Kanzel? Da oben gab es nichts, was irgendeine Flüssigkeit hätte verlieren können.

Langsam näherte er sich der Pfütze. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sie sich farblich als eher dunkelrot und nicht schwarz. Er ging nicht direkt unterhalb der Kanzel durch, da ihr unteres Ende lediglich einen Meter fünfzig über dem Kirchenboden lag, sondern umrundete sie, wobei sein Blick nach wie vor auf die rätselhafte Pfütze gerichtet war. Erst als er zur Hälfte um die Kanzel herumgegangen war, fiel ihm aus dem Augenwinkel der Schatten auf, der den Blick auf die hohen Seitenfenster verdeckte.

Erschrocken sah er auf - und wich hastig und laut schreiend zurück. Er stolperte über seine Füße und setzte sich hart und schmerzhaft auf seinen Hintern. Dennoch hörte er nicht auf, sich nun auf dem Hosenboden rutschend immer weiter von der Kanzel zu entfernen, bis er mit dem Hinterkopf gegen eine Kirchenbank stieß. Der Schmerz wurde ihm kaum richtig bewusst, so entsetzlich war das, wovon sein Blick sich nicht lösen konnte.

An der Außenseite der Kanzel hing, in der Position des gekreuzigten Jesus, Pfarrer Bock. Er hatte seine beige Soutane an, die jedoch im unteren Drittel rot verfärbt war.

Trotz seines Entsetzens und des schrecklichen Anblicks kam er nicht umhin, in Gedanken aus der Verfärbung der Soutane auf den Ursprung der Pfütze unter dem Pfarrer zu folgern.

Das muss Blut sein, kein Öl, schoss ihm sofort die Erklärung durch den Kopf. Im nächsten Moment schämte er sich unsäglich, denn sein zweiter Gedanke dazu war, dass er nicht wusste, wie gut sich Blutflecken von diesem Untergrund entfernen ließen.

O Gott, vergib mir. Wie kann ich in einem solchen Moment nur an so etwas denken?

Dann besann er sich trotz seiner Verwirrung auf das Wesentliche, fummelte mit zitternden Fingern sein Handy aus der Tasche und rief den Notruf an.

Als zehn Minuten später der Notarztwagen mit Blaulicht und Sirene vor dem Hauptportal vorfuhr, hatte er die Tür aufgesperrt und stand rauchend und noch immer am ganzen Körper zitternd auf der Vortreppe des Kircheneingangs. Den zwei aus dem Wagen springenden jungen Männern rief er schon von oben herab entgegen: »Engel ... Friedrich Engel ... ich bin der Küster, ich hab sie angerufen ... bitte, der Herr Pfarrer ist da drinnen, ich wusste nicht, was ich machen soll!«

Dabei hielt er die Tür auf und ließ die beiden an sich vorbeistürmen. Inzwischen hatte er allerdings seine Nerven wieder so weit im Griff, dass die Neugier siegte und er langsam und vorsichtig hinter den beiden die Kirche wieder betrat. Er wollte nun doch wissen, was mit seinem Pfarrer geschehen sein mochte.

Er näherte sich wieder durch den Hauptgang der Kanzel und konnte sehen, dass die beiden Notärzte oder Sanitäter oder was auch immer sie waren, sich inzwischen getrennt hatte. Einer war um die Kanzel herum die leicht gewendelte Treppe hinaufgegangen und fühlte von oben, über den Rand reichend, den Puls von Pfarrer Dr. Bock. Der andere kniete unten neben der riesigen Pfütze und hatte gerade einen Finger in die Mitte getunkt, den er langsam nach oben zog. Ein zäher, roter Faden hing von dem Finger herunter.

»Nö, kein Puls«, erscholl es von der Kanzel.

»Hätt mich auch gewundert«, rief der Fingertunker nach oben, »das Blut ist fast schon geronnen und bei der Menge hier, kann nicht mehr viel in ihm drin sein.«

»Er ist auch schon ziemlich kalt«, berichtete der Erste, als er langsam wieder die Treppe herunterkam. »Also kein Grund zur Eile, das ist eindeutig ein Fall für die Kripo. Hier gibt’s nix zu retten, höchstens zu ermitteln.«

Während der Zweite sich die blutverschmierten Handschuhe auszog, hatte Nummer eins schon das Handy am Ohr und berichtete offensichtlich seiner Zentrale. Nummer zwei zog sich frische Handschuhe an und näherte sich vorsichtig der Leiche.

»Was hast du vor?«, fragte Nummer eins nach Beendigung seines Telefonats.

»Ich will doch mal sehen, was das für eine Verletzung ist, woraus der arme Herr Pfarrer«, er warf einen kurzen Seitenblick auf Friedrich Engel, »so stark geblutet hat.«

Das wiederum interessierte den Küster allerdings auch, was ihn veranlasste, noch ein wenig näher heranzutreten, während der Sanitäter den unteren Rand der blutdurchtränkten Soutane anfasste.

»Pass nur auf, oder die Heinis von der Kripo lynchen dich, weil du einen Tatort versaut hast«, rief sein Kollege.

»Ja, ja ... ich pass schon auf.« Vorsichtig und darauf bedacht, nicht in die Blutlache zu treten, zog er das blutdurchtränkte Kleidungsstück zu sich heran und hob es langsam hoch. Das Erste, was sichtbar wurde, waren die nackten Füße des Pfarrers, die vollkommen rotgefärbt vom Blut waren.

Wieso hat er denn keine Schuhe an?, fragte sich Engel und sah mit Erschrecken, als der Sanitäter die Kleidung noch höher hielt, dass Pfarrer Bock auch keine Hose anhatte. Er konnte nun die rot gefärbten Beine bis kurz übers Knie sehen. Der Sanitäter hob weiter an und beugte sich ein wenig nach vorne, um leichter unter die Soutane schauen zu können.

Im nächsten Moment ließ er mit einem erschrockenen »Ach du heilige Scheiße!« den Saum los und machte einen Satz rückwärts weg von der Leiche.

»Was ist los?«, fragte sein Kollege neugierig. »Was hast du entdeckt?«

Der neugierige Sanitäter atmete mehrfach stoßartig ein und aus und Engel war nun wirklich gespannt, was er berichten würde.

»Dem haben sie ... der hat keinen ... äh«, sein Blick fiel auf Engel, der aufmerksam lauschend direkt neben seinem Kollegen stand. »Ach was ... das möchtest du wirklich nicht wissen ... und Sie schon gar nicht!«, fuhr er den Küster an. »Sehen Sie zu, dass sie hier rauskommen, und warten Sie draußen auf die Polizei. Die werden sich noch mehr mit Ihnen beschäftigen als Ihnen lieb ist. Und bis dahin seien Sie froh, wenn Sie nichts wissen.«

Das regte den Widerspruchsgeist in Engel an. Er war zeit seines nun einundsechzig Jahre währenden Lebens nicht der Typ gewesen, der sich von irgendjemandem Vorschriften hatte machen lassen. Erst recht nicht, wenn er der Meinung war, Anspruch auf etwas zu haben. Inzwischen hatte er sich auch von seinem ersten Schreck soweit erholt, dass er wieder zu seinem streitbaren Selbst gefunden hatte.

»Na hören Sie mal«, protestierte er, »ich hab ihn schließlich gefunden, da kann ich ja wohl verlangen ...«

Noch während er sprach, hatte er sich langsam der Pfütze genähert und nun ebenfalls an den Rocksaum der Soutane gefasst. Er zog ihn schnell nach oben und warf einen Blick darunter.

Als er drei Minuten später auch den letzten Rest seines ausgiebigen Frühstücks hinter die erste Bankreihe erbrochen hatte, klopfte ihm einer der Sanitäter leicht auf den Rücken. »Sehen Sie, das haben Sie davon. Die Kripo wird hellauf begeistert sein, dass sie hierhin gekotzt und damit den Tatort verunreinigt haben. Herzlichen Glückwunsch.«

Das war allerdings Friedrich Engels kleinstes Problem. Er machte sich keine Gedanken, was die Polizei dazu sagen würde, dass er so neugierig gewesen war. Sein ganzes Denken kreiste nur um die Frage, ob er den schrecklichen Anblick dieses Lochs, an dem sich sicherlich einmal die Genitalien seine Chefs befunden hatten, jemals wieder würde vergessen können oder er nun sein restliches Leben lang von Albträumen geplagt werden würde.

Tag 1 (Montag) - Kapitel 1

So hatte Klaus Braake seinen Chef bisher noch nie gesehen. Gregor Mandelbaum, der Leiter der Mordkommission II des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main, wirkte so unsicher und verstört, dass er sich nicht erklären konnte, was dafür die Ursache sein könnte.

Der einundvierzigjährige Computerspezialist der Mordkommission, war sich unschlüssig, wie er sich diesbezüglich verhalten sollte. Er blickte sich in dem weiten Rund der Kirche um, die inzwischen von hektischer Betriebsamkeit erfüllt war. Uniformierte Beamte, die kreuz und quer Absperrband aufzogen, die Kollegen von der Spurensicherung, die in ihren weißen Einwegoveralls immer wie Maler und Lackierer aussahen und eifrig dabei waren, irgendwelche kleinste Teile vom Boden aufzuklauben, der Fotograf, der alles von allen Seiten in Bildern festhielt, und natürlich seine Kolleginnen und der Chef der MK. Jeder wusste normalerweise, was er zu tun hatte, lediglich Gregor stand diesmal ziemlich hilflos und ohne etwas zu tun, in der Mitte des Raumes.

Als die Haupteingangstür sich öffnete, fiel ein Sonnenstrahl durch die Öffnung und Gregors Gesichtszüge entspannten sich sichtlich erleichtert nach einem kurzen Blick dorthin. Braake ahnte, wer da gerade gekommen war, noch bevor ein Blick zur Tür seine Vermutung bestätigte. Es handelte sich um die Rechtsmedizinerin Dr. Sonja Savoyen, die Lebensgefährtin seines Chefs.

Schmuddel, wie fast alle den auf Reinlichkeit und saubere Kleidung keinen Wert legenden Computerfreak nannten, winkte der attraktiven jungen Frau kurz zu. Sie winkte zurück und eilte dann auf direktem Weg zu Gregor Mandelbaum. Dem war die Erleichterung anzusehen und Schmuddel hatte den Verdacht, dass seine Verstörung mit seiner Erbkrankheit zu tun hatte.

Er arbeitete nun seit fast zwei Jahren mit dem erst 30 Jahre alten Leiter der MK II zusammen und kannte inzwischen seine Lebensgeschichte im Detail. Gregor litt unter einer leichten Form des Asperger-Syndroms, einer erblich bedingten Entwicklungsstörung. Diese äußerte sich dadurch, dass er nicht wie normale Menschen Emotionen zum Ausdruck brachte oder automatisch auf Emotionen seiner Mitmenschen reagierte. Er handelte und dachte weitestgehend logisch und nüchtern. Dazu kam die erschreckende und oft schonungslose Offenheit und Wahrheitsliebe eines Logikers, der nichts beschönigte oder verniedlichte. Auf seine Umwelt wirkte er deshalb meist arrogant, besserwisserisch und oft verletzend.

Schmuddel hatte schon oft am eigenen Leib erfahren müssen, wie seine manchmal gedankenlos geäußerten Bemerkungen von Gregor verbessert, richtiggestellt und im Detail erläutert worden waren.

Er hatte sich inzwischen den beiden genähert und war nun in der Lage, ihre leise geführte Unterhaltung mitzuhören.

»Ich weiß einfach zu wenig über den katholischen Glauben, die Regeln in dieser Kirche und die Abhängigkeiten in der Hierarchie der Kirche und deren Auswirkungen«, hörte er Gregor gerade sagen.

»Mach dir darüber keine Gedanken«, erwiderte Sonja, die ihm die Hand wie beruhigend auf den Arm gelegt hatte. »Das ist auch nur ein Verein wie jeder andere, mit ganz speziellen Regeln, Sitten und Gebräuchen. Du bist nicht der Einzige, der sich diesbezüglich nicht wirklich gut auskennt.«

»Aber ich habe überhaupt keine Grundlage für die Auswahl des richtigen Verhaltens in dieser Umgebung. Ein solches Wissensdefizit kann ich durch nichts ausgleichen. Ich muss mir unbedingt die entsprechenden Informationen anlesen, bevor ich hier auch nur eine einzige fundierte Entscheidung treffen kann.«

In diesem Moment fiel es Schmuddel wie Schuppen aus seinen fettigen Haaren. Natürlich! Gregor war ja Jude, da lag es nahe, dass er keine detaillierten Informationen über die katholische Kirche hatte.

Ihm wurde gleich darauf bewusst, dass er ebenfalls nicht über große Kenntnisse verfügte, was die unterschiedlichen Glaubensrichtungen der christlichen Kirchen anging. Allerdings war es ihm sowieso grundsätzlich egal, wie man sich in welcher Umgebung richtig verhielt. Es hatte ihn auch noch nie gekümmert, was andere von seinem Äußeren oder seinem Verhalten hielten. Ich bin, wer ich bin - das war schon immer seine Devise gewesen. Seine Fähigkeiten und Wissen über die Informationstechnologie und die Gewinnung von Erkenntnissen aus Computersystemen machten ihn aus. Dafür wurde er geachtet, und wenn nicht, dann von den Meisten zumindest geduldet. Man brauchte ihn und deshalb konnte er sich manches herausnehmen, wobei andere Menschen in der Arbeitswelt erhebliche Schwierigkeiten bekommen hätten.

Da hat er sich aber ganz schön was vorgenommen, wenn er auf die Schnelle den Katholizismus begreifen lernen will, dachte er amüsiert. Dann fiel ihm aber ein, dass Gregor in mehr als nur einer Beziehung ein Wunderkind war. Er hatte mit fünfzehn Abitur gemacht und mit achtzehn ein Studium der Psychologie abgeschlossen. Danach war er zur Polizei gegangen, hatte während seiner Grundausbildung nebenher Jura studiert und war seit fast zwei Jahren der jüngste Leiter einer Frankfurter Mordkommission, den es je gegeben hatte. Ihm kam auch zugute, dass er über ein fotografisches Gedächtnis verfügte, was inzwischen jedem Mitglied des Teams bekannt war.

 

Na ja, vielleicht braucht er dann doch nicht so lang und ist uns wieder mal meilenweit voraus.

»Hallo Sonja«, begrüßte er die hochgewachsene schlanke Blondine, die ihn immer wieder an die junge Brigitte Nielsen erinnerte.

»Hi Schmuddel. Kann ich mir denn die Leiche schon mal genauer ansehen, bevor sie bei mir in der Rechtsmedizin landet?«

»Na klar«, entgegnete Schmuddel gönnerhaft, »der liegt inzwischen schon da hinten am Rand. Den eigentlich interessantesten Akt hast du allerdings schon verpasst.« Er sah ihren verständnislosen und fragenden Blick und reagierte sofort. »Ich meine das Abhängen von unserem Ersatz-Jesus. Das kannst du dir gar nicht vorstellen, wie kompliziert das war. Der war doch tatsächlich richtig fest an die Kanzel genagelt worden. Da hat es sechs Mann auf drei Leitern gebraucht, um die Nägel rauszuziehen und ihn gleichzeitig nicht einfach runterfallen zu lassen.« Er lachte kurz auf, bis er den nun leicht verärgert wirkenden Blick von Sonja bemerkte.

»Ich wäre an deiner Stelle ein bisschen vorsichtiger mit meinen flapsigen Bemerkungen, mein Lieber. Ob das hier in dieser Umgebung bei jedem so wirklich gut ankommt, wage ich zu bezweifeln«, äußerte sie in einem eisigen Tonfall. »Du solltest ein wenig Rücksicht darauf nehmen, wo wir hier sind. Das ist immer noch eine Kirche und ein toter Pfarrer bedeutet meiner Einschätzung nach eine große Aufmerksamkeit durch die Medien.« Sie schaute sich in der Halle um. »Du willst doch sicher nicht, dass morgen deine respektlosen Äußerungen in der Klatschpresse stehen, weil ein Sanitäter oder ein herumstehender Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmers deine Bemerkungen hört und sie brühwarm an einen Pressevertreter weitergibt, oder?«

Schmuddel sah ein, dass er vielleicht ein wenig zu locker über den Vorfall geredet hatte. Er nahm sich vor, bis zur Rückkehr ins Präsidium ein wenig mehr auf seine Wortwahl zu achten. »Du hast ja recht«, räumte er zerknirscht ein. »Ich reiß mich zusammen, versprochen.«

»Hast du denn niemanden zu befragen?«, mischte sich Gregor ein, der inzwischen hinzugetreten war.

»Ich weiß nicht«, meinte Schmuddel etwas unsicher und schaute sich um. »Jenny befragt grade den Typen, der unser Opfer gefunden hat, und Mutti und Irina stehen da drüben bei den beiden Sanitätern, die ja wohl noch vor der Polizei am Fundort waren. Ich frag mal, ob sich da schon was ergeben hat, und wen wir noch befragen könnten.«

Er wartete nicht ab, ob Gregor noch eine andere Aufgabe für ihn hätte, sondern schlenderte gemächlich in Richtung der Kolleginnen.

Seit dem Tod von Kriminalhauptkommissar Dieter Alsmann, vor etwas über einem halben Jahr, bestand das Team nun aus drei Frauen sowie dem Chef und ihm als einzige Männer. Als er näher an seine Kollegin Jenny Jung herantrat, die sich eifrig Notizen in ein kleines Büchlein machte, hörte er noch den Küster sagen: »Da kann ich nicht weiterhelfen, da müssen Sie schon die Pfarrgemeindesekretärin fragen. Das Fräulein Knecht hat seine Termine verwaltet. Die kann Ihnen das sicherlich alles sagen.«

Schmuddel musste sich eingestehen, dass er keine wirkliche Ahnung hatte, was ein Küster eigentlich genau für eine Aufgabe hatte, aber er würde den Teufel tun und das zugeben.

Als Jenny ihn bemerkte und von ihren Notizen aufblickte, musste er zum tausendsten Mal daran denken, wie überrascht er gewesen war, als die inzwischen Dreiundzwanzigjährige dem Team offenbart hatte, dass sie und die Kollegin Irina Petrowska ein Paar waren. Es war ihm heute noch peinlich, wie belämmert er gewirkt haben musste, als er in seiner Verwirrung herumgestammelt hatte: »Wie? ... Paar? ... Was meinst du ...?«

Alle anderen hatten laut gelacht und ihm war überdeutlich klar geworden, dass er bis zu diesem Moment wohl als Einziger noch nichts von der lesbischen Beziehung der beiden mitbekommen hatte.

Was für eine Verschwendung, dachte er wie so oft, wenn er eine von beiden sah. Jenny war mittelgroß, blond mit einer Meg-Ryan-Frisur, sehr sportlich und durchtrainiert, Irina dagegen eine rassige Schwarzhaarige, der man ihre slawische Herkunft ansah. Mit ihrer langen, gelockten Mähne, der sehr weiblichen Figur und ihrem Hang zur Fröhlichkeit, war sie der fleischgewordene Männertraum.

Obwohl er sich niemals hätte Hoffnungen machen können, eine der beiden für sich zu gewinnen, empfand er es dennoch als extrem schade, dass beide nicht auf Männer standen.

»Kommst du mit?«, riss Jenny ihn aus seinen Tagträumen.

»Bitte?«

»Ich hatte gesagt, dass wir mit der Pfarrsekretärin sprechen sollten. Herr Engel war so nett, mir den Weg zu beschreiben. Kommst du nun mit oder nicht?«

»Selbstverständlich. Hier gibt es momentan ja eh nichts anderes zu tun.«

Jenny bedankte sich noch einmal bei dem Küster und gab ihm noch ein Kärtchen mit einer Telefonnummer, für den Fall, dass er nach diesem traumatischen Erlebnis psychologische Hilfe benötigte.

Schmuddel konnte ein Grinsen gerade noch unterdrücken. Erfahrungsgemäß meldeten sich keine zehn Prozent der Empfänger dieser Telefonnummer bei einem »Seelenklempner«. Es war vermutlich unter ihrer Würde, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber er wusste, dass viele an ihrer Entscheidung zweifeln würden, wenn die ersten Albträume kamen ... und sie würden kommen.