ÖkoDharma

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
ÖkoDharma
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

DAVID R. LOY

ÖKODHARMA

BUDDHISTISCHE PERSPEKTIVEN ZUR ÖKOLOGISCHEN KRISE

Aus dem amerikanischen Englisch

von Dennis Johnson


Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.edition-steinrich.de

Titel der englischen Originalausgabe: Ecodharma, Buddhist Teachings for the Ecological Crises

Erschienen bei: Wisdom Publications, 199 Elm Street, Somerville,

MA 02144, USA

© 2018 David R. Loy

Textgrundlage dieses eBooks ist die gedruckte Version des gleichnamigen Titels.

Alle Rechte vorbehalten

Copyright der deutschen Ausgabe: © 2021 edition steinrich, Berlin

Übersetzung: Dennis Johnson

Lektorat: Carl Polónyi

Umschlaggestaltung: Grafikbüro Dagmar Schadenberg, Berlin

Gestaltung und Satz: Traudel Reiß

Druck: Westermann Druck Zwickau

Printed in Germany

ISBN Print 978-3-942085-75-5

ISBN ebook 978-3-942085-76-2

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

Für Joanna Macy Bhikkhu Bodhi Guhyapati und alle anderen Ökosattvas

Es gibt eine schlechte Nachricht und eine gute Nachricht.

Die schlechte Nachricht:

Die uns bekannte Zivilisation geht bald zu Ende.

Und nun die gute Nachricht:

Die uns bekannte Zivilisation geht bald zu Ende.

– Swami Beyondananda (aka Steve Bhaerman)

INHALTSVERZEICHNIS

Anmerkung des Autors

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Einleitung: Am Rande des Abgrunds?

1Ist der Klimawandel das Problem?

2Ist die ökologische Krise auch eine buddhistische Krise?

3Was übersehen wir?

4Ist es das gleiche Problem?

5Was, wenn es zu spät ist?

6Was sollen wir tun?

Nachwort: Eine verlorene, verschwenderische Gattung?

Anhänge

1Jetzt ist die Zeit zum Handeln Eine buddhistische Erklärung zum Klimawandel

2Sechzehn Kernprinzipien des Dharma zum Thema Klimawandel

3Den Klimawandel ernst nehmen: Einfache, praktische Schritte

4Die Ökosattva-Gelübde

5Das Rocky Mountain Ecodharma Retreat Center

Danksagungen

Über den Autor

ANMERKUNG DES AUTORS

Die Leser*innen meiner anderen Bücher werden wahrscheinlich wissen, dass ich ein Freund von Zitaten bin. Eine kurz und knapp ausformulierte Einsicht ist etwas zum Genießen. Ich ermutige die Leser*innen dieses Buches dazu, sich Zeit zu nehmen, über die Zitate am Anfang jedes Kapitels zu reflektieren.

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

Das Coronavirus ist eine lebendige Offenbarung, die uns unbedingt etwas darüber sagen will, wer wir sind und welchen Platz wir im Universum einnehmen. Was es uns offenbart, ist für uns von entscheidender Bedeutung. Unser Überleben hängt davon ab, dass wir seine Botschaft entgegennehmen. – Paul Levy

Seit der Veröffentlichung der englischen Originalausgabe dieses Buches im Jahr 2019 hat sich die Welt dramatisch verändert – und zwar in einer Weise, welche die grundlegende Botschaft des Buches bekräftigt.

Es betont zu Beginn, dass der Klima-Notstand, so dringend er auch ist, nur die Spitze einer viel größeren ökologischen Krise ist. Sie stellt die größte Herausforderung dar, der sich die Menschheit je gegenübersah. In der Tat ist sie so groß und umfassend, dass es schwierig ist, die Implikation zu übersehen: Unsere mittlerweile globalisierte menschliche Zivilisation zerstört sich selbst. Sie muss sich von daher grundlegend verändern.

Innerhalb weniger Monate hat Anfang 2020 eine Reihe kaskadenartiger Krisen diese Botschaft auf vielfältige Weise verstärkt. Eine tödliche Viruspandemie hat auf der ganzen Welt inkompetente Regierungen mit ihren oft unzureichenden Gesundheitssystemen bloßgestellt (in den Vereinigten Staaten haben wir zum Beispiel kein nationales Gesundheitssystem, sondern nur eine fragmentierte Gesundheitsindustrie). Quarantänen und Lockdowns haben viele wirtschaftliche Aktivitäten gelähmt und die zunehmende Kluft zwischen reichen und armen Menschen in den meisten Ländern offengelegt und weiter verschärft; die globale Rezession kann sich zudem noch in einen weltweiten wirtschaftlichen Zusammenbruch verwandeln.

Dies ist eine extrem schwierige Zeit, aber sie bietet auch Hoffnung. Trotz aller Propaganda war die »alte Normalität« (jetzt für immer verschwunden) für die meisten Menschen nie wirklich gut, und schon gar nicht war sie es für den Rest der Biosphäre. Alle oben erwähnten Probleme, einschließlich der Pandemie, haben tiefe Wurzeln; neu ist, dass wir uns ihrer zunehmend bewusst werden. In den USA haben einige schreckliche Morde von Polizisten an Schwarzen – ebenfalls eine tief verwurzelte Praxis – in jüngster Zeit zu einer weit verbreiteten Empörung geführt und vielleicht bewirkt, dass das Krebsgeschwür des institutionalisierten Rassismus nun tatsächlich in Angriff genommen wird. Die Unterbrechung der wirtschaftlichen Aktivitäten hat sich eigentlich kaum auf die Kohlenstoffemissionen oder das Tempo anderer Umweltzerstörungen ausgewirkt, aber die Reaktion auf Covid-19 hilft uns zu erkennen, dass soziale Veränderungen recht schnell geschehen können, sobald sie als notwendig erachtet werden.

Diese Beispiele verdeutlichen die Herausforderung für unser kollektives Bewusstsein. Die ökologische Bedrohung an sich ist für die Menschheit hundert- oder tausendmal gefährlicher als die Pandemie, aber werden wir rechtzeitig aufwachen, um »angemessen zu reagieren« (wie Zen-Koans uns ermutigen)?

Es ist wahrscheinlich, dass das Coronavirus den Menschen über einen Zwischenwirt wie das Schuppentier infiziert hat. Solche Ausbrüche sind nicht zufällig; sie sind vorhersehbar. Der Exekutivdirektorin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen Inger Andersen zufolge sind sowohl die Covid-19-Pandemie als auch die anhaltende Klimakrise Botschaften aus der Umwelt: Die Menschheit übt zu viel Druck auf die Natur aus, mit schädlichen Folgen. Wenn wir es versäumen, uns um den Planeten zu kümmern, dann kümmern wir uns nicht um uns selbst, warnt sie. Auch wenn unsere unmittelbare Priorität darin bestehen müsse, die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, »muss unsere langfristige Antwort den Verlust an Lebensraum und biologischer Vielfalt bekämpfen. Noch nie zuvor gab es so viele Gelegenheiten für Krankheitserreger, von Wild- und Haustieren auf den Menschen überzugehen. Unser Verhalten, das zu einer anhaltenden Erosion der Wildnis führt, hat uns in eine beunruhigende Nähe zu Tieren und Pflanzen gebracht, die Krankheitserreger beherbergen, welche auf den Menschen überspringen können.«

Anderson betont, dass drei Viertel aller neu auftretenden Infektionskrankheiten auf den Kontakt mit Wildtieren zurückzuführen sind. Ebola, das respiratorische Syndrom des Mittleren Ostens (MERS), das schwere akute respiratorische Syndrom (SARS), das West-Nil-Virus und das Zika-Virus sind neben vielen anderen von Tieren auf Menschen übergesprungen. Die Weltgemeinschaft hatte einigermaßen Glück, ihre Ausbreitung eindämmen zu können, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis so etwas wie die Covid-19-Pandemie kommen würde – angesichts der fortgesetzten Erosion natürlicher Lebensräume, auf die sich Anderson bezieht. Nichtsdestotrotz ist das Grundproblem viel größer als solche Störungen, wie Vandana Shiva hervorhebt:

Neue Krankheiten entstehen, weil ein globalisiertes, industrialisiertes, ineffizientes Nahrungsmittel- und Landwirtschaftsmodell in den ökologischen Lebensraum anderer Arten eindringt und Tiere und Pflanzen manipuliert, ohne ihre Integrität und Gesundheit zu respektieren … Der gesundheitliche Notstand, für den uns das Coronavirus sensibilisiert, hängt mit dem Notstand des Aussterbens und Verschwindens von Arten zusammen, und er hängt mit dem klimatischen Notstand zusammen. Alle diese Notlagen wurzeln in einer mechanistischen, militaristischen, anthropozentrischen Weltsicht des Menschen, welche uns als ein von anderen Lebewesen, die wir besitzen, manipulieren und kontrollieren können, getrenntes und ihnen überlegenes Wesen begreift. Sie wurzelt auch in einem Wirtschaftsmodell, das auf der Illusion grenzenlosen Wachstums und grenzenloser Gier beruht und systematisch die Grenzen des Planeten sowie die Integrität von Ökosystemen und Arten verletzt.

 

Die Covid-19-Pandemie offenbart das Offensichtliche: Wir sind eins – ob es uns gefällt oder nicht. Das offenbart auch der Klima-Notstand und die größere ökologische Krise, aber offensichtlich nicht so dramatisch, dass wir der Lektion Beachtung schenken. Wenn die USA fossile Brennstoffe verheizen, sind die Kohlenstoffemissionen nicht durch nationale Grenzen zu beschränken. Wenn Japan Atommüll im Ozean entsorgt, bleiben diese Giftstoffe nicht in den japanischen Hoheitsgewässern. Dadurch wird ein Grundproblem unserer Ansammlung von mehr als zweihundert kleinen Göttern (Nationalstaaten) deutlich, von denen jeder für nichts Größeres als sich selbst verantwortlich ist, obwohl er direkt an seine Nachbarn angrenzt. Die ökologische Krise, die – wie die Pandemie – die heute vorherrschende sektiererische Agenda in Frage stellt, offenbart, dass unsere Schicksale untrennbar miteinander verbunden sind.

Aber Covid-19 erinnert uns auf eine weitere, noch grundlegendere Weise daran, dass wir alle eins sind: weil unsere Körper organisch eins sind mit der Erde. Um die Illusion des menschlichen Getrenntseins auszuräumen, versuchen Sie einfach mal, für einige Minuten nicht zu atmen oder für einige Tage kein Wasser zu trinken, und nehmen Sie wahr, was passiert. Jeder von uns ist Teil eines großen ganzheitlichen Systems, das durch uns zirkuliert. Darüber hinaus sagt uns die biologische Forschung, dass es in unserem Körper viel mehr Mikroben – Bakterien und Viren – gibt als eigene Zellen und dass die meisten von ihnen für unsere Gesundheit nicht nur nützlich, sondern essenziell sind.

Es ist an der Zeit, dass wir uns der größeren Auswirkungen bewusst werden. Der letztendliche Ursprung der Pandemie ist derselbe wie das, was dieses Buch als den letztendlichen Ursprung der ökologischen Krise identifiziert: unsere individuelle und kollektive Wahrnehmung des Getrenntseins von der Erde. Wenn wir nicht Wege finden, diese Täuschung und ihre gefährliche Konsequenz – unser Wohlergehen als vom Wohlergehen des Planeten getrennt zu sehen – anzugehen, sollten wir keine Zukunft erwarten, die uns glücklich macht.

Wir sind gewarnt worden …

Juli 2020 Boulder, Colorado

EINLEITUNG
AM RANDE DES ABGRUNDS?

Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass die Menschheit heute vor ihrer größten Herausforderung überhaupt steht: Neben aufkeimenden sozialen Krisen bedroht eine selbstverschuldete ökologische Katastrophe die Menschheit, wie wir sie kennen, und (nach Ansicht einiger Wissenschaftler*innen) vielleicht sogar das Überleben unserer Gattung. Ich zögere, dies als Apokalypse zu bezeichnen, weil dieser Begriff heute mit dem christlichen Millenarismus assoziiert wird, also der Hoffnung, dass nach dem Untergang eine lange währende paradiesische Zeit bevorstehe. Aber die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs ist sicherlich zutreffend: eine Apokalypse ist buchstäblich »eine Enthüllung«, die Offenbarung von etwas Verborgenem – in diesem Fall das Aufdecken der ominösen Folgen dessen, was wir der Erde und uns selbst angetan haben.

Traditionelle buddhistische Lehren helfen uns, als Einzelpersonen zu erwachen und unsere gegenseitige Abhängigkeit zu erkennen. Jetzt müssen wir auch prüfen, wie der Buddhismus uns dabei helfen kann, als Menschheit zu erwachen und auf diese Zwangslage einzugehen. Und welche Implikationen hat diese ökologische Krise für das heutige Verstehen und Praktizieren des Buddhismus? Das sind die Themen, die in diesem Buch erforscht werden.

Das erste Kapitel »Ist der Klimawandel das Problem?« bietet einen Überblick über unsere derzeitige Situation. Auch wenn die überwältigende Dringlichkeit des eskalierenden Klimawandels unsere ungeteilte Aufmerksamkeit und ernsthafte Anstrengung erfordert, müssen wir erkennen, dass das nicht das grundlegende Thema ist, mit dem wir heute konfrontiert sind. Denn die »globale Erwärmung« ist nur Teil einer viel umfassenderen ökologischen und sozialen Krise, die uns zwingt, über die Werte und die Ausrichtung unserer mittlerweile globalen Zivilisation nachzudenken. Das muss betont werden, da viele Menschen davon ausgehen, dass unsere Wirtschaft und Gesellschaft auch weiterhin in der gleichen Weise werden funktionieren können, wenn wir nur schnell genug auf erneuerbare Energiequellen umstellen. Wir müssen erkennen, dass der Klimawandel nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs ist, das dringendste Symptom eines Dilemmas, das tiefere Folgen hat.

Das Kapitel untersucht diese Folgen, indem es sich den aktuellen Geschehnissen widmet: den Ozeanen, der Landwirtschaft, den Grundwasserspeichern, den schwer abbaubaren organischen Schadstoffen, den nuklearen Unfällen, dem radioaktiven Abfall, der Weltbevölkerung und – aus buddhistischer Sicht besonders besorgniserregend – der Tatsache, dass wir uns bereits tief im sechsten großen Artensterben des Planeten befinden, in dem ein Großteil der Pflanzen- und Tierarten der Erde sehr schnell verschwindet. Und das ist lediglich eine Momentaufnahme. Diese Veränderungen treten so schnell ein, dass vieles von dem, was ich hier schreibe, wahrscheinlich schon überholt ist, wenn dieses Buch veröffentlicht wird. Sie können dieser Litanei Ihr eigenes »Lieblingsproblem« hinzufügen (wie wäre es mit dem Verschwinden der Bienenvölker?), aber es muss auch eine andere Dimension betont werden: die »Schnittmenge« dieser Umweltfragen mit Anliegen im Bereich der sozialen Gerechtigkeit, wie Rassismus, Ethnizität, Geschlecht, Neokolonialismus und Klasse. In jüngster Zeit ist es klarer geworden, dass die oben genannten ökologischen Probleme und die ungerechten und hierarchischen Strukturen vieler menschlicher Gesellschaften keine getrennten Themenbereiche sind. Die Widerstandsbewegung von Standing Rock 2016 in North Dakota, welche die »Wasserbeschützenden« der amerikanischen Ureinwohner mit nicht-indigenen Gruppen wie Kriegsveteranen zusammenbrachte, war ein Wendepunkt in der Konsolidierung dieser Bewegungen. In den letzten Jahren hat auch der Buddhismus in den USA begonnen, sich mit solchen Anliegen zu befassen, unter anderem mit dem Mangel an Vielfalt innerhalb unserer eigenen Gemeinschaften, den Sanghas. Das wird von einer wachsenden Anzahl Lehrender of Colour initiiert, die die relevanten sozialen Fragen viel besser diskutieren, als ich es in diesem Buch jemals tun könnte – darunter Mushim Ikeda, Zenju Earthlyn Manuel, Rod Owens und angel Kyodo williams.

Viele buddhistische Lehren könnten als Antwort auf die ökologischen Herausforderungen angeführt werden, aber dieses erste Kapitel konzentriert sich zunächst auf ein Thema, das auch in den späteren immer wieder auftauchen wird: das Problem von Mittel und Zweck. Die seltsame Ironie besteht darin, dass wir so besessen davon sind, unseren eigentlichen Schatz – eine gedeihende Biosphäre mit gesunden Wäldern und Böden, Seen und Ozeanen voller Wasserlebewesen, einer unverschmutzten Atmosphäre – auszubeuten und zu missbrauchen, nur um etwas zu maximieren, das an sich keinerlei Wert hat, nämlich digitale Ziffern auf Bankkonten. Da alle Volkswirtschaften der Welt hundertprozentige Tochtergesellschaften der Biosphäre der Erde sind, zerstört unsere Beschäftigung mit dem ständigen Anstieg von Produktion und Verbrauch nun die Ökosysteme unseres Planeten.

Ein weiterer wichtiger Faktor sollte nicht übersehen werden: Wir missbrauchen die Erde in dieser Art und Weise, weil unsere vorherrschende Weltanschauung der Natur gegenüber diesen Missbrauch mit Vernunft begründet. Unser kollektives (Un-)Verständnis dessen, was die Welt ist und wer wir sind, fördert dieses Besessensein von wirtschaftlichem Wachstum und Konsum. Es ist kein Zufall, dass die ökologische Krise hier und jetzt entstanden ist. Die meisten in diesem Kapitel diskutierten Probleme stehen nämlich in Zusammenhang mit einer fragwürdigen mechanistischen Weltanschauung, welche die Ausbeutung der natürlichen Welt ohne Vorbehalte legitimiert, weil sie weder der Natur noch dem Menschen einen ihnen innewohnenden Wert zuschreibt – da sie auch uns Menschen lediglich als komplexe Maschinen betrachtet. Das impliziert, dass die ökologische Krise mehr als ein technologisches, ökonomisches oder politisches Problem ist. Sie ist auch eine kollektive spirituelle Krise und ein möglicher Wendepunkt in unserer Geschichte.

Das bringt uns zum Thema von Kapitel 2: »Ist die ökologische Krise auch eine buddhistische Krise?« Die derzeitigen ökologischen und sozialen Herausforderungen übersteigen das persönliche Leiden, mit dem sich der Buddhismus herkömmlicherweise befasst hat, bei weitem. Daher ist es nicht überraschend, dass sich buddhistische Praktizierende und Institutionen dieser Themen nur langsam annehmen. Positiv ist aber anzumerken, dass der Buddhismus eindeutig das Potenzial hat, sich in diesem Bereich zu engagieren. Von Anfang an haben seine grundlegenden Lehren die Vergänglichkeit und Substanzlosigkeit aller Daseinsformen – einschließlich seiner selbst – betont. Der Buddhismus besteht allerdings nicht nur aus dem, was der Buddha lehrte, sondern auch daraus, was mit seinen Lehren begonnen und sich in der Folge weit über seine Geburtsstätte hinaus verbreitet hat und wie er mit anderen Kulturen interagiert hat. In China entwickelte sich beispielsweise der Chan-/Zen-Buddhismus 33 durch die gegenseitige Befruchtung von Mahayana-Buddhismus und dem einheimischen Daoismus. Heute aber stehen die buddhistischen Traditionen aus Asien vor der größten Herausforderung aller Zeiten, da sie in eine globalisierte, säkulare, hypertechnologisierte, postmoderne Welt hineinwirken, die sich möglicherweise gerade selbst zerstört.

Kritisch anzumerken ist, dass einige der traditionellen buddhistischen Lehren uns entmutigen, uns sozial und ökologisch zu engagieren. Wenn das spirituelle Ziel eine persönliche Befreiung ist, die darin besteht, nicht in dieser Welt von Leiden, Begehren und Verblendung wiedergeboren zu werden, warum sollten wir dann so besorgt sein über das, was hier geschieht? Im Gegensatz zu einer solchen jenseitigen Ausrichtung bezweifeln viele zeitgenössische Buddhist*innen jedoch die Existenz einer transzendenten Realität und misstrauen Karma in der Form eines moralischen Gesetzes von Ursache und Wirkung als Teil der Funktionsweise des Universums. Sie haben eine eher psychologische Auffassung des buddhistischen Weges, sehen ihn als eine Art Therapie, die neue Perspektiven auf psychischen Stress und neue Praktiken zur Förderung des Wohlbefindens in dieser Welt zu bieten hat. Obwohl der jenseitige Buddhismus (der darauf abzielt, dieser Welt zu entfliehen) und der diesseitige Buddhismus (der uns hilft, uns besser an sie anzupassen) wie gegensätzliche Pole erscheinen, teilen beide für gewöhnlich eine grundlegende Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen dieser Welt. Keiner von beiden ist sonderlich darum bemüht, dazu beizutragen, dass sie ein besserer Ort wird.

Es gibt auch ein alternatives Verständnis der wesentlichen Lehren des Buddhismus. Anstatt zu versuchen, diese Welt zu transzendieren oder uns besser an sie anzupassen, können wir erwachen und die Welt, einschließlich uns selbst, auf eine andere Art und Weise erfahren. Das beinhaltet die Dekonstruktion und Rekonstruktion unseres Selbstempfindens, unseres Selbstsinns oder (genauer gesagt) der Beziehung zwischen uns selbst und unserer Welt. Meditation dekonstruiert das Selbst, weil wir die gewohnten Gedanken-, Gefühls- und Handlungsmuster, aus denen es sich zusammensetzt, »loslassen«. Gleichzeitig wird unser Selbstsinn im täglichen Leben neu konstruiert, indem sich die wichtigsten Gewohnheitsmuster verwandeln: unsere Absichten, die nicht nur unsere Beziehung zu anderen Menschen beeinflussen, sondern auch die Art und Weise, wie wir sie und die Welt im Allgemeinen wahrnehmen. Kapitel 2 erforscht diese alternative Perspektive, indem es einen rätselhaften Ausspruch von Chögyam Trungpa untersucht: »Erleuchtung ist, wie aus einem Flugzeug zu fallen. Die schlechte Nachricht ist, dass es keinen Fallschirm gibt. Die gute Nachricht ist, dass es keinen Boden gibt.«

 

Wenn wir anfangen, aufzuwachen und zu erkennen, dass wir weder voneinander noch von dieser wundersamen Erde getrennt sind, begreifen wir, dass unser Zusammenleben und unsere Beziehung zur Erde ebenfalls rekonstruiert werden müssen. Das bedeutet nicht nur soziales Engagement als Einzelpersonen, die anderen Einzelpersonen helfen, sondern auch Wege zu finden, die problematischen wirtschaftlichen und politischen Strukturen zu thematisieren, welche die ökologische Krise und die Fragen der sozialen Gerechtigkeit hervorgebracht haben, mit denen wir heute konfrontiert sind. Letztlich sind die Wege der persönlichen und der sozialen Transformation nicht wirklich voneinander getrennt. Engagement in der Welt ist die Art und Weise, wie unser individuelles Erwachen erblüht und wie kontemplative Praktiken, zum Beispiel Meditation, unseren Aktivismus begründen und in einen spirituellen Weg verwandeln.

Die buddhistische Antwort auf unser ökologisches Dilemma ist ÖkoDharma, ein neuer Begriff für eine Weiterentwicklung der buddhistischen Tradition. Er verbindet ökologische Anliegen (Öko) mit den Lehren des Buddhismus und verwandter spiritueller Traditionen (Dharma). Was das tatsächlich bedeutet und welchen Unterschied das in unserem Leben und unserer Praxis macht, entfaltet sich zurzeit noch. Dieses Buch betont drei für mich herausragende Komponenten oder Aspekte: das Praktizieren in der Natur, das Erkunden der ökologischen Auswirkungen der buddhistischen Lehren und das Verkörpern dieses Verständnisses im heute notwendigen Ökoaktivismus.

Die Bedeutung von Meditation in der Natur wird oft unterschätzt, weil ihre Auswirkungen übersehen werden. Kapitel 3, »Was übersehen wir?«, widmet sich also der Frage, warum die spirituellen Transformationsprozesse von religiösen Gründerfiguren so häufig abseits der menschlichen Gesellschaft und in der Wildnis geschehen. Jesus ging nach seiner Taufe allein in die Wüste und fastete vierzig Tage und Nächte. Mohammeds Offenbarungen und der Besuch des Erzengels Gabriel geschahen zurückgezogen in einer Höhle. Das vielleicht beste Beispiel ist jedoch Gautama Buddha selbst. Nachdem er sein Zuhause verlassen hatte, lebte er im Wald, meditierte in der Natur und erwachte unter einem Baum neben einem Fluss. Als Mara seine Erleuchtung in Frage stellte, sagte der Buddha nichts, sondern berührte einfach die Erde als Zeugin seiner Verwirklichung. Danach lebte und lehrte er meist in der Natur – und er starb auch im Freien, unter Bäumen.

Heute hingegen meditieren die meisten von uns in Gebäuden mit geschlossenen Fenstern, die uns vor Insekten, der heißen Sonne und kühlen Winden schützen. Das hat natürlich viele Vorteile, aber geht dabei nicht auch etwas Wichtiges verloren? Wenn wir langsamer werden, uns entschleunigen und unsere ursprüngliche Verbundenheit mit der Natur wiederentdecken, dann wird deutlich, dass die Welt nicht eine Ansammlung getrennter Dinge ist, sondern ein Zusammenfluss von natürlichen Prozessen, die uns einschließen. Wir betrachten die Natur oft zweckorientiert, doch die natürliche Welt ist eine verflochtene Gemeinschaft von Lebewesen, die uns zu einer anderen Art von Beziehung einlädt.

Die Folge ist, dass ein Rückzug in die Natur, vor allem allein, unsere Wahrnehmungsgewohnheiten unterbricht und uns für Alternativen öffnen kann. Die Welt, wie wir sie normalerweise erleben, ist ein psychologisches und soziales Konstrukt, strukturiert durch die Art und Weise, wie wir mittels Sprache Objekte erfassen. Namen sind nicht nur Etiketten; sie bestimmen die Dinge entsprechend ihrer Funktion, sodass wir unsere Umgebung normalerweise als eine Ansammlung von Gebrauchsgegenständen wahrnehmen, die wir zum Erreichen unserer Ziele (zum Beispiel der Befriedigung von Bedürfnissen) verwenden. Dabei übersehen wir jedoch ständig etwas Wichtiges, wie William Blake bereits wusste:

Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich verschlossen, sodass er alle Dinge durch enge Spalten seiner Höhle sieht.

Das Festhalten an Konzepten, Funktionen und Begierden ist die Art und Weise, wie wir uns verschließen. Gerade in Städten ist fast alles, was wir wahrnehmen, ein Gebrauchsgegenstand – einschließlich der meisten Menschen, die wir entsprechend ihrer Funktion zweckorientiert behandeln: den Busfahrer, die Verkäuferin und so weiter. Mit anderen Worten: Wir beziehen uns auf fast alles und jeden als Mittel, um etwas zu erhalten oder zu erreichen. Umgeben von so vielen anderen Menschen, die das Gleiche tun, ist es schwierig, diese Art der Beziehung zur Welt loszulassen und die Welt auf eine frische Weise zu erleben.

Das hat sowohl kollektive als auch institutionelle Auswirkungen. Technologien erweitern unsere menschlichen Fähigkeiten, einschließlich unserer Fähigkeit, die natürliche Welt zu instrumentalisieren. Wie der Philosoph Michael Zimmerman schreibt: »Derselbe Dualismus, der die Dinge zu Objekten des Bewusstseins reduziert, ist auch in der Art von Humanismus am Werk, der die Natur zum Rohstoff für die Menschheit reduziert.« Das wirft zunehmend wichtige Fragen über den Begriff des Eigentums auf, ein soziales Konstrukt, das im Lichte unserer gegenwärtigen Situation überdacht und umgearbeitet werden sollte. Wenn eine instrumentalistische Sichtweise der natürlichen Welt im Zentrum unserer ökologischen Zwickmühle steht, dann besteht die heute vielleicht am meisten benötigte »Befreiungsbewegung« darin zu würdigen, dass der Planet und sein großartiges Gewebe des Lebens viel mehr als nur eine Ressource zum Nutzen einer Gattung ist.

Viele buddhistische Lehren haben offensichtliche ökologische Anwendungsfelder. Ein konsumorientiertes Leben ist mit dem buddhistischen Weg unvereinbar. Die fünf buddhistischen Grundregeln oder Richtlinien beginnen mit dem Versprechen, Leben nicht zu töten oder zu schädigen – und das bezieht sich nicht nur auf Menschen, sondern auf alle fühlenden Wesen. Das grundlegende Prinzip der Ökologie – die gegenseitige Abhängigkeit von lebendigen Wesen und Systemen – ist eine Teilmenge des grundlegenden Prinzips der buddhistischen Philosophie, dass nichts »selbstexistent« ist und aus sich selbst heraus existiert, weil alles von etwas anderem abhängt. Kapitel 4, »Ist es das gleiche Problem?«, konzentriert sich auf weniger Offensichtliches: die tiefgreifenden Parallelen zwischen unserer immerwährenden persönlichen Zwickmühle, wie die traditionellen buddhistischen Lehren sie sehen, und unserem heutigen ökologischen Dilemma. Ich habe bereits angemerkt, dass die ökologische Krise eine ebenso spirituelle wie technologische und wirtschaftliche Herausforderung ist; die Gemeinsamkeiten unserer individuellen und kollektiven Notlage zu offenbaren hilft, diese Behauptung zu konkretisieren.

Unser gewohntes Selbstempfinden, unser Selbstsinn, ist ein Konstrukt, hat also keine reale Entsprechung. Das macht unser Selbst von Natur aus ängstlich und unsicher: weil es nichts gibt, was gesichert werden könnte. Das Selbst erfährt diese Bodenlosigkeit meist als Mangel: das Gefühl, dass etwas mit mir nicht stimmt. Es ist ein grundlegendes Unbehagen, das oft in gewissem Sinne als »Ich bin nicht gut genug« erlebt wird. Bedauerlicherweise verstehen wir dieses Unwohlsein oft falsch. Wir versuchen, uns abzusichern, indem wir uns mit Dingen »außerhalb« von uns identifizieren, die (so glauben wir) den festen Boden bieten können, nach dem wir uns sehnen: Geld, Besitztümer, Ansehen, Macht, körperliche Attraktivität und so weiter. Da nichts davon den Selbstsinn tatsächlich verankern oder absichern kann, egal wie viel Geld (und so weiter) wir anhäufen, scheint es niemals genug zu sein.

Die buddhistische Lösung für dieses Dilemma ist nicht, das Selbst loszuwerden, denn es gibt da nichts loszuwerden. Wie oben erwähnt, muss das Empfinden eines Selbst dekonstruiert (in der Meditation: »vergessen«) und neu rekonstruiert werden (wobei Großzügigkeit, liebende Güte und die Weisheit, die unsere gegenseitige Abhängigkeit erkennt, die »drei Gifte« Gier, Böswilligkeit und Verblendung ersetzen). Auf diese Weise können wir die Illusion des Getrenntseins durchschauen. Wenn ich selbst nicht irgendetwas im Inneren bin (hinter den Augen oder zwischen den Ohren), dann ist das Äußere nicht außen.

Seltsamerweise entspricht diese buddhistische Sicht auf unser individuelles Dilemma genau unserer aktuellen ökologischen Situation. Wir haben nicht nur als Individuen eine Wahrnehmung von Selbst, sondern wir haben auch kollektive »Selbste«, und die Formel »getrenntes Selbst = dukkha oder Leiden« gilt auch für unsere umfassendste kollektive Selbstwahrnehmung: die Dualität zwischen uns als Spezies, dem Homo sapiens sapiens, und dem Rest der Biosphäre. Wie der persönliche Selbstsinn ist auch die menschliche Zivilisation ein Konstrukt, das ein kollektives Gefühl der Entfremdung von der natürlichen Welt mit sich bringt. Und das wiederum erzeugt Angst und Verwirrung in Bezug darauf, was es heißt, Mensch zu sein. Unsere vorherrschende Antwort auf diese Angst – der kollektive Versuch, uns mit wirtschaftlichem Wachstum und technologischer Entwicklung (»Fortschritt«) abzusichern – macht die Dinge sogar noch schlimmer, weil sie unsere Trennung von der Erde verstärkt. Ebenso wie es kein Selbst gibt, das wir loswerden könnten, können wir nicht »zur Natur zurückkehren«, weil wir nie von ihr getrennt waren. Aber wir können unser Nichtgetrenntsein von ihr erkennen und anfangen in einer Weise zu leben, die mit dieser Einsicht übereinstimmt.